Aus den Schlössern König Ludwig’s II.

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus den Schlössern König Ludwig’s II.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, 33, 35, 36, S. 513, 560–562, 569, 617, 586–590, 615–616, 632–635
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[513]

Hohenschwangau und Neu-Schwanstein von der „Jugend“ aus. 0 Originalzeichnung von R. Püttner.

[560]

Schloß Herrenwörth mit dem Hochgern.

Aus den Schlössern König Ludwig’s II.

I.0Das Inselschloß zu Herrenchiemsee.

Wer von München nach Salzburg fährt, dem eröffnet sich zwischen den Bahnstationen Endorf und Prien plötzlich, indem der Bahnzug aus einer düsteren Waldlandschaft hervorbraust, nach Osten zu ein weites und großartiges Landschaftsbild. Langhin streckt sich am Horizonte die Alpenkette; unter ihr dehnt sich die schimmernde Fläche des Chiemsees entlang, dessen Wellen bis hart an den Bahndamm heranplätschern. Die dunkleren Linien von Inseln und Landzungen, mit Wäldern und Gehöften bedeckt, durchschneiden mehrfach den blinkenden Wasserspiegel. Eine jener Inseln zeigt schon aus dieser stundenweiten Entfernung zwei ansehnliche Gebäude, deren mächtige Mauern über die umgebenden Bäume aufragen. Das eine dieser Gebäude, mit hohem Giebeldach, ist die vormalige Abtei Herrenchiemsee; das andere, langhingestreckt im Walde, das vielgerühmte Inselschloß König Ludwig’s II. von Bayern. – Wir entsteigen dem Zuge auf dem Bahnhofe zu Prien, fahren in einem Omnibus ein Viertelstündchen und stehen dann am See-Ufer, wo ein kleines Dampfboot uns aufnimmt. Unweit seines Hafens strecken sich zwei Landungsbrücken in den See hinaus; sie wurden für den Schloßbau errichtet. Da sah man vor wenigen Jahren noch Hunderte von Händen sich regen, um in weitbauchige Transportschiffe Riesenkisten mit den kostbarsten Erzeugnissen des Kunstgewerbes einzuladen. Schätze im Werthe von vielen Millionen sind diesen Weg gefahren – was wird ihr Ende sein?

Der Dampfer verläßt seinen Hafen. Ueber den Waldhügeln hinter dem nächsten Ufer jagt finsteres Gewölk von Westen her, Windstöße peitschen den See, während auf der waldumsäumten Insel Herrenchiemsee noch die Sonne liegt und die breite Façade des fernen Schlosses beglänzt. Dort schimmern räthselhafte goldene Pünktchen auf breiten Terrassen. Während unser Schiff vor dem

[561]

Die Latona-Anlagen mit dem Mitteltrakt des Schlosses auf Herrenwörth.

[562] Winde her eilt, haben wir Zeit, den landschaftlichen Gesammteindruck aufzunehmen. Er fällt entschieden zu Gunsten der alten Abtei gegen das neue Königsschloß aus. Mit klarem Blick und einfachem Verständniß fanden in den Tagen grauer Vorzeit jedesmal die Mönche für ihre Klostergründungen den schönsten Punkt auf Meilen in der Runde. So war’s auch hier auf Herrenchiemsee. Hoch ragt der Prälatensitz auf seinem Hügel; von prächtigen Bäumen umstanden schaut sein stattlicher Giebel nach allen vier Windrichtungen über den See hin und macht in all seiner Einfachheit landschaftlich mehr Eindruck, als der neue Königsbau, der langgestreckt sich kaum über den Wald erhebt. Und doch ist es die Hauptfront des Palastes, die man zuerst sieht: die Westseite, von welcher sich terrassenförmig die „Latona-Anlage“ herabzieht bis zu dem breiten Kanal, der vom See aus nach dem Schlosse zu gegraben ist.

Vom Dampfboot aus gleitet der Blick direkt in diesen Kanal hinein und sieht die hohen Spalierbauten, welche ihn einfassen, sowie den Spiegel des Schlosses und der dunklen Waldbäume. Es ist nur der kleinere Theil des Sees, welchen man vom Westgestade aus nach Herrenchiemsee durchfährt; aber er macht weit mehr den Eindruck eines Gebirgssees, als der größere östliche. Von Norden her ziehen sich bewaldete Halbinseln in den See vor, zwischen welchen stille Buchten liegen; an der Westseite zeigt sich waldiges Hügelland; die Ostseite erscheint fast ganz durch die langgestreckte Herreninsel abgeschlossen; im Süden aber baut sich ein schöngezackter Berg empor, die Kampenwand, an deren Gehänge ein scharfes Auge leicht die Alphütten entdecken kann.

Eine Viertelstunde fährt der kleine Dampfer über diesen Theil des Sees; dann biegt er in scharfer Wendung um die Nordspitze der Herreninsel, wo, fast auf dem Wasser schwimmend, eine kleine Kirche unter Pappeln steht. Gleich darauf ist die Landungsbrücke erreicht, und man steigt den Hügel zur Abtei hinan. Hier deutet nichts mehr auf das ehrwürdige Alter dieser Ansiedelung, von der nur dunkle Sagen berichten, daß sie schon in karolingischer Zeit unter der Herrschaft des bayerischen Herzogsgeschlechts der Agilolfinger aufgeblüht sei. Was jetzt an den Gebäuden der vormaligen Abtei noch steht, ist neueren Ursprungs: stattliche weiße Fronten auf hoher Terrasse, mit großen Fenstern, das Erdgeschoß umrankt von Weinlaub und Pfirsichbäumen. Aber die schönen Räume sind leer. Seit dem Anfange unseres Jahrhunderts ist das Kloster aufgehoben. Das prächtige Besitzthum ward um einen Spottpreis verkauft, die beiden hohen Thürme, die einst ein Wahrzeichen der Umgebung, eine weithin sichtbare Landmarke gewesen, abgetragen, die Kirche selbst in ein Bräuhaus verwandelt und aus den kupfernen Thurmdächern wurden Braupfannen. Die Geister der verstorbenen Mönche ließen das Alles ruhig geschehen, ohne in den Gängen und Hallen zu spuken. Von den Spuren ihres Wirkens zeugen nur noch die weißen Mauern und die schönen alten Bäume des Klostergartens, in deren Schatten die Prälaten einst wandelten und in Ruhe das prächtige Landschaftsbild beschauten, welches ringsum sich darbietet. Von der luftigen Höhe dieses Gartens aus sieht man jetzt auch auf den neuen Schloßbau; man sieht fast herab auf ihn. Aber nur der unvollendete Rohbau starrt uns hier entgegen (siehe Anfangsvignette). Der schöne Berg, der ihn überragt, ist der Hochgern, dessen Schluchten ausgedehnte Gemsreviere enthalten.

Wir wandern um die Abtei durch den Klostergarten. Ueberall schimmern zwischen dunklen Zierbäumen See und Hochgebirge. Dann führt uns der Weg durch eine lange Allee von Apfelbäumen sanft abfallend nach der westlichen Kanal- und Gartenanlage des neuen Schlosses. Blendendweiß schaut uns die Hauptfaçade des Prachtbaues entgegen, über breiten Syenittreppen ansteigend mit ihren Riesenfenstern und Säulen. Aber so sehr man auch überzeugt wird, daß hier die heiterste großartigste Pracht beabsichtigt war, so überwiegt doch bei dem äußeren Anblicke des Schlosses der Eindruck des Unvollendeten. Denn an den selbst noch unfertigen Hauptbau schließt sich nördlich ein mächtiger Flügel an, welcher kaum über das Stadium des Ziegelrohbaues hinaus gediehen und nur nothdürftig mit Bewurf versehen ist. Das klafterdicke Mauerwerk des südlichen Seitenflügels aber schaut eben erst über den Erdboden heraus. Das Dach der Façade ist flach; auf dem Dachgesims stehen Statuen und Trophäen in langer Reihe; auch die Außenmauern zwischen den Fenstern sind mit plastischen Trophäen geschmückt.

Drei reichvergoldete Gitterthore führen in ein Vestibül, aus welchem man nach Osten wie nach Westen hin eine weite Aussicht über die Kanäle und nach dem See hinaus genießt. Aber die Räume, welche an dieses Vestibül anschließen sollen, sind alle noch völlig unfertig. Im ganzen Erdgeschoß sind nur zwei Räume vollendet: des Königs Schwimmbad und das daran schließende Ankleidezimmer. Das Badezimmer, welches unsere Illustration[1] S. 569 wiedergiebt, ist einzig in seiner Art; eine ovale Halle enthält ein etwa acht bis zehn Meter im Durchmesser haltendes und gegen drei Meter tiefes Marmorbassin, in welches eine Marmortreppe hinabführt. Die Wände sowie den gewölbten Plafond schmückt ein großes farbenreiches Freskobild: eine feuchtschimmernde Meereslandschaft, wo an felsiger Küste Nereiden und Tritonen ihr lustiges Spiel treiben. Dunkelroth sind die Vorhänge vor den Fenstern, und den ganzen Raum füllt ein magisches rothes Licht. Aus diesem phantastischen Raume führt ein kleines Thürchen in das zu ihm gehörige Ankleidekabinet. Außer einem reich gestickten Ruhebett ist in demselben fast kein Mobiliar zu bemerken; sein charakteristischer Schmuck besteht in seinen Spiegeln, welche so geschickt angebracht sind, daß man, wohin man auch blickt, die Zahl der eintretenden Personen verhundertfacht und das Zimmerchen selbst in eine unendliche Flucht von Zimmern verlängert sieht. Eine schmale Wendeltreppe führt aus diesem Ankleidekabinet hinauf ins obere Stockwerk, in das Schlafgemach des Königs (siehe Illustration S. 568).

Hier fesselt unsere Augen das Prachtbett, in welchem der König viermal übernachtete, – ein Meisterwerk kunstgewerblichen Fleißes. Blaue Seide und weiße Felder mit Goldeinfassung und Ornamenten bedecken die Wände. Der riesige Baldachin ist ebenso wie die Vorhänge aus dunkelblauem schwersten Seidensammt gearbeitet und mit reichen Goldstickereien geschmückt. Große Aufsätze von weißen Straußenfedern schmücken die Ecken. Unter der goldenen Königskrone schimmert das Monogramm Ludwig’s II., das doppelte L; daneben sitzen zwei Genien, Palmenzweige und Lilienstengel schwingend.

Am Kopfende des Bettes befindet sich eine große strahlende Sonne, darüber ein Kunstwerk farbiger Seidenstickerei, die Kreuzigung Christi darstellend. Von der inneren gleichfalls dunkelblauen Decke des Baldachins strahlen goldene Sterne herab. Das Fußende des Bettes bildet ein vergoldetes Basrelief: eine auf dem Lager ruhende Mutter mit Kindern. Rechts von diesem Mittelbilde steht ein Bogenschütze, links eine erwachende Frauengestalt. Beide Figuren sind plastisch ausgeführt und reich vergoldet. Auch diese Gruppe wird von zwei Genien gekrönt.

Rechts vom Bette steht ein Betschemel, auf welchem der König unmittelbar nach dem Aufstehen knieend sein Gebet verrichtete.

Nicht minder prachtvoll wie das Bett ist auch die Waschtoilette gearbeitet. Kostbares Waschzeug aus blauem Email mit schweren Vergoldungen steht auf dem mit mattblauer Sammtdecke versehenen Tisch. Darüber ist ein Spiegel in schwerem schön geschnitzten Goldrahmen angebracht, zu dessem Seiten in reichen Falten kostbare Brüsseler Spitzen herabhängen.

Das Prachtbett wird von dem übrigen Raume des Gemaches durch eine vergoldete Brustwehr getrennt, deren einzelne Pfeiler zierliche Rosengewinde verbinden. Intarsien mit dem Monogramm L schmücken den spiegelglatten Parkettboden.

In dieser der Ruhe geweihteu Stätte finden wir eine Marmorbüste Ludwig’s XIV., dessen Prachtbauten zu Versailles der unglückliche Bayernkönig in dem einsamen Jnselschloß von Herrenchiemsee zu übertreffen suchte. Wenn der König erwachte, so fiel sein Blick zunächst auf jenes starre, vor einem Riesenspiegel aufgestellte Bildniß. Seltsam – durchwandern wir jetzt diese Räume unter dem Eindruck der tragischen Vorgänge, so glauben wir in diesem prunkvollen Schlafgemach nicht die Büste des übermüthigen Franzosenkönigs zu erblicken, sondern eine jener verderblichen Phantasiegestalten des Wahns, einen jener bösen Dämonen, welche als unzertrennliche Begleiter des Einsamen an dem Untergang eines so groß und edel angelegten Geistes rastlos arbeiteten.

[562]

Das Marmor-Schwimmbad König Ludwig’s II. von Bayern in Herrenwörth.


[586]

Eingang in das Schloß von Herrenwörth.

Der übermüthigste Monarch der neueren Geschichte, Ludwig XIV. von Frankreich, war es, der jenen berühmten Prachtbau zu Versailles schuf, welcher von dem Königsschlosse zu Herrenchiemsee nicht bloß erreicht, sondern übertroffen werden sollte und in mancher Einzelnheit auch wirklich übertroffen ist. Nur die tiefe geistige Umnachtung König Ludwig’s II. läßt es erklären, wie derselbe aus der Schwärmerei für frühmittelalterliche Romantik, welche ihn in besseren Tagen die schöne Burg Neuschwanstein schaffen ließ, in die entartete Kunstperiode Ludwig’s XIV. gerathen konnte. Denn wenn auch heut zu Tage wieder vielfach Sinn für den Barockstil sich regt, der ja in der That höchst Anmuthiges zu gestalten weiß: in dem Punkte ist wohl die ganze Kunstgeschichte einig, daß in keiner Periode mit so großen Mitteln so Werthloses geschaffen ward, als in der Zeit Ludwig’s XIV. und seines Nachfolgers. Und groß waren die Mittel dieses Despoten; denn der Bau von Versailles soll eine Milliarde Franken und 15 000 Menschenleben gekostet haben. Der Baumeister J. H. Mansard, der den Prachtbau leitete, war nicht ohne Talent, aber er folgte willenlos der Geschmacksrichtung seines Königs und seiner Zeit, indem er jenen Palast herstellte, der trotz seines Umfangs nicht imponirend, trotz seiner Pracht nicht wahrhaft edel wirkt. Eitle Repräsentation ist der Grundzug des Versailler Schlosses; er drängt sich immer wieder auf, sobald man sich an einem der vielen reizenden Details erfreuen möchte.

Die Insel Herrenwörth hatte im Besitze der elsässischen Grafen Hunolstein gute Tage gehabt; der aristokratische Besitzer hatte den Wald fröhlich aufwachsen lassen, daß er fast zum Urwalde geworden wäre. Als aber das prächtige Besitzthum an eine Gesellschaft von spekulativen Holzhändlern übergegangen war, drohte dem Walde rasche Zerstörung; die öffentliche Meinuug sprach sich eifrig dagegen aus, und König Ludwig II. kaufte die Insel, um sie vor der gänzlichen Entwaldung zu retten. Er ließ sich in der Abtei einige Zimmer einrichten und hätte aus dem alten soliden Bau mit wenigen Hunderttausenden eine wahrhaft fürstliche Landresidenz herstellen können. Leider aber fiel er bald anf den Gedanken, hier eine Nachbildung von Versailles zu erbauen. Und dieser Gedanke ward auch sofort mit größtem Nachdruck ins Werk gesetzt. Wenige Jahre reichten hin, um das zu schaffen, was jetzt vor uns steht; aber viele Jahre und viele Millionen wären noch erforderlich gewesen, um es so zu vollenden, wie es der königliche Bauherr beabsichtigt hatte.

Wenn die meisten Schlösser des Barock- und Rokokostils in dürre unfruchtbare Gegenden gesetzt wurden und gerade dadurch, daß [587] öde Sandfelder in blühende Gärten verwandelt wurden, an sich schon einen gewissen Eindruck machen, so ist hier bei dem Schlosse Herrenchiemsee das Gegentheil der Fall. In diesem deutschen Fichtenwald, am Fuße dieser schöngeformten ewigen Berge macht der französische Prachtbau einen fremdartigen und frostigen Eindruck. Von seinem verkünstelten Prunke schweift der Blick immer und immer wieder, wie Erlösung suchend, über die Wälder hinaus nach der edlen Einfachheit der Natur. Diese meilenweite glitzernde Seefläche, diese schimmernden Felswände zeigen zu sehr, was wirklich schön und groß ist. Das vergißt man wohl auf Augenblicke, aber nicht völlig.

Nähern wir uns dem Schlosse von der Ostseite her, so finden wir hier das Meiste noch unfertig. Ueber einen öden, von Gestrüpp überwucherten Bauplatz, wo allenthalben noch Gerüstbalken und zerbrochene Ziegel umherliegen, kommt man zu dem breiten offenen Hofe, der nach Osten schaut. Schweigend, wie verwunschen, umstarren die weißen Mauern den spiegelblank gepflasterten Raum. Unter einem Säulengange ist der verschlossene Eingang zum Treppenhause, welches ohne Zweifel das Schönste, Befriedigendste an dem ganzen Schlosse ist. Denn selbst dem an einem trüben Regentage hier Eintretenden strömt eine solche Fluth von Licht und sprühender Farbenpracht entgegen, daß man meint, in ein sonniges Märchen einzutreten. Und hier wirken auch diese marmornen Säulen und Geländer, diese Stuckfriese, diese glühenden bunten Fresken, diese glitzernden Krystallleuchter und spiegelblanken Stufen nicht störend, nicht einschüchternd. Von einem Treppenhause verlangt man ja nicht, daß es wohnlich sei; da freut man sich im Vorübergehen der üppigen Pracht.

Vergoldete Jagdgruppe.

Von der Treppe aus gelangen wir in den „Saal der Garden“, wo die aufgepflanzten Hellebarden daran erinnern, daß hier die schweigenden Gestalten pflichttreuer Leibwachen ihren Platz haben sollten; an den Wänden stehen Büsten französischer Marschälle! Dann folgen zwei Vorzimmer, mit steigendem Luxus ausgestattet. Das zweite derselben führt den Namen „Ochsenauge“ („Oeil de Boeuf“) von einem elliptischen Fenster. An den Wänden finden sich hier wie in allen Sälen Freskobilder, die Großthaten Ludwig’s XIV. verherrlichend. Sie sind genaue Kopien der Bilder zu Versailles; auch die Reihenfolge der Säle ist derjenigen des französischen Vorbildes nachgeahmt. Von Raum zu Raum wird die Pracht der Ausstattung reicher und reicher – durchschnittlich soll die Ausstattung eines jeden der fertigen Säle zweieinhalb Millionen Mark gekostet haben – bis sie in der „Salle de parade“ einen Höhepunkt erreicht, welcher nicht mehr überboten werden kann. Hier fühlt man sich wie erdrückt vom Golde. An der Wand steht ein im Halbrund von goldenem Geländer umgebenes Paradebett, mit der schwersten goldgestickten Decke überhängt. Den rothen Sammt der Vorhänge und der Polstermöbel überkleidet fingerdicke Goldstickerei; ja stellenweise empfängt man den Eindruck, als wüchse hier das Gold aus den Wänden heraus und aus dem Boden empor in gespenstiger Pracht, als wolle es den ganzen Raum mit seinen Arabesken durchdringen und schließlich zu den Fenstern hinausranken, um den ganzen Bau in seiner metallenen Umarmung zu ersticken. Dazu füllt glühendrothes Licht das ganze Prunkzimmer, dessen Plafond zwischen reicher Vergoldung einen ganzen Olymp von Göttern und Göttinnen zeigt. Drei Jahre ward an diesem Saale gearbeitet; Millionen sind von seinen reichthumstrotzenden Wänden aufgenommen worden. Es giebt wohl keinen Raum in der Welt, in welchem der Luxus mit solcher geradezu dämonischen, sinnberückenden Gewalt aufträte, wie hier.

Es folgt der Berathungssaal; himmelblauer Sammt mit fingerdick aufgestickten Goldlilien bildet den Stoff der Polstersitze und Vorhänge. Und dann treten wir in die berühmte Spiegelgalerie. Mit ihren beiden der Verherrlichung des Krieges und des Friedens geweihten Seitensälen, dem Salle de la Guerre und Salle de la Paix, zusammen nimmt sie die ganze Westseite des Schlosses in Anspruch. Gegenüber den zwanzig hohen Bogenfenstern sind ebenso viele Spiegelscheiben von gleicher Größe angebracht; auch die Thüren sind zolldicke Spiegel. In den Fensternischen stehen ungeheure Bronzevasen mit meterbreiten Höhlungen und versilberte Tafelaufsätze, an den Pfeilern Büsten der römischen Kaiser aus den verschiedensten Marmorsorten zusammengesetzt, wunderbare italienische Arbeit. Ueber den Eingängen zu den Nachbarsälen schweben Genien in bunten Gewändern plastisch aus dem Mauerwerke heraus; zwischen den Spiegelscheiben und dem Plafond erstreckt sich durch den ganzen Saal ein funkelndes Gewirr von lebensgroßen vergoldeten Relieffiguren. Wer aber den Sinn all dieses verschwenderischen Prunkes erfaßt, wird innerlich verletzt durch die Verherrlichung jenes übermüthigen Franzosenkönigs, die aus den Deckengemälden allerwärts niederschaut.

Und mit der gleichen Empfindung durchwandert man die übrigen Säle. Immer frostiger und lebloser erscheint der ungeheuerliche Prunk. Da kommt noch das eigentliche Schlafgemach des Königs, mit Vorhängen und Polsterwerk aus blauem goldgestickten Atlas; dann das Arbeitszimmer, grün mit Gold. In diesen wie in den folgenden Räumen finden sich bewundernswerthe Kunstgegenstände an den Wänden und auf den Kamingesimsen; namentlich die merkwürdigsten Uhren und Vasen – Gegenstände, die ungeheure Summen verschlangen. Durch einen blauen Salon gelangt man dann in das Speisezimmer des Königs. Hier ist wieder Alles rothe Seide mit Gold. Ein Riesenlüster aus Meißner Porcellan mit Tausenden von Blumen besäet hängt über dem Eßtische; letzterer steht auf einer Versenkung, um völlig gedeckt und mit Speisen besetzt aus dem Boden auftauchen zu können, als hätten ihn Geister emporgetragen. Es folgt ein Rauchzimmer, welches Vorhänge und Polstermöbel aus buntgestickter weißer Seide enthält. Daran schließt sich die „kleine Galerie“, welche als Promenadenraum verwendet werden sollte. Vier köstliche Mohrengestalten in bunten goldgestickten Gewändern dienen hier als Leuchterträger.

Man wandelt wie durch ein Traumreich. Aber seltsam – je länger man durch diese unvergleichliche Pracht hingeht, um so

[588]

Die Spiegelgalerie des Schlosses Herrenwörth.

[589] frostiger und freudloser wirkt das Ganze. Den unzähligen interessanten und meisterhaften Einzelnheiten gegenüber drängt sich immer mächtiger der Gedanke auf, daß ja doch das Ganze nur eine Nachahmung eines fremden und unsympathischen Vorbildes sei. Die fleißigen Künstlerhände, die hier schafften, sie durften nichts erfinden, nichts aus dem Eigenen gestalten, sie hatten nur das nachzubilden, was die Laune des herzlosen Despoten zu Versailles hatte entstehen lassen.

