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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1891
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[669]

Nr. 40.   1891.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf.   In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf.   In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.


Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Ein Götzenbild.

Roman von Marie Bernhard.

(4. Fortsetzung.)

8.

Frau Willmers hatte im Brühlschen Hause den Befehl ausgegeben, es dürfe niemand, wer es auch sei, vorgelassen, kein Brief abgegeben, keine Frage laut werden – die „Prinzessin“ habe eben ein Bad genommen und schlafe jetzt, bevor sie Toilette mache.

Wer war Frau Willmers?

Der Schrecken des ganzen Hauses, der „Drache, der den Schatz behütet,“ wie ein alter Freund der Brühls sagte, eine sehr häßliche ältliche Person, Holsteinerin von Geburt, die Stella Brühls Amme gewesen war und jetzt ihre Kammerfrau, ihre Vertraute, mit einem Wort ihr Faktotum vorstellte und sich in dieser

Das 75jährige Stiftungsfest der Hamburger Turnerschaft von 1816.
Die Stabübungen beim Hauptturnen.
Nach einer Augenblicksaufnahme von G. Koppmann u. Comp. in Hamburg.

[670] Eigenschaft als Tyrannin des ganzen Hauses aufspielte. Stella regierte, das war Thatsache, aber Premierminister, stellvertretender Regent und oberster Berather war Frau Willmers, sie kannte die Prinzessin, wie kein anderer Mensch sie kannte, sie verstand jeden Augenwink, jede Handbewegung, jedes Zucken des schönen Mundes. Sie hätte für ihre junge Herrin jede Minute sterben können – wohlverstanden, nur für diese! Denn die anderen Mitglieder der Familie waren ihr theils gleichgültig, theils unangenehm. Gleichgültig war der alternden Frau mit dem finstern runzligen Gesicht der Vater Brühl, der ihr gerade gut genug war, das Geld zu verdienen, das ihrem Juwel dies üppige Dasein sicherte, gleichgültig auch die Mutter, die vor ihrer schönen Tochter auf den Knieen lag und keinen eigenen Willen kannte; unangenehm dagegen waren ihr die zwei jüngeren Kinder, Gerda und Wolfgang, namentlich das Mädchen, das sich gegen ihre Herrschaft hundertmal auflehnte, hundertmal dafür bestraft wurde, aber mit immer neu erwachendem Trotz und Muthwillen einen wahren „Guerillakrieg“ entfesselte und ihren um fünfzehn Monate jüngeren Bruder als ihren Generalfeldmarschall dazu heranzog. –

Tiefe feierliche Stille herrschte im zweiten Stockwerk rechter Hand – dort lagen die Gemächer der „Prinzessin“. Aus dem Badezimmer drang die laue parfümierte Luft trotz der geschlossenen Thür in den Raum nebenan, in welchem eine matte Dämmerung hergestellt war. Hier herrschte orientalischer Luxus, und Papa Brühl schmunzelte selbstgefällig, wenn man das Toilettenzimmer seiner Tochter pries; die ganze Einrichtung, wie sie dastand, stammte aus Konstantinopel und war die Nachahmung eines Gemaches der obersten rechtmäßigen Gemahlin des Sultans.

Auf der prachtvollen, in Gold und Purpursammet gewirkten Ottomane dehnte sich der Körper der schönen Stella Brühl in wohligem Schlummer. Das Köpfchen war ein wenig hintübergesunken, und das duftende Haar, das Frau Willmers nach dem Bade mit weichen erwärmten Tüchern sorgfältig trocken gerieben hatte, lief wie strömendes Gold um den weißen Nacken und die ruhig athmende Brust. Ein loses Gewand, das nur aus Stickereien und gelblichen Spitzen bestand, schmiegte sich leicht an die Glieder, die linke Hand hing schlaff herab, und die Lippen waren halb geöffnet, wie dieser weiche Kindermund es auch im Wachen oft zu sein pflegte. – Frau Willmers saß da, ohne sich zu regen, ihr Athem kam und ging unhörbar. Gottlob, nervös war ihr „Goldkind“ nicht, dafür hatte sie gesorgt in ihrer unausgesetzten Achtsamkeit, die ein förmliches Studium aus der Pflege dieser jungen Menschenblüthe machte. Aber „der Engel“ hatte einen sehr leisen Schlaf, hatte ihn immer gehabt, schon als kleines Kind, daher mußte dies kostbare Gut behutsam bewahrt werden, das machte Frau Willmers sich zur Aufgabe. Sie strickte deshalb jetzt auch nicht – die haarfeinen Seidenstrümpfe für ihren Pflegling fertigte sie immer eigenhändig an – das Klappern der Nadeln konnte die Schläferin wecken; sie las auch nicht, die Blätter konnten beim Umwenden knistern, es war ja auch nicht hell genug im Zimmer, da die schweren türkischen Vorhänge vor den Fensterscheiben zugezogen waren. Steif und würdevoll aufgerichtet wie eine ägyptische Statue, die Hände auf die Kniee gelegt, saß die dunkle Gestalt da, mit den scharfen, kleinen Augen gerade vor sich hinblickend, wo auf einem Gestell die Toilette für den heutigen Abend hing.

Da unterbrach ein Ton die tiefe Kirchenstille, ein lauter greller Ton, ein herzhaftes Niesen. Eben noch hatte Frau Willmers ihre Taschenuhr – ein Geschenk Stellas – zu Rath gezogen und festgestellt, daß der Schlummer noch gut fünfunddreißig Minuten währen durfte, und nun dies laute rücksichtslose Niesen auf dem Flur, und noch dazu dicht am Schlüsselloch!

Die alte Frau richtete sich höher empor und warf einen empörten Blick nach der Gegend, aus welcher das freche Geräusch gekommen war, sie wußte nur zu gut, wer allein eine solche Schandthat ausüben konnte.

Richtig! Die langen dunkeln Seidenwimpern auf den Wangen der Schlummernden fingen an, zu zucken, das Mündchen regte sich leise, dann hob sich das Haupt ein wenig empor und eine schlaftrunkene Stimme fragte: „Ist’s denn schon Zeit?“

„Nein, Herzenskind, nein!“ entgegnete Frau Willmers in vorsichtig gedämpftem Ton, als hoffe sie, dadurch den verscheuchten Schlummer wieder zurückzuzwingen. „Sie haben noch fünfunddreißig Minuten – wenn Sie noch einmal einschlafen könnten!“

„Du weißt, das kann ich nie mehr, wenn ich erst einmal wach bin!“ kam es unwillig zurück, und das schöne Geschöpf richtete sich halb auf.

Ach ja, die Willmers wußte! Wer im ganzen Hause kannte wohl Stella Brühls Gewohnheiten und Stimmungen so bis ins kleinste wie sie? Zornschnaubend erhob sie sich und ging zur Thür, die auf den Gang mündete.

Die Attentäterin hatte sich nicht nur damit begnügt, zu niesen, sie wollte sich auch noch überzeugen, ob es „gewirkt“ habe, daher stand sie jetzt an der Biegung der Treppe, den Kopf halb zurückgewendet, und lauschte. Sowie sie die Thür sich öffnen hörte, wollte sie blitzschnell davonhuschen, prallte aber gegen Wolfgang an, der sich herbeigeschlichen hatte, um ebenfalls seinen Spaß an der Geschichte zu haben. Gerda hielt nun Stand, mühte sich, möglichst unbefangen auszusehen, und ließ das „Hauskreuz“ herankommen. Die Willmers maß sie mit einem wuthfunkelnden Blick.

„Eine schöne Schwester, die der andern nicht einmal das Stündchen Schlaf gönnt!“

Gerda warf den Kopf zurück. „Eine schöne Schwester, die der andern nicht einmal ein Stündchen Tanzvergnügen gönnt!“

„Ah so! Also darum, weil Stella Deinen Eltern gesagt hat, Du seiest noch ein Kind und sollest heute nicht mittanzen!“

„Kein Mensch kann dafür, wenn er niesen muß! Der April begünstigt den Schnupfen, der Schnupfen begünstigt das Niesen.“

„Ja, besonders dicht am Schlüsselloch!“

Gerda blickte in das böse erregte Gesicht und sagte ruhig: „Auch das!“ Sie wußte ja, daß sie von dem heutigen Fest nichts haben durfte, weil ihre ältere Schwester, die bei jeder Gelegenheit ihr Stück durchsetzte, das so wünschte – warum sollte sie sich das einzige Vergnügen versagen, welches sie kannte: jeden, der sie hier im Hause ärgerte und quälte, wieder zu ärgern und zu quälen, so gut sie es vermochte?

Frau Willmers zog die Schultern empor. „Ich möchte wissen, warum Du so beleidigt bist, daß Du den Ball nicht mitmachen darfst? Ein fünfzehnjähriges Kind –“

„Stella hat in meinem Alter alles genossen, was ihr nur einfiel!“

„Ja – Stella!“ Ein geringschätziger Blick ging über das lang aufgeschossene, bleiche Mädchen hin, so sprechend, daß dieses jäh erröthete. Gerda hätte am liebsten geweint und mit dem Fuß aufgestampft, allein damit hätte sie dem „Drachen“ einen Triumph bereitet, und darum war es ihr nicht zu thun.

„Dich wird heute abend kein Mensch vermissen!“ fuhr die harte Stimme fort.

Das Kind senkte rasch die Wimpern, weil es fühlte, daß die Thränen nun doch kamen, sie hatte ein weiches und zugleich leidenschaftliches Gemüth, aber die Weichheit versteckte sie sorgfältig und zeigte nur die Leidenschaft. Im Hause hielt man sie allgemein für ein böses, trotziges und eigensinniges Mädchen.

„Onkel Grimm wird mich vermissen!“ sagte sie jetzt. Es sollte triumphierend klingen, allein die Stimme zitterte doch ein wenig.

„Ach, der!“ Die Willmers wollte spöttisch aussehen, aber auch das gelang nicht recht. Wider ihren Willen schien ihr „Onkel Grimm“ zu imponieren. „Wenn ich wüßte, was Der an Dir findet!“ Wieder dieser mitleidig messende Blick.

Gerda wurde der Antwort überhoben, denn ein scharfer Glockenzug ertönte und rief Frau Willmers zu ihrem Dienst. Sie warf noch in scharfem Tone hin: „Bleibt nicht auf der Treppe stehen, macht, daß Ihr fortkommt!“ und verschwand eiligst.

Wolfgang streckte hinter der Davongehenden die Zunge heraus und riß an Gerdas Zopf, sein gewöhnliches Mittel, wenn er ihre Aufmerksamkeit zu erregen wünschte.

„Du! Hör’ doch! Ist der Prinz heute auch gebeten?“

„Au! Laß los! Ja, der kommt! Ich kann ihn nicht leiden! So sieht er aus, paß auf!“

Sie ahmte die melancholische Leidensmiene und den Schmachtblick des Prinzen so täuschend nach, daß Wolfgang in ein lautes Gelächter ausbrach. Durch diesen Beifall ermuthigt, zeigte Gerda noch, wie „Riantzew“, so nannte sie ihn wegwerfend ohne Titel, sich verneigte – vornehm – nachlässig, und wie er Stella ansah, wenn er ihr gegenüber saß.

„Famos! Aber famos!“ jubelte der Junge. „Wenn ich das bloß machen könnte! Was Du für ’n Talent hast! Du [671] kannst gleich Schauspielerin werden. Und ich – ich gehe zur See!“

„Aber die höhere Karriere. Marine! Das bitte ich mir aus!“

Er seufzte.

„Man muß so scheußlich viel dazu lernen!“

„Dummer Junge, das muß man überall! Willst Du eine Rolle spielen wie Kuno, Ritter von Tillenbach?“

Die Erinnerung an die eben genannte Persönlichkeit mußte etwas sehr Erheiterndes haben, denn beide Geschwister brachen zugleich in ein lärmendes Lachen aus, wollten reden, konnten es nicht und lachten von neuem bis zu Thränen.

„Der kommt doch heute auch?“ fragte Wolfgang endlich.

„Aber gewiß. Das Zehnmillionen-Männchen kommt!“

„Zeig’, wie er aussieht, Gerda! Hörst Du?“ Wolf kniff sie ermunternd in den Arm.

Sie zwang sich mühsam zum Ernst und zerrte ihre dichten Stirnhaare so tief in die Augen, wie sie nur konnte, dann zog sie mit dem Taschenkamm einen Scheitel durch die Mitte, kniff die Augen so schmal zusammen, daß sie zwei Gedankenstrichen glichen, und öffnete den Mund erstaunlich weit. Die Füße einwärts gestellt, die Arme lose und ungeschickt herunterhängend, verbeugte sie sich drei-, viermal hintereinander vor Wolfgang und lispelte mit albernem Lächeln:

„Ich bin so glücklich, liebste S-tella – nein – Sie sind so frei – vielmehr ich bin so frei – Sie – ich –“

„Hurrah!“ schrie Wolf und packte seine begabte Schwester bei beiden Schultern, um sie derb zu schütteln. „Es ist einfach großartig! Man sieht den Kerl! Nein, daß Stella den heirathet, das ist doch unmöglich!“

„Hm! Weiß nicht! Bei der ist nichts unmöglich!“ meinte Gerda philosophisch. „Wenn sie der Prinz nicht nimmt –“

„Ob der auch eingeladen ist, der neulich hier Besuch machte? So ein schwarzbärtiger Großer – ich haute mich gerade mit Heinz Oehmke.“

„Ja, der ist auch gebeten! Maler Andree meinst Du!“

„So, der ist Maler? Weißt Du, mir hat der gut gefallen!“

„Ja, mir gefiel er auch! Jetzt komm aber nach unten, wir haben noch zu lernen!“

Wolfgang setzte sich quer auf das breite glatte Treppengeländer, Gerda packte ihn bei einem Fuß und lief im Galopp neben dem „Schlitten Fahrenden“ die Stufen hinunter.

Indessen ging in Stellas Zimmer das wichtige Werk der Toilette vor sich, schweigsam fürs erste, denn ein Blick in das Antlitz ihrer Herrin hatte die Alte überzeugt, daß der Liebling bei schlechter Laune war. Natürlich, warum hatte man seinen Schlaf gestört! Geräuschlos und flink hantierte die Holsteinerin um ihre Prinzessin herum. Sie hatte auch frisieren gelernt und behandelte jetzt das köstliche Haar, das in seidener Pracht über die Schultern floß, kunstgerecht mit einer sammetweichen Bürste, ehe sie es in den anscheinend so einfachen Lockenknoten zusammenfaßte, der dem feinen Köpfchen entzückend stand und den Stella Brühls Freundinnen sich vergeblich nachzuahmen bemühten, weil, wie die alte Willmers höhnisch bemerkte, „das Material dazu fehlte“, denn diese Frisur ließ sich nur aus so leichtem natürlich gewellten Haar herstellen.

Endlich – die Willmers kniete gerade vor der jungen Dame und streifte die blaßblauen, golddurchwirkten Seidenstrümpfe über die rosigen Füßchen – endlich that Stella den Mund auf, und die Unterhaltung entspann sich.

„Willmers!“

„Prinzeßchen!“

„Das war doch wieder Gerda, nicht wahr?“

„Natürlich, wer sonst?“

„Hast Du sie ausgescholten?“

„Tüchtig!“

„Nun – und sie?“

„Ungezogen, wie immer. Böse, daß sie heute nicht erscheinen und nicht mittanzen soll.“

„Das kann ich mir denken!“ Fräulein Stella lachte melodisch leise vor sich hin. Nach einer kurzen Pause:

„Sind Blumen für mich angekommen?“

„Selbstverständlich! Drei Bouquets: von Hauptmann Sternow, Konsul White und Herrn von Tillenbach!“

Das junge Mädchen hatte bei Nennung der beiden ersten Namen gleichgültig ausgesehen, beim letzten zuckte sie geringschätzig die Schultern.

„Aber das ist gerade das schönste!“ schmunzelte Frau Willmers. „Der Kuno kam vor drei Tagen eigens zu mir und erkundigte sich nach Ihrer Toilette!“

„So! Wenn das Bouquet sehr schön paßt, werde ich’s am Ende nehmen müssen! Also der Prinz hat sich nicht gemeldet?“

„Nein! Sie sind nicht ärgerlich darüber, Liebchen, nein?“

„Gar nicht! Ich habe ihn zu schlecht behandelt, als daß er es wagen dürfte, mir Blumen zu schicken.“

„Aber ich dachte, mein Prinzeßchen –“, die Alte stockte ein wenig.

„Du dachtest, Dein Phantasie-Prinzeßchen möchte gar nicht so ungern ein wirkliches Prinzeßchen werden, nicht wahr? Ja sieh, Willmers, dazu gehört etwas mehr als bloßes Courmachen! Die Art, wie dieser moldauische Prinz sich um mich herumbewegt, gefällt mir nicht; da ist viel zuviel vom großen Herrn dabei! Warten wir es in Ruhe ab, bis er sich selbst klein findet und mich großartig – dann wollen wir uns wieder sprechen. Warten wir es ab!“

Sie trat plötzlich vor den Spiegel und sah aufmerksam hinein, als habe sie noch nie ihr eigenes Bild erblickt. Die Alte stand hinter ihr und hielt mit ausgebreiteten Armen das Kleid hoch, um es ihr überzuwerfen. Das Fräulein duckte sich ein wenig, und mit einem leise rauschenden Ton glitt ihr das Kleid über den Kopf, der gleich darauf aus den bläulichen Wogen emportauchte wie der einer reizenden Nereïde.

„Was machst Du für ein unzufriedenes finsteres Gesicht, Willmers?“ fragte Stella in den Spiegel hinein. „Gefalle ich Dir heute nicht?“

„Was für ein Gedanke! Nein, mir geht die Geschichte mit Rom im Kopf herum, der Brief, den Sie dorthin geschrieben haben! Er war ein so leidenschaftlicher heißblütiger Mensch und so zum Sterben verliebt! Wenn er nun außer sich geräth und herkommt!“

„Hoffentlich nicht! Außer sich geraten – ja! Herkommen – nein! Ich hab’ es außerdem unbestimmt gelassen, ob ich jetzt daheim bin, hab’ ihm gesagt, ich gehe vielleicht nach dem Haag zu einer Freuudin, vielleicht mit Papa nach Paris –“

„Wenn auch, ihm traue ich alles zu!“

„Ja, verliebt war er rasend in mich – und ich hatte mich dazumal ebenfalls in ihn verliebt – kurios!“

Sie beugte sich vor und nahm mit vorsichtigen Händen aus einem hohen Koffer von schöner japanischer Arbeit einen Halbmond aus Brillanten, den sie hin und her drehte. Bunte feurige Blitze zuckten über die weißen Hände, die den Halbmond hielten.

„Er ist wirklich schön! Kostet Papa ein schweres Stück Geld, aber ist’s auch werth! Ja, was ihn anbetrifft – Werner Troost meine ich! – so wär’s noch nicht das schlimmste, wenn er herkäme! Habe ich ihn hier, dann kann ich mit ihm machen, was ich will! Ich sage ihm: so und so, ich sei ja noch ein Kind gewesen, als ich mir eingebildet hätte, ihn zu lieben, was denn ein Kind davon wissen könne, und übrigens – wo ist denn der große Name, die Berühmtheit, die er mir versprach? Von diesem Maler Andree hab’ ich schon allerlei gehört, er ist bekannt in der Kunstwelt. Wer aber weiß von einem Bildhauer Troost? – Nein, nicht so hoch, Du mußt ihn tiefer nach rechts stecken, daß er nicht so prahlerisch funkelt. Man muß seine Brillanten diskret zu tragen verstehen.“

Die Alte that ihr den Willen und nestelte dann das Kleid mit Goldspangen zu.

„Ist nicht dieser Maler Andree auch aus Rom?“ fragte sie dabei.

„Ja, gewiß! Vielleicht kennt er Werner – es ist sogar wahrscheinlich – und wird mir von ihm erzählen. Aber Werner hat nichts ausgeplaudert, selbst wenn er dort einen vertrauten Freund gefunden haben sollte, dessen bin ich sicher. Ich habe ihm gesagt: ‚Du schweigst gegen jedermann!‘ und er hat es mir versprochen!“

„Ich wundere mich nur –“, fing die Willmers an.

„Worüber? Ums Himmelswillen, doch nicht das Perlenhalsband! Welcher Mensch trägt denn Perlen zu Brillanten? Nun also – worüber wolltest Du Dich denn wundern?“

„Daß Ihre Eltern die ganze Zeit über von der Sache nichts bemerkt haben.“

„Wenn man eigenes Fuhrwerk besitzt und selbst fährt, in

[672]

Rückkehr von der Sommerreise.
Nach einer Zeichnung von L. Blume-Siebert.

[673] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [674] Begleitung eines halb blödsinnigen Negerjungen, der damals noch kein deutsches Wort verstand, und wenn man überdies eine so verschwiegene und ergebene Beschützerin hat, wie Du es bist – gieb einmal meine Fächer her, ich will sehen, welcher von ihnen am besten paßt! – dann ist das nicht so schwer. Ich kann ja immer thun, was mir gefällt!“ Hiermit griff sie nach Handschuhen und Fächer und war fertig.

Auch im ersten Stock war man fertig. Senator Brühls gaben sehr viele Gesellschaften, große und kleine, Bälle, Soupers, Diners, große Routs, kleine „gemüthliche“ Zusammenkünfte und Gartenfeste drängten sich drüben in Uhlenhorst, wo sie die Villa hatten. Die Dienerschaft war trefflich geschult, es ging immer alles wie am Schnürchen.

Die prachtvolle Flucht der Gesellschaftsräume, die mit dem Wintergarten abschloß, war dank dem Schönheitssinn der Frau Senator und ihrer Tochter Stella nicht nur mit kostbaren, sondern auch mit geschmackvollen Dingen angefüllt. Der Hausherr verstand nichts davon, er hätte den Dekorateur uneingeschränkt schalten und walten lassen, aber es freute ihn doch, wenn vornehme weitgereiste Leute sich mit Wohlgefallen in den prunkvollen Gemächern umsahen; und wenn sie ihrer Bewunderung Ausdruck gaben, dann pflegte er, die Hand am Kinn, eine kurze Verbeugung zu machen: „Bitte sehr! Freut mich, daß es Ihnen bei mir gefällt! Der ganze Stil der Sache ist das Verdienst meiner Damen – der Wahrheit die Ehre!“

Frau Senator Brühl wußte eigentlich, streng genommen, sehr wenig. Sie interessierte sich nicht für Kunst und Litteratur, besuchte Theater und Konzerte nur, weil es zum guten Ton gehörte, und verwechselte alle Namen von Berühmtheiten, so daß sie Joachim für einen vorzüglichen Pianisten erklärte und für Klara Ziegler als Liedersängerin schwärmte. Lesen verursachte ihr Kopfweh, Politik verabscheute sie, und Malerei und Skulptur wurden von ihr nur nach den Preisen geschätzt, welche die betreffenden Werke eintrugen. Und doch wußte Frau Brühl auch wieder sehr viel, sie wußte ganz genau, was schön war, und das ist mehr, als die meisten Damen von sich sagen können. Welche Anordnung von Möbeln und Dekorationsstücken sich für dies oder jenes Zimmer am besten eigne, welche Toilette bei Tage und welche bei künstlicher Beleuchtung ihr oder Stella am vortheilhaftesten war, welche Mode von den vorhandenen man beachten oder vermeiden müsse – alles das wußte sie ganz genau, hier lag ihr eigenstes Gebiet, auf dem sie mustergültig war. Diesen feinen Formen- und Farbensinn, dies ausgesprochene Schönheitsgefühl hatte Stella von ihrer Mutter geerbt – freilich besaß die junge Dame auch noch andere Gaben, die sich in ihrer Anlage weder auf ihren Vater, noch auf ihre Mutter zurückführen ließen.

Frau Senator Brühl konnte es wie die meisten ehemaligen Schönheiten durchaus nicht vergessen, daß sie in ihrer Jugend reizend gewesen war, dagegen hatte sie vergessen, daß sie ungemein rasch verblüht war. Sie hatte spät geheirathet – sich jetzt in die Rolle einer alternden Frau zu schicken, das fiel ihr unendlich schwer, und erst seit Stella völlig erwachsen und in ihrer wunderbaren Pracht entfaltet war, hatte sich ihre Mutter einigermaßen zurückgezogen.

Jetzt saß sie, zart, blond, ätherisch, ganz in leuchtend blauen Sammet gekleidet, der in schwerer Fächerschleppe auf dem Boden um sie herum lag, in einem mit Goldbrokat bezogenen Lehnsessel und hielt ein Lorgnon vor die Augen, das an einem langen goldenen Stiel befestigt war.

„Was betrachtest Du Dir, liebe Molly?“ fragte der Herr Senator, der im tadellosen schwarzen Gesellschaftsanzug, ein Ordensbändchen im Knopfloch – ach, es war nur der Orden eines ganz kleinen Ländchens, dessen Herrscher er einmal einen finanziellen Dienst erwiesen hatte! – neben ihr stand.

„Diese japanischen Fächer dort über dem Silbertischchen! Ich kann mich noch nicht schlüssig machen, ob das wirklich hübsch aussieht!“

„Sehr hübsch, meine Liebe, sehr hübsch!“ bemerkte der Senator gönnerhaft, ohne seine Gemahlin ganz zu überzeugen. Sie schwenkte leicht mit der Hand, um anzudeuten, daß seine Meinung bei ihr gar nicht ins Gewicht falle.

„Ich werde Stella fragen – sie mag entscheiden!“

Nach einer Pause: „Keine Absage gekommen, Brühl?“

„Nichts von Belang. Der Prinz kommt – Konsul White kommt – Kuno –“

„Wie Du Kuno mit dem Prinzen und Konsul White in einem Athem nennen kannst!“

„Erlaube, liebe Molly –“

Aber die liebe Molly erlaubte nicht.

„Kuno, diesen lächerlichen Hanswurst –“

„Erlaube, er wiegt zehn Millionen schwer!“

„Ich dächte, wieviel er wiegt, käme gar nicht in Betracht, Du hegst doch hoffentlich nicht den Gedanken, Dein Kind – ein solches Kind wie Stella! – im Ernst an diesen Pavian zu verkaufen?“

„‚Pavian‘ ist stark!“

„Nicht zu stark für den jungen Tillenbach! Brühl, ich bitte Dich! Wir wollen doch eine glänzende Partie für Stella haben – auf das Geld kommt es ja nicht im mindesten an!“

Der Senator sah unbehaglich aus, wie wenn er sagen wollte: „Dir nicht – aber mir!“ Einstweilen schwieg er und murmelte nach einer Weile: „Es war ja eben nur ein Gedanke! Für alle Fälle muß man sich die Tillenbachs, Vater und Sohn, warm halten!“

„Nun, das kannst Du besorgen – mich und Stella laß aus dem Spiel! Apropos – gestern traf ich Grimm auf der Straße, und er sagte mir –“

„Doch nicht, daß er heute nicht erscheine?“ fiel der Senator hastig ein. „Das wäre mir mehr als unangenehm – würde mir den ganzen Abend verderben. Die Leute könnten denken –“

Frau Molly unterbrach seine aufgeregte Rede mit einem ungeduldigen Kopfschütteln.

„Brühl –“ sie hatte das R sehr scharf auf der Zunge, weshalb ihr Aussprechen dieses Namens immer wie eine Rüge klang – „Brühl – wenn ich wüßte, was Du an diesem Grimm findest! Seit langen Jahren schon ist er Dein Geschäftstheilhaber nicht mehr, hat sich sogar in unartiger Weise geweigert, Dein stiller Compagnon zu werden, woran Dir soviel lag, da er ja ein eminenter Börsianer sein soll – Du bestandest aber darauf, daß er seine Wohnung in unserem Hause behielt, für die er, nebenbei gesagt, einen Spottpreis bezahlt, als reicher Mann, für den man ihn hält – Du fährst fort, ihn all diese Jahre hindurch mit Handschuhen anzufassen, ihm Deine Einladungen und Liebenswürdigkeiten förmlich aufzudrängen, Dir alles von ihm bieten zu lassen – – und, wie benimmt er sich zu Dir? Er besucht uns fast nie, wozu ich Gott sei Dank sage, denn ich mag ihn nun einmal nicht – er hat Dir gegenüber einen kurz absprechenden, ich möchte sagen herrischen Ton, den sich sonst kein Mensch gegen Dich erlaubt – er behandelt mich mit einer Höflichkeit, hinter der ich eine starke Dosis Ironie wittere – er spottet ganz offenbar über unsere Stella – nun, fahre nur nicht so auf, ich meine natürlich nicht, daß er es wagt, über ihre Persönlichkeit zu spotten … aber er zieht unsere Vorliebe für dieses seltene Kind geradezu ins Lächerliche. Ich habe es aus guter, sicherer Quelle, daß Grimm den Ausspruch gethan hat, wir machten ein Götzenbild aus ihr und lägen anbetend davor auf den Knieen, und das würde dem Götzenbilde sowohl als auch uns mit der Zeit sehr schlecht bekommen. Endlich giebt er vor, an Gerda Gefallen zu finden – ich sage, er giebt es vor, uns zum Possen, da ich nicht annehmen kann, er habe den schlechten Geschmack, neben einem Wesen, wie Stella es ist, dies vorlaute, widerspenstige Kind zu beachten, das sich nur von unvortheilhafter Seite zeigt und an dem ich, die eigene Mutter, noch keine einzige liebenswürdige Eigenschaft habe entdecken können. Alles dies sind Thatsachen! Er hat das Mädchen stundenlang bei sich in seiner Blumen- und Katzenwirthschaft, er steckt ihr allerlei Geschenke zu, bestärkt sie in ihrem bubenhaften Wesen und wirkt auch auf Wolfgang entschieden ungünstig ein, denn kein anderer als Grimm hat dem Jungen den verrückten Unsinn mit der Marine eingeredet. Und nun frage ich Dich noch einmal, Brühl: was findest Du an dem Menschen?“

Der Senator sah während dieser nachdrücklichen Rede seiner Gemahlin, die sich in ihrer gerechten Entrüstung von ihrem Sitz erhoben hatte und nun wie eine zürnende Juno (in blauem Sammet!) vor ihm stand, verlegen und ungemüthlich aus. Sie hatte eigentlich recht, Frau Molly! Grimm that all das, dessen sie ihn beschuldigte, er war gar nicht zu vertheidigen! Aber im [675] tiefsten Innern wußte der Senator gewaltig viel, was für den ehemaligen Freund und Compagnon sprach, er hatte seine gewichtigen Gründe, ihm nichts übelzunehmen und sich mancherlei von ihm bieten zu lassen … nur schade, daß er diese Gründe seiner Gattin unmöglich zur Begutachtung unterbreiten konnte!

So wiegte er denn nur mißbilligend sein wohlfrisiertes Haupt – man hatte ihn einmal mit einem Sperber verglichen, der sein Gefieder sträubt! – und sagte nach einigem Räuspern:

„Ihr Frauen seid doch alle gleich! Weil Grimm Euch nicht genügend den Hof macht und manchmal etwas sorglos auftritt, muß er gleich spöttisch und verletzend und was sonst noch alles sein. Ein Mädchen wie unsere Stella, um das sich fürstliche Häupter bewerben (dies Wort des stolzen Vaters ging sehr ins große und galt eigentlich nur dem Prinzen Riantzew) braucht doch wahrlich nicht Grimms Anerkennung und Huldigung abzuwarten, sondern macht ihren Weg auch so. Das mit dem Götzenbild ist gewiß nicht wahr, ich werde Grimm einmal danach fragen. Und Gerda? Nun, das ist eine Grille, wie sie ältere unverheirathete Leute zuweilen haben – lassen wir ihn doch gewähren! Ich meinerseits wünsche sehr, das gute Einvernehmen mit Grimm aufrecht zu erhalten, wenigstens nach außen hin – hm! – damit – hm! – die Leute, die so leicht geneigt sind, falsche Deutungen unterzuschieben, nicht – hm! – mutmaßen können – –“

Hier hatte sich der Senator rettungslos „auf einer Sandbank festgesetzt“, auf welcher er unfehlbar gestrandet wäre, wenn sich nicht Hilfe gefunden hätte. Der Bediente hatte die Flügelthüren zurückgeschlagen, und Stella war erschienen.

Konnte man es den Eltern mit ihrem kleinen Horizont, mit ihrer rein äußerlichen Lebensauffassung verdenken, wenn sie dies herrliche junge Menschenbild vergötterten, wenn sie kühne Pläne bauten auf dies strahlende Wesen? Strahlend! Das war der passendste Ausdruck für Stella Brühl! Von ihrem Haar, von den Augen, dem Kolorit ihres Gesichtes, dem schimmernden Kleide, dem Lächeln ihrer Lippen ging jenes wunderbare Licht aus, das ihr im Alterthum unfehlbar den Beinamen „die Leuchtende“ eingetragen hätte. Sie trat heiter und fröhlich ein und nickte den Eltern einen lächelnden Gruß zu.

„Alles in schönster Ordnung?“ fragte sie mit ihrer klingenden Stimme. „Laß Dich ansehen, Mama! Gut, sehr gut – ich bin zufrieden. An Papa ist so wie so nichts auszusetzen, Herren haben es immer leicht mit der Toilette. Ah, wie das schön ist, wie ich das liebe – soviel Licht!“

Sie hob ein wenig die Arme und warf den Kopf zurück, als wolle sie den tausendfältigen Glanz, den die Gaskronen, Wandkandelaber und Kerzen ausstrahlten und den die bis zur Decke reichenden Riesenspiegel in funkelnden Garben zurückwarfen, an sich ziehen, in sich trinken.

„Brühl, wenn wir sie so malen ließen, sieh doch, sieh!“ raunte Frau Molly ihrem Gatten zu und hob das Lorgnon hastig vor die bewundernden Augen. „Hilt hat mir soviel von seinem Freunde Andree vorgeschwärmt, der ja heute auch gebeten ist – Hilt ist freilich nicht im mindesten mit dessen ganzer Kunstrichtung einverstanden, giebt aber zu, daß dieser Andree ein hervorragender Porträtmaler ist – was meinst Du, mein Herzblatt?“

„Malen? Mich? Ach Gott, Mama, meinetwegen! Ich hab’s zwar schon ein paarmal durchgekostet, allein warum nicht noch einmal? Sehen wir uns vor allen Dingen heute abend unsern Mann, den Maler Andree, darauf hin an; aber zurückhaltend, meine Lieben, wenn ich bitten darf! Ist er ein langweiliger Gesell, der mich bei den Sitzungen einschlafen ließe, dann wird nichts daraus, und wenn er den Pinsel eines Tizian führen würde!“

„Natürlich! Dann wird nichts daraus!“ stimmte die Mama bei, und der Papa, der Zahlende, gänzlich mit Stillschweigen Uebergangene, dessen Zustimmung als selbstverständlich galt, nickte mit dem Sperberhaupt und murmelte etwas Unverständliches.

Die Frau Senator drückte auf den Knopf der elektrischen Leitung.

„Fräulein Gerda und der junge Herr sollen kommen, uns gute Nacht zu sagen, ehe die Gäste erscheinen!“ befahl sie dem Diener.

Stella ging langsam von einem Raum zum andern, legte hier eine Falte um, rückte dort eine Vase, ein Dekorationsstück anders, jedesmal zum Vortheil des Gesammteindrucks, und kam endlich vom Wintergarten, den ein hohes, ganz mit Epheu und lebenden Blumen durchflochtenes Gitterwerk gegen die Zimmerreihe hin abschloß, zu ihren Eltern zurück. Sie fand dort nur Wolfgang vor, der, seine langen Glieder unbehilflich hin und her wendend, mitten im Zimmer vor seiner Mutter stand und auf dem spiegelnden Parkettboden gegenüber einem der mächtigen Spiegel, umgeben von soviel Glanz und Luxus, eine ziemlich unglückliche Figur abgab.

„Nun, Junge?“ Stella nahm ihn scherzhaft beim Ohrläppchen. „Und Gerda?“

Der Knabe entzog sich der sanften Berührung des rosigen Händchens seiner schönen Schwester mit auffallend unwilligem Gesicht und finsterer Gebärde. Seine offenblickenden Blauaugen sahen ganz ungerührt die feenhafte Erscheinung in der fürstlichen Toilette an.

„So antworte doch, Du Bär, wenn Deine Schwester Dich etwas fragt!“ rief der Senator aufgebracht. „Wenn Du uns, Deinen Eltern, Gerdas ungezogene Antwort bestellen konntest, dann darf Stella sie auch hören!“

„Gerda sagte, sie wisse ganz genau, wie unsere Gesellschaftszimmer bei Beleuchtung aussehen, und wenn sie nicht zum Fest erscheinen soll, dann will sie überhaupt nicht erscheinen!“ sagte der Junge mürrisch und duckte den Kopf, als wolle er ruhig alle Scheltreden über sich ergehen lassen.

