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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1887
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[613]

No. 38.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Der Unfried.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)
6.

Polternde Schritte ließen sich vom Flur herein vernehmen; die Thür wurde aufgerissen, und der Pointner trippelte mit den jammernden Worten in die Stube: „Ja Karli – was sagst! Is denn auch g’wiß und wahrhaftig wahr, daß einrucken mußt? G’rad beim Nachbar drüben hab’ ich erfahren, daß sein Bua auch an G’stellungsbrief ’kriegt hat, und da hab’ ich mir natürlich gleich denken können – na, na, so ’was!“ Er zog sich einen Stuhl an seines Buben Seite, tätschelte ihm die Schulter, strich


Aufdringliche Begleiter. Nach dem Oelgemälde von Max Lebling.

[614] ihm die Haare und begann ein Lamentiren, daß es schließlich dem Burschen selbst zu viel wurde.

„Jetzt hör’ amal auf, Vater! Dein Jammern kann Ein’ ja ganz verzagt machen!“ brummte er und rückte vom Stuhl auf die Bank. „Thust ja g’rad, als ob’s bei mir schon ans Köpfen ging’. In vier Wochen habt’s mich wieder daheim, und bis ich erst amal drinsteck’ in der blauen Montur, da hab’ ich nachher auch wieder mein’ Freud’ dran!“

„No ja, no ja,“ begütigte der Alte, „aber sag’, han, wann mußt denn schon fort?“

„Morgen auf Mittag.“

„Was? So g’schwind’ schon? Net amal an ganzen Tag soll ich Dich haben?“

„Mußt ihm halt den heutigen Abend noch recht schön machen!“ meinte Kuni, während sie an den Tisch herantrat. „Sonst könnt’ er bei seine lustigen Kameradschaften in der Stadt drin’ leicht auf’n Pointnerhof und seine Leut’ vergessen!“

„Da hast Recht, Kuni,“ fiel der Pointner ein. „Ich sag’s halt, Du bist allweil die G’scheitere. Und jetzt tummel’ Dich – her mit a paar a drei Glasln – und weiter – hol’ eine ’rauf aus’m Keller, a Flaschen Süßen!“

Er hatte kaum ausgesprochen, da standen die drei Gläser schon auf dem Tische. Karli zog die Lippen auf, drehte an seinem Schnurrbärtchen und schaute mit zerstreuten Blicken in das Gesicht der Dirne, die ihm zublinzelte, als hätte sie ihm mit ihrem Vorschlag eine ganz besondere Wohlthat erwiesen. Während dann Kuni hastig aus der Stube eilte, begann der Pointner aufs Neue sein Jammern, welches der Bursche mit einer Frage nach Götz unterbrach.

„Was? Jetzt is schön! Is Dir ’leicht Dein Vater net G’sellschaft g’nug?“ schmollte der Bauer, um gleich wieder lachend fortzufahren: „Aber hast schon Recht. Wenn’s Dein’ Abschied gilt, da därf der Götz net fehlen!“

Karli erhob sich und trat in den finsteren Hof hinaus. Da hörte er ein leises, klapperndes Pochen. Das klang, wie wenn eine Pfeife ausgeklopft würde, und als er der Richtung zu schaute, aus welcher das Geräusch kam, sah er einzelne mattglimmende Funken zur Erde sinken.

„Götz?“

„Ja?“

Hastigen Schrittes näherte sich Karli dem Knechte, der auf dem Brunnentroge saß.

„Geh weiter, Götz, komm’ a Bißl mit ’rein in d’ Stuben. Heut’ mußt mir noch trinken helfen – auf mein Wohl und mein’ Abschied. Morgen muß ich fort – einrucken zu die Manöver.“

„So? Haben s’ Dich erwischt? Nachher is recht!“ lachte Götz, während er sich langsam erhob.

„Mir scheint ja gar, Du hast a Freud’ dran, daß ich fort muß?“

Götz hatte mit seiner Pfeife zu schaffen, und so verstrich eine Weile, bevor er dem Burschen leichthin zur Antwort gab: „No – weißt! Plagst Dich ja viel – und Bauernarbeit macht steif! Da kannst Dich jetzt bei die Soldaten g’rad wieder a Bißl ausgliedern und bist recht schlingig[1] beinander, ’bald heimkommst und d’ Holzarbeit angeht.“

„Ah was, deßwegen wär’s g’rad net nöthig, daß ich fort müßt’,“ brummte Karli und reckte die kräftigen Arme.

„Gehst’ ’leicht net gerne“. frug Götz mit zögernden Worten.

„Wie nur so fragen magst!“ lautete die unwillige Antwort. „Wenn’s keiner weiß, was mich net fortlassen will aus’m Ort, Du, hätt’ ich mir ’denkt, Du könntst es dengerst wissen. Du bist ja der Einzige, dem ich’s zug’standen hab’, daß mir d’ Sanni g’fallt. Und da soll ich jetzt fort – jetzt g’rad – wo ich gar nimmer weiß, wie ich eigentlich dran bin. B’sinnst Dich noch d’rauf – selbigsmal auf’m Kapellenbergl droben, wie g’sagt hast zu mir: ‚Karli, Karli, ich mein’ allweil, Dein’ Liebssach’ wird a harbe Seiten kriegend‘? Ja, Götz, ja, a recht a harbe Seiten hat’s kriegt!“

Aufathmend schwieg der Bursche’ dann wieder sprudelte es in flüsternden Worten von seinem Munde, und Götz erhielt genauen Bericht von Karli’s eben so unermüdlichen, wie nutzlosen Spaziergängen nach dem Binderholze.

„Schau, Götz, g’wiß wahr, jetzt erst, seit ich d’ Sanni nimmer anders sieh, als wie in meine Gedanken und im Traum, jetzt erst g’spür’ ich’s in mir drin richtig und völlig, wie mir das Deandl so lieb is – so arg lieb. Und wer weiß, wie’s jetzt mit uns schon b’schaffen wär’, wenn net a unguter Zufall den weißbartigen Unfried’ ’neing’schneit hätt’ zwischen uns! Und jetzt, wo mein’ Liebshoffen daliegt wie ’s Winter’treid unterm Schnee, jetzt soll ich fort – und gern auch noch?“

Da fühlte Karli die Hand des Knechtes schwer auf seiner Schulter und hörte ihn mit freudig erregter Stimme sagen: „Recht, Karli, recht! Schau, so hör’ ich Dich amal gern reden! Nimmst mir a ganze Sorg’ von der Seel’. Wär’ mir schier leid g’wesen um Dich! Jetzt aber freut’s mich heilig, weil ich merk’, daß dengerst g’räder g’wachsen bist im G’müth, als wie ich mir selber ’denkt hab’. Und da kannst auch ’leicht fortgehn – ohne Sorg’ und Angst. Bleib’ nur Du fest bei der Stang’ – um d’ Sanni brauchst Dich net z’ kümmern, die is eine von dieselbigen Krisperln[2], wo ’s Ducken und ’s Biegen leicht vertragen, bis wieder a Zeit zum Aufschnaufen kommt. Schon mancher Feichtbaum is z’samm’brochen unterm Schnee – aber nie noch hab’ ich g’hört, daß a Veigerlstöckl d’raufgangen wär’, und wenn er auch haushoch g’legen is, der Schnee, so schwer wie kalt. Ah no, mußt Dich net kümmern, Karli! Schau, jetzt kann ich Dir lang wieder ’s Beste hoffen und wünschen, seit ich weiß, daß um Dich selber kein’ Sorg’ net z’ haben is.“

„A Sorg’ – und um mich? Hätt’ ich am End’ gar auf d’ Sanni schon vergessen sollen, weil ich s’ a paar Wochen lang net g’sehen hab’?“

„No, schau, Dein’ Frag’ überzeugt mich am besten, daß ich mich net sorgen hätt’ brauchen! Und dengerst sag’ ich Dir’s noch amal: net auslassen, Karli, net auslassen!“

„Auslassen? Was Dir net einfallt! Aber weißt – Du mußt mir halt auch a Bißl helfen. Wenn ich jetzt fort bin, könnt’s ja leicht möglich sein, daß Dir d’ Sanni amal in Weg kommt. Und weißt, wann ihr da sagen thätst, daß ich einrucken hab’ müssen –“

„Gern, Karli, gern. Aber besser wär’s, wann Du’s ihr selber sagen thätst – morgen in der Fruh. So viel Kurasch wirst dengerst haben, daß Dich ’neintraust ins Bygotterhäusl. Und wie sich nachher auch der Alte gegen Dich führen mag, a paar Wörtln wirst ja doch anbringen können, daß d’ Sanni weiß, wie s’ dran is.“

„Ja, Götz, ja, und so mach’ ich’s auch! Fressen wird er mich wohl net gleich, der Alte!“

„No also, und nachher schau Dir d’ Sanni nur recht g’nau noch an, damit a nachhaltige Wegzehrung hast für Deine vier Manöverwochen. Da wirst es nachher auch leichter machen können, daß g’rad so wieder heimkommst, wie jetzt fortgehst. Schau, laß Dir’s g’sagt sein, Bua – wann Dir in der Stadt drin so a Pflanzerl, so a g’schmachigs, g’rad vor die Füß’ in d’ Höh’ wachst auf’m Weg – laß d’ Händ’ davon – und denk’ ans Bleamerl, das draußt im Binderholz für Dich im Sprossen is. Was hältst auch viel davon? D’ Lustbarkeit is wie der Wein – aber wie ’s Quellwasser is d’ Lieb’. Schau, so a Krügerl Wein, das leert sich woltern g’schwind, und hinterm Rausch her kommt nachher der schwere Kopf. Aber ’s klare, lautere Wasser, das is der richtige Trunk, der halt’ Ein’ g’sund und frisch, der macht Ein’ hell im G’müth und in die Augen! Und jetzt komm – jetzt macht’s mir selber a Freud’, daß ich auf Dein’ Abschied hin noch a Glasl mit Dir trinken kann!“

Karli schmunzelte, halb vergnügt und halb verlegen. Er schien nicht recht zu wissen, wie er es aufnehmen sollte, als ihn Götz beim letzten Worte mit rauher Zärtlichkeit an sich drückte und ihn dann vor sich her nach dem Hause schob.

Schweigend betraten sie den Flur, und da hörten sie aus der Stube ein helles, klingendes Lachen.

Als Karli die Thür öffnete, sah er den Vater vor dem Tisch im Lehnstuhl sitzen, in Hemdärmeln, mit offener Weste, die Füße mit den großen Filzpantoffeln behaglich ausgestreckt. Die linke Hand hatte der Pointner auf dem Bäuchlein liegen, mit der rechten hielt er unter schlürfendem Zuge das Weinglas an den Lippen. Kuni stand vor ihm, stellte soeben ein geleertes Glas


  1. Schlingig = geschmeidig, gelenkig.
  2. Krisperl = ein zartes, schmiegsames Geschöpf.

[615] neben die Weinflasche, wischte den Arm über den Mund und wandte sich kichernd der Thür zu. Als sie jedoch neben Karli den Knecht in die Stube treten sah, verstummte sie und furchte die Brauen. Die Gesellschaft, die sich der Bursche mitgebracht, schien ihr aus irgend welchem Grunde nicht zu taugen. Sie schien aber auch Ursache zu haben, ihren Aerger möglichst zu verheimlichen, denn in der nächsten Sekunde lächelte sie schon wieder, und während Götz und Karli näher kamen, nickte sie ihnen freundlich zu: „So, seids schon da! Jetzt ruckts nur gleich hintern Tisch – g’rad a Glasl muß ich noch holen – und –“ damit wandte sie sich an den Pointner, „was meinst denn, Bauer, soll ich net a zweite Flaschen bringen?“

„Da hast Recht! Bring’ nur gleich a drei a vier! Heut’ laß’ ich was aufgehn! Mei’m Karli z’ lieb is mir gar nix z’ viel – aber schon gar nix!“

Hastig griff der Bauer bei diesen Worten nach der Flasche und füllte sich das geleerte Glas.

Kuni hatte schon die Stube verlassen, und während Karli bereits dem Vater gegenüber saß, stand Götz bei der dunklen Fensternische, in die er seinen Hut gelegt; auf seinem sonst so ernsten Gesichte lag noch immer das vergnügte, ein wenig spöttische Lächeln, mit dem er der Dirne nachgeblickt hatte, als sie an ihm vorübergeschritten war. Und da lachte er nun gar, wie unter lustigen Gedanken, halblaut auf.

„Ja was is denn? Was lachst denn jetzt auf amal?“ fuhr der Pointner verwundert auf. „Is denn da ’was zum lachen dran, daß ich mein’ Buben gern hab’?“

„Ah na – mich freut’s g’rad, wie sich die Kuni tummeln kann, wann’s a richtige Arbeit giebt,“ erwiederte Götz. Dann zog er das Pfeiflein aus der Joppe und näherte sich dem Tische.

Der Pointner aber streckte sich und erwiederte befriedigt: „Gelt, siehst es jetzt selber bald ein, Du Thomas, Du ungläubiger! Denn wann auch nie ’was gegen ’s Deandl g’sagt hast, ganz, mein’ ich, hat’s Dir dengerst net ’taugt. Aber natürlich, so a Heilige, die muß ja an jeden Heiden bekehren.“ Und da begann er nun Kuni’s Lob zu singen, sprach von ihrer Sauberkeit, von ihrer Ordnungsliebe, von ihrer flinken, unermüdlichen Fürsorge, führte zum Beweise jeder Behauptung stets sein eigenes, ungetrübtes Wohlbefinden an und malte in ganz grauslichen Farben das jammervolle Leben aus, das ihm in seiner „verlassenen Einschicht“ beschieden wäre, wenn ihm der liebe Herrgott nicht die Kuni ins Haus geschickt hätte.

Götz und Karli, die aus Erfahrung wußten, daß der Pointner in diesem Punkte keinen Widerspruch vertrug, ließen ihn ungestört drauf los schwatzen. Götz nickte nur manchmal; er hatte so viel mit seiner schlecht brennenden Pfeife zu schaffen. Und Karli lachte ein um das andere Mal, als fände er guten, harmlosen Spaß an der Art und Weise des Vaters. Als Kuni dann mit Glas und Flaschen die Stube betrat, fragte er sie in scherzenden Worten, ob ihr im Keller drunten nicht das Ohr geklungen hätte.

„Ja, is schon wahr! Ordentlich g’saust hat’s mir!“ erwiederte sie und schaute ihn mit blinzelnden Augen an.

„Was! Jetzt is schön! Gleich g’saust hat’s Dir?“ kreischte der Pointner in hellem Vergnügen, während er zappelnd auffuhr und die Dirne mit beiden Händen am Rocke faßte. „Jetzt sagst mir aber gleich, auf was für einer Seiten? Gleich sagst es! Auf der Stell’!“

„Auf der linken natürlich! G’wiß habt’s recht g’schimpft über mich!“

„G’schimpft! Was sagst jetzt da dazu, Karli? Natürlich g’schimpft! Gelt, Götz? Und wie g’schimpft!“ platzte der Alte los, während ihm unter Kichern und Pusten die zitternden Backen dunkelroth anliefen.

Auch Kuni lachte, indessen sie aus einer der Flaschen die vier Gläser füllte. Plötzlich aber verstummte sie, zeigte ein gar ernstes Gesicht, und während sie nach ihrem Glase griff, seufzte sie und sagte:

„Jetzt is aber g’nug mit die Dummheiten, sonst möcht’s ja schier kein Mensch net glauben, daß ’s heut’ an Abschied gilt. Geh’, Bauer, nimm Dein Glasl und stoß’ mit an auf Dei’m Buben sein Wohl, und daß ihm nach vier Wochen a g’sund’s und a glücklichs Heimkommen blüht!“

„Bravo, Kuni, bravo!“ schrie der Pointner und erhob das Glas. „Wenn Keiner ans Richtige denkt – Du hast halt allweil Dein g’scheit’s Köpferl in der Höh’! Also ang’stoßen jetzt! Da, Karli, da komm’ her – und leben sollst mir tausend Jahr’ – und gut soll’s Dir geh’n und Alles soll Dir g’rathen, was Dir einbild’st – ja, und a Heimkommen sollst haben, a g’sund’s und a glückselig’s – und – und –“

Da gingen ihm die Worte zu Ende. In ausbrechender Rührung stieß er sein Glas an die Gläser der Anderen, verschüttete dabei die Hälfte seines Weines und goß den Rest mit einem raschen Ruck in den weitgeöffneten Mund. Kuni und Karli lachten und tranken ihre Gläser leer. Götz nippte kaum von seinem Weine und schob das Glas vorsichtig in die Mitte des Tisches. Inzwischen hielt der Pointner schon wieder sein Glas der Dirne hin.

„Mach’ weiter, Kuni, und schenk’ mir ein, denn g’rad a einzig’s Glasl, das is mir fein schon z’ wenig, wann’s mei’m Buben sein Wohlsein gilt!“ Kuni nahm ihm das Glas aus der Hand, und da wandte er sich an Karli: „Gelt, Bua, das weißt, daß ich Dich gern hab’ – ja – und jetzt gehst fort, und vier Wochen lang soll ich Dich nimmer sehen! Du – das is fein a Zeit – g’wiß wahr!“

Die Stimme schlug ihm um; er schluckte und schluchzte, und dicke Thränen rannen ihm über die Backen.

„Aber, Vater!“ stotterte Karli. „Was machst denn jetzt da für G’schichten – wegen nix und wieder nix! Vier Wochen, das is doch kein’ Zeit net, daß man so an Aufheben drum macht!“ Unmuthig griff er nach seinem Glase und warf einen verlegenen Blick auf Götz, der mit gekreuzten Armen saß, an seiner Pfeife schmauchte und den dünnen Rauchwölkchen nachschaute, die er nach jedem Zuge gegen die Decke blies.

„So? Vier Wochen meinst, is gar kein’ Zeit net?“ jammerte der Pointner. „Natürlich, Du hast es lustig bei die Soldaten und bei der ganzen Manövergaudi! Aber ich – ich muß daheim sitzen in der Einschicht –“

„Aber geh’ weiter, Bauer! Da, nimm Dein Glasl und trink’!“ mahnte Kuni, während sie dem gerührten Alten das neu gefüllte Glas unter die Finger schob. „Was machst denn jetzt da Dei’m Bub’n so an traurigen Abschied her! A lustige Stund’ mußt ihm schaffen, damit ihm ’s Fortgehen schwerer ankommt und daß ’s ihn lieber wieder z’ruckzieht in sein’ liebe Hamath!“

„Ja, Kuni, ja, Du hast Recht! Du bist halt allweil die G’scheiter’! Sollst schon gleich leben auch!“ rief der Pointner, wischte sich mit der Linken die Zähren aus den Augen und führte mit der Rechten das Glas an die Lippen. „Lustig, lustig, sag’ ich – lustig is allweil besser als a Traurigkeit! Ja, Karli, ja, das mußt Dir merken! Und drum laß Dir nur nix abgeh’n die Zeit über, wo D’ fort bist. Und Geld gieb ich Dir mit, so viel als D’ magst, und wann nachher heimkommst, da kannst von mir haben, was Dir g’rad einbildst. Und wann meinst, es wär’ an der Zeit, so laß ich Dir gleich mein’ ganzen Hof zuschreiben, daß ich doch auch amal a Ruh’ und an Fried’ hab’. Und da kannst Dir nachher a G’sellin suchen, g’rad wie ’s Dir taugt – aufs Geld brauchst ja net schauen – bloß aufs G’müth – ja – such’ Dir nur eine, a recht a saubere, weißt, so eine, die so a recht a lieb’s G’sichterl hat, daß man gleich ’neinbeißen möcht’!“ Dabei streckte er die gekrümmten Finger nach Kuni’s Wange, als hätte er hierdurch bezeichnen wollen, welch eine Art von „G’sichterl“ er im Sinne hatte. Daß Kuni unwillig vor ihm zurückwich, das schien ihn nicht zu bekümmern. Behaglich ließ er sich in den Lehnstuhl zurücksinken und streckte die Füße.

Jetzt hatte auch Karli seine gute Laune wieder gefunden. Mit leuchtenden Augen saß er, lachte den Vater an und hielt ihm das volle Glas entgegen.

„Ja, gelt, jetzt kannst herheben!“ kicherte der Pointner. „Aber hast schon Recht – da komm her – jetzt stoßen wir mit einander an in Lustigkeit, und leben sollst, Du Sakra-Soldat, und g’rad freuen thut’s mich, daß ich Dich morgen wieder amal anschauen kann in der blauen Montur! Ich bin ja selber amal Soldat g’wesen – wenn auch g’rad drei Monat’ lang – weißt – bis mir mein Vater selig an Ersatzmann ’kauft hat, weil er g’meint hat, daß mir ’s Heirathen besser taugt als ’s Exerciren! Aber die drei Monat’ – Du – das war Dir fein a lustige Zeit. – Kreuzsaxen!“ Er leerte sein Glas, schnalzte mit den Lippen, und dann sprudelten ihm die schnurrigen [616] Erinnerungen an seine kurze Soldatenzeit in langer Reihe über die redseligen Lippen.

Lächelnd hörte Karli dem Vater zu; manchmal, wenn es der Alte gar zu bunt machte und in gar zu handgreiflichen Stücken aufschnitt, reizte der Bursche noch durch zweifelnde Einwürfe den Eifer und die Phantasie des Erzählers.

Als nun die Beiden gelegentlich in einen lautgeführten Disput über das Soldatenleben von einst und jetzt geriethen und Karli den Meinungen des Vaters, welcher natürlich die gute alte Zeit vertheidigte, mit schlagenden Gründen auf den Leib rückte, suchte der Pointner Hilfe bei Götz.

„Du, jetzt red’ Du auch amal was,“ schrie er ihn an, „hockst den ganzen Abend da, wie wenn Dir die Zung’ ang’wachsen wär’! Jetzt bezeugst mir’s, hab’ ich net Recht? Is ’s ehnder net besser und lustiger g’wesen? Jetzt red’ – Du bist ja auch Soldat g’wesen – vor a zwanz’g, fünfazwanz’g Jahr’! Han, bei was für ei’m Regiment bist denn gleich g’standen?“

„Beim achten,“ erwiederte Götz mit einer fast auffälligen Hast.

„No also, jetzt red’, ob’s Dir zur selbigen Zeit net auch besser ’taugt hat, als wie Dir’s heutigen Tags taugen möcht’?“

Das Gesicht des Knechts hatte steinerne Züge angenommen, und ein finsterer, beinahe scheuer Blick war in seinen Augen.

„Mein Gott, laß mir mein’ Ruh’! Auf was soll denn ich mich heut’ noch Alles b’sinnen? Mein Denken geht auf morgen und auf d’ Arbeit,“ erwiederte er mit einer Stimme, welche rauher und ernster klang als sonst. „Und im Uebrigen – wie könnt’ denn ich an Zeugen machen für so an Unterschied? Ich weiß wohl, wie ’s früher g’wesen is – hab’ aber kein’ Wissenschaft davon, wie ’s heutigen Tags zugeht bei der Militari.“

„Jesses na, Du Essighafen, Du alter,“ knurrte der Pointner. „Daß aus Dir gar nix zum ’rausbringen is! Das freut doch g’wiß an jeden Menschen, wann er von seiner g’wesenen Zeit verzählen kann! G’rad Du machst an Ausnahm’ und wenn man so amal a Wörtl erfahrt, nachher thust schon gleich, als ob mit G’walt was hergeben müßtest, was selber gern b’halten thätst.“

Der Pointner mußte in diesen Worten einen guten Witz vermuthet haben, denn er lachte aus vollem Halse. Auch Götz lächelte; aber dieses Lächeln sah sich ein wenig gezwungen an, und während er sich mit seiner Pfeife zu schaffen machte, athmete er tief auf; dadurch gewann es fast den Anschein, als wär’ es ihm recht willkommen gewesen, daß ihn das Lachen des Pointner’s jeder Antwort enthoben hatte. Als er nun wieder aufschaute, begegnete er einem neugierig forschenden Blick aus Kuni’s Augen – und da fuhr ihm eine jähe Röthe über die furchigen Backen.

Kuni zuckte mit den Mundwinkeln, schloß halb die Lider und beugte das Gesicht über die Näharbeit, mit welcher sie sich an des Pointner’s Seite zum Tische gesetzt hatte. Götz aber hielt nun unverwandt die Augen nach der Dirne gerichtet; es war etwas halb Furchtsames, halb Feindseliges in diesen seinen Blicken; allmählich aber nahmen sie einen seltsam verlorenen Ausdruck an; Götz mochte mit seinen Gedanken weiß Gott wo verweilen – gewiß nicht am Tische bei diesen drei Anderen, am allerwenigsten bei dem rastlosen Geplapper des Pointner’s.

Der hatte längst wieder den Faden gefunden, schwatzte unermüdlich weiter, und je länger er sich reden hörte, je eifriger er dem von Kuni immer neu gefüllten Glase zusprach, desto rosiger ließ sich seine Stimmung an. Und als er sich wieder einmal über einen seiner vermeintlichen Witze zu Thränen gelacht hatte, klatschte er, im Lehnstuhl sich dehnend, die Hände in einander und kreischte:

„Was? Geht’s bei uns net g’rad lustig zu? A schöners Leben kann’s ja gar nimmer geben als wie im Pointnerhof, und da soll mir noch amal Einer sagen, daß bei uns der Unfried’ daheim is! Was?“

Dabei stemmte er die Fäuste über die Stuhllehne, blies die Backen auf und rollte herausfordernd die vom allzu reichlichen Genuß des Weines aufquellenden Augen.

Kuni lachte trocken auf, zog die Unterlippe zwischen die Zähne und beugte sich tiefer über ihre nicht allzu emsige Nadel.

Auch Karli lachte.

„Ah was, was redst denn jetzt da daher!“ meinte er. „So was sagt ja kein Mensch net! Ich wüßt’ auch net –“ Da unterbrach er sich und schaute mit verwunderten Augen zu Götz empor, der sich vom Tisch erhoben hatte. „Ja was is denn? Du wirst Dich doch net schon schlafen legen?“

„Was denn? Für mich is lang schon Zeit! Morgen fruh muß ich bei Zeiten ’naus ins Holzerfeld – und da geh’ ich nachher gern a Bißl ehnder fort, daß ich wieder daheim bin, ehvor Dich auf d’ Reis’ machst. Und drum gut’ Nacht mit einander.“

Bei diesen Worten hatte er schon den Hut aus der Fensternische genommen und war auf die Thür zugegangen.

„Aber geh’ weiter, so bleib doch noch a Bißl sitzen,“ grollte Karli; doch kamen seine Worte schon zu spät. Hinter Götz hatte sich bereits die Thür geschlossen.

„Aber so laß ihn doch, wenn er net bleiben mag, der Leimlippl, der langweilige,“ wehrte der Pointner, während Kuni sich aufrichtete, als fühlte sie sich plötzlich von einem unbehaglichen Druck befreit.

Karli furchte die Stirn und drehte das Schnurrbärtchen.

„Jetzt geh’, Vater, schimpfen mußt fein auf ’n Götz dengerst net! Ich mein’, er plagt sich g’nug für uns – und da kann man sich sein Bißl Eigenheit schon g’fallen lassen.“

„No ja, is ja recht! Aber deßwegen muß man ihn net merken lassen, als ob man ohne ihn gar net b’stehen könnt’. Meinetwegen soll er sich schlafen legen, wann er mag! Wir Drei mit einander sind auch g’rad g’nug zum Lustigsein! Gelt, Kunerl – ja? Und jetzt g’rad mit Fleiß – jetzt g’rad freut’s mich recht – jetzt bin ich g’rad recht lustig!“

Kuni schien die Worte des Bauern überhört zu haben. Mit nachdenklichen Blicken hing sie an der geschlossenen Thür. Nun wandte sie hastig das Gesicht gegen Karli; aber die Frage, die ihr auf der Zunge liegen mochte, kam nicht über die Lippen; schweigend zog sie, den hübschen Kopf in den Nacken duckend, die Schultern in die Höhe und beugte sich wieder tiefathmend über ihre Arbeit.

Der Pointner stellte eben das geleerte Weinglas auf den Tisch und fuhr nun mit beiden Händen auf Kuni los.

„Jetzt hör’ amal auf mit Deiner ewigen Stichlerei, jetzt hab’ ich’s g’nug.“

„Aber geh’, Bauer,“ lachte Kuni, deren nachdenkliche Stimmung jählings verflogen schien. „Du hast mich doch net in Dienst g’nommen zum Muckenfangen!“

„Nix da! Jetzt wird aufg’hört! Jetzt heißt’s lustig sein! Weiter amal mit Dei’m G’lump.“

Dabei hatte der Pointner mit der einen Hand Kuni’s Arm ergriffen und suchte ihr mit der andern die Näharbeit zu entreißen.

Kuni aber wußte sich ihm unter lachenden Worten zu entwinden, und um dem Armbereich des Alten zu entkommen, rückte sie dicht an Karli’s Seite, welcher dem Vater gegenüber Kuni’s Partei mit den Worten ergriff: „Aber so laß doch ’s Deandl nähen, wenn’s amal nähen will!“

„Ahan, natürlich, da hat man’s wieder amal!“ kreischte der Pointner. „Das is doch g’wiß, daß die Jungen allweil z’sammhelfen gegen ein’ Jeden, der in die verstandsamen Jahr’ is! Aber vor der Hand bin ich noch der Herr im Haus. Und drum sag’ ich Dir’s, Kuni – jetzt thust, was ich haben will – und Dein’ Arbeit legst mir weg – und da setzt Dich her an mein’ Seiten und unterhaltst Dich mit mir, oder – oder –“ Schwerfällig erhob er sich und machte Miene, der Dirne in ihren Fluchtwinkel nachzurücken.

Da warf nun Kuni ihr Nähzeug in die Fensternische und lachte:

„Ja, ja – meinetwegen in Gottes Namen – gieb Dich nur z’frieden, ich thu’ Dir ja schon Dein’ Willen! Aber niedersetzen mußt Dich und mußt mir mein’ Ruh’ lassen!“

„No also, nachher is recht – und da ruckst jetzt her!“ Damit ließ sich der Pointner in seinen Lehnstuhl zurücksinken, und vor Freude darüber, daß er seinen „verstandsamen“ Willen durchgesetzt hatte, glänzten ihm die runden dunkelrothen Backen wie zwei große Granatkugeln. Er hub sein altes Kichern und Schwatzen an, leerte ein Gläschen ums andere, erzählte Schnurren über Schnurren und stritt sich über die Wahrheit seiner Geschichten bald mit Karli und bald mit Kuni, welche unermüdlich die Gläser füllte, wobei sie Karli’s Glas mit ganz besonderer

[617]

Ein Ballon!
Nach dem Oelgemälde von J. Dupré.

[618] Aufmerksamkeit bedachte; dazu scherzte und plauschte sie, daß nicht nur der Pointner in Seligkeit völlig zerfloß, sondern auch Karli an ihrer lustigen Art und Weise offenes Gefallen fand. Die Unterredung mit Götz hatte die Sorgen seines Herzens beschwichtigt; der schwere, süße Wein hatte ihn warm und munter gemacht, und so gab er sich gedankenlos der lustigen Gegenwart hin, die ihn des bevorstehenden Abschieds völlig vergessen ließ. Als ihn dann eine Wendung des Gespräches unversehens an den kommenden Tag erinnerte, fuhr er sich mit beiden Händen in die Haare und grollte:

„Na – ganz vergessen hab’ ich! G’wiß wahr – g’rad schad’ is, daß ich fort muß morgen.“

Kuni verstummte inmitten des hellen Lachens, das ihr gerade von den Lippen klang, und ihre Augen schossen einen brennenden Blick auf das Gesicht des Burschen.

Der Pointner aber schlug die Fäuste auf den Tisch und lallte mit schwerer Zunge: „Gelt, Loder, siehst es amal ein, wie’s daheim so gut und schön is? Aber natürlich – heut’ g’fallt’s Ei’m – und morgen, bald man draußen is, da g’fallt’s Ei’m draußen. Da kommt man in d’ Stadt, reißt ’s Maul und d’ Augen auf, und im Manöver erst, da giebt’s ein’ Gaudi über die ander’, und da denkt nachher keiner von die Loder mehr an die armen verlassenen Eltern, die sich daheim hinkümmern müssen –“

„Jesses na! Weil Du Dich so viel kümmern mußt!“ lachte Karli und blies die heißen Backen auf. „Und bildst Dir ’leicht gar ein, daß man an gar nix Anders net zum Denken hätt’ als wie an Dich?“

„Ja, an gar nix sonst, als wie an mich!“ schrie der Pointner. „Ich bin d’ Hauptperson, verstehst mich – und z’erst komm’ allweil ich, und nachher kommt lang nix mehr.“

„Geh’, geh’, gieb Dich nur z’frieden, der Karli denkt schon an Dich!“ so suchte Kuni den Alten zu beschwichtigen, und ein seltsames Zucken ging um ihre Lippen, während sie in einem Tone, als hätte sie ein weinendes Kind zu besänftigen, hinzufügte: „Und schau – weißt – wenn’s Dir halt gar so um Dei’m Buben seine Gedanken z’ thun is, nachher muß halt ich mich a Bißl drum sorgen, daß er auf ’n Pointnerhof net vergißt.“

„Was? han? Was redst jetzt da daher?“ lallte der Pointner, während Karli verwunderte Augen machte.

„Ja, weißt, ich gieb ihm was mit auf d’ Reis’, wo ihm seine Gedanken verzaubert, daß er an gar nix Anders nimmer denken kann, als wie an daheim – ja – an Andenken!“

„So, so? An Andenken?“ staunte der Pointner und machte dazu ein Gesicht, welches deutlich verrieth, daß ihm nach all dem genossenen Weine das Denken bereits zur schweren Arbeit wurde. Mit unsicherer Hand griff er nach dem Glase, begoß sich mit dem Weine die Brust, und während er dann mit dem Handballen die Weste zu reinigen suchte, streckte er sich und gähnte mit weit offenem Munde.

Karli aber sagte in heller Neugier: „Geh’, Du, sag’ – was wär’ denn das nachher für an Andenken? Und so ’was sollt’s geben, wo so an Kraft hat? Ah’ na – das glaub’ ich net, Du machst ja dengerst g’rad an G’spaß – sonst thätst net so dumm lachen dazu.“

„Meinst?“ kicherte die Dirne, zog die Unterlippe zwischen die weißen Zähne und streifte das verdutzte Gesicht des Burschen mit einem übermüthigen Blick ihrer dunklen Augen.

„Geh’ weiter – denn wann schon so ’was Seltsam’s haben thätst, nachher thätst es mir net geben?“

„No – wer weiß – wann recht brav bist.“ Dabei lachte sie den Burschen so eigen an, so wohlwollend spöttisch, daß Karli beim besten Willen nicht mehr wußte, ob er die Sache ernst oder spaßhaft nehmen solle. Doch schien er sich schließlich für das Letztere zu entschließen, denn er puffte seinen Ellbogen an Kuni’s Arm und brummte:

„Geh’ – Du – mit Deine Dummheiten – kannst nix als d’ Leut’ zum Narren halten!“

Da ließ ein rasselndes Geräusch die Beiden nach dem Pointner blicken. Der hielt die Hände über dem Bäuchlein gefaltet, lag ausgestreckt in seinem Lehnstuhl und schnarchte, daß ihm die Nasenflügel zitterten.

„Du – da schau – Dein’ Vatern hat’s ’nüberg’rissen!“ kicherte Kuni.

„Aber g’schwind hat’s ihn jetzt g’habt! Freilich – ich weiß schon – das gache ’neintrinken, das vertragt er net.“

„Geh’, thu’ net so laut – laß ihn halt schlafen,“ wisperte die Dirne, während sie hastig den Kork von der letzten, noch vollen Flasche nahm und Karli’s Glas bis zum Ueberlaufen füllte.

„Was machst denn jetzt? Die letzte Flaschen hältst g’rad schon stehen lassen können. Ich hab’ auch schon lang g’nug.“

„Geh’ weiter, sei net langweilig! A Mannsbild, wie Du, kann ’was vertragen. Und auf gute Freundschaft müssen wir dengerst auch mit einander anstoßen. Das thät’ mich ja schier kränken, wann fortgehen thätst, ohne daß a Glasl auf mein Wohl austrunken hast.“

Er stieß mit ihr an und leerte sein Glas.

„So laß ich mir’s g’fallen“ nickte sie und griff wieder nach der Flasche. Während sie einschenkte, rückte sie dicht an seine Seite. „Ja Du – was ich sagen will – weißt es schon?“ kicherte sie ihm ins Ohr und berichtete, was sich seit einigen Tagen die Leute im Dorfe von der Huber-Kathl, von der Tochter des Nachbarn, erzählten. Er lachte zu der Geschichte, obwohl er sie bereits kannte. Da wußte denn Kuni gleich wieder etwas Anderes zu erzählen, und so plauschten sie mit verhaltenen Stimmen weiter, kicherten und tranken – und geduldig ließ er es geschehen, wenn sie ihn dabei in ihrer gewohnten Weise neckte, bei der Nase faßte, ins Ohrläppchen kniff oder an den Haaren zog. Wenn er über eine ihrer Geschichten gar zu laut lachte, packte sie ihn beim Schopfe und drückte ihm ihre Hand auf den Mund. Im eifrigen Plaudern legte sie manchmal ihren Arm auf seine Schulter. Als er sich einmal, die Backen aufblasend, halb emporrichtete, strich sie ihm die Haare aus der feuchten Stirn und kicherte: „Is Dir denn gar so warm?“

Er lächelte harmlos und meinte: „Ah na – das g’rad net – aber’ –“

Was er mit diesem „aber“ hatte sagen wollen, das brachte er nicht heraus, denn ganz unerwartet nahm der Pointner die Aufmerksamkeit der Beiden in Anspruch. Der hatte plötzlich sein Schnarchen eingestellt, murmelte und lallte unverständliche Worte, schnarchte wieder ein Gesetzlein und lallte aufs Neue. Darüber hatten die Beiden eine Weile zu kichern, als hätten sie einen besseren Spaß nicht erleben können. Dann wieder begannen sie das alte Plauschen und Scherzen, bis sich die Schwarzwälder Uhr mit einem mahnenden Schlag vernehmen ließ.

Völlig erschrocken fuhr Karli in die Höhe. „Jesses – jetzt is gut – eins hat’s g’schlagen!“ stammelte er. „Und morgen soll ich wieder ’raus in aller Fruh! Na – so kurz is mir schon bald kein’ Zeit nimmer worden!“

Hastig schob er sich hinter dem Tisch hervor und streckte die Glieder.

Langsam erhob sich Kuni, während sie den Burschen mit einem wägenden Blicke musterte; dann lächelte sie leise und duckte den Kopf zwischen die runden Schultern.

Karli war auf den Vater zugetreten und rüttelte ihn am Arme. „Vater – Vater – thu’ Dich schlafen legen – eins hat’s g’schlagen.“

Der Pointner rührte sich ein wenig, lallte mit schwerer Zunge und schnarchte weiter.

Karli wollte die Weckversuche von Neuem beginnen, als Kuni an seine Seite trat und ihn vom Lehnstuhl wegschob. „Geh’ weiter – ich schau’ schon, daß er ’neinkommt in sein Kammerl.“

„No, da kannst noch a schöne Plag’ haben,“ meinte Karli und wandte sich lachend der Thür zu. Als er auf der Schwelle stand und ihm die frische kühle Luft des offenen Flurs entgegenstrich, hob er den einen Arm an die Stirn und lehnte sich an den Thürpfosten.

„Karli – geh – was hast denn auf amal?“ hörte er Kuni mit leisen Worten fragen.

„Nix – gar nix! Den Wein fang’ ich halt a Bißl zum spüren an,“ erwiederte er, athmete tief auf und zog, in den Flur hinaustretend, hinter sich die Thür zu. Da vernahm er auch schon aus der Stube die greinende Stimme des Vaters. Ein paar Stufen stieg er die Treppen empor; dann kehrte er wieder um und tastete sich durch den finsteren Flur in die Küche, um dort einen tüchtigen Trunk frischen Wassers zu sich zu nehmen, da er nach all’ dem genossenen Weine einen brennenden Durst zu fühlen [619] begann. Als er wieder in den Flur zurückkehrte, meinte er Kuni’s zornige Stimme zu vernehmen. Neugierig steckte er den Kopf in die Stube und sah, wie die Dirne mit dunkelrothem Gesicht aus der anstoßenden Kammer trat und die Thür zudrückte, durch die er den Vater lachen und nach Kuni rufen hörte.

„Was is denn? Was hat’s denn geben?“

„Ah mein – Dein Vater – a Bißl z’viel hat er halt!“ erwiederte Kuni in ärgerlichem Tone.

„No freilich hat er z’viel,“ meinte Karli lächelnd, während er vollends in die Stube trat. Gähnend reckte er die Arme und setzte sich, wie von plötzlicher Müdigkeit befallen, wieder an den Tisch.

Inzwischen hatte Kuni zwei Talglichter angezündet. Nun brachte sie die beiden Leuchter herbei, und während sie den einen in der gesenkten Hand behielt, schob sie den andern vor Karli hin und blies an der Hänglampe die Flamme aus. „Da hast Dein Licht! Ich leg’ mich jetzt schlafen derweil. Aufräumen kann ich ja morgen in der Fruh auch noch.“ Sie sagte das mit hastigen Worten, und ihre Stimme hatte dabei einen eigenthümlich heiseren Klang. „Gut’ Nacht also, gut’ Nacht!“

„Gut’ Nacht, Kuni!“ nickte der Bursche und fügte dann lächelnd bei: „Aber was ich sagen will – was is denn mit dem Andenken, wo mir versprochen hast?“

Da blitzten die Augen der Dirne auf wie in heimlicher Freude. Mit einem lautlosen Schritte trat sie dicht vor Karli hin, griff nach seinem Kopfe, und während sie ihn mit sachter Zärtlichkeit an den Haaren schüttelte, beugte sie das Gesicht zu ihm nieder, tauchte ihre Augen mit heißfunkelnden Blicken in die seinen und wisperte ihm zu: „Was mit dem Andenken is? Droben hab’ ich’s – in mei’m Stüberl! Mußt halt nachfragen, wann ich’s g’rad bei der Hand hab’.“

Jählings wandte sie sich nach diesen Worten von ihm ab und huschte mit flinker Eile zur Stube hinaus.

(Fortsetzung folgt.)




Das erste Jahr im neuen Haushalt.
Eine Geschichte in Briefen. 0 Von R. Artaria.
IX.
Neustadt, den 12. März. 

Meine liebste Marie, ich habe oft große Sehnsucht nach Dir und möchte Dich so gern hier haben. Du würdest dann unter Anderem auch mit Erstaunen sehen, was für eine umsichtige Hausfrau Deine leichtsinnige Emmy geworden ist und wie glücklich sie sich dabei fühlt; denn Hugo ist jetzt immer sehr entzückt von seiner kleinen Frau, und das feuert Einen natürlich zu neuen Thaten an. Es ist merkwürdig, wie leicht Alles geht, wenn man sich die Mühe nimmt, es vorher zu überlegen!

So habe ich in den letzten Tagen ein Meisterstück gemacht und die gefürchtete Frühjahrsputzerei ohne Hugo’s Wissen hinter seinem Rücken durchgeführt, als er für einen Termin zwei Tage abwesend war, so daß er beim Zurückkommen Alles rein und blinkend fand. Kaum war er weg, so ergriff ich die ahnungslose Rike und zwang sie, ihres heftigsten Sträubens ungeachtet, zur großen Putzerei. So ohne Weiteres, ohne vorhergehende Gemüthsverdüsterung, gleichsam aus heiterem Himmel, ging es ihr geradezu gegen die Natur; ich blieb aber unerbittlich, räumte ab, klopfte, bürstete mit ihr um die Wette, und so hatten wir bald ein Chaos zu Stande gebracht, daß mir heimlich bang wurde, wie das Alles wieder in Ordnung kommen solle. Mitten drinnen erschien Klara; ich schickte sie schnell heim, um Urlaub für zwei Tage zu bitten; dann half sie getreulich, und es war mir ein rechter Trost, daß sie auch die Nacht dablieb; denn wenn ich auch nicht gerade furchtsam bin, ist es mir doch unheimlich, wenn Hugo nicht da ist. Morgens gestand sie mir freilich, sie fürchte sich Nachts entsetzlich beim leisesten Geräusch – da wäre ich gut beschützt gewesen!

Nun, am zweiten Tage ließen wir denn alles Feinere durch unsere Hände gehen und stellten allmählich in allen Zimmern die zierlichste Ordnung her. Freilich war Klara nicht immer recht bei der Sache; sie träumte manchmal, mit dem Staubwedel in der Hand, vor sich hin. Aber allerdings saß ich selbst auch ein gutes Weilchen vor Hugo’s Schreibtischschublade, darin meine Briefe aus der Brautzeit lagen, nebst ein paar Blumen, die ich wohl kannte, und außerdem – noch ein paar alte wacklige Albums mit Universitätsfreunden und den verschiedenen Flammen aus den schönen Studententagen. Die wollte ich mir einmal gründlich betrachten; Hugo hatte sie mir immer so schnell aus der Hand genommen. Viel Besonderes war übrigens nicht daran: die Männer haben doch, wenn sie jung sind, meist einen recht schlechten Geschmack!

Als ich emporsah, saß Klara mit aufgestützten Armen auch in ein Photographie-Album vertieft; sie klappte es schnell zu, als sie mich aufstehen hörte, wurde roth und stäubte hastig weiter ab. Das gab mir zu denken.

Abends um fünf Uhr waren wir fertig. Schön war es geworden, blitzblank und duftend nach irischen Vorhängen, aber – naß. Die Fußböden aus nicht gestrichenen Dielen trocknen schwer am kalten Frühjahrsabend. So sagte ich zu Klara:

„Hier können wir nicht bleiben; wir wollen noch eine Stunde ausgehen und trocknen lassen; dann heizen wir Abends gehörig ein und essen lustig zu Nacht.“

So gingen wir. Unterwegs hatte sie noch eine Besorgung, und während ich vor dem Laden wartete, kam Brandt des Wegs, gelangweilt einherschlendernd wie gewöhnlich.

„Nun,“ fragte ich ihn, „gehen Sie heute nicht zum ‚Familienabend‘ ins Museum?“

„Was soll ich dort thun?“

„Sich amüsiren wie die Andern.“

„Das kann ich leider nicht.“

„Es sind doch ganz hübsche Mädchen da.“

„In der That? Ich habe bis jetzt nur ihre Hände und Handschuhe gesehen; das hat mich verhindert, weiter empor zu blicken.“

„Sie sind ein unausstehlicher Mensch. Was treiben Sie denn jetzt eigentlich?“

„Ich trage Folgen.“

„Schon,“ sagte ich, „da sind wir eben auch dabei; das läßt sich ja gemeinsam besorgen. Wissen Sie was“ – der Gedanke fuhr mir durch den Kopf, als eben Klara aus der Ladenthür trat und bei seinem Anblick lebhaft erröthete – „kommen Sie heute zum Abendessen; es giebt freilich nur Frikandellen,“ fuhr ich lachend fort. „Frikandellen und Kartoffelsalat. Können Sie das essen?“

Heroische Bejahung, neues Erröthen Klara’s beim Gedanken, den „hohen Stern der Herrlichkeit“ zu Frikandellen einzuladen, große Heiterkeit meinerseits, freilich mit einem kleinen Stich im Gewissen, daß ich es in Hugo’s Abwesenheit that. Aber nun war’s bereits geschehen.

Zwei Stunden später saßen wir äußerst lustig bei dem besagten schrecklichen Mahl, denn ich hatte Klara’s flehentlichen Bitten, wenigstens noch etwas Schinken holen zu dürfen, erbarmungslos widerstanden.

„Er ißt, was wir haben, und damit Punktum.“

Ich wollte ihn auf die Probe stellen, und ich muß sagen, er hat sie ganz gut bestanden. Es ist, wie ich vermuthete: die Affektation sitzt ihm nur äußerlich; er ließ, meiner konsequenten Nichtachtung gegenüber, allmählich die blasirte Hülle sinken, und es kam ein ganz ordentlicher junger Mensch von gutem Humor zum Vorschein, der sich bald an unseren harmlosen Späßen nach Kräften betheiligte. Besonders unsinnig lachten wir, als ich ihnen den Zusammenhang unserer heutigen Abendmahlzeit mit Hugo’s morgender Rückkehr erläuterte, und auch Du sollst diese Geschichte noch zum Schluß hören, liebste Marie, denn sie ist sehr schön.

Ich habe Dir schon früher erzählt von Hugo’s altem Pintsch, von dem garstigen ruppigen Thier, welches er mit einer unbegreiflichen Zärtlichkeit liebt, und das ich hasse, weil es lauter widerwärtige und abscheuliche Angewohnheiten hat. Aber Hugo hat es sein ganzes Junggesellenleben durch als Tischgenossen im Wirthshaus gehabt und dort hat sich Muckel eine entschiedene Verachtung aller vegetarischen Nahrungsmittel angebildet; er frißt nur Fleischbrühe, ja, er soll sogar mit Sicherheit einen Kapaun vom gewöhnlichen Brathuhn unterscheiden. Unter meinem Regiment allerdings ist er noch nicht in die Verlegenheit dieser Wahl gerathen!

Aber von den gewöhnlichen Braten muß er sein Theil haben, und ich kann Dir sagen, es ist eine Geduldsprobe für mich, das garstige Thier immer beim Essen da sitzen zu sehen, schnappend, wenn ihm Hugo nicht augenblicklich sein Stück reicht. Aber ich darf nicht an dieses Pietätsverhältniß rühren. Hugo hat mir neulich einmal gesagt: den Thieren gegenüber seien die Frauen entschieden gemüthloser als die Männer! Es ist also eine Schwachheit, die man dulden muß; er hat ja so viele gute und angenehme Eigenschaften.

Eine der allerhervorragendsten ist, daß er gerne Frikandellen ißt (das thun ja die Andern beinahe alle nicht!); deßhalb darf ich sie jede Woche einmal bringen. Allerdings verbessere ich sie auch noch mit Bratwurstfüllsel, damit sie recht gut schmecken. Neulich einmal nun goß es in Strömen; Rike konnte nicht fort, ich hätte selbst zum Fleischer gehen müssen und, ehrlich gestanden, ich hatte keine Lust dazu. So betrachtete ich mir die Fleischreste, die freilich nur sehr gering waren, und beschloß, noch ein Brötchen mehr in die Masse zu thun und sie dafür recht hüsch zu backen. Sie rochen auch sehr gut, als sie auf den Tisch kamen; Hugo freute sich, gab nach seiner Gewohnheit die erste dem geliebten Muckel und dieser – wandte den Kopf weg, zog den Schwanz ein und ging davon!!

„Das ist gleich einer chemischen Analyse auf Fleisch,“ sagte Hugo empört, und in Folge dessen hat er sich bis auf Weiteres die Frikandellen verbeten, und das danke ich nur diesem verwünschten Thier; denn Er hätte es nicht gemerkt!

„Ach, nun verstehe ich,“ sagte Brandt lachend, als ich so weit erzählt hatte. „Auf das Vergnügen, von Zeit zu Zeit einen Mann Frikandellen essen zu sehen, kann, wie es scheint, eine Frau nicht verzichten, und darum haben Sie mich heute an Stelle Ihres Gatten zum Schlachtopfer erkoren.“

„Durchaus nicht.“ erwiederte ich rasch; „das geschah zur Vorbereitung auf Ihren eigenen zukünftigen Haushalt!“

„Niemals!“ erwiederte er mit einem plötzlichen Rückfall in die düstere Weltfeindlichkeit. Aber wir zogen ihn bald wieder heraus. Der Unsinn [620] blühte weiter, und mitten in der Lustigkeit rief Klara aus vollem Herzen: „Ach, was ist es doch für ein Glück auf der Welt zu sein!“

Brandt sah sie an wie ein Wunderthier. „Fühlen Sie sich wirklich ganz glücklich, Fräulein Klara?“

„Ja, und aber wie! Ich möchte immer jubeln und singen, daß es mir so gut geht. Wohin ich im Sommer sehe, stehen vierblätterige Kleeblätter –“

„Die bedeuten Dir ein großes Glück, Klara.“

„Ich habe es ja jetzt schon,“ rief sie fröhlich; „die Welt ist so schön, der Papa ist so gut gegen mich, und Sie sind es, obgleich ich so dumm bin, und dann ist mein Eichhörnchen und meine Blumen, und – und der heutige Abend – die guten Frikandellen –“ fuhr sie hastig fort, hielt aber vor unserem schallenden Gelächter erschrecken inne, ob sie wieder einmal etwas recht Dummes geschwatzt habe.

