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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1891
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[485]

Nr. 29.   1891.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Baronin Müller.

Roman von Karl v. Heigel.

(2. Fortsetzung.)

Der Lieutenant ließ es sich nicht nehmen, die Familie seiner Braut nach der Burg zu begleiten. Als sie oben das Thor erreicht hatten, bestand der Amtsrichter darauf, Helmuth den Burghof bei Mondbeleuchtung zu zeigen. „Aber Männchen,“ wandte Ida ein, „wie der Mond jetzt steht, liegt der Hof im Schatten.“

Vitus sah sich um. „Du hast wie immer recht. Aber in den Saal Karls des Großen scheint jetzt der Mond. Hab’ ich Ihnen den Saal schon gezeigt? Nein? Den müssen Sie bewundern, gerade bei Mondschein ist er am schönsten. Kommt!“

Der Amtsrichter schloß das Thor auf und schob hinter der Gesellschaft den inneren Riegel vor. In dem gewölbten Gang brannte eine Oellampe. „Diese Riegel sind wohl auch noch aus der Zeit, da Carolus Magnus regierte,“ sagte der Lieutenant mit einem Blick auf das gewaltige Eisenwerk.

„Spiegelfechterei!“ rief Ida. „Wer in den alten Steinhaufen hereinwill, findet hundert Löcher zum durchschlüpfen. Ich wette, daß Strobel noch beim Bier sitzt, und doch kommt er ins Haus!“

Vitus blieb stehen. „Liebe Frau, nach der Hausordnung hat der Amtsdiener um zehn Uhr daheim zu sein. Ein rechtlicher Mann kennt keine Hinterthüren.“

„Du bist ein Pedant,“ sagte Ida und wandte sich nach der Hoftreppe. „Gute Nacht, Helmuth, wir empfehlen uns hier. Mein Mann sieht unverwandt nach seinem Rittersaal hinüber, da werden Sie ihm wohl den Gefallen thun müssen, mitzugehen. Sollten Sie ein Abenteuer erleben, so bitten wir um freundliche Mittheilung morgen bei Tisch – werden Sie sich einstellen?“

„Mit dem größten Vergnügen! Auf Wiedersehen also!“

Vitus und Helmuth traten in den Saal; mit seinen großen Verhältnissen, in seiner verfallenen Pracht machte dieser beim Mondschein, der durch die scheibenlosen Lichtöffnungen drang, einen gespensterhaften Eindruck. Am Deckengebälk glitzerten noch einige Spuren der einstigen Vergoldung, die bemalte Kalkbekleidung des Gemäuers war abgeblättert und nur an der inneren Längenwand einigermaßen erhalten. Der Amtsrichter führte Helmuth vor eine lebensgroße sitzende Gestalt, einen bärtigen Alten in Purpur und Krone mit einem Schwert auf dem Schoß, und fragte feierlich: „Wer ist das?“ Schön war die Malerei nie gewesen, jetzt war sie zudem verblichen und schadhaft, aber für Leute mit geschichtlichem Sinne ehrwürdig.

Nicht ehrwürdig für den Lieutenant, denn er antwortete ohne Zaudern: „Iwan der Schreckliche.“


Vincenz, Franz und Ignaz Lachner.

[486] „Aber Helmuth, sehen Sie doch das Gewand, das Antlitz! Es ist Karl der Große, wie er Gericht hält auf freiem Feld, im Glanz der Sonne, den Schild zu Häupten. Sehen Sie die Hand, die sich zum Schwur erhebt?“

„Achtdreiviertel,“ sagte der Unverbesserliche im Ton eines Handschuhverkäufers.

„Damit ist sinnbildlich angedeutet, daß Karl hier als Richter sitzt. So lange kenne ich nun dies Gemälde, doch immer noch macht es Eindruck auf mich. Der Richter, wenn er Recht spricht, hat etwas Königliches, der König aber, der richtet, wird göttlich, bei ihm ist das Recht und die Gnade“

„Alle Wetter,“ dachte Helmuth, „mein künftiger Schwiegervater hat sich ja ein gut Stück Begeisterung aus dem Weinglase verzapft!“ Denn gehobene Stimmung und schwungvolle Rede konnte er mit dem Vitus Müller von sonst nicht in Einklang bringen.

„Ja, ja, mein Guter,“ fuhr dieser fort, „und wenn ich mein Leben noch einmal in der Hand hätte und im voraus wüßte, daß ich wieder in Hohenwart absterben würde - denn das wird mein Schicksal sein - ich würde dennoch nichts anderes sein wollen als Richter.“

„Und ich in alle Ewigkeit nichts anderes als Soldat. Doch so oder so - wir alle dienen. Uebrigens meine ich, wir könnten jetzt den alten Schweden in Ruhe lassen; ich danke Ihnen für die Bekanntheit des Edlen und entbiete den Damen nochmals meinen Gutenachtgruß.“

Dafür, daß er die Sache mit dem Onkel so gutt erledigt hatte, erhielt Vitus Müller vorm Schlafengehen noch eine Belobung von seiten seiner Frau, und dieses seltene Glück ließ ihn bis in den Morgen hinein fest und traumlos schlafen. Als er im Schlafrock zum Kaffee erschien, fand er Ida im Begriff, auf den Markt zu gehen und die Einkäufe für den Mittag zu besorgen. Wenn es sich um eine Einladung handelte, war sie so rührig und fürsorglich, nur freilich nicht so sparsam wie die beste Hausfrau. Denn ihre Vorbereitungen waren ebenso großartig, ob sie einen Gast oder ein Dutzend erwartete.

„Alterchen,“ sagte sie zu ihrem Mann, nachdem er sie begrüßt hatte, „wann gehst Du zum Onkel?“

Vitus strich über sein Haar. Ach ja, heute steht ihm der Gang bevor, der schwere Gang. Allerdings hat der Onkel seine Hilfe so gut wie versprochen, doch liebenswürdig ist Onkel Anton nicht, wenn er gefällig ist. „Nach Tisch,“ antwortete er. „Denn wie Du weißt, ist der Alte ein Langschläfer; ich aber habe um zehn eine langwierige Verhandlung in Mündelsachen.“

„Also heute nachmittag! Soll ich´s ihm mitteilen lassen?“

„Nein, liebe Ida,“ versetzte er nach kurzem Besinnen. „Er wird nicht vergessen, daß ich komme, und ich kenne seine Tagesordnung. Nach dem Mittagessen macht er einen zweiten Schlaf, doch Punkt drei Uhr trägt ihm Kathi den Kaffee in die Laube im Garten. Dort such´ ich ihn auf.“


4.

Auf dem Stadtplatz, wo morgens Gemüse und Geflügel feilgehalten wurde, begegnete Ida, die von ihrer Köchin begleitet war, der Majorin Langbein. Anch dieser folgte eine korbtragende Dienerin.

„Darf ich meinen Augen trauen?“ rief die Majorin. „Die Frau Baronin auf dem Markt!“

„Ich bin erstaunt, Sie zu sehen,“ entgegnete die Angeredete. „Seit meine Tochter morgens ihren Brunnen trinkt, Tag für Tag. Gott, wie heiß es schon ist! Und dieses Gedränge! Und dabei jammern die Hohenwarter immer über schlechte Zeiten!“

Jetzt traten alle Vier aus dem Gewühl in den nächsten Bogengang. Den Herrinnen glänzten die Augen vor Kampflust; die Mägde machten ernste Gesichter, heimlich zwinkerten und lächelten sie einander listig zu. Heute begann die Majorin den Angriff.

„Ist es wahr, Frau Baronin,“ fragte sie „- mein Gott, man hört so viel in diesem Krähwinkel, leider nur selten die Wahrheit - geht Lieutenant Imhofs Urlaub wirklich schon nächste Woche zu Ende?“

„Warum wundert Sie das, liebe Majorin? Sie dürfen ruhig sein, es geht bloß der Urlaub zu Ende.“

„Aber die Hochzeit?“

„Da Exzellenz der Freund des Regimentsinhabers ist, wird Helmuth zur Hochzeit wohl einen neuen Urlaub erhalten. Andernfalls dauert eine Trauung keine Ewigkeit.“

„Ah, das freut mich zu hören - ich sagte ja gleich - aber die Welt ist so böse …“

„Was sagte die Welt und was sagten Sie, meine liebe Majorin?“

„Ich natürlich nur Gutes. Wenn wir Offiziersfrauen nicht zusammenhielten! Verzeihung! Für mich sind Sie die Oberstin. Zwar nach den Jahren könnte ich Ihre Mutter sein.“

„Wirklich?“ fragte Ida frostig.

„Nein, nein, der Unterschied im Alter ist nicht so groß, nur bin ich ernster veranlagt als Sie, kühler. Vielleicht fühle ich mich gerade deshalb so zu Ihnen hingezogen. Lassen wir also die Welt reden! Die Welt ist eben schadenfroh.“

„Warum schadenfroh?“

„Es heißt, die Hochzeit sei auf unbestimmte Zeit verschoben worden, weil - weil - nun, es ist ja ein öffentliches Geheimniß, daß Excellenz keine Reichthümer gesammelt hat. Sein Vater, wenn ich mich nicht irre, war Gerichtsschreiber, seine Frau eine Geborene von Muggenthal. Die Muggenthals, du lieber Gott! Allerdings bezog Excellenz ein ziemlich hohes Gehalt und entsprechend ist jetzt seine Pension, aber was Söhne beim Militär kosten, wissen wir beide. Und -“

„Und Vitus Müller, meinen Sie, hat auch nicht viel. Beschwichtigen Sie Ihre Theilnahme und Sorge! Das Haftgeld wurde von mir gestellt.“

„O!“

„Und die Hochzeit findet, wie von Anfang an beschlossen war, am Geburtstage des Erbprinzen statt. Hoffentlich wird Ihre Minna uns die Ehre schenken, Brautjungfer zu sein - wenn sie nicht selbst früher Hochzeit feiert, denn daß zwischen Fräulein Minna und Herrn Haspinger ein - na, sagen wir die Einleitung zu einer Verlobung spielt, ist auch ein öffentliches Geheimniß.“

Ida sprach’s und raschelte davon, denn sie trug nicht Seide, sondern ein frischgesteiftes Linnenkleid. „Haben Sie gehört?“ fragte sie die Köchin.

„Gehört hab’ ich nichts,“ antwortete diese, „aber gesehen genug. Majors Peppi hat jetzt auch schon Spitzenfalbeln wie die Frau Baronin.“

Der Bäcker Unterberger stand vor seinem Laden im Gespräch mit dem Bürgermeister Zappel. Beide grüßten die Richterin schon von weitem. Sie hatten mächtige Baßstimmen. „Ihr Diener, Frau Baronin!“ und „Frau Baronin, meine Hochachtung“ dröhnte es wie ein Gewitter durch den gewölbten Gang. Ida blieb stehen und schüttelte den Bürgern herzhafter als sonst die Hand, da sie die Majorin noch in der Nähe und auf der Lauer wußte.

„O, Frau Baronin,“ sagte der Bürgermeister, „was muß ich hören! Freund Unterberger erzählt mir soeben, daß das junge Brautpaar in der Residenz Hochzeit macht! Unsere Baronesse an ihrem Freudentag nicht bei uns? Wär’ nicht übel! Nein, nein, die Hochzeit muß bei uns sein. Ganz Hohenwart wird Spalier bilden, dafür lassen Sie die Bürgerschaft sorgen.“

„Die Bürger,“ raffte sich jetzt der Bäckermeister auf, der duselig aussah, weil er noch nicht geschlafen hatte, „die Bürger - das muß man uns lassen.“

„Ja, die Bürger sind meine Freund,“ fiel Ida ein. „Und wenn es nach mir geht - und hoffentlich geht es nach mir -“

„Nach wem sonst?“ fagte Zappel.

„Wird die Hochzeit nirgend anders als hier gefeiert. Und nach altem Brauch mit Kranzeljungfern und Kirchgang.“

„Und Hochzeitsmahl,“ meinte Unterberger.

Es hatte ganz den Anschein, als ob Ida die Hohenwarter am kleinen Finger halte. Grauköpfe drehten sich nach ihr um, böse Buben heuchelten unter ihren Blicken Wohlerzogenheit und Harmlosigkeit. Die schöne Apothekerin, die hochmühtigste Frau im Städtchen, kam mit Blumen aus ihrem Garten und lief der „Frau Baronin“ nach, um ihr den Strauß zu überreichen. Alle diese Beweise ihrer Beliebtheit waren für Ida Balsam und Sporn zugleich. „Und wenn ich einen Kniefall vor Onkel Anton thun sollte,“ sagte sie sich, „die Würde muß gewahrt, das Geld muß heute beschafft werden!“ –

[487] Die Wände des Speisezimmers waren wie alle in der Richterwohnung hoch hinauf mit Holz verkleidet, doch war hier die Vertäfelung mit Blumen- und Blätterwerk übermalt. Die Mauern oberhalb zeigten allerlei Stillleben, die, zu ihrem Vortheil, stark gelitten hatten. Ein Hängeleuchterchen von venetianischem Glas, ein Erbstück des Richters, fügte sich gut in die verblichene Pracht. Als Vitus vom Amte kam, hörte er die Stimme seiner Frau im Speisezimmer und trat deshalb sofort ein. Noch war die Morgenkühle drin, und es roch nach den Blumen, die den wohlgedeckten Tisch zierten. Ida legte eben die letzte Hand an die Tafel. Dabei sprach sie mit einem Soldaten, der stramm neben der Anrichte stand. Die rothen Bänder eines Spitzenhäubchens hoben ihre Gesichtsfarbe, das lichte Linnenkleid zeigte ihren schönen Wuchs.

„Du bist’s!“ rief sie und nickte Vitus zu. „Sieh doch – Schütz, hier fehlt ein Wasserglas – sieh doch, wie aufmerksam Helmuth ist, schickt einen Korb Wein zur Tafel und seinen Burschen zur Aufwartung!“

Vitus putzte seine Brille, setzte sie wieder auf und musterte die „Aufmerksamkeiten“ Helmuths, zunächst den Bedienten. „Ah, Sie sind es, Schütz,“ sagte er. „Sind Sie denn auch wieder mitgekommen?“

Ida antwortete für den Soldaten, daß sein Herr ihn nicht habe entbehren wollen, daß Schütz gelernter Gärtner sei und sich jetzt mit Helmuths Erlaubniß um die Verschönerung des Städtchens verdient mache. Dann schickte sie den Burschen hinaus, um anrichten zu lassen. Als sie allein waren, wandte sie sich an ihren Gemahl und sagte halblaut. „Ein Glas Wein wird Dir gut thun, denn Du weißt: um drei Uhr!“

Der Richter seufzte.

„Es muß sein,“ ermunterte Ida, „und bitte den Onkel, Dir das Geld sogleich zu geben.“

„Wird er soviel liegen haben?“

„Er, der täglich Wechselgeschäfte macht! … Der Präsident hat sich auf fünf bei mir angemeldet – soll ich ihm die Wahrheit bekennen? Willst Du mich bloßstellen?“

„Aber Ida! Punkt drei Uhr bin ich beim Onkel. Es handelt sich um Dich und Verena. Da bedarf es keines Sporns.“

Gelächter klang aus dem Nebenzimmer. „Ah, Helmuth!“ sagte der Richter, und seine Mienen wurden heiter. „So herzlich kann nur ein guter Mensch lachen.“ Rasch öffnete er die Thürflügel und rief den Kindern im Nebenzimmer seinen Gruß zu.

Als noch das Banner der Ritter von Hohenwart vom Bergfried wehte, der nun schon seit einem Jahrhundert abgetragen war, fanden in der Burg wohl genug heitere Feste und Gelage statt, aber schwerlich ein fröhlicheres Mahl als das des kleinen Kreises. Ida und das Brautpaar waren von Anfang an in glücklichster Stimmung, und Vitus Müller that es bald ihnen gleich, weil er alles zufrieden sah. „Meine Frau hat recht,“ dachte er, „ich nehme die Geldfrage viel zu schwer, einem Onkel gegenüber ist man der Neffe, der bitten darf, nicht der Beamte, der sich etwas vergeben könnte.“ Nach dem zweiten Glase lachte er mindestens ebenso herzlich wie der Lieutenant. Die Sorge blieb ausgeschlossen wie der heiße Tag, der draußen vor dem breiten Fenster lag. Zwar hatten die Forellen zu lang gekocht, und der Braten war nicht allzu zart, gleichwohl konnten die Männer mit voller Aufrichtigkeit versichern, niemals besser gegessen zu haben. Die Gegenwart einer liebenswürdigen Hausfrau machte alle Fehler der Küche gut. Als schon der Kaffee aufgetragen war und die herzliche Fröhlichkeit der Vier ihre Höhe erreicht hatte, ward Vitus auf einmal still. „Jetzt zum Onkel!“ sagte er sich, und Ida, die seine Gedanken errieth, raunte ihm unbemerkt zu: „Ja, ja, spute Dich!“

Müller ging, ohne sich zu verabschieden, doch im Vorzimmer wurde er von Verena ereilt. Sie wollte ihn den wichtigen Gang nicht ohne ein Zeichen ihrer Liebe machen lassen, umschlang ihn mit beiden Armen und küßte seine Wange.

Wie heiß war es, sobald der Richter aus dem Baumschatten der Burgstraße trat! Jetzt fühlte er den starken Wein. Auf dem verödeten Markplatz lag grell der Sonnenschein; es flimmerte vor seinen Augen und der Schweiß drang ihm aus allen Poren.

„Was treibt denn Sie bei dieser Hitze aus der Kühle droben?“ redete ihn der Bezirksarzt an, der ihm entgegenkam.

Sie schüttelten einander die Hände. „Nun, bei Ihnen ist alles wohl,“ sagte der Arzt. „Ich sah am frühen Morgen schon die Frau Baronin unterwegs. Ja, sie versteht’s, sich jung zu erhalten. Da war ich heute bei Tannhauser, der versteht’s ganz und gar nicht.“

„Ist er kränker?“

„Wenn er sich ein paar Zähne ziehen und seine Zimmer lüften läßt, wenn er sich mehr Bewegung macht und weniger Bier trinkt, ist er bald so gesund wie Sie und ich. Allein da fehlt’s! Ein größerer Querkopf ist mir noch nicht vorgekommen. Er klagt wie ein Kind und will sich nicht helfen wie ein Mann. Sie als sein Vorgesetzter sollten ihm ins Gewissen reden. Mir folgt er nicht.“

„Seine Arbeiten sind meisterhaft.“

„Aber er wird bei dieser Lebensweise nicht lange mehr musterhaft oder überhaupt nicht lange mehr arbeiten. Und nun adieu! Meine Empfehlung der Gnädigen!“

Die Stadtuhr schlug halb drei, als Vitus den Weg fortsetzte. In der Sackgasse dort hinten wohnte sein Assessor. Es war ein gutes Werk, den Einsiedler zu besuchen und im Sinne des Arztes mit ihm zu sprechen. Gedacht, gethan. In der Stube des Assessors war es heiß wie in einem Backofen. Der Leidende saß in einem schmutzigen Schlafrock und mit verbundenem Kopfe am Tisch, der mit Aktenbündeln belastet war, und diktierte dem Gerichtsschreiber in die Feder. Ein feuchtschimmernder Maßkrug stand neben dem Kranken. Im Erdgeschoß des Hauses war die Bierschenke „Zum Raben“, finster, schmutzig und nicht selten von übelberufenen Leuten besucht. Um so besser war der Ruf des Bieres, das der Wirth aus der Hauptstadt bezog. Keine städtische oder allgemein politische Frage wurde in Hohenwart so eifrig und unaufhörlich erörtert wie diejenige, ob das Schloßbräu oder das Rabenbier besser sei. Tannhauser schwur auf den „Raben“.

So klein war des Assessors Klause, daß er dem Schreiber – offenbar zu dessen innigster Freude – befehlen mußte, einstweilen in der Küche der Wirthsleute sich aufzuhalten.

„Wie geht’s, Tannhauser?“

„Schlecht, schlecht, Herr Amtsrichter. Wenn ich nicht meine Akten und nachmittags unsern Schreiber, auch dann und wann das Bier vom ‚Raben‘ hätte, würde ich mich umbringen.“

Müller gab ihm vernünftige Rathschläge, allein Tannhauser schüttelte zu allem den Kopf.

„Herr Amtsrichter,“ sagte er, „jeder kennt selbst am besten seine Natur. Der Schmerz ist rheumatisch.“

„Aber der Bezirksarzt –“

„Der Bezirksarzt! Diese Aerzte! Alles über einen Kamm! Als Jurist behaupte ich meine Persönlichkeit; mein Zahnschmerz kommt nicht von den Zähnen. Vererbung! Die Tannhauser Familie ist zu alt! – Hat man bei der Veitenbäuerin schon gepfändet?“

Der Richter stockte mit der Antwort. „N – nein. Was – was meinen Sie, wenn wir noch ein paar Tage warten würden? Vielleicht bringt sie doch das Geld zusammen. Sie kam wirklich unverschuldet ins Unglück.“

„Sie kam dazu wie ich zum Zahnweh. Ihr Mann war ein Lump, der alles vergeudete. Der Mann ist todt, aber der Gesetzesparagraph ist lebendig, wir müssen uns an die Paragraphen halten. Was ich noch sagen wollte: der Schreiber Franz, der ja leider wieder los ist, verjubelte gestern mit dem ‚Pfannen-Gide‘ im ‚Raben‘ eine Menge Geld, trat heute erst um elf zu der Arbeit an, welche ihm der städtische Straßenmeister aus Mitleid gegeben hatte, und wurde deshalb entlassen.“

„Dachte ich es doch! Schlechte Kameradschaft währt am längsten.“

„Einsperren! Den einen wie den andern. Es gibt doch Paragraphen genug für die paar Spitzbuben! Da ist zum Beispiel Paragraph achthundert – au!“ Er drückte die Hand auf die Backe. „Ach, Herr Amtsrichter, wenn ich achthundert Zähne hätte – au!“

„Ich bedaure Sie lebhaft,“ versetzte Vitus, während er die perlende Stirn trocknete, „allein Sie sollten sich bessere Luft gönnen.“

„Herr Amtsrichter, nach dem, was man von alten Ritterburgen weiß, haben meine Vorfahren in den ihrigen eher zu viel als zu wenig Luftzug gehabt. Daher mein Rheumatismus! Für

[488]

Seltene Künstler.
Nach einem Gemälde von A. Lonza.

[489] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [490] mich ist frische Luft Gift – für mich – Wenn Sie erlauben, nehme ich einen Schluck. Es hilft auch nicht, aber es mildert …“

„Ein harter Mann, dieser Tannhauser,“ dachte der Richter, während er sich die finstere Treppe hinabtastete, „ein harter Mann gegen sich und andere.“

Die Gasse lag in kühlem Schatten, doch war die Luft darin ebenso verdorben wie im „Raben“ selbst. Müller beeilte sich, aus der drückenden Enge herauszukommen, und so entging ihm, daß einer der beiden Strolche, von denen droben die Rede gewesen war, am Fenster der Wirthsstube saß, der „Pfannen-Gide,“ ein gewaltthätiger, gefürchteter Mensch. Er war seines Handwerks ein Schlosser, doch Trunk- und Händelsucht machten ihn in jeder Werkstätte unmöglich; so trieb er denn ein abenteuerliches Leben. Einmal wurde er mit zerschossenem Bein heimgebracht, nach seiner Aussage war er im Wald „aus Versehen“ getroffen worden; die Geschichte blieb unaufgeklärt. Aber auch mit dem lahmen Bein ging er wohl noch die alten Wege des Wilderers und Schmugglers. Er übte auf junge Taugenichtse großen Einfluß aus, nicht zu ihrer Besserung. Dem Zauber dieser Persönlichkeit fielen die Ersparnisse wie die guten Vorsätze des Schreibers Franz zum Opfer. Vor der gemeinsamen Kneiperei hatte der „Pfannen-Gide“ beim wiedergefundenen Freunde eine Anleihe gemacht, davon lebte er heute nach seinem Geschmack abermals äußerst herrlich. Als der Amtsrichter das Haus verließ, lachte der Gauner hinter ihm her. Der Hochmögende da draußen hat seine guten Seiten, sagte er sich, doch im großen und ganzen taugt auch er nicht mehr als der Hauptmucker im zweiten Stock. Er schüttelte die Faust gegen die Decke – Ihr behandelt uns wie wilde Thiere, und trotzdem sind wir gewissermaßen eure Brotherren, denn wenn jedermann nach der Schnur lebte, wo blieben dann die Richter!

Vitus Müller athmete erst auf, als er in den Garten seines Onkels trat, das saftige Grün schien ordentlich Kühle auszuströmen. Er ging geradeswegs in die Laube, wo er den Gesuchten beim Kaffee zu finden hoffte. Allein bloß die Köchin Kathi saß drin, ein nicht mehr junges, aber noch leidlich hübsches Frauenzimmer mit dicken Backen und kleinen, verschmitzten Aeuglein. Sie that einen Schrei und sprang auf.

„Jesus, der Herr Amtsrichter! Bin ich aber erschrocken!“

„Ist der Onkel noch droben?“

„Der Herr Furtenbacher sind vor einer Viertelstunde ins Gebirge abgereist. Er läßt Ihnen sagen, daß er morgen wieder zurück ist.“

Vitus erschrak. Vor einer Viertelstunde! Mein Gott, warum ging er nicht zuerst zum Onkel und dann zu Tannhauser! „Vor einer Viertelstunde –“ wiederholte er laut.

„Ist der Herr abgereist, aber daheim war er schon mittags nicht mehr. Der Herr aß in der Bahnhofwirthschaft.“

„Am ersten Tage nach seiner Heimkehr? Kathi, was haben Sie verbrochen?“

„Ich? ich?“ rief Kathi – und nun erging sie sich in Klagen über die schlimme Laune, die ihr Herr aus Karlsbad mitgebracht habe. Gleich zu Anfang sei er unleidlich gewesen, weil sie nicht auf dem Bahnhof erschienen war. Du gerechter Himmel, sie hatte geglaubt, eine gebratene Gans sei ihm der liebste Empfang. „Und dann der Hund! Hat man je ein garstigeres Thier gesehen? Und dann fand der Herr schlechte Nachrichten über einen Schuldner im Gebirge vor.“

Indessen hatte Vitus die Laube verlassen und schritt, von Kathi begleitet, dem Ausgang zu. „Merken der Herr Amtsrichter keine Veränderung im Garten?“

Müllers Gedanken waren daheim. Wie wird Ida die verdrießliche Nachricht aufnehmen? Er blickte zerstreut umher und meinte, der Garten scheine ihm besser gehalten zu sein als in früheren Jahren.

„Das will ich meinen,“ rief sie. „Sehen der Herr Amtsrichter nur den Rasen an, ist er nicht wie Sammet! Und erst das Beet dort mit den blutrothen Nelken, die ein flammendes Herz vorstellen! Und das scheckige Strauchwerk! Das alles ist das Verdienst des Burschen vom Herrn Lieutenant, des Herrn Schütz, der so ab und zu sich des Gartens und meiner Einsamkeit erbarmt hat. Glauben Sie nun, daß unser Herr mit dieser Ueberraschung zufrieden war? Im Gegentheil, wüthend war er und schoß wie ein Kreisel auf den schönen dottergelben Kieswegen umher und schrie, daß er die neumodischen Gärtnersprünge nicht ausstehen könne.“

„Wissen Sie, mit welchem Zug der Onkel morgen zurückkehrt?“

Kathi wußte es nicht. „‚Sagen Sie: morgen komm’ ich wieder heim!‘ schnauzte er mich beim Abschied an, sagte aber nicht, mit welchem Zug er kommen wird! Bin ich dann morgen bei allen Zügen auf dem Bahnhof und laß’ das Kochen, wird’s dem Herrn wieder nicht recht sein. Ach, Herr Amtsrichter, lieber Sklavin bei einem Türken als Köchin bei Herrn Furtenbacher!“

*               *
*

Im Burghof traf der heimkehrende Richter den talentvollen Gärtner und das Stubenmädchen Idas am Brunnen. Schütz half der Jungfer Wasser tragen, augenblicklich jedoch pflogen beide eine Unterhaltung mit dem alten Strobel, der vom Bogengang heruntersah. Die Stirn in finstern Falten, ging Vitus in das Gerichtszimmer und ertheilte dem Amtsdiener, der ihm gefolgt war, einen strengen Verweis. Wie konnte er die Amtsräume ohne Aufsicht lassen!

„Aber Herr Richter, ich sah ja –“

Vitus unterbrach ihn mit harter Stimme. „Sie sind in Eid und Pflicht wie wir, es giebt für Sie keine Entschuldigung.“ Er war wider seine Gewohnheit mit dem Hut auf dem Kopf eingetreten. Er nahm ihn nicht ab; aus der Wohnung drüben tönte kräftiges Klavierspiel und ließ ihn vermuthen, daß seine Frau dem Brautpaar zum Tanze aufspiele. Sie ist so fröhlich, dachte er, und nun muß ich ihre Freude stören. Schon unterwegs hatte ihm der Wunsch, die nöthige Summe vorläufig anderswo aufzutreiben, eine Reihe trüber Gedanken erweckt. Er wußte niemand, an den er sich offenherzig hätte wenden können. Trotz seines vieljährigen Aufenthalts in Hohenwart war er freundlos. Alle die wohlhabenden Männer, die er sich herzählte, würden sein Gesuch mit Verwunderung hören. Oder sollte er beim Assessor anfragen? Von Tannhauser ging das Gerücht, daß er keineswegs arm sei, wie er vorgab, vielmehr bei irgend einem Hohenwarter Patrizier ein hübsches Stück Geld liegen habe. – Nein, Tannhauser wäre der letzte, den er auch nur um die kleinste Gefälligkeit, geschweige denn um ein Darlehen bitten möchte. Der Mann hat kein Herz oder weiß es so zu verbergen, daß niemand darauf zu rechnen wagt.

Jetzt erst bemerkte er, daß Strobel noch dastand. Er sah den Zerknirschten über die Brille weg forschend an. „Strobel,“ sagte er, „wenn nichts Dringliches für Sie vorliegt – “

„Herr Amtsrichter, auf Ehre nicht! Alles erledigt!“

„Dann schaffen Sie mir den unseligen Schreiber Franz zur Stelle, meinethalben mit Hilfe des Landjägers. Der Mann ist wieder in den Händen des ‚Pfannen-Gide‘, welcher ihn ins Verderben stürzen wird. Ich will ein letztes Mal in Güte mit ihm reden.“

„Zu Befehl, Herr Amtsrichter!“ erwiderte der andere voll Eifer. „Nur wende ich mich nicht an den Landjäger, sondern an die Obstfrau auf dem Stadtplatz. Woher einer kommt und wohin einer geht – sie weiß alles.“

Die Musik hatte aufgehört. Ida wird ihn erwarten, denn es ist schon vier Uhr vorüber; aber solang Helmuth drüben ist – hoffentlich empfiehlt er sich, bevor sein Vater kommt. Dann – da stand von den Verhandlungen des Vormittags her noch die Geldkasse neben den Rechnungsbelegen. Er setzte sich nieder, um Ordnung zu machen.

Bei dieser Beschäftigung traf ihn Ida. Sie hatte seine Rückkehr vom Burschen erfahren und eilte in größter Unruhe herüber.

„Nun?“ rief sie schon unter der Thür.

Vitus blickte auf und sah die Gluth der Aufregung in ihren Zügen, ihm war, als sei er an den Stuhl angewachsen. „Ist Helmuth schon fort?“ fragte er.

„Nein. die Majorin Langbein mit ihrer Tochter ist drüben und hält ihn fest. Aber sprich doch, was ist’s mit dem Onkel?“

Er brachte stockend die böse Nachricht vor.

„Vitus!“ rief sie und legte die Hand aufs Herz, „das darf, das kann nicht sein. Onkel versprach Dir ja –“

„Freilich. Weiß der Himmel, was dazwischen fuhr!“

„Aber was sage ich dem Präsidenten? Er reist heute noch in die Hauptstadt und will dort alles selbst besorgen!“

„Am besten, dünkt mich, die Wahrheit.“

„Unmöglich! O, Du kennst Deinen Schulfreund weniger als ich. Enthülle ihm die Wahrheit, und wie er jetzt für die Heirath [491] ist, wird er fortan dagegen sein. Die Wahrheit? Die Wahrheit ist, daß ich ihm bisher etwas vorgelogen habe. Sage Du ihm das! Ich – ich – Vitus, ich ertrage die Schande nicht.“ Sie rang die Hände. Plötzlich wurde ihr Blick starr. „Aber Vitus –“ sprach sie und deutete auf die Geldkasse, die jetzt offen stand, „da hast Du ja Geld.“

Müller antwortete mit schwermütigem Lächeln, daß er sie schon gestern über Herkunft und Bestimmung dieser Gelder aufgeklärt habe.

„Ich erinnere mich,“ entgegnete sie, ohne die Augen wegzuwenden. „Wieviel nanntest Du gestern?“

„Ja, gestern waren wir reich. Aber heute wurden ein paar Dorfprinzen mündig erklärt, und fast der ganze Mammon ist ihnen ausgeliefert worden. In die sechstausend Mark, die noch vorhanden sind, theilt sich dereinst ein volles Dutzend.“

„Es sind Staatspapiere?“

„Ja.“

„Und sie bleiben in Deiner Verwahrung?“

„Wenn ich solange lebe, bis die Rangen mündig werden –“

„Dann ist die Sache sehr einfach: Du borgst bis morgen mir das Geld.“

„Liebes Kind, welcher Einfall! Nicht einmal gegen gleiche Werte austauschen könnte ich die Papiere. Die Nummern sind gebucht.“

„Aber Männchen, es handelt sich ja bloß um einen Tag. Morgen kehrt der Onkel zurück; mit dem Gelde, das Du von ihm erhältst, fahr’ ich in die Residenz und tausche die Scheine dafür ein.“

Vitus schloß die Kasse zu und erhob sich. „Liebe Ida,“ versetzte er bestimmt, „Du solltest nach Deinen Gästen sehen.“

Seine Gemahlin warf einen verzweifelten Blick auf die Wanduhr. „Excellenz kann jeden Augenblick kommen,“ schluchzte sie, „ich gehe nicht mehr hinüber, ich laufe auf und davon. Sag’ der Majorin, Helmuth, dem Präsidenten – sag’ was Du willst – meinethalben alles!“

„Aber Ida, Du kannst die Wahrheit bekennen: das Geld ist heute nicht eingetroffen, kommt morgen aber sicher.“

„Morgen? Und wenn Dein Onkel wieder sein Wort bricht?“

„Du glaubst all diese Möglichkeit und forderst das von mir!“

Sie hob stolz den Kopf. „Was verlang' ich denn Großes? Im schlimmsten Fall handelt es sich um eine Woche. Niemand außer Deinen Vorgesetzten kann Schlüssel und Einblick von Dir fordern. Noch ist kein Monat seit der letzten Rechnungsabnahme vergangen, und man hatte, wie Du erklärt hast, alles zur Zufriedenheit gefunden. Bis wieder eine Revision erfolgt, wird die Baronin Gatterburg diese Summe doch aufbringen!“

Vitus fuhr mit der Hand immer hastiger über den Scheitel.

„Du überlegst nicht, was Du verlangst!“

„Was kann nicht Liebe von Liebe verlangen!“ rief sie leidenschaftlich und brach in Thränen aus.

Diese Thränen waren furchtbar und unerträglich. Er drückte Ida plötzlich an sich, küßte sie auf die Augen, die Lippen, wandte sich dann zum Tisch, schloß auf, raffte die Papiere zusammen und gab sie ihr:

„Nimm!“ – –

(Fortsetzung folgt.)




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Drei deutsche Musiker.

(Zu dem Bilde S. 485.)

Es ist heute nicht mehr vollständig, das stolze Kleeblatt der Brüder Lachner: einer von ihnen, Franz Lachner, der älteste und musikalisch bedeutendste, ist am 20. Januar vorigen Jahres gestorben, ein 86jähriger Greis, einer der letzten, über deren Jugendtagen noch die Sonnen Beethoven und Schubert gestrahlt hatten. Der jüngste aber, Vincenz, feiert am 19. Juli d. J. seinen achtzigsten Geburtstag.

Das Städtchen Rain im oberbayrischen Kreise Schwaben und Neuburg ist der Geburtsort der Künstler: Franz wurde 1803, Ignaz 1807 und Vincenz 1811 geboren. Ihr Vater war daselbst Organist, Orgelbauer und zugleich Uhrmacher. Von elf Kindern blieben ihm acht am Leben, seine spärliche Besoldung als Organist reichte nicht entfernt aus, die starke Familie zu ernähren, und so waren die Brüder in ihrer Jugend nicht auf Rosen gebettet.

Das rastlos und streng verfolgte Ziel des auf allen Instrumenten gewandten, tüchtigen Vaters war die musikalische Erziehung seiner Kinder. Kein Tag verlief ohne Schläge; wurden die Züchtungen allzu hart, so kam wohl die Mutter herbei, um Einhalt zu thun, aber sie wurde regelmäßig mit den Worten abgewiesen: „Sei still, das verstehst Du nicht, die Stunde ist 12 Kreuzer werth.“

Mit dem fünften Jahre begann der Unterricht auf einem Klavier, das man bequem unter dem Arme forttragen konnte, mit dem achten Jahre ging es an die Orgel, und auch die Schwestern mußten an diesem Unterrichte theilnehmen – zwei Schwestern bekleideten später jahrelang besoldete Organistenämter in Augsburg und Rain – nebenher wurde der Gesang, das Spiel auf Violine, Violoncello und anderen Instrumenten geübt. Wenn die Kinder soweit herangebildet waren, nahm sie der Vater mit in die benachbarten Städte, wo sie durch kleine Konzerte, durch Musizieren in den Wirthshäusern und sogar aus der Straße ihr Brot verdienen helfen mußten. Bei einer solchen Gelegenheit geschah es auch, daß sie auf dem Nachhausewege von Augsburg nach Rain auf der Landstraße dem späteren Kaiser Napoleon III. und seiner Mutter Hortense vorspielten und von ihnen einen Louisd'or erhielten, gewiß eine seltene Ausbeute.

Der Vater Lachner starb früh und ließ seine Familie in Noth und Sorgen zurück. Indeß konnte auf der tüchtigen musikalischen Grundlage, welche er seinen Kindern gegeben hatte, mit gutem Erfolg weiter gebaut werden, so daß es den Söhnen möglich wurde, durch Verwerthung ihrer musikalischen Fertigkeiten und mit Hilfe mildtätiger Unterstützungen sogar das Gymnasium in Augsburg und das Studienseminar in Neuburg a. D. zu besuchen. Mit siebzehn Jahren sehen wir Franz nach München übersiedeln, um sich dort ganz der Musik zu widmen. Hier genoß er eine geraume Zeit lang den Kompositionsunterricht Kaspar Etts und erwarb seinen Lebensunterhalt als Kontrabassist am Isarthortheater und durch Unterrichtgeben. Im Jahre 1822 ging er ohne jede sichere Aussicht nach dem damaligen Mittelpunkt der musikalischen Welt, nach Wien, um in die Nähe des großen Beethoven zu gelangen. Freilich mußte er sich in Ermanglung der nöthigen Mittel zur Reise auf einem Floß verdingen, und so landete der Kunstjünger als Ruderknecht am Ziele seiner Wünsche. Etwas Tabak, der einzige Luxusartikel, welchen er mit sich führte, brachte ihm noch um die Hälfte seiner geringen Barschaft, da er an der Grenze wegen Schmuggel zur Strafe gezogen würde.

In Wien angekommen, fand Franz in der ersten Zeitung, die er zur Hand nahm, das Ausschreiben eines Probespiels zur Bewerbung um das Organistenamt an der protestantischen Kirche, und zwar sollte dasselbe gleich am nächsten Tage stattfinden. Lachner meldete sich und erhielt von den dreißig Bewerbern als der letzte und beste Spieler die Stelle. Bald wurde er auch durch Zufall mit Franz Schubert bekannt, und dieser führte ihn in einen Kreis hochstrebender junger Männer ein, von denen wir hier nur Moritz Schwind, Eduard Bauernfeld, Anastasius Grün, Franz Grillparzer und Lenau nennen.

Mit Beethoven, der damals auf der Höhe seines Ruhmes stand, kam Franz Lachner dreimal in persönlichen Verkehr; das erste Mal im Klaviersaal des Fabrikanten Streicher; das zweite Mal bei dem Komponisten und Musikschriftsteller Abbé Stadler, wo Beethoven nach der Vorstellung Lachners kurz erwiderte: „Ich hab' ihn ja schon gesehen!“; das dritte Mal suchte Lachner Beethoven in seiner Wohnung auf, wo er ihm eine seiner Kompositionen – die Sonate in A-moll für Klavier – vorlegen durfte. Beethoven las das Werk aufmerksam durch, verbesserte hie und da eine Stelle und entließ Lachuer mit freundlich ermunternden Worten.

Nicht lange darauf begleiteten Franz und Ignaz Lachner die irdischen Reste des Unsterblichen zu seiner letzten Ruhestätte. Schubert, der an ihrer Seite ging, sagte wehmütig: „Wer wird der Nächste sein?“ – Er sollte es selbst werden; schon anderthalb Jahre später, im November 1828, verstummte sein liederreicher Mund für immer.

Frauz hatte inzwischen, wie aus dem eben Gesagten zu ersehen ist, seinen Bruder Ignaz nachgezogen. Es ist überhaupt eine rührende Wahrnehmung, wie der älteste Bruder als Pfadfinder und Bahnbrecher immer vorangeht und seinen jüngeren Brüdern den Weg in bessere Stellungen ebnet. Im Jahre 1825 kam Ignaz nach Wien. Dieser hatte es schon in frühester Jugend zu einer solchen Fertigkeit im Violinspiel gebracht, daß er mit sechs Jahren ein Konzert von Pleyel wiederzugeben imstande war. Zwölf Jahre alt, hatte er sich in Augsburg durch sein Spiel die Herzen dreier wackerer Männer gewonnen, welche für die Ausbildung und Erziehung des jungen Virtuosen Sorge trugen. Wie von Augsburg nach München, so war er seinem Bruder Franz nun auch nach Wien gefolgt und hatte bald die Organistenstelle an der reformierten Kirche erhalten. Gleichzeitig wurde er Violinist des kaiserlichen Theaters am Kärntnerthor, wo sein Bruder unterdeß Vicekapellmeister geworden war.

Im Jahre 1828 rückte Franz an die Stelle des ersten Kapellmeisters vor, mit Konradin Kreutzer als zweitem zur Seite, und 1830 wurde Ignaz dritter Kapellmeister neben den beiden Genannten. Unterdeß finden wir auch den jüngsten Bruder Vincenz auf kurze Zeit in Wien; auf der Durchreise nach Posen hatte er daselbst einen dreiwöchigen Aufenthalt genommen und zu Kompositionsstudien bei seinem Bruder Franz benutzt; 1831 kehrte er zu dauerndem Ausenthalt nach Wien zurück. Ignaz folgte im gleichen Jahre einem Rufe als Hofmusikdirektor nach Stuttgart, wo er elf Jahre lang verblieb; im Jahre 1842 sehen wir ihn in gleicher Stellung in München neben seinem Bruder Franz, später in Hamburg und Stockholm und vom Jahre 1861 bis 1875 als ersten Theaterkapellmeister in Frankfurt a. M. wirken. Nachdem er hier sein fünfzigjähriges Künstlerjubiläum gefeiert hatte, zog er sich von der öffentlichen Thätigkeit zurück. Zur Zeit lebt er, 84 Jahre alt, bei seinem Sohne Karl, Direktor der Kunstgewerbeschule zu Hannover.

Iu Wien war Franz bis 1834 verblieben; in diesem Jahr folgte er einem Rufe als Hofkapellmeister nach Mannheim, während Vincenz in [492] seine verlassene Stellung einrückte. Auf der Reise von Wien nach Mannheim hatte Franz seine Dmoll-Symphonie in München unter großem Beifall zur Aufführung gebracht. Dieser Aufführung verdankte er die Berufung als Hofkapellmeister dorthin, im Jahre 1836. Abermals war Vincenz der Nachfolger seines Bruders, er verblieb volle 37 Jahre in Mannheim, wo er sich große Verdienste um die Musikpflege in Baden und in der Pfalz erwarb. Seit seiner im Jahre 1873 erfolgten Pensionierung lebt er in Karlsruhe; er hat sich durch eine rege weit verzweigte Thätigkeit auf musikalischem Gebiete trotz seiner 80 Jahre eine überraschende Frische bewahrt.

Franz Lachner hatte unterdessen Gelegenheit gehabt, seinen Ruf durch eine glänzende Wirksamkeit an der Münchener Hofoper und überhaupt im musikalischen Leben der bayrischen Hauptstadt immer weiter auszudehnen. Er wurde zum Generalmusikdirektor ernannt, und die Universität München verlieh ihm – nachdem er sich schon von seiner öffentlichen Thätigkeit zurückgezogen hatte – den philosophischen Doktorgrad honoris causa, die Stadt München den Ehrenbürgerbrief. Als Mitte der sechziger Jahre der Wagnerkultus in München zur Blüthe gelangte und seine damaligen Vertreter im Feuereifer ihrer Sturm- und Drangperiode, zugleich gestützt auf die Gunst des jungen Königs, ihren neuen Ideen mit Macht Geltung zu verschaffen suchten, da hatte die Stunde Franz Lachners geschlagen. Zwar hatte er noch den „Tannhäuser“ und den „Lohengrin“ zu musterhaften Aufführungen gebracht, doch als es zu persönlichen Begegnungen der beiden Meister Lachner und Wagner kam, da wollte eine ruhige Uebereinstimmung sich nicht herausbilden. Lachner stand der neuen Richtung zu fremd gegenüber; auch ließen es deren Vertreter wohl da und dort an der erforderlichen Rücksicht gegen den auf der Höhe seines Schaffens und Ruhmes stehenden älteren Meister fehlen, kurz, er suchte im Jahre 1865 um seine Pensionierung nach, erhielt aber nur einen längeren Urlaub, und erst 1876 trat er in den Ruhestand, nachdem er am 2. Februar desselben Jahres zum letzten Male die Oper „Die Stumme von Portici“ geleitet hatte.

Die künstlerische Bedeutung der Brüder Lachner liegt besonders auf zwei Gebieten, auf dem des Dirigenten und dem des Komponisten. Als Dirigenten haben die Brüder Lachner eine eigene Schule gebildet, nicht bloß für die Wiedergabe der klassischen Werke, sondern auch für die der nachfolgenden Zeit. Im Orchester groß geworden, besaßen die Brüder Lachner eine gründliche Kenntniß aller Instrumente; die unbeugsame Strenge aber, welche sie selbst in ihrer Jugend erfahren hatten, übertrugen sie auf die Leitung der ihnen anvertrauten Anstalten und erzielten so jene vorzügliche Schulung und Zucht, ohne welche wirklich gute Leistungen nicht geboten werden können. Wenn R. Schumann von dem bekannten Konzertmeister des Leipziger Gewandhauses, Ferd. David, gesagt hat, der höre Unreinheiten und falsche Noten durch einen Berg, so gilt dies nicht weniger von den Brüdern Lachner, denen die Natur ein so feines musikalisches Ohr gegeben hatte, wie es nur selten zu finden ist. In der Stabführung galt ihnen als oberster Grundsatz: die Zeichen eines Operndirigenten sind als ein nothwendiges Uebel zu betrachten und alle Bewegungen des Taktierens sind auf das kleinste Maß zu beschränken, zur Unterstützung dient das Auge. Vincenz insbesondere verstand es, alles zu vermeiden, was die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf ihn als Dirigenten hätte ablenken können.

Als Komponisten haben die Brüder Lachner zusammengenommen das ganze weite Feld von der Oper, der Symphonie und dem Oratorium an bis herab zum einfachsten Lied bearbeitet und befruchtet. Franz beherrschte alle Gebiete und seiner veröffentlichten Werke sind kaum weniger als zweihundert. Von Ignaz besitzen wir keine Symphonien und von Vincenz keine Opern.

In allen ihren Werken aber fußen die Brüder auf klassischem Boden, und auch hier erkennen wir die gute Nachwirkung der strengen Jugenderziehung. Sie waren gewohnt, sich den Gesetzen der Kunst unbedingt zu unterwerfen, und die Form galt ihnen nicht weniger als der Inhalt.

Der innige Bund, welcher das treffliche Kleeblatt in brüderlicher Liebe und in der Liebe zur Kunst bis in ein hohes Alter vereinte, ist durch den Tod Franz Lachners für das zeitliche Leben getrennt; blicken aber die beiden überlebenden Brüder, von denen der jüngste jetzt sein achtzigstes Lebensjahr vollendet, auf ihre Vergangenheit zurück, so dürfen sie es mit Stolz und in dem Bewußtsein thun, daß ihnen ein gütiges Geschick das schönste Los beschied, welches dem Menschen werden kann: aus Armuth und Noth zu den Höhen der Kunst und des Ruhmes emporgestiegen zu sein durch eigene Kraft. E. Fritsche.     



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Lea und Rahel.

Roman von Ida Boy-Ed.

(Schluß.)

Ein herziger Junge!“ rief Rahel und kniete schon neben Clairons Sohne im Sand. „Was machst Du denn da?“

Mochte es nun sein, daß diese Dame ihm vertrauenerweckender schien als jene andere, oder geschah es, weil er sie mit seiner Mama zusammen sah, genug, der Knabe ließ sich gleich mit Rahel in eine Unterhaltung ein. Die anderen Erwachseneu hörten lächelnd zu. Rahel erwies sich als sehr sachverständig und konnte sich so drollig in den Standpunkt des Kindes hineinversetzen, daß dieses ganz glücklich lachte.

„Nun schau einer den Jungen an.“ sagte Clairon, „von Ihrer Frau läßt er sich die Locken streicheln und vorhin, als eine allerdings etwas – etwas exotische Dame schön mit ihm that, lief er einfach davon.“

„Haben Sie Kinder?“ erkundigte sich die Gräfin aus Höflichkeit. Sie waren ihr völlig gleichgültig, die Kinder anderer Leute, aber da man gegen ihren Knaben gütig war, wollte sie es wenigstens durch scheinbare gegenseitige Theilnahme belohnen.

„Zwei,“ gab Lüdinghausen mit dem heitersten Gesicht von der Welt zur Antwort, „allein wir haben sie Gott sei Dank zu Hause gelassen.“

„Er ist ein Rabenvater“ bemerke Rahel aufblickend.

„Ich bitte Sie, Gräfin, ich handle in der Wahrung berechtigter Interessen. Stellen Sie sich mein Leben und meine Ehe vor! Erst muß ich als Verlobter einen unnöthig langen Brautstand ertragen. Warum? Rahel will ihre Eltern nicht so schnell allein lassen. Dann – ich habe den Staatsdienst aufgegeben und lebe seit meiner Verheirathung bei meinem Vater – dann dreht sich alles um den alten Herrn. Warum? Rahel sagt, der liebe gute Papa ist so lange einsam gewesen, man muß ihn recht verziehen. Und außerdem bringt jeder Tag so viel Arbeit und Pflichten und ich sehe meine Frau oft kaum. Warum? Rahel sagt, daß wir für die Wohlfahrt der Tausende auf unsern Zechen und in unsern Gruben verantwortlich sind, und daß sie den Platz ausfüllen muß, auf den ich sie gestellt habe.“

„Um Gotteswillen!“ rief die Gräfin, welche nicht verstand, daß diese Anklagen eine besondere Form waren, in welcher innigste Liebe eine Lobrede hielt. Diese Rahel Lüdinghausen war ja offenbar eine ganz herzlose Gattin und eine schrecklich emanzipierte Frau. Sie, die Gräfin, lebte nur einem Gedanken: dem für Mann und Kind.

„Und wenn das noch alles wäre,“ fuhr Lüdinghausen fort, während Rahel ihn von Zeit zu Zeit mit zärtlichem Lächeln anschaute, „aber dann kamen die Kinder, und obgleich Rahels Tag schon vorher völlig ausgefüllt war, ging die Sorge für die Kleinen doch noch hinein in diese wunderbare Zeiteintheilung, darin die Stunden von Kautschuk zu sein scheinen. Und wenn ich somit einmal meine Frau für mich haben will, entführe ich sie mit Gewalt.“

Clairon drückte ihm fest, merkwürdig fest die Hand.

„Sie sind sehr glücklich,“ sagte er halblaut.

„Aber die Kinder hätte ich doch mitgebracht,“ meinte die Gräfin, die so etwas nicht begriff.

„Wenn mein Vater nicht wäre,“ rief Lüdinghausen lachend. „Denken Sie denn, Gräfin, daß er sich beides hätte nehmen lassen. Rahel und die Kinder? Nein, dieser Mann, der Erz und Kohle aus den Tiefen geholt, der für den Krieg das Material zusammengeschmiedet und Kanonenrohre gegossen hat – dieser gewaltige Mann lebt jetzt der Verehrung einer jungen Frau und der Pflege zweier kleiner Kinder.“

„Sie sind sehr verändert,“ sprach Clairon, als er mit Lüdinghausen voranging, während die Damen noch bei dem Knaben verweilten, „früher waren Sie wortkarg, ein wenig förmlich und kühl.“

„Rahel ist mein guter Geist, sie hat mir das Gemüth wärmer und die Zunge biegsamer gemacht. Ich bin in der That sehr glücklich, Clairon, sehr!“ Eine tiefe Bewegung übermannte ihn. Dann fuhr er fort: „Mir ist, als ob Sie und ich offen gegeneinander sein dürften. Offener, als es sonst Männer sind, die sich so wenig kennen. Aber in unserer Vergangenheit ist ein Tag, der uns beide in fast gleicher Gefahr sah. Sie freilich trieben aus Leidenschaft einer Klippe zu, ich aus Pedanterie. Ich glaubte, daß man nach einem vorgeschriebenen Programm sein Leben gestalten könne. Sie, meine Rahel, sie hat uns gerettet. – Sagen Sie mir nun auch, Clairon – mir scheint, ich habe ein Recht zu der Frage – sagen Sie mir: Haben auch Sie gefunden, was Sie einst vergeblich suchten?“

Clairons ernste Züge erhellten sich nicht, als er leise antwortete:

„Meines sterbenden Bruders Wunsch vermählte mich seiner Witwe. Unser gemeinsamer Kummer führte auch unsere Herzen schnell zusammen; meine Frau ist ein Kind, welches sehr des Schutzes [493] bedarf, noch jetzt. Ohne mich wäre sie rathlos in dieser Welt. Ich lebe ihr, ich lebe damit zugleich dem theuren Verstorbenen, indem ich ihr Dasein soweit ausfülle, als ihre Forderungen an das Glück nur immer gehen, und so bleibt mir das schreckliche Gefühl fern, daß ich um den Preis von meines Bruders Leben reich und glücklich geworden wäre.“

Lüdinghausen schwieg erschüttert. Er fühlte aus jedem Wort, welches den Mangel an innerster Befriedigung verbergen sollte, doch diesen Mangel heraus. Wenn Clairon auch nicht gerade leiden mochte, so war ihm doch offenbar eine höhere, geistige Vereinigung mit seinem Weibe versagt. Die Gräfin mochte ein gutes, reines Kindergemüth haben, aber größere Charaktereigenschaften schien sie nicht zu besitzen.

