Die Gartenlaube (1888)/Heft 25
Kaiser Friedrich todt!
Wohl sah ich Herrscher steigen von den Thronen
Gebeugt von pflichterfüllter Jahre Last,
An Ehren reich, beweint von Millionen,
Und sah den Tod mit unwillkommner Hast
Die Knochenhand ausstrecken nach den Kronen
Auf Häuptern, blühend in der Jugend Glast,
Doch keinem ward im langen Lauf der Zeiten
Ein Los, wie Dir, Friedrich dem Todgeweihten!
Schneestürme rasten, als in winterkalter
Lenznacht Du einzogst in des Reichs Gebiet,
Ein Kaiser Du im stolzen Mannesalter –
Da stand er, dem kein Sterblicher entflieht,
Schon hinter Dir, der dürre Sensenhalter,
Doch keiner Muskel banges Spiel verrieth,
Wie er Dir drohte mit geschwungner Hippe;
Hell blieb Dein Aug’, es lächelte die Lippe.
Und ob er gleich schon an dem Purpur zerrte,
Hinüberdeutend nach der nahen Gruft,
Und ob er gleich in mitleidloser Härte
Des Bettlers Gut, die freie Gottesluft
Dem Kaiser Dir, dem Gottgesandten, sperrte,
Doch festen Schritts am Rand der dunklen Kluft,
Wie je ein Held auf glanzerhellten Bahnen,
Stiegst Du empor zum Throne Deiner Ahnen.
Wir kannten Dich! Bei der Trompete Tönen
Zum Sieg oft rief uns Deiner Stimme Laut,
Stolz überhallend der Geschütze Dröhnen;
Und ach wie mild, wie freundlich und wie traut
Klang sie zum Preis des Edlen und des Schönen,
Was Friedenskunst erschaffen und erbaut,
Im Scherz wie hell, daß alle Sorgen schwanden –
Nun wie ein Hauch aus fernen Geisterlanden!
Doch frei noch hob Dein edler Geist die Schwingen,
Frei schlug Dein Herz, und was in kühnem Flug
Der Geist ersann, in mühevollem Ringen,
Womit das treue Herz sich sorgend trug,
Daß es den Völkern Segen möge bringen,
Thatst Du’s uns kund mit festem Federzug:
Ein Friedensfürst zu sein gleich dem Verklärten,
Das war der Ruhm, den Geist und Herz begehrten.
Du warst es uns – so mochte Gott es fügen –
Schon schwebt Dein Geist empor zu seinem Thron,
Schon athmest Du in vollen, durst’gen Zügen
Die Himmelsluft, die Deines Duldens Lohn.
Dort nur ist Friede, seliges Genügen,
Dort grüßt der Vater den geliebten Sohn,
Und all’ die edlen, tapfern Zollernsprossen
Empfangen Dich, den würdigen Genossen.
Doch du, Germania, ob aus frischer Wunde
In Strömen auch hinfließt dein theures Blut,
Ertrage sie, die Prüfung dieser Stunde,
Wie er sie trug mit ungebroch’nem Muth!
Daß er die höh’re Sendung dir bekunde,
Schickt dir der Himmel solche Thränenfluth;
Wenn je im Kampf die Kräfte dich verließen,
So wird aus Gräbern neue Kraft dir sprießen!
[431] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.
[432]Noch trauert Alldeutschland um Kaiser Wilhelm, den Gründer des neu geeinten Reiches, der „aus seinem glorreichen Leben schied“; noch zittern in unsern Herzen die Worte nach, daß es jedem Deutschen überlassen bleiben möge, wie er um einen „solchen Monarchen“ Leid tragen solle – und ein neuer Schicksalsschlag trifft bereits den Kaiserthron und das Reich: der zweite Kaiser ruht auf der Todtenbahre!
Welch düstere Schatten, welch namenlose Tragik erfüllen die kurze Spanne Zeit der heiteren Lenzesmonde dieses einzigen Jahres!
Der Frühling nahte; wir rüsteten uns, dem greisen Herrscher Wilhelm I. zu seinem bevorstehenden Geburtstagsfest zu huldigen. Doch Trauer mischte sich bereits in die alljährlich wiederkehrende Freude: sein Sohn, der Kronprinz, der Stolz und die Hoffnung der Nation weilte in der Ferne, von tückischer Krankheit befallen! Fernhin über die Alpen, an der blühenden Riviera Gestade flogen unsere Gedanken; mit bangen Zweifeln blickten wir nach San Remo, ob die Kunst der Aerzte und die milde Luft Italiens dem stillen Dulder Heil und Rettung bringen würden.