Die blieben denn auch nicht aus. „Dies trotzige, unartige Mädchen – es ist empörend!“

„Sag’ ihr, Wolfgang, sie bekomme kein Konfekt und keinen Crême morgen, zur Strafe!“

„Ihren Eltern eine so unartige Bestellung machen zu lassen!“

„Und der Junge giebt sich auch dazu her, er hat keine Spur von Manieren!“

„Wenn ich nur wüßte, woher Gerda dies unausstehliche Wesen hat! Wenn man bedenkt, wie Stella in ihrem Alter war – ein fabelhafter Unterschied!“

„Ich bitte Dich, Brühl, Du wirst doch nicht etwa im Ernst die beiden miteinander vergleichen!“

Stella stand während dieses elterlichen Duetts stumm da und lächelte vor sich hin. Ihre jüngeren Geschwister in Schutz zu nehmen, fiel ihr nicht ein. Papas Entrüstung über die Schwester und sein Ausruf, wie anders sie selbst in Gerdas Alter gewesen sei, belustigte sie sehr. Der gute beschränkte Mann! Ja, wie konnte er denn die Erziehung und Behandlung seiner vergötterten Aeltesten mit dem Lose dieses vernachlässigten Kindes in einem Athem nennen! – Wolfgang trat von einem Fuß auf den andern, riß an seinen Fingern, daß die Gelenke knackten, und sah verlegen vor sich hin. Gerda hatte es ihm eingeschärft: „Daß Du ja wörtlich bestellst!“ und er hielt getreulich zu ihr und hatte sein Versprechen erfüllt.

„Und wie der Junge aussieht!“ Frau Molly, deren Augen schon seit einer Weile eine stumme, aber sehr beredte Kritik an Wolfgangs Erscheinung geübt hatten, lieh ihrem Aerger jetzt Worte. „So gewöhnlich wie der Sohn eines Tagelöhners! Woher er nur diese Nase hat, überhaupt sein ganzes Exterieur! Kein Mensch kann darauf kommen, daß eine solche Erscheinung zur guten Gesellschaft gehört. Ist das der Anzug, der für Dich bei Papas Schneider gemacht worden ist?“

Wolfgang sah schuldbewußt aus und mußte zugeben, daß es allerdings dieser Anzug war.

„Siehst Du!“ wandte sich die Dame strafend an ihren Gemahl. „Was sagte ich Dir? Ich rieth Dir gleich, Dir die Kosten zu sparen, denn an solchen Gliedmaßen, an einem solchen Knochenbau wird auch der tüchtigste Schneider verzweifeln müssen. Nein, mit dem Jungen ist nichts anzufangen, ebensowenig wie mit Gerda –“

„Warum denn nicht, meine Gnädigste?“ fragte eine etwas spöttisch klingende Männerstimme plötzlich dicht neben der Frau Senator. Der Herr hatte dem Diener, der ihn melden wollte, abgewinkt, mit einer Gebärde, die sagen zu wollen schien: „Lassen Sie nur, guter Freund, ich bin hier zu Hause!“, und stand nun wie aus der Erde gewachsen dicht neben der Gruppe.

Ein mittelgroßer schlanker Herr war’s, ein gut konservierter Fünfziger, den seine sehr frische Gesichtsfarbe und sein fast völlig weißes, leicht gewelltes Haupthaar wie ein hübsches Rokokobild erscheinen ließen. Er hatte ein kleines, beinah kokettes dunkles Schnurrbärtchen, kluge dunkle Augen, feine Züge – und die [676] ganze Erscheinung machte den Wunsch rege, sie in einem seidenen Frack, Kniehosen und Schnallenschuhen einhergehen zu sehen statt im alltäglichen schwarzen Gesellschaftsanzug, zu dem die unerbittliche Mode die Bürger des neunzehnten Jahrhunderts verpflichtet.

Das war Herr Bernhard Grimm, der ehemalige Geschäftstheilhaber und langjährige Hausgenosse des Senators Brühl, der häufige Zankapfel zwischen diesem und seiner Gattin.

Eben diese Gattin fuhr jetzt zurück wie von einer Viper gestochen und rief in wehklagendem Ton: „Um Gotteswillen – ich bin zum Tode erschrocken!“

„Hoffentlich doch nicht!“ entgegnete Herr Grimm kaltblütig und führte die Hand der Dame in die Nähe seines Schnurrbarts – der Kuß, den er hätte darauf drücken sollen, wurde in die leere Luft gehaucht. Dann rief er dem Senator ein etwas kühles: „Guten Abend, Brühl!“ zu und verneigte sich feierlich vor Stella: „Sie sehen Ihren Knecht geblendet, Prinzessin!“

Das war der ironische Ton, den Frau Molly tadelte, und sie war auch jetzt nicht erbaut davon.

„Warum hat man Sie denn nicht gemeldet? Meine Leute pflegen doch sonst der guten Sitte nicht ins Gesicht zu schlagen!“ sagte sie scharf.

„Sie entschuldigen gütigst – diesmal schlug ich!“ Herr Grimm lächelte vergnüglich und war keinen Augenblick außer Fassung gebracht. „Ihr Pierre wollte mich melden, ich litt es aber nicht. Einen so frühen Gast, der noch dazu das Glück hat, Ihr alter Bekannter zu sein und unter einem Dach mit Ihnen zu leben“ – eine neue tiefe Verbeugung – „den kündigt man nicht erst feierlich an. Ich bin absichtlich so früh gekommen – ich wollte der Erste sein und ich sehe mit Befriedigung, daß ich es wirklich bin – um meine kleine Gerda noch zu sehen, nachdem mir mein Diener die Trauerkunde überbracht hat, daß sie an dem heutigen Fest nicht theilnehmen werde.“

„Hielten Sie das im Ernst für möglich? Was sollte sie heute hier?“

„Nun – beispielsweise tanzen!“

Stella zuckte die Achseln, und Frau Brühl lachte bitter.

„Es gehört Ihre ganze – wunderliche Vorliebe für Gerda dazu, um diese Behauptung aufzustellen. Ein so ungeschicktes, reizloses Kind –“

„Verzeihung, meine Gnädigste! Gerda, beizeiten zu einem tüchtigen Tanzlehrer gebracht, und Gerda in kleidsamer Toilette – da wäre sie weder ungeschickt noch reizlos. Bis jetzt ist sie allerdings noch nicht hübsch, aber sie wird es ohne Zweifel werden. Warten wir doch ab, bis aus der grauen unscheinbaren Puppe der schöne Schmetterling hervorgeschlüpft ist! Blicken Sie nicht so verächtlich aus Ihren schönen Augen auf Ihren devotesten Diener, Fräulein Stella! Soll ich Dir einmal zeigen, Brühl, wie Deine Gerda in ein paar Jahren aussehen wird?“

„Nun? Ich wäre begierig!“

Herr Grimm faßte den Senator leicht unter den Arm und führte ihn durch einen der Säle in ein kleineres Seitenzimmer, in welchem Rauch- und Spieltische für die Herren aufgestellt waren. Hier hing über einem zierlichen bunten Divan das lebensgroße Brustbild einer jugendlichen Frau, in Oel gemalt, von einem dunkeln ovalen Rahmen umgeben. Sie war auffallend hübsch, diese Frau, mit ihrem reichen dunkeln Haar, den frischen Farben und den lächelnden Lippen. Geradezu schön aber waren die Augen mit ihrem klugen sprechenden Blick – tiefe, herrliche Frauenaugen, aus denen eine heiß empfindende Seele schaute.

Halb widerstrebend waren die beiden Damen den Voranschreitenden gefolgt – Wolfgang hatte sich unbemerkt nachgeschlichen und machte nun, hinter seiner Schwester Stella stehend, einen langen Hals.

„Die Mutter meines Mannes!“ rief die Senatorin verwundert. „Aber ich bitte Sie, Herr Grimm, das war eine anerkannte Schönheit.“

„Und Gerda wird ebenfalls eine solche werden, verlassen Sie sich fest darauf!“

Die Dame wandte sich mit einem sehr ungläubigen Gesicht ab, und Stella ging, als ob die ganze Sache sie gründlich langweile, in den Nebensaal zurück. Der Senator blieb, die Hände auf dem Rücken, vor dem Bilde stehen und sah so angelegentlich zu demselben in die Höhe, als erblicke er zum ersten Mal in seinem Leben ein Porträt seiner Mutter.

„Du weißt, Freundchen,“ begann er endlich und sah sich vorsichtig um, ob seine Damen noch in der Nähe wären, „daß ich ungeheuren Werth auf Dein Urtheil lege, und gar in künstlerischen Dingen bist Du mir weit überlegen; Du bist ja selbst Bildersammler, und Deine Gemälde werden als bedeutend gerühmt – aber hier – hm! Die Mutter war ja wirklich liebreizend, sogar ich weiß noch davon zu sagen; sie spielte eine Rolle und hätte noch als gar nicht mehr junge Witwe ein paar glänzende Partien machen können, allein Gerda! Keine Spur! Das Kind sieht nach gar nichts aus! Es ist der tägliche Kummer meiner armen Frau, daß die zwei Jüngsten so ganz aus der Art geschlagen sind.“

Grimm zog seine dunkeln Brauen mit einer ausdrucksvollen Miene empor, als scheine ihm dieser Mangel an Aehnlichkeit mit den Eltern gar kein besonderes Unglück zu sein.

„Wenn Gerda wirklich sich noch bessern sollte,“ fuhr der Senator sinnend fort und rieb sich das Kinn, „dann könnte sie am Ende einmal Kuno von Tillenbach heirathen, denn Stella wird den naturlich nicht nehmen!“

Grimms dunkle Augen funkelten seltsam.

„Ein reizender Gedanke, mein guter Brühl! Du bist ein liebevoller Vater!“

Die Betonung dieser Worte, die eigen klang, mußte dem Angeredeten wohl entgangen sein, denn er entgegnete ganz harmlos: „Ja, das bin ich auch!“




9.

Die Unterredung der beiden Herren wurde unterbrochen, da die ersten Gäste erschienen. Wolfgang war selbstverständlich bei dieser Kunde wie Spreu vor dem Winde davongestoben, und Frau Molly konnte beruhigt ihr Haupt erheben, da keines von ihren kompromittierenden Jüngsten mehr in der Nähe war.

Sie hob dies Haupt sehr hoch, als der Maler Hilt ihr entgegentrat – mein Gott, das war der Zeichenlehrer ihres Sohnes, ein Mensch, der durchaus keine Rolle spielte, ewig Schulden haben sollte und in dem Ruf stand, sehr frivol zu sein. Aber sie neigte dasselbe Haupt sehr tief, als Seine Durchlaucht Prinz Alexander Riantzew vor ihr stand und ihr aus den verschleierten Augen einen etwas müden Blick spendete. Die Dame hieß ihn in warmen Worten willkommen und wandte sich lebhaft um.

„Durchlaucht haben meine Tochter noch nicht begrüßt? Durchlaucht möchten sich eines Tanzes versichern? Stella! Sie stand doch eben noch in meiner Nähe! Stella! Wie ungeschickt! Wenn ich wüßte, wo sie geblieben ist. Sie wird jederzeit so von den Herren umringt – man verwöhnt mir die Kleine sehr, mein Prinz, es ist für mich als Mutter keine ganz leichte Aufgabe –“

„Ah, ich begreife sehr wohl!“ entgegnete der Prinz etwas gedehnt – er fand es langweilig, dieser verblühten, anspruchsvollen Schönheit Rede zu stehen, während er sich soviel bessere Unterhaltung versprechen durfte. Dieser Hamburger Senator machte ein hübsches Haus! Die Räume sammt ihrer Einrichtung konnten sich sehen lassen – des Prinzen verwöhnte Augen stießen nirgends auf ein Zuviel – alles harmonisch, geschmackvoll! Und wieviel reizende Mädchen! Hier ein blendender Nacken, dort ein edles Profil, ein anmuthiger Wuchs. „Hm!“, machte er halblaut in beifälligem Ton … wenn es die Senatorin hörte, schadete das nichts!

„Ach, lieber Hilt, bitte auf ein Wort! Ihr rasches Künstlerauge hat vielleicht entdeckt, wo meine Tochter sich befindet; Sie haben wohl die Güte, sie mir herzubringen.“

Hilt verbeugte sich und ging quer durch den Saal, einer Gruppe entgegen, in welcher er soeben Stella erblickt hatte. „Rasches Künstlerauge!“ brummte er für sich. „Hat sich was! Mich ihrem Prinzen vorzustellen, das fiel ihr nicht bei, dazu bin ich ihr nicht vornehm genug. Alte hochmüthige Gans, die!“ Laut fügte er hinzu:

„Mein allergnädigstes Fräulein, ich komme in höherem Auftrage, als Abgesandter Ihrer verehrungswürdigen Frau Mutter, um Sie zu ihr zu entbieten!“

„Ich komme!“ nickte das schöne Mädchen freundlich. Sie war gegen alle Welt freundlich, das fiel ihr ja leicht und konnte immer einmal gute Früchte tragen. Hilts dargebotenen Arm schien sie jedoch nicht zu sehen, wie sie neben ihm einherschritt. Er sah sie athemlos vor Bewunderung an – vor solcher Schönheit hielt selbst sein kaltblütiger Cynismus nicht Stand; er wollte [677] etwas zu ihr sagen, aber ihm fiel nichts Gescheites ein, und etwas Alltägliches konnte er doch nicht vorbringen! Ehe er sich auf eine passende Anrede besonnen hatte, waren sie bei der Dame des Hauses angelangt.

„Mein liebes Kind,“ begann diese mit einiger Feierlichkeit, „Seine Durchlaucht Prinz Riantzew wünschte, Dich zu begrüßen und sich eines Tanzes zu versichern!“

„Ah so!“ Stella neigte leicht ihr Köpfchen als Erwiderung auf des Prinzen Gruß. „Ich glaubte, eine der älteren Damen verlange nach mir, vielleicht meine Pathe, Frau Senator Heyn. Ich habe gar nicht gewußt, daß Durchlaucht so kurzsichtig ist, ein so hoher Herr – ich meine so hochgewachsen! – muß doch eine Dame immer zu finden wissen!“

„Sie strafen mich hart, gnädiges Fräulein!“ entgegnete der junge Mann in seinem liebenswürdig klingenden österreichischen Dialekt. „Ihre Frau Mutter war so überaus zuvorkommend, es nicht zu dulden, daß ich Sie selbst aufsuchte, wie es meine Pflicht und auch meine Absicht war. Darf ich dennoch den Muth haben, Sie um einen Tanz nach Tisch zu ersuchen?“

„Ich muß bedauern, meine Tänze sind schon alle vergeben!“

„Stella!“ sagte die Senatorin erschrocken, in mahnendem Ton.

„Bitte, sieh doch, Mama! Wollen Sie sich selbst überzeugen, mein Prinz!“ Sie nahm mit großem Ernst die Tanzkarte aus ihrem Bouquet und hielt sie dem Prinzen hin, sodaß ihr dieser nahe in die leuchtenden Augen blicken konnte.

„Sie hätten mich sehr glücklich gemacht, wenn Sie mir einen Tanz aufgehoben hätten!“ stieß er heraus.

„Aber warum hätte ich das sollen?“ gab sie unbefangen zurück und steckte die kleine Karte wieder sorgsam zwischen die Blumen. „Daran bin ich so gar nicht gewöhnt! Die Herren, die lange zuvor einen Tanz von mir zu haben wünschen, müssen auch lange zuvor darum bitten!“

Der Prinz warf hochmüthig den Kopf zurück und biß sich in seinen Schnurrbart. Wollte ihn denn dies schöne Bürgerkind behandeln wie den ersten besten Kaufmannslehrling, der vor ihres Vaters Pult den Comptoirsessel bestieg und Briefe über Getreide und Erbsen schrieb? Es schien in der That so! Oder war dies Koketterie? Kaum! Stella stand so harmlos da, als habe sie soeben die gewöhnlichste Sache von der Welt abgehandelt. Teufel noch eins, der Prinz konnte sich besinnen, solange er wollte, er hatte noch nie ein so tadellos schönes Mädchen gesehen! Er besaß eine Bildergalerie lebender Schönheiten, auf die er sich mit Recht etwas einbildete – aber eine Stella Brühl gab es nicht darin. Es half nichts! Man würde etwas von seinen durchlauchtigsten Allüren nachlassen, Mensch unter Menschen sein müssen – nicht Fürst unter Bürgerlichen!


Notturno.
Nach einer Zeichnung von J. v. Wodzinski.

Wie er sich indessen eben anschickte, so recht gemüthlich zu sein und das Gesicht in die allermenschenfreundlichsten Falten zu legen, da mußte er zu seinem ungeheuren Verdruß gewahr werden, daß die, um derentwillen er diese ungewöhnlichen Anstalten traf, gar nichts davon bemerkte; sie hatte sich abgewandt und blickte ihrem Vater entgegen, der sich ihr näherte mit einem großgewachsenen, brünetten Herrn an der Seite, den er seinen Damen ohne Zweifel vorzustellen gedachte.

Richtig kam es auch so! Der Senator lavierte geschickt um ein paar Schleppen herum und stand nun vor den Gesuchten.

„Ihr gestattet mir wohl, meine Lieben, daß ich Euch, und auch Ihnen, mein Prinz, Herrn Andree vorstelle, einen Künstler von bedeutendem Ruf, denselben Herrn, um dessen liebenswürdigen Besuch uns vor einigen Tagen ein ungünstiger Zufall gebracht hat!“ Hier setzte der Hausherr seiner Rede Schranken und schielte nach Stella hinüber, ob sie wohl zufrieden mit ihm sei. Ja, denn sie lächelte! Papa athmete erleichtert auf.

(Fortsetzung folgt.)
[678]
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Aus Laubes poetischer Jugendzeit.

Dichter in ihren jugendfrischen Anfängen zu belauschen, ihren ersten stillen Werdeprozeß zu verfolgen, hat einen ganz besonderen Reiz, denn wie der linde erdfrische Duft des Lenzes, so lassen meist auch diese Anfänge schon Art und Kraft der vollen Blüthezeit ahnen. Auch in Laubes Dichtung zeigt sich ein solch organischer Entwicklungsgang des Talents: was aus seinem Schaffen die meiste Anwartschaft auf Dauer hat, was sein dichterisches Wollen in schönster Vollendung zeigt, seine Dramen „Die Karlsschüler“ und „Essex“, seine Erzählungen aus dem Dreißigjährigen Krieg, die den Gesammttitel „Der deutsche Krieg“ führen, sowie andererseits seine Verdienste als Dramaturg, die ihm in Wien den Ehrentitel des deutschen „Theatergenerals“ eintrugen – all das weist zurück auf die ersten Regungen seines Talents und auf die Idylle seiner Knabenzeit, welche die schlesische Landstadt Sprottau am still hinfließenden Boberflüßchen zum Schauplatz hatte.

Eine Idylle: in einer seiner Reisenovellen hat sie uns Laube selbst später geschildert. Sandige Heidestrecken, Kiefern- und Birkenwäldchen umgrenzten das fruchtbare Acker- und Wiesenland, das die Handwerker und Krämer des Städtchens noch selber bebauten, und große Bauerngehöfte umgaben die Eingänge zu seinen Straßen und Gäßchen. Auf den grünen, mit Weiden bestandenen Uferwiesen des Bobers hat der Knabe in frühester Jugend bei den Schafen gelegen, Pfeifen geschnitzt, nach den Wolken gesehen und geträumt, „kleine unschuldige Träume“ von der Tochter des Bäckers, welche ihn dereinst beglücken würde auf Sonntagsspaziergängen und später als Gattin im eigenen Hausstand. Die patriarchalische Ruhe des Feierabends, „wo man des Abends in Hemdärmeln vor der Thür sitzt, Ohlauer vaterländischen Knaster in die reine Luft bläst, friedliches Faßbier trinkt und von den Franzosen redet, die 1806 nichts als Wein getrunken“, die gleichmäßige Einförmigkeit der von der großen Poststraße abliegenden kleinen sauberen Stadt, die nur zweimal im Jahr von großen Festlichkeiten für die Honoratioren unterbrochen wird, dem Weihnachtsball und dem Pfingstschießen – sie bildeten den Gegensatz zu seinen lärmenden Knabenspielen, die überall auf der Straße die gleichen sind, sie erschwerten ihm später die heimlichen Zusammenkünfte im Birkengehölz neben dem alten Schießhaus vorm Thor, dem verschwiegenen Paradies seines ersten Liebesglückes.

Aber von diesem stillen Hintergrund seiner Heimathserinnernugen heben sich bereits in einer anderen Reisenovelle vom Jahre 1836, die uns von der Heimkehr des jetzt wegen litterarischer Sünden verfolgten Schriftstellers in die Vaterstadt erzählt, geräuschvollere Begebenheiten ab, welche mit einem ganz anderen, bewegteren Leben in diese ländlichen Gassen flutheten, Begebenheiten, die sich tief in die Seele des Knaben einprägten und seine Geistesrichtung bestimmten. Das waren vor allem die Durchzüge von französischen und rheinbündischen Truppen und dann der halbwilden Kosaken auf ihren kleinen Pferden im Jahre 1812 und 1813, war die rauhe, rohe Franzosenzeit, da Feind und Freund in den Straßen und Häusern der Stadt sich blutig um Hab und Gut der armen Sprottauer raufte. Hierher gehört weiter das große Reformationsfest vom Jahr 1817, das mit seinen Festschriften und Bilderbogen dem Knaben die höchsten Begriffe von Glaubensfreiheit und Kampf dafür in die Seele legte, und schließlich der wiederholte längere Aufenthalt einer Schauspielertruppe im Orte, deren Kunst die Begeisterung für das Theater in dem jetzt nur noch in den Ferien anwesenden Glogauer Gymnasiasten in solchem Grade weckte, daß er mitten im kalten Winter des Jahres 1823 „dem Heldendarsteller Herrn Matthausch und der Liebhaberin Fräulein Ennicke“ zu Liebe eine Fußwanderung nach Berlin antrat, die nicht ohne Abenteuer verlief.

Kriegsereignisse, ein Fest zur Feier des protestantischen Bewußtseins und romantische Theatereindrücke waren für Laube die bedeutendsten Erlebnisse der Kinderzeit; ein Theaterstück von kriegerischem und protestantischem Charakter, das einen Helden des Protestantismus feierte und in Kriegsscenen seine Treffer hatte, war dann das erste größere Werk, in welchem Laube als Student seine dichterische Begabung erprobte. Und dies Drama, das Trauerspiel „Gustav Adolf“, war bühnengerecht genug, um bald nach seiner Entstehung eine Aufführung im Breslauer Stadttheater mit Erfolg aushalten zu können. Dennoch hat es Laube im Bewußtsein der Schwächen dieses ersten Versuchs nie drucken lassen. Seit jenen Aufführungen im Jahre 1829 ist es nie wieder zum Vorschein gekommen. Das Manuskript aber hat sich erhalten und des verstorbenen Dichters Pflegesohn, der Reichstagsabgeordnete Professor Hänel, hat es dem Schreiber dieser Erinnerungen zur Verfügung gestellt, damit es in dessen Geschichte des „Jungen Deutschland“ seine Verwerthung finde.

Den Krieg in seiner schaurigen Schrecklichkeit, aber auch in seiner poetischen Lebensfülle, wie ihn Laube später in seinen besten Romanen – „Die Krieger“, „Gräfin Chateaubriand“, „Der deutsche Krieg“ – so realistisch wie niemand vorher zu schildern verstanden, hatte er damals ebenfalls in all seiner Realität erlebt. Namentlich die Ereignisse des Jahres 1813, in welchem es in Sprottau zu einer förmlichen Schlacht zwischen französischen Chasseurs und russischen Reitern kam, blieben seinem Gedächtniß unzerstörbar eingeprägt bis an sein Lebensende. Noch als Siebziger hat er in seinen „Erinnerungen“ viele Einzelheiten mit greifbarer Deutlichkeit schildern können. Wie er mit dem Vater des öfteren im Leiterwagen aus dem sechs Meilen entfernten Grüneberg Fässer voll Wein für die französische Einquartierung holte, wie er bei der ersten Ankunft der französischen Chasseurs auf der Boberbrücke war und bei dem entstehenden Gedränge fast zu Tode gequetscht wurde, während eine russische Batterie über die Brücke hinweg gegen die Franzosen zu spielen begann, wie dann auf dem Markt gellende Trompetenstöße das Signal zur Plünderung gaben; was er alles mit der Mutter ausstand, die während der Plünderung im Keller sich versteckt hielt, was die marodierenden Chasseurs alles raubten, selbst des Vaters Ersparnisse aus dem Kaminschornstein … und dann wieder die Zeit, wo der Landesfeind in ängstlicher Flucht durch die Straßen flog und das ganze Land aufathmete – alles das ist lebendig in seiner Seele geblieben.

Den ersten starken litterarischen Eindruck brachte jenes Reformationsfest vom Jahre 1817. Laube war damals elf Jahre alt. Vor dreihundert Jahren hatte Luther seine 95 Sätze an die Kirche von Wittenberg angeschlagen – dieses Ereigniß, der Anfang der Reformation, wurde gefeiert. Volksthümliche Darstellungen der geschichtlichen Vorgänge, die der muthigen That Luthers vorausgingen und folgten, Festschriften mit den Bildnissen von Luther und Melanchthon kamen damals in jedes Haus. Als eine Bewegung von außerordentlicher Ausdehnung und Macht, geradezu als eine volle Wiedergeburt der Reformationszeit erschien dem Dichter diese Feier noch im Alter.

Auch sein Interesse für das Theater wurde durch ein längeres Gastspiel der Butenopschen Truppe bereits in Sprottau zur Entfaltung gebracht. Von Wichtigkeit für seine spätere Entwicklung war es, daß er das Bühnenwesen gleich in seiner wirklichen Gestalt kennenlernte und nicht auf dem Weg durch Bücher und gelehrte Abhandlungen, wie so viele andere Epigonen der Schillerschen Muse. Und er hatte dies gerade dem Umstande zu danken, daß er in einer Stadt ohne Theaterleben aufgewachsen war, und dem Zufall, daß sich schon bei der ersten Berührung mit dem Theater auch die Welt hinter den Coulissen seinen neugierig forschenden Blicken öffnete. So hat er nie den Kampf mit romantischen Einbildungen zu bestehen gehabt, an welchem so viele dramatische Schriftsteller mit ihrem besten Streben zu Grunde gegangen sind. Die Reitbahn der Sprottauer war damals zum Tempel Thalias geworden. Diese Reitbahn hatte ein luftiges Dach; Sturm und Wind hatten daraus so manche Schindel entführt, und da die Hinterwand des Gebäudes an den Garten von Laubes Großvater stieß, so wußte der Enkel als entdeckungslüsterner Kletterer längst um diese Lücken Bescheid. Die Aeste eines Apfelbaumes im Garten erstreckten sich bis auf das Dach, und auf einem derselben fand nun der Knabe einen erhöhten Sperrsitz gerade über der Bühne, von dem aus er die Vorgänge sowohl auf als hinter der Scene überblicken konnte. Wer hätte damals geahnt, daß ihn von diesem luftigen Sitz eines „Zaungasts“ aus der Vogelschau der Weg zur Intendantenloge der ersten deutschen Bühne führen würde?! Von da oben aus gelangte der Knabe auch hinunter, sowohl hinter die Coulissen als in den Zuschauerraum; er lernte kennen, „wie es gemacht wird“, daß von der Bühne herab die wunderbaren Wirkungen auf die Zuschauerwelt ausströmen, und begann so jener Kenner der Bühnentechnik zu werden, der er als Dramatiker [679] auch dann geblieben ist, wenn ihn die echt dichterische Eingebung bei seinem Schaffen im Stich ließ. Ritter- und Räuberstücke bildeten hauptsächlich den Spielplan der Butenopschen Gesellschaft, aus der übrigens u. a. eine Künstlerin wie die Anschütz hervorgegangen ist; „Die Kreuzfahrer“, „Klara von Hoheneichen“, „Die Räuber auf Maria-Kulm“, namentlich aber Schillers „Räuber“ waren die Zugstücke. Doch kümmerte man sich im Ort nicht um die Namen der Verfasser, und daß z. B. der Dichter der von ihm bewunderten „Räuber“ Schiller hieß, erfuhr der Knabe erst später als Gymnasiast in Glogau, wo öfter Theater gespielt wurde.

So unlitterarisch waren jene Anfänge. Was dagegen dem Knaben fest im Gedächtniß blieb, das waren Wahrnehmungen in Betreff der Bühnenleitung. Als Beispiel, das Laube noch im Alter gern erzählte, diene folgender Fall. Ein Stück spielte in Spanien, wo die Franzosen unter Napoleon erobernd eingedrungen waren und von den Spaniern auf Weg und Steg verfolgt wurden. Am Schlusse eines Aktes schoß der französische Offizier sein Pistol auf einen Spanier ab. Das Pistol versagte, und der Vorhang fiel unter großem Gelächter des Publikums. Der kleine Laube kroch eilig unter dem Podium hinauf, um Direktor Butenops Zorn anzusehen gegen den Requisiteur Krebs, den er immer auf dem Striche hatte. Richtig! er hielt ihn bereits am Kragen und schrie immerfort: „Das Publikum muß den Schuß hören, Kanaille! Das Publikum muß den Schuß hören!“ – Pautz! knallte der Schuß. Neues, noch stärkeres Gelächter im Publikum. „Als der nächste Akt kam, entdeckte mein junger Verstand, daß der Direktor recht gehabt: der Schuß hatte Folgen, er mußte also losgegangen sein!“ Solcher Gestalt war der Anfangsunterricht, den damals unbeachtet und unvermuthet Deutschlands erfolgreichster Dramaturg als Bube von zwölf Jahren empfing. Die Besuche der Truppe in Sprottau wiederholten sich in den folgenden Jahren, und wie mit ihrer Kunst, so wurde der anstellige Bursche auch mit den Schauspielern bekannt.

Welche Wirkung dieser Verkehr hatte, haben wir schon erwähnt. „Die ganze Welt war für mich verwandelt und erweitert, unabsehbar erweitert durch diese Schauspielergesellschaft“, heißt es in den „Erinnerungen“. Mit Bezug hierauf ist denn auch beschlossen worden, daß das Denkmal, welches man für Laube in Sprottau errichten will, auf denjenigen Platz zu stehen kommen soll, wo einst jene wandernden Jünger Thaliens ihre Vorstellungen gegeben haben.

Den nächsten großen litterarischen Eindruck bot Glogau. Nicht das dortige Gymnasium, von dem es in Nowacks Schlesischem Schriftstellerlexikon heißt, daß „dort ebenso gewissenhaft lateinische Sprach- wie Betübungen“ gehalten worden seien, denn nicht auf den Geist der lateinischen und griechischen Schriftsteller wurde beim Unterricht eingegangen, auch nicht auf den Geist der klassischen Sprachen. Nur der Lehrer des Deutschen, Magister Röller, stellte an sich und an seine Schüler höhere Ansprüche. Er gab guten stilistischen Unterricht. Deutsche Dichter aber wurden damals in den deutschen Gymnasien noch nicht gelesen. Und doch war es ein deutscher Klassiker, der jenen neuen großen Eindruck auf den eigenartigen Geist des Schülers machte – Friedrich Schiller. In jenen Jahren erschien die erste Cottasche Gesammtausgabe der Werke Schillers zu billigem Preise. Ein Vetter Laubes, der Sohn des Wirths zum „Grünen Löwen“ in Sprottau, „Cousin Fritz“, der bereits in der Glogauer Prima war, schaffte sich die Ausgabe an. „Daß Fritz mir Prachtstellen vorlas und daß er mir sagte: dies ist unser Dichter fürs Leben, das wirkte auf mich, und die Dramen, deren ich in den abgerissensten Exemplaren habhaft werden konnte, die prägten sich ein wie mit glühenden Lettern,“ heißt es in den „Erinnerungen“. Schillerverehrung herrschte auch in der Familie, in die er als Freund des Sohnes vom Hause wie ein Adoptivsohn Aufnahme fand. Sie war wohlhabend und pflegte litterarische Interessen. Die bessere erzählende Litteratur des Tages kam ins Haus, auch das Cottasche Morgenblatt wurde neben Theoder Hells Abendzeitung gehalten. Am runden Tisch der Familie hat der jugendliche Verehrer Schillers sämmtliche Werke – auch die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs – vom ersten bis zum letzten Bande vorgelesen. Damals spannen sich die geistigen Fäden an, die später in den „Karlsschülern“ zu einem so ansprechenden künstlerischen Gebilde verwoben wurden. Erst nachdem so Schiller Laubes jungen Geist ganz für sich gewonnen hatte, ging dem Gymnasiasten die Schönheit Homers, die Kunst von Vergil und Horaz auf. Dies geschah in Schweidnitz, wohin er noch als Primaner ging, weil ihn – nach Nowack – „die am Glogauer Gymnasium herrschende strenge Klosterzucht und pietistische Richtung zu offener Opposition gereizt hatte.“

Ostern 1826 brach er, das Ränzel und – die Guitarre auf dem Rücken, nach Halle auf. Eigentlich hatte der Junge den Beruf seines Vaters ergreifen sollen, allein wie so viele Dichter war auch Laube, wenigstens in jener Frühzeit, „im Kopfrechnen schwach“ und daher dem mathematischen Theil des Bauwesens nicht zugethan. So wurde der Plan, ihn für das Baufach zu bilden, aufgegeben und beschlossen, ihn studieren zu lassen. Was? Das war in jener Zeit eigentlich keine Frage bei armen Burschen aus kleinen Städten, die sich schon als Gymnasiasten im Stundengeben geübt hatten. Die wurden alle Theologen. „Dies war das wohlfeilste Studium und brachte zuerst eine Anstellung, wenn auch zunächst nur die eines Hauslehrers.“ In Halle zog ihn zwar zunächst der protestantische Rationalismus Wegscheiders an, aber der Einfluß von dessen kritisch zersetzender Auslegung der christlichen Ueberlieferung entfremdete ihn erst recht dem theologischen Berufe, und das Hingabebedürfniß seines Gemüths fand seine Befriedigung in dem Schwärmen und Treiben der Burschenschaft, deren Grundsätze und Interessen er bald, wo es galt, mit dem Rappier in der Faust gar schneidig zu verfechten wußte. „Der Fechtboden und die Herbergen in und um diese Stadt sahen ihn häufiger als die Hörsäle,“ vermerkt der kleine Lebensabriß bei Nowack. Ueber der Burschenschaft und ihren Angelegenheiten traten seine bisherigen Neigungen in den Hintergrund. Als er dann das lustige Halle, den Schauplatz manch siegreicher Paukerei, manch fröhlicher Studentenfahrt, auch eines feierlichen Aufzugs, dessen Ausgang ihm auf seinem Abgangszeugniß den Vermerk „der Burschenschaft verdächtig“ eintrug, mit Breslau vertauscht hatte, studierte er zwar fleißiger als bisher die theologischen Wissenschaften, namentlich Kirchengeschichte, hielt auch Probepredigten und bereitete eine Abhandlung „über die Erbsünde“ vor, aber die Angelegenheiten der Burschenschaft beschäftigten ihn auch jetzt in erster Linie, – bis eine Aufführung von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ die ins Stocken gerathenen litterarischen Triebe auf einmal wieder in Aufruhr brachte und jetzt mit Entschiedenheit zur Bethätigung drängte. Bis dahin hatte er als Student – „schon aus Geldmangel“ – das Theater links liegen lassen; nach jenem ersten Wiedereintritt in seinen Zauberkreis wurde er ein eifriger Theaterbesucher.

Man kann sagen, das holde Käthchen von Heilbronn, das auf der Bühne sich so brav als Retterin bewährt, habe auch Laube gerettet, gerettet für die Dichtung, für das deutsche Theater. Es stand damals gerade recht bedenklich mit ihm. Als „gute Klinge“ von Halle her geschätzt und gefürchtet, war er beim Ausbau der neuen burschenschaftlichen Verbindung in Breslau, dem blauen Haus“, und im Kampf mit den herrschenden Landsmannschaftern in ein wildes „Landsknechtsleben“ gerathen, wie er es selbst nennt. Die Duelle wurden leidenschaftlich geführt, hatten oft gefährlichen Ausgang; schlug Laube selber nicht, so mußte er doch sekundieren. Einmal war schon alles zur Flucht vorbereitet wegen der Folgen eines dieser wüsten Zweikämpfe. Es war eine Art Kriegsleben, dessen spannende poetische Erregung ihn berauschte. Auch sonst war das Leben wild; auch im Spiel war der „Landsknecht“ die Parole und oft jagte erst die aufgehende Sonne die lärmenden Bursche draußen in Marienau von den Tischen. Das Geld zu solchem Treiben erwarb sich der wildgewordene Heinz durch Ertheilen von Fechtunterricht. Denn in der Führung der studentischen Waffe war er damals zu solcher Meisterschaft gelangt, daß er einen sehr guten Fechtmeister abgab. Als nun ein reisender französischer Fechtmeister eine Herausforderung an die Studentenschaft Breslaus zum öffentlichen Zweikampf – „au grand assaut d’armes“ – ergehen ließ, da trat Heinrich Laube als ihr Vertreter auf und führte den Franzmann zweimal mit klatschenden Hieben unter dem Jubel des versammelten Publikums ab. Die Folge war, daß ihm in aller Form die gerade freigewordene Stelle eines Universitätsfechtmeisters angeboten wurde. Er lehnte ab. Unklar fühlte er: zu was besserem sei er geboren. Und innerlich befriedigt von dem Sieg eines höheren Strebens über die Lust an Fechtkünsten und über die ihm gebotene lockende Versorgung, stand er an einem der nächsten Tage beim Erblicken des Theaterzettels still, las ihn und meinte dann: „Ins Theater könntest [680] Du auch mal wieder gehen!“ An diesem Abend war es dann, wo das „Käthchen von Heilbronn“ ihm zur rettenden Muse wurde, die ihn wieder zurück in die Gärten der Poesie lockte. Die Aufführung wie das Stück waren von mächtiger Wirkung – ein Erlebniß, das sein geistiges Wesen im Innersten packte. Daran gedenkend, sagte Laube im Alter: „Die Vorhänge waren plötzlich in meinem Innern aufgezogen, die Vorhänge aus der Sprottauer Reitbahn; die Aussichten lagen wieder vor mir in reizende Gegenden, unklar gemacht durch farbige Nebel. Und diese nebelhafte Unklarheit gehörte zum Reize.“

Der litterarische und künstlerische Sinn in dem Studenten war aus seinem Schlummer erwacht.

Und nun begann auf einmal für ihn ein frisches fröhliches Treiben rein litterarischer Art. Als er unter seinen Genossen vom Theater zu reden begann, zeigte es sich, daß mehrere von ihnen dieses Interesse theilten; nur waren über den Mensurgeschichten, dem Kartenspielen und Kommersieren derlei Fragen zwischen ihnen nie zur Sprache gekommen. Da war einer unter ihnen, der im Anklang an die Falstaffscenen in Shakespeares „Heinrich IV.“ auf der Kneipe Fähnrich Pistol genannt ward und mit Vorliebe die drastischen Reden Falstaffs im Munde führte. Der Zufall, daß die Stammkneipe der durstigen Brüder „Zum wilden Schweinskopf“ hieß, also gerade wie die Herberge in Eastcheap, in welcher des Prinzen Heinz verwegene Tafelrunde bei Shakespeare ihre Gelage abhält, hatte vielleicht die Anregung zu diesen und anderen Spitznamen des Kreises gegeben; jetzt zeigte sich, daß dieser Fähnrich Pistol nicht bloß für Falstaff, sondern überhaupt für Shakespeares herrliche Dramenwelt schwärmte. Diese Bestrebungen befriedigte derselbe – sein bürgerlicher Name war Adolf Mühlbach – in einem anderen Freundeskreis, der sich an bestimmten Abenden in seiner behaglichen Wohnung zusammenfand. In diesen Kreis gerieth jetzt Laube auch. Es war ein poetischer Verein; man sprach in ihm nicht nur über Shakespeare, Schiller und Goethe, über Tieck und Uhland, über die neuesten Musenalmanache; man zog auch abwechselnd dicke Manuskripte aus der Tasche und las sich selbstgefertigte Dramen vor. Romantische Stoffe und Stimmungen herrschten vor; Tiecks „Genoveva“ und „Kaiser Oktavian“ waren bevorzugte Muster. Laube fühlte bald die Ueberlegenheit der andern an litterarischem Wissen, was ihn anspornte, die Lücken der eigenen Bildung zu füllen. Statt der Karten handhabte er jetzt des Abends und Nachts litterargeschichtliche Bücher, ästhetische Abhandlungen, die Werke der modernen Dichter. Aber was er mit Recht als Mangel empfand, war zugleich ein Vorzug. Er trat mit reiferen Lebensansichten und reicher Lebenserfahrung, frei von Vorurtheilen, an diese Fragen heran, in denen die andern meist mit fertigen, überkommenen Urtheilen ihre Entscheidung trafen. Ihnen entging auch dieser Vorzug nicht, so wenig wie die Anregung, die seine Ursprünglichkeit, sein ehrliches Fragen ihren Unterhaltungen brachte. Den träumenden Romantikern gegenüber war er sogleich der Mann der derberen Wirklichkeit, die bestimmte Ausdrucksweise seiner späteren Kritiken entfaltete er bereits hier. Ihrem einseitigen Kultus, den sie Goethe und Shakespeare gerade wegen der romantischen Elemente in deren Dramen widmeten, setzte er seine Schillerverehrung entgegen. Daß Schiller bei allen Schwächen der seelischen Schilderung und trotz seiner Neigung zum schönrednerischen Pathos doch im eigentlich Dramatischen, in der Kraft, treibende Leidenschaft und wachsende Handlung zu geben, Goethe überrage, fühlte er damals schon. Bald war er in vielen Dingen den anderen gegenüber der Ueberlegene. Bei den Besprechungen, welche der Vorlesung eigener Dichtungen – auch Balladen wurden gepflegt – häufig folgten, fand sein Urtheil bald die meiste Beachtung. Sein Ansehen wuchs, als er die Begabtesten des Kreises auf ihrem eigensten Gebiete schlug. Die „Schlesischen Provinzialblätter“, eine Monatsschrift, hatten einen Preis ausgeschrieben für das beste Gedicht. Sie alle bewarben sich, und Laube erhielt den Preis für eine „spanische Romanze“. Er machte sich wenig daraus, denn gerade dies Gedicht war ein Versuch ohne inneren Antheil gewesen, aber den Kameraden imponierte dieser Erfolg höchlich, und als dann gar ein zweiter auf der Bühne folgte, als Laube im Breslauer Stadttheater mit einer eigenen Tragödie den Beifall eines dichtbesetzten Hauses entfesselte, da faßte der Verein den Entschluß, für seine Bestrebungen eine eigene Zeitschrift zu gründen, und übertrug Laube deren Leitung.

Diese aufgeführte Tragödie war der schon erwähnte „Gustav Adolf – historisches Trauerspiel in 5 Akten“; die Zeitschrift führte den Titel „Aurora“ und erschien vom 5. Juli bis zum 30. Dezember 1829. Wie von dem Drama das bisher verschollene Manuskript, so liegt mir von der Zeitschrift eines der wenigen vollständigen Exemplare vor, welche der Zufall uns erhalten hat.

Ist nicht die Folgerichtigkeit merkwürdig, daß der junge Dichter nach den maßgebenden Eindrücken seiner Knabenzeit, nach den patriotischen Schwärmereien des Burschenschafters, unter den Anregungen des Poetenvereins und des jetzt oft besuchten Theaters, nach der erneuten Einwirkung Schillers und dem mächtigen Eindruck des Kleistschen Ritterstücks nun an die Ausarbeitung gerade eines Dramas ging, das mit Schillers „Wallenstein“ den geschichtlichen Hintergrund und eine der Hauptgestalten theilte, einen kriegerischen Führer der Reformationszeit zum Helden, einen nationalpolitischen Untergrund für seine Tragik, ein großes lärmendes Schlachtenbild zum Abschluß hatte und zur Heldin ein holdselig Bürgerkind, das zu König Gustav mit derselben magdlich demüthigen Liebe aufsieht wie das Käthchen von Heilbronn zu ihrem „hohen Herrn“, dem Grafen Wetter von Strahl?

So naiv aber der Dichter in der Anlehnung an „berühmte Muster“ war, so schülerhaft er noch in Bezug auf tiefere Begründung der Handlung und hinsichtlich einer eigenartigen Sprache blieb, so zeigte er doch schon hier in der Anwendung der dramatischen Grundgesetze, in der klaren Exposition und dem straffen Aufbau der Handlung, in der Beschränkung auf das Nothwendige, im Freibleiben von Schwulst und leeren Worten, von Ballast jeder Art ein künstlerisches Maßhalten, wie es gerade die Jugenddramen der meisten unserer Dichter vermissen lassen.

Eine weit größere Reife der Einsicht in das Wesen des Dramatischen bekundete er dann als Theaterkritiker an Karl Schalls „Breslauer Zeitung“ und der eigenen Zeitschrift „Aurora“. Der Eindruck eines Gastspiels von Karl Seydelmann, dem Stuttgarter Hofschauspieler, im besondern dessen Spiel als Carlos in Goethes „Clavigo“, trug viel dazu bei, seine vom Zauber romantischer Gefühlsschwärmerei noch vielfach befangenen Ansichten zu Grundsätzen eines gesunden, dichterischen Wirklichkeitssinnes zu klären.

In derselben Richtung bewegen sich die Xenien, von denen Laube im Wetteifer mit Heinrich Wenzel in dem halben Jahrgang der „Aurora“ gar manches Dutzend gegen Moderichtungen des Tags, gegen Raupach, Hell, Clauren, gegen das romantische Drama veröffentlicht hat. Die Gedichte, die der damals dreiundzwanzigjährige Kandidat der Theologie in der „Aurora“ mittheilte, „Der Student von Salamanca“, „Herr Ebbelin und die Nürnberger“, „Der lustige Jägersmann“, „Albano in Rom“, ermangeln bei aller Frische der Gesinnung und bei aller Lust am fröhlichen Wagen doch der rechten Kraft und Farbe und bewegen sich in der gleichen romantischen Art, welcher auch die Freunde Laubes, Max von Oer, Leopold Bornitz, Adolf Mühlbach, Freiherr von Oelsnitz, Freiherr von Biedenfeld, Otto Hanisch u. a. mit mehr oder weniger Begabung in Gedichten und Geschichten gehuldigt haben. Daß diese „literärische Zeitschrift“ keinen großen Abnehmerkreis fand und Ende 1829 wieder eingehen mußte, ist nach dem Gesammteindrucke nicht unverständlich.

Wie dann Laube als Hauslehrer auf dem Rittergut Jäschkowitz bei dem schlesischen Landesältesten Herrn von Niemptsch unter den Eindrücken der polnischen Revolution zur litterarischen Theilnahme an der Zeitgeschichte und zur politischen Schriftstellerei im Dienst freiheitlicher Ideale überging, wie er durch seine Werke „Das neue Jahrhundert“ und „Das junge Europa, 1. Theil: Die Poeten“ sich Verfolgung und Kerkerstrafe zuzog, ist schon öfter dargestellt worden. Als er sich später gemäßigteren Anschauungen und einer minder revolutionären Dichtungsart zuwandte, lieber Künstler als Politiker sein wollte, hat man ihn einen Abtrünnigen genannt. Man sollte bei seiner Beurtheilung aber nicht vergessen, daß er sich in jenen Jahren der inneren Sammlung und bürgerlichen Einordnung doch eigentlich nur zurückwandte zu dem, was seine erste Liebe im litterarischen Sinne war, zum Theater und zum Kampf für die Werthschätzung des wirklichen Lebens in den Darstellungen der Kunst. Das Urtheil wird gerechter, wenn man seine poetischen Anfänge zu Breslau in Betracht zieht, wie wir es gethan haben, und so entdeckt, daß darin sowohl diejenige Richtung seines Talents bereits zum Ausdruck kam, welche ihn später zum gefeierten Dramatiker und

[681]

Kavallerie beim Flußübergange.
Nach einer Zeichnung den M. Plinzner

[682] Dramaturgen erhob, als auch jener patriotische und protestantische Geist, der in den Jahren des politischen Sturmes und Dranges seinem revolutionären Pathos sehr bald eine eigenthümliche Klangfarbe lieh. Die Gestalten seiner Jugenddramen hatten Macht über ihn behalten, und auf der Höhe seiner Laufbahn bannte er sie aufs neue, ließ sie seinem Dichterwort Stand halten und gab dabei den Gesichten seiner abenteuerlustigen waffenfreudigen Phantasie lebenswahre Gestaltung in dem Rahmen des großen Romans, der noch lange deutsche Leser unterhalten und erbauen wird: „Der dreißigjährige Krieg“. Johannes Proelß.     




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Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Die elektrische Kraftübertragung.

Schon seit längerer Zeit hielt der mit der Frankfurter elektrotechnischen Ausstellung in Beziehung stehende, mit Mühe und großen Kosten vorbereitete Versuch, eine elektrische Uebertragung von annähernd 300 Pferdekräften auf eine Entfernung von 175 Kilometern zu bewirken, nicht nur die Elektrotechniker, sondern die ganze gebildete Welt in erwartungsvoller Spannung. Wie unsern Lesern aus einer früheren Mittheilung über „das Ende der Steinkohle und ihren Ersatz“ erinnerlich sein wird (siehe Nr. 13 dieses Jahrgangs), ist es vom wirthschaftlichen Standpunkte aus geboten, im Verbrauche der Kohle die möglichste Sparsamkeit walten zu lassen und an Stelle derselben die täglich sich erneuernden Naturkräfte heranzuziehen. Als die am bequemsten zu verwerthende Naturkraft bietet sich uns das Wasser unserer Flüsse und Ströme, und man war sich daher wohl bewußt, daß im Falle glücklichen Erfolges der Lauffen-Frankfurter Versuche die Kraftfrage der Lösung um ein gutes Stück entgegengeführt war: man braucht sich ja nur zu vergegenwärtigen, daß die Kraft unserer fließenden Wasser ein Mehrfaches der für die gesammte Industrie erforderlichen Kraft zu liefern vermag. Bisher war man jedoch nur in sehr beschränkter Weise imstande, die Kraft dahin zu übertragen, wo man ihrer bedurfte. War also jener Versuch von Erfolg begleitet, so war eine gänzliche Aenderung der jetzigen Kraftbetriebe und damit des ganzen gewerblichen Lebens angebahnt. Neben die Kohle, die seither eine hervorragende und herrschende Stellung als Kraftquelle einnahm, trat dann als gleichberechtigt das ewig sich erneuernde Wasser.

Die Heißsporne unter den Elektrotechnikern meinten sogar, unsere Dampfmaschinen und Lokomotiven seien dann sofort überflüssig und nur noch geeignet, im Museum für Alterthümer aufgestellt zu werden – späteren Geschlechtern ein Zeichen unseres strebsamen, aber in bemitleidenswerthem Irrthume befangenen Jahrhunderts. Die häßlichen, mit ihrem Rauch und Ruß die Luft verpestenden Kamine müßten nach ihrer Ansicht schleunigst niedergelegt werden. Alle Lampen, und wären es die schönsten Million- oder Generatorlampen, werden ohne Erbarmen in die Rumpelkammer getragen und durch Glüh- und Bogenlicht ersetzt; in 20 Jahren sind sie eben so unbekannt wie der jetzigen jungen Welt die Lichtputzschere. Entsprechend große Aenderungen sollten dann auch auf dem Gebiete des Post- und Eisenbahnwesens bevorstehen. Der Betrieb aller Wagen wird natürlich elektrisch eingerichtet; wie schon jetzt bei den wenig Kraftbedarf erfordernden Straßenbahnen sollen dann die Eisenbahnzüge mit der zur Verfügung stehenden größeren Kraft betrieben werden. Kurz, eine völlige Umwälzung soll sich auf die sämmtlichen gewerblichen Gebiete erstrecken.

Der entscheidende Versuch hat vor kurzem stattgefunden und hat ein äußerst befriedigendes Ergebniß geliefert.

Die erste Verwendung des übergeleiteten Stromes bestand darin, daß man Hunderte von Lampen der Ausstellung an die Kraftleitung anschloß. Und siehe da, sie strahlten im hellsten Glanze, ein leuchtendes Sinnbild des Fortschritts, den der menschliche Geist damit zum Licht der Erkenntniß hin gemacht hat.

Eine der hübschesten Zierden der Frankfurter Ausstellung bildet der Wasserfall. Von einer künstlich angelegten, thurmgekrönten Anhöhe stürzt ein malerischer Wasserfall herunter, der allabendlich spielt und, vom Innern her elektrisch beleuchtet, in glänzender Farbenpracht seine Fluthen herniederschickt. Bisher wurde derselbe von einer mächtigen, durch Dampf getriebenen Schleuderpumpe in Bewegung gesetzt, welche das erforderliche Wasser dem Main entnimmt und etwa 10 Meter emporhebt. Diese Arbeit hat man nun auch dem von weither übertragenen elektrischen Strome aufgebürdet. Kräftige Dynamomaschinen sind an die Stelle der Dampfmaschine getreten. So entsteht in der That ein wunderbarer Kreislauf! Der Wasserfall des Neckars, der auf die Lauffener Turbine geleitet wird, hebt auf eine Entfernung von mehreren Tagereisen, in einem Augenblick den weiten Raum überwindend, das Mainwasser in die Höhe und zwingt dasselbe, den Lauffener Wasserfall in Frankfurt gleichsam zu wiederholen und aufs Neue hervorzubringen. Das Mittel dazu, die Kraftleitung, besteht aus einigen Kupferdrähten, die so ruhig auf den Telegraphenstangen liegen, als wenn sie die ganze Geschichte überhaupt gar nichts anginge.

Nach diesem gelungenen Versuche ist jeder Zweifel an der Durchführbarkeit der Uebertragung von Elektricität auf weite Strecken gehoben, und wir stehen thatsächlich an einem der entscheidendsten Wendepunkte auf dem Felde der Technik. Den weiteren Verlauf können wir nur ahnen, und die kühnste Phantasie läßt uns hier ebenso im Stich wie etwa vor 25 Jahren bezüglich der Entwicklung der Telephonie, der elektrischen Beleuchtung und der elektrolytischen Metallgewinnung. Allerdings brauchen wir nicht gleich morgen mit dem Abbruch der Dampfmaschinen, Kessel und Kamine zu beginnen; denn „gut Ding will Weile haben“, heißt es wie im gewöhnlichen Leben so besonders auch in der Technik.

Wie ist nun die Lösung jener Aufgabe möglich geworden?

Das am Neckar gelegene Portlandcementwerk Lauffen besitzt eine Wasserkraft von etwa 1500 Pferdestärken. Ein Theil derselben, etwa 300 Pferdekräfte, wird von einer Turbine nutzbar gemacht, welche diese Kraft auf eine elektrische Kraftmaschine, Elektromotor oder Dynamo genannt, überträgt. In dieser Dynamomaschine spielt sich der eigenthümliche Vorgang ab, durch welchen die mechanische Kraft der Turbine in elektrische Kraft verwandelt wird. Die elektrische Kraft hat nun ganz wunderbare, in ihrem eigentlichen Wesen noch geheimnißvolle Eigenschaften. Eine der hervorragendsten ist die, daß sie sich mit einer fabelhaft großen Geschwindigkeit fortpflanzt; sie ist z. B. imstande, in einer verschwindend kurzen, kaum meßbaren Zeit die Strecke von Lauffen nach Frankfurt zu durchlaufen. Freilich muß man ihr einen passenden Weg bahnen: sehr gern folgt sie den Metalldrähten, insbesondere dem Kupfer. Man nennt deshalb das Kupfer einen guten Leiter der Elektricität. Damit die Elektricität nicht auf Abwege geräth, legt man den Kupferdraht auf Porzellan, welches als Nichtleiter der Elektricität das Abspringen verwehrt. Bei der Ueberleitung kommt aber noch ein anderer Umstand in Betracht. Eine bestimmte Elektricitätsmenge verlangt nämlich einen und unter Umständen mehrere Drähte von einem bestimmten Querschnitt. Ist letzterer nicht genügend groß, so bringt der Strom den Draht zum Glühen und wohl gar zum Abschmelzen. Ferner hat man durch die Erfahrung gelernt, daß Ströme von niedriger Spannung einen großen Querschnitt verlangen, während Ströme von hoher Spannung sich mit viel dünnerem Drahte begnügen.

Diese Verhältnisse waren für die Lauffener Anlage von Wichtigkeit. Weil die von der Turbine in der Dynamomaschine erregte Elektricität nur von geringer Spannung ist, so hätte man eigentlich für dieselbe eine ungemein theure Leitung verwenden müssen. Man ordnete deshalb gleich neben der Dynamomaschine noch einen Spannungsumwandler (Transformator) an, in welchem sich die niedrig gespannte Elektricität in eine solche von hoher Spannung umwandelte. Diese ist nun befähigt, mit Leitungsdrähten von geringem Querschnitt auszukommen. Während für die Leitung der niedrig gespannten Elektricität, wie sie auf dem kurzen Wege von der Dynamomaschine bis zum Transformator noch vorhanden ist, Kupferkabel mit einem Durchmesser von 27 Millimetern erforderlich sind, genügen für die Fortleitung auf der eigentlichen Leitungsstrecke drei dünne blanke Kupferdrähte von je 4 Millimetern Durchmesser. Trotzdem erreicht die ganze Leitung das bedeutende Gewicht von 60 000 Kilo, entsprechend einem Geldwerthe von 120 000 Mark. Ohne diese Spannungsumwandlung würde die Anlage an der Höhe der Kosten gescheitert sein.

Da nun aber ein Strom von hoher Spannung sich nicht [683] für den praktischen Gebrauch eignet, so ist an der Verwendungsstelle Frankfurt ein zweiter Spannungsumwandler angeordnet, welcher die hochgespannte Elektricität wieder in niedriggespannte verwandelt. Die letztere ist nun gebrauchsfähig und geeignet, ohne weiteres zur Beleuchtung zu dienen. Man kann sie aber auch in eine Dynamomaschine leiten, wo der geheimnißvolle Vorgang der Umwandlung elektrischer in mechanische Kraft noch einmal vor sich geht. Eine Maschine letzterer Art nennt man sekundäre Dynamo, während die in Lauffen die primäre Dynamo genannt wird. Der Kreislauf ist also folgender: 1. Lauffener Turbine als mechanische Kraft; 2. Primäre Dynamo zur Erzeugung der Elektricität; 3. Stromumwandlung zur Erhöhung der Spannung; 4. Streckenleitung; 5. Stromumwandlung zur Erniedrigung der Spannung; 6. Sekundäre Dynamo zur Verwandlung der Elektricität in mechanische Kraft.

Vor dem Versuche hatte man insbesondere von der Neigung des hochgespannten Stromes, sich über die Isolatoren hinüber einen Weg zu bahnen, Schwierigkeiten befürchtet. Indeß hat dieser Umstand nur in geringem Grade Störungen veranlaßt, was wohl in erster Linie dem Umstande zuzuschreiben ist, daß man die Leitungen mit der größten Sorgfalt anlegte und außerdem eine mit Oelrinnen versehene Sicherheitsisolierung benutzte, welche sich gut bewährte.

Was die vielbesprochenen Gefahren der Leitung bei zufälliger Berührung anbetrifft, so sind diese auf derjenigen Strecke überhaupt nicht zu befürchten, wo der Strom die niedrige Spannung hat. Die Leitung für den hochgespannten Strom aber ist innerhalb der Umwandlungsräume sorgfältig in Verschluß gelegt und für Unberufene unzugänglich. Eine Berührung der Leitung mit hochgespannter Elektricität würde freilich unbedingt tödlich sein. Es ist daher bei der Lagerung der Leitung auf der Strecke alle mögliche Sorgfalt verwendet worden, die Drähte ruhen auf zuverlässigen Stangen in acht Metern Höhe. Der Strom kann zudem gebotenen Falls augenblicklich abgestellt werden. Wer also die Gefahr nicht sucht, wird von ihr auch nicht betroffen werden, und die getroffenen Vorkehrungen scheinen um so sicherer, als die Leitung entlang der Bahn angelegt ist und mithin jederzeit unter Aufsicht steht.

Zur Zeit werden von berufenen Technikern unter Mitwirkung der in erster Linie interessierten Staaten Preußen und Württemberg weitere Versuche angestellt, welche den Zweck haben, einzelne Mängel aufzufinden und abzustellen, sowie auch alle Vortheile im Betriebe zu erforschen. Insbesondere gilt es, das Verhalten des „Drehstromes“ näher zu untersuchen, den Dolioo-Dobrowolski, der Oberingenieur der Allgemeinen Elektricitätsgesellschaft in Berlin, vor kurzer Zeit erfunden hat. Dieser Drehstrom scheint wegen seiner vorzüglichen Brauchbarkeit dem Streite zwischen den bisher verwendeten Strömen „Gleichstrom“ und „Wechselstrom“ kurzer Hand ein Ende machen zu wollen und hat zum glücklichen Ergebniß der umliegenden Versuche wesentlich beigetragen.

Es sei hier noch anerkennend hervorgehoben, daß sich die eben genannte Allgemeine Elektricitätsgesellschaft, sowie die Maschinenfabrik Oerlikon-Zürich durch ihre elektrischen Maschinen und Apparate, ferner die Firma F. A. Hesse in Heddernheim durch die Lieferung der Leitung um die technische Ausführung der Anlage besonders verdient gemacht haben.

Und so hoffen wir, daß das mit so vielem Fleiße, so großem technischen Wissen und Können, mit opferwilliger Unterstützung der interessierten Staaten und Freunde durchgeführte Werk auf dem ganzen Erdenrund Anerkennung finden und segensreich wirken werde!

Wird nun aber die Technik bei dem erreichten Ziele stehen bleiben? – Sicherlich nicht! Sehen wir uns doch den jetzigen Kreislauf etwas näher an! Fern im Atlantischen Ocean oder wer weiß wo lockt der warme Sonnenstrahl den Wassertropfen als unsichtbares Gas zum Aether empor. Dort vereinigt sich das Gas mit seinesgleichen zu himmelhohen Wolken, fällt aus großer Höhe als Regen herunter, treibt – etwa in Lauffen – unsere Turbine und fließt dann wieder dem Meere zu. Das ist ein weiter Umweg! Wäre es denn da nicht einfacher, die Wärme der Sonne ohne weiteres in elekrische Kraft zu verwandeln? Was ist Wärme, was ist Licht, was ist Kraft? Die Naturphilosophen vermuthen aus guten Gründen, das sei alles eins und dasselbe, nur in anderer Erscheinungsform. Was ist also anzustreben? Einfach die unmittelbare Uebertragung der Sonnenwärme und Sonnenkraft in eine solche Kraft, wie sie sich für unsere Verbrauchszwecke eignet. Jeder muß sich irgendwo, womöglich auf seinem eigenen Dache, den hellen warmen Sonnenschein sammeln können, ihn aufspeichern, etwa wie wir jetzt in den Speicherbatterien die Elektricität ansammeln, um zu gelegener Zeit damit seine Maschinen, seine Beleuchtung, seine Wärme und Kochvorrichtung in Thätigkeit zu setzen.

Die bisher schon erreichten Ziele sind so überraschend und wunderbar, daß wir schon ein Recht haben, dieser Träumerei ein wenig nachzuhängen. A. Hollenberg.     




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Das Los des Schönen.

Erzählung aus dem achtzehnten Jahrhundert. Von Stefanie Keyser.0 Mit Abbildungen von René Reinicke.

(Schluß.)

Rasche Schritte erklangen auf der Treppe, und ein Offizier trat über die hohe Schwelle. Es war die kräftige Gestalt und das wüste Gesicht dessen, der vorhin auf der Straße so häßlich gelacht hatte. „Besuch?“ fragte er enttäuscht.

„Ein Freund, den ich bei der letzten Aushebung von jungen Mannschaften kennen lernte,“ sagte Altendorn und machte die Herren mit einander bekannt.

Lieutenant von Sorben maß den Inspektor mit einem raschen Blick. „Nun, vor einem Freund werden Sie keine Geheimnisse haben. Ist es wahr, was auf der Parade erzählt wurde? Sind Sie des Teufels, daß Sie sich in das alte Rattennest, in den Pulverthurm versetzen lassen wollen und sogar daran denken, sich dort zu verheirathen?“ Und als Altendorn bestätigend nickte, fuhr er spöttisch fort: „Verlangt mich zu wissen, ob Sie das erreichen werden.“

„Ich bin nicht Leibeigener,“ entgegnete Altendorn kurz.

Ehrhardt bemerkte ein ganz leises Achselzucken des fremden Offiziers; dann fügte derselbe lachend hinzu: „Das Glück kommt immer an den Unrechten. Wenn mir angeboten würde, die ausgezeichneteste Mariage im ganzen Land zu schließen, in Monbijou zu wohnen, das schönste Weib zu haben und die allerhöchste Gunst obendrein zu bekommen, ich würde meine Fortune nicht so von mir stoßen.“

Heinrich hatte sich hoch aufgerichtet. „Wenn wir Freunde bleiben sollen – kein solches Wort mehr!“

Der Andere zuckte abermals die Achseln. Schon wieder im Begriff zu gehen, bemerkte er die blitzenden Sterne auf der Fensterbank. „Dies Souvenir sollte ich kennen,“ meinte er und nahm es in die Hand, bevor Altendorn dazwischen treten konnte.

„Ein Medaillon mit einem pfeildurchbohrten Herzen?“ Er pfiff leise vor sich hin.

„Sie sind unzart, Sorben,“ sagte Altendorn ernst. „Das Medaillon ist verloren worden und wird zurückgegeben werden.“

„Vorausgesetzt, daß es zurückgenommen wird.“ entgegnete der Andere nachdrücklich. Und als Altendorn auffuhr, fragte er kurz: „Wurden Sie etwa bei dem letzten Fest die Diana los, welche auf dem Naturtheater im Schloßgarten Sie schlafenden Endymion embrassierte oder wenigstens embrassieren wollte? Die Darstellung war sehr lebhaft und soll frei erfunden gewesen sein. Denn die Mythologie weiß nichts davon, daß Endymion das Gesicht abwendete und dann eiligst Reißaus nahm.“ Er schlug ein lautes Gelächter auf. „Sind Sie ein Thor! Solche Amourschaft zu refusieren! Das Weib war schön mit dem keuschen Halbmond auf der hohen Frisur und dem kurzgeschürzten Florröckchen. Und wie meisterhaft stellte sie ihre schmachtende Liebe in der großen Pantomime dar!“

Altendorn ballte in zorniger Qual die schlanken nervigen Hände.

„Echauffieren Sie sich nicht,“ beruhigte ihn Sorben, noch immer lachend. „Ich bin überzeugt: das pfeildurchbohrte Herz hat Ihnen Diana heimlich in Ihre Pelztoga gesteckt und Ihr spröder Nacken hat empört das goldene Joch gesprengt.“ Er besichtigte die zerrissene feine Kette, die an dem Medaillon hing.

„Wollen Sie es übernehmen, das verlorene Schmuckstück der Gräfin Wildern im Namen des ehrlichen Finders zu überbringen?“ fragte Altendorn, mühsam seine Fassung bewahrend.

Sorben dachte nach. „Ich werde mich dadurch nicht gerade einschmeicheln, aber das ist mir egal. Lange halte ich mich hier doch [684] nicht mehr, und es soll mir ein Plaisier sein, den Aerger der schönen Personage mit anzusehen.“

Er versenkte das Medaillon in die mit Silber bordierte Westentasche und ging.

Altendorn athmete auf. „Wie will ich Gott danken, wenn all dieses unwürdige Treiben hinter mir liegt!“

Dem Inspektor schnürte eine unbestimmte Angst die Brust zusammen. Würde sein armer junger Freund je dahin gelangen? Welche unheimliche Fäden waren es, die ihn zu umspinnen drohten?

Heinrich kämpfte sichtlich mit sich, er wollte wohl erklären – da knarrte abermals die Treppe. Ein spitzes Klopfen ertönte und hereintrat in goldgesticktem Rock und langer Bratenweste ein älterer Herr mit feinem Gesicht.

„Herr Hofrath!“ rief Heinrich, überrascht dem alten Herrn entgegentretend und sich tief verneigend.

Ehrhardt erwartete, daß der Besuch sich aus seiner gebückten Stellung erheben werde, aber dieser behielt sie bei; der Rücken bildete eine horizontale Linie, nur das Gesicht trug er steil emporgerichtet. Es war die Stellung, in welcher der Hofrath seinem gnädigsten Herrn Vortrag zu halten hatte, und sie war ihm zur andern Natur geworden.

Kühl fragend fiel sein Blick auf Ehrhardt. Als dieser sich zurückziehen wollte, sagte Altendorn: „Wenn des Herrn Hofrathes gütiger Besuch meiner Angelegenheit gilt, so bitte ich, Sie wollen sich nicht abhalten lassen von dero Geschäft. Dieser Herr wird, wenn das Glück mir hold ist, mein Schwager.“

Aus dem kleinen faltigen Gesicht zuckte ein rascher Blick zu Ehrhardt hinüber. „So bitte ich, mich zu pardonnieren und, wenn meine Rede peinlich sein sollte, bedenken zu wollen, daß dieselbe treu gemeint ist. Lieutenant von Altendorn,“ fuhr er sehr ernst fort, „ich komme nicht als Hofrath, der einfach nach Befehl seines Herrn die Supplikanten zu bescheiden hat, sondern als Freund Ihres verstorbenen Vaters. Lassen Sie ab von Ihrem Vorhaben, es führt Sie ins Verderben!“

Heinrich stand ebenso ernst ihm gegenüber. „Ich danke Ihnen von Herzen dafür,“ entgegnete er ehrerbietig, „daß Sie sich der alten Freundschaft erinnern. Aber ich kann die Warnung nicht für mich nutzbar machen. Ich habe gewußt, daß man meinem Entschluß Widerstand entgegensetzen werde, nicht nur von Seiten meiner Vorgesetzten und Kameraden, sondern auch von Seiten der Familie, welcher ein armer Lieutenant ein unwillkommener Schwiegersohn ist. Jedoch es gilt mein ganzes Lebensglück, und so muß ich hier auf meinem Gesuch bestehen, wie ich dort mich bemühen muß, mir Liebe und Anerkennung zu erwerben.“

Die Finger des alten Herrn bewegten sich krampfhaft in den fein gefältelten Manschetten. Er drückte den Degengriff nieder, daß die Spitze hoch empor schnellte. „Hören Sie mich, Heinrich! Ich kann und darf nichts weiter sagen – aber von Lebensglück wird für Sie nach diesem Schritt nicht mehr die Rede sein.“

Ein finsterer Zug trat in Altendorns Gesicht, er schüttelte entschieden den Kopf. „Ich muß auf meinem Gesuch beharren.“

Es arbeitete verzweiflungsvoll in dem Gesicht des alten Herrn. „Und schweigen zu müssen! Nun denn! Erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen sagte,“ sprach er dann mit gepreßter Stimme. „Ich wasche meine Hände in Unschuld. – Er aber, Monsieur,“ wandte er sich an Ehrhardt, „sage Er Seinem Schwiegervater, er soll die Hochzeit nicht beeilen. – Wozu noch mehr Unglückliche machen?“ murmelte er schon im Gehen. Altendorn gab ihm ehrfurchtsvoll das Geleite.

„Es ist so weit gekommen,“ sagte dieser, als er wieder allein mit Ehrhardt war, „daß alles vor einer schönen Schlange zittert. Vergiß die unwürdigen Erörterungen!“

Ehrhardt jedoch blieb nachdenklich. „Die Worte des alten Herrn schienen mir auf etwas Wichtigeres zu deuten als auf die abgewiesenen Zudringlichkeiten eines Frauenzimmers,“ antwortete er kopfschüttelnd.

„O, Du glaubst nicht, wie wichtig gerade solche Dinge von den Hofleuten genommen werden,“ erwiderte Heinrich. „In kurzer Zeit wird diese Wichtigkeit verschwunden und der Altendorn vergessen sein – und das ist alles, was ich wünsche.“

Trotz dieser beruhigenden Worte lastete auf Ehrhardt ein Druck, den er nicht überwinden konnte. Er dankte für die Aufforderung, sich die Residenz zu besehen, schützte die weite Rückreise vor und nahm nur wenige Bissen von dem kleinen Frühstück, das ihm der junge Offizier anbot. Er war froh, als er auf dem Heimweg wieder lostraben konnte. Was lag denn nur Beängstigendes in der Luft dort in der Stadt? –

Auch zu Haus wußte er nicht klar zu sagen, was ihm eigentlich Sorge mache. Selbst unter vier Augen konnte er es seiner Braut nicht begreiflich machen, daß dem Lieutenant eine Gefahr zu drohen scheine. Sie lachte ihn aus. Die Attacke der schönen Frau, die der junge Offizier so mannhaft abgewiesen hatte, machte ihr Spaß. Mit Gewalt konnte diese galante Dame ihn doch nicht in ihr Monbijou schleppen. Der alte Hofrath mit seiner unterthänigen Figur erregte nicht weniger ihre gute Laune. Der würde wohl eine Gänsehaut bekommen haben bei dem bürgerlichen Namen der Braut! Und dann hatte Lotte einiges über ihre Ausstattung mit Ehrhardt zu sprechen, was natürlich auch ihn auf heitere Gedanken brachte.

Und Lida vollends ahnte nichts von Unheil. Sie sammelte Rosenblätter in ihren „Potpourri“ und malte sich aus, wie lieblich der Wohlgeruch sein werde in ihrem zukünftigen engen Stübchen dort drüben hinter dem alten Pulverthurm. –

Endlich kam der entscheidende Brief. Altendorn hatte einen Expreßboten drangewendet, um die Nachricht schnell und sicher an Lida gelangen zu lassen. Er war zu dem Regiment in die Festung versetzt und hatte die Erlaubniß erhalten, sich zu verheirathen.

Wenn der Oberst auch höhnisch gelacht hatte, als er ihm die Eröffnung machte – was kümmerte es ihn, den Glücklichen? Er wollte dem Boten auf dem Fuße folgen, nur vorerst noch die nöthigen Dienstgeschäfte abwickeln und sich in die neue schlichte Uniform kleiden.

Die beiden Mädchen eilten in ihre Kammer. Lida hatte ja noch einen Brief allein für sich zu lesen, und Lotte mußte die Seligkeit mitgenießen.

Die Mutter seufzte und rieb sich die Stirn mit Lavendelwasser. Der Justizamtmann erklärte, er müsse ein Gläschen Aquavit nehmen. Er begab sich hinab in die Apotheke, wo um diese Zeit immer ein Kreis von Honoratioren sich einfand, vor allem der Arzt, der alte „Ueberall und Nirgends“. Und eine Magenstärkung sowohl als eine Zerstreuung konnte er brauchen.

Als er nach einer Stunde zurückkehrte, sah er wunderlich betroffen aus. An der Grabenbrücke des Amtshauses begegnete er dem Inspektor, der eben vom Markt nach Hause ritt. Auch dieser war verstört, und die Hand, welche er dem Schwiegervater vom Pferd herunter bot, zitterte. Die beiden Männer sahen sich in die Augen und nickten dann wie im stillen Einverständniß.

„Ich kann’s da droben nicht sagen,“ begann Ehrhardt und wandte das Gesicht ab.

„Das ist Sache der Mutter,“ erwiderte der Amtmann mit gepreßter Stimme.

Droben schloß er sich mit seiner Frau ein, und bald tönte Schluchzen aus der Studierstube. Aber es sänftigte sich nach nicht zu langer Zeit. Der Zusprache ihres Eheliebsten kam bei der Amtmännin ein Gefühl zu Hilfe, das tief in ihrem Herzen lag.

[685] „Der junge Mann dauert mich vom Grund der Seele,“ sagte er, „und es ist ein großer Schmerz für unsere Lida. Aber es ist – ich möchte sagen ein poetischer Schmerz, wohingegen das Nagen am Hungertuch als ein ganz erbärmliches Schicksal erscheint. Und das wäre doch das Los des armen Kindes gewesen. Theile Lida mit, wie Gott der Herr über ihren Herzenswunsch entschieden hat, und dann – hier liegt Dein Gesangbuch, mein Schatz!“ Er zog die Uhr aus der Tasche. „Es ist Zeit, ins Amt zu gehen; es stehet noch ein Versöhnungstermin. Wo ist meine Allongeperücke und mein Mantel?“




„Verkauft!“ Mit diesem Ausruf stürzte Altendorn am Nachmittag in Ehrhardts Stube. „Verkauft! Siebentausend Mann verhandelt an England, um in Amerika die aufständischen Kolonien niederwerfen zu helfen! Hohn des Schicksals! Gegen die sollen wir kämpfen, welche jedem Menschen das Recht auf sein armes Leben zusprechen.“

Ehrhardt drückte ihm die Hand, zu antworten vermochte er nicht.

Mit versagender Stimme erzählte Altendorn: „Zugleich mit mir traf bei dem Regiment in der Festung der Befehl ein, sich marschbereit zu machen. In der Residenz werden die verhandelten Truppen zusammengezogen. Nicht ganz tausend Thaler für den Mann ist der Preis.“ Er drückte die Faust vor die Stirn. „Giebt es denn kein Mittel, aus diesem Elend loszukommen?“

Man sah ihm an, wie er seinen Kopf zermarterte, um einen Ausweg für sein Herz zu finden. Er konnte doch nicht desertieren, der Fahne, dem Herrn, denen er Treue geschworen, den Eid brechen! Und dann wäre ihm auch kein anderes Schicksal gefallen als das, welches jetzt über ihn verhängt war: er hätte in fremdem Land seinen Degen verdingen müssen.

Dem Inspektor schnürte der Jammer die Brust zusammen. „So nimm Deinen Abschied, armer Freund,“ brach er aus. „Ich gebe Dir Unterkunft, bis Du ein Plätzchen gefunden hast, auf dem Du Fuß fassen kannst. Ich vermag das mit Hilfe der amerikanischen Frucht. Suche Dein tägliches Brot da, wo es aus der guten Mutter Erde heraus wächst!“

Heinrich wehrte verstört mit der Hand ab. „Halte mir nicht das Paradies Deiner Tagelöhner vor Augen. Ich kann meinen Abschied nicht nehmen, der Preis dafür ist zu hoch. Er ist mir bereits gestellt worden durch ein Billet, welches der Kurier zugleich mit dem Befehl zum Ausmarsch mir überbrachte. Ich soll zurückversetzt, verabschiedet werden, ganz nach meinem Belieben, wenn ich“ – Ekel verzerrte sein Gesicht – „wenn ich die Wildern heirathe. Du siehst, mir ist nicht zu helfen. Und es ist gut, daß ich in den Tod geschickt werde; denn Lida ist für mich verloren. Ich thörichter Knabe! Bin ich denn von Sinnen gewesen, als ich das Schicksal eines edlen Mädchens an das meine fesseln, Lida aus frohen glücklichen Verhältnissen in mein armseliges Dasein hineinziehen wollte?“ Er schlug sich vor die Stirn.

„Lieber Gott!“ rief Ehrhardt, „mache Dir doch aus der menschlichsten Empfindung keinen Vorwurf! Wenn man sich verliebt, will man heirathen.“

„Hat ein solcher Sklave wie ich ein Recht auf menschliches Empfinden?“ fragte Heinrich mit einem Ausdruck von Hohn, den Ehrhardt diesem sanften Gesicht nie zugetraut hätte. „Auf keinen der jungen Burschen hat der hohe Handelsherr ein so gutes Recht als auf mich. Er hat mich gefüttert von Kindheit auf und verschachert mich nun wie Du Dein –“

„Ich bitte Dich,“ wehrte Ehrhardt entsetzt ab.

„O!“ lachte Altendorn höhnisch, „der Kriegsheld unseres Jahrhunderts, der große König Friedrich von Preußen, hat es offen ausgesprochen, als man wegen unseres Durchzuges durch sein Land verhandelte. Voll Verachtung hat er gesagt, es sei billig, daß er von den durch sein Land ziehenden Soldaten des Fürsten den Viehzoll erhebe, da sie ja wie Vieh verkauft würden.“ Er stampfte mit dem Fuß auf.

Den Inspektor schüttelte ein Frost. „Trage es wie ein Mann!“ stieß er hervor.

Heinrich rang nach Fassung. „Es bleibt mir nichts weiter übrig,“ entgegnete er mit zuckenden Lippen. Er drückte die Hand vor die Augen und beugte das Haupt dem Schicksal.

„Wissen Sie es drüben?“ fragte er tonlos nach einer Weile.

Ehrhardt nickte.

Altendorn raffte sich auf. „Ich muß ein Ende machen, mich allen so schnell als möglich aus den Augen bringen. Es ist das Einzige, was ich noch für die von mir so unbesonnen in widrige Verhältnisse gestürzte Familie thun kann.“ Er hakte den Degen ein und nahm den schlichten, mit eisenbeschlagener Krempe versehenen Hut. –

Heute sah es anders aus in der Familienstube als damals, da Heinrich sie zum ersten Male betrat. Am Fensterplatz bei dem Spinett lag Lida zusammengesunken in dem Sessel, während Lotte mit rothgeweinten Augen neben ihr stand, ihr Haupt stützend und streichelnd. Die stattliche Frau Amtmännin trug noch die Morgenhaube und verhüllte beim Eintritt des Offiziers aufs neue das verweinte Gesicht. Der Hausherr, der an den Anblick von menschlichem Elend gewohnt war und auf seinem verantwortungsvollen Posten gelernt hatte, sich zu beherrschen, kämpfte doch sichtlich mit seiner Bewegung beim Anblick des unglücklichen jungen Mannes, den er vor kurzem noch in voller Jugendfreude gesehen hatte.

Und es war auch ein anderer, der eintrat, um ewigen Abschied zu nehmen. Die Sorgen der letzten Zeit, der schwere Schicksalsschluß, der über ihn ergangen war, hatten die weichen Züge geschärft, die jugendliche Gestalt gefestigt. Der Jüngling war zum Manne geworden. Wohl wurde sein Antlitz noch einen Schein bleicher, als er Lida erblickte. Sein ganzes Herz trat in seine Augen. Er hätte hinfliegen, niederknien, sie in seine Arme schließen mögen. Aber er bezwang sich. Er hatte kein Recht mehr auf sie. Gefaßt trat er zum Justizamtmann. „Vergeben Sie mir,“ sprach er in bebendem Tone, „daß ich in Ihr friedliches Heim das Unglück getragen habe. Gott weiß es, mein Herzblut würde ich gern darum geben, könnte ich damit das Gedenken an mich aus Ihrem glücklichen Familienleben verwischen.“

Lida hatte sich bei seinen Worten aufgerichtet; jetzt kam sie mit fliegenden Schritten heran.

„Heinrich, das könntest Du wollen?“ rief sie. „Du könntest mir das Höchste nehmen wollen, was ich besitze, die Erinnerung an Dich? – Und Du bittest um Verzeihung? Ich danke Dir, o, ich danke Dir für alles Glück, das Du mir gabst, das mein Dasein verklärte, mir den wahren Inhalt des Lebens erschloß. Wenn auch ewiger Verzicht das Ende ist, Deine Liebe bleibt doch die Krone meines Lebens.“

Da breitete er die Arme aus, sie sank an sein Herz und legte das Haupt an seine Brust. So standen sie still, kaum athmend, ein seliges Lächeln auf den Lippen. Hoch über den Erdenschmerz trug ihre Liebe sie empor.

Dann nahmen sie in einem langen, langen Kuß Abschied für – wie sie fest glaubten – nur für diese Zeitlichkeit. – –

Der Fächer war das letzte Erinnerungszeichen, welches sie von ihm erhielt. Er sandte ihn durch Ehrhardt, der es nicht hatte über das Herz bringen können, den rasch gewonnenen und ebenso [686] rasch verlorenen Freund ohne ein Lebewohl ziehen zu lassen, dem Einsamen nicht noch einmal zu sagen, daß eine Stätte bleibe, wo er nie würde vergessen werden. Als schon die Trommeln Lärm schlugen, übergab ihm Heinrich das schlichte Geschenk. Er hatte das Lied, dessen wehmüthige Melodie seine und Lidas Liebe begleitete, darauf geschrieben, und jenen kleinen Vers hinzugedichtet.

Ehrhardt sah ihn dann ausmarschieren. Still und gefaßt führte der Lieutenant seinen Zug hinweg.

Auf dem Balkon von Monbijou beugte sich das schöne Weib heraus; schwarzer Trauerflor mit bleichen Perlen war zu hohen Puffen auf das Haupt gethürmt, die Watteaufalte des dunkelvioletten Kleides flog wie ein Trauermantel hinter ihr her. Sie lehnte sich weit über das vergoldete Gitter, sie warf ein Papier herab, das, an einem kleinen vergoldeten Pfeil befestigt, gerade auf die Hand des jungen Offiziers fiel, die den gezogenen Degen hielt. Ohne aufzusehen, schüttelte der es ab, als sei es ein widriger unreiner Gegenstand.

Der Offizier mit den wüsten Augen, der mitging, um in der neuen Welt Fortune zu machen, hob das Zettelchen auf.

„Noch ist es Zeit,“ las er und sah höhnisch nach dem Balkon zurück, wo eben die Gräfin halb ohnmächtig in die Arme ihrer Kammerzofe glitt. Sein rauhes Lachen verklang in dem Rasseln der großen Trommeln.

Heinrich aber ging mit dem leichten eleganten Schritt, welcher den Offizieren der Leibgarde eigen war, davon, auf Nimmerwiederkehr. – –

Es ist keine Nachricht von ihm zurückgekommen. Doch wenn von Spiritismus und Geisteroffenbarungen die Rede ist, dann wird eine alte Familiengeschichte erwähnt, wonach einst ein nach Amerika verkaufter Offizier seiner Braut Anzeige gethan habe, als er starb. Im Mondschein saß sie am Fenster und gedachte seiner. Da flog es plötzlich wie eine Geisterhand über die Saiten des Spinetts, in langer Skala die Töne streifend, gleich einem Hauch verwehend. Von jener Stunde an war sie überzeugt, daß er von dieser Erde geschieden sei, und auch ihre minder gläubigen Angehörigen kamen zu demselben Schluß, als nach Monaten die Zeitungen über eine große Schlacht berichteten, welche in jenen Tagen die verkauften Soldaten für die Engländer geschlagen hatten.

Auch für Lida war das Leben kurz bemessen; sie hatte das traurig schöne Schicksal derer, die früh sterben, sie lebte in der Erinnerung ihrer Angehörigen als jugendliche Gestalt fort, der einzige wehmüthige Schatten in dem glücklich aufblühenden Familienkreis Lottens, die es wirklich infolge der Erdtoffeln ihres Eheherrn bis zur Frau Domänenräthin brachte. –

Eine letzte Spur von Lidas Dasein zeigt die alte Ausgabe des „Messias“, die ihren Namen als den der Eigenthümerin trägt. Mit nun vergilbter Tinte sind die Verse der sterbenden Maria, der Schwester der geschäftigen Martha, angezeichnet:

„Traum, der mit Weinen begann und endet mit dem Weinen des Todes,
Traum des Lebens, du bist ausgeträumt.“


*               *
*


Der Mond ist am Himmel höher gestiegen, sein Strahl aus dem Zimmer verschwunden. Der Fächer mit seinem verblichenen Verslein ist zurückgesunken in die Dunkelheit wie das arme junge Paar, von dessen Liebe er nach einem Jahrhundert noch Zeugniß ablegt. Aber auch jener Herrscherstamm ist von der deutschen Erde verschwunden, der einst seine Wasserkünste mit dem Schweiß der Unterthanen, mit ihren Thränen bezahlte. An der Grenze, welche die an England verhandelten Deutschen passierten, hält jetzt der Reichsadler Wacht, daß nicht die Knochen eines einzigen Musketiers fremdem Vortheil geopfert werden.


Blätter und Blüthen.

Die fünfundsiebzigjährige Jubelfeier des ältesten deutschen Turnvereins. (Mit Abbildungen auf S. 669 und 687.) Die freie Hansestadt Hamburg beging den diesjährigen Sedantag außer durch ein allgemeines vaterländisches Erinnerungsfest noch in besonderer Art, unter lebhafter Betheiligung der Bevölkerung wurde das fünfundsiebzigjährige Jubiläum der „Hamburger Turnerschaft von 1816“ gefeiert. Auch an einem bleibenden sichtbaren Zeichen dieser Theilnahme fehlte es nicht: unsere Abbilduug auf der folgenden Seite stellt das Gruppenstandbild dar, das Angehörige und Freunde der Turnerschaft spendeten und das jetzt die Außenseite der großen Turnhalle auf der Kaiserwiese in der ehemaligen Vorstadt St. Georg schmückt.

Das durch den Meißel des hamburgischen Bildhauers Engelbert Peiffer aus rothem Sandstein geschaffene Standbild wurde schon am Sonntag den 30. August in festlicher Weise enthüllt. Es verkörpert die kräftige Gestalt des Altmeisters Jahn; ihm zur Rechten und Linken erheben sich zwei jugendliche Turner, der eine, von Hanteln, Sandsack des Springtaues und anderem Turngeräth umgeben, schwingt den Ger empor, der andere ist dargestellt als zur Wanderschaft gerüstet, sei es zur fröhlichen Turnfahrt, sei es, nur hinauszuziehen in die Welt und die vom Vater Jahn neu verkündete Lehre weiter zu tragen in andere deutsche Gaue.

Ein glücklicher Gedanke ist hier vom Künstler zum Ausdruck gebracht worden. Denn in dem Denkmal spiegelt sich gerade die Geschichte der hamburgischen Turnerschaft von 1816. Einmal haben die Hamburger Turner das Vermächtniß des Alten im Bart allezeit hochgehalten; sie haben sich stets vaterländische Gesinnung bewahrt, und welche Musterriegen sie zu stellen vermögen, das hat manches deutsche Turnfest bewiesen. Und dann war der Gründer dieser Turnerschaft eben ein Jüngling, der auf der Hasenheide bei Berlin vom Vater Jahn selbst die Unterweisung in der edlen Turnkunst erhielt und darauf, kaum 18 Jahre alt, in die Ferne wanderte, um den mitgebrachten Keim weiter zu verpflanzen, wohl kaum ahnend, daß das zarte Pflänzchen dereinst zu so stattlichem Baume emporwachsen werde.

Wilhelm Benecke hieß dieser junge Mann, der am Tage der Schlacht bei Waterloo, am 18. Juni 1815, in Hamburg ankam und in das kaufmännische Geschäft eines Senators eintrat. Er ließ sich auf eigene Kosten das nothwendigste Turngeräth anfertigen, um bald darauf im Garten einer befreundeten Familie mit seinem Landsmann Karl Krutisch, der ebenfalls Jahns Schüler gewesen war und in den Befreiungskämpfen mitgefochten hatte, sowie mit etwa 30 sonstigen Genossen in frischem Turnen Muskeln und Sehnen zu stärken.

Durch Anschluß an die Turnanstalt eines Fechtlehrers Nicolai gelangte die lose Vereinigung zu einem Turnboden, und als Nicolai bald einem anderen Erwerbe nachging, ward das Turnen in Hamburg zu einer rein gemeinnützigen Sache, der jede Absicht auf Geldgewinn fern lag. Sehr zu statten kam es der jungen Genossenschaft, daß am 21. September 1816 Blücher, der gefeierte Marschall „Vorwärts“, bei einem Besuche Hamburgs auch auf dem Turnplatze erschien. Der Alte zollte dem munteren Treiben seine Anerkennung und fügte das Mahnwort hinzu: „Glauben Sie mir, es giebt Augenblicke, wo der Mensch sich auf niemand als auf sich selbst verlassen kann, und wehe dann dem, der nicht zur rechten Zeit seinen Körper brauchen gelernt hat!“ –

In welch erfreulicher Weise schon nach Jahresfrist der schnell emporblühende Verein in der ihm von den Behörden bereitwillig eingeräumten ehemaligen St. Johanniskirche seine Uebungen fortsetzen konnte, das schildert lebenswahr ein Abschnitt des zur Jubelfeier erschienenen trefflichen Werkes: „Die Hamburger Turnerschaft von 1816, von ihrer Begründung bis zur Gegenwart“, im Auftrage des Turnrathes verfaßt von Karl Schneider (Kommissionsverlag von Otto Meißner in Hamburg). Das Buch bietet ein anschauliches Bild der Schicksale des Vereins, dem in wechselnder Fluth und Ebbe mancherlei Freud’ und Leid beschert ward, je nach den Zeitverhältnissen. Wohl gereicht es dem Hamburger Gemeinwesen zu hoher Ehre, daß es selbst in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts, wo alle preußischen Turnplätze als Nester staatsfeindlicher Bestrebungen geschlossen wurden, seinen Turnvereinen eine Freistatt bewahrte, aber damals wie in späteren bewegten Tagen hielten viele sorgende Eltern ihre Söhne vom Besuche des Turnplatzes zurück, so gab es 1831 ein Vierteljahr, in dem nur sieben Mitglieder der Turnerschaft Beiträge zahlten.

Trotz aller einzelnen Rückschläge stieg indessen im Lauf der Jahre die Zahl der Mitglieder beständig, selbst als nach dem Vorbilde dieser ältesten Turnerschaft sich noch manche andere Vereine mit dem gleichen Zweck bildeten. 1891 zählte die Turnerschaft von 1816 1243 erwachsene Mitglieder, 835 Knaben, 301 Damen, 544 Mädchen, zusammen 2923 Theilnehmende, eine stattliche Schar!

Die Betheiligung der Damen und Mädchen am Turnen, die seit 1889 eingeführt ist, gab auch dem Jubiläum am 2. September ein besonderes Gepräge. Die Damen- und Mädchenabtheilungen traten beim öffentlichen Hauptturnen unter freiem Himmel mit in die Reihe und führten Freiübungen und Reigen mit Gesangbegleitung vor. Der Erfolg war ein überraschend günstiger, er wird dazu beitragen, die noch vielfach vorhandenen Vorurtheile gegen das ungemein nützliche Turnen des weiblichen Geschlechtes zu besiegen.

Hamburgs Turnerschaft von 1816 blickt auf eine lange ehrenvolle Vergangenheit zurück, und viele Ehrenbezeigungen wurden ihr am Jubelfeste von nah und fern erwiesen. Ihr Stolz und ihre Freude wird sein, es auch ferner zu Ehren zu bringen, das Werk des Vaters der deutschen Turnerei, des Altmeisters Jahn! G. K.     

Zur Frauenfrage. „Und ihre Zahl ist Legion,“ wird man bald sagen können beim Anblick der steigenden Fluth von Schriften für und gegen das Frauenstudium. Auf der einen Seite die Vertreter der „guten alten Zeit“, welche alle Schuld in der modernen Erziehung suchen und alles Heil von der Rückkehr zu stiller bescheidener Weiblichkeit erwarten, auf der andern die Vorkämpfer und Vorkämpferinnen der Emanzipation [687] mit dem Anspruch der Gleichberechtigung, weil Gleichbefähigung der Frauen zu jedem wissenschaftlichen Berufe. Wo solche Extreme gegeneinander stehen, thut verständige Vermittlung noth, denn nur durch sie wird das Erreichbare bestimmt und vertreten. In diesem Sinne hat sich auch die „Gartenlaube“ in Nr. 40 des vorigen Jahrgangs ausgesprochen. Als ein weiteres höchst beachtenswerthes Mahnwort zur Mäßigung nach beiden Seiten ist neuerdings eine kleine Schrift unter dem oben genannten Titel von Dr. Philadelphos (Berlin, L. Oehmigke’s Verlag) erschienen. Sie stellt alle Hauptpunkte der Frauenfrage richtig und bezeichnet mit voller Klarheit die beiden Ziele, welche auch unserer Ansicht nach allein mit Aussicht auf Erfolg anzustreben sind: das erweiterte Lehrfach für Frauen und die weibliche Arztesthätigkeit für das eigene Geschlecht, die Kinder und weiblichen Irren.

In ruhiger und klarer Weise knüpft der Verfasser diese Forderungen der Neuzeit an die von alters her dem weiblichen Geschlecht zugeschriebene Fähigkeit zur Krankenpflege und Kindererziehung an, indem er treffend nachweist, daß veränderte Zeiten veränderte Lebensformen fordern. Auch der unsinnigen, so oft wiederholten Behauptung tritt er entgegen, daß die moderne Erziehung allein die seltenere Eheschließung verschulde, indem er mit Beziehung auf die von den Emanzipierten immer so hartnäckig außer acht gelassenen Klöster des Mittelalters den Frauenüberschuß auch jener Zeiten nachweist und den sehr richtigen Satz ausspricht: „Die Stellung des unverheirateten Weibes liegt in der Kulturentwickelung der Menschheit so tief begründet, daß sie bei näherer Betrachtung als nothwendige Ausnahme in der Gesellschaft erkannt werden muß.“ Hieraus folgen aber die Pflichten der Gesellschaft für die dem Ganzen dienenden Einzelnen von selbst.

Es sind in vorliegender Schrift so viel gute und eigenthümliche Gedanken ausgesprochen im Gegensatz zu den anderwärts mit ermüdender Einförmigkeit wiederkehrenden Argumenten, daß wir sie allen denen zur Kenntnißnahme empfehlen, welche zu der schwierigen Frauenfrage öffentlich oder privatim Stellung zu nehmen haben. Die Schlußvorschläge des Verfassers, auf dem ganzen Stand der Dinge fußend, halten sich auch nur an das Einfache, Erreichbare, und es gehört keine große Prophetengabe dazu, um zu sagen: dies wird verwirklicht werden, denn das Bedürfniß der Zeit drängt dazu! Bn.

Das Standbild Jahns an der Turnhalle auf der Kaiserwiese zu Hamburg.
Nach einer Photographie von G. Koppmann u. Comp. in Hamburg.

Bildermappe für Kunstfreunde. Um den vielfach geäußerten Wünschen der Leser unseres Blattes entgegenzukommen, hat sich die Verlagshandlung von Ernst Keil’s Nachfolger entschlossen, eine Auswahl der besten doppelseitigen Holzschnitte der „Gartenlaube“ in gediegener Ausstattung für sich als besondere „Bildermappe für Kunstfreunde“ herauszugeben. In der That gewähren die schönen Schnitte in dieser neuen Gestalt einen künstlerischen Anblick, und der billige Preis – eine Lieferung mit fünf Blättern kostet nur eine Mark – wird es vielen ermöglichen, die Bildermappe, sei es zu eigenem Genuß oder als willkommenes Geschenk für andere, zu erwerben. Insbesondere bietet diese Sammlung auch den erst neuerdings eingetretenen Abonnenten der „Gartenlaube“ Gelegenheit, sich die hervorragendsten bildlichen Schmuckstücke der früheren Jahrgänge nachträglich zu verschaffen. So möge denn die Bildermappe unter den kunstsinnigen Lesern der „Gartenlaube“ einer günstigen Aufnahme begegnen!

Kavallerie beim Flußübergang. (Zu dem Bilde S. 681.) Unter den mancherlei Uebungen, durch welche unsere Armee ihre bewährte Kriegstüchtigkeit zu erhalten und zu erhöhen bemüht ist, spielen dermalen die Schwimmübungen der Kavallerie eine Hauptrolle. Es handelt sich dabei weniger um das Schwimmen der Mannschaft, das ja bei der Infanterie nicht minder eifrig betrieben wird, als vielmehr um das der Pferde. Die vielverbreitete Annahme nämlich, daß das Pferd wie so manches andere Thier die Kunst des Schwimmens auf Grund eines ererbten Instinktes mit zur Welt bringe, ist nicht durchweg zutreffend, ganz abgesehen von den besonderen Umständen, die als erschwerend oder richtiger beschwerend für das Militärpferd in Betracht kommen. Selbst das nackte reiterlose Pferd zeigt bei seinen ersten Schwimmversuchen nicht selten eine Ungeschicklichkeit, durch die es ohne die Nachhilfe des Menschen unfehlbar zu einer Beute des nassen Elements würde, sind ja doch dergleichen Unfälle sogar bei den mit äußerster Vorsicht geleiteten militärischen Uebungen nicht ganz zu vermeiden.

Der Gang dieser zunächst im kleineren Verband vorzunehmenden Uebungen ist nun im allgemeinen der folgende: An einer Stelle des Flußlaufs, welche durch nicht zu steile Uferwände und eine allmähliche Vertiefung des Bettes dem Versuch besonders günstig ist, werden durch Spannen einer Leine und Bereitstellung von Kähnen die nöthigen Vorsichtsmaßregeln getroffen; dann geht man daran, die schon geübten älteren Pferde hinter den Reitern und in ihrem Gefolge die weniger sicheren ohne Reiter über den Fluß zu treiben. Ich sage, zu „treiben“, weil in den meisten Fällen bei den Thieren eine gewisse Wasserscheu zu überwinden ist, die den Gebrauch der Peitsche nothwendig macht. Am stärksten äußert sich diese Eigenschaft bei den jüngeren Pferden, die beim Uebersetzen entweder vom Kahn oder vom andern Ufer aus mittels der Leine geleitet, oft auch förmlich gezogen werden müssen. Diese Scheu vermindert sich jedoch bei häufiger Wiederholung der Uebung, ja wenn die Uebungen in der Nähe der Garnison statt finden, schlägt sie oft schon beim Uebersetzen vom jenseitigen Ufer aus, dank der unglaublichen Stallwitterung dieser Thiere, in ihr gerades Gegentheil um und das anfangs so störrische Roß stürzt sich jetzt mit dem Wagemut eines Leander, dem Heros Fackel winkt, in die Fluth. Allein auch dieses Uebermaß des Temperaments muß gezügelt werden, soll es nicht Roß und Reiter in Gefahr bringen.

In allmählichem Fortschreiten werden nun alle Pferde mit Sattel und Gepäck und schließlich auch mit dem Reiter belastet, nur das Kandarengebiß bleibt gewöhnlich fort, um dem Thier das Athmen zu erleichtern. Einer nicht geringeren Uebung als das Pferd bedarf indessen auch der Reiter, von dessen Verhalten sehr viel für das Gelingen der Sache abhängt. Er hat das Pferd mit lockerem Trensenzügel zu leiten, ohne jedoch zu gestatten, daß es den Kopf zu tief senkt, sich bei seichtem Wasserstand niederlegt und wälzt, wozu es meist große Neigung hat: er muß es antreiben, ohne es doch durch den Sitz allzusehr zu beschweren und in der freien Bewegung zu hemmen; insbesondere aber hat er den Blick immer vorwärts und nicht auf den Wasserspiegel zu richten, um sich selbst vor Schwindel zu bewahren.

Unser Bild zeigt eine solche Uebung schon in einem vorgeschrittenen Stadium, wobei immerhin noch einige der vorerwähnten Schwierigkeiten zu erkennen sind. Von welcher Wichtigkeit solche Uebungen für die Kavallerie sind, die im Krieg dem Gros der Armee oft mehrere Tagemärsche voraus ist, braucht kaum angedeutet zu werden. Allerdings werden im Kriegsfall in Feindesland nicht immer Kähne und sonstige Fahrzeuge zur Stelle sein, um ein Uebersetzen der Mannschaften, wie es die Scene oben aus unserer Abbildung zeigt, zu ermöglichen. Das letzte Ziel dieser Uebung bleibt daher immer das freie Durchschwimmen des Stromes, wobei das Roß den Reiter mit Waffen und Gepäck ans andere Ufer zu tragen hat, eine gefährliche Sache, deren Ausführung, wie die Erfahrung lehrt, nur unter ganz günstigen Umständen ohne Verlust an Menschen und Pferden möglich ist, im Krieg aber leicht zur Nothwendigkeit werden kann. Liegt eine solche Nothwendigkeit nicht vor, so wird auch die Kavallerie das Herankommen der mit dem nöthigen Material versehenen Pioniere, sofern ihr solche nicht vorher schon zugetheilt sind, abwarten und dann auf einer [688] rasch geschlagenen Schiffbrücke das Hinderniß baldigst passieren können. Auch diese meist im Gänsemarsch sich vollziehende Art des Flußübergangs, wobei der abgesessene Reiter sein von dem heftig polternden Geräusch leicht erschrecktes Thier mit großer Vorsicht zu führen und vor Seitensprüngen zu bewahren hat, veranschaulicht unser Bild, welchem die neuliche Uebung zweier Gardekavallerieregimenter an der Havel zwischen Heiligensee und Nieder-Neuendorf zur lebendigen Vorlage gedient hat. C. H.     

Eine billige Volksausgabe von Körners Werken. Jetzt, wo aus Anlaß des Körnerjubiläums die Werke des Dichters aufs neue Gegenstand allgemeiner Beachtung geworden sind, dürfte es dankbar begrüßt werden, daß der Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart eine äußerst billige Ausgabe der Körnerschen Schriften hat erscheinen lassen: sie umfaßt vier Theile in guter Ausstattung, die in zwei Bänden gebunden, zusammen nur zwei Mark kosten und so eine gediegene Volksausgabe bilden, auf welche wir unsere Leser aufmerksam machen.

Der Kinetograph. Jetzt werden bald die Theaterkritiker von ihren Zimmern aus ihr Amt versehen und den Vorstellungen der Bühne beiwohnen können. Der Erfinder des Phonographen, Edison, hat einen Kinetographen erfunden. der zu den modernen Wundern gehört, mit denen uns geniale Köpfe durch geistreiche Anwendung der Naturkräfte überraschen. Nach Edisons eigenen Aeußerungen ist der Kinetograph eine Maschine, welche das System des Phonographen mit der Photographie verbindet, so daß jemand in seinem Zimmer sitzen und auf einem gespannten Leinenschirm die nach photographischen Aufnahmen reproduzierten Bilder vergangener Theatervorstellungen, alle Bewegungen der Schauspieler etc. genau sehen sowie gleichzeitig aus dem Phonographen die Stimmen der Sänger und die Musik einer Oper genau hören kann. Jede Bewegung der Gesichtsmuskeln wird bis ins kleinste wiedergegeben. Ein Faustkampf kann in der Art vorgeführt werden, daß man nicht nur jeden Schlag deutlich sieht, sondern selbst dessen Geräusch hört. Der Apparat wird auf einen Tisch vor der Bühne hingestellt; er photographiert die szenischen Bilder, also vor allem die Bewegungen der Schauspieler in einem Tempo von 46 Eindrücken in der Sekunde und nimmt zugleich den leisesten Laut auf. Die Photographien werden dann entwickelt, und eine Projektionslinse tritt in dem Apparat an die Stelle der photographischen. Richtet man nun die Photographie her und bringt ein Calciumlicht zum Brennen, so kann die ganze Scene in dem Zimmer eines Privatmannes wiedergegeben werden, und zwar noch nach Jahren und so oft man will, da die Abdrücke dauernd sind. Des Mimen flücht’ge, an den Augenblick gebundene Kunst gewinnt daher Dauer in einer bisher nicht geahnten Weise, und nicht weniger wird das Gesichterschneiden des Stümpers, jede seiner falschen Betonungen verewigt. Wie leicht hat es da die Theaterkritik der Zukunft! †     

Der Brunnen beim „Bürgerbräu“ auf der elektrotechnischen Ausstellung
in Frankfurt a. Main.

Nach einer Zeichnung von O. Flecken.

Ein „Charakterkopf“ von der Frankfurter Ausstellung. Er ist ein wenig anders, dieser altbayerische Charakterkopf, als diejenigen, welche wir sonst schön auf Leinwand verewigt in den Ausstellungen treffen; er ist derber, ursprünglicher, kurz „naturalistischer“. Dafür steht er aber auch im Dienst der Elektricität und schmückt nicht etwa die langen Wände irgend eines dumpfen Gemäldesaals, sondern erhebt sich in vollem „Freilicht“ mitten in der Frankfurter elektrotechnischen Ausstellung, auf der Terrasse des „Bürgerbräu“, umgeben von frischem lebendigen Grün. Sein Kopf ist hohl, das kommt aber auch bei anderen Leuten vor – allein dennoch spendet er Licht in der Dunkelheit ringsum und weiß anziehend zu beleuchten – das kann man nicht von allen Köpfen mit dieser Eigenschaft sagen. Nur geht das Licht leider nicht bloß von den blitzenden Augen aus, sondern noch mehr von der Nasenspitze, was auf eine bedenkliche Verwandtschaft zwischen dem Illuminieren und dem Illuminiertsein hinweist und andeutet, daß zu einem Charakterkopf gelegentlich auch ein Charakterzopf gehören kann. Doch – werfen wir keinen Stein auf den Edlen, wir könnten sonst die elektrische Lampe zerstören, die in der Höhlung des Kopfes angebracht ist und durch Oeffnungen an den Augen und an der Nasenspitze ihre Strahlen ausschickt.

Die Erreger des Wundstarrkrampfes in unseren Wohnungen. Der Wundstarrkrampf oder Tetanus ist unseren Lesern aus dem Artikel in Nr. 5 dieses Jahrgangs zur Genüge bekannt. Die neuere Forschung hat nun ergeben, daß der Bacillus, der ihn erzeugt, leider ein sehr häufiger Hausgenosse des Menschen ist. H. Heinzelmann hat neuerdings den Fehlboden einiger Häuser in München daraufhin untersucht. Der Fehlboden ist der Raum unter der Diele zwischen zwei Stockwerken, der eigentlich reinen Sand oder dergleichen enthalten sollte, thatsächlich aber mit Schutt und anderen unreinen Stoffen ausgefüllt wird. Heinzelmann untersuchte nun die Fehlböden von 13 Münchener Häusern, von denen 2 bewohnt, die übrigen zum Abbruch bestimmt waren. Er fand neunmal in diesen Fehlböden Tetanusbacillen, welche ihre volle krankheitserregende Kraft besaßen und bei Kaninchen, Meerschweinchen und Mäusen Wundstarrkrampf erzeugten. – Die Hygieine hat schon wiederholt auf die Gefahren hingewiesen, welche ein unzweckmäßiger Fehlboden als Brutstätte von Bakterien mit sich bringt. Die Untersuchungen Heinzelmanns bringen einen neuen Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung und mahnen dringend zur Herstellung eines für Luft und Wasser, also auch für Bakterien, undurchdringlichen Fußbodens, sowie zur Füllung des Fehlbodens mit reinem Material. *      


Kleiner Briefkasten.

Marie H. in L. Neben den in unserem Artikel in Nr. 31 dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“ genannten Orten erfreut sich unter anderem auch Leipzig einer Koch- und Haushaltungsabendschule für Fabrikarbeiterinnen, welche unter der Leitung von Frau Auguste Busch daselbst sehr gute Erfolge erzielt.

Räthselfreund in Aarau. Ihr Wunsch kann leider nicht erfüllt werden!


Inhalt: Ein Götzenbid. Roman von Marie Bernhard (4. Fortsetzung). S. 669. – Das 75jährige Stiftungsfest der Hamburger Turnerschaft von 1816. Die Stabübungen beim Hauptturnen. Bild. S. 669. – Rückkehr von der Sommerreise. Bild. S. 672 und 673. – Notturno. Bild. S. 677. – Aus Laubes poetischer Jugendzeit. Von Johannes Proelß. S. 678. – Kavallerie beim Flußübergang. Bild. S. 681. – Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit. Die elektrische Kraftübertragung. Von A. Hollenberg. S. 682. – Das Los des Schönen. Erzählung aus dem achtzehnten Jahrhundert. Von Stefanie Keyser (Schluß). S. 683. Mit Abbildungen S. 684 und 685. – Blätter und Blüthen: Die 75jährige Jubelfeier des ältesten deutschen Turnvereins. S. 686. Mit Abbildungen S. 669 und 687. – Zur Frauenfrage. S. 686. – Bildermappe für Kunstfreunde. S. 687. – Kavallerie beim Flußübergang. S. 687. (Zu dem Bilde S. 681.) – Eine billige Volksausgabe von Körners Werken. S. 688. – Der Kinetograph. S. 688. – Ein „Charakterkopf“ von der Frankfurter Ausstellung. Mit Abbildung S. 688. – Die Erreger des Wundstarrkrampfes in unseren Wohnungen. S. 688. – Kleiner Briefkasten. S. 688.




WS: Verlags-Werbung Ernst Keil's Nachfolger, wird nicht transskribiert.



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.