Es war, als ob Clairon in seinen Gedanken lese, denn plötzlich sprach er hochaufathmend:

„Ich habe meinen Sohn!“

Rahel kam ihnen nach. Ihr war eingefallen, daß Lea geäußert hatte, sie werde vielleicht die Geschwister am Strand treffen. Wenn sie jetzt erscheinen würde! Wenn sie Clairon so unvorbereitet begegnete!

„Clairon,“ versetzte sie hastig und halblaut, damit die Gräfin, welche sich noch mit dem Knaben unterhielt, sie nicht höre, „Sie wissen nun, daß Lea hier ist. Werden Sie ihr entgegentreten wollen? Was sollen wir thun? Ihre Frau scheint ahnungslos.“

„Meine Frau,“ erwiderte Clairon, „ist ein liebes, herziges Kind, das man nicht unnöthig mit vergangenen Geschichten beunruhigen darf. Wenn es sein muß, werde ich ein Wiedersehen auf mich nehmen. Feige der Fürstin auszuweichen, kann nicht meine Pflicht sein.“

Er war bleich geworden.

„Und Lea? Wie wird sie diese Begegnung auffassen? Sie ist unberechenbar. Seit sechs Jahren haben wir uns nicht gesehen, uns nur leere Briefe geschrieben. Jetzt bei unserem ersten Zusammentreffen wehrt sie meine Liebe nicht weniger kühl ab wie damals vor ihrer Vermählung; mit meinem Manne verkehrt sie in einer so großartigen Gleichgültigkeit, als wäre sie vorher ihm niemals nahe gewesen. Und dennoch, dennoch möchte ich Sie ersuchen: schonen Sie Lea!“ bat Rahel, die mit zitternder Stimme und kurzem Athem sprach.

„Es wäre zudringlich und unbescheiden,“ antwortete Clairon

Begehrte Ware.
Zeichnung von W. Zehme.

[494] eisig, „wollte ich annehmen, meine Persönlichkeit werde der Fürstin Dasanoff noch so wichtig sein, daß mein Anblick sie erregen würde.“

Diese Ablehnung war so stark, daß Rahel nur schweigen konnte.

Jetzt gesellte sich auch die Gräfin zu ihnen, und Rahel sagte, daß sie sich verabschieden müßten, denn die Fürstin habe ihnen entgegengehen wollen; sie hätten sich nun zu beeilen, sie zu treffen.

Eine plötzliche Ahnung durchzuckte Clairon, aber seine Lippen blieben fest geschlossen. Doch seine Frau rief:

„Ah – das wäre drollig! Vorhin ging hier eine Dame, sie redete unsern Sohn an. Sie sah so aus – so – – und wir dachten … ach nein, wie komisch!“

Und eine kindische Verlegenheit bemächtigte sich der Gräfin, weil es ihr beinahe entfahren wäre, welche Betrachtungen Clairon und sie über jene Dame angestellt hatten.

„Die Fürstin ist sehr groß, war heute früh wenigstens in Weiß gekleidet und pflegt Hut und Gesicht dicht mit Schleiern zu umhüllen,“ half ihr Lüdinghausen.

„Sie war es!“ entgegnete die Gräfin.

Rahel blickte wie gebannt in Clairons Züge.

Was mochte alles vorgehen hinter dieser gefurchten Stirn, die sich langsam mit flammendem Roth bedeckte!

„Nicht anfassen!“ hatte sein Sohn ihr zugerufen, ihr, die er über Ehre und Pflicht hinaus geliebt.

Und seine eigenen Augen hatten sie fremd, mißtrauisch und kritisch betrachtet wie etwa eine Abenteurerin. Und kein schnellerer Pulsschlag hatte ihm gesagt: sie ist es.

Clairon begegnete Rahels Blick und bemerkte, daß diese Angen in seiner Seele forschten.

Mit einem Lächeln, vor welchem sie erbebte, fragte er im leichtesten Ton:

„Also auf heute abend bei Ehrhausens?“

„Auf heute abend!“

„Bitte, gnädige Frau, was zieht man nur an? Ich bin ganz verzweifelt,“ klagte die Gräfin. „Seit sechs Jahren haben wir Westernburg nicht verlassen – Sie begreifen, ich bin noch heute nervös, wenn ich einen Wagen besteigen soll – und jetzt habe ich keine Gesellschaftskleider mitgenommen, ich habe überhaupt keine, denn seit dem Unglück, daß unser Bodo starb, machten wir nichts mehr mit.“

Lüdinghausen begriff, daß es für Clairon nicht leicht sein mußte, solche Reden anzuhören.

Der Verstorbene und das Unglück, welches ihn hinweggenommen hatte, beherrschte also die Westernburg und ihre Bewohner; trotz des neuen Lebens, welches seit der Vermählung Clairons mit seiner Schwägerin begonnen hatte, trugen beide doch gleichsam noch immer Trauer um den Gatten und Bruder. Welches Dasein für Clairon! Er war und blieb der „Stellvertreter“.

Nun verstand Lüdinghausen weiter auch den Ton, in welchem Clairon von seinem Knaben sprach.

Dieser Knabe wenigstens war sein, war seine echte, eigenste Welt.

„Aber Gräfin,“ sagte Lüdinghausen mit fast väterlichem Wohlwollen, „wenn die Baronin sich noch so streng ‚große Toilette‘ ausbittet, so ist man auf Reisen doch nicht verpflichtet, solche zu tragen. Kommen Sie, wie Sie da sind, und Sie werden immer reizend sein.“

Ihr enges Köpfchen war befriedigt. Man mußte ihr nur eine Weisung geben, einerlei welche, dann folgte sie und fühlte sich nicht mehr verantwortlich.

Als später Lüdinghausen mit seiner Frau am Arme in der Pension ankam, in welcher sie mit Herrn von Römpker einige Zimmer des ersten Stockwerks gemiethet hatten, fand er seinen Schwiegervater in großer Erregung seiner harrend.

Herr von Römpker war noch immer sehr jugendlich und sah genau so aus wie vor sechs Jahren. Ja, er vergnügte sich jetzt viel mehr als einst, denn es bot sich ihm ungleich mehr Abwechslung. Viele Monate brachte er in Petersburg oder auf Dasanoffschen Gütern zu. Er war eng befreundet mit seinem „großen“ Schwiegersohn, aber den Hintergrund dieser Freundschaft bildete doch das Gefühl eines gewissen Abstandes, über das Römpker dem Fürsten gegenüber nie hinauskam.

Mit Lüdinghausen stand er auch sehr gut, doch hier herrschte mehr vertrauliche Kameradschaftlichkeit. Ihm berichtete er alle Geldverlegenheiten, in denen er sich recht oft befand. Denn seit er der Schwiegervater von Millionären geworden war, lebte er selbst wie ein Nabob, und hinter Rahels Rücken hatte Lüdinghausen Römpkerhof schon beliehen. Römpker nahm das sehr leicht; erstens blieb die Geschichte in der Familie und kam nicht aus, zweitens erhielt Lüdinghausen Römpkerhof ja doch einmal, wobei er freilich Lea auszuzahlen hatte, und drittens, und das war die Hauptsache, erfuhr Rahel nichts. Denn vor dieser hatte er viel Respekt, unbequem viel.

Römpker hatte von der Pensionswirthin gehört, daß gestern wieder eine Familie angelangt sei, ein Graf Clairon-Westernburg.

Vor seiner geängstigten Einbildungskraft standen nun allerlei mehr oder minder bewegte Auftritte, welche sich abspielen mußten, wenn diese beiden – Clairon und Lea – sich plötzlich begegneten. Dasanoff war zwar nicht eifersüchtig, gar nicht, sonst würde er nicht geduldet haben, daß der Großfürst Feodor Lea überallhin begleitete und auf jedem Ball neben ihr erschien, aber eine aufsehenerregende Scene, die fand er sicher gräßlich.

Römpker war gleich hingegangen, Lea zu benachrichtigen.

„Nun, und was meinte Lea?“ fragte Lüdinghausen, der schon berichtet hatte, daß er Clairon getroffen habe und daß dieser der Fürstin nicht ausweichen wolle.

„Lea kam gerade von einem einsamen Spaziergang am Strand heim,“ erzählte Herr von Römpker, „sie sah noch blässer aus als sonst. Als ich ihr mittheilte: ‚Clairon ist da und gewiß sehen wir ihn bei Ehrhausens’ erwiderte sie ganz ruhig: ‚Nun, was weiter?‘ ‚Willst Du ihm begegnen, Kind?‘ forschte ich, worauf sie versetzte, während sie langsam die Handschuhe auszog: ‚Die kleine Ehrhausen würde untröstlich sein, wenn ich nicht da wäre, ich will die gute Frau nicht betrüben.‘“

„Also laß geschehen, was will,“ beschloß Rahel die Unterredung, „wenn beide sich stark oder gleichgültig genug wissen, ist es auch besser, sie sehen sich wieder; die Welt ist zu klein, immer kann man sich doch nicht aus dem Wege gehen.“

„Ist es nicht,“ fragte sie später ihren Gatten, „als ob die beiden von einem vernichtenden Hang besessen wären, sich Auge in Auge zu schauen? Wenn nun doch die alte Leidenschaft neu erwacht?“

„Mir ist nicht bange,“ tröstete er. „Clairon hat die Flammen in seiner Brust mit fester Hand erstickt.“

Und der Abend kam.

Der Fürst und die Fürstin Dasanoff mußten sich schon entschließen, zu Fuß die kurze Strecke zurückzulegen, welche ihre Villa von derjenigen trennte, die Ehrhausens bewohnten; die zwei Häuserlängen zu fahren, wäre komisch gewesen.

Der Fürst ging im Frack mit dem Klapphut auf dem Kopfe. Ueber seine Brust zogen sich an einer feinen Kette alle seine Orden in den üblichen Miniaturnachbildungen hin. Lea trug etwas mühsam an ihrer Schleppe. Ein weißer Mantel fiel von ihren Schultern und ihr Kopf war in einen indischen Seidenshawl gehüllt.

Hinter ihnen her stolzierte der französische Kammerdiener mit Leas Fächer und dem Ueberrock des Fürsten.

Der Abend war dunkel und merkwürdig warm. Es roch nach feuchter Erde und Kartoffelkraut. Die Grillen zirpten laut.

Aus dem einzigen Hause, an welchem man vorbei mußte, drang Lichtschein und Gesang. Das nächste war schon das Ehrhausensche. Man ging auf der landwärts gerichteten Seite der Häuser entlang, und das Meer, welches so nicht sichtbar war, verrieth durch keinen Laut seine Nähe.

Völlig unbewegt ragten die schwarzen Laubmassen in die dunkle Luft. Diese abendliche Herbststille hatte etwas Beklemmendes.

Im Flur der Ehrhausenschen Villa nahm der Diener seiner Herrin Mantel und Kopftuch ab, überreichte ihr den Fächer und half ihr die Schleppe ordnen. Die Jungfer der Baronin stand voll Ehrfurcht dabei und wagte nicht, der stolzen Dame ihre Dienste anzubieten.

Dann öffneten sich die Thüren und Lea schritt am Arme ihres Gatten in das Empfangszimmer.

Die Baronin, noch immer so zierlich, niedlich und laut wie einst, begrüßte sie mit großer Freude und stellte die bunte Welt einander vor.

In der Haltung des fürstlichen Paares prägte sich das selbstverständliche Bewußtsein aus, die ersten dieses Kreises zu sein. Es waren vielleicht zwanzig Menschen da, beurlaubte Offiziere [495] mit und ohne Damen, einige recht derb aussehende Gutsbesitzer aus der Gegend mit bekannten vornehmen Namen. Einige Damen in hochgeschlossenen Kleidern, die durch Spitzen und Blumen für diese Gelegenheit ein bißchen verschönert waren, andere in großen Schleppgewändern mit angeschnittenen Taillen.

Die Baronin sagte, daß sie sich wohl wegen ihres „möblierten“ Salons nicht zu entschuldigen habe, da sie ja alle hier in ähnlichen Räumen hausten.

Sie sprach unaufhörlich in Lea hinein, um die sich alle Welt bemühte.

Diese selbst stand kühl und hoch aufgerichtet da wie eine Königin, die dann und wann in Gnaden ein Lächeln oder ein Wort spendet. Ihr Gesicht war sehr weiß und ein leiser Puderhauch lag auf ihren Wangen. Ihr dunkles Haar war hoch geordnet, ein kleiner Halbmond voll Brillanten funkelte darin. Eine Reihe großer Brillanten umschloß ihren Hals. Und die entblößten Schultern tauchten aus echten Spitzen auf. Das Stückchen Arm, welches oberhalb des gelbbraunen Handschuhs sichtbar ward, sah aus wie von Elfenbein.

Sie langweilt sich wohl gar, dachte empört die eine oder andere Dame, wenn sie bemerkte, daß Lea kaum hörte, was man ihr sagte.

Der Fürst langweilte sich jedenfalls trotz der Bemühungen seines Schwiegervaters, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Sein hochmütiges Auge glitt über alle hinweg und ruhte nur zuweilen prüfend aus seiner Gattin, als überzeuge es sich befriedigt, daß sie die schönste und vornehmste Erscheinung des Kreises sei.

Manchmal schweifte Leas Blick kurz zu der Eingangsthür hin.

Aber die hatte sich nach ihrem eigenen Eintreten nur noch einmal geöffnet, um Rahel und Lüdinghausen einzulassen.

Diese beiden mischten sich fröhlich unter die Gesellschaft; Rahel hatte die Fähigkeit, sich mit jedem gut zu unterhalten: mit den Hausmüttern sprach sie Hausmütterliches, mit den Gutsbesitzern über die Ernte und mit den Offizieren über das Manöver. Sie sagte zu niemand etwas Bedeutendes, aber alle fanden sie sehr liebenswürdig, wenn auch lange nicht so bezaubernd wie die Schwester.

Lüdinghausen erschrak förmlich, als er Lea erblickte.

Er glaubte, noch niemals ein so schönes Weib gesehen zu haben. Aber es war eine Art von Schönheit, vor welcher ihm bangte. Er sah den feinen Puder und das müde Lächeln und er mußte denken, wie oft wohl dieses Weib mit tief verhehltem Ueberdruß sich für diese Welt schmücke.