Aber das Schicksal hatte dem deutschen Volke noch Schwereres aufgespart! Kaiser Wilhelm erkrankte plötzlich und in ungeahnter Schnelligkeit brach die erschütternde Katastrophe herein: der alte Kaiser starb – und ein sterbender Kaiser bestieg den Thron!
In jenen winterkalten Märztagen trugen wir nicht allein einen großen Todten zu Grabe – in unseren Herzen welkten blühende Hoffnungen dahin.
Wohl eilte Kaiser Friedrich, dem Gebot der Pflicht gehorchend, von den sonnigen Küsten in sein nordisches Reich; wohl klang markig sein Aufruf an das Volk durch alle Gauen Deutschlands; wir horchten begeistert den Worten – doch des Gedankens konnte sich niemand erwehren, daß alles das, was wir vernahmen, das Vermächtniß eines durch hohe Herrschertugenden ausgezeichneten, reichbegabten Geistes sei, welchem nur noch eine kurze Frist zu wirken vergönnt war!
Die Weltgeschichte verleiht Ruhmeskränze für große Thaten regierender Herrscher. Von Kaiser Friedrich wird sie nur berichten können, was er zum Heil des Vaterlandes als Herrscher erstrebte; dem unermüdlichen Arbeiter ward ja das harte Los beschieden, auf das Blühen und Gedeihen eigener Schöpfungen nicht zurückblicken zu dürfen!
Wenn aber auch die Zeit seines kurzen Kaiserthums nur allzurasch dahinflog: Großes hatte er schon gewirkt, noch ehe er den Thron bestieg.
Lorbeer und Eiche schmückten sein Haupt; glorreich waren die Siege, welche sein Schwert erkämpfte, wie die Erfolge, welche er im Frieden als Schützer von Kunst und Wissenschaft, von allen bürgerlichen Tugenden errang. Freudigen Herzens durfte Kaiser Wilhelm I. seinen Sohn mit höchsten Ehren für seine Verdienste in Krieg und Frieden auszeichnen, und warm schlugen die Herzen aller Deutschen für den Helden, der sein Leben so oft für des Vaterlandes Einheit und Größe in die Schanze geschlagen, der in heißer Schlacht die Söhne des Nordens und des Südens zum Siege geführt und als geliebter Führer unsterbliche Verdienste um die innere Einigung von Nord und Süd sich erworben.
„Unser Fritz!“ Ja, er war geliebt, die Liebe des Volkes galt ihm seit Jahren voll und ganz. Am unermüdlichsten und rührendsten bekundete sie sich in jenen schweren Tagen, als er todtkrank, aber auch todesmuthig mit dem tückischen Feinde rang, der sein Leben bedrohte. Da mochte es ihm ein süßer Trost in Leiden sein, an tausend Zeichen zu erkennen, wie sehr er von seinem Volke geliebt war: Blumen streute es ihm auf den Weg, als er noch einmal die Pracht des deutschen Waldes am frohen Pfingstfest schauen wollte; Blumen sandte es ihm ins Haus, als er durch rauhes Wetter an sein Kranken- und zugleich Arbeitszimmer gefesselt war; mit Blumen und Fahnen schmückte es Kirchen, Häuser und Brücken, als er auf der Spree und der Havel dahinfuhr nach Potsdam, seinem Liedlingssitz, dem Ort, der für immer geweiht ist durch die stolzen Erinnerungen an Kaiser Friedrichs ruhmreiches Vorbild, Friedrich den Großen.
Dort, wo er vor vor 56 Jahren das Licht der Welt erblickte, sank Kaiser Friedrich in der elften Morgenstunde des 15. Juni in den ewigen Schlummer, nachdem er mit männlichem Heldenmuth die unaussprechlichen Qualen eines Leidens ertragen, welches ihm zum Lorbeerkranz und Eichenzweig auch noch die Märtyrerkrone auf das Haupt drückte.
Wenn diese Zeilen in die weite Welt hinauswandern, wird die Trauerkunde längst überall verbreitet sein, wohin der elektrische Funke reicht; in den fernen Orten aber, wo jenseit der Meere Deutsche für Neu-Deutschland ringen, auf den fernen Inseln, wo kaum nach Monden ein Dampfer die neueste Post aus der Heimath bringt, wird dieses Blatt vielleicht das erste sein, welches in deutschen Herzen die tiefste Trauer weckt, indem es die erschütternde Nachricht verkündet: