Die Gartenlaube (1893)/Heft 10
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Nr. 10. | 1893. | |
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Auf der Terrasse des Odensberger Herrenhauses gingen Eberhard
Dernburg und Oskar von Wildenrod im Gespräch auf und
nieder. Sie hatten sich in eine politische Erörterung vertieft, die
von seiten des älteren Herrn mit Lebhaftigkeit geführt wurde,
während der jüngere sich ganz gegen seine Gewohnheiten schweigsam
und zerstreut zeigte. Sein Blick flog bisweilen hinüber zu
dem großen Rasenplatz, wo Maja und Graf Viktor von Eckardstein
Croquet spielten.
„Es wird voraussichtlich in dieser Sitzung des Reichstags heiße Kämpfe geben,“ sagte Dernburg soeben. „Die Einberufung soll sofort nach den Wahlen erfolgen, und ich werde mich wohl darauf gefaßt machen müssen, den größten Theil des Winters meinem Mandat zu opfern.“
„Sie rechnen also mit Bestimmtheit auf Ihre Wiederwahl?“ fragte Wildenrod.
„Allerdings!“ Dernburg sah ihn befremdet an. „Ich vertrete seit zwanzig Jahren meinen Wahlkreis, und die Odensberger Stimmen allein genügen, um mir die Wahl zu sichern.“
„Eben deshalb fragte ich. Sind Sie dieser Stimmen auch wirklich gewiß? Es ist in den letzten drei Jahren vieles anders geworden.“
„Bei mir nicht,“ sagte Dernburg ruhig. „Ich und meine Arbeiter – wir kennen einander seit Jahrzehnten. Ich weiß zwar, daß auch hier allerlei Einflüsterungen und Aufreizungen stattfinden, davor kann ich Odensberg mit all meiner Macht nicht schützen; diese Einflüsterungen mögen auch hier und da bei einzelnen Gehör finden, die Masse meiner Leute aber steht fest zu mir.“
„Wir wollen es hoffen!“ Es klang ein leiser Zweifel in der Stimme des Freiherrn, der sich trotz seines kurzen Aufenthaltes doch schon mit den Verhältnissen vollkommen vertraut zeigte. „Die Sozialdemokraten in der Umgegend sind diesmal ungemein rührig, überall wird gepredigt, gehetzt, geschürt; und man hat schon in manchem Wahlkreise, der für unbedingt sicher galt, unliebsame Ueberraschungen erlebt.“
„Aber hier stehe ich – und ich glaube, den Herren denn doch noch einigermaßen gewachsen zu sein,“ sagte Dernburg mit der ruhigen Ueberzeugung eines Mannes, der sich in seiner Machtstellung unerschütterlich weiß. Wildenrod war im Begriff, zu antworten, da schallte helles Lachen vom Rasenplatz herüber, und sofort richtete sich sein Auge dorthin.
Sie boten ein anmuthiges Bild, die beiden schlanken jugendlichen Gestalten dort drüben mit den geschmeidigen Bewegungen, mit den vor Eifer und Aufregung glühenden Wangen. Jedes suchte dem anderen den Rang abzulaufen, triumphierte, wenn dem Gegner ein Wurf mißlang, und dazwischen jagten und neckten sie sich mit lustigem Uebermuth wie ein paar Kinder.
Dernburgs Auge war der Richtung gefolgt, die der Blick seines Begleiters genommen, und über seine ernsten Züge flog ein Lächeln. „Die ausgelassenen Kinder! Meiner kleinen Maja mit ihren sechzehn Jahren kann man den Uebermuth allenfalls noch hingehen lassen, aber der Herr Lieutenant vergißt bisweilen ganz, daß er kein Knabe mehr ist.“
„Ich fürchte, Graf Eckardstein wird überhaupt nie den Ernst des Mannes kennenlernen,“ sagte Wildenrod kühl. „Er ist eine liebenswürdige, aber wohl auch sehr oberflächliche Natur.“
„Da thun Sie ihm unrecht! Viktor ist ein Leichtfuß – leider – und hat seinen Eltern manche Sorge gemacht mit allerlei tollen Jugendstreichen; auch Odensberg weiß davon zu erzählen. Doch das Herz hatte er immer auf dem rechten Fleck, Er ist kein Genie, aber offen und ehrlich und begabt genug, um dereinst einen tüchtigen Offizier abzugeben“
„Um so besser,“ warf der Freiherr hin. „Für den Grafen und – für Maja.“
Dernburg wandte sich um und sah ihn fragend an. „Für Maja? Wie meinen Sie das?“
„Das bedarf wohl kaum der Erklärung, Graf Eckardstein zeigt seine Wünsche und Absichten deutlich genug, und ich bin überzeugt, daß es ihn nicht die geringste Ueberwindung gekostet hat, dem Plan seines Bruders zuzustimmen.“
„Welchem Plan?“ Zwischen den Brauen Dernburgs erschien eine Falte, als er die Frage that, Wildenrod zuckte leicht die Achseln.
„Nun, der junge Graf scheint ziemlich leichtsinnig zu sein. Sie geben ja selbst zu, daß er das von jeher gewesen ist, und er hängt gänzlich von seinem Bruder, dem Majoratsherrn, ab. Daß ein junger lebenslustiger Offizier Schulden macht, ist am Ende natürlich, aber hier muß es das zulässige Maß überschritten haben, wenigstens nach der Ansicht des Grafen Konrad. Es soll da zu heftigen Auftritten gekommen sein, und man kann es dem Majoratsherrn wirklich nicht verdenken, wenn er ein Gewaltmittel für seinen leichtsinnigen Bruder in Aussicht nimmt.“
„Und dies Mittel wäre?“
„Eine reiche Heirath! Es heißt, der junge Graf sei auf Wunsch oder Befehl seines Bruders gekommen, um die Beziehungen zu Odensberg wieder aufzunehmen, zu einem Zwecke, der sich leicht errathen läßt. Sie wundern sich, daß ich so genau darüber unterrichtet bin? Ein Zufall! Ich hörte kürzlich, als wir nach Eckardstein geladen waren, das Gespräch zweier Herren, die wohl keine Ahnung hatten, daß ich mich im Nebenzimmer befand, sonst hätten sie diese Dinge nicht so ausführlich erörtert. Sie schienen die Verbindung bereits als feststehende Thatsache anzunehmen.“
Dernburgs Stirn hatte sich bei der Erzählung tiefer und tiefer gefurcht, aber seine Stimme behielt den gewohnten Klang, als er erwiderte: „Bei einer solchen ‚Thatsache‘ hätte doch wohl ich das letzte Wort zu sprechen, denn Maja ist noch ein halbes Kind und viel zu jung, als daß eine Heirath jetzt schon in Frage kommen könnte. – Nun Erich, da bist Du ja! Hat sich Cäcilie immer noch nicht blicken lassen?“
Erich, der zu ihnen trat, sah erregt und besorgt aus. „Nein, noch immer nicht!“ antwortete er hastig. „Ich war in den Ställen drüben, um nachzufragen aber niemand weiß, wohin sie gefahren ist. Sie hat den kleinen Ponywagen anspannen lassen, schon in aller Frühe, als das ganze Haus noch schlief, und nur den Bertram mitgenommen. Ich begreife das wirklich nicht.“
„Es wird eine ihrer Launen sein,“ warf Oskar hin, „Cilly ist eben unberechenbar in ihren Einfällen, daran wirst Du Dich gewöhnen müssen, lieber Schwager.“
„Ich glaube, Erich thäte besser, seiner künftigen Frau diese Unberechenbarkeit abzugewöhnen,“ sagte Dernburg mit einiger Schärfe. „Diese Eigenschaft trägt nicht gerade zum Glück einer Ehe bei.“
Der arme Erich sah nicht aus, als ob er die Macht oder auch nur den Willen hätte, seiner Braut irgend etwas abzugewöhnen. Wildenrod aber fiel rasch und beschwichtigend ein: „Vielleicht steckt eine Neckerei dahinter. Ich wette darauf, daß Cäcilie es bei dieser geheimnißvollen Fahrt auf eine Ueberraschung abgesehen hat.“
Das Spiel auf dem Rasenplatze hatte inzwischen seinen Fortgang genommen, jetzt schien ein Streit auszubrechen, der jedoch von beiden Seiten mit offenbarem Vergnügen geführt wurde und schließlich mit einer Versöhnung und einem hellen Gelächter endete. Dernburg blickte aufs neue hinüber, aber diesmal ohne Lächeln; er rief ungeduldig: „Ich dächte, Maja, es wäre nun Zeit, aufzuhören. Komm zu mir, mein Kind!“
Maja gehorchte, sie kam, noch ganz erhitzt von dem Spiel, und Viktor Eckardstein folgte ihr auf dem Fuße.
„Ich habe Ihnen im Namen meines Bruders eine Bitte vorzutragen, Herr Dernburg,“ sagte der Lieutenant in seiner heiteren offenen Weise. „Konrad feiert am Mittwoch seinen Geburtstag – es wird nur ein kleiner Kreis von Gästen da sein, allein die Odensberger Herrschaften sollen selbstverständlich nicht darin fehlen. Wir dürfen doch auf Ihre Gegenwart rechnen?“ Die Bitte wurde in einem Ton ausgesprochen, als sei jeder Zweifel an ihrer Gewährung ausgeschlossen, jedoch die Antwort lautete sehr kühl:
„Es thut mir leid, Herr Graf, Wir erwarten am Mittwoch Gäste aus der Stadt und müssen selbst die Pflicht der Wirthe üben.“
„Gäste? Wen denn, Papa?“ fragte Maja neugierig und verwundert. „Ich habe ja noch kein Wort davon gehört.“
„So hörst Du es jetzt. Jedenfalls bedauern wir, die Einladung nicht annehmen zu können.“
Die Erklärung wurde mit einer Bestimmtheit gegeben, die jede weitere Erörterung ausschloß. Viktor schwieg, aber der ungewohnt kühle Ton fiel ihm ebenso auf wie die Anrede mit „Herr [151] Graf“, da Dernburg es sonst meist bei dem Vornamen bewenden ließ. Der Blick des jungen Mannes richtete sich unwillkürlich auf Wildenrod, als ahnte er irgend einen feindseligen Einfluß von dieser Seite.
Bei der Jugend pflegen solche Verstimmungen indes nicht lange vorzuhalten. Maja brachte mit ihrem lustigen Geplauder bald wieder ein Gespräch in Gang, bei dem sich nur Erich zerstreut und einsilbig zeigte. Er ließ sich aber doch von seiner Schwester und Viktor nach dem Treibhaus ziehen, um die neu aufgeblühten Orchideen anzusehen.
Auf der Terrasse herrschte einige Minuten lang Schweigen, dann sagte der Freiherr mit gedämpfter Stimme: „Es sollte mir leid thun, wenn mein Bericht dem jungen Grafen in Ihren Augen geschadet hätte, allein wie die Verhältnisse liegen, hielt ich mich verpflichtet, zu reden.“
Dernburg nickte. „Gewiß, ich danke Ihnen dafür. Doch pflege ich auf bloßes Gesellschaftsgeschwätz hin niemand zu verurtheilen, ich werde zu erfahren wissen, was an dieser Sache Wahrheit ist.“
„Thun Sie das,“ sagte Wildenrod mit ruhiger Zuversicht. „Was übrigens Majas allzugroße Jugend betrifft, so heirathen die Töchter in unseren Kreisen oft schon in diesen Jahren, und wenn ihre Neigung wirklich einem Manne entgegenkommt –“
„Der Jagd auf die reiche Erbin macht, um seine Verhältnisse zu ordnen,“ fiel Dernburg mit einer Bitterkeit ein, die verrieth, daß jener Bericht seine Wirkung dennoch gethan hatte. „Vor einem solchen Schicksal will ich mein Kind bewahren.“
„Das wird nicht leicht sein. Es müßte denn ein Bewerber auftreten, der frei und unabhängig dasteht und selbst reich genug ist, um über den Verdacht des Eigennutzes erhaben zu sein. Alle andern werden mit Ihren Millionen rechnen.“
„Nicht alle!“ erwiderte Dernburg mit Nachdruck. „Ich kenne einen, der arm ist und nichts besitzt als seinen Kopf – der Kopf ist freilich etwas werth und verbürgt ihm die Zukunft. Dem würde der Weg zu Unabhängigkeit und Reichthum gezeigt, er brauchte nur die Hand auszustrecken, aber es würde das Opfer einer Ueberzeugung von ihm gefordert, und er ging den Weg nicht.“
Oskar stutzte. „Von wem sprechen Sie?“
„Von Egbert Runeck! Befremdet Sie das so sehr? Ich habe längst eingesehen, daß Erich allein Odensberg dereinst nicht leiten kann, dazu gehört ein Mann meines Schlags, und das ist Egbert – er ist nicht umsonst in meiner Schule aufgewachsen. Aber da haben sie ihn in Berlin so fest in ihre sozialdemokratischen Netze verstrickt, daß ich fast daran verzweifle, ihn wieder daraus zu lösen.“
„Haben Sie das wirklich versucht, trotzdem Sie wußten –?“
„Ja, trotzdem ich alles wußte, denn ich bin überzeugt, daß ihm eines Tages die Augen aufgehen werden – wenn es dann nur nicht zu spät ist für uns beide.“
Wildenrods Lippen preßten sich fest zusammen als wollten sie eine heftige Entgegnung verschließen, endlich sagte er langsam: „Herr Dernburg, ich verstehe Sie zum ersten Male nicht.“
„Mag sein, aber Sie können es mir immerhin zutrauen, daß ich nicht mit eigener Hand die Brandfackel in mein Odensberg werfen werde. Wenn Egbert bei seinem Kopfe bleibt, so ist es zwischen mir und ihm zu Ende. Indessen – er wird es nicht thun. Der braucht freie Bahn im Leben, der will empor um jeden Preis, will kämpfen; aber auch aufbauen und schaffen und schließlich Herr sein über das, was er geschaffen hat. Solche Naturen beugen sich auf die Dauer nicht dem Joche einer Partei, die blinden Gehorsam fordert, die keine Persönlichkeit, kein mächtiges Aufstreben des Einzelnen gelten läßt. Ich fürchte nur, er kommt erst zur Besinnung, wenn er sich sein Glück verschüttet hat.“
Der Freiherr mußte bereits sehr fest in der Gunst seines künftigen Verwandten stehen, daß dieser zu ihm von Dingen sprach, die er nicht einmal mit seinem Sohne erörterte, aber Oskar schien von diesem Beweis des Vertrauens nicht eben freudig berührt zu sein. Auf seiner Stirn stand eine drohende Wolke, und mit mühsam beherrschter Stimme sagte er: „Sie überschätzen Ihren Günstling, wie mich dünkt. Aber gleichviel – Sie schienen da etwas anzudeuten –“ er brach ab.
„Was denn, Herr von Wildenrod?“
„Ich thue wohl besser, es nicht auszusprechen, da es eine Unmöglichkeit in sich schließt.“
„Warum?“ fragte Dernburg gereizt. „Etwa weil Egbert der Sohn eines Hüttenarbeiters ist? Die Eltern sind tot, aber auch wenn sie noch am Leben wären – ich stehe über solchen Vorurtheilen.“
Wildenrod schwieg, er sah den Sprechenden nicht an, sondern blickte nach den Werken hinüber. Es war etwas Unheimliches in seinem Gesichte.
„Sie sind in dem Punkte anderer Meinung, ich sehe es,“ hob Dernburg wieder an. „In Ihnen regt sich der Aristokrat, dem so etwas unerhört erscheint. Ich denke anders darüber. Ich habe Erich auf eigene Verantwortung wählen lassen, für das Glück meiner Tochter habe ich einzustehen. Meine kleine Maja“ – die Stimme des sonst so strengen Mannes wurde weich – „sie ist mir spät geschenkt worden, aber sie ist der Sonnenschein meines Lebens. Wie oft habe ich mir in schweren Stunden aus ihren klaren Augen, ihrem hellen Kinderlachen Muth geholt! Sie soll nicht die Beute der Berechnung, des Eigennutzes werden, sie soll geliebt und glücklich sein – und bis jetzt kenne ich nur einen, in dessen Hände ich ihre Zukunft ohne Sorge legen könnte, denn ich bin überzeugt, daß er sie liebt. Der rechnet nicht, er hat es mir bewiesen!“
Auf dem Gesicht des Freiherrn lag eine eigenthümliche Blässe. War es Zorn oder Scham, was bei den letzten Worten in seinem Innern aufzuckte? Jedenfalls blieb ihm die Antwort erspart, denn ein Diener trat heran und meldete, der Direktor sei im Arbeitszimmer und wünsche den Herrn zu sprechen.
„Am Sonntag? Das muß etwas Wichtiges sein!“ sagte Dernburg, indem er sich zum Gehen wandte. „Aber noch eins, Herr von Wildenrod – was wir soeben erörterten, bleibt unter uns! Betrachten Sie es als Vertrauenssache!“
Er trat ins Haus und Oskar blieb allein zurück. Mit verschränkten Armen lehnte er an der Brüstung der Terrasse, in düstere Gedanken versunken.
Das war eine Gefahr, die er nicht geahnt, mit der er nie gerechnet hatte, dagegen verblich das Auftauchen des Grafen Eckardstein, das ihm eben noch so gefahrdrohend erschienen war, zu einem bloßen Schatten. Dernburg setzte offenbar eine Neigung voraus zwischen seiner Tochter und diesem Runeck! Um die Lippen Wildenrods spielte ein höhnisches überlegenes Lächeln. Er wußte es doch besser, wem Majas Liebe galt, er fühlte sich auch diesem neuen Gegner gewachsen! Und nun kein Zögern und kein Besinnen mehr, es galt, zu handeln! Oskar richtete sich entschlossen auf; es war nicht das erste Mal in seinem Leben, daß er va banque spielte, und hier war der Gewinn eine Zukunft, die ihm alles verhieß. –
Am Ende der ausgedehnten Parkanlagen von Odensberg, da wo sie an den Bergwald grenzten, lag der „Rosensee“, ein kleines Gewässer, von flüsterndem Schilf und Riedgras umsäumt; eine mächtige Buche streckte ihre Aeste mit dem jungen lichtgrünen Laube darüber hin und dichtes blühendes Gebüsch umschloß es von allen Seiten.
Auf einer Bank unter der Buche saß Maja, die Hände voll Blumen, die sie auf dem Wege hierher gepflückt hatte und nun ordnen wollte. Aber es kam nicht dazu, denn neben ihr saß Oskar von Wildenrod, der „zufällig“ denselben Ort aufgesucht hatte und sie mit seiner Unterhaltungsgabe so zu fesseln wußte, daß sie die Blumen und alles andere darüber vergaß.
Er sprach von seinen Reisen im Norden und Süden. Es gab kaum ein Land in Europa, das er nicht kannte, und er war ein meisterhafter Erzähler. Seine Schilderungen gestalteten sich zu farbenreichen Bildern, in denen Landschaften, Menschen und Ereignisse lebendig vor den Zuhörer hintraten. Maja lauschte denn auch mit athemloser Theilnahme – das alles klang so fremdartig, so märchenhaft für sie, deren Gesichtskreis bisher die Familie gewesen war.
„Was haben Sie alles gesehen und erlebt!“ rief sie bewundernd. „Das ist ja eine ganz andere Welt, aus der Sie zu uns nach Odensberg gekommen sind!“
„Eine andere, ja, aber keine bessere,“ sagte Wildenrod ernst. „Es hat wohl etwas Blendendes und Berauschendes – dies Leben in der schrankenlosen Freiheit, mit dem ewigen Wechsel und der Fülle von Eindrücken, und auch mich hat es einst geblendet. Doch das ist längst vorbei. Es kommt ein Tag, wo man aus dem Rausche erwacht, wo man fühlt, wie hohl und leer und nichtig das alles ist, wo man sich allein findet mitten in dem Menschengewoge und in der ersehnten Freiheit – ganz allein!“
„Aber Sie haben doch Ihre Schwester!“ warf Maja vorwurfsvoll ein.
[152] „Wie lange noch! In wenigen Monaten verläßt sie mich, um ihrem Gatten anzugehören und ich habe ein förmliches Grauen davor, einsam zurückzukehren in das ziel- und zwecklose Dasein. Sie ahnen nicht, Maja, wie ich Ihren Vater beneide. Er steht so fest und stolz auf dem Boden seiner Arbeit und seiner Erfolge, Tausenden schafft er Brot und Segen, die Liebe und Bewunderung aller umgiebt ihn und wird ihm dereinst in das Grab folgen. Wenn ich die Summe meines Lebens ziehe – was bleibt dann?“
Betroffen, fast erschrocken blickte ihn Maja bei diesen bitteren Worten an. Es war das erste Mal, daß Wildenrod ihr gegenüber einen solchen Ton anschlug; sie kannte ihn nur als den geistvollen Weltmann, der selbst da, wo er sich ihr vertraulich nahte, immer der ältere Mann geblieben war, welcher in halb tändelnder Weise mit einem jungen Mädchen verkehrte. Heute sprach er so ganz anders, heute ließ er sie einen Blick in sein Inneres thun und das überwand ihre Scheu. „Ich habe Sie glücklich geglaubt in diesem Leben, das in so lockendem Glanze erscheint, wenn Sie davon erzählen,“ sagte sie leise.
„Glücklich?“ wiederholte er düster. „Nein, Maja, ich bin es nie gewesen, nicht einen Tag, nicht eine Stunde lang.“
„Ja aber – warum haben Sie dann dies Leben so lange geführt?“
Oskar blickte in die klaren Kinderaugen, die sich mit ernster Frage zu ihm emporhoben, und unwillkürlich senkte sich sein Blick zu Boden.
„Warum? Ja warum lebt man denn überhaupt? Um das Glück zu erringen, von dem uns schon an der Wiege gesungen wird und von dem wir in der Jugend meinen, es liege da draußen in der weiten Welt, in der blauen Ferne. Ruhelos, fieberhaft jagen wir ihm nach, meinen immer wieder, es zu erreichen, während es weiter und weiter zurückweicht, bis es zuletzt verblaßt wie ein Schatten, bis wir endlich die ruhelose Jagd aufgeben – und mit ihr die Hoffnung!“ Es lag eine mühsam verhaltene Qual in den Worten, die den vollen Ton der Wahrheit hatten. Oskar Wildenrod kannte sie ja am besten, die wilde Jagd nach dem Glücke, das er gesucht hatte all die Jahre her – auf welchen Wegen freilich, das wußte nur er allein.
Das herbe Bekenntniß klang seltsam in dieser Umgebung, in dieser Frühlingswelt, wo alles nur Schönheit und Frieden athmete. Hell lag der Sonnenschein auf dem Spiegel des kleinen Sees, über den die Libellen mit bunten schillernden Flügeln traumhaft hinschwebten. Goldene Lichter fielen durch das junge Laub der Buche und spielten in dem zarten Maiengrün. Ringsum blühte der Flieder und erfüllte die Luft mit seinen Düften, dazwischen schimmerte der Goldregen, der seine leuchtenden Blüthentrauben tief herabsenkte, und das niedere Gesträuch war wie übersät mit wilden Heckenrosen. Es war ein Blühen ohn’ Ende und im Hintergrund stieg eine ferne blaue Bergwand auf und blickte ernst hinein in das kleine sonnige Eden.
Wildenrods Brust hob sich in tiefen schweren Athemzügen, als wollte er den Frieden und die Reinheit dieser Umgebung einathmen. Dann blickte er auf das junge Wesen an seiner Seite, auf das rosige Kinderantlitz, das so unberührt war von dem leisesten Hauch jenes Lebens, das er bis auf die Neige ausgekostet hatte. Aber die braunen Augen, die jetzt sich auf ihn richteten, schimmerten in Thränen, und eine leise Stimme sagte bebend: „Das klingt alles so hart, so verzweifelt, was Sie da sprechen. Glauben Sie denn wirklich an kein Glück mehr?“
„O doch, jetzt glaub’ ich daran!“ rief Oskar aufflammend „Hier in Odensberg habe ich wieder hoffen lernen. Es ist das alte Märchen von dem Kleinod, das man da draußen in der Welt auf tausend Wegen sucht, indessen es irgendwo im tiefen stillen Wald verborgen ruht, bis der Glückliche naht, der es findet – und vielleicht bin ich solch ein Glücklicher!“
Er hatte die Hand des jungen Mädchens ergriffen und schloß sie fest in die seinige. Mit jäher Gewalt erkannte Maja bei diesen Worten, dieser Bewegung, was bisher dunkel und unverstanden in ihrer Seele gelegen hatte; ein süßes Glücksgefühl stieg in ihr auf und doch zugleich wieder jene seltsame Angst, die sie schon bei der ersten Begegnung empfunden hatte, die Furcht vor jenem dunklen flammenden Blicke, der sie so willenlos zu bannen verstand. Ihre Hand zuckte in der des Freiherrn.
„Herr von Wildenrod –“
„Oskar heiße ich!“ unterbrach er sie mit stürmischer Bitte.
„Oskar – lassen Sie mich!“
„Nein, ich lasse Dich nicht!“ stieß er leidenschaftlich hervor. „Ich habe das Kleinod gefunden, nun will ich es auch fassen und halten mein Leben lang. Maja, es liegen Jahre, Jahrzehnte zwischen uns, ich habe Dir keine Jugend mehr zu bieten, aber ich liebe Dich mit der vollen heißen Gluth des Jünglings. Von dem Augenblick an, wo Du mir auf der Schwelle Deines Vaterhauses entgegentratest, wußte ich, daß Du mein Schicksal, mein Glück bist. Und auch Du liebst mich, ich weiß es – laß es mich nun auch von Deinen Lippen hören. Sprich, Maja, sage, daß Du mein sein willst! Du ahnst nicht, was dies Wort alles in mir erlösen und retten soll.“
Er hatte den Arm um sie gelegt, seine leidenschaftlich stürmischen Worte wehten wie Flammengluth über das zitternde Mädchen hin. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust, unverwandt blickte sie zu ihm empor. Jetzt schreckten sie seine Augen nicht mehr, sie sah nur die glühende Zärtlichkeit darin, hörte nur das Geständniß seiner Liebe und jene ahnungsvolle Furcht ging unter in triumphierendem Glück. „Ja, ich habe Dich lieb, Oskar,“ sagte sie leise. „Grenzenlos lieb!“
„Meine Maja!“
Es klang wie ein Jubelruf. Oskar schloß sie in die Arme, er küßte wieder und wieder die lichten Haare, die rosigen Lippen seiner jungen Braut. Ein Rausch des Glücks war über ihn gekommen. Die Vergangenheit mit ihren dunklen Schatten versank, und dem Manne, der sich schon dem Herbste des Lebens nahte, erklang jubelnd die Botschaft, die rings aus all dem Blühen drang: der Lenz ist wieder da!
Nach einer Weile entwand sich Maja sanft seinen Armen, das liebliche Gesichtchen in Gluth getaucht.
„Aber mein Vater, Oskar – wird er einwilligen?“
Wildenrod lächelte. Er wußte, daß der Unterschied des Alters zwischen ihm und seiner jungen Braut bei Dernburg schwer ins Gewicht fallen, daß er dessen Einwilligung weder leicht noch schnell erhalten würde, aber das schreckte ihn nicht. „Dein Vater will Dich nur geliebt und glücklich sehen, ich weiß es aus seinem eigenen Munde,“ sagte er mit überströmender Zärtlichkeit. „Und meine Maja, mein süßes holdes Kind, Du sollst geliebt und glücklich sein!“
Wir fahren von Colorado gen Osten. Wie ferne Wolkengebilde leuchten noch hinter uns am Horizonte die Schneefelder und das blaue Gezack der Felsengebirge. Mit Windeseile rollen wir in das nach Osten abfallende Prairieland hinab, das sich, gleich einem Ocean in seiner Ausdehnung und Eintönigkeit, breit und wellenlos über 600 Meilen weit bis zum Missouri- und Mississippithale dehnt, jeglicher Erhebungen und Hügel entbehrend und nur von trägen, sandigen, unschiffbaren Strömen durchschnitten. Ueberall weht das vielgerühmte, mit Myriaden von Blumen durchwirkte Büffelgras, welches zur Frühlingszeit durch sein frisches saftiges Grün der ganzen Landschaft einen ungemein traulichen, im Herbste aber, gelb und verbrannt, den Charakter ernster großartiger Oede verleiht.
Diese Ebenen strotzten einst von Leben. Auf alten Landkarten der Union, welche neben den politischen Angaben auch die Naturgeschichte jeder Sektion zeigte, ist auf dem Distrikte, welcher jetzt Kansas heißt, ein Büffel abgebildet, wie Utah durch einen Bären, Nebraska durch eine Antilope, Iowa durch einen Biber bezeichnet war. Und Büffel gab es damals auf den Prairien von Kansas und zwar in so unglaublicher Menge, daß uns die kaum drei bis vier Jahrzehnte alten Berichte glaubwürdiger Reisenden heute wie abenteuerliche Phantasiegebilde erscheinen wollen. Wird doch angegeben, daß unabsehbare Büffelherden die Prairien bedeckten, so weit das Auge reichen mochte, und daß diese Herden die ersten Bauzüge der Pacificbahnen mitunter zu stundenlangem Warten zwangen, bis der letzte der riesigen Wiederkäuer vorübergezogen war.
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[154] Fragt man angesichts der Thatsache, daß den Fahrgästen der den Grasoceau kreuzenden Bahnen schon seit Jahren keine Exemplare des Büffels mehr zu Gesichte kommen, was denn aus diesen ungeheuren Herden geworden sei, so erhält man die lakonische Antwort: „Ausgerottet!“
Ja, ausgerottet sind die Bisonherden, verschwunden mit dem rothen Mann, der ja auch keine Heimstätte finden sollte auf dem ihm gehörigen Boden. Wie das Bleichgesicht die Rothhaut weiter und immer weiter zurückgedrängt hat, so vollbrachte es auch die Ausrottung des Büffels.
Kaum waren durch die Eisenbahnen die Weidegründe desselben näher gerückt worden, als auch ganze Ströme von Jägern zu Fuß, zu Roß und Wagen sich über die Prairien ergossen und jene schändlichen Schlächtereien begannen, welche in kurzer Zeit den fast völligen Untergang einer ganzen Thiergattung zur Folge hatten.
Namentlich gegen das Jahr 1873 wurden ganze Expeditionen ausgerüstet, die vollständig zur Massenabschlachtung der riesigen Höckerträger eingerichtet und mit Wagen, Zelten, Waffen und Schießbedarf vollauf versehen waren. Zu Hunderttausenden wurden nunmehr die Büffel niedergeschossen, und das nicht etwa des Fleisches, sondern der armseligen Felle wegen, die man gleich an Ort und Stelle abstreifte, während man die Kadaver unbenutzt liegen und verfaulen ließ und höchstens die Zungen des Mitnehmens werth erachtete.
Immer widerlichere Ausdehnung nahm das Gemetzel an. Die Jäger stellten sich in fortlaufender Kette an den Flüssen und Wasserbecken aus, an welche die Thiere kommen mußten, um ihren Durst zu löschen. Jede Annäherung kostete einer Anzahl von Büffeln das Leben; die anderen hingegen wurden, um ihre Rückkehr zu sichern, durch Steinwürfe und Feuerbrände vertrieben, ohne daß sie zur Löschung ihres Durstes gekommen waren. Auf diese Weise soll man mit bestem Erfolge ganze Herden vier und fünf Tage lang vom Wasser fern gehalten haben.
Gefoltert von dem Verlangen nach Wasser, nahten sich die armen Schlachtopfer wieder und wieder – aber nur, um aufs neue von den Kugeln der Jäger begrüßt zu werden.
Eine Jagdgesellschaft von 16 Personen tötete während des Sommers 1874 2800 Büffel, ja ein junger Mann rühmte sich sogar, während einer Kampagne über 3000 Stück, in einer Woche allein 85, geschossen zu haben. Der amerikanische Oberst Dodge, welcher die Jagdgründe im Herbste 1873 besuchte, schreibt: „Ich ritt über das nämliche Gelände, das ich ein Jahr vorher mit einigen Herren besucht hatte. Wo damals Tausende von Büffeln weideten, lagen jetzt Tausende von Thierleichen. Die Luft war durchdrungen von krankmachendem Gestank; die unabsehbare Ebene, welche ein kurzes Jahr vorher von thierischem Leben wimmelte, war heute eine tote, einsame, verpestete Wüste.“
„Um einen Begriff von der Zahl der verwesenden Kadaver zu geben,“ so bemerkt der Reisende Blackmore, „mag allein die Mittheilung genügen, daß ich 87 dieser Aase auf einem kaum vier Acre (rund 160 Ar) großen Stücke Landes zählte.“An der Sübgabel des Republikanflusses wurden im Jahre 1874 auf einem Haufen 6500 Kadaver gezählt.
Wie der Raubbetrieb gehandhabt wurde, das beleuchtet am besten wohl die Art, in welcher man die Abhäutung der Büffel besorgte. Das gewöhnliche Verfahren wurde zu langwierig befunden, und so vereinfachte man es, indem man bei einem getöteten Büffel Einschnitte über die Ohren rings um den Hals machte, die dicke Haut sechs bis acht Zoll abhäutete, von hier aus fernere Einschnitte über den Bauch nnb entlang der Beine machte und dann einen drei Fuß langen eisernen Nagel durch den Schädel des Büffels in die Erde trieb und so den Kadaver befestigte.
Nachdem dies geschehen, ward ein starkes Seil in der dicken Kopfhaut befestigt, das andere Ende desselben an die Hinterachse eines Wagens gebunden und nun die Pferde vor demselben angetrieben, so daß die ganze Haut mit einem Zuge von dem Kadaver gelöst wurde. Während dieses Gewaltaktes zerriß zwar gar manche Haut, doch „time is money!“ Der Markt war schließlich so überschwemmt mit Büffelhäuten, daß das Fell eines Bullen, welches früher mit 3 Dollar bezahlt worden war, nur noch einen einzigen brachte, während die Felle von Kühen und Kälbern bloß noch 80 und 40 Cent galten.
Die Folgen derartiger Raubwirthschaft zeigten sich gar bald. Im Herbste 1874 waren schon fast mehr Jäger als Büffel auf den Prairien zu finden, und die kleineren Herden hatten sich soweit verzogen, daß ihre Jagd der Transportschwierigkeiten halber nicht mehr verlohnte. Es sind hinterher Berechnungen gemacht worden, wie hoch wohl die Zahl der in den Jahren 1872, 1873 und 1874 getöteten Büffel gewesen sein möge. Oberst Dodge kommt zu dem Schlusse, daß die Zahl von 4 bis 51/2 Millionen nicht zu hoch gegriffen sei, ein Bericht der amerikanischen Regierung (9. Annual Report of the Dep. of Interior) will sogar wissen, daß die Zahl der von 1870 bis 1875 jährlich getöteten Büffel auf nicht weniger als 21/2 Millionen zu schätzen sei, was eine Gesammtsumme ergiebt, die zu begreifen wir dem Leser überlassen müssen.
Die Büffel sind verschwunden, auf ihren alten Weidegründen grasen jetzt Hunderttausende von Stieren, Rindern und Schafen, welche von einzelnen Viehzüchtern oder von spekulativen Gesellschaften hier gehalten werden. Die Prairien von Kansas und Colorado, die Tafelländer von Neu-Mexiko und Texas sind voll von gewaltigen Herden; der Werth der allein in den organisierten Theilen von Kansas umherziehenden Herden wurde im Jahre 1882 auf 45 Millionen Dollars geschätzt. Man bezifferte die Zahl der Rinder und Schafe auf je 2 Millionen Stück. Die Rindviehzucht wird in verschiedener Weise betrieben. Die eine Art, „loose herding“ genannt, besteht darin, daß man die Viehherden frei, ohne Einfriedigung grasen läßt. Den ganzen Sommer und Winter bleiben die Thiere draußen, ohne alles Obdach und ohne jede Aufsicht.
Daß unter derartigen sich selbst überlassenen Herden ein großer Abgang durch wilde Thiere, Viehdiebe und Indianer [155] verursacht wird, ist klar, und die meisten Viehzüchter sind daher zu dem „close herding“ übergegangen, wo die Thiere unter beständiger Bewachung einer große Zahl von Hirten, sogenannten „Cow-boys“, stehen. Die dritte noch nicht lange zu allgemeinerer Annahme gekommene Weise besteht darin, daß man die Weidegründe mit festen Drahteinzäunungen umgiebt, ein allerdings sehr kostspieliges Verfahren, welches sich aber dadurch bezahlt macht, daß der Verlust an Vieh auf ein Minimun beschränkt wird. Man hat jetzt in diesen sogenannten „Cattle-Ländern“ derartig abgeschlossene Weideplätze, die einen Flächenraum von 250000 bis 300000 Acre einnehmen. Auch hier sind die Herden der Bewachung seitens der „Cow-boys“ unterworfen.
Das Leben dieser Viehhirten, die an Stelle der von der Romantik so oft verherrlichten Lederstrumpffiguren getreten sind, ist überaus rauh und mühsam. Fortwährend im Sattel, haben sie glühende Sonnenhitze wie Sturmwetter zu bestehen und sich mit einfachster Kost und mit noch einfacherem Lager zufrieden zu geben. Kämpfe mit wilden Thieren, Indianern und Viehdieben giebt’s gelegentlich nebenher.
Daß das Aussehen dieser ein solch regelloses Leben führenden Gesellen ein sonderbares, wild romantisches sein muß, ist leicht erklärlich. Den häufig von krausen, langen Locken umgebenen Kopf deckt ein mächtiger, breitrandiger „Sombrero“; der Oberkörper ist mit einem bunten Flanellhemde oder einem perlenbestickten Lederrocke bedeckt, während die Beine in riesigen, stets über und über schmutzigen und mit gewaltigen Radsporen versehenen Stiefeln stecken. Ein um den Leib geschnallter Ledergurt ist mit einem Paar trefflicher Revolver versehen und mit Patronen gespickt.
Wie sich diese Leute aus den verschiedenartigsten Nationen und Elementen zusammensetzen, so findet man unter ihnen auch die verschiedenartigsten Charaktere. Es giebt unter ihnen Menschen, gutmüthig wie ein Kind und sofort bereit, wenn es gilt, jemand aus der Noth zu helfen. Der weitaus größere Prozentsatz der „Cow-boys“ aber ist roh und gewaltthätig, leicht beleidigt und stets geneigt, eine noch so geringfügige Beleidigung sofort, und zwar mit dem Revolver, zu rächen. Aus diesem Abschaum der Menschheit rekrutiert sich vornehmlich das berüchtigte Desperadothum des fernen Westens, welches, was Kaltblütigkeit und Grausamkeit betrifft, unter dem Banditenthum des ganzen Erdballes wohl die erste Stelle einnimmt. Billy the Kid, Wild Bill, Texas Jack, Bloody Enright, Fly Speck Sam, und wie sie alle heißen mögen, sie waren „Cow-boys“, verübten zahllose Schandthaten und hielten zeitweise die Bewohnerschaft ganzer Staaten in Schrecken.
Billy the Kid, von welchem ein begeisterter Biograph wörtlich sägt, daß „sich viele Städte um die Ehre (!) streiten, sein Geburtsort zu sein“, war wohl der verwegenste aller dieser Schurken. Auf standesgemäße Kleidung hielt er viel. Die blaue, knappe Jacke aus feinstem Stoff war über und über mit Goldstickereien versehen, die Nähte der schwarzen, mit scharlachrothem Unterfutter versehenen mexikanischen Beinkleider waren mit kleinen silbernen Schellchen besetzt, der breitrandige „Sombrero“ blitzte von Gold und edlen Steinen und war mit einer Goldschnur von Daumendicke umgeben. An den Füßen klirrten schwere silberne Sporen, während ein herrlicher Karabiner sowie ein paar goldausgelegte Revolver und Bowiemesser die Bewaffnung ausmachten. So ritt dieser Bandit, auf dessen Kopf die Behörden einen Preis von 1000 Dollar ausgeschrieben hatten, umgeben von seinen Getreuen, im Jahre 1881 in das Städtchen Lincoln ein und lieferte der Bevölkerung sowie den zur Hilfe herbeieilenden Truppen ein regelrechtes, drei Tage lang andauerndes Gefecht, in dessen Verlauf über dreißig Menschen erschossen und viele verwundet wurden.
Ein Zufluchtsort und Sammelpunkt derartiger Raubgesellen war jahrelang Dodge-City, welches wir auf unserer Fahrt durch Kansas berühren. Infolge der unzähligen Schießereien und Morde, die hier vorkamen, erlangte der Ort eine geradezu traurige Berühmtheit, doch ist es jetzt mit der Sicherheit des Lebens daselbst weitaus besser bestellt. Diese Besserung ist vornehmlich dem Eingreifen der „Vigilanzkomitees“ zuzuschreiben, welche sich allerorten in den Grenzstädtchen bilden, sobald die besser gesinnten Elemente sich gegenüber den Grenzstrolchen und Rowdies stark genug fühlen. Es setzt nun manche. blutigen Kämpfe zwischen dem geheimen Fembunde und dem Verbrecherthum, die in der Regel mit Vertreibung und Vernichtung des Räubergesindels endigen. Daß aber die Anhänger des Komitees ihr Leben in die Schanze schlagen müssen, das beweist eben die Geschichte von Dodge-City, wo seit der Zeit der Gründung des Ortes im August 1872 bis Herbst 1883 über dreißig Beamte und Bürger erschossen wurden, welche geregelte Zustände schaffen wollten.
Eigenthümlich ist die Art, wie die von derartigen Vigilanzkomitees vollzogenen Lynchhinrichtungen mitunter bekannt gegeben werden. So brachte ein Blatt folgende Mittheilung:
„Der in unserer Stadt nicht besonders vortheilhaft bekannte Mr. Jim Moore unternahm kürzlich eine Reise, um Pferde zu holen, die nicht ihm gehörten. Er kam aber nicht wieder zurück, da er plötzlich nicht mehr imstande war, mit seinen Füßen den Erdboden zu erreichen. Wir sahen ihn zuletzt unter einer Telegraphenstange stehen und in seiner unmittelbarsten Nähe einige unserer hervorragendsten Bürger, die alle angelegentlichst an einem Seile zogen.“
Echt westlichen Ursprungs ist auch „das Lied vom Pferdedieb“:
„Er fand einen Strick und hob ihn auf,
Ging still von hinnen dann,
Zufällig war am andern End’
Ein Roß gebunden dran.