Und wenn sogar er, der Lea nie geliebt, sich von ihrem Anblick fast verwirrt fühlte, wie mußte dieser erst auf Clairon wirken? Mußte nicht die alte Leidenschaft neu erwachen und wie so oft mächtiger aufflammen als bei ihrem Entstehen?

Er spürte den Drang, noch hinzueilen und den Mann zurückzuhalten von dieser Schwelle.

Zu spät. Eben jetzt that sich die Thüre auf und Clairon mit seiner Gattin erschien.

Lea, die sie bemerkt haben mußte, – der beobachtende Lüdinghausen war dessen gewiß, – wandte wie zufällig den Kopf nach der andern Seite und begann ein Gespräch.

Die Begrüßung zwischen der Gräfin und der Dame des Hauses war äußerst kühl. Bis jetzt schienen sich die Frauen der beiden langjährigen Freunde noch nicht lieben gelernt zu haben; die Gräfin fand das Benehmen und die Redeweise der Baronin beinahe „frech“, und diese wiederum hatte nicht für möglich gehalten, daß ein Mann wie Clairon eine solche „Hinterwäldlerin“ heirathen könne.

Ehrhausen und seine Frau hatten unter sich die einstige Geschichte zwischen Clairon und Lea als „total vergessen und verjährt“ behandelt, zu ihrer eigenen Bequemlichkeit, damit sie beide Theile zusammen einladen konnten. Jetzt empfand die Baronin für ihre „Herzensfreundin“ Lea einen förmlichen Triumph über die Unscheinbarkeit der Gräfin. Leas Eitelkeit durfte angesichts dieser Nachfolgerin im Herzen Roberts befriedigt sein.

Die Baronin zog nach einem schnellen, kecken Wort an Clairon dessen Frau mit sich, um sie der Fürstin vorzustellen.

Diese neigte so nebenher den Kopf, unterbrach ihr Gespräch nicht und musterte die Gräfin flüchtig mit unaussprechlicher Gleichgültigkeit. Der Herr, mit welchem Lea sich unterhalten hatte, versuchte die Gräfin durch eine gelegentliche Frage mit in die Unterhaltung zu ziehen. Aber da man gerade die Pariser und Petersburger Gesellschaft verglich, so konnte die Arme nicht mitreden. Sie war immer nur in Westernburg und vordem auf dem benachbarten väterlichen Gut gewesen.

Lüdinghausen sah sie schüchtern neben Lea stehen. Sie trug ein hellgraues Seidenkleidchen, vielleicht aus der Halbtrauer für den ersten Gatten, und sah wie ein Schulmädchen neben einer Königin aus. Es war etwas in dieser Lage, was dem ritterlichen Sinn Lüdinghausens widerstrebte; er wußte sich schnell der Gräfin zu nähern, nahm ihren Arm und führte sie mit sich fort, nicht ohne einen spöttischen Blick von Lea zu empfangen, den er mit Ernst erwiderte. Er setzte die Gräfin vor einer Skizzenmappe fest und blieb hinter ihr stehen, um zu beobachten, während er mit ihr sprach.

Und so entrollte sich vor ihm das wunderlichste und peinlichste Schauspiel.

In diesen kleinen Räumen, unter diesen zwei Dutzend Menschen schritten zwei aneinander vorbei, ohne sich scheinbar auch nur einen Augenblick zu bemerken.

Und dennoch athmete eines des andern Nähe. Alle ihre Sinne waren angespannt und unter dem Geschwirr der vielen Stimmen vernahm jedes nur die eine! Und wenn Clairon plaudernd der Fürstin den Rücken wandte, fühlte er es dennoch, wie sie hinter ihm vorbeiging. Ein Schauer rieselte dann durch seine Nerven, und die Falte auf seiner Stirn vertiefte sich.

Und in Leas Augen glühte eine so düstere Flamme, ihr Lachen war so völlig erlogen, daß es dem stillen Zuschauer unheimlich dabei wurde.

Die Hausfrau wollte, daß man musiziere. Es traf sich, daß einer der Herren als ausgezeichneter Sänger von seinen Freunden vorgeschoben wurde und daß er auch, an diese „Entdeckung“ seiner Kunst gewöhnt, Noten mitgebracht hatte.

Lea solle auch singen, bat die Baronin, darauf habe sie sich am meisten gefreut und deshalb Noten besorgt.

Bei diesen Unterhandlungen war die ganze Gesellschaft erwartungsvoll verstummt.

Lea erwiderte, daß sie fast nie mehr singe.

„Aber theuerste Lea, Sie können doch Ihre Kunst in so kurzer Zeit nicht verlernt haben,“ beharrte die Baronin, „sehen Sie, hier ist Schubert, den Sie früher so schön gesungen haben. Ich erinnere mich besonders als das ,Sei mir gegrüßt, sei mir geküßt‘. Es war Ihr Lieblingslied.“

Lea befand sich mit der Baronin am Flügel, mitten im Salon. Sie fühlte es mit jeder Faser: er, er stand ihr gerade gegenüber und sah an ihr vorbei wie sie an ihm. Und sie wußte, daß sein Atem stocke wie der ihre, als die Baronin von jenem Liede sprach.

Einen Herzschlag lang zögerte Lea. Dann sagte sie:

„Ich singe nie mehr Schubert und habe überhaupt seit sechs Jahren kein deutsches Wort gesungen.“

„So laß’ Dich mit einem russischen Liede hören!“ fiel hier der Fürst ein. Er sprach immer russisch oder französisch und verstand das Deutsche nur unvollkommen, er hatte sich auch nicht die Mühe genommen, es durch seine Gattin zu lernen.

Das fürstliche Paar beriet nun in einigen Wechselreden auf russisch, was Lea etwa zum besten geben könne.

Clairon glich einer Statue. Seine Hände waren wie von Eis, seine Lippen fest geschlossen, sein Athem ging kurz.

Wie das war – sie so in fremden Lauten mit jenem Mann reden zu hören, dessen Züge auch den Stempel einer fremden Rasse trugen! Dieser Mann, dessen hohe Stellung und gesellschaftliche Bildung die Rohheit seines Angesichts nicht zu verwischen vermocht hatten – dieser Mann war ihr Gatte, nein, ihr Herr.

Und alles dünkte Clairon wie ein Schattenspiel, ein Traum. In seinem Herzen ward es still. Ihm war, als dehne sich ein Weltmeer aus zwischen ihm und jener fremden, schönen Frau, die jetzt sang. Nur fern, fern wie aus versunkenen Zeiten vernahm er die Stimme.

Er kannte die Melodie dieses Liedes und der Text von Lermontow war ihm in deutscher Uebersetzung vertraut:

„Gönnt mir goldne Tageshelle
Nach des Kerkers langer Nacht!“

Wohl hörte er den heißen Aufschrei einer geknechteten Seele wahr, erschütternd wahr von ihren Lippen kommen. Aber es war, [496] als ob es ihn gar nichts angehe, als ob er diese Frau nie gekannt und diese Lippen nie geküßt habe.

Und nun sah er sie an, mit neugierigem Erstaunen, das noch mit einem leisen Schauer der Erregung gemischt war. Schön, dämonisch schön, sagte eine Stimme in ihm, und für ihn klang das so gleichgültig, als habe es jemand neben ihm gesprochen.

Lea hatte ihre Augen in die Ferne gerichtet und spürte doch, daß er sie anblickte. Allein ihre Seelen irrten auseinander. Während er sich traumverloren ferner und ferner von ihr fühlte, rang sie in heißen Tönen, um ihn noch einmal zu binden, und sei es auch nur für die Sekunde eines schmerzlichen Blicks.

Sie endete. Alles jubelte Beifall. Der Fürst lächelte, es war ein zärtliches Lächeln, und er küßte seiner Frau die Hand auf eine besondere und bedeutungsvolle Art. Lea erzitterte und ihr Auge flog schnell zu dem andern Mann hinüber. Da sah sie, daß jener die kleine Scene beobachtet hatte und daß auch er lächelte mit einem Ausdruck, vor welchem ihr Herz erstarrte.

Der Sänger, welcher sich vorhin von seinen Freunden hatte entdecken lassen und Lea geschickt begleitet hatte, ließ sich nun nicht mehr halten. Er wollte auch gehört sein. Und unter Schumann that er es nicht. Er begleitete sich selbst und erging sich zunächst in einem phantasierenden Vorspiel.

Lea war in der Nähe des Flügels, gegenüber von Clairon stehen geblieben. Es waren kaum zehn Schritte zwischen ihnen.

Der musikalische Herr begann zu singen: „Ich grolle nicht“. Ob er gut sang oder schlecht, ob er Stimme hatte oder keine – weder Clairon noch Lea hörte es. Sie vernahmen nur die höhnischen Worte eines Herzens, welches ohne Mitleid verzeiht.

Und da kam die Sekunde, wo ihre Augen sich nicht mehr flohen.

Sie schauten sich an, lange, so lange, als das Lied dauerte.

Was alles eine Menschenseele in ein Auge hineinlegen kann, sie faßten es zusammen in diesem Blick.

Und der Mann las die ganze Geschichte eines verlorenen Lebens in den Augen der Frau. Von der Schmach des Ehebundes ohne Liebe sprachen sie, von der verzweifelten Reue über das selbstbesiegelte Geschick, von den dunklen Stunden, wo mit künstlichem Leichtsinn vergebens Vergessenheit gesucht wird und nur erhöhter Ekel bleibt; und auch davon redete ein scheu aufflackernder, heißflehender Blick, daß dieses arme Herz noch immer ihn, nur ihn allein liebe.

Und das Weib las ebenso deutlich in des Mannes Seele. Da war kein Kampf mehr, nur ernste, eherne Ruhe. Wie ein Richter stand er vor ihr, stumm und doch so beredt. Und das Urtheil lautete auf „schuldig und verdammt“.

Das Lied endete. Wie ein Nachhall schwebte es durch den Raum:

„Ich sah, mein Lieb, wie sehr Du elend bist.“

Da lösten sich ihre Blicke auseinander.

Und Robert Clairon ging mit festen Schritten auf sein Weib zu. Er reichte dem edlen Freund, der schützend neben ihr gestanden hatte, mit starkem Druck die Rechte und sah ihm tief in die verständnißvollen Augen:

„Komm, mein Weib,“ sprach er mit einer unendlichen Güte in der bebenden Stimme, „komm heim! Es verlangt mich nach meinem Knaben.“

Und Erasmus Lüdinghausen sandte ihm einen frohen, beruhigten Blick nach.




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Gefahren beim Bergsteigen.

Von M. Haushofer.

Sommer um Sommer wandern Tausende in die Alpen, um an deren Größe das Herz zu stärken und zu erfreuen. Aber nur wenig Auserlesenen ist es vergönnt, die wilde Hoheit der Bergnatur bis in ihre verborgensten Geheimnisse zu verfolgen. Denn dazu gehört zwar nicht viel Geld, aber stählerne Kraft in den Gliedern, ein schwindelfreier Kopf, zähe Ausdauer und vor allem jene feurige Liebe zum Naturschönen, die alle Mühsal und alle Entbehrung gewohnter Bequemlichkeit, die Hunger und Durst, Frost und Nässe als geringfügige Uebel erscheinen läßt gegenüber den großen und erhebenden Freuden, die der Lohn des Bergwanderers sind.

Soweit die Pflanzenwelt hinaufreicht, ist von ernsten Gefahren keine Rede – für den, der die Berge kennt. Wer sie aber nicht kennt, dem drohen Gefahren schon in solchen Höhen, wo er noch das Rauschen der Flüsse aus den Thälern und den Schlag der nächsten Dorfuhr vernimmt. Er braucht nur muthwillig vom gebahnten Wege abzuweichen, den tiefen Stand der Sonne oder aufsteigende Dunstballen zu mißachten; dann kann es ihm leicht geschehen, daß er nach stundenlangem Umherirren in Nacht und Nebel plötzlich an einer Felswand hängt, die unter ihm steil und thurmhoch in die Tiefe schießt, und es bleibt ihm nichts übrig, als zu warten, bis es Tag wird oder bis ihm nach stundenlangem Rufen ortskundige Leute zu Hilfe kommen. So fordern nicht die entlegenen Hochgebirgswüsten, nicht die in ewigem Eise prangenden Gipfel die meisten Opfer, sondern die Voralpen, die Umgebungen stark besuchter Alpendörfer, jene Wegstrecken, wo es sich von selbst versteht, daß der Fremde ohne Führer geht und dem Reize folgt, der darin liegt, sich selber den Pfad zu suchen. Die Veranlassung, vom rechten Wege abzuweichen, liegt ja oft in der Beschaffenheit der Alpensteige, von welchen jene, die zu aufgegebenen Weideplätzen, Holzschlägen oder Köhlerhütten führen, in Verfall gerathen und leicht zu Irrwegen werden können. Oft spielt auch eine seltene Blume die Rolle des Verführers oder ein erwarteter Aussichtspunkt oder die Lust, die Rückwanderung nach dem Alpendorf abzukürzen. Alljährig liest man von Unfällen, die sich bei solchen Gelegenheiten zutragen; denn der jähe Bergtod kann hinter jedem Fels, an jedem auch nur haushohen Absturz, in den Wirbeln jedes Wildbachs lauern.

In seiner ganzen wilden Größe schaut er unverhüllt den Wanderer im Hochgebirge an. Verschiedener Art aber sind die Fährlichkeiten, welche das nackte Felsengeripp der Berge bietet, von jenen, die im Schnee und im Eise drohen.

Dem Wanderer, der einmal über die Grenze des Planzenwuchses hinaufgestiegen ist, bieten steile Felswände, schräg abschießende Platten, Risse und kaminähnliche Spalten in den Felsen, kammartige Schneiden, riesige Trümmerfelder Veranlassung zu Kletterkünsten aller Art. Bei solchen Kletterpfaden ist es zunächst das eigene Nervensystem, das den Wanderer gefährdet, der Schwindel, der den Ungeübten leicht befällt. Er ist ein Feind, der nur durch die Uebung bezwungen wird, durch den allmählichen Uebergang vom Leichten zum Schwereren. Wen er anfällt, dem beginnt die Landschaft vor den Augen zu schwanken, den überkommt mit jähem Schreckgefühl das Bewußtsein, daß er seines Trittes, seines Griffes nicht mehr mächtig sei; aus der Tiefe des Abgrunds, der unter seinen Füßen liegt, kriecht eine unheimliche ungeheure Angst zu ihm herauf und umfängt ihm die Sinne, bis er taumelt, strauchelt und stürzt.

Eine andere Gefahr, auch für den Schwindelfreien, liegt in der Unsicherheit des eigenen Tritts. Für den geübten Bergwanderer ist jeder Tritt sicher, wenn sich eine Handgroße Fläche bietet, worauf er stehen kann; ja es giebt Jäger und Führer, die auf einem fingerbreiten Felsvorsprung festen Fuß fassen können. Der Neuling braucht freilich mehr. Ist aber das Stückchen Boden, auf welches man den Fuß setzen will, nicht eben und nicht rauh genug, sondern etwa schräg geneigt, abgerundet oder glatt, dann könnte selbst der Geübteste abgleiten. Hier ist es nun Sache des erfahrenen Blicks, zu entscheiden, wo ein Halt gewonnen werden kann, wo nicht. Mitunter, wenn mehrere solche Tritte sich folgen, muß jene Entscheidung während des flüchtigen Sprunges geschehen.

Schwieriger wird diese Frage, wenn der Fels brüchig, wenn er mit Schnee oder Eis überkleidet, von einem Bergwasser überrieselt ist. Es giebt ja Felsarten, auf deren Haltbarkeit der Wanderer vertrauen kann. So Granit und Gneis und die meisten Kalkfelsarten. Aber verwitterte Schiefer zerbröckeln unter Hand und Fuß. Da muß bei jedem Tritte und Griffe erst geprüft werden, ob der Boden oder die Wand, auf die man sich verläßt, tragfähig ist.

Die Launen der Natur haben manche seltsame Bildungen der Erdrinde geschaffen, die sich dem Alpenfreunde in den Weg stellen. Man wandert auf einem Berggrat fort, der einen erträglich sicheren und breiten Pfad bildet, wenn man sich nur erst gewöhnt hat, von den rechts und links klaffenden Abgründen sich nicht schrecken zu lassen. Plötzlich ist der Grat tief und breit eingerissen; da gilt es, sich am Seile hinunterzulassen auf einige aus der Tiefe emporragende Felszacken und dann jenseits emporzuklettern, bis die Grathöhe wieder erreicht ist. Oder wir gehen längs einer steilen Wand auf schmalem Felsenbande hin. Plötzlich endet das Band an einer jähen Rinne, durch welche wir aufwärts kriechen müssen, um ein neues Felsband aufzufinden, das an der Wand weiterführt. Oder wir wandern fürder auf einem breiten Plattenwege, breit wie eine Straße unserer Hauptstädte. Auf einmal finden wir, daß die früher kaum geneigten Steinflächen eine immer schrägere Stellung nach dem Abgrunde zu aufweisen und dabei immer glatter werden. Nun beginnen wieder die Kletterkünste; bald ist unser Halt eine schmale Ritze, gerade tief genug, um ein paar Finger hinenzupressen, bald ein Moospäckchen, das an Felsen hängt und dessen Haltbarkeit wir vorsichtig prüfen. So arbeiten wir uns hangend, liegend, kriechend fort, bis der Boden wieder eine liebenswürdigere Gestalt annimmt. Ein andermal winkt uns ein schräg abfallendes Feld von riesenhaften Trümmern, die oft in schwankende Bewegung gerathen, wenn wir sie betreten. Da gilt’s mit keckem Schwunge von einem Block auf den andern zu springen und dann sofort, auch auf der schmalsten Aufsprungstelle, sicher zu stehen. Denn ein Fehlsprung kostet hier zwar nicht gleich den Hals, kann aber doch die Ursache eines Beinbruchs oder ähnlicher Verletzungen werden.

Ganz anders gestalten sich die Dinge auf Schnee und Eis. Die Schrecknisse der Felsenwelt schauen dem Wanderer offen und trotzig ins Gesicht; die des Eises und des Schnees sind versteckter, tückischer. Die bekannteste Gefahr der Gletscherwelt sind die Spalten, welche die meisten Gletscher und Firnfelder bis in grauenhafte Tiefen hinunter zerschründen. Wo die Gletscher gegen die Thalsohle zu heruntersteigen, gähnen jene Klüfte dem Reisenden offen entgegen, in prächtiger blaugrüner oder weißlichgrüner Färbung.

[497] 

Gefährlicher Abstieg.
Zeichnung von Hugo Engl.

[498] Da werden sie leicht umgangen oder übersprungen. Höher droben aber, wo auch im Hochsommer oft Neuschnee liegt, bedeckt dieser die Risse mit trügerischen Brücken. Hier schützt nur das Gletscherseil, das die Reisenden untereinander verbindet, sodaß, wenn auch der eine oder andere die dünne Schneekruste durchbricht, er doch nicht in die Tiefe stürzen kann, sondern von den Gefährten mit kraftvollem Ruck wieder emporgezogen wird. Für den einzelnen freilich, der es wagen wollte, ein zerklüftetes und überschneites Firnfeld zu überschreiten, wäre das fast der sichere Tod. Die breitesten jener Schründe sind die Randklüfte, die sich dort finden, wo das Eis- oder Firnfeld an Felswände anstößt. Sie sind häufig viel zu breit, um übersprungen werden zu können, und müssen dann durch verwegene Kletterkünste überwunden werden; natürlich mit Hilfe des Gletscherseils und mittels Stufen, welche die Eisaxt in die krystallenen Wände schlägt. Da das Eis der Gletscher in beständiger, wenn auch langsamer Bewegung ist, verändern sich allmählich auch die Spalten; und selbst die wegkundigsten Führer müssen in jedem Sommer den Pfad aufs neue suchen, den sie in früheren Jahren schon hundertmal gegangen sind.

Wo steile Schneefelder dachförmig aufsteigen oder über jähen Felshängen abbrechen, entstehen durch die Gewalt der Stürme überhängende Schneemassen, sogenannte „Wächten“. Sie bilden scheinbar breite bequeme Wegstrecken, doch unter ihnen lauert der Tod; denn leicht brechen sie unter dem Gewicht eines Menschen ein und stürzen sammt dem Unvorsichtigen in den gähnenden Abgrund. In tieferen Lagen dagegen sind Schneefelder häufig von Bergwassern unterwaschen und unterhöhlt; es entstehen Schneebrücken und Schneeschilde, die oft genug den Wanderer tragen, manchmal aber doch unter seinem Fuße einbrechen und ihn zwischen Eis und Fels ein düsteres Ende finden lassen, ein Ende in Frost und Finsterniß, wo niemand seinen letzten Hilferuf vernimmt.

Auch der sicherste Tritt schützt nicht, wo der Boden unter dem Wanderer weicht. Es trifft sich manchmal, daß auf geneigten Eisfeldern oder Felsplatten lockerer Schnee liegt, der ins Abschießen geräth, wenn man ihn betritt, und dann den Reisenden mit sich in die Tiefe nimmt.

Ist dies eine Gefahr, der man in vielen Fällen, wenn auch nicht immer, ausweichen kann, so ist eine andere, die von oben kommt, drohender und unheimlicher. Denn auch ein stählernes Sprunggelenk, auch ein schwindelfreies Haupt schirmen nicht gegen Schnee- und Eislawinen und gegen die gefürchteten „Steinschläge“. Schneelawinen gehen von steilen Schneehängen um die Mittagszeit, oder wenn der warme Föhn weht, ungemein häufig ab. Die entsetzliche Wucht, mit welcher sie alles fortreißen, was sie ergreifen, macht den Menschen gegen sie völlig machtlos; die Schnelligkeit ihres Sturzes läßt eine Flucht vor ihnen kaum als möglich erscheinen. So bleibt denn nichts übrig, als die Lawinenwege in größter Schnelligkeit und thunlichst in solchen Tageszeiten und bei solcher Witterung zu kreuzen, wo am wenigsten von dieser vernichtenden Naturerscheinung zu fürchten ist. Nicht harmloser, nur seltener sind die Eislawinen, welche niedergehen, wenn übereinandergethürmte Eismassen, durch die Tageswärme in ihrem Zusammenhange gelockert, einstürzen und mit zerschmetternder Gewalt in die Tiefe sausen.

Etwas Aehnliches sind die Steinschläge. Auch der härteste Fels verwittert und sendet von Zeit zu Zeit Trümmer in die Tiefe; von Absturz zu Absturz fallend, erhalten sie zuletzt die rasende Geschwindigkeit von Kanonenkugeln. Der flüchtige Fuß einer Gemse kann ein Geröllstück loslösen, abschmelzendes Eis kann es aus seiner Lage bringen. So giebt es besondere verrufene Stellen, die um der Steinschläge willen möglichst gemieden werden; aber auch an jedem andern Platze, wo hohe Felswände den Weg überragen, kann jählings solch ein tödliches Geschoß mit unheimlichem Pfeifen und Krachen niedergehen.

Wir haben in vorstehendem nur die häufigsten Gefahren des Hochgebirges aufgezählt, das sind indessen noch nicht alle. Oft müssen tobende Gletscherbäche auf schwankenden Baumstämmen überschritten oder mit keckem Schwung übersprungen werden; steile Schutthalden und Sandriffe gerathen unter dem Fuß in rollende Bewegung. Und hoch droben in den schweigenden Wildnissen des ewigen Eises hausen Schneestürme, von deren todbringender Gewalt sich derjenige keine Vorstellung macht, der niemals jene Wüsten betrat.[1]

Aber das Menschengeschlecht hat in allen Jahrhunderten der fortschreitenden Civilisation jene Kühnheit nicht verloren, die es in grauer Vorzeit durch den beständigen Kampf gegen eine übermächtige Natur sich erwarb. Und mit dieser Kühnheit wagen sich Unzählige immer wieder hinauf in Fels und Eis, um sich der unvergänglichen Schönheit des Hochgebirges zu erfreuen.

Auch die Bergwanderer, die unser Bild vorführt, gehören zu diesen Kühnen. Sie sind im Absteigen über eine ziemlich bedenkliche Stelle begriffen. Eine steile Kletterpartie durch eine Felsrinne haben sie schon hinter sich, um nun ein scharf geneigtes Schneefeld zu überschreiten, während ein paar in der Höhe losgelöste Felstrümmer zwischen ihnen niederkrachen, glücklicherweise ohne einen von der waghalsigen Gesellschaft zu treffen. Es ist einer jener Augenblicke prickelnder Aufregung und packenden Ernstes, die solche Wanderungen zu unvergeßlichen Erinnerungen gestalten. Unsere Reisenden werden mit dem Schrecken davonkommen und heil ins Thal hinabgelangen, weil sie so weise waren, sich mit guten Führern zu versehen, mit Führern, denen man es ansieht, daß sie allen Schrecknissen und Mühen gewachsen sind. Und das ist das einzig Richtige bei solchen Wanderungen. Kühnheit allein vermag wohl den Gefahren ins Gesicht zu schauen; aber um sie auch zu überwinden, muß man sie kennen, wie die Alpenführer sie kennen. Es ist sinnlos, sich der Gefahr muthwillig aufs Gerathewohl entgegenzuwerfen, wo doch keine Nothwendigkeit dazu zwingt, wo vielmehr in den Führern sich die zuverlässigsten Lehrmeister bieten, um sie vorsichtig zu vermeiden oder sicher zu bestehen. Diese rauhen und einfachen Söhne des Hochlands haben einen prächtigen Zug in sich. Wenn sie auch zunächst der Erwerbstrieb dazu bringt, Führer zu werden, so wird in ihnen doch von dem Augenblicke an, wo die Noth beginnt, jeder andere Gedanke zurückgedrängt durch das brave und treue Gefühl, daß sie ihren Reisenden Hüter und Helfer sein wollen.




Das Eisenbahnunglück bei Mönchenstein.

Von einem der unheilvollsten Ereignisse in der Geschichte der Eisenbahnunfälle wurde am 14. Juni die Strecke Basel-Delsberg der Jura-Simplonbahn betroffen; infolge eines Brückenbruchs verunglückte ein Zug, der mit Theilnehmern an einem in Mönchenstein stattfindenden Sängerfeste überfüllt war. Die beiden vorgespannten Lokomotiven sowie mehrere Personenwagen und ein Postfahrzeug stürzten in die hochgehende Birs. Die nachfolgenden Wagen blieben zwar auf dem Geleise beziehungsweise auf dem Brückenpfeiler stehen, jedoch auch ihre Insassen kamen vielfach zu Schaden. Ueber 70 Todte und eine Menge von Verwundeten waren die Opfer. Die Einzelheiten und die erschütternden Vorgänge, welche sich an Ort und Stelle abspielten, sind durch die Tagesblätter ausführlich behandelt worden, und wir wollen Bekanntes nicht wiederholen. Eine Anschauung von den Verwüstungen giebt unsere Abbildung.

Die vorläufigen Nachforschungen haben einen Mangel in der Bauart oder im Material der Brücke nicht feststellen können, doch bleibt eine nähere Untersuchung bis nach Bergung sämmtlicher Bruchstücke vorhehalten. Ob eine solche überhaupt zur Klarheit führen wird, ist zum mindestens zweifelhaft, da hier, wie in allen derartigen Fällen, sämmtliche Theile der Brücke und der Fahrzeuge so zerbrochen und verbogen sind, daß es unmöglich erscheint, den Ausgangspunkt der Zertrümmerung und somit die grundlegende Ursache mit Sicherheit festzustellen.

Aber eine furchtbar ernste Mahnung ist dieser Fall für die Ingenieure, sowohl für diejenigen, welche den Entwurf zum Bau einer Brücke anfertigen, als für die Leiter des Betriebes, welchen deren stetige Beobachtung obliegt.

Nach dem ersten Bilde, welches die Brücke vor dem Unfalle darstellt, war diese nach dem sogenannten „Diagonalsysteme“ gebaut und hatte „unterliegende Fahrbahn“. Die Eisenbahnschienen ruhen bei solchen Brücken auf Querträgern, diese sind mit dem untern Theile (der untern Gurtung) der Hauptträger verbunden, die sie hier zu einem festen Systeme verbinden. Um auch die obern Theile der Hauptträger (die obere Gurtung) miteinander in Verbindung zu setzen, sind durchbrochene Querträger und über Eck reichende Flacheisen benutzt. Von der obern zur untern Gurtung reichen Diagonalverbindungen, welche wegen ihres sogenannten Dreiecksverbandes den nöthigen Widerstand gegen Verschiebungen leisten. Das System der Brücke ist vom Standpunkte des Ingenieurs vollständig einwandsfrei. Auf den Laien macht allerdings das Bauwerk den Eindruck des Spinngewebes, aber man bedenke wohl, daß hier der Schein ungemein trügt. Nicht die Menge des Materials, sondern die Anordnung desselben ist das Entscheidende. Die Ingenieurkunst ist imstande, im voraus genau zu berechnen, wie viel Zug oder Druck auf jeden Stab entfallen wird und zwar sowohl bei ruhiger Belastung, als auch, wenn ein Eisenbahnzug — und zur Sicherheit wird ein aus lauter Lokomotiven bestehender angenommen — über die Brücke saust.

Diese Berechnungen werden mit äußerster Sorgfalt angestellt und von der Behörde mit derselben Sorgfalt nachgeprüft. Ferner wird das zur Herstellung benutzte Eisen- und Stahlmaterial gewissenhaft erprobt und gesichtet, ehe es zur Verwendung kommt.

Sobald die Brücke an Ort und Stelle fertig dasteht, wird sie einer streng beaufsichtigten Probebelastung, zunächst mit ruhiger Last, etwa mit Eisenbahnschienen, unterworfen. Dabei wird beobachtet, wie viel sich die Brücke an verschiedenen Stellen durchbiegt, ob und bis zu welchem Grade die Durchbiegung nach Entfernung der Last wieder verschwindet. Ein geringes Maß „bleibender Durchbiegung“ ist stets ein Zeichen guter Ausführung. [499] Dieselben Versuche werden dann angestellt bei beweglicher Last, wofür Lokomotiven und schwer beladene Wagen verwendet werden. Erst wenn diese Versuche nachgewiesen haben, daß die seitens der Bauverwaltung vertragsmäßig ausbedungenen, möglichst hoch gestellten Anforderungen erfüllt sind, erst dann wird die Abnahme vollzogen und die Betriebsfähigkeit amtlich erklärt.

Die Birsbrücke vor dem Einsturz.

Derartige Belastungsproben werden im Laufe des Betriebes in kurzen Zeitabständen wiederholt; zeigen sich dabei irgendwelche Unregelmäßigkeiten, so hat man es durch Auswechslung zweifelhafter Theile, durch Erneuerung von Nieten, durch Verstärkungen, die sich gewöhnlich anstandslos anbringen lassen, in der Hand, die Mängel zu beseitigen.

Bei solchen Vorsichtsmaßregeln ist es nach menschlichem Ermessen nahezu unmöglich, daß ein Bruch eintritt. Aber Menschenwerk ist eben Stückwerk und wird es auch bleiben.

Bei dem Unglück von Mönchenstein ist von technischer Seite die Möglichkeit in Betracht gezogen worden, daß eine Entgleisung stattgefunden habe. Wenn wir dies als richtig annehmen, so müssen wir allerdings einräumen, daß keine Brückenkonstruktion imstande ist, den Anprall einer in voller Geschwindigkeit daherbrausenden Lokomotive auszuhalten. Jede Brücke, und wäre sie noch so stark, wird dann zersplittern und zerknicken wie der Halm vor dem Sturme.

Nach dem Zusammenbruch.

Ob der vorliegende Fall nicht dazu führen wird, auf die Anbringung von seitlichen Leitschienen, sogenannten „Zwangsschienen“, größere Sorgfalt zu verwenden und die Anwendung derselben den Bauverwaltungen zur Pflicht zu machen? Bei allgemeiner Durchführung dieser Maßregel würde wenigstens die Möglichkeit des Anpralles an die Brückentheile zur Unwahrscheinlichkeit werden. Ferner wird vielleicht das erschütternde Vorkommniß zu strengerer Handhabung der Vorschriften bezüglich der Fahrgeschwindigkeit auf Brücken führen, denn die bewegliche Last [500] führt immer Schläge und Stöße herbei und muthet den Brückenbauten Leistungen eigenthümlicher Art zu, die sich der Berechnung nicht wohl fügen.

Während nun von seiner Seite dem Ingenieur Eiffel, von welchem der Entwurf der Brücke herrührt, Vorwürfe gemacht worden sind, haben sich einige französische Blätter nicht enthalten können, das angeblich deutsche Material zu bemäkeln; von deutscher Seite ist dagegen entschiedene Verwahrung eingelegt worden. Das Material stammt nicht aus den beschuldigten deutschen Werken.

Geradezu vermessen ist aber die Behauptung eines französischen Blattes: „So etwas kann bei uns nicht vorkommen.“ Als Grund wird angegeben die häufige Durchmusterung der französischen Brücken, verbunden mit Belastungen, welche sich auf das Vierfache der gewöhnlichen Belastung steigern. Wer bürgt aber dafür, daß bei dieser übermäßigen Belastung nicht der Keim zum demnächstigen Zusammenbruche gelegt wird? Aus Gründen dieser Art ist z. B. auch die früher bei uns vorgeschriebene Dampfkesselprobe mit dem Doppelten des angemeldeten Druckes gesetzlich bebedeutend erniedrigt worden. Also keine Ueberhebung!

Wir wollen an den Fall keine weitere, vorläufig ohnehin verfrühte Kritik knüpfen, und wünschen nur, daß er dazu dienen möge, den Ernst der Behandlung aller einschlägigen Fragen zu verstärken und die Bestrebungen auf möglichste Sicherung zu beleben.H.     


Blätter und Blüthen.

Begehrte Ware. (Zu dem Bilde S. 493.) Bisweilen fährt durch die belebtesten Viertel Berlins ein zierlicher Wagen mit Glasscheiben, in dem allerlei unruhiges, bellendes oder dumpf in sein Schicksal sich ergebendes, vierbeiniges Volk geborgen ist. Namentlich mit weißen Seidenhündchen wird da gehandelt. Hin und wieder aber steht auch ein Händler in der Friedrichstraße und bietet die kleinen Geschöpfe aus freier Hand an. – Graue, gutmüthig und dumm ausschauende, weichpelzige Möpse mit schwarzen Schnauzen sah ich jüngst.

„Wie viel kostet der Kleine?“

„Zwölf Mark, frei ins Haus!“ und der Händler läßt gewandt eine Menge Auseinandersetzungen über die Vortrefflichkeit des Objektes folgen, so daß er oft in kurzer Zeit alles abgesetzt hat.

Unser Zeichner hat einen, von ihm wohl „Unter den Linden“ beobachteten derartigen Straßenverkauf mit großer Anschaulichkeit wiedergegeben. Das Auge wird besonders gefesselt durch die Mittelgruppe, durch den alten Mann mit dem treuherzigen Gesichtsausdruck und durch die beiden kleinen aus der Rocktasche hervorguckenden Taugenichtse. Sie haben es sicher gut bei dem Alten. Allerliebst sind auch die beiden sich ganz ihrem Entzücken hingebenden Kinder, durchaus der Wirklichkeit entsprechend. Wer hätte nicht schon Kinder beim Anblick kleiner Hunde und Katzen in derartige zärtliche Begeisterung gerathen sehen. Selbst die Puppen hätten eifersüchtig werden können! – Uebrigens findet sich auf dem lebhaft wirkenden Bilde kein Gesicht, das nicht naturgetreu wäre, bei jedem deckt sich der Ausdruck mit der Persönlichkeit; so und nicht anders zeigt sich bei solcher Gelegenheit die rasch versammelte Schar der Bewunderer und Neugierigen und wir schauen alle gern dahin, wo wir unverfälscht das Gemüth sich regen sehen: hier regt es sich bei dem Anblick der kleinen, allerliebsten, wie man im Norden sagt „schnuffigen“ Geschöpfe! – g.     

Seltene Künstler. (Zu dem Bilde S. 488 u. 489.) Eine sorglose Unterhaltung in sturmdrohender Zeit! Aus dem fernen Paris kommen böse Botschaften von Königsmord und blutiger Pöbelherrschaft, das stört aber die aristokratische Gesellschaft von Venedig nicht in ihrem Behagen, sie verläßt sich auf die Neutralität der Republik und treibt ahnungslos im gewohnten genußsüchtigen Lebensstrom dem großen Verhängniß entgegen. Ist doch das Venedig des 18. Jahrhunderts ein Hauptvergnügungsort für ganz Europa geworden! Hier treffen sich die vornehmen Müßiggänger aller Nationen, hier kann man die Reize einer aristokratischen Geselligkeit mit dem bunten Volksleben der Hafenstadt vereinigen und alle die ergötzlichen Schauspiele mitgenießen, welche hohe und niedere Venetianer zu den unentbehrlichen Lebensbedürfnissen rechnen.

Freilich, eine Ergötzlichkeit wie die auf unserem Bild dargestellte gehörte selbst in Venedig ums Jahr 1793 zu den größten Seltenheiten. Japaner aus dem fernsten Osten sind mit einem Indienfahrer angekommen, sonderbar gelbe Kaftanträger mit unbegreiflichen Kunststücken voll zauberhaftester Wirkung. Sie geben ihre Vorstellungen nicht auf dem Markusplatz, man reißt sich um sie in den Salons und ist glücklich, wenn sie kommen.

So stehen sie denn nun hier in dem vornehmen Kreis, gleichmüthig und von der Pracht dieses herrlichen Raumes unerschüttert, lassen ihre Papierschmetterlinge wie lebendige flattern, spielen mit vier, sechs, acht Bällen gleichzeitig, ohne daß einer zu Boden fällt, und machen das alles so leichthin, als sei es die einfachste Sache von der Welt. Staunend sehen es die Anwesenden: der jungen Contessa im Lehnsessel ruht der Fächer unbeweglich zwischen den Fingern, ihre bereits nach der neuen Einfachheitsmode gekleidete Schwester vergißt die beiden Verehrer rechts und links, selbst der hinter ihr sitzende Jüngling, welcher den ganzen Abend einzig an die Wirkung seines neuen Kostüms à l’Incroyable gedacht hat, giebt sich dem verblüffenden Zauber hin. Die alten Herren auf den Lehnsesseln sind ganz Auge, selbst der leidenschaftliche Schnupfer hinter ihnen starrt, während er seine Prise nimmt, unverwandt auf den Künstler hinüber. Nur ein kritischer Geist hat sich von der Gesellschaft wegverzogen, um bei den Gehilfen dort am Tisch mit den Zaubergeräthen der Sache etwas näher auf die Spur zu kommen. Ob ihm wohl die Erklärungen des höflichen Japaners dazu viel nutzen werden? ...

Der Künstler hat es verstanden, uns aufs lebendigste in jene längst vergangene Zeit zu versetzen. Sein liebenswürdiges Bild zeigt alle Vorzüge der so überraschend emporgewachsenen neu-italienischen Schule: die auf sorgfältiger Beobachtung beruhende scharfe Charakteristik, damit verbunden aber eine heitere Schönheitsfreude, die in unseren Zeiten der Elends- und Häßlichkeitsmalerei immer noch erfreulich anmuthet, auch wenn solch ein Bild eine Gesellschaft darstellt, die manche Sünde gegen Volksrecht und Menschenwürde auf dem Kerbholz hat. Bn.     


Kleiner Briefkasten.

G. P. in Troppau. Sie fragen uns, woher der Ausdruck stamme „Ueber den Löffel barbieren“. Nun, er ist ganz wörtlich zu verstehen. Wie ihn Albert Richter in seinem hübschen Büchlein „Deutsche Redensarten“ (Leipzig, Richard Richter) erklärt, rührt er daher, daß die Dorfbarbiere der guten alten Zeit den Brauch hatten, die eingefallenen und faltenreichen Wangen ihrer alten Kunden für das Bartscheren dadurch zu glätten, daß sie die Wölbung eines Löffels von innen gegen die Wange preßten. Selbstverständlich ging das Verfahren nicht immer ohne kleine Gewaltthätigkeiten ab, und so bedeutet „Ueber den Löffel barbieren“ (oder „balbieren“): „Derb, grob, unzart behandeln, keine Umstände machen“, und von da geht der Begriff dann in den des Uebervortheilens, Betrügens über.




Inhalt: Baronin Müller. Roman von Karl v. Heigel (2. Fortsetzung). S. 485. – Vincenz, Franz und Ignaz Lachner. Bildnisse. S. 485. – Seltene Künstler. Bild. S. 488 und 489. – Drei deutsche Musiker. Von E. Fritsche. S. 491. (Zu den Bildnissen S. 485.) – Lea und Rahel. Roman von Ida Boy-Ed (Schluß). S. 492. – Begehrte Ware. Bild. S. 493. – Gefahren beim Bergsteigen. Von M. Haushofer. S. 496. – Gefährlicher Abstieg. Bild. S. 497. – Das Eisenbahnunglück bei Mönchenstein. S. 498. Mit Abbildungen S. 499. – Blätter und Blüthen: Begehrte Ware. S. 500. (Zu dem Bilde S. 493.) – Seltene Künstler. S. 500. (Zu dem Bilde S. 488 und 489.) – Kleiner Briefkasten. S. 500.




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Union, Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

  1. Der Schweizer Alpenklub hat 1886 ein recht brauchbares Schriftchen über „die Gefahren des Bergsteigens“ (Verlag von Schultheß in Zürich), verfaßt von H. Baumgartner, herausgegeben, welches an dieser Stelle erwähnt werden mag.