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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1888
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[101]
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Alle Rechte vorbehalten.
Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt. Vollendet von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Lothar saß dem herzoglichen Paar gegenüber mit blassem Gesicht. Der Wagen brauste auf der wundervoll gehaltenen Landstraße dahin, hinein in den köstlichen duftigen Tannenwald. Von dem dunkelrothen mattglänzenden Seidenstoff hob sich das Antlitz der fürstlichen Frau so gelblich krank ab, und dennoch trug es den Ausdruck der Daseinsfreude, der Sehnsucht, zu leben, zu genießen. Die bleichen Lippen hatten sich geöffnet über den kleinen weißen Zähnen; unter dem einfachen, nur mit einem rothen Bande geschmückten Matrosenhütchen hervor suchten die glänzenden Augen in das geheimnißvolle Tannendunkel einzudringen und

Die ehemalige Schloßapotheke in Berlin. Originalzeichnung von G. Lapieng.

[102] ihre Brust hob und senkte sich, als müsse jeder Athemzug ihr heilsam sein.

„Jawohl, eine Sterbende!“ sagte sich Lothar. „Und dann – dann?“

Der Herzog, der neben seiner Gemahlin in den Kissen lehnte, schien für weiter nichts Sinn zu haben, als für das Wildgatter, das sich längs des Waldes hinzog.

Und dann? Baron Gerold kannte es nur zu gut, dieses Geheimniß, das alle Welt bereits wußte; es hatte Flügel gehabt und war ihm bis zu der stillen Villa am Mittelmeer gefolgt. Er hatte sich nicht gewundert, als er erfuhr von der Leidenschaft des Herzogs; er hatte es kommen sehen und die Faust geballt, als er zum ersten Male den Namen des regierenden Herrn mit dem ihren zusammen gehört.

Ihre Hoheit begann zu plaudern; sie sprach unaufhörlich von Claudine, und er mußte antworten, obwohl er ihr die Hand auf den Mund hätte pressen mögen.

Hinter ihnen rollte der Wagen, der die älteste Hofdame der Herzogin trug, die Freiin von Katzenstein. Neben dieser freundlichen alten Dame saß Palmer und lächelte süßsäuerlich; daß der Herzog heute bereits den Weg zu dem Eulenhause fand, dünkte ihm allzu eilig.

Plötzlich hielt das Gefährt. Er beugte sich seitwärts über den Schlag und das säuerliche Lächeln verschärfte sich noch. Dort, in einiger Entfernung vor ihnen, stand die fürstliche Equipage, zur Seite der Chaussee eine andere; es war der Neuhäuser Wagen; Palmer erkannte ihn an den feurigen Rappen und der schwarzgelben Kokarde des Kutschers. Und jetzt stieg Baron Gerold aus und reichte der Herzogin ein weißes, mit blauen Bändern verziertes Etwas hinüber – sein Kind.

„Ah, Frau von Berg mit der Kleinen der Prinzeß Katharina,“ sagte die Freiin und nahm die Lorgnette; „es soll ein jammervolles Würmchen sein. Die arme Berg thut mir leid!“

Herr von Palmer setzte sich wieder in den Fond; er antwortete nicht auf die letzte Bemerkung, er lächelte noch immer. „Wie ländlich, gemüthlich das Alles war!“ – Endlich zogen die Pferde wieder an und die Neuhäuser Equipage rollte an ihnen vorüber. Mit einer Verbindlichkeit ohnegleichen grüßte der kleine brünette Mann die schöne Frau unter dem buntfarbigen Sonnenschirm. Sie hielt das Kind auf dem Schoß und ihre blaugrauen Augen flimmerten seltsam zu ihm herüber.

„Sie ist noch immer schön,“ murmelte die Freiin, etwas reservirt ihren Gruß erwiedernd, „und, mein Gott, sie kann die Jüngste auch nicht mehr sein! Warten Sie doch, Palmer; ich meine, vor dreizehn Jahren wäre sie uns zum ersten Male in Baden-Baden begegnet, als ich mit der Herzogin-Mutter und dem Herzog dort – es war bei der Gräfin Schomberg. Und dann kam sie mit ihrem alternden Mann nach der Residenz; die Luftveränderung sollte ihr gut thun, erzählte sie.“ Ueber das gutmüthige Gesicht der alten Dame flog ein leiser Schalk. „Ich will ihr nichts Böses nachsagen, es war ja eine so kurze Glanzzeit, Palmer; ein Jahr darnach verheirathete sich der Herzog bereits und von dem Tage an war er ein Juwel von einem Ehemann.“

„O meine Gnädigste, Seine Hoheit bewegten sich stets auf dem Pfade der Tugend, wie auch heute, wie in diesem Augenblick noch; wer würde daran zweifeln!“

Die alte Dame fixirte das lächelnde Gesicht ihres Nachbarn und die Röthe des Aergers lief ihr über die Wangen. „Lassen Sie mich aus mit Ihren Sarkasmen, Palmer!“ rief sie; „was Sie meinen, weiß ich, aber nun und nimmermehr ist ein Fünkchen Wahrheit daran. Claudine Gerold –“

„Ah! Wer sagt etwas gegen Claudine von Gerold, die reinste unserer reinen Frauen?“ entgegnete er und hob den Hut über den kahlen Scheitel.

Frau von Katzenstein wurde noch röther, biß sich auf die Lippen und schwieg. Dieser Palmer war ein Aal, nie zu greifen; ein Mephisto, ein Tartuffe –. O, sie fand in ihrem Zorn nicht genug Ehrentitel, die sie dem allgemein verhaßten Günstling in ihrem Herzen gab.

„Da sind wir,“ sagte er und wies mit der fein behandschuhten Rechten nach dem Giebelfelde der Klosterruinen, deren Sandsteinarabesken wie Spitzen auf dunklem Sammet erschienen. Ueber dem Thurm des Wohngebäudes, der aus mächtigen Wipfeln emporstieg, flatterten Heinemann’s Tauben zum Himmel empor wie Silberfunken, und unter den niederhängenden Buchenzweigen leuchteten die Blumen des Hausgärtchens auf.

„Fürwahr, meine Gnädige,“ sprach Herr von Palmer, „es ist ein Idyll, dieses Eulenhaus; ein Winkelchen wie geschaffen, um ungestört von künftigem Glück zu träumen.“




Auf der Plattform des Zwischenbaues erscholl ein Lachen; es war just nicht melodisch, wie es von schönen Frauenlippen klingt; es war ein wenig zu laut, aber so herzhaft, so hell, daß selbst der eifrig schreibende Mann in der Glockenstube aufhorchte und ein leises Lächeln über sein anfänglich unwilliges Gesicht glitt.

Wie das klang! So keck, so ehrlich, so kerngesund! Es muthete ihn seltsam an; er mußte an eine kühle Waldquelle denken, die über Gestein und Felsen sprudelt. Merkwürdig, dieses Lachen – und es war Beate, das „barbarische“ Frauenzimmer, das so lachte. Er schüttelte den Kopf und griff zur Feder, aber das Lachen klang immer wieder hinein in seine Gedanken. Dort unten aber, in dem Schatten der Steineiche, trocknete Beate sich eben die Thränen, welche die Heiterkeit ihr in die hellen Augen getrieben.

Sie saß neben Claudine auf der Bank, die der alte Heinemann zierlich aus Birkenstämmen zusammengefügt hatte, und ertheilte Unterricht im Gebrauch der Nähmaschine. Das kleine blitzende Räderwerk stand vor ihnen auf dem grün gestrichenen Gartentische und die schönen schlanken Hände der einstigen Hofdame bemühten sich, mit dem komplicirten Mechanismus zu Stande zu kommen.

„Es sieht so drollig aus bei Dir, Claudine,“ lachte Beate. „Aber, Herzenskind, Du hast ja längst keinen Faden mehr in der Nadel und nähst mit wahrem Fanatismus! Siehst Du, da ist er – so, das war recht.“

Das schöne Mädchen im leichten einfachen Kleide hatte dunkelrothe Wangen vor Eifer.

„Nur Geduld, Beate, ich lerne es bald,“ sprach sie und beschaute die Naht. „Ich werde Dir nächstens noch bei Deiner Näherei helfen können.“

„Na, das fehlte!“ wehrte Beate ab. „Das Haus voller Frauensleute, die sich im Wege stehen, und Du mir helfen, bei Deiner vielen Arbeit? Die wenigen Stunden, die Du erübrigst, solltest Du Deinem Klavier schenken und Deiner Staffelei. Aber auf jemand Anderen habe ich ein Attentat vor, und zwar auf die Berg. Glaubst Du wohl, daß diese Person auch nur ein Strümpfchen strickt für das Kind? Und als ich ihr neulich von unserer feinsten selbstgesponnenen Wolle etwas ins Zimmer trug und sagte: ‚Hier, meine Beste, für das Kindchen kann schon immerhin zum Winter vorgesorgt werden, es ist kalt hier in den Bergen,‘ bekommt sie eine kreideweiße Nase und sagt: ‚Ihre Durchlaucht, die Prinzessin Thekla, würde es sich nicht nehmen lassen, die Garderobe ihres Enkelkindes bis aufs Ipünktchen zu besorgen, und wollene Strümpfe seien überhaupt ungesund.‘ – ‚So?‘ fragte ich, ‚sehe ich ungesund aus? Oder der Vater des Kindes? Und wir, meine Beste, haben in der Kindheit nichts weiter auf dem Leibe gehabt, als selbstgesponnene Wolle von unserer Schäferei und selbstgewebtes Leinen, und damit sind wir groß geworden.‘ Sie wagte nicht zu antworten, aber – das Gesicht! Sie suchte ihren Aerger zu verbergen und bemerkte dann sehr kühl, sie habe strenge Vorschriften von der Prinzeß. Heiliger Gott! Na, warum ist Lothar so dumm gewesen! Er ist doch der Vater! Aber als ich ihm nachher die ganze Sache erzählte, zuckte er die Schultern und schwieg. Ich sollte nur das verfütterte Würmchen vier Wochen haben, Du würdest Wunder erleben, Claudine; es würde eben so frisch wie die kleine Dicke da.“ Und sie zeigte auf das Kind, das an seinem kleinen Tische eifrig mit Täßchen und Tellerchen spielte, welche Tante Claudine heute früh aus ihrem eigenen Puppenschrank hervorgesucht hatte. „Uebrigens,“ fuhr Beate fort, „auch Dir bekommt die frische naturgemäße Lebensweise; Du solltest Dich nur einmal sehen jetzt. Deine Augen so glänzend – und dazu der leise rosige Schimmer auf den Wangen, den Du am Hofe ganz verloren hattest. Ein Glück, Schatz, daß hier Keiner ist, dem Du den Kopf verdrehen kannst, Du –.“

[103] Claudine hatte sich lächelnd über die Maschine gebeugt und drehte das Rädchen. Sie bemerkte das Verstummen Beatens nicht, nicht den verwunderten, fast erschreckten Blick, den diese auf die Landstraße hinaus richtete. Barmherziger Gott, das waren ja die rothen, goldbordirten Livreen des Hofes, die dort unter den Bäumen auftauchten!

„Du, Claudine, ich bitte Dich!“ rief sie, „die Herrschaften! Wahrhaftig, sie fahren hier heran!“

Claudine stützte sich plötzlich wie ohnmächtig auf die Lehne der Bank; mit erschreckten Augen sah sie hinüber auf die Wagen, die eben hielten; durch den Mittelweg stürzte Heinemann in Hemdsärmeln, bemüht die Arbeitsschürze abzustreifen; vermuthlich, um in die alte Livree zu fahren. Fräulein Lindenmeyer’s Fenster klirrten so hastig zu, wie noch nie, und Beate wendete sich zur Flucht, da fiel ihr Blick auf Claudine.