Sie fanden den Baum und banden den Strick
An einen der grünen Aest’,
Zufällig war das andere End’
An seinem Halse fest.“
Es dürfte immerhin noch einige Jahre dauern, bevor in den westlichen Distrikten des Staates ganz regelrechte geordnete Verhältnisse geschaffen sind, fanden wir doch während unserer Reise auf allen Bahnstationen einen Preis von 15000 Dollar auf die Ergreifung einer Bande ausgeschrieben, die Tags zuvor den die Strecke passierenden Eisenbahnzug angefallen und vollständig ausgeplündert hatten. Der nach uns folgende Zug wurde von einer Bande „Cow-boys“ beschossen.
Ziemlich rauh ist das Leben in den kleinen westlichen Grenzstädtchen immer noch. Taghell sind des Nachts die Wirthschaften, Schnapshöhlen, Tingeltangel und Spielhäuser erleuchtet, in denen fragwürdige Gestalten ihre Zusammenkünfte halten. Da wird gespielt, getrunken und getanzt und gesungen. Mitunter auch verstummt der Lärm für einen Augenblick, heftige Stimmen werden laut – ein Schuß kracht – noch einer – und nach einer Weile wird ein blutüberströmter Leichnam über die Straße getragen. Solche Scenen kommen in diesen westlichen Städtchen nicht selten vor, sind doch noch genug von jenen wilden Burschen mit den seltsamen Spitznamen zu finden, denen nichts daran liegt, wenn sie auch „in ihren Stiefeln“ sterben.
Je weiter wir übrigens nach Osten vordringen, desto mehr bemerken wir, daß das Land Fühlung mit der Gesittung gewinnt. Freundlicher, einladender werden die Ansiedlungen, die Dörfer, die Städte. An Stelle der Holzbauten treten große Backsteinhäuser, das sicherste Zeichen, daß die Bevölkerung bereits seßhafter und weniger wanderlustig geworden. Auch Baumpflanzungen sehen wir und Gartenanlagen; wohlbestellte Felder erscheinen, kurz, die Umwandlung ist eine so eingreifende, daß der ursprüngliche Prairiecharakter oft nicht mehr zu erkennen ist. Die Linie, wo Himmel und Erde zusammenfließen, zeigt sich hier und da von kleinen Gehölzen, von Kirchthürmen und Häuserumrissen unterbrochen, und namentlich stoßen wir bei den Orten Great Bend, Newton und Florence auf Ansiedlungen, die in musterhafter Weise bewirthschaftet werden, und wir sehen Farmhäuser hinter den grünen Büschen hervorleuchten, die den sehnsüchtigen Wunsch in uns erregen, sie zu besitzen.
Die Eigenthümer dieser lachenden Kolonien sind Mennoniten, die, um mit ihren Satzungen und Anschauungen nicht in Widerspruch zu gerathen, bei Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ihre heimathlichen Fluren in Rußland, Polen und Preußen aufgaben, den Wanderstab ergriffen und namentlich gegen das Jahr 1873 in großen Scharen nach Kansas kamen. Hier gründeten sie stattliche Niederlassungen, wie Gnadenau, Hoffnungsthal, Blumenfeld etc. Ihre Farmen umfaßten um das Jahr 1885 [156] bereits ein Gebiet von weit über 300 000 Acre. Die Mennoniten bilden zweifelsohne einen der gesündesten Bestandtheile der Bevölkerung des Staates Kansas.
Je weiter wir gen Osten kommen, desto häufiger werden die Stationen, die Städte. Da sind Emporia, Burlingame, Topeka, Valley Falls, Atchison und Lawrence, welch letztere Stadt wegen der dort beschlossenen Einführung der Temperenzgesetze für den Staat Kansas unter der deutschen Bevölkerung sich nicht gerade ein angenehmes Andenken erworben hat. Immer weiter geht’s durch blühende Gefilde, durch eine hochkultivierte Gegend, die man ihrer Fruchtbarkeit halber den „Golden Belt“, den „Goldenen Gürtel“ nennt, bis wir endlich in der überaus betriebsamen Stadt Kansas-City an den Ausgangspunkt der Atchison-Topeka-Santa Fé-Bahn und, zugleich an die Ostgrenze des Staates Kansas gelangt sind.
Die drei letzten Meistersänger von Straßburg.
Es fehlt in unseren Tagen nicht an Anzeichen, daß in der alteingesessenen Bevölkerung des Reichslandes sich endlich doch der Umschwung vollzieht, den wir seit zwei Jahrzehnten so heiß ersehnen, jener Umschwung, der die so lange von der alten Heimath geschiedenen Brüder wieder ganz mit ihr verbinden, der dem blutigen Werke des Krieges endlich die schönste Krone aufsetzen soll. Häufiger und wärmer als je sind in der letzten Zeit Stimmen erklungen, die uns empfinden lassen, daß auch die Herzen drüben im Vogesenlande mit denen in des Reiches Stammlanden zusammenzuschlagen beginnen in einem großen gemeinsamen deutschen Vaterlandsgefühl! Und es mußte auch so kommen! Die Entwicklung, deren erfreuliche Anfänge wir mit der innigsten Genugthuung wahrnehmen, sie muß zu einem glücklichen Ende führen.
Wenn etwas uns in dieser Zuversicht bestärken kann, so ist es ein Blick auf das Leben der drei Männer, denen die folgenden Zeilen gewidmet sind, Männer, die mit gleichstrebenden Genossen zusammen fest und treu zu ihrem Deutschthum hielten auch in einer Zeit, da von Straßburgs Münster noch nicht die deutsche Flagge wehte, die als kraftvolle und zielbewußte Baumeister die geistige Brücke schlugen vom alten zum neuen Deutschen Reiche.
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In dem zweiten Viertel unseres Jahrhunderts entwickelte sich in dem französischen Straßburg eine eigene Bewegung. Der Ruhm Napoleons war verblaßt, Frankreich lag danieder, und in den deutschen Staaten begann ein sichtliches Aufblühen. Bis dahin war ein Niederdrücken der deutschen Sprache im Elsaß nie versucht worden. Aber einzelnen aus Frankreich herübergekommenen Personen war es gelungen, eine solche Unterdrückung künstlich anzubahnen. Es machte sich nicht allein unter der „gebildeten“ Klasse, sondern sogar unter den Handwerkern und Arbeitern die Meinung breit, als ob alles sogleich an Werth gewinnen müsse, wenn es nur in französischer Sprache gesagt würde. Neben der deutschen Sprache wurde auch die deutsche Litteratur verunglimpft und verspottet.
Da trat, von einigen Straßburgern veranlaßt, eine Gegenbewegung ein. „Wir müssen und dürfen die deutsche Sprache im Elsaß, das Verständniß für die Gedichte eines Goethe und Schiller nicht fallen lassen; die deutsche Sprache, welche unsere Muttersprache, ist, müssen wir fortfahren zu hegen und zu pflegen, zu schützen, zu lieben und zu bebauen!“ So hieß es, und etliche alte und junge Straßburger, die Stoeber, Hirtz, Klein, Leser, Hartmann, Leute aus allen Kreisen der Stadt, Gelehrte, Bürger, Beamte und Handwerker, traten zusammen und begannen einen Kampf gegen das Franzosenthum durch eine Art Meistersang, der seinesgleichen in unserem Jahrhundert suchen dürfte. Der Arzt Gustav Mühl, über welchen die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1881 Nr. 37 eingehend berichtet hat, der Schriftsetzer Karl Bernhard, der Lehrer Karl Friedrich Boese und die oben genannten, sie alle waren in diesem Kampfe thätig.
Einmal in der Woche kamen sie bei einem Gesinnungsgenossen zusammen, und dieses Zusammensein wurde, wie mir der greise Dichter Daniel Hirtz noch vor wenigen Tagen erzählte, „Die Rudelschenke“ genannt. Es wurden dabei die poetischen Ergüsse der einzelnen vorgelesen und besprochen, um dann in einem Wochenblatte gedruckt zu werden, das der Buchdrucker Dannbach unter dem Titel „Dannbacher Wochenblatt“ herausgab. Das Wochenblatt, ob seiner deutschfreundlichen Gesinnung, auch wohl aus Konkurrenzneid namentlich von dem Straßburger „Indicateur“ sehr angefeindet, unterlag allerdings dem Drange der Zeit und ging ein. Doch hinderte dies den Dichterbund nicht, fortzuwirken und von Woche zu Woche einem zahlreichen Lesezirkel in Stadt und Land Unterhaltung zu bringen, wodurch die Liebe für deutsch-klassische Bildung im Heimathlande andauernd Nahrung und Pflege fand.
[157] Von allen Theilnehmern an den geistigen Kämpfen jener Zeit leben heute nur noch drei: der 89jährige ehemalige Drechsler Daniel Hirtz, der bald 84 Jahre alte Korbwarenfabrikant Christian Hackenschmidt und der ein Jahr ältere Rentner Alphons Pick. Der bedeutendste derselben ist Daniel Hirtz.
Daniel Hirtz schrieb mir im Jahre 1888:
„Obgleich der ehemalige, bald fünfundachtzigjährige Drechslermeister keineswegs Anspruch macht, zu den berühmten Männern Straßburgs gezählt zu werden, so will ich doch die von Ihnen gewünschte Unterredung willig und gern gewähren. Das Beste wäre vielleicht, Sie würden sich zu mir bemühen in mein stilles und gemüthliches Urgroßvaterstübchen im Versorgungshause der Diakonissenanstalt. Da können wir ungestört eines Abends mitsammen plaudern.
Seit jener Zeit bin ich sehr oft im „Urgroßvaterstübchen“ gewesen, und gar viele unterhaltende Stündchen habe ich bei dem würdigen Greise verlebt. Ich will versuchen, nach des Dichters eigenen Worten seinen Lebensgang zu schildern.
Am 2. Februar 1804 wurde Daniel Hirtz als Sohn eines Drechslermeisters in der Langestraße in Straßburg geboren. Nach dem Besuche des protestantischen Gymnasiums trat er bei seinem Vater in die Lehre, und im Jahre 1823 unternahm er zu Fuß, als wohlbestallter Drechslergeselle, seine Wanderung durch Deutschland und Frankreich, genau nach damaligem Handwerksbrauch, nur daß er einen wohlgespickten Beutel Geld mit auf den Weg nehmen konnte und das „Gott grüß die Kunst“ nicht im Sinne der meisten „auf der Walz“ befindlichen Gesellen zu benutzen brauchte. Gar manches Erlebniß weiß der Dichter in seinem Werke „Des Drechslers Wanderschaft“ aus jener Zeit zu berichten. Ein solches mag auch hier Aufnahme finden.
Hirtz war mit einem Wittenberger Drechstergesellen nach Harburg gekommen und beide hatten in einem Bauernhause Nachtquartier gefunden. Nun erzählt er:
„Unser Nachtlager ward in der nahen Nachbarschaft der friedlichen Rinder bereitet, deren Aufenthalt eine gemäßigte Wärme entströmte, die uns in der rauhen Märznacht nicht zu verachten schien. Wir legten, wie gewöhnlich, die Felleisen als Kopfkissen unter und streckten bald die müden Glieder auf dem raschelnden Bette aus. Nach kurzer Zeit herrschte die tiefste Stille im ganzen hannoverischen Bauernhause; der Schlaf hatte sich auf alle seine Bewohner erquickend niedergesenkt, und schnell wurden die ersten Stunden der Nacht verträumt.
Ich lag im besten Schlummer, als der neben mir ruhende Wittenberger mich mit dem Ellbogen anstieß und ziemlich ängstlich frug:
‚Straßburger, hörst Du nichts?‘
‚Was giebt es denn?‘ entgegnete ich gähnend und richtete mich schlaftrunken auf.
‚Höre nur, wie es da so sonderbar schnaubt,‘ meinte mein Nachbar, ‚es kommt mir ganz unheimlich vor!‘
Jetzt vernahm ich das geisterhafte Schnauben auch und verspürte einen warmen Lufthauch, der meine Wange leise überstrich, zugleich raschelte auch etwas an unserm Stroh herum und zog es uns unterm Leibe weg.
Im ersten Augenblick des Erwachens dachte ich nicht gleich an den Ort, an welchem wir uns befanden, und griff mit der rechten Hand rings um mich herum. Plötzlich kam meine Hand an einen rauhen haarigen Gegenstand; betroffen fuhr ich in die Höhe und erfaßte ein spitziges Ochaenhorn, wodurch mir unsere Lage aufgeklärt wurde.
‚Das Rindvieh frißt uns das Bett weg!‘ rief ich und war schnell auf den Beinen. ‚Wittenberger, steh auf!‘“ –
In Berlin arbeitete Hirtz bei dem Meister Engel und half die Möbel drechseln, welche für den Haushalt des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm IV. und der Prinzessin Elisabeth [158] von Bayern angefertigt wurden. Hirtz erzählt: „Meister Engel gab wöchentlich ein- oder zweimal einem Bruder des Kronprinzen Unterricht in der Drechslerkunst, der eine Drehbank im königlichen Palais hatte, wo sein Lehrmeister gewöhnlich in den Abendstunden sich hinbegab und bei seiner Zurückkunft sehr die Artigkeit und das leutselige Betragen des Königssohnes rühmte.“
Nach der mir gewordenen Mittheilung des Dichters soll es der nachmalige Kaiser Wilhelm I. gewesen sein, der in seinem dreißigsten Lebensjahre noch das Drechslerhandwerk kennenlernen wollte.
Auf seiner ganzen Wanderschaft ließ Daniel Hirtz seiner Poesie freien Lauf. In Hildesheim dichtete er die Volkssage „Der Dom zu Hildesheim“, in Köln „Die Bischofswahl“, die in der „Didaskalia“ erschien. So wanderte er von Ort zu Ort, vom Norden Deutschlands hin nach Paris. Und als er endlich heimkehrte, da übernahm er die Werkstnbe seines Vaters und heirathete ein Nachbarskind. Neben der Tagesarbeit im Handwerke bildete eine rege schriftstellerische Thätigkeit seine Erholung. Er schrieb und veröffentlichte unter großem Beifall folgende Erzählungen „Der Flüchtling“ (1834), „Religion und Fanatismus“, dann „Des Drechslers Wanderschaft“ (1844), „Der Jacobstag“ (1838 und 1842, „Der Odilienberg“ (1839), „Die Kurbengasse in Straßburg“, „Der Bauernkrieg“, „Die Reichsacht“ u. a. m. Im Jahre 1849 übernahm Hirtz die Redaktion des „Hinkenden Boten am Rhein“ und führte dieselbe 37 Jahre lang. Jedes Jahr erschienen neue Gedichte von ihm, und stets ließen sie einen frischen Sinn und einen hohen Geist erkennen. Er erhielt 1849 eine Stelle im Konsistorium der Kirche Augsburger Konfession und zog sich vor einigen Jahren in sein Urgroßvaterstübchen zurück.