Und wofür dies Alles? Der vierzehnte Ludwig von Frankreich versammelte wenigstens zu Versailles einen glänzenden Hof, in den glitzernden Scheiben seiner Galerie spiegelten sich die goldbetreßten Staatskleider seiner Herzoge und Marsch alle; in den Laubgängen seiner Gärten leuchteten buntfarbige Frauengewänder. Ludwig II. von Bayern aber blieb in seinem Jnselschlosse ein einsamer Mann. Da weilte kein Gast, diese Pracht zu bewundern, da rauschte kein Hofleben. Wohl strahlte die Spiegelgalerie – ein paarmal im Jahre – zur Mitternachtszeit von zweitausend Kerzen zugleich, welche vierzehn Diener in einer Viertelstunde anzünden mußten; aber die Kerzen brannten nur für Einen, und die mächtigen Spiegelscheiben gaben nur eine Gestalt zurück, die unheimlich und unnahbar, in freudlosem Spiel, in seelenlosem Prunke die lange Flucht des Saales auf- und niederschritt. Niemand sah dem einsamen König zu, als der starre Marmorblick der römischen Cäsaren an den Wänden. Und wenn ein menschliches Ohr die Sprache des Marmors verstehen könnte, so hätte der unglückliche Monarch von den steinernen Lippen eines jener Männer, etwa Trajan’s oder Vespasian’s, die erbarmungslosen Worte vernehmen müssen: „Lösche Deine Lichter aus und laß Dein Schloß in den Erdboden versinken! Denn was ist all Deine Pracht? Weglos irrende Laune eines tief umwölkten Geistes; glücklos träumende Sehnsucht eines unheilbaren Gemüthes; ein ungeheures, entgeistertes, goldstrotzendes Spielzeug des Verderbens!“

Die Westseite des Schlosses von Herrenwörth mit dem Fortuna-Brunnen.

Diese Worte rauschen geisterhaft durch den Prachtbau hin; sie rauschen in uns nach, wenn wir die schimmernden farbensprühenden Räume verlassen und hart nebenan in den unvollendeten Rohbau eintreten, wo uns Stein, Mörtel und Balken häßlich und rauh entgegenstarren. Da dehnen sich noch in unendlicher Flucht Zimmer und Säle entlang, die wohl keine kommende Zeit je vollenden wird. Und an der Südseite des Baues, wo ein gleich großer Flügel wie an der Nordseite entstehen sollte, steigen zwar die Grundmauern mehr als klafterdick aus dem Boden empor, aber keine Hand ist mehr daran thätig. Stumm liegt der ungeheure Bau da, von den Strahlen der Spätnachmittagssonne voll beleuchtet. Terrassenförmig ziehen sich die Gartenanlagen zum See hinab. Ein Paar mächtiger Marmorbecken fällt uns zunächst ins Auge. In ihnen sind Felshügel aufgebaut, welche mythologische Figuren und barockes Gethier aus gegossenem Zink tragen. Auf einem dieser Felshügel steht die siegreiche Göttin Fortuna; er heißt der Fortuna-Brunnen. Um die Marmorbecken stehen Bildwerke, zum Theil aus weißem Marmor, zum Theil aus vergoldetem Metallgusse; darunter hübsche Jagdgruppen. In diese Marmorbecken und über die Felshügel herab sollten Fontainen rauschen. Dreimal sprangen die Wasser während der Anwesenheit des Königs; jetzt liegen die breiten Becken trocken da. Ueber eine breite Freitreppe steigen wir hinab zum „Latona-Brunnen“. Hier sitzt zu Füßen der Göttin Latona, die als Marmorbild inmitten des Brunnens steht, eine Schar goldschimmernder Krokodile, Frösche und Schildkröten. Es sind gegen fünfzig solcher Thiere, jedes drei bis fünf Fuß lang. Der Sage nach hatte einst die Göttin Latona eine Horde lykischen Landvolks zur Strafe in solche Amphibien verwandelt; jetzt sitzen sie um die Göttin her und sollten alle aus ihrem Rachen Wasser speien. Aber auch hier ist die belebende Fluth versiegt. Still steht die 70 Pferdekräfte starke Dampfmaschine, welche die Wasserspiele treiben sollte, und die kunstvollen Mundstücke laufen Gefahr, durch den Rost zerfressen zu werden.

Nur weiter unten, wo der „Latona-Kanal“ vom See her gegen die Gartenanlagen sich zieht und der Blick weit hinaus in die Ferne wie durch eine grüne Straße schweift, zeigt sich lebendiges Wasser, das goldene Licht des Abendhimmels spiegelnd. Es ist ein Bild voll großartiger Melancholie – hier [590] der unvollendete Prachtbau, dort die ewig junge Natur im letzten Schimmer des scheidenden Tages. Und wer den Bau und seine Umgebung mit aufmerksamem Blicke beschaut, bemerkt leicht, wie das Mauerwerk da und dort die Spuren des Winterfrostes und der Regenfluthen zu zeigen anfängt, wie die Betoneinfassungen der Brunnenbecken zerbröckeln, wie zarte Moosfasern zwischen den Marmorstufen hervorwachsen wollen und wie da, wo die Anfänge des südlichen Flügels stehen, fröhliches Unkraut um die Mauern zu wuchern beginnt. Der Wald, der hier einst stand, will wieder emporwachsen und mit den grünen Armen seiner Kinder das rasche Menschenwerk umklammern.

Und wie viel Jahrzehnte wird es dauern, bis dieser stolze Bau, den Niemand fertig bauen kann und mag, wie Dornröschens Zauberschloß von grünendem Gerank umsponnen sein wird, unter dem der Marmor verwittert und die Quadern sich lockern? Da wird Niemand mehr kommen, das Entschlafene zu wecken; denn der Bann, der über dem Inselschloß zu Herrenchiemsee liegt, ist stärker als der Zauber von Dornröschens Märchenburg.

[615]

Die Pöllatschlucht mit der Marienbrücke,
vom Schlafzimmer König Ludwig’s II. aus gesehen.

II. Neuschwanstein.

Unter den Schöpfungen König Ludwig’s II. von Bayern nimmt Schloß Neuschwanstein unbestritten den ersten Rang ein. Dieser prachtvolle Bau allein kann als vollkommenes Kunstwerk bezeichnet werden. Kunst und Natur sind hier zu einer seltenen Harmonie gebracht, welche im Beschauer einen großen und unvergänglichen Eindruck hinterläßt.

Unweit der bayerisch-tirolischen Grenze liegt das alte Städtchen Füssen mit grauen Häusern und verwitterten Thürmen; als Grenzwacht jener im Laufe der Geschichte viel umstrittenen Straße, welche am schäumenden Lechstrome entlang von hier aus in die Felsenthäler der Alpen führt. Eine kleine Stunde von diesem Städtchen, am Rande des Gebirges hinwandernd, sieht man hoch auf felsigen waldumbüschten Bergvorsprüngen zwei Burgen aufragen: Hohenschwangau und Neuschwanstein. Wo jetzt Neuschwanstein steht, auf schwindelnder Felswand über der finstern Pöllatschlucht, stand einst die älteste der drei Ritterburgen, die von diesen Höhen aus in das Alpenvorland hinauslugten: Burgen, die schon in den Tagen der Römer und der Ostgothen vom klirrenden Schritt Gewaffneter widerhallten. Die Jahrhunderte hatten den Bergwald längst wieder über die Trümmer wachsen lassen, als König Ludwig auf den romantischen Gedanken kam, hier ein neues Prachtschloß aus dem Felsengrunde zu zaubern.

Anregung hierzu fand der König in reichem Maße. Hatte er doch seinen schönsten Jugendsommer in dem benachbarten Schlosse Hohenschwangau zugebracht; fühlte er doch, wie die ganze prächtige Landschaft hier durchweht ist vom Geiste historischer Erinnerung. Denn Hohenschwangau hatte ja nicht allein die römischen Legionen und die gothischen Heerscharen geschaut, sondern auch die Träger deutscher Kaiserkronen hatten hier vom schweren Staatswerke gerastet; Ludwig der Bayer und der Habsburger Maximilian I. hatten in den Schluchten der Schwangauer Berge den flüchtigen Gemsbock gejagt, und [616] der Minnesänger Hiltebold von Schwangau hatte hier an waldumrauschtem Alpensee seine Liebeslieder ersonnen. Die ergreifendste Erinnerung aber, die dieses Thal durchzieht, ist jene an den unglücklichen Hohenstaufen Konradin, der, ehe er in das welsche Verderben ritt, hier von seiner edlen Mutter Abschied nahm.

Und so reich das Thal an Schattenbildern mittelalterlicher Romantik ist, so reich ist es auch an landschaftlicher Schönheit. Umrahmt von gigantischen Bergkolossen, von tiefdunklen Bergwäldern, glänzen hier die Seespiegel des Alpsees und des Schwansees. So schauen die beiden Königsburgen zum Theil in das geheimnißvolle Dunkel der innersten Bergwelt hinein, zum Theil hinaus in das endlose Flachland, wo in duftigen Fernen sich blaue Wälder und Hügel hinziehen, dazwischen blitzendes Wasser und weitentlegene Ortschaften. Im ganzen Umkreis des Bayernlandes ist keine Stätte zu finden, die besser geeignet wäre zu einer Heimstätte romantischer Schwärmerei, als das Thal von Neuschwanstein. Namentlich vom Neideckfelsen bietet sich die schönste Aussicht auf die Burgen und ihre Umgebungen.[2] Unter uns glänzt das unvollendete Schloß Neuschwanstein, aus der Tiefe tönt das wilde Brausen der Pöllat herauf; dann steigt der Hochwald empor. Links in der Ferne schimmern der Alpsee und die Gebäude von Hohenschwangau, hinter denen der Frauenstein aufsteigt. Der Schwansee und Weißensee, sowie ehrwürdige Häupter der Berge vervollständigen das großartige Panorama. Auf dem Neideckfelsen, der trotzig in die Landschaft hinausschaut, wurden alljährlich am Ludwigstage von den Bauern mächtige Freudenfeuer angezündet, Zeichen der Liebe, in welcher die Herzen der Bayern ihrem König zugethan waren.

Als König Ludwig II. den Plan faßte, hier ein Königsschloß zu erbauen, war er noch ganz von jenem Geiste germanischer Dichtung und Sage umfangen, der ihn auch aus Richard Wagner’s Meisterwerken anwehte. Ist es schon dieser deutsche Geist, welcher Neuschwanstein hoch über das Schloß zu Herrenchiemsee stellt, so ist es in noch viel höherem Grade der Umstand, daß der König, so lebhaft auch seine eigene Phantasie an dem Baue mitarbeitete, doch den schaffenden Künstlern jenen Spielraum für schöpferische Selbstthätigkeit ließ, welcher nothwendig ist, wenn wirklich Neues und Eigenartiges gestaltet werden soll. Das zeigt sich in der Architektur des Schlosses, wie in seinem Inhalt an Skulpturen, Gemälden und Gegenständen des Kunsthandwerks. Und auch das ist nicht genug zu rühmen, daß alle bildenden Künste und selbst das Handwerk, die hier zusammen arbeiteten, sich in eine wunderbare Uebereinstimmung brachten.

Die Architektur des Schlosses gehört dem romanischen Stil an. Auf einem gewaltigen, fast unzugänglich erscheinenden Kalkfelsen erhebt sich der gigantische Bau. Vollendet sind von demselben bis jetzt nur der „Palas“, allerdings die Hauptsache, und der Thorbau. Letzterer allein ist so umfangreich, daß er mit seinen mächtigen runden Wartthürmen eine Burg für sich darstellt. Zwischen dem Thorbau und dem Palas dehnt sich das ungeheure Baugerüst aus, mit dessen Hilfe die übrigen noch fehlenden Theile des Schlosses ausgeführt werden sollten. Edel und groß ist der Hauptbau in seiner äußeren Erscheinung. Fünf Stockwerke hoch baut er sich über einander mit gekuppelten Rundbogenfenstern, reich geschmückt mit zierlichen Erkern und Vorsprüngen, gekrönt von einem steilen goldschimmernden Kupferdache. Zwei Thürme, das letztere überragend, steigen zu wahrhaft schwindelnder Höhe empor; von den Zinnen des höheren dieser Thürme blickt man in einen grausenerregenden Abgrund.

Das erste und zweite Stockwerk des Schlosses sind für die Hofhaltung bestimmt. Das dritte bewohnte der König selbst; die obersten zwei Stockwerke enthalten Festsäle. In ihnen wie in den Zimmern des Königs sind die Wände mit Bildern geschmückt, welche mit zu dem Edelsten gehören, was die deutsche Freskomalerei hervorgebracht hat. Namentlich die aus der Hand des Münchener Meisters Spieß hervorgegangenen Bilder können in ihrer vollendeten Anmuth nur mit den Werken Schwind’s verglichen werden. Der damaligen Geschmacksrichtung des Königs entsprechend, sind die Gegenstände dieser Bilder meistens den Werken Richard Wagner’s entnommen, der Gralsage und dem Nibelungenring, aber auch der modernen bayerischen Geschichte und dem deutsch-französischen Kriege.

Unter den plastischen Arbeiten sind das prächtige Steinportal des Schlosses, ferner die schönen Steinmetzwerke an den zahllosen Thor- und Fensterbogen hervorzuheben.

Unbeschreiblich reich und durchweg vom lautersten Geschmack beherrscht ist die kunstgewerbliche Einrichtung der Königszimmer: die Vorhänge, Schränke und Polstermöbel, die Teppiche, Lüster, Uhren, Vasen und sonstigen Einrichtungsstücke. Was das Kunstgewerbe der letzten zwanzig Jahre an mustergültigen Werken schuf, findet sich hier vertreten. Neuschwanstein ist nicht bloß ein Prachtbau; es ist ein wirkliches, wenn auch fürstliches Heim. Großartig ist auch die Aussicht, welche sich unsern Augen aus den Fenstern der einzelnen Gemächer bietet. Unser Künstler giebt eine derselben in der Anfangsvignette wieder. Es ist die Pöllatschlucht, vom Fenster des königlichen Schlafzimmers aus gesehen, ein majestätisches Bild des steil herabstürzenden Pöllatfalles, über dessen schimmerndem Bande hoch in der Luft die Marienbrücke schwebt.

Den Erbauer ereilte der Anfang seines tragischen Endes in diesen stolzen Räumen. Liegt auch der Leib des Königs in der Münchener Michaelskirche: das Schloß Schwanstein ist das Grabmal seines Geistes und seines Glückes.

[617]

Neuschwanstein vom Neideckfelsen gesehen.
Originalzeichnung von Robert Aßmus.
1 Gasthof zur „Alpenrose“. 2 Frauenstein. 3 Hohenschwangau. 4 Kavalierbau. 5 Hofgärtner. 6 Alpsee. 7 Schwansee. 8 Weißensee. 9 Schwarzenberg. 10 Neuschwanstein, Hauptbau. † Schlafzimmer des Königs. 12 Gerüst für den Bau der Kemenate. 13 Kavalierbau und Verbindungsgang. 14 Gerüst für den Glockenthurm. 15 Thorbau, in welchem die Kommission gefangen saß.

[632]

Die „Klause“ des Königs mit den „Geierköpfen“ im Ammerwald.

III. Schloß Linderhof.

Unter den Schlössern, welche der unglückliche König Ludwig II. von Bayern hinterließ, hat jedes einen scharf ausgeprägten Charakterzug. Linderhof ist ein barockes Märchen: mit all seinem Zubehör zusammen ein seltsames Gemisch der verschiedensten Stilgattungen, der bizarrsten Launen. An seinen übrigen Schlössern hat der König eigentlich bloß gebaut; hier hat er wirklich gelebt.

Schloß Linderhof liegt im obersten Ammerthal, unweit der bayerisch-tirolischen Grenze. Nicht die Großartigkeit der Umgebung war es, welche den König diesen Platz wählen ließ; denn das Ammerthal ist einförmig; die weltverlorene Einsamkeit war’s, die den König anzog. Ehe Schloß Linderhof hier entstand, dachte

[633]

Venustempel.       Hauptfaçade.       Marokkanischer Kiosk.
Hundinghütte.   Blaue Grotte.

Der Linderhof, König Ludwig’s II. Lieblingsschloß.
Von H. Breling.
Photographie im Verlag von Franz Hanfstängl in München.

[634] niemals ein neugieriger Tourist daran, das Ammerthal bis zu den Quellen seines Flüßchens hinauf zu durchwandern; die Reisehandbücher schwiegen es todt; nur ein Verirrter mochte ab und zu im Jagdhaus Linderhof ein Unterkommen finden.

Felsgekrönte Berge, der Brunnenkopf und Scheinberg, die Klammspitze und die Geierköpfe umschließen das Thal, dessen nördlicher Vorbau in den scheinbar endlosen Waldeinöden der „Halbammer“ sich nach dem Flachlande zu senkt. Wer in diesen Waldeinöden den Pfad verlor, dem kann es wohl begegnen, daß er tagelang im hochstämmigen Fichtenwalde umherirrt, bis er endlich wieder an eine Holzknechthütte kommt, von welcher ihm eine rauhe Stimme den Weg weist, auf dem er nach Stunden wieder den ersten Kirchthurm erblickt. So einsam ist die Umgebung von Schloß Linderhof, welches in der „Gartenlaube“ (S. 104) schon früher, als der Schleier des Geheimnisses noch über den Schlössern König Ludwig’s lag, geschildert wurde.

Jene interessanten Mittheilungen vervollständigen wir heute durch die trefflichen Ansichten der einzelnen Bauten. Auf dem Breling’schen Gruppenbilde erblicken wir zunächst in der Mitte den Eingang und die Vorderfaçade des Schlosses, vor welchem der berühmte Rokokowagen hält; nur einmal wurde er benutzt, als die Prinzessin Gisela nach der Hochzeit ihren Einzug in München hielt. Links oben steht der kleine Venustempel mit der reizenden, von Hautmann in München modellirten Bildsäule der Göttin, rechts der marokkanische Kiosk, welchen der König auf der Pariser Weltausstellung gekauft hatte. Unten die vielgenannte blaue Grotte, deren nähere Beschreibung wir uns für den letzten Artikel vorbehalten.

Inneres der Hundinghütte im Ammerwald.
Originalzeichnung von Robert Aßmus.

Die übrigen Bauten, welche zu Schloß Linderhof gehören, liegen zerstreut in der Umgebung, stellenweise sogar, wie der „Hubertuspavillon“, auf österreichischem Boden. Auch die „Hundinghütte“ ist weit vom Schlosse entfernt; etwa anderthalb Stunden, hart an der tiroler Grenze in tiefer Waldesnacht. Sie ist ein mäßig großer Bau aus rohen Baumstämmen und spiegelt sich in einem kleinen dunklen Waldsee, auf welchem ein uralter morscher Nachen, aus einem einzigen Stamm gezimmert, schwimmt. In diesem Fahrzeuge pflegte der König, wenn er die Hütte besuchte, über den Waldweiher zu rudern. Dunkelbraun vor Alter sind die Holzwände der Hundinghütte; hellschimmernd heben sich davon die als Thüreinfassungen und Wandstützen angebrachten Birkenwände ab, auch die Fenster sind mit Birkenästen umrahmt. Ein großer Schwan, aus rohen Aesten zusammengestellt, dient der Außenwand als Zierat. Tritt man in den Innenraum, so fällt der Blick zunächst auf den Stamm eines riesigen Baumes, um welchen die Hütte erbaut ist. In diesem steckt ein Schwert, eine Erinnerung an das berühmte Hundingschwert der nordischen Sage.

Eine Hängematte mit roher Malerei hängt vom Dachstuhl nieder; die Zimmerung der Wände ist mit Auerochsenköpfen und geweihtragenden Hirschschädeln geschmückt; auch mit Trophäen aus Beilen, Jagdspeeren und Trinkhörnern.

Ueber den Boden ist eine breit geflochtene Bastdeckc gelegt. Inmitten der Hütte ist die Feuerstätte, über welcher an eiserner Kette ein rußiger Kessel hängt; der Tisch besteht aus einer unförmigen von knorrigen Wurzeln getragenen Holzplatte; als Stuhl davor ein abgesägter Baumstumpf. Die Leuchter sind aus Wurzeln zusammengestellt, der Kronleuchter über dem Tische ist der Schädel eines Hirsches mit vielfach verschlungenem Geweih, an eisernen Ketten hängend. Statt der Tapeten hängen Fischernetze an der Wand. Zu beiden Seiten des Hauptraumes finden sich kleinere Nebenränme, in dem einen derselben uralte Majoliken, auch Gläser und Teller für den Gebrauch des Königs; der andere dient als Schlafgemach.

Die ganze Hütte ist bis auf die kleinste Einzelheit als das Bild einer uralten Jäger- und Fischerhütte mit vollendetem künstlerischen Geschmacke durchgearbeitet. Wer sie betritt, den umfangen Eindrücke und Gestalten, die in graue Vorzeit zurückreichen, in eine Zeit, von welcher uns noch keine Geschichte meldet, sondern nur schwankende Sage. – Hier saß der König bei seinen Ausflügen vom Linderhofe aus in mancher Nacht, einsam mit seinen Gedanken, mit diesen Erinnerungen der Vorzeit und mit der schweigenden Hochgebirgsnatur, durch welche nur hier und da der Schrei eines Hirsches oder eines Nachtvogels scholl. Unfern der Hundinghütte, vielleicht tausend Schritte, liegt die [635] „Klause“; eben so ganz aus rohen Stämmen gezimmert, mit einem Rindendach und Glockenthürmchen. Die Wände sind mit Malereien auf rauher Packleinwand geschmückt; aus gleichem Stoffe sind auch die Vorhänge der winzigen Fenster. Der Hausrath besteht aus Fischernetzen und alten Thongefäßen, aus einem alten rohen Betschemel und einem dunklen Krucifix darüber. So erscheint die „Klause“ wie eine Erinnerung an jene dunklen Zeiten, als in diesen Thälern zum ersten Male das Christenthum eindrang. Man fühlt sich zurückversetzt in die Tage der Völkerwanderung, und wenn man hinaustritt in den schweigenden Bergwald, Abends nach Sonnenuntergang, kommt man unwillkürlich auf den Gedanken, als müßte von jenen schroffen Felszacken, den „Geierköpfen“, die dort über den dunklen Fichten in den Abendhimmel starren, Wodan der alte Heidengott mit seinem wüthenden Heer niederfahren zum nächtlichen Ritte durch das Grenzgebiet.


  1. * Wir verdanken unsere Illustrationen der besonderen gütigen Erlaubniß, welche der Chef der Kabinetskasse, Herr Hofrath L. Klug, unserm Zeichner ertheilt hat.
  2. Auf Seite 617 bieten wir unseren Lesern eine vollkommen genaue Ansicht der beiden Burgen, welche von unserem eigens nach Hohenschwangau und Neuschwanstein gesandten Zeichner an Ort und Stelle naturgetreu ausgeführt wurde, während auf unserem Bilde Seite 513, welches hauptsächlich den Charakter der Landschaft sehr gut wiedergiebt, der Künstler nach den photographischen Einzelaufnahmen, welche ihm als Vorlage dienten, die Lage von Neuschwanstein in eine früher von Püttner aufgenommene Ansicht der Gegend nicht richtig eingezeichnet hat. D. Red.