„Was hast Du?“ flüsterte sie und faßte das Mädchen an der Hand. „Komm, wir müssen ihnen entgegen gehen, oder ist Dir unwohl geworden?“

Aber schon hatte sich das schöne Mädchen aufgerichtet; sie eilte hinunter und schritt so sicher der Gartenpforte zu, als gehe sie bei einem glänzenden Hofball über das spiegelnde Parkett, als trüge sie statt des einfachen Kleides aus roher Seide und dem schwarzen Taffettschürzchen die stolze Kourschleppe aus mattblauem Sammet, in der sie noch vor Kurzem alle Anwesenden bezaubert hatte. Beate folgte ihr mit bewundernden Augen. Wie unendlich graziös sank eben die herrliche Gestalt in tiefer Verbeugung zusammen, wie demüthig neigte sie die schöne Stirn unter dem Kuß der Herzogin!

Beate bog sich vor, um die Herren zu sehen. Mein Gott, da stand ja Lothar neben dem Herzog, und eben schickten sie sich an, dem Hause zuzugehen, die fürstliche Frau am Arme Claudinens. Rasch schlüpfte sie durch die Glasthür in die Wohnstube und von dort in Fräulein Lindenmeyer’s Zimmer. Die alte Dame hatte ja wohl vor lauter Aufregung die Besinnung verloren; sie stand vor dem Spiegel und stülpte die rothbebänderte Haube auf, die einen eben so desperaten Eindruck machte, wie ihre Besitzerin, deren Hände keine Nadel in die Haube zu stecken vermochten vor Zittern. Das alte Fräulein bot einen drolligen Anblick; sie hatte zwar schon die schwarze Kleidertaille angelegt, aber der Rock hing noch vergessen im Spinde mit den weit aufgesperrten Thüren; sie bebte wie Espenlaub.

„Lindenmeyerchen, echauffiren Sie sich doch nicht!“ rief Beate belustigt; „sagen Sie mir lieber, wo die Krystallteller aufbewahrt werden, die noch von der Großmama stammen, und wo Claudine die silbernen Löffel hat? Und dann setzen Sie sich in Ihren Lehnstuhl ans Fenster: für den Zweck genügt Ihre Toilette just; und betrachten Sie später in aller Ruhe die Herrschaften, wenn sie im Garten spazieren.“

Aber die alte Dame hatte so völlig den Kopf verloren, daß sie betheuerte, sie wisse sich in diesem Augenblicke auf nichts, rein gar nichts zu besinnen, und wenn sie sich das Leben damit retten könnte. Und lachend machte Beate die Thür zu und stieg die Treppe hinauf zu dem Träumer. Der hatte natürlich noch keinen Schimmer von der Ehre, die seinem Hause widerfuhr, und sah und hörte nichts als seine eigenen Gedanken. Sie schüttelte den Kopf und stand doch zaghaft vor der altersbraunen Thür, die in die Glockenstube führte. Ein helles Roth lag über ihrem Gesichte, als sie auf sein „Herein!“ den Drücker bog, und plötzlich sah ihr Antlitz, dieses strenge Antlitz mit den starken Linien, mädchenhaft lieblich aus.

„Joachim, Sie haben Besuch,“ sprach sie; „nehmen Sie Ihr köstlichstes Gewand und kommen Sie; das herzogliche Paar ist unten.“

Und als er den Kopf hob und sie ärgerlich und verwundert ansah, lachte sie, und das war wieder das nämliche Lachen wie vorhin.

„Aber eilen Sie doch! Die Hoheiten werden den Hausherrn vermissen. Ich komme nach mit einer Erfrischung.“

Unwillkürlich fuhr er sich in das üppige braune Haar. Das fehlte noch im Eulenhause … Allerhöchster Besuch! Was wollten sie bei dem – Verarmten? Ah – Claudine, sie wollen Claudine wieder holen!

Mit finsterer Miene eilte er hinaus. Sie stand noch ein Weilchen in dem Gemach und sah sich um, scheu wie ein Kind, das zum ersten Male die Kirche betritt. Dann schlich das große robuste Mädchen auf den Zehen an den Schreibtisch und spähte herzklopfend mit purpurrothen Wangen nach dem offenen Hefte, auf dem die Feder lag. Die Buchstaben dieser feinen leichten Schrift waren noch nicht getrocknet; dort stand der Titel: „Einige Gedanken über das Lachen“. Sie schüttelte wie verwundert den Kopf und sah von dem Manuskripte zu dem geöffneten Bücherschrank, und da zuckte wieder ein Lächeln um ihren Mund, aber diesmal nicht schalkhaft; es war das innerer herzlicher Befriedigung, und so lächelnd ging sie hinunter in die Speisekammer, stellte frische, duftende Walderdbeeren und Streuzucker auf einen Präsentirteller und kam, von Heinemann gefolgt, der in der längst nicht mehr getragenen Gerold’schen Livree etwas wunderlich aussah, dessen altes ehrliches Gesicht aber vor Ehrfurcht in die feierlichsten Falten gelegt war, zu dem Tisch auf der Plattform, als just die Herzogin sich erhoben hatte, um den Wachskeller zu besuchen, der freilich nur noch den kleinsten Rest des Fundes barg.

Beate von Gerold war den Herrschaften bereits vorgestellt worden; als ihr Bruder sich mit einer Prinzeß des herzoglichen Hauses vermählte, hatte sie ihre drei qualvollsten Lebenstage in der Residenz verbracht, hatte Besuche machen müssen und wieder empfangen, hatte dinirt bei der Prinzeß Thekla und einen Rout im Schlosse „überstanden“, wie sie sagte. Sie hatte einmal himmelblaue Seide, einmal gelblichen Atlas getragen und war sich sterbensunglücklich darin vorgekommen, weil die Taille wie „angeknallt“ gesessen; anders hatte die Schneiderin es nicht gethan. Und als sie zurück nach ihrem Altenstein gekommen, war sie mit köstlichem Behagen wieder in die dehnbare Trikottaille gefahren und hatte geschworen, lieber Steine zu klopfen, als bei Hofe zu leben. In Erinnerung hieran fiel ihre Verbeugung sehr wenig devot aus, und ihr Gesicht zeigte ganz den Ausdruck, den Joachim als barbarisch zu bezeichnen pflegte.

„Also in den Wachskeller, meine Herrschaften,“ mahnte der Herzog und legte seiner Gemahlin fürsorglich das rothe, golddurchwirkte Mäntelchen um die Schultern. Claudine nahm einen großen Schlüssel aus dem Körbchen, das neben der Nähmaschine auf dem Tische stand, und hieß Heinemann vorangehen; Joachim führte die Herrschaften. Sie selbst eilte in das Haus, um die noch immer fehlenden Löffelchen und Teller und ein Tafeltuch auszugeben.

Sie that es mit zitternden Händen und um ihren Mund lag ein gramvoller Zug. „Warum?“ fragte sie halblaut, „warum auch hierher?“ Und sie lehnte den Kopf an die Pfosten des alten Eichenschrankes, der das Linnen der Großmutter barg, als suche sie eine körperliche Stütze in dem Sturme, der durch ihre Seele ging. „Nur ruhig –“ flüsterte sie und preßte die Hand gegen die Brust, als wollte sie das stürmisch klopfende Herz gewaltsam zum Gehorsam zwingen. Und sie konnte, was sie wollte. Als sie ein paar Minuten später sich anschickte, den Herrschaften in den Keller nachzufolgen, da war ihr ernstes schönes Antlitz unbewegt wie immer.

„Halt!“ sagte eine tiefe Stimme am Kellergewölbe, „bis hierher und nicht weiter! Sie haben keine Umhüllung, und dort unten ist es kühl.“ Baron Lothar stand in dem dämmerigen Gewölbe und streckte die Hand gegen sie aus. „Wenn Sie Ihre Ungeduld noch ein wenig bemeistern könnten, Kousine,“ fuhr er fort, und es klang fast wie Hohn, „ich höre die Herrschaften die Treppe heraufsteigen. Das war doch die Stimme Seiner Hoheit soeben? Oder irre ich mich?“

Sie hielt seinem Blick Stand und zuckte nur leicht die Schultern. Er sah sie so eigenthümlich an, fast drohend.

„Es ist besser, wir erwarten die Hoheiten dort oben,“ sprach er weiter, „hier –“ Er brach ab, denn sie hatte sich umgewandt und schritt die Stufen empor, die in den Flur des Hauses führten, und von dort, ohne sich umzusehen, auf den anmuthigen Platz. Er folgte ihr und lehnte sich gegen den Pfosten der Glasthür, indem er den einfach servirten Tisch musterte. Da erinnerte nichts an ein altes begütertes Geschlecht; es fanden sich nur simple Glastellerchen und dünne verbrauchte Löffel. Das Silberzeug des Hauses stand ja in seinen Schränken; allein der Damast des Tischtuches zeigte das Wappen der Gerold’s in den Ecken, ein Meisterstück der Webekunst. Die alte Dame hatte es ehedem mit hierher genommen auf ihren Wittwensitz als eine Erinnerung an jenen Tag, da es zum ersten Male aufgelegen, an dem Tauftage ihres Sohnes.

[104]

Unter den Linden in Berlin.
Originalzeichnung von P. Bauer.

[105] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [106] „Unser Wappen,“ sagte er und zeigte auf den springenden Hirsch, der einen Stern zwischen dem Geweihe trug und sich atlasgleich aus dem Gewebe hervorhob. „Es ist rein geblieben, dieses Schild, im Laufe der Jahrhunderte; nicht ein einziges Mal ward der Glanz des Sternes verdunkelt! Wohl kamen Unglücksfälle über das Geschlecht, wohl unterlag es der Macht des Schicksals, aber die Ehre hielten sie makellos, die Männer und – die Frauen, soviel ihrer waren bis heute –“

Das schöne Mädchen zuckte empor, als habe eine Schlange sie gebissen, und ein herzzerreißender Blick aus den blauen Augen flog zu ihm hinüber; aber die Worte erstarben auf ihren Lippen, denn eben kamen die Herrschaften zurück und Lothar eilte ihnen entgegen. Der Herzog, neben Joachim gehend, folgte seiner Gemahlin, die den Arm der alten Freiin genommen hatte. Hinter ihnen schritt ein sonderbares Paar, Beate mit Palmer, den sie um Kopflänge überragte. Sie hörte mit dem Ausdruck lächelnder Verachtung auf sein eifriges Sprechen und suchte, am Tische angekommen, einen Stuhl, soweit von ihm entfernt als möglich.

„Und der ganze große Keller war voll?“ fragte die Herzogin, Platz nehmend, und ohne die Antwort zu erwarten, sprach sie lebhaft weiter: „O, Waldbeeren, wie liebe ich sie! Wie tausendmal aromatischer duften sie, als die, welche man in den Gärten oder Gewächshäusern zieht! Weißt Du, mein Freund,“ wendete sie sich an den Herzog, der noch immer im Gespräch mit Joachim stand, „wir werden mit den Kindern in den Wald gehen und selbst Beeren suchen; dabei ließe sich ein entzückendes Picknick arrangiren. Herr von Palmer, sorgen Sie dafür, daß man einen Platz ausfindig macht, wo Erdbeeren stehen, aber bald, bald! Wir wollen die schöne Zeit hier genießen.“

Man saß jetzt um den Tisch und Claudine reichte ihren Gästen die Fruchtschale. Eben stand sie vor dem Herzog; er dankte mit kurzer Handbewegung, ohne sie anzusehen, und horchte auf Joachim’s Rede. Nun trat sie zu dem Neuhäuser. Auch er dankte. Sie schritt still nach ihrem Stuhl zurück und sah auf das Kind hernieder, das sich herzugeschlichen hatte und an ihren Schoß lehnte, und fuhr erst aus ihrem Sinnen empor, als die Herzogin sie anredete.