Die Bedeutung des eigenartigen Mannes als Dichter und Meistersänger ist allgemein anerkannt. Seine vaterländischen Gedichte legen Zeugniß ab für seine echt deutsche Gesinnung. Keines aber hat eine solche Wirkung gethan wie sein berühmtes Münsterlied. Am 24. Juni 1839 waren 400 Jahre verflossen, seit das hehre Denkmal Erwins von Steinbach, das Münster Straßburgs, vollendet wurde. 425 Jahre früher hatte Bischof Wernher I. die Wiederaufbauung des 1007 durch den Blitz zerstörten Doms anfangen lassen. Straßburgs Bürgerschaft wollte diesen 400. Jahrestag würdig feiern, und ganz in der Stille hatte sich ein Häuflein Bürger zusammengefunden und war zur Plattform des Münsters hinaufgestiegen an den Fuß des Thurmes. Aber bald waren es Hunderte, die sich bis auf die Galerien drängten. Musikstücke ertönten, Gedichte wurden aufgesagt, und unten, auf dem Münsterplatz, da schwoll die Menge an und Heilrufe tönten zu der Festversammlung empor. Die aufrichtige und herzliche Fröhlichkeit steigerte sich zur Begeisterung, als Daniel Hirtz sein Gedicht „Das Münsterjubelfest“ vorlas. Es entfesselte einen Sturm der Entrüstung in allen größeren französischen Zeitungen, und als vor wenigen Jahren sein Sohn, Daniel Hirtz, ehemaliger französischer Offizier und nachheriger deutscher Rentmeister, starb, da frohlockten wieder die französischen Zeitungen und sagten den Verfasser des Münstergedichtes tot. Aber noch lebt er und noch der Geist, der aus ihm sprach! Nur zwei Strophen seien hier wiederholt:
„Ja, du bist unser, Zeuge frommer Zeiten,
Du bleibest Straßburgs unerreichter Dom!
Des Rheinthals Riese! Dich, dich muß beneiden
Die Peterskuppel selbst im stolzen Rom.
Du bleibest unser! Zu dem Seinestrande,
Zur Königsstadt zieht dich kein Machtgebot,
Entführt dich nicht dem alten Vaterlande,
Dem treu du bleibst in Freuden und in Noth.
Du bleibest unser! Schaust als treuer Hüter
Zum Schwarzwald gern, gern zum Vogesenkranz;
Begeisternd flammt bei deinem Anblick wieder
Der deutschen Ahnen lichter Ruhmesglanz;
Der freien Väter, die voll Muth gefochten
Für Recht, für Freiheit, für den heim’schen Herd,
Die kühn des Sieges Lorbeerkränze flochten,
Mit jeder Schlacht auch Straßburgs Ruhm vermehrt.“
Eine Sammlung seiner Gedichte gab Hirtz 1846 heraus, und Professor Dr. Bruch, der erste Rektor der Kaiser Wilhelms-Universität in Straßburg, schrieb das Vorwort dazu. Wie schlicht singt der Dichter:
„Wär’ ich so ein reicher Mann,
Der aus Zinsen leben kann,
Da wollt’ ich erst dichten!
Oftmals steckt mir ’was im Kopf,
Aber ach! mich armen Tropf
Fesseln Arbeitspflichten.“
Hirtz wurde auch noch bei anderen öffentlichen Festen wie bei der 499jährigen Gutenbergfeier, bei der Einweihung des Kleberdenkmals etc. gerne von seinen Mitbürgern aufgefordert, die Prologe zu dichten, und alle diese Gedichte sind von warmer Liebe zum deutschen Vaterland durchdrungen, die nicht wenig zur Erhaltung des Deutschthums in Straßburg und im Elsaß beigetragen hat. Das letzte Gedicht verfaßte Hirtz bei der Hochzeit seiner Enkelin Marie Griesinger, der Tochter des Pfarrers in Colmar, die ihm jetzt schon vier Urenkel geschenkt hat. Er sang:
„Großvater, werde wieder jung,
Ermanne Dich zum kühnen Schwung,
Laß einen Spruch erklingen!
Willst ihn mit selbstvergnügtem Sinn
Dem Enkel und der Enkelin
Zum heitern Brautfest bringen.“
Mit Uhland, Justinus Kerner, Zschokke stand Hirtz in regem Briefwechsel, und die Genannten haben den Straßburger Meistersänger selbst in seiner Drechslerstube aufgesucht. Als im Jahre 1848 der Sohn Justinus Kerners, Theobald Kerner, als politischer Flüchtling nach Straßburg kam und sich, schwer erkrankt, in dem damals noch vorhandenen Gasthof „Zum Rheinischen Hof“ versteckt hielt, da konnte Hirtz ihm behilflich sein, sich seinen Häschern zu entziehen. Wohl wurde Theobald Kerner einige Zeit später im Württembergischen doch noch verhaftet und auf Hohenasperg eingesperrt. Justinus Kerner aber hat Hirtz die unter ganz besonders schwierigen Umständen bewirkte Unterstützung seines Sohnes nie vergessen. Er sandte dem Straßburger Dichter im Jahre 1849 sein Porträt, das noch heute das Urgroßvaterstübchen ziert.
Daniel Hirtz hat sich von jeher als ein einfacher Mann aus dem Volke gegeben. Sein ganzer Stolz liegt immer in der Thatsache, daß er, als einfacher Bürgerssohn, als ein echter Handwerker, dem Nürnberger Meistersänger Hans Sachs ähnlich, es so weit gebracht hat, mit den besten Volksdichtern des Elsaß, den gelehrten Stöber, Vater und Söhne, auf gleiche Stufe gestellt zu werden. Er sieht es gerne, wenn man seine echt deutschen Gesinnungen anerkennt, Gesinnungen, welche er in dem von ihm bis vor wenigen Jahren redigierten Kalender in Gedichten und Aufsätzen kund gab, und oft betont er, wie er sich freue, des Deutschen Reiches neue Herrlichkeit noch erlebt zu haben und in ihr das neue Morgenlicht seines engeren Vaterlandes und besonders Straßburgs erblicken zu dürfen.
In heiterer Fassung erharrt der greise Dichter seines Lebens Ende. Mögen noch manche frohe und sonnige Tage es ihm weit entrücken. In seinem Stübchen, seinem Lager gegenüber, hängt ein welker Lorbeerkranz, den Professoren von der Kaiser Wilhelms-Universität ihm vor mehreren Jahren gespendet haben.
Mit Christian Hackenschmidt arbeitete Daniel Hirtz mehrfach zusammen in Zeitschriften und an Broschüren. Christian Hackenschmidt wurde am 20. Mai 1809 in der Großen Stadelgasse in Straßburg geboren. Sein Vater war Posamentier, der Großvater stammte aus Regensburg und war als Handwerksbursche nach Straßburg gekommen. Die Geburtsstätte Hackenschmidts liegt in einem der ältesten Theile der Altstadt, der damals durch die schmutzigen Fluthen eines Ill-Arms in zwei Hälften getheilt wurde und jetzt noch durch das Gewirr enger Gassen und hoher überhängender Häuser einen romantischen Eindruck macht. Aber in den sonnenlosen Winkeln wohnte damals eine Bevölkerung, die den alten biedern Straßburger Bürgersinn durch die Revolution hindurch gerettet hatte. Auch Hackenschmidt besuchte das protestantische Gymnasium, das damals noch ein ganz deutsches, freilich zugleich etwas spießbürgerliches Gepräge trug. Er war ein guter Schüler und hätte gern studiert, aber der Vater fand, es gehe nichts über ein gutes Handwerk, und that ihn zu dem Korbmachermeister Maurer in die Lehre. Das kostete den strebsamen Knaben viele Thränen! Allein er fügte sich dem Willen des Vaters und arbeitete sich bald zum geschickten Gesellen empor. Später übernahm er das Geschäft und brachte es in großen Schwung.
Des Abends tröstete ihn schon in seinen frühesten Lehrjahren die Dichtkunst über die Prosa des Geschäftslebens. Seine [159] Gedichte erschienen in dem erwähnten „Dannbacher Wochenblatt“ gleichzeitig mit den Gedichten von Daniel Hirtz, Otte, Hartmann, Leser u. a. Fast alle zeichnen sich durch Frömmigkeit und Gottergebenheit, aber viele auch durch einen kernigen Humor aus. So besingt er die Freude am Dasein:
„O wie ist’s schön auf Gottes Erde!
Unglücklich, wer dies nicht erkennt,
Der seine Laufbahn nur Beschwerde,
Sein Dasein Last und Mühe nennt,
Der, der mit unzufried’nem Blicke
Sich mehr und immermehr begehrt,
Bleibt ewig fern vom wahren Glücke
Und wird auch dessen niemals werth.“
Im Jahre 1834 schrieb er das reizende Gedicht „Mein Stübchen“:
„Ich weiß ein Plätzchen in der Welt,
Ein einziges von allen,
Wo es mir frommt und mehr gefällt
Denn in Palastes Hallen.
Und dieses Plätzchen, eng und klein,
Bist, liebes Stübchen, Du allein!
Bereitet fürstlich euer Haus,
Ihr Reichen, ladet Gäste
Und ruht in Prunkgemächern aus
Vom Taumel froher Feste!
Mein Stübchen ist mein Alles mir,
Empfangssaal, Prunk- und Schlafquartier!“ u. s. w.
Dann ist es das liebe elsässische Heimathland, das ihn zu Gedichten begeistert. Mit Daniel Hirtz zusammen machte er Goethes Wort wahr, daß „die Straßburger leidenschaftliche Spaziergänger“ seien. Meist zogen die beiden zu Fuß in die Berge, mit einer Wurst und einem Stück Brot in der Tasche, und unterwegs wurden dann um die Wette Gedichte improvisiert. An trauten Winterabenden aber wurden die elsässischen Chroniken, besonders Königshoven und Herzog, eifrig studiert und mancher Zug poetisch verwerthet.
Wiederum gemeinsam mit Hirtz gab Hackenschmidt 1841 ein kleines Heftchen Gedichte zum Besten einer Erziehungsanstalt für arme Kinder heraus, das eine große Anzahl hübscher Leistungen enthielt, Hackenschmidt wurde später einer der Hauptleiter dieser segensreich wirkenden Anstalt, deren Verwaltungsrath er schon seit 1842 angehörte, wie er überhaupt durch einen schönen Wohlthätigkeitssinn hervorragt.
Daneben war er unermüdlich in seinem Geschäfte thätig. Das Hinterstübchen und der Laden waren Vereinigungsorte für alle Freunde der Dichtkunst; der alte Hackenschmidt saß da, im Schurz, mit einer Flechtarbeit beschäftigt, und um ihn und Daniel Hirtz sammelten sich Professoren, Pfarrer, hohe Beamte. Sein Geschäft wurde allmählich zur Fabrik erweitert; vor acht Jahren übertrug er es seinem Sohne.
Gerne erzählt Hackenschmidt aus alten Zeiten und in den letzten Jahrgängen verschiedener Straßburger Kalender sind reizende und anmuthige Jugenderinnerungen von ihm zu lesen. Wie Daniel Hirtz schrieb auch er Volkserzählungen, immer in deutscher Sprache; so „Die Judengasse in Straßburg“, „Die Waldenser in Straßburg“, „Die Reformation in Straßburg“. Eine von ihm verfaßte Biographie der Louise Scheppler, der treuen Gehilfin Oberlins im Steinthal, der Begründerin der Kleinkinderschulen, wurde in Basel mit einem Preise gekrönt. Verschiedene Gedichte in Straßburger Mundart sind im „Elsässischen Schatzkästelein^ gesammelt.
Bemerkenswerth dürfte noch sein, daß das Haus, in welchem Hackenschmidt wohnt und sein Geschäft betreibt, nach Ueberlieferungen aus Volksmund dasjenige ist, in welchem Goethe seinen Mittagstisch hatte. Es soll hier unerörtert bleiben, ob es dieses Haus oder, wie andere behaupten, ein solches in der Knoblauchgasse war; Hackenschmidt jedenfalls nahm an, sein Haus sei das richtige, und er errichtete dem Andenken Goethes in dem Hofe des Hauses einen hohen und geschmackvollen Denkstein, welchem er folgende Inschrift gab:
„Der große Meister Goethe ist
Allhier zu Tisch gewesen
Und hat wie jeder andere Christ
Supp’, Fleisch, Gemüs’ gegessen.
Wie fröhlich klapperten Gabel und Messer!
Das Essen war gut, der Witz war besser.
Er hat uns Straßburger werth gehalten,
Drum ehre wir ihn auch, den Alten.“
Auch Hackenschmidt hat durch seine Wirksamkeit ein gut Theil dazu beigetragen, daß die deutsche Sprache im Elsaß nicht unterging, und so sang er mit voller Ueberzeugung:
„Deutsch singen wir:
Es ist die Sprache,
Die unsre Mutter uns gelehrt.
Wir kennen deren hohen Werth,
Der wichtiger mit jedem Tage,
Wir wollen’s unsern Kindern lehren
Mag auch der Zeitengeist es wehren.“
Dies schrieb er 1845. Der „Zeitengeist“ hat ein Einsehen gehabt und das Bestreben der elsässischen Dichter mit Erfolg gekrönt. Hackenschmidt hat sich denn auch nach 1870 sofort mit ganzer Ueberzeugung auf die deutsche Seite gestellt, ohne indessen mit seiner Person weiter hervorzutreten.
Der dritte der noch lebenden elsässische Dichter aus alter Zeit ist der ehemalige Abgeordnete Alphons Pick, ein Mann, der nach einem Leben voll treuer Pflichterfüllung sich in die Stille zurückgezogen hat und nur noch durch seine Wohlthätigkeit hervortritt. Ab und zu läßt er aber doch noch seiner Reimkunst freien Lauf und vor wenigen Wochen erst übergab er mir einige kurze Gedichte, die letzten, die er gefertigt hat.
Alphons Pick wurde zu Straßburg am 4. Juni 1808 geboren. Auch er besuchte das protestantische Gymnasium und später die oberen Klassen des damaligen Collège royal. Er wollte Jura studieren, sattelte aber üm und widmete sich der damals rasch aufblühenden Eisenindustrie. Er gründete mit seinem Schwager, dem ehemaligen Reichstagsabgeordneten Alfred Goldenberg, in Zabern eine Werkzeugfabrik, die er jahrelang leitete, die jetzt noch blüht und an der er zur Zeit noch betheiligt ist. Seine Straßburger Mitbürger wählten den allgemein beliebten und geachteten Mann zuerst in den Bezirkstag und nachher in den Landesausschuß, dessen Alterspräsident er jahrelang war. Im Jahre 1887 zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück.
In allen seinen im Laufe der Jahre erschienenen Dichtungen wird man durch einen gesunden, wenn auch hie und da etwas derben Humor angeheimelt, ohne daß es doch an sinnigen Zügen fehlte. Dafür zur Probe eines jener jüngst entstandenen kurzen Gedichte in elsässer Mundart:
„Wie thuet doch vor der Sternepracht
Der Mensch so klein do stehn,
Der schwachi Mensch, där allewyl
Vor Hochmueth will vergehn.
Un wenn in der Unendlikeit
Unzähl’ge Wese leve
So-n-isch d’ hoechst Herrschaft uff der Erd
E-n-Anleis nur derneve.“
Eine große Anzahl Gedichte ließ er im Elsässer Wochenblatt erscheinen, so seine Ballade „Walther von der Vogelweide“, „Die Glieder und der Magen“, „S’ Klaaulied (Klagelied) von ere Gans“. Hübsch sind auch seine Uebertragungen und freien Bearbeitungen von Longfellowschen Gedichten, die er in Straßburger Mundart umgoß. Das im Jahre 1865 in Badenweiler verfaßte Lied „An eine Koblenzer Dame“ ist weithin bekannt geworden. Auch das Lied „Menschenfrieden“ wurde vielfach in Kalendern nachgedruckt. Die beiden ersten Strophen mögen hier zur Charakterisierung der Art des Gedichtes Raum finden!
„Sicher hast du schon empfunden
Jene flücht’ge Seligkeit,
Wenn, von jeder Last entbunden,
Sich dein Herz des Lebens freut.
Leichter ist’s dir im Gemüthe,
Alles scheint in heit’rem Licht,
Wonne weht dich an und Friede,
Und warum? Du weißt es nicht!“
Sein Lustspiel „Der tolle Morgen“, wiederum in elsässischer Mundart, ist nach Arnolds „Pfingstmontag“ das verbreitetste und bekannteste im Elsaß. Das der Dienstmagd „Selmel“ in den Mund gelegte Klagelied ist so lustig, so echt dem Leben abgelauscht, daß wenigstens einige Strophen daraus hier wiedergegeben werden sollen:
„Jo wayer, isch’s ken Kleinikeit,
E-n-armi Magd ze sinn.
Viel Müeih un Aerwet, wenni Freud
Un boower (pauvre) der Gewinn.
Un wenn ebbs Dumm’s zuem Vorschyn kummt,
So-n-isch’s glych d’Magd, un d’Madam brummt:
Ihr könne-n-euch ganz druff verlon,
Diß het nurr d’Magd gedoon.
[160]
Wenn’s Minett in der Lydeschaft
Uff d’ Noochbers Büehn spaziert
Un heimkummt von der Wanderschaft
Verropft un alteriert,
Do haw’ i schon e Butzer g’faßt,
Wyl ich der Katz nit uffgepaßt.
Wenn d’ Katze sich verfüehre lon,
Diß hat nurr d’Magd gedoon.“
Mehrere Auflagen erlebte sein „Anno 1975“, ein Werk köstlichen Humors. Das Merkwürdige ist dabei, daß Erfindungen der Technik, welche der Verfasser 1875 bei der Niederschrift seines Buches in das Jahr 1975 verlegte, schon zehn Jahre nach der Abfassung fast genau so, wie er es vorausgesagt, ans Tageslicht traten. Alphons Pick betheiligte sich auch hervorragend an der Herausgabe der „Straßburger Bilder“, die, etwa hundert an der Zahl, in den siebziger Jahren erschienen und die Straßburger Verhältnisse in Wort und Bild mit vielem Humor geißelten. Pick schrieb seine Begleitstrophen stets in Straßburger Mundart, zu deren Auslegung er in seinem „Tollen Morgen“ ein besonderes Wörterbuch herausgab.
Im politischen Leben konnte sich Pick mehr als seine beiden poetischen Freunde bemerkbar machen. Als Abgeordneter hat er vielfach mit dem verstorbenen Statthalter Feldmarschall Manteuffel, wie mit dem derzeitigen Statthalter Fürsten von Hohenlohe-Schillingsfürst verkehrt. Ein Humorist und feiner Menschenkenner, wußte er in seinen Reden immer den Nagel auf den Kopf zu treffen. Offen stellte er sich auf den Standpunkt des Frankfurter Friedens und hielt es für ein Glück seines schönen Elsaßlandes, daß es dem Deutschen Reiche einverleibt worden war, er tadelte aber, wo er nur konnte, immer und immer wieder jene deutschen Heißsporne, welche die Bewohner des Reichslandes durch Strenge dem Deutschthum zuführen wollten. Oft genug hat er es ausgesprochen, daß durch eine weise Regierung, durch ein Eingehen auf die Sonderinteressen des elsässischen und lothringischen Volkes, durch eine harmonische Mitarbeit der Eingewanderten die Herzen viel rascher und sicherer für das Deutschthum gewonnen werden könnten. Er hat recht behalten, der Erfolg hat es gelehrt.
Wenn aber wir heute des Errungenen uns freuen, wenn wir mit Befriedigung sehen, wie der Zug zum großen Vaterlande drüben zwischen Rhein und Vogesen sich durcharbeitet zur Herrschaft über die Gemüther der so lange Entfremdeten, dann dürfen wir auch der wackeren Straßburger Meistersänger nicht vergessen, welche als treue Hüter das Kleinod der Muttersprache inmitten feindlichen Andrangs bewahrt, welche die heilige Gluth deutschen Geistes herübergerettet haben in die Tage, da eine neue helle Flamme sich an ihr entzünden konnte. Darum Ehre der braven Schar, Ehre den letzten Drei, die von ihr übrig geblieben!
„Elsa.“
(1. Fortsetzung.)
Wenn wir reich wären! Wir würden das Geld so gut auszugeben wissen. So von oben her. Als regnete es Goldstücke und jeder könnte sie aufheben. Morgen könnte man’s wieder regnen lassen, und alle Tage. Man müßte sich’s gar nicht schwer verdient, sondern eine große Erbschaft gemacht haben und noch über einige Erbonkel oder Erbtanten verfügen. Aus dem Vollen leben – es muß seinen Reiz haben!
Ein einziges Mal wenigstens ...
Ich hätte meine Epistel anders anfangen sollen. Nicht mit einer allgemeinen Betrachtung, die Dir ja doch unverständlich bleiben muß. Warum erzähle ich nicht lieber ganz nach der Ordnung, daß eben, als ich meinen letzten Brief geschlossen hatte, Edwin mit einem recht vergnügt schelmischen Gesicht ins Zimmer trat und etwas versteckt in der Hand hielt. Rathe einmal, sagte er, was ich hier habe. – Wie kann ich das rathen! Hast Du eine Fliege gefangen? Du bist sonst so ungeschickt. – Er lachte. Nicht eine Fliege, aber einen allerliebsten Schmetterling, der sich mir unvermuthet auf das Tintenfaß setzte. – Zeige doch, Schätzchen! Und da war’s – ein Hundertmarkschein. Wie gefällt Dir das?
Es mußte eine besondere Bewandtniß damit haben. Und die hatte es auch. Die hundert Mark waren das Honorar für ein Gedicht, das er vor Jahren einmal zu einem Wettbewerb eingeschickt hatte. Die Entscheidung war wiederholt vertagt worden und schien dann so vergeblich auf sich warten zu lassen, daß Edwin das Warten lieber ganz aufgegeben und die Sache gründlich vergessen hatte. Nun aber hatte sie nur durch allerhand Zwischenfälle einen Aufenthalt erfahren, Edwins Gedicht – übrigens bloß fünf oder sechs kurze Verse – war als Sieger hervorgegangen, und da flatterte nun der Preis in Form des blauen Scheins mit der Zahl Hundert als Lorbeerblatt auf seine Dichterstirn.
Schön gesagt, nicht wahr? Es war eine große Freude. Ich legte ihm wirklich das Blättchen aufs Haupt und tanzte um ihn herum, bis er mich närrisch schalt und in die Sofaecke drückte. Ein so ganz unverhofftes Glück! Das ist etwas. Nicht im Schweiß seines Angesichts erschrieben, gebucht und eingezogen, sondern wirklich wie ein goldener Schmetterling zugeflogen und gefangen. Wir wären über zwanzig Mark ebenso vergnügt gewesen. Es kam gar nicht auf die Summe an. Aber es waren doch hundert! Und hundert Mark, auf die gar nicht gerechnet ist, sind für uns keine Kleinigkeit. Wir brauchten so allerlei – noch einen Teppich, Portieren an zwei Thüren, einen Kronleuchter im Salon! Wähle etwas davon, sagte Edwin, Du sollst es haben. Und wenn Dich das Hütchen noch lockt –
Nein, nein! fiel ich ihm ins Wort, das war dummes Zeug
Freilich wohl, aber ...
Und da kam mir ein ganz schnurriger Gedanke. Und er mußte auch gleich heraus. Es ist möglich, daß mir auch ein bißchen die Fragen im Kopf nachspukten, die ich Dir soeben gestellt hatte. Da war ja nun gleich eine Gelegenheit ... Das Blut schoß mir in die Wangen. – Schätzel, ich hab’s!
Nun?
Wir wollen uns einmal einen vergnügten Tag machen. Aber einen ganz außerordentlich vergnügten Tag. Wie Leute, die es dazu haben, die Goldstücke rollen zu lassen. (Ich sagte nicht regnen, das wäre eine zu arge poetische Uebertreibung gewesen. Rollen klang aber auch recht voll.) So ein Glücksfall kommt nicht wieder. Mit so gutem Gewissen kann man nicht noch einmal leichtsinnig sein, und wenn das Honorar künftig nach Tausenden zählt. Ich habe mir’s schon immer ganz reizend gedacht, sich so eine kleine Komödie spielen zu können, als hätte man Himmel und Erde zu kommandieren. Es reicht ja nur für einen Tag, aber für den reicht’s allenfalls. Mir würde die Erinnerung an ihn bleibenderen Werth haben als irgend etwas Nützliches oder auch nur Halbnützliches, das ich mir für hundert Mark kaufen könnte.
Ich glaubte, er würde wild auffahren und mich eine arge Verschwenderin schelten. Aber ich hatte mich geirrt. Er war wirklich der Dichter, der ein Verständniß für eine solche Tollheit mitbrachte. Das ist ein prächtiger Gedanke, antwortete er lachend, und ich bin ganz dabei. Es ist, als ob wir in der Lotterie gewonnen hätten, da mag’s denn heißen: wie gewonnen, so zerronnen.
Du kannst Dir denken, daß ich sehr glücklich war. Wir kauften nun doch den Hut, damit ich bei dem kleinen Ausflug, den wir planten, recht hübsch aussähe. (Das sagte er selbst so.) Und es gehörte gewissermaßen auch in das Programm. Uebrigens auch einen allerliebsten Sonnenschirm von zartrother Farbe, der den Teint sehr vortheilhaft hob. Ganz im stillen verdroß es mich ein wenig, daß er sich so leicht hatte überreden lassen; mein Vornehmen, ihn auf die Probe zu stellen, was er mir wohl zu Liebe thäte, fiel dabei ganz unter den Tisch. Um hundert Mark freilich lohnte sich’s ja kaum. Nicht wahr?
Wir setzten gleich den andern Tag fest und machten ab, es würde unter allen Umständen gefahren, was auch für Wetter sei. Wir wollten uns durch nichts, was von außen käme, stören lassen. Am Morgen war der Himmel recht trübe, aber wir kleideten uns für den herrlichsten Sonnenschein an und verschmähten sogar die Vorsicht, uns mit Regenschirmen zu versorgen. Um die ganze Wahrheit zu sagen: das war so meine Anordnung. Uns bei solchem Vergnügen fortwährend mit Regenschirmen zu tragen, war
[161][162] mir ein schreckhafter Gedanke. Dann fuhren wir, selbstverständlich in einer Droschke erster Klasse, eine Stunde durch den Thiergarten. Dem Kutscher sagten wir, wir wären Fremde, ließen uns auch mit ernstem Gesicht die Rousseauinsel, das Denkmal der Königin Luise und den neuen See zeigen. Das Trinkgeld war fürstlich. Nach dem Potsdamer Bahnhof! Schon während der Wagenfahrt hatten die Wolken sich getheilt und die Sonne durchblinzeln lassen. Während wir uns nun in einem „Abschnitt“ erster Klasse – heute konnte alles nur prima sein – in den bequemen Polstersesseln ausstreckten und vergnügt einander anlachten, wurde der Himmel hell und freundlich, und als wir in Potsdam ausstiegen, hatten wir ihn schon ganz blau über uns. Nun wurde in dem Pavillon am Wasser erst einmal lukullisch gefrühstückt und dann eine Equipage für den ganzen Tag bedungen, so wenig miethskutschenmäßig sie sich auftreiben ließ. Darauf bald zu Wagen, bald zu Fuß überall herum – es war eine Wonne bei dem schönen nicht zu heißen Wetter! Mittag in Glienicke, aber nobel, sage ich Dir. Bester französischer Champagner versteht sich von selbst, dagegen kommt doch kein deutscher Schaumwein auf. Die Kellner flogen nur so. Sie hielten mich sicher nicht für meines Mannes Frau und meinen Mann vielleicht für irgend etwas Durchgebranntes. Wir wurden nämlich sehr lustig und spielten aus Uebermuth selbst ein bißchen Komödie. Dann wurde ein Boot genommen und gerudert, der Babelsberger Park durchwandert, nach dem Bahnhof zurückgekehrt. Sollten wir in Berlin ins Opernhaus oder zu Kroll? Wir entschieden uns für Kroll, wo gerade eine sehr theure Italienerin als Gast auftrat, die wir sicher sonst nicht zu hören bekamen. Ersten Rang, Loge! Der Genuß war mäßig, aber man saß doch da unter den Glückskindern dieser Welt und wurde nach Gebühr begafft. Wir essen nachher bei Dressel – ist Dir’s recht, Männchen? – Jawohl. Wir aßen wirklich dort, und vortrefflich. Es war spät geworden. Und nun gehen wir ins Café Bauer – hm?
„Nein, nun gehen wir nach Hause.“
Ich sah ihn überrascht an. „Nach Hause?“
Der Tag sei längst zu Ende, meinte er und zeigte auf die Uhr, deren kleiner Zeiger allerdings bereits der Eins zuwanderte.
„Pedant!“ schalt ich. Ich hatte mich gerade auf diese Nachtschwärmerei gefreut. „Wir haben noch gar kein Abenteuer erlebt – es ist alles so glatt abgegangen.“
„Um so besser,“ erklärte er. „Der Tag war so schön, warum wollen wir jetzt noch etwas aufs Spiel setzen? Und – das Geld ist auch ausgegeben.“
„Nicht möglich!“
„Wollen wir nachrechnen?“
„Ums Himmelswillen! Und es reicht wirklich nicht mehr zu einer Tasse schwarzen Kaffee?“
„Sei verständig, Liebchen!“ wich er aus. „Wir gehören da um diese Zeit nicht hin. Man kennt mich. Ich habe journalistische Gegner. Wer kann vorhersehen –“
„Kurzum, Du willst nicht!“ unterbrach ich, wie ich gestehen muß, etwas mißgelaunt.
„Ich will nicht,“ sagte er sehr ruhig, nicht einmal mit irgendwie scharfer Betonung, aber so sicher, daß ich genau wußte, er würde nicht abzubringen sein.
Was hättest Du an meiner Stelle gethan, Toni? Daß ich mich ärgerte, abgewiesen zu sein, wirst Du erklärlich finden. Man wird immer ärgerlich, wenn man abgewiesen ist – es kommt gar nicht auf den Gegenstand und den Grund an. Der Widerspruch des andern Theils erweckt und stachelt die Lust zu einem Ringkampf. Dazu gehörte bei mir gar nicht viel; nun konnte sich ja doch noch die Gelegenheit zur Liebesprobe ergeben. Es war ganz dumm, jetzt noch auf der Tasse Kaffee zu bestehen und damit den ganzen schönen Tag zu verderben. Aber wenn er bei solcher Kleinigkeit hartnäckig und eigensinnig blieb, konnte er mir doch wirklich trotz allem nicht gut sein. Nach einem so schönen Tage! Und ich war wirklich sehr liebenswürdig gewesen. Er hätte die Unwahrheit sagen müssen, wenn er’s leugnete. Und nun so ein tyrannisches: ich will nicht ...
Soll ich – laß’ ich’s sein? Denke Dich in meine Lage!
Und was that ich? Ich war verständig, wie er’s wünschte, nahm mit einem Blick heitersten Einverständnisses seinen Arm und sagte: „Du hast recht, gehen wir nach Hause!“
Na – – ?
Heute hat es geblitzt und gedonnert.
Es lag so schwül in der Luft schon seit jenem tollen Tage. Die Spannung der Elektricität in den oberen Regionen wirkte stark nach unten, und es bedurfte nur eines Umschlagens des Windes, um ... u. s. w.
Ich spreche nämlich bildlich. Es kam etwas dazwischen – wir sprachen zwei Tage und Nächte lang kein Wort miteinander (die Nächte sind keine Uebertreibung, denn wir schliefen erbärmlich schlecht und hätten zur Unterhaltung vollauf Zeit gehabt) – und dann verlor er die Geduld und sagte mir seine Meinung, meines Erachtens etwas zu deutlich – und dann ... Na ja, dann hat es geblitzt und gedonnert. Und abgezogen sind die Wolken noch lange nicht. Es fragt sich noch immer, ob sie nach rechts oder links abziehen sollen. Du wirst mich verstehen, Toni.
Ach – – – ! Diesen Seufzer kannst Du Dir gar nicht tief genug vorstellen. Und wer hat an alledem Schuld? Die dumme Perfon, die ... Ich meine die Chefin.
Sie feiert nämlich morgen ihren Geburtstag.
Du wirst sagen, dafür könne sie doch nichts, daß sie geboren sei, und wenn man nun einmal geboren ist und leben bleibt, pflegt ja doch in jedem Jahr der Tag wiederzukehren, an welchem man sich mit freudiger Rührung des großen Ereignisses erinnert. Gewissermaßen hast Du recht. Ich gönne der gnädigen Frau auch die Blumengewinde ihrer Dienstboten und die kostbarsten Geschenke ihres Herrn Gemahls und sogar die aufrichtigsten Glückwünsche ihrer Freunde, so viel sie deren hat. Aber ...
„Wir müssen zur Geburtstagsgratulation antreten,“ warf Edwin so hin, als erinnerte er an etwas Selbstverständliches.
„Ich nicht!“ antwortete ich ohne Besinnen.
„Du nicht? Du wirst mich doch nicht allein gehen lassen!“
„Es scheint mir ebensowenig nöthig, daß Du gehst.“
„Aber wir haben doch nicht den mindesten Grund, nicht zu gehen!“
„So?“
Und da gab nun ein Wort das andere, Edwin behauptete, es handle sich um einen bloßen Akt der Höflichkeit. Der Geburtstag sei bekannt. Das ganze Geschäftspersonal betheilige sich durch irgend einen Beweis von Aufmerksamkeit, und das wenigste sei, daß man einen Besuch abstatte. Es werde das gar nicht anders erwartet.
Das war’s eben, was mir daran mißfiel. Es war auf eine Huldigung abgesehen, die nicht freiwillig geleistet wurde, sondern halb und halb befohlen war. „Du gehörst nicht zum Geschäftspersonal,“ sagte ich.
„O doch! Ich werde bezahlt wie die andern“
„Aber Deine Thätigkeit ist eine rein geistige. Als Schriftsteller stehst Du so hoch –“
„Ich gratuliere als Redakteur.“
„In Frack und weißer Binde?“
„Selbstverständlich. Das ist eine bloße Form.“
„So füge Dich ihr, wenn Du nicht den Muth hast, Dich über die Bedienten des Hauses zu stellen! Aber Deine Frau solltest Du doch nicht wünschen, mit zu erniedrigen!“
„Wir verkehren in der Familie. Gerade wenn meine Frau mich begleitet, fällt jeder Schein von Bedientenhaftigkeit fort. Es ist auch für Dich keine Erniedrigung, einer Dame, in deren Haus Du eingeladen gewesen bist, eine Artigkeit zu erweisen, die weiter zu nichts verpflichtet.“
„Es wird ihr nicht einfallen, mir zum Geburtstag zu gratulieren.“
„Du feierst ihn nicht so öffentlich.“
„Es ist eine Anmaßung, wenn man so wenig bedeutet, von sich so viel Aufhebens zu machen.“
„Das geht uns ja nichts an. Und kurz – “
„Kurz?“
„Wir gehen.“
„Ich nicht.“
„Das ist in diesem Falle eine beabsichtigte Unart.“
„Mag sie doch wissen, was ich von ihr halte!“
Das war ziemlich getreu unser Wortwechsel. Wir standen nun ungefähr tausend Meilen voneinander, und es war nicht abzusehen, wie und wo wir wieder so nahe zusammentreten könnten, daß wir uns als Eheleute betrachten dürften. That jeder, was [163] er gedroht hatte, so war dem andern nicht nur dieses eine Mal ein Tort geschehen, sondern ein Prinzip konnte als entschieden gelten. Sein Prinzip oder mein Prinzip. Das war in der Wirkung ungefähr dasselbe.
Es wäre mir sehr lieb, in diesem Augenblick Deine Meinung zu wissen – nicht ob ich recht habe, das versteht sich von selbst, sondern ob ich klug daran thue, recht behalten zu wollen. Ich habe recht, die gesellschaftliche Lüge, die Edwin mir zumutet, garstig zu finden. Es ist doch jedenfalls der höhere Standpunkt, auf dem ich stehe. Welchen Grund habe ich, mich der Frau unterzuordnen, die ich – sagen wir auch nur: nicht achten kann? Es ist nicht richtig, daß es sich um eine bloße Höflichkeit handelt, in diesem Falle nicht. Sie hat mich längst durchschaut, fühlt sich von mir genau so abgestoßen wie ich mich von ihr. Dieser Glückwunsch ist nichts Gleichgültiges. Ich spreche nicht die üblichen Worte bedeutungslos hin. Sie sind vergiftet, und das Gift bleibt mir im Munde. Bin ich diesmal schwach, so richte ich mich nie mehr auf. Und schließlich: warum soll ich nicht meiner Abneigung ebenso folgen dürfen wie meiner Neigung? Aber ich verkenne gar nicht, daß ich Edwin in Verlegenheit bringe. Für ihn liegt die Sache doch anders. Er erfüllt nur eine Anstandspflicht. (Du darfst wirklich überzeugt sein, Toni, daß ich nicht eifersüchtig bin.) Kann er fortbleiben? Ich habe gesagt: ja. Aber ich glaube beinahe, ich könnte es nicht verantworten, ihn zurückzuhalten. Und wenn er doch gehen muß, darf er ohne mich gehen? Ich weiß nicht, was mir lieber wäre: wenn er ohne mich nicht ginge oder wenn er ohne mich ginge. Und eins von beiden geschieht unfehlbar. Denn daß ich gehe – nein, das ist schon deshalb unmöglich, weil ich’s ihm mit solcher Entschiedenheit abgeschlagen habe. Ich kann nicht zurück.
Ach, eine solche Lappalie! Es ist zum Weinen. Und da gehen nun zwei Menschen, die sich von Herzen gut sind, nebeneinander hin, als ob sie aus Pappe gemalt wären, schneiden Gesichter, blicken krumm herum, sprechen kein Wort und würgen bei Tisch den Bissen herunter. Zum Unglück hat jeder sein Zimmer, und jedes Zimmer hat seine Ausgangsthür. Brrrr!
Eigentlich ist’s ungeheuer lächerlich, wenn Liebesleute miteinander schmollen. Wenn sie sich selbst beobachten könnten, wie sie sich so erstaunliche Mühe geben, recht garstig zu sein und doch am liebsten ...
Diesen Satz schreibe ich nicht zu Ende. Du könntest Dir sonst einreden, daß ich schon schwach werde, Es geht diesmal wirklich nicht.
Ich bin gestern nicht gegangen.
Edwin wartete bis zum letzten Augenblick, daß ich meinen Entschluß ändern würde – ich glaube, über den letzten hinaus, denn es war für eine Visite schon sehr spät geworden. Ich hielt tapfer stand.
Wenn er mir noch einmal gut zugeredet hätte, vielleicht ... Aber doch nur vielleicht. Das merkte er, und deshalb schwieg er. Nun konnte ich doch jedenfalls nicht so inkonsequent sein.
Und dann nahm er den schwarzen Hut und die weißen Handschuhe und – ging. Er ging wirklich – ohne mich. Er sah nicht ärgerlich oder erzürnt aus, aber sehr ernst. Ich habe ihn noch nie so fürchterlich ernst gesehen.
Als er fort war ... ich hätte mir ein Leid anthun mögen, so böse war ich auf mich. Und weshalb? Es wäre doch nicht zu ändern gewesen. Ich hatte die Empfindung, als wäre etwas zerrissen oder zerbrochen, woran ich meine Freude gehabt, und es würde sich nie mehr ganz wie früher herstellen lassen. Ich warf mich aufs Sofa und weinte wie ein Kind. Ja, wie ein Kind! Ist es nicht kindisch, sich um ein rechtes Nichts so schwere Gedanken zu machen?
Daß er zur Gratulation gegangen war, fand ich nun ganz in der Ordnung. Ich hätte allen Respekt vor ihm verloren, wenn er sich durch mein Schmollen vom Wege hätte ablenken lassen. Er mußte fest bleiben. So ein rechtes Nichts war es doch gar nicht. Ach ...! Du kannst Dir nicht vorstellen, wie mir zu Muthe war. Wenn er zurückkäme, wollte ich mich an seine Brust werfen und ihm gestehen ... Ich wußte selbst noch nicht, was; aber es würde wieder alles in Ordnung bringen.
Er blieb sehr lange aus. Und dann ließ er mir sagen, er sei zu Mittag eingeladen worden, und ich möchte nicht auf ihn warten.
Das brachte mich mit einem kräftigen Rucke wieder ganz zu mir selbst. Wofür hatte ich Verzeihung zu erbitten? Nein! Jetzt hatte ich sicher Grund, zu zürnen. Sollte das meine Strafe sein? Strafe! Straft man seine Frau? Eine solche Lieblosigkeit hätte ich ihm nicht zugetraut. Der Abend war sehr verdrießlich. Ich spreche lieber von ihm gar nicht.
Und was geschah heute? Setze Dich fest auf den Stuhl, Liebste! Frau Hermia ließ sich bei mir melden, als mein Mann auf der Redaktion war, und – kam, um sich teilnehmend nach meiner Gesundheit zu erkundigen. Edwin hatte mein Ausbleiben gestern mit Unwohlsein entschuldigt. Nichts Ernstliches – sonst wäre er ja nicht zu Mittag geblieben, aber doch Unwohlsein. Und sie, obgleich sie sicher keinen Augenblick zweifelte, daß es sich nur um einen Vorwand handelte, um die landläufigste Ausrede, fand es für sich vortheilhaft, die Gläubige zu spielen, um meinem Ausbleiben die von mir beabsichtigte Bedeutung zu nehmen.
Ich war nun also wirklich unwohl gewesen und deshalb nicht gekommen. Wie sie das bedauerte! Es hätte so hübsch bei ihr ausgesehen – die ganze Wohnung ein Blumengarten. Und das Diner habe einen so munteren Verlauf genommen, Alle die Trinksprüche! Mein Mann hätte sogar Verse improvisiert, die er ihr durchaus aufschreiben müsse. Ich kam gar nicht zu Wort. Und was hätte ich auch sagen können? Daß Edwin die Unwahrheit gesagt habe, daß er selbst gegen meinen Wunsch und Willen der höfliche Mann gewesen sei? Unmöglich! Das hätte mich vollends bloßgestellt, einen Abgrund zwischen mir und meinem Manne aufgedeckt! Es blieb mir nichts übrig, als weltklug zu verfahren und meine Rolle in der Komödie zu übernehmen, wie sie mir aufgezwungen wurde. Ich mußte noch dankbar sein für den liebenswürdigen und gütigen Krankenbesuch. Ach! Ich könnte ...
Liebste Toni, ich fange an einzusehen, daß ich mich auch Dir gegenüber auf eine abschüssige Bahn begeben habe. Was ich Dir bisher schrieb (soweit ich mich erinnere), war alles ganz unschuldiger Natur. Diese Stürme im Glase Wasser konnten Dir nicht bedrohlich scheinen – Dir so wenig als mir. Die kleinen Geheimnisse, die ich Dir verrieth, waren nicht des ängstlichen Hütens werth. Und nun plötzlich wird’s Ernst – und ich weiß nicht, ob ich noch aufrichtig sein darf. Wenn ich’s aber nicht bin, wirst Du’s sogleich merken und Dir wahrscheinlich allzu schwarze Gedanken machen. Ich bin in einer üblen Lage. Das Beste ist, ich sage Dir alles. Es ordnet sich mir selbst auch schon dadurch, daß ich mich nöthige, niederzuschreiben, was mich bewegt, meinem unklaren Gefühl eine sichere Deutung zu geben. Du bist ja auch verschwiegen wie das Grab!
Und am Ende, was ist’s denn auch? Eine Meinungsverschiedenheit, wie sie in der glücklichsten Ehe mitunter unvermeidlich ist. Ich weiß den Werth von Kompromissen zu schätzen, unter Umständen kann doch aber auch ein kleiner Krach wohlthätige Folgen haben. Ob in diesem Falle, das hat sich noch nicht klargestellt.
Natürlich war’s mit meiner Geduld aus. Von stummem Schmollen konnte nicht weiter die Rede sein. Als Edwin nach Hause kam, überhäufte ich ihn mit Vorwürfen – ich glaube, in allzu leidenschaftlicher Weise. Aber die improvisierten Verse gingen mir denn doch über den Spaß. Ich hoffte vergebens, ihn aus seiner empörenden Ruhe zu bringen. „Liebes Kind,“ antwortete er (liebes Kind!!), „was willst Du? Ich konnte Dich zu meinem größten Bedauern nicht hindern, thöricht zu handeln. Es war nun meine Pflicht, die üblen Folgen davon nach Möglichkeit einzuschränken. Es gab für mich gar keinen anderen Ausweg, als den, den ich wählte. Bei kaltem Blute wirst Du das anerkennen.“
„So?“ rief ich empört, „Du hältst es für Deine Pflicht, mir einen Zwang aufzulegen? Du glaubst Dich berechtigt, meinem moralischen Empfinden Gewalt anzuthun? Wenn ich nun brechen wollte mit dieser Frau, die mir verhaßt ist! Du bringst mich in die Lage, heucheln zu müssen, sie als meinen Gast mit Artigkeit zu behandeln. Aeußerlich ist zwischen ihr und mir nun wieder alles beim Alten, und nur unser häuslicher Friede hat gelitten – recht unnütz gelitten ...“ Ich schluchzte heftig.
„Das ist richtig,“ sagte er, „recht unnütz. Und ich gebe zu, daß dergleichen Störungen sich nicht ohne ernstlichen Schaden wiederholen dürfen. Es bleibt immer etwas hängen. So lieb ich Dich habe, in Deine Thorheiten werde ich mich nie verlieben, und ich hoffe, Dir deshalb um so achtenswerther zu erscheinen.“
[164] „Um so liebenswerther gewiß nicht!“ fuhr mir’s heraus.
„Das ist Selbtäuschung,“ versicherte er mit grausamer Gelassenheit. „Eine Frau, die ihren Mann wahrhaft liebt, mag ihm viel Schwäche verzeihen können, die Schwäche gegen ihre Schwächen schwach zu sein, auf die Dauer am wenigsten. Das ist meine Ueberzeugung. Ich möchte da nicht irren. Wär’s aber so, dann steht mir um so sicherer die andere Ueberzeugung, daß nur der Mann seine Frau wahrhaft liebt, der sie zwingt, ihn zu achten. Danach werde ich handeln.“
Ist das nicht ein furchtbarer Egoismus? Denke darüber nach, Toni!
Es sieht so aus, als ob wir wieder ein Herz und eine Seele wären, aber es sieht doch nur so aus. Zwischen uns ist noch etwas – wenn auch nur eine spanische Wand, die jeder so vor sich hinschiebt, daß er zu Zeiten nicht gesehen werden kann, wenn er ein verdrießliches Gesicht zieht. Sie ist sehr dünn, sehr wacklig, aber doch noch nicht niederzureißen.
Es handelt sich um ein Prinzip, Liebste, das ist doch nicht zu leugnen, und die Sache ist nicht zum Austrag gekommen. Daran kranken wir nun. Es ist eine Anstrengung gemacht um nichts, und man ist wieder auf dem alten Flecke. Als ob man sich außer Athem gelaufen hätte, die Station zu erreichen, und dann ist’s gar nicht unser Zug, der da hält. Mitkommen oder verspäten! Aber so genarrt zu werden ... Ich bin nun einmal so.
Freilich habe ich mein Stück durchgesetzt, bin nicht zur Cour gegangen. Für Edwin, der den wahren Grund weiß, bleibt das eine Thatsache. Aber ihn zu kränken, war gar nicht meine Absicht; es schmerzt mich eher, daß es geschehen mußte. Und nun hat es gar nicht geschehen müssen; denn nach außen hin ist die Wirkung aufgehoben. Edwin selbst hat sie aufgehoben. Aber recht froh kann er dessen nicht werden. So hat jeder etwas im Rückhalt und vermag dem anderen nicht ganz frei in die Augen zu sehen. Ich glaube wenigstens, daß auch Edwin so fühlt.
Mit seiner Theorie von Liebe und Achtung kann ich mich übrigens nicht befreunden. Ich theilte Dir ja mit, was er gesagt hat. Die Worte sind mir immer im Kopfe herumgegangen, und sie gaben mir auch einen Sinn. Aber sie schreiben sich mir nicht als eine unverrückbare Wahrheit ein. Ich wehre mich, sie dafür gelten zu lassen. Die Frau ist doch nicht immer schwach und der Mann nicht immer stark. Und warum soll bei der Frau Eigensinn sein, was beim Manne Ueberzeugungstreue? Schließlich kommen seine Sätze doch nur auf den unausgesprochenen Obersatz hinaus: die Frau ist am glücklichsten, wenn sie sich unterwirft.
Ich weiß, daß ich meine Schwächen habe. Sie wollen geschont sein. Sie wollen am meisten von dem geschont sein, dem ich mich mit Herz und Hand zu eigen gegeben habe. Denn das ist für ihn doch nur ein ganz Kleines, womit er vergilt. Und wenn er nicht einmal dieser Nachsicht fähig ist, wie kann er mich lieben? Der Satz ist ja doch völlig widersinnig, daß nur der Mann seine Frau wahrhaft liebe, der sie zwinge, ihn zu achten. Was heißt da achten? Seine Unerschütterlichkeit anerkennen. Aber warum muß er denn immer unerschütterlich sein? Und wie kann man von jemand gezwungen werden, überzeugt zu sein, daß er immer recht habe? Zwang ist überhaupt etwas Häßliches, sittlicher ebenso gut als äußerlicher. So ein Mann, der wirklich immer recht hätte, müßte ja seiner Frau eine Scheu einflößen, die liebende Verehrung gar nicht aufkommen ließe. Ich meine, der Mann liebt seine Frau wahrhaft, der nicht an sich denkt, auch nicht daran, was seine Frau von ihm denkt, sondern dem es innigstes Bedürfniß ist, diesem geliebten Menschen gegenüber jeden Vorzug aufzugeben. Für meinen Mann will ich ein Engel sein. Er liebt mich nicht, wenn er mich kritisiert.
Liebe ist leidenschaftliche Hingabe. Nichts anderes. Das hat Edwin in seinen schönen Gedichten so oft überzeugend und überwältigend ausgesprochen. Ich glaube dem Dichter.
Und er ist kein Dichter, wenn ihm Dichtung und Leben nicht eins ist. Darin habe ich doch gewiß recht! – – – – –
Gesundheitsschädigung durch schlechte Essen. Es ist eine bekannte Thatsache, daß die gewöhnlichen Ziegelsteine außerordentlich porös sind und Luft sowie Gase mit Leichtigkeit durchlassen. Unsere Wohnungen werden zum Theile durch die Mauern ventiliert, da in diesen ein stetiger Luftwechsel stattfindet. Leider werden aber vielfach auch zum Bauen von Essen gewöhnliche Ziegelsteine genommen, und die Folge davon ist, dass von den durch den Schlot streichenden Verbrennungsgasen ein Theil in die Wohnräume entweicht. Im Laufe des letzten Winters wurde dieser Umstand in mehreren Häusern Berlins sehr lästig empfunden. Es verbreitete sich von Zeit zu Zeit in den Zimmern ein übler Geruch, der von der Esse kam und sich dann einzustellen pflegte, wenn der Bewohner des unteren Stockwerkes Braunkohlenbriquetts feuerte, die bekanntlich bei unvollständiger Verbrennung übelriechende Gase erzeugen. Eine nähere Untersuchung der Essen ergab, daß sie keine Risse und Sprünge hatten, wohl aber aus porösen Ziegelsteinen gebaut waren. Man hat dem Uebelstand dadurch abgeholfen, daß man die Tapeten abriß und die Essen mehrmals mit Oelfarbe anstrich; so wurden die Poren undurchlässig.
Dieser Erfahrung ist eine hygieinische Bedeutung beizumessen. Ebenso wie die übelriechenden können auch geruchlose Gase durch derartige Essen in die Wohnungen gelangen, und diese sind zum Theile sehr gesundheitsschädlich, ja, wie z.B. das Kohlenoxydgas (Kohlendunst), im höchsten Grade lebensgefährlich.
Es sind schon Fälle vorgekommen, wo Menschen durch Kohlendunst vergiftet wurden, obwohl sie in Zimmern schliefen, die gar nicht geheizt waren. Man hat angenommen, daß der Kohlendunst, welcher der Feuerung eines anderen Stockwerkes entstammte, sich in den Essen senkte und durch Ofenthüren, Risse in den Ofenröhren u. dergl. in die betreffenden Schlafzimmer gedrungen sei. Wir erfahren aber aus den oben erwähnten Beispielen daß auch poröse Essenwandungen Durchgangspforten für das giftige Gas bilden können. Die Mengen desselben werden schwerlich so groß sein, daß sie Todesfälle oder schwere Vergiftungen verursachen könnten; wohl aber werden auf diesem Wege leichtere Vergiftungen, die der Mensch als ein vorübergehendes Unwohlsein fühlt, herbeigeführt. Mit Recht wird darum die Aufmerksamkeit der Baupolizei auf diesen Mangel gelenkt und die Forderung aufgestellt, man solle zum Bau der Essen in Wohnhäusern nur dichtgebrannte Klinker oder glasierte Steine nehmen, die keine Gase durchlassen *
Das Affentheater im Eisenbahnwagen. (Zu dem Bilde S. 149.) Man muß sich zu helfen wissen! – In der großen Reichshauptstadt Berlin ist es für arme Italienerknaben, die irgend eine Schicksalsfügung dahin verschlagen hat, nicht immer leicht, sich durchzubringen. Aber hinter den schwarzumlockten Stirnen wohnt ein gutes Stück natürlicher Schlauheit, und so finden die jungen Südländer immer einen Ausweg, um die wenigen Groschen ehrlich zu verdienen, deren sie bedürfen. So hat unser Künstler ein Paar beobachtet, das sich auf eine wirklich eigenartige Weise durchs Leben schlug. Zwei dieser Burschen waren in Geschäftsverbindung getreten und hatten auf der Berliner Stadtbahn ein Affentheater im kleinsten Formate aufgethan. Den ganzen Tag waren sie auf der Fahrt. Setzte sich der Zug in Bewegung, so zog einer von ihnen eine Klarinette hervor, spielte ein Stückchen auf, der andere brachte ein niedliches Aeffchen zum Vorschein, das zu den einfachen Klängen allerlei Kunststücke zum Besten gab. Und das muntere Trio fand ein dankbares Publikum. Manches Kupfer- und Nickelstück fiel in das untergehaltene Tambourin und erzeugte da ein leises Klirren der Messingplättchen, die angenehmste Musik für die Ohren der unternehmenden Italienerknaben.
Unterseeische Beleuchtung. In Toulon wurden neuerdings Versuche mit Beleuchtung der Meerestiefen vermittelst versenkten elektrischen Lichtes gemacht. Es handelte sich dabei um die Lösung einer Frage, welche die für eine ferne Zukunft arbeitenden Techniker besonders beschäftigt. Wir besitzen Fahrzeuge, die unter See schwimmen können, indessen spricht man ihnen vielfach praktische Bedeutung ab, da diese Unterseeboote sozusagen blind sind. Die Taucher berichten zwar von den schönen Ansichten auf dem Meeresgrund, von Korallenbänken und dergl., aber man darf nicht vergessen, daß man unter Wasser nicht weit sehen kann. Fernsichten giebt es schon in geringen Tiefen nicht mehr, und bei sehr günstiger Beleuchtung sieht man in einer Tiefe von 10 m höchstens 8 m weit. Mit solchem Ausblick ist dem Kapitän eines Unterseebootes nicht viel geholfen; er ist immer der Gefahr ausgesetzt, sich zu verirren oder einen Felsen anzurennen. Ob nun das elektrische Licht dem Schmerzenskind der Neuzeit, der unterseeischen Schiffahrt, wird aufhelfen können? In Toulon ist es gelungen, mit dem Aufwand großer Apparate die Tiefe im Umkreis von 30 m Durchmesser durchsichtig zu machen. Das ist schon etwas, aber für die Unterseeboote noch lange nicht genug.
Inhalt: Italienerknaben auf der Berliner Stadtbahn. Bild. S. 149. – Freie Bahn! Roman von E. Werner (9. Fortsetzung). S. 150. – Durch Kansas. Von Rudolf Cronau. S. 152. Mit Abbildungen S. 153, 154 und 156. – Die drei letzten Meistersänger von Straßburg. Von Alfred Klatte. S. 156. Mit Bildnissen S. 157. – „Elsa.“ Eine Ehestandstragödie in Briefen. Von Ernst Wichert. S. 160. – Frühlingsahnung. Bild. S. 161. – Blätter und Blüthen: Gesundheitsschädigung durch schlechte Essen. S. 164. – Das Affentheater im Eisenbahnwagen. S. 164. (Zu dem Bilde S. 149.) – Unterseeische Beleuchtung. S. 164.