„Mein liebes Fräulein von Gerold, Sie müssen oft nach Altenstein kommen; wir, mein Gemahl und ich, haben uns fest vorgenommen, alle Etiquettenrücksichten hier fallen zu lassen; wir wollen leben mit einander wie gute getreue Nachbarn, Partien machen und uns besuchen. Die Neuhäuser werden wir auch überfallen, ja ja, Fräulein von Gerold!“ wandte sie sich an Beate; „ich muß mir Ihre vielgerühmte Musterwirthschaft einmal in der Nähe beschauen und hoffe, Sie ebenfalls auf Altenstein zu sehen.“

„Es wird unserem Hause eine unendlich große Ehre sein, wenn Ew. Hoheit es mit Ihrer Gegenwart beglücken, aber mich wollen Hoheit gnädigst entschuldigen,“ klang Beatens tiefe Stimme entsetzlich wenig verbindlich und trocken. „Meine Wirthschaft leidet nicht, daß ich mich oft und lange vom Hause entferne; es ist nur anvertrautes Gut, und ich stehe dort an Stelle der Hausfrau meines Bruders. In Vertretung einer Andern ist man doppelt gewissenhaft, Hoheit.“

Die junge fürstliche Frau sah einen Moment befremdet zu der Sprecherin hinüber; dann flog der liebenswürdige Ausdruck von vorhin wieder über ihre Züge.

„Die Gerold’s waren alle pflichtgetreu,“ sagte sie freundlich; „das ist gut und lobenswerth und ich muß den Korb wohl hinnehmen. Aber Sie, Fräulein Claudine von Gerold, Sie! Ganz gewiß, auf Sie rechnen wir bestimmt; ist es nicht so, Adalbert?“

„Verzeihung! Wie befiehlst Du? Ich habe nicht verstanden, Elise.“

„Du sollst mir bestätigen,“ sprach sie freundlich, „daß wir sehr auf Mama’s Liebling rechnen bei unserer Anwesenheit in Altenstein, daß wir wünschen, Fräulein Claudine von Gerold oft bei uns zu haben. Nicht, Adalbert?“

Einen Moment blieb es still unter der Eiche; die Abendsonne vergoldete jedes Blättchen mit purpurnem Schein; durch die Lücken des Geästes zuckten schimmernde Lichter und die zitternden Funken machten es wohl auch, daß Claudinens Antlitz in jähem Wechsel bleich und purpurn erschien.

„In der That, Fräulein von Gerold,“ tönte es jetzt in ihr Ohr mit einer Stimme, die den Sturm in ihrem Herzen plötzlich beschwichtigte, so ruhig und gleichgültig klang sie. „In der That, die Herzogin sprach davon, mit Ihnen im Altensteiner Saale zu musiciren.“ Und sich wieder zu Joachim wendend, fragte er: „Ja, wie wurde es? Ist der Mann gestorben an der Wunde – oder –?“

„Er lebt, Hoheit, und wildert nach wie vor.“

Wenn der Herzog von Jagd und verwandten Dingen sprach, war er einfach für Anderes verloren, das wußten sie Alle. Nur Palmer lächelte ungläubig und schaute Claudine an, deren Brust sich wie befreit hob.

„Wenn Hoheit befehlen,“ sprach sie leise; „aber ich habe seit langer Zeit keinen Ton mehr gesungen; mir fehlt die Muße jetzt.“

Ein leises Hüsteln der fürstlichen Frau ließ sie einhalten; durch die Bäume kam der erste kühle Luftzug des Abends; die sonst so bleichen Wangen der Leidenden glühten purpurroth.

Der Herzog sprang empor. „Es wird Zeit,“ sprach er, „die Wagen!“

Der herzogliche Diener, der unbeweglich an der Gartenpforte gestanden und den draußen langsam auf- und abfahrenden Wagen zugeschaut hatte, erhielt von Palmer einen Wink, und in kürzester Zeit waren die fürstlichen Gäste eingestiegen, und die Wagen brausten auf der Straße hin.

„Wir müssen wohl auch an den Abschied denken, Lothar?“ sagte Beate zu ihrem Bruder. Er nickte bejahend und schüttelte Joachim die Hand. Als er sich zu Claudine wenden wollte, war sie verschwunden.

Beate, die Sonnenschirm und Hut holen wollte, traf sie anscheinend ruhig in der Küche, beschäftigt, ein Tellerchen mit Erdbeeren zu füllen für Fräulein Lindenmeyer, wie sie sagte.

„Na, wo steckst Du denn? Wir wollen fort, Claudine,“ begann Beate und zog die gewebten seidenen Handschuhe an. „Das war übrigens ein recht bewegter Tag heute; ich gratulire Dir zu dem gutsnachbarlichen Verkehr; es kann ja sehr gemüthlich werden. Halte Dir nur immer etwas im Hause, ein paar kleine Kuchen oder dergleichen; die gnädige Frau von Altenstein wird öfter kommen; sie gefällt sich in der Rolle, wie weiland Königin Luise auf Paretz. – Ach Gott, Claudine; bei dieser Armen ist es, glaube ich, die Angst, die Todesangst, die sie alles Mögliche beginnen läßt; hast Du gesehen, sie kann kaum noch athmen? Aber ich muß fort, die dicke Berg wird schon Hunger haben, und in die Speisekammer können sie nicht; ich habe zugeschlossen. Leb’ wohl, Claudine, komm bald einmal und bringe das Kind mit.“ Sie drückte ihr die Hand und eilte hinaus.

Claudine trug Fräulein Lindenmeyer die Erdbeeren hin und fand diese noch immer im Unterrock und der roth bebänderten Haube; sie hielt die Kleine auf den Knieen und erzählte ihr eine Geschichte von einem wunderschönen Mädchen, das einen Prinzen heirathet.

„Einen Herzog,“ verbesserte die Kleine, und Claudine erblickend fragte sie: „Darf ich noch hier bleiben, Tante?“

Aber die Tante hörte nicht; sie horchte auf das Rollen eines Wagens, das im Walde verklang.

„O Jesus, Fräulein Claudine!“ rief Fräulein Lindenmeyer, froh, endlich über das große Ereigniß sprechen zu können, und sie ließ die Kleine vom Schoße gleiten, indem sie aufstand, „was ist unser allergnädigster Herr für ein schöner Mann! Jeder Zoll – ein Herzog! Und wie er da durch den Garten schritt neben unserem Herrn, da fiel mir ein, was Schiller sagt: ‚Es soll der Sänger mit dem König gehen, sie Beide wohnen auf der Menschheit Höhen.‘ Gnädiges Fräulein, ach, hätte es doch die Großmama erlebt, daß Sie da wie eine Familie auf der Plattform gesessen und Erdbeeren gegessen haben. Ach, Fräulein Claudinchen!“

„Tante Claudine, mir gefällt Onkel Lothar besser,“ plauderte das Kind, „Onkel Lothar hat gutere Augen.“

Die junge Dame wandte sich plötzlich ab und schritt ohne ein Wort der Thür zu; dann stieg sie die schmale Treppe hinauf und klopfte an Joachim’s Thür. Sie fand ihn, im Zimmer auf- und abgehend mit einem fast hilflosen Gesichtsausdruck.

(Fortsetzung folgt.)

[107]
Aus der Reichshauptstadt.
1. Im Herzen von Berlin.
Von Paul Lindenberg.       Mit Illustrationen von P. Bauer.

Denkmal des Großen Kurfürsten. Blick zur Kurfürstenbrücke. Das Königliche Schloß.

Die Menge von Fremden, welche in Berlin Einkehr hält und vor allem einen äußeren Eindruck des Lebens und Treibens in der neuen deutschen Kaiserstadt gewinnen will, sucht sicherlich zunächst die „Linden“ und die sie begrenzenden Straßentheile auf: Hier geht von früh bis spät der öffentliche Pulsschlag der so schnell zu Ruhm und Glanz gelangten Residenz am erregtesten; hier tritt, selbst während der Nacht, nur selten eine Ruhepause ein; hier scheint sich alles vereinigt zu haben, was einer modernen großen Stadt Ansehen und Prunk verleiht. Die „Linden“ sind in der Erinnerung schon untrennbar mit Berlin verknüpft; sie bilden mit ihrer näheren Umgebung das eigentliche Herz unserer Kaiserstadt, ihren Hauptnerv. Nicht nur aber für die Fremden allein, am meisten für die Berliner selbst! Mit einem unverkennbaren Gefühl des Stolzes spricht der geborene Spree-Athener von „seinen Linden“; den Inbegriff aller Vornehmheit und alles Aparten bildet für ihn diese Straße, der in seinen Augen ganz etwas Besonderes anzuhaften scheint, welcher er gar nichts Anderes an die Seite stellen kann. Und das neue Berlin hat doch noch andere hübsche und sehenswerthe Theile genug – die Leipziger-, die Friedrich-, die Wilhelmsstraße, aber nein, sie sind doch so ganz anders, es sind eben nicht die „Linden“, es sind nicht „unsere Linden“, deren Front das Heim des greisen Kaisers birgt, deren Paläste unsere siegreichen Krieger heimkehren sahen, deren Giebel an den hervorragenden Fest- und Freudentagen des deutschen Volkes in ein einziges weites, buntfarbiges Flaggen- und Fahnenmeer eingehüllt sind.

Dieser Berlin repräsentirende Charakter der Linden zeigt sich denn auch deutlich in ihrem äußeren Gewande, in dem täglich wiederkehrenden Bilde, welches sie uns gewähren, einem Bilde, voll Abwechslung, voll heiterer Mannigfaltigkeit und reizvoller Kontraste. Wenn die Sonne mit einem Flammenschleier die Siegesgöttin auf dem Brandenburger Thore umstrahlt, wenn in den blüthenbesäeten Zweigen der Lindenbäume, welche die Mittelpromenade einsäumen, die Spatzen lärmreiche Konferenzen abhalten und unten auf dem Erdboden sich jubelnde Kinderscharen umhertummeln, oder auch im Winter, wenn silberner Reif die Aeste und Stämme überzogen hat und von allen Seiten her lustiges Schlittengeläut erschallt: dann sind die Glanztage dieser vornehmsten Berliner Straße gekommen und sie zeigt sich alsdann würdig ihres Rufes. Wohin der Blick fällt, er trifft auf Bewegung, auf ein fortwährendes Hin und Her, ein stetes Durcheinander; die Trottoirs sind überfüllt, langsam nur schreitet man vorwärts; hier stehen Neugierige an den verlockend ausgeputzten Schaufenstern der Läden, dort treffen sich einige Bekannte und bleiben in kleinen Gruppen stehen; da werden mehrere Provinzialen von dem sie begleitenden kenntnißreichen Cicerone auf diese oder jene Berühmtheit, einen Minister, einen General, einen Künstler, eine gefeierte Sängerin aufmerksam gemacht und schauen den Vielgenannten mit Interesse nach; alle Klassen und Stände findet man vertreten; neben dem eleganten Bummler, der den hochmodern geformten Cylinder keck zurückgesetzt hat, sieht man

[108]

Blick von der Schloßterrasse nach den Linden.

[109] in dürftigem Rocke den schmalwangigen Bureauarbeiter, neben dem Geistlichen aus den Reichslanden in würdigem schwarzen Gewande den schlanken Korpsburschen, der mit sichtlicher Genugthuung die frische Quart zur Schau trägt; neben einigen Arm in Arm daherschlendernden, eifrig plaudernden Attachés einer fremden Botschaft einen ganzen Trupp kleiner, gelbwangiger Japaner und Siamesen, die hier ihren verschiedentlichen Studien obliegen und durchaus nicht verlegen mehrere zierliche Backfische anblicken.

Nicht minder rege ist der Wagenverkehr auf den breiten, mit glattem Macadam versehenen Fahrstraßen; häufig genug müssen die berittenen Schutzleute eingreifen, um Verwirrungen schlimmer Art zu hindern; schwerfällige Lastwagen werden von leichten Kabriolets überholt, und schöngeschirrte Ponywägelchen rollen um die Wette mit seidenausgeschlagenen Equipagen dahin. Dazwischen schieben sich auffällige Geschäftswagen, mit muthigen Trabern bespannte Phaëtons, Droschken von zweifelhafter Schnelligkeit und behäbig rasselnde Omnibusse, von deren Verdeck behaglich die Passagiere auf das frohgemuthe Leben zu ihren Füßen herabschauen. Doch plötzlich scheint ein besonderer Zug in das ganze bewegliche Treiben zu kommen; die Schutzleute lenken ihre Pferde zur Seite und bewegen durch rasche Zeichen auch die nahen Gefährte dazu; die Spaziergänger eilen zum Straßendamm und sehen angestrengt nach derselben Richtung; die Besucher der Kranzler’schen Konditorei und des Café Bauer verlassen schleunig die marmornen Tischchen und stellen sich am Fahrwege auf; ein gewisses freudiges Zucken geht durch all die Hunderte und Tausende, und der Ruf: „Der Kaiser kommt, der Kaiser kommt!“ eilt von Mund zu Mund. In demselben Moment fährt schon der einfache Wagen vorbei, und der ehrwürdige Monarch erwiedert freundlich lächelnd die oft mit stürmischen Hochrufen verbundenen Grüße.

So erscheinen uns die Linden im Alltagsleben; ganz anders, viel freudiger, viel belebter ist der Trubel, wenn, wie der Berliner sagt, „etwas los“ ist, bei Truppeneinzügen, bei dem Besuch fremder Fürstlichkeiten, bei allen Festen, welche das preußische Königshaus betreffen, auch bei den großen, im Winter stattfindenden Hofbällen. Dann strömt es von überall her nach dieser Straße heran; wie aufgescheuchte schwarze Ameisenhaufen kribbeln und wimmeln die zahllosen Menschenscharen zwischen den hohen Häuserlinien dahin, bald in dichten Knäueln stockend, dann sich allmählich auflösend, um gleich wieder Halt zu machen, bis einzelne Kühne versuchen, sich mit Unterstützung der Ellenbogen vorwärts zu drängen. Vergebliche Müh’! Ein zehn-, zwölffacher Menschenwall säumt den Fahrweg ein, begrenzt von einer Schutzmannskette, die Niemand durchläßt. Jetzt denkt auch Keiner mehr daran; eingekeilt in drangvoll fürchterliche Enge behauptet Jeder sein Plätzchen und sucht den Hals noch höher zu recken als seine Vorderleute; denn die ersten Wagen mit ordenbesäeten Generalen, mit goldstrotzenden Kammerherren, mit Diplomaten und Gesandten, mit hohen Beamten und Admiralen, auch mit Damen in kostbaren Toiletten, funkelnde Brillantagraffen [110] im Haar, rollen vorbei; ihnen folgen in vornehmen Staatskarossen die Vertreter der auswärtigen Fürstlichkeiten; dann schwanken langsam die mächtigen, von Gold und Silber starrenden Galawagen der zum Besuch erschienenen Prinzen und Prinzessinnen heran, die sechs Rosse vorn mit blitzenden Schabracken, der Kutscher auf dem Bocke mit weißgepuderter Allongeperrücke, die überreich galonnirten Diener auf den Trittbrettern mit zierlichen Galanteriedegen und sauber gewickelten Haarbeuteln. Werden schon die Insassen dieser Wagen vielfach mit Hochs begrüßt, so schwellen die Rufe brausend an, wenn die wohlbekannten Berliner Hofgefährte auftauchen, von schnell und gleichmäßig ausgreifenden Rappen gezogen, Spitzenreiter in knappem, gold- und silberbordirtem Jockeykostüm voran, der Wagen leicht und elegant gebaut, mit farbiger Seide im Innern ausgeschlagen.

Ist die letzte Equipage verschwunden, ist das letzte Hoch verhallt, dann lösen sich auch die ungeheuren Menschenmauern auf; manch Weh und Ach über gedrückte und gequetschte Gliedmaßen wird laut; manch humpelnder Fuß, manch zerknittertes Gewand ist zu sehen, aber ganz gleich – allgemein ist man der Ansicht: „Hübsch war es doch!“ und das ist ja schließlich die Hauptsache!

An ganz besonders festlichen Tagen legen die Linden auch ihre besondere Festtoilette an. Unvergeßlich schöner Anblick die breite und lange Straße hinunter: Fahne an Fahne, Banner an Banner, Guirlanden von frischem Grün ziehen sich an den Häuserfronten entlang, hier die Büste des Kaisers umkränzend, dort seinen Namenszug bildend; buntfarbige Teppiche hängen aus den Fenstern herab und duftige Blumenspenden grüßen hernieder; überall Freude und Frohsinn, Leben und Bewegung. Abends aber leuchtet’s und flammt es auf; kein Fenster, hinter dem nicht Kerzenschein, kein Haus, von dessen Portal es nicht blitzt und flimmert von Tausenden kleiner Illuminationskörperchen; bunte Lampions schlingen sich zu gefälligen Arabesken, und aus einer Unzahl röthlicher Glühlichtchen strahlen weißschimmernde elektrische Sonnen hervor – in ein einziges Feuermeer scheint die Straße gehüllt zu sein, in ein einziges Freudenfeuer, welches einen schönen Wiederschein auf den Mienen der eng sich drängenden Menschenkarawanen findet.

Auch in dem baulichen Charakter der Linden macht sich ihr Einfluß auf die gesammte Stadt und ihre tief einschneidende Bedeutung so recht bemerkbar. Von dem hoheitsvollen Säulenportal des Brandenburger Thores angefangen, dessen Quadriga 1814 von den siegreichen Verbündeten nach Berlin zurückgeführt wurde, nachdem der Viktoria das eiserne Kreuz in den erzenen Lorbeerkranz geflochten war, repräsentirt fast jedes Haus ein Stückchen erinnerungsvoller Geschichte. Hier finden wir die Palais der fremdstaatlichen Botschafter und Gesandten; hier finden wir die Denkmäler der Männer, welche so viel zur Größe ihres engeren preußischen wie weiteren deutschen Vaterlandes beigetragen; die kriegführende Bellona veranschaulicht uns das Zeughaus mit seinen bluterkämpften Trophäen, und den Frieden verkörpert die Akademie der Wissenschaften und der Künste, in denen einst ein Leibniz, ein Schadow gelehrt. Und zwischen den beiden massigen Gebäuden streckt sich die Universität hin; häufig genug durchströmt von hinreißender Begeisterung, wenn es die Ehre des Staates, des Volkes galt, von jenen Tagen an, in denen Fichte seine mannhaften Reden hielt und so Manchen damit auf den Weg der opferfreudigen Pflicht zurückführte! An viele von Glanz und Frohsinn erfüllte Stunden mahnt uns sodann das Opernhaus, und an wahres Glück, auch aus Königsthronen, das benachbarte Schlößchen, jetzt vom Kronprinzen bewohnt, einst das Heim der edelsten und liebreizendsten Fürstin, die an einem heiterklaren Decembertage des Jahres 1793 hier ihren Einzug hielt und im Sturme sich die Herzen der jubelnden Berliner errang, von denen sie später wie eine gütige, lichtvolle Fee verehrt wurde.

Und ist es nicht, als ob jener weihevolle Schein, den einst begeisterte Liebe und treueste Hingebung um das Bild der theueren Herrscherin geschlungen, sich übertragen hätte auf das schmucklose Palais, vor dem jetzt tagtäglich Hunderte und Tausende von Menschen in dichtgedrängten Massen stehen, um dem greisen Sohne der Königin Luise ihre Huldigungen darzubringen? Wer könnte an jenem einfachen Gebäude vorbeigehen, ohne den Blick nach dem historischen Eckfenster zu richten, von dem aus oft genug während der Nacht die Lampe ihren matten Schimmer auf die einsame Straße geworfen, späten Wanderern verkündend, daß das Oberhaupt des Staates noch seiner ernsten Pflichterfüllung nachgehe. Hier war es ja auch, an dieser Stelle, an einem Januartage, wo stolz die Standarte emporrauschte, Berlin verkündend, daß es zur Kaiserstadt geworden!

Ja, sie haben viele Wandlungen durchgemacht, die „Linden“, von jenen Zeiten an, wo sie einst der Große Kurfürst bepflanzen ließ und damit die ursprüngliche über Charlottenburg nach Spandau führende Landstraße zu einer städtischen Promenade umgestaltete. Nicht weniger mannigfache Phasen erlebte der Ausgangs- oder, wie man es nehmen will, der Anfangspunkt unserer ruhmreichen Straße, dessen Name noch heute an seine einstige Bestimmung erinnert, ein lieblicher, angenehmer Name: der Lustgarten. Denn ein Lustgarten breitete sich hier auf dieser von den Spreearmen gebildeten kleinen Insel einst aus, und unter den wohlriechenden, seltenen Bäumen, aus deren dichtem Grün Statuen hervorleuchteten, gingen die in goldstrotzende Gewänder gekleideten Höflinge des ersten preußischen Königs auf und nieder, in zierlichen Redewendungen mit den feingepuderten Damen plaudernd, die auf ihren hohen Hackenschuhen kokett neben ihnen hertrippelten. Aber die seltenen Bäume verschwanden und auch die Höflinge sowie das Orangeriehaus, als Friedrich Wilhelm I. das Regiment in seine starken Hände nahm; was brauchte er einen Lustgarten? Er hatte einen Exercirplatz nöthig, und dort, wo noch wenige Jahre vorher das eleganteste Französisch erklungen war, ertönten nun die derben Kommandoworte der Korporale, welche die „lieben blauen Jungen“ des Königs eindrillten!

Er würde große und – wir möchten darauf schwören – zornige Augen machen, der soldatenfreundliche Herrscher, wenn er den Lustgarten in seiner heutigen Gestalt sehen würde; er würde die Schönheit desselben wenig empfinden. Aber wir empfinden sie glücklicher Weise und freuen uns derselben von Herzen; denn der Anblick, etwa von der Terrasse des Schlosses aus, ist ein ganz herrlicher: linker Hand die breite Schloßbrücke mit ihren glänzenden Marmorgruppen und dahinter in blauem Dust halb verschwimmend die Linden, rechts der altertümliche ehrwürdige Dom, vor uns prächtige Parkanlagen mit lauschigen Gebüschen und sammetnen Grasflächen, aus denen das imposante Bronzereiterbild Friedrich Wilhelm’s III. emporragt, und dahinter das Museum sowie die Nationalgalerie mit ihren wirksamen, an die Blüthezeit des klassischen Alterthums erinnernden Säulenkolonnaden.

Hätte er, der schönheitsbegeisterte Monarch Friedrich Wilhelm IV., dessen Statue die Treppenwange der Nationalgalerie schmückt, nicht so viele Entmuthigungen erlebt, der Platz würde jetzt noch ganz anders ausschauen; denn es war ein Lieblingsgedanke des verstorbenen Regenten, diese sogenannte Museumsinsel mit stolzen Kunsthallen zu bebauen; durch Säulengänge sollten sie mit einander verbunden werden und ihr Zweck darin bestehen, die an verschiedenen Stellen untergebrachten künstlerischen Sammlungen zu vereinigen. Als Mittelpunkt sollte sich in edler antiker Form, in Gestalt eines korinthischen Tempels, ein Gebäude erheben, dessen weite und hohe Räumlichkeiten zu prunkhaften Festsitzungen, zu kunstwissenschaftlichen Vorträgen, zu interessanten einzelnen Schaustellungen bestimmt waren. Mit dem Dom aber sollte ein Camposanto vereinigt werden, im Innern verziert durch Cornelius’ geistreiche Kompositionen, bestimmt, die letzte Ruhestätte der Hohenzollern zu bilden.

Wenn auch dieser Plan nicht ausgeführt wurde und wahrscheinlich auch nicht ausgeführt werden wird, so harrt doch ein anderer seiner Verwirklichung, und die kostbaren Olympia- und Pergamonfunde sowie die Erzeugnisse der neueren Kunst werden ihrer würdige Museen erhalten. Ebenso plant man mit den Linden nicht unbedeutende Veränderungen, welche sich namentlich auf die Verschönerung der einzelnen Wege, auf eine architektonisch eigenartige Einfassung derselben sowie auf gärtnerischen Schmuck erstrecken werden.

Unberührt vom Wandel der Zeiten ist bisher geblieben und wird es auch wohl ferner bleiben das majestätische preußische Königsschloß mit seinen weiten Höfen, seinen massigen Mauern, seinen prunkenden Sälen und Balkonen. Fest, trutzig, gewaltig ragt es empor und blickt erhaben über die angrenzenden Stadttheile hinweg, als wüßte es, daß von hier aus der Siegesadler

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seinen Flug genommen und den Lorbeer, welcher die Kaiserkrone umschlang, an seine Fittige geheftet. Hier, in den hallenden Gemächern, in den dunklen Gängen, den weiten Galerien haust noch ein gut Stück Romantik, welche auch von außen das Schloß umsponnen hat, besonders an der die Spree begrenzenden Seite. Epheu schlingt sich dort um die alters geschwärzten Mauern, von denen sich der ursprünglichste Theil des Schlosses, der einst zu Gefängnissen dienende grüne Thurm, scharf abhebt; schief und schmal sind die Fenster, verwittert und abgebröckelt das Gestein, verbogen die Zinnen und Erker, und wer hier Nachts weilt, wenn der Mond durch zerrissenes Gewölk lugt, wenn seine Strahlen über die sturmerprobten Jahrhunderte alten Zinnen und Erker huschen, wenn die Wellen der Spree an die hier zahlreich befindlichen Fischbehälter und Kähne plätschern und das Monument des Großen Kurfürsten seinen dunklen Schatten über den Wasserspiegel wirft, der kann sich wohl in jenes Berlin zurückversetzen, welches unter den Hauptstädten die mißachtetste und verspottetste Rolle spielte.

Freilich, das moderne, das kaiserliche Berlin kennt keine derartige Schwärmerei und Pietät: unmittelbar am Schloß vorüber und ihm sogar einen althistorischen Anbau, den der Schloßapotheke, raubend, spannen sich in mächtigen Bogen die gewaltigen Quadern der Kaiser-Wilhelm-Brücke und führen uns in die mit bewundernswerthen Prachtbauten eingesäumte, als Verlängerung der Linden dienende Kaiser-Wilhelm-Straße. Rücksichtslos bohrt sie sich in den ältesten Theil der Stadt als gewaltiger, zerstörungslustiger Keil ein; die niedrigen, auf Pfählen stehenden Häuschen, mit Schindeln bedeckt, mit wackeligen hölzernen Altanen versehen, fielen ebensogut der Spitzhacke und der Schaufel zum Opfer wie die ehrwürdigen Kaufmannshäuser mit ihren kunstvollen Thorbögen, den hallenden Fluren und breiten Wendeltreppen. In Staub und Schutt versanken diese historisch interessanten Gäßchen und Gassen, und fast über Nacht stieg daraus die neue, glänzende Straße empor, welche nun den direkten Verkehr vom äußersten Westen der Residenz bis zum innersten Centrum ermöglicht.

Mitten aber aus den noch übrig gebliebenen Partien der ehemals kurfürstlich brandenburgischen Stadt erhebt sich hoch und gewaltig das Rathhaus und blickt grüßend zu dem benachbarten Königsschlosse hinüber. Ist dort der Schauplatz fürstlicher Machtentfaltung, wurde dort die Krone mit Blut und Eisen geschmiedet: so ist hier der Raum für unermüdlichen bürgerlichen Fleiß; so ist hier das Feld, auf dem rastlos an der Größe der Stadt geschaffen wird. Wenn wir von der Plattform des Thurmes auf das meilenweit sich ausbreitende Dächermeer, auf das Gewirr der Straßen und Plätze, auf das nie rastende Leben und Treiben der Weltstadt hinunterblicken, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß vor fünfundzwanzig Jahren hier eine halbe Million Menschen lebte, deren Zahl heute fast das Dreifache beträgt: dann werden wir von Bewunderung erfaßt vor der Pflichterfüllung und vor der Arbeit, die Stunde für Stunde, Tag für Tag und Jahr für Jahr an diesem Platze, von dieser Stelle aus geleistet worden sind und noch geleistet werden, und mit herzlicher Freude erkennen wir an, daß sich der Bär, das Sinnbild des Berliner Magistrats, mit dem Adler der Hohenzollern zu ruhmbringender, erfolggekrönter Thätigkeit verbunden hat.

Ja, der Weg vom Brandenburger Thor bis zum Rathhause verkörpert uns mit seinen angrenzenden Theilen, mit den Querstraßen der Friedrichstraße bis zur Leipzigerstraße, mit dem wohlgepflegten Wilhelmplatze, an dessen Seiten sich still vornehme Palais erheben, und mit dem ehemaligen Gendarmenmarkt, dem jetzigen Schiller-Platze, der die beiden schönsten Kirchen Berlins, den deutschen und französischen Dom, sowie Schinkels genial-erhabenes Schauspielhaus umschließt, das schönste und bedeutungsvollste Stück der deutschen Kaiserstadt. Von hier aus hat sich in gewaltigen und immer gewaltigeren Kreisen die Residenz ausgestreckt und ausgereckt; von hier aus schoben sich die Häusermassen nach allen Seiten vor; hier vibrirt das öffentliche Leben am fieberhaftesten; von hier aus durchzucken die Nachrichten bedeutender Ereignisse die ganze Stadt und lassen die Bevölkerung nach diesem Viertel strömen, welches wahrlich würdig ist, Berlin zu repräsentiren, welches werth ist, das eigentliche Herz der Stadt zu bilden!

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Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Amicitia.
Eine Schuljungengeschichte von Hans Arnold.
(Schluß.)


Der Zweck des von Herrn Grauberg feierlich angekündigten Besuches war den Eltern natürlich sogleich klar. Die Mutter hatte allerdings geglaubt, es verhindern zu können, daß das bevorstehende Ereigniß Käthe bekannt wurde, da sie immer noch hoffte, die Einwilligung der Tochter vielleicht durch Ueberrumpelung zu gewinnen – aber sie hatte ohne das laute Organ ihres Mannes und ohne Schlüssellöcher gerechnet.

Wer es zuerst gehört, das weiß heut noch Niemand; gewiß ist aber, daß noch am selben Vormittag das ganze Haus von Käthe abwärts bis zum Stubenmädchen genau darüber im Klaren war, daß Herr Grauberg morgen um die Hand Käthe’s anhalten wolle.

Hätte es noch an einer Bestätigung der Nachricht gefehlt, so wäre die Haltung der Mutter entscheidend gewesen, die seit dem Eintreffen von Herrn Grauberg’s Zuschrift in Feierlichkeit, Rührung und zugleich einer gewissen Strenge drapirt umherging und sich mit Ostentation nach den Tagespreisen von Rehrücken und Fisch erkundigen ließ.

Der Vater sah verstimmt aus und warf von Zeit zu Zeit sorgenvolle Blicke auf Käthe – das Haus gewährte einen beunruhigenden Anblick.

Als die Amicitia auch an diesem Sonnabend sich, wie gewöhnlich an diesem Wochentage, bei Karl versammeln wollte, wurde ihr von Amtswegen bedeutet „es paßt heut nicht“, und der Verein zog mit ziemlich hängenden Ohren ab, von Karl auf die Straße geleitet, der im Flüsterton und mit unendlicher Wichtigkeit die Eröffnung machte, „das Scheusal“ habe auf morgen seinen Hauptstreich vor. Nach einer kurzen, aber leidenschaftlichen Berathung faßte man den Entschluß, Erloff von der drohenden Gefahr in Kenntniß zu setzen; denn Karl’s Mittheilung „Käthe weint“ entflammte die ritterlichsten Gefühle der Tertia für die bedrängte Schöne.

Vollzählig begab sich die Amicitia zu Erloff, der ahnungslos auf dem Sofa lag und las.

Die Aufnahme, die er dem Verein angedeihen ließ, war glänzend! Erloff blieb sich wirklich immer gleich!

Er ließ Wein und Apfelkuchen bringen und bot den jungen Herren sogar den mehr ehrenvollen als zuträglichen Genuß einer Cigarre an, den sie, trotz einer inneren, dringend abmahnenden Stimme, doch sämmtlich annahmen; hierauf saßen sie mit unsäglich gehobenen Gefühlen, wenn auch etwas ungewandt, rauchend und beratend um den Tisch.

„Das Eine steht fest,“ sagte Erloff, als seine Gäste sich nach einer halben Stunde erhoben, um fortzugehen, „Sie dürfen ihn nicht zum Reden kommen lassen, am liebsten gar nicht ins Haus – wie Sie es machen, überlasse ich Ihnen, ich setze vollstes Vertrauen in Ihre Besonnenheit und Ihren Scharfsinn!“

Die namenlos geschmeichelten Jünglinge zogen, von den kühnsten Plänen und Vorsätzen geschwellt, ab, die wenigstens den einen unleugbar guten Erfolg hatten, daß alle Arbeiten zum nächsten Montag schon heute gefertigt wurden, um am morgenden Sonntag „die Hände frei zu haben“.

Für Karl hatte der Nachmittagsbesuch bei seinem künftigen Schwager allerdings die traurige Folge, daß er durch kreidebleiches und jammervolles Aussehen die Cigarre büßen mußte und von der Mutter beleidigend auf zu viel Pflaumenkuchen angeredet wurde – eine Beschuldigung, die er vorerst schweigend auf sich sitzen lassen mußte.

Der gefürchtete und ersehnte Tag, der die Entscheidung von Herrn Grauberg’s Lebensglück bringen sollte, brach mit hellstem Sonnenlichte herein: ein Wetter, wohl geeignet, Löwenmuth in allen Herzen zu erwecken.

Die Amicitia, im glücklichen Vorgefühl zu verübender Schandthaten, erhob sich allerseits früh von ihren Lagerstätten – ein auffälliges Verfahren, da sonst der Sonntag durch endloses „Ausschlafen“ begonnen zu werden pflegte. Aber Herr Grauberg wollte um halb Elf bei Doktors erscheinen, und somit mußten die Streitkräfte frühzeitig vertheilt werden.

Dem Kinde Eduard war die ehrenvolle Aufgabe geworden, aufzupassen, bis der Freier kam. Sein großmüthiger Vorschlag, den Klingelgriff mit feinem Frühstückshonig einzuschmieren war abgelehnt; dagegen Eduard für später eine Glanzrolle zuertheilt worden. Ein Detachement, aus German und Roth bestehend, lauerte um Herrn Grauberg’s Haus herum, bis er den sauern Weg antreten würde.

In dem Augenblick, wo man ihn aus der Thür kommen sah, trennte sich das Paar, um an zwei verschiedenen Straßenecken sein Opfer zu belauern.

Karl war in der Küche beschäftigt, die im Seitenflügel des Hauses lag und deren Fenster mit denen des väterlichen Studirzimmers korrespondirten, daher man von dort aus jeden Vorgang in des Doktors Heiligthum beobachten konnte, was für Karl, wie wir später sehen werden, unumgänglich nöthig war.

Erloff hatte inzwischen insoweit eine Initiative ergriffen, als er dem Doktor ebenfalls schrieb, seine Werbung um Käthe’s Hand, deren Neigung er sicher zu sein glaube, aussprach und um die Erlaubniß bat, heut im Laufe des Tages sich selbst Bescheid zu holen. Der Doktor kratzte sich ärgerlich am Kopf, als ihm solchergestalt zwei hoffnungsvolle Schwiegersöhne in den seltenen Ruhetag zu kommen drohten, raisonnirte auf erwachsene Töchter und alles, was damit zusammenhing, und freute sich im Stillen über seine vielbegehrte Käthe, die ihm nun einmal ganz besonders ans Herz gewachsen war.

Der ahnungslose Herr Grauberg warf sich inzwischen in schönsten Staat, parfümirte sich, als wenn er Reklame für ein Seifengeschäft machen sollte, legte hellrote Handschuhe an, die eine taktvolle Mitte zwischen Gesellschafts- und Visitenfarbe hielten, und zog sich den neuesten aller neuen dunkelblauen Gehröcke an. Wenn Herr Grauberg nicht bezaubernd aussah, so konnte wenigstens kein Mensch sagen, daß er sich nicht genug Mühe gegeben hätte, um diesen Zweck zu erreichen!

An der ersten Ecke, um die ihn sein Weg führte, zeigte sich Roth.

Roth ging langsam vor dem Freier her, in derselben Richtung, und Herr Grauberg, der, wie wir begreifen werden, Eile hatte, überholte den Jungen rasch und nahm sich kaum Zeit, seinen Gruß zu erwiedern.

Als er ein paar Schritte weiter war, betrachtete Roth mit prüfendem Blick das Innere seiner Handfläche, welches reichlich mit Kreide eingerieben war, und nachdem er sich von dieser Thatsache überzeugt hatte, rief er in diskretester Weise Herrn Grauberg an.

„Sie haben sich den Rock weiß gemacht, Herr Grauberg!“

Eine unliebsame Störung – aber immerhin mußte der eilige Freiersmann stehen bleiben.

„Willst Du mich vielleicht abklopfen?“ fragte er.

Jeder Rest von Reue oder Gewissenszweifeln wurde in Roth durch dieses „Du“ erstickt. Hätte Grauberg „Sie“ gesagt, wer weiß, was er gethan hätte – aber so – der Mensch verdiente nicht, daß man ihn schonte!

„Sehr gern!“ erwiederte also der Verschwörer mit verbindlicher Miene und klopfte mit seiner bekreideten Rechten den blauen Gehrock recht gründlich – hier und da zur Verstärkung der Farbenmischung noch ein wenig reibend.

Als er so den ganzen Rücken des bedauernswerthen Mannes eingeweißt hatte, sagte er: „Ganz ist es noch nicht fort, aber beinahe – das Uebrige werden Sie sich wohl zu Hause abbürsten lassen müssen!“

Herr Grauberg nickte und vergaß in seiner Eile sogar den Dank für die erwiesene Wohltat. Roth verließ ihn, drehte um, stürzte durch einen nur der Amicitia bekannten Hof und Schleichweg voran, bis zu German, der an der letzten Ecke von Doktors wartete, und berichtete athemlos den Erfolg seiner Sendung: „ Er bedankte sich nicht einmal,“ fügte er hinzu, „gieb’s ihm tüchtig, German!“

„Spare jedes Wort!“ erwiederte dieser verächtlich, „Du kennst mich!“

German, mit einem blauen Shlips und einem Stöckchen in der Hand, war das Bild des eleganten Flaneurs und sich dessen voll bewußt. Der ihm zugefallene Theil der heutigen Mission würde ihn in Folge seiner Feinheit etwas genirt haben, aber zum Glück war die Straße, dem Sonntagvormittag entsprechend, menschenleer und German zu allem entschlossen.

[113]

Die Funkenfeuer am weißen Sonntage in Oberschwaben.
Originalzeichnung von G. Roeßler.

[114] Er richtete es demgemäß so ein, daß er mit Herrn Grauberg an der scharfen Biegung, welche die Straße macht, so plötzlich zusammentraf, daß sie an einander stießen – lief an ihm vorbei – erkannte ihn anscheinend zu spät und drehte um: „Pardon, Herr Grauberg, Sie haben sich den Rock weiß gemacht!“

„Sieht man es noch?“ fragte Herr Grauberg ärgerlich und machte ungefähr die Pantomime des Mannes, der sich so darüber ärgerte, daß ihm der Zopf stets hinten hing.

„Beträchtlich!“ erwiederte German, „darf ich vielleicht behilflich sein?“

Herr Grauberg stellte sich mit einem diesmal ganz höflichen „Bitte!“ in Positur, und German begann mit seinem Stöckchen den Rock mit solcher Pflichttreue auszuklopfen, daß er ganz zu vergessen schien, wie der Gegenstand seines Fleißes nicht leer, sondern von einer Persönlichkeit ausgefüllt sei.

Herr Grauberg rief in Folge dessen ein paarmal schmerzvoll „au!“ – Sphärenmusik, nicht nur für German, sondern auch für Roth, der natürlich nahe genug versteckt war, um alles mit zu erleben.

„Tausend noch einmal,“ rief endlich der arme Dulder, „Du schlägst aber zu toll, mein junger Freund!“

Auch ihm – auch German dies Du – diese familiäre Anrede, das mußte gerächt werden!

„Ja, sonst geht es nicht ab, Herr Grauberg!“ sagte German und schlug nun erst recht gewaltig, „Pardon, aber Sie sehen zu skandalös aus, wahrhaftig! So – nun ist es ziemlich gut!“

Und sich mit noch ein paar extra kräftigen Jagdhieben erlabend, die, wie der Kunstausdruck sagt, „saßen“, ließ German sein Stöckchen sinken, nahm mit tadelloser Manier den Hut ab und erwiederte Herrn Grauberg’s „danke“ mit einem ganz aufrichtigen „o bitte – es hat mir großes Vergnügen gemacht!“ Der bearbeitete Herr Grauberg schritt nun seines Weges weiter, während die Bundesbrüder sich selig in die Arme fielen und vor Freude schrieen: „Der hat’s gekriegt!“

Inzwischen war Grauberg im Hause des Doktors angelangt. Eduard, der ihn kommen gesehen, gab das verabredete Zeichen nach der Küche und stürzte dann auf die Straße, um German und Roth zu holen, die sich durch die Hofthür schlichen und die Hintertreppe hinauf zu Karl in die Küche kamen.

Der Freiersmann war nun auch bis in des Vaters Stube vorgedrungen und die Jungen konnten von ihrem Beobachtungsposten aus sehen, wie er, vom Doktor zum Sitzen aufgefordert, dies mit einer Handbewegung ablehnte und in stehender Positur, die bekanntlich sowohl für Denkmäler, als auch für „anhaltende“ Bewerber die vortheilhafteste ist, seine Rede zu beginnen schien.

Diesen Moment benutzten die heillosen Jungen zur Ausführung ihres dritten Planes. Ein kleiner Spiegel, den Eduard aus Käthe’s Ankleidezimmer hatte holen müssen, wurde sinnreich so gehalten, daß die scharfe Sonne sich darin fing und wie ein blendender, flatternder Vogel im Wiederschein durch das gegenüberliegende Fenster auf das Gesicht des Freiers fiel.

Herr Grauberg stockte – fuhr mit der Hand über die Augen und fing noch einmal an. Der Doktor, der vor sich niedergesehen und mit dem Papiermesser gespielt hatte, um sich und seinem Gaste die Verlegenheit des gegenseitigen Anstarrens zu ersparen, blickte überrascht auf. Sofort duckten die Jungen in der Küche unter und waren sammt dem Spiegel verschwunden.

Herr Grauberg begann zum zweiten Male, aber als er eben wieder bis zur Hochachtung vor der Familie und der Neigung seines Herzens gelangt war, fuhr der tückische Blitz wieder über sein Antlitz, und ein nicht ganz zur Stunde und Sachlage passendes „Donnerwetter“ entschlüpfte den Lippen des in so ungewöhnlicher Weise Unterbrochenen. Die Jungen, welche aus den Bewegungen und Mienen der beiden Herren schlossen, daß man im Begriff stand, der Sache nachzuforschen, flohen eiligst aus der Küche. Die jauchzende Mine, die mangelhafter Trinkgelder halber Herrn Grauberg abhold war, wurde zum tiefsten Stillschweigen verpflichtet, und nun begann der letzte, entscheidende Akt, der, durch Eduard ausgeführt, dieser Freierei mit Hindernissen den größten Stein in den Weg werfen sollte.

Eduard wurde mit Mütze und Paletot versehen und vor die Flurthür geschickt.

Eben hatte Grauberg zum dritten und, wie er hoffte, unwiderruflich letzten Male seine wohlgesetzte Rede begonnen, als ein scharfer Klingelton durchs Haus gellte und Eduard, jede Furcht und Rücksicht bei Seite setzend, in des Vaters Zimmer stürzte.

„Herr Grauberg – der Mann aus der Menagerie sucht Sie überall – der Elefant liegt im Sterben!“ schrie er mit angstvoller Miene.

Herr Grauberg starrte den Jungen entsetzt an.

„Wo ist er denn?“ frug er mit bebender Samme.

„In seinem Käfig,“ erwiederte Eduard, „er macht so!“ und der Junge ahmte die leidende Stellung des Vierfüßlers in so lächerlicher Weise nach, daß dem Vater beinahe der Ernst abhanden kam.

„Ach, Dummheiten!“ rief Herr Grauberg, der ganz blaß geworden war, „wo ist der Menageriebesitzer?“

„Er kommt gleich her!“ sagte Eduard und ließ sich erschöpft auf einen Stuhl sinken, „wenn der Elefant stirbt, müssen Sie ihn kaufen und einen neuen dazu! – Schenken Sie mir die Zähne?“

Aber diese Frage blieb unbeantwortet. Herr Grauberg, dessen Nerven heute begreiflicherweise ohnehin überreizt waren, wurde durch die Vorstellung von einem todten und einem lebenden Elefanten, die er beide kaufen sollte, derartig verwirrt, daß er mit einem hastigen. „Sie verzeihen!“ seinen Hut ergriff und hinaus stürzte: ein Beispiel, dem Eduard eiligst folgte, da er näheren Nachfragen über die Sache auszuweichen wünschte.

Kaum war der arme Elefantenmörder mitsammt seinem verunglückten Heirathsantrag um die Ecke, so rannte ein Bote aus der Amicitia zu Erloff, um diesem zu verkünden: „Er ist fort!“ Erloff hielt den Moment für den geeignetsten, um in die leer gewordene Stelle einzurücken, und stand eine Viertelstunde später in derselben Stube, in derselben Situation vor demselben Vater, wie vorhin sein unglücklicher Nebenbuhler – nur mit dem Unterschied, daß ihn keine feindlichen Mächte an der Ausführung seines Vorhabens hinderten.

Wie viel der Umstand, daß die Doktorin ihren fünf intimsten Freundinnen unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit anvertraut hatte, Käthe werde sich diesen Sonntag verloben, zu ihrer Einwilligung beitrug, wollen wir dahingestellt sein lassen! Sie erfuhr durch ihren Mann nur, Herr Grauberg habe nicht angehalten, und wollte sich doch nicht der leeren Ruhmredigkeit beschuldigen lassen, um so mehr, da sie sich überzeugen mußte, daß Käthe sowohl wie der Vater doch nun einmal gegen Grauberg und für Erloff so entschieden seien, daß ihr Widerstand nicht viel nützen würde.

Wie eine Verlobung schließlich zu Stande kommt, das ist ja im Grunde auch gleichgültig – die Hauptsache ist doch, daß sie zu Stande kommt! Und als das hübsche, fröhliche, junge Brautpaar am Tische der Eltern saß, schmolz das Herz der Doktorin denn auch bald, und sie tröstete sich schneller über den abgewiesenen reichen Freier, als sie selbst es für möglich gehalten hätte.

Auf Erkundigungen ergab sich übrigens, Herr Grauberg sei aus Angst vor den Folgen seines Elefantenscherzes sofort in seine Heimath gereist, und Erloff ließ sich das kleine, boshafte Vergnügen nicht nehmen, den Rivalen noch am selben Tage durch die telegraphisch übermittelten Worte: „Der Elefant ist wieder wohl!“ zu trösten und sowohl seinen als Käthe’s Namen mit dem Zusatze „Verlobte“ darunter zu setzen.

Der Verein Amicitia hatte übrigens von seiner thätigen Mitwirkung, die er aus sehr triftigen Gründen zu verschweigen für angezeigt fand, die greifbarsten Vortheile. Erloff schenkte nämlich nicht nur einen Thaler in die Vereinskasse, die unter diesem noch nie dagewesenen Reichthum sich bog, sondern verehrte der Amicitia überdies eine Anzahl alter Hieber aus seiner Studentenzeit, die zu den lebensgefährlichsten und entzückendsten Unternehmungen Anlaß boten und als neues Bollwerk gegen die Wissenschaften von den Eltern in allen Tonarten verwünscht wurden.

Uebrigens bleibt der Verein noch heute dabei, daß ohne ihn die ganze Verlobung nicht zu Stande gekommen wäre! Als daher bei Käthe’s und Erloff’s Hochzeit, wo sämmtliche Mitglieder anwesend waren, ein Hoch auf die Amicitia ausgebracht wurde, schrie Niemand lauter mit, als diese selbst, die an einem Tische für sich thronte und so viel Champagner bekam, als sie irgend wollte – was sich eigentlich von selbst versteht, da sie alle inzwischen in die Sekunda gekommen waren! Nur Eduard legte durch einen plötzlichen, Allen so wie ihm selbst unerklärlichen Thränenstrom einen unmännlichen Mangel an Widerstandskraft gegen den Zauber geistiger Getränke an den Tag – die Andern vertrugen schon etwas! und hatten somit volles Recht zu rufen: „Die Amicitia lebe hoch – und abermals hoch – und zum dritten Male hoch!“

[115]
Die Familie Orleans.
von K. Th. Heigel.
(Fortsetzung.)


Als Karl X. am 25. Juli 1830 jene verhängnißvollen, von dem Minister Polignac aufgesetzten „Ordonnanzen“ unterzeichnete, welche die eben vollzogenen Wahlen für ungültig erklärten, ein neues Wahlrecht oktroyirten und die Presse unter strengste Bevormundung stellten, traten sofort Thiers und andere Vertreter der Presse mit Ludwig Philipp in Verbindung, ohne daß der Vorsichtige aus seiner passiven Rolle herausgetreten wäre. Rasch theilte sich jedoch die Aufregung weiteren Kreisen mit und bald handelte es sich nicht mehr um einen Protest gegen mißliebige Maßregeln, sondern um eine allgemeine Schilderhebung gegen das bourbonische Königthum. Der von Thiers im „National“ verfochtene Satz: „Der König herrscht, aber regiert nicht!“ wurde die Losung des Tages. In einer nach Beginn des Kampfes zwischen den Volksmassen und den Truppen, und zwar ebenfalls von Thiers verfaßten Proklamation war hervorgehoben, daß Karl X., an dessen Händen Bürgerblut klebe, nicht mehr Oberhaupt Frankreichs bleiben und nur der Herzog von Orleans als Freund der Freiheit die Ordnung wiederherstellen könne. Ludwig Philipp selbst aber gab kein Lebenszeichen. Er hielt sich in einem Pavillon „la laiterie“ im Park seines Landhauses zu Neuilly versteckt; er wollte sich erst finden lassen, wenn der in den Straßen von Paris hin- und herwogende Kampf entschieden, zu seinen Gunsten entschieden sein würde.

Erst als am dritten Tage der Bankier Lafitte die Nachricht überbracht hatte, daß das Volk Sieger geblieben sei, und als eine Kammerdeputation ihn dringend aufforderte, nach Paris zu kommen, um das Vaterland vor der Sturmfluth der Anarchie zu retten, erklärte er sich bereit, dem Ruf der Vorsehung und der Mitbürger Folge zu leisten. Nächtlicher Weile begab er sich nach Paris und betrat, nachdem er den Anruf der Schildwache mit dem Losungswort: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! beantwortet hatte, das Palais Royal. Noch fuhr er fort zu versichern, er hege keinen anderen ehrgeizigen Wunsch, als den, zu den besten Bürgern gezählt zu werden, und er wolle einfacher Bürger sein und bleiben. Dabei war nicht zu unterscheiden, wo die Wahrheit aufhörte und die Täuschung anfing. Am Morgen des 31. Juli ließ Ludwig Philipp den Herzog von Mortemart, der dem nach St. Cloud geflüchteten König Karl die Ablehnung der Vermittelungsvorschläge durch die Kammer melden sollte, zu sich bitten.

Mortemart erzählte später, Orleans habe auf ihn den Eindruck eines Fieberkranken gemacht. „Macbeth Bourgeois“ verrieth die innere Aufregung durch die Todtenblässe seines Gesichtes. Schweiß stand ihm auf der Stirn, sein Blick war unstät, die Stimme gebrochen. „Schildern Sie Sr. Majestät, wie schmerzlich berührt ich bin ob der neuesten Vorgänge; nur gezwungen bin ich nach Paris gekommen, denn man hätte mir sonst Frau und Kinder gefangen genommen. Ueberbringen Sie aber meine Erklärung: ich will lieber den Tod erleiden als die Krone annehmen!“

Noch am nämlichen Tage erließ Orleans einen Aufruf, worin er sich bereit erklärte, den Posten eines Generalstatthalters anzunehmen, und mit einem echt französischen Schlagwort schloß. „Die Charte wird künftig eine Wahrheit sein!“ Da aber noch immer in den Straßen nur Hochrufe auf die Freiheit und auf Lafayette ertönten, wurde im Hôtel de Ville eine theatralische Scene aufgeführt, welche ihren Zweck, die Sympathie der Menge auf den künftigen König zu lenken, nicht verfehlte: Ludwig Philipp trat mit Lafayette ans Fenster, entfaltete die Trikolore und umarmte den General. Die auf dem weiten Platz versammelte Menge brach in Jubel aus – die neue Dynastie war von der Revolution anerkannt. Nun wurde rasch der Thron für den Roi-Citoyen aufgerichtet. Am 3. August rückte die Pariser Nationalgarde vor Rambouillet, um Karl X. zur Abreise zu zwingen; noch war der Bourbon nicht auf britischem Boden angelangt, als das Parlament am 7. August mit 219 gegen 33 Stimmen in der Person Ludwig Philipp’s einen Nachfolger ernannte. Als die Frage laut wurde, ob der neue König den Namen Philipp VII. annehmen solle, rief Dupin, dem Herzog von Orleans sei die Krone übertragen, „nicht weil, sondern obwohl er ein Bourbon sei.“ In Uebereinstimmung mit dieser Erklärung nannte sich der Erwählte „Ludwig Philipp I., König der Franzosen.“

Nun wurde die Charte in liberalem Sinne reformirt, so daß der Bürgerstand recht eigentlich der Träger der neuen Ordnung sein sollte. Der König selbst fuhr fort, wie ein einfacher Privatmann aufzutreten; in bürgerlichem Anzug, gewöhnlich mit dem Regenschirm in der Hand, machte er seine Promenaden; nach wie vor besuchten seine Söhne das Collège Henri IV. Diese wohlberechnete Schlichtheit war für die Pariser etwas Neues, also etwas Anziehendes; der Bürgerkönig war eine Zeit lang wirklich populär. Zwar begannen die Legitimisten und die Anhänger der Republik bald einen heftigen Kampf gegen die Autorität des Julikönigthums und der hohe Adel verbündete sich mit den Kommunards, um den tiers parti und dessen Oberhaupt zu schädigen. Allein Ludwig Philipp obsiegte ohne viel Blutvergießen sowohl über die Restaurationsversuche der Herzogin von Berry, die ihrem Sohne die Krone retten wollte, wie über die Putsche der Cavaignac’s und Raspail’s. Obwohl kein Fürst Europas so häufig von Mörderhand bedroht war wie Ludwig Philipp, mied er nie die Oeffentlichkeit und die Gefahr, und die ersten mißlungenen Attentate steigerten noch die Sympathie mit dem unerschrockenen Regenten, von dessen Wohlwollen manches geschickt verbreitete Abenteuer, von dessen Welterfahrung manches kluge Wort in Kronrath und Kammer Zeugniß gab.

Ungünstiger schien sich anfänglich das Verhältniß zum Ausland zu gestalten. An den Höfen wurde befürchtet, daß die französische Regierung die revolutionären Geister in ganz Europa entfesseln und eine Aera des Kriegs heraufbeschwören werde, wie Napoleon I. Die ersten Annäherungsversuche wurden ziemlich schroff zurückgewiesen; ja, Zar Nikolaus gab barsch und bündig zu verstehen, daß er einen Usurpator nicht anerkennen wolle.

Allein die Besorgniß der Fürsten erwies sich als unbegründet. Nicht bloß wurde der revolutionären Propaganda von der französischen Regierung kein Vorschub geleistet, sondern der „neue Cromwell“ suchte sogar mit einer gewissem demüthigen Unterwürfigkeit die Souveraine darüber zu beschwichtigen, daß er das europäische Staatswesen nicht stören werde. Zwar wurde mit England „entente cordiale“ angeknüpft und die Verbrüderung „der zwei großen, dem liberalen Fortschritt zugewandten Verfassungsreiche“ in Paris und London mit wohlklingenden Worten gefeiert; aber den in Polen, Italien, Deutschland entweder für ihre Nationalität oder für liberale Reformen kämpfenden Parteien blieb die erhoffte und erbetene Unterstützung Frankreichs versagt.

Man ist nicht berechtigt, zu bezweifeln, daß Ludwig Philipp aufrichtig bedacht war, die Wohlfahrt von Staat und Volk zu fördern; die eifrigste Sorge verwandte er aber auf Befestigung seiner Dynastie und Vermehrung des Hausguts. Dieser „wirthschaftliche, hausväterliche Sinn“ verleitete ihn nicht selten zu einer Handlungsweise, die mit patriotischen Pflichten nicht vereinbar war oder doch den von einem Roi-Citoyen gehegten Erwartungen nicht entsprach. Ungünstigen Eindruck machte es, daß er das ganze große Vermögen auf seine Kinder überschreiben ließ, während früher das Privatvermögen der Könige mit den Krondomänen vereinigt gewesen war. Die Geltendmachung des Condé’schen Testaments zu Gunsten des Herzogs von Aumale gab Anlaß zur Verleumdung, der Tod des Erblassers sei im Interesse des Erben gewaltsam herbeigeführt worden. Mit mehr Recht wurde getadelt, daß Ludwig Philipp auch nach der Uebersiedlung in die Tuilerien fortfuhr, an der Börse zu spekuliren, und allerlei politische Manöver zu Gunsten seiner Privatkasse ausführen ließ.

Immer lauter erscholl die Klage, daß Landmann, Bürger und Arbeiter unter härterem Druck zu leiden hätten, als in den Zeiten der absoluten Monarchie, während eine neue privilegirte Kaste alle Macht in Händen habe, die Bankiers und Großindustriellen, die „Herzenskinder“ des „Königs der Börse“; die neue Verfassung beruhe nicht auf demokratischer Grundlage, sondern stehe unter dem Bann einer Vermögensherrschaft, deren materielles Wesen auf alle Kreise entsittlichend wirke.

(Schluß folgt.)     

[116]
Blätter und Blüthen.


Die Funkenfeuer am weißen Sonntage in Oberschwaben. (Mit Illustration S. 113.) Die Fastnacht ist noch ein Ueberbleibsel der Heidenzeit und die charakteristischen Volksfeste, mit denen sie so vielfältig bei den Volksstämmen unvermischter Rasse begraben zu werden pflegte, hat die katholische Kirche teilweise übernommen und gefordert, theilweise zu unterdrücken gesucht. Auch mit dem Funkenfeuerfest am ersten Sonntag in den Fasten, im Allemannischen der weiße Sonntag genannt, war dies letztere früher der Fall. Trotzdem hat es sich in Oberschwaben, auf den Dörfern zumal noch bis zum heutigen Tage erhalten und wird als Volkssitte daselbst jetzt geduldet. Ist es doch seit uralter Zeit das Frühlingsfest! In den Dörfern auf der Schwäbischen Alb ißt man dann zum ersten Mal wieder ohne Licht zu Nacht, weil das Tageslicht nun so lange dauert. Auch das Vieh wird noch bei der Tageshelle gefüttert und die Sonne, sagt da der Bauer, wird zum ersten Mal in den Stall gesperrt. Nach dem Abendessen gehen die Bursche auf den Berg oder auf eine Wiese vor dem Ort und machen das Funkenfeuer. Wer zuerst am Platze, macht das Feuer, das heißt den Funken, wie man sich volksthümlich ausdrückt. Aus der Mitte des Holz- oder Reisighaufens ragt eine Stange hervor um oben angebrachten Strohwischen, an die sich noch immer theils der Aberglaube, theils die derbe Schelmerei des Landvolks knüpft. Im Kreise Waldsee z. B. stellt man sich unter dem größten Strohwisch die Hexe vor, die verbrannt wird, damit Feld und Vieh vor ihr sicher seien.

Anderwärts bedeutet es Uebles für ein Mädchen, wenn die brennende Stange ihm entgegenfällt. Dann verdiene es nämlich eine Strohkrone. Die Mädel müssen durchaus beim Funkenfest mit dabei sein; theils holen die Burschen sie dazu aus den Häusern ab, theils stellen sie sich mit Alt und Jung dem Volksfest zu Ehren selber dazu ein. Die Liebe auf dem Lande erklärt sich urwüchsig. Bei solcher Gelegenheit spielt sie gern mit dem Feuer und die Funken fliegen oft wie ein Feuerwerksregen um diejenigen, denen die Burschen sagen wollen: Mädli, i bin Di guet! Das nennt man das Scheibenschlagen, was den alten Herren von der Geistlichkeit früher viel Aergerniß gegeben haben mag. Backen doch in Ehingen am weißen Sonntag die Mädchen auch zur Aufmunterung der „Kerle“ ihnen Küchlein und geben sie ihnen als Geständniß ihrer Liebe. Hier und da zieht die Schuljugend auch mit Fackeln oder Stangen, auf denen sich brennende Fettnäpfchen befinden, um den lodernden Holzstoß,tanzt, johlt und treibt Uebermuth dabei, bis die Fackel verbrannt ist, und dann machen sich die losen Buben daran, heimlich mit dem Ruß die verliebten Mädchen, die mit ihrem Schätzle abseits charmiren, im Gesicht anzuschwärzen und so womöglich alle Dorfschönen zum Gaudium des anderen Publikums kamerunartig herzurichten. Ums Feuer tanzen ist ja auch zur Herbstfeier (Weinlese) schwäbische Volkssitte, wo es nämlich, wie in Heilbronn, eine Weinlese giebt.


Die Schlösser König Ludwig’s II. Wir haben unsern Lesern in Text und Bild die hervorragenden Kunstbauten des verstorbenen Königs vorgeführt: Es wird für sie jedenfalls von Interesse sein, zu erfahren, wie einer der berühmtesten deutschen Kunstgelehrten, Wilhelm Lübke, in seinem Werke „Kunstwerke und Künstler“ (Breslau, Schottländer) über diese Schlösser urtheilt.

Den Preis ertheilt er, was Originalität der Konception betrifft, dem Schloß Neuschwanstein bei Hohenschwangau: „Hier ist im Geiste des hohen Mittelalters eine Schöpfung erstanden, in welcher mit künstlerischer Genialität alle Motive der neuerblühten romanischen Kunst zu einer neuen glanzvollen Blüthe entwickelt sind. Der Bau enthält in freier malerischer Gruppirung alle Elemente der Burg des Mittelalters; den Palas, die Kemnate, den Burgfried etc. in einer Großartigkeit der Anlage, wie das ganze deutsche Mittelalter uns kein Beispiel bietet. Am ersten konnte man noch an die Wartburg erinnern; doch bleibt auch diese im Maßstabe und im Umfang weit hinter dem hier Gewollten zurück.“

Lübke rühmt die freie malerische Gruppirung, die auf kolossalem Unterbau hoch emporgethürmten Massen, die Ausbildung des Innern, die in dem großen Festsaale, einer freien Nachschöpfung des Saals auf der Wartburg, ihren Gipfelpunkt erreicht.

Der „Linderhof“ dagegen ist ein üppigreiches Prunkstück. „Wie anders wirkt das Zeichen auf mich ein!“ wird man ausrufen, wenn man sich von Neuschwanstein aus seiner Betrachtung zuwendet. Er ist ein kleines Lustschloß, das in der ganzen Anlage, in Form und Gruppirung, weit mehr noch in der üppigen Ausstattung der Räume an die Zeiten der Pompadour erinnert. Als Vorbilder für das kleine Zauberschloß sind aber nicht etwa französische Werke, wie Klein- und Groß-Trianon, sondern die zahlreichen Lustschlösser deutscher Fürsten aus dem vorigen Jahrhundert zu betrachten. Solche Bauten wie der Linderhof kommen für die Kunstentwickelung unserer Zeit nicht in Betracht. Bei dieser Schöpfung König Ludwig’s II. kommt noch hinzu, daß sie mit ihrem raffinirten Prunk und den Formen einer aufs äußerste gesteigerten Civilisation der Großartigkeit und Feierlichkeit der umgebenden Natur einen Schlag ins Gesicht versetzen. Wenn es die höchste künstlerische Aufgabe ist, das architektonische Werk gleichsam als feinste Blüthe der umgebenden Natur sich entwickeln zu lassen, so ist hier die schneidendste Dissonanz verwirklicht worden.“

Dies Alles sollte an Ueberschwänglichkeit und Maßlosigkeit noch überboten werden durch den neuen Palast auf Herrenchiemsee. Als Kopie des Schlosses von Versailles sollte er dieses Vorbild an Umfang noch übertreffen. Auch hier steht das Bauwerk mit seiner kolossalen Massenhaftigkeit, seinen prunkvoll kalten Formen, mit seinem raffinirten Luxus in Widerspruch mit der landschaftlichen Umgebung einer von Menschenhand unberührten Gebirgsnatur. Dem schöpferischen Genius wurden bei der strengsten Vorschrift der Nachahmung die härtesten Fesseln angelegt: auch waren es des Königs eigenste Gedanken, Weisungen und Befehle, die hier zur Ausführung gelangten. „So entstand,“ sagt Lübke, „das Riesenwerk als unheimlicher Ausdruck einer auf Irrwege geratenen Phantasie, die nur noch in Ungeheuerlichem sich zu genügen suchte. Ist es nicht ein erschütternder Beweis des Wahnsinns, einen so gigantischen Bau mit dem Aufgebot der kolossalsten Mittel ins Leben zu rufen, der nur dann einigen Sinn hätte, wenn man ihn als den Schauplatz eines glänzenden Fürstenhofs mit seinem pomphaften Ceremoniell und seinen rauschenden Festlichkeiten sich vorstellte? Nun denke man diese riesigen Räume, die nach einer Belebung durch einen zahlreichen glänzenden Hofstaat verlangen, einzig bevölkert durch die träumerische Gestalt dieses unglückseligen Königs in der Mitte einer Handvoll Kammerdiener und Chevauxlegers. Muß man nicht ausrufen: ‚Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an!‘?“

Nach Lübke’s Ansicht waren die ungeheuren Summen, welche König Ludwig II. für seine Bauten ausgegeben hat, weit davon entfernt, der lebenden Kunst irgend eine wahre Förderung zu bringen.

†      


Der Rosengarten von Agstein. Am Ufer der Donau, unfern der berühmten Abtei Mölk, liegt auf steilem Felsen das alte Schloß Agstein, welches im 13. Jahrhundert einem Ritter von Schreckenwald gehörte. Der Ritter war ein wilder, fehdelustiger Mann, der nicht nur Wegelagerei trieb, sondern auch mit den benachbarten Städten und Edelherren in stetem Kampfe und Unfrieden lebte. Wehe aber dem Unglücklichen, welcher des Burgherrn Zorn auf sich geladen hatte und in seine Hände fiel oder nicht im Stande war, das von Schreckenwald geforderte Lösegeld zu bezahlen; seiner harrte ein schreckliches Schicksal. Wo der Schloßfelsen nach der Donau abfällt, führte aus einem Gemache des Schlosses eine kleine Thür nach einem Felsenvorsprung, drei Schritte breit und eben so lang, umgeben von jäher Tiefe. Diesen Platz nannte der Ritter mit unmenschlichem Hohn „seinen Rosengarten“. Das Opfer, welches der Ritter dem Verderben geweiht hatte, wurde in das Gemach am Rosengarten geführt, dort fürstlich mit Essen und Trinken traktirt und nichts gespart, um sein Herz zur Fröhlichkeit zu stimmen. Wenn nun der Gast, hocherfreut über die vermeinte Versöhnlichkeit seines Gewalthabers, schon von seiner bevorstehenden Freiheit träumte, hieß ihn der Ritter aufstehen und durch die von ihm geöffnete Thür in „den Rosengarten“ hinaustreten. Rasch fiel dann die eiserne Thür wieder ins Schloß, und hohnlachend von innen den Riegel vorschiebend und das Speisegemach verschließend, ging der Ritter von dannen. Für den Unglücklichen auf dem Felsenvorsprunge gab es keine Hoffnung mehr. Ihm blieb nur die Wahl, zu verhungern und zu verdursten oder sich in die schwindelnde Tiefe hinabzustürzen. Zahllose Opfer sollen auf diese Weise ihren Tod gefunden haben. Endlich wurde die Burg Agstein von verbündeten Edelleuten und Bürgern belagert und erstürmt und Schreckenwald, nach tapferer Gegenwehr, gefangen nach „dem Rosengarten“ geschleppt und über den steilen Felsen in die Donau hinabgestürzt.


Repetirgewehre des 18. Jahrhunderts. Ein Franzose, der zu Anfang des genannten Säkulums Deutschland bereiste, kam auch nach Nürnberg, woselbst er bei einem Enkel des berühmten kunstreichen Zirkelschmiedes Hans Hautsch Pistolen sah, die nach und nach hundert Schüsse abgaben, ohne daß man sie mehr als einmal loszubrennen brauchte. Hautsch verlangte für das Paar dieser merkwürdigen Feuerwaffen nur einen Dukaten.

Bilder-Räthsel.

Bilder-Räthsel.


Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)


A. L. in B. Jedes die Jahreszahl 100 führende Jahr ist das Schlußjahr eines Jahrhunderts, und jede Jahrhundertsfeier fällt auf den ersten Tag der mit 1 neu beginnenden Jahreszahl. Das 20. Jahrhundert beginnt also nicht mit dem 1. Januar 1900, sondern mit dem 1. Januar 1901.

M. N. in Stolp. Als geeignet zur Kenntniß der deutschen Verslehre empfehlen wir Ihnen Rudolf von Gottschall’s „Poetik“, die einen allgemein verständlichen und lehrreichen Abschnitt darüber enthält. Für Gedichte haben wir zunächst keine Verwendung, für ein Lustspiel niemals.

B. in Z. Die „Transport-Dreiräder“ finden immer mehr Anklang; in London werden sie schon von einer großen Anzahl von Geschäftsleuten zum Ausfahren ihrer Waaren benutzt, so daß heute mehrere tausend solcher Fahrzeuge auf den Straßen in Gebrauch sind. Näheres über die deutsche Velocipedindustrie finden Sie in der Zeitschrift „Das Stahlrad“ und anderen Fachorganen.