Ich faßte sie rundum: „Ja, Du hast Recht, lieber Schatz, der Himmel erhalte Dir Dein Glück und vergrößere es jeden Tag!“

Brandt sah sie den Abend mehrmals ganz gedankenvoll an. Bisher hatte er sie als „gründlich unbedeutendes Geschöpf“ verachtet; nun schien ihm eine Ahnung aufzugehen, daß das vielgesuchte Glück vielleicht dem Einfachen näher sei als dem Komplicirten. Aber um das zu begreifen, ist er doch, glaube ich, mit all seiner Gescheitheit nicht gescheit genug.

Es ging gegen Neune; das ist für Neustädter Begriffe schon eine vorgerückte Stunde, und ich sann eben darüber nach, wie wir zwei Unbeschützten unsern Gast am besten verabschieden könnten. Plötzlich – ein wohlbekanntes heiseres Gekläff auf der Treppe, ein rascher Schritt hinterher und eine liebe Stimme – Hugo! Emmy! – da stand er in der Thür und sah uns verwundert an. Ich flog ihm an den Hals und freute mich furchtbar: das ist doch das sicherste Zeichen, wie lieb man Einen hat, wenn sein unerwarteter Anblick eine solche Seligkeit erweckt!

„Ich konnte es nicht mehr aushalten, Schatz,“ flüsterte er mir ins Ohr; ich glaube, er wäre froh gewesen, mich allein zu haben. Aber er benahm sich trotzdem sehr liebenswürdig gegen Brandt und Klara und litt nicht, daß sie gleich fortgingen. Wir erzählten ihm unsere Thaten; er war ganz gerührt über soviel Aufopferung. Plötzlich hob er die Nase:

„Was tausend, Ihr habt wohl Frikandellen gegessen?“

„Jawohl,“ sagte Brandt, „und sie waren ganz vorzüglich.“

„Die könntest Du bald wieder einmal machen lassen, Emmy; ich esse sie doch eigentlich sehr gern!“

Muckel warf ihm einen seiner heimtückischen Schielblicke zu, aber es half nichts mehr: der Sieg war mein! Ich werde ihn aber mit Mäßigung benützen. Und hiermit grüßt Dich heute mit einem ganz enormen Selbstbewußtsein
Deine Emmy.




Von der Camorra.

Das Wort ist seit lange in den Sprachgebrauch aller Völker aufgenommen, und wo nur immer mächtige und einflußreiche Personen zur gewaltthätigen oder verkappten Ausbeutung ihrer Mitbürger zusammentreten, da sagt man: es ist eine Camorra.

Was aber die echte ursprüngliche, nur in Neapel einheimische Camorra sei, woher sie stamme und was sie zusammenhalte, das pflegten selbst Diejenigen nicht genau zu wissen, die von dieser geheimnißvollen, unsichtbaren und allgegenwärtigen Macht wie von eisernen Klammern umstrickt waren. Ich sage „waren“, denn zum Glück gehören die Zustände, von denen hier die Rede sein soll, zum größeren Theil der Vergangenheit an: ermöglicht es doch heutigen Tags schon der leichtere Verkehr einem von der Camorra Bedrängten, seine Zelte abzubrechen und den Schlingen, die er nicht durchreißen kann, wenigstens zu entschlüpfen.

Während der tiefen Geistesnacht aber, die unter der bourbonischen Regierung über Neapel lag, mußte sich der Eingeborene wie der Fremde auf Schritt und Tritt in diesem großen Spinnennetz verfangen, das sich über das ganze Königreich beider Sicilien ausdehnte.

Am Bahnhof wie am Landungsplatze der Schiffe, auf der Haltestelle der Fiaker, am Bureau des Lotto, auf dem Markte, am Schenktisch, allüberall wo Geld ausgegeben und eingenommen wurde, ja – wie von Einigen behauptet wird – sogar am Opferstock stand der unbekannte Steuereinnehmer, der von jedem Geschäft, von jeder Vergnügungsausgabe, selbst von dem Almosen seinen Zehnten einforderte. Und so wenig es heute einem friedlichen Bürger einfallen würde, die Zahlung der Gemeindesteuer zu verweigern: so wenig dachte der Neapolitaner von damals daran, zu rebelliren, wenn der tyrannische Eintreiber mit goldenen Ringen und Ketten belastet vor ihm erschien und, gelassen an die Mütze greifend, mit den lakonischen Worten: „Für die Camorra!“ seinen Zins erhob.

Gegen dieses Erpressungssystem gab es für den Einzelnen keine Hilfe; zwar waren nur Männer aus dem Volk als Camorristen bekannt; aber es ist gewiß, daß sich die Verzweigungen der Organisation bis in die höchsten Gesellschaftsschichten erstreckten und daß alle Aemter mit dieser Fäulniß durchsetzt waren: gegen einen Schützling der Camorra fanden sich meist weder Zeugen noch Richter, und die Thatsachen selbst, die gegen ihn sprachen, verschoben sich in Kurzem auf so wunderbare Weise, daß auch dem unparteiischsten Gerichtshof der Muth sinken mußte, ein „Schuldig“ abzugeben.

Verschiedene kleine Gewerbe entrichten übrigens noch heute einen direkten Tribut an die Camorra, z. B. die Droschkenkutscher, die Fischhändler etc. Dafür genießen sie aber eine gewisse Sicherheit, die der Staat seinen pünktlichen Steuerzahlern nicht immer zu gewähren im Stande ist. Der friedliebende Handwerker und der ängstliche Kleinbürger werden daher nur ungern den starken Arm entbehren, der sie an Unterwerfung hielt, aber zugleich beschützte. Als die italienische Polizei gleich nach Einverleibung der Provinz Neapel die Camorra mit Stumpf und Stiel auszurotten suchte – der Eifer hat seitdem merklich nachgelassen – war der Jammer unter den niederen Gewerbtreibenden groß.

Die reichste Quelle jedoch floß und fließt der Camorra noch heute aus jeder Art von unehrenhaftem Gewerbe sowie aus dem Spiel, der Nationalleidenschaft des Neapolitaners. Ob friedliche Bürger nach Sonnenuntergang vor der Hausthür saßen und die Karten mischten, ob zerlumpte Lazzaroni Nachts in einem schmutzigen Kafé um ihre wenigen gestohlenen oder erbettelten Kupfermünzen spielten: überall fand der Camorrist sich ein, überwachte mit strengem Auge das Spiel und empfing, sobald es zu Ende war, vom Sieger den zehnten Theil des Gewinnes. Wenn Streit entstand, wenn falsch gespielt wurde, so rief man seine Entscheidung an. Seine Sentenz, die meist gerecht war, galt für unanfechtbar, und im Nothfall war er auch bereit, allein gegen ein Dutzend Gegner mit gezogenem Messer dem Recht zum Siege zu verhelfen.

Diese verrufenen Spelunken, in denen es der bourbonischen Polizei nicht geheuer war, standen einzig und allein unter der Aufsicht der Camorra, die sogar eine gewisse Ordnung daselbst aufrecht erhielt, Mord, Raub und andere Ausschreitungen verhütete mit Ausnahme derer, die sie selbst beging. Zuweilen konnte es denn allerdings geschehen, daß sich ein zweiter Camorrist, der dem ersten unbekannt war, am Orte einfand, um den Zehnten für sich selbst in Anspruch zu nehmen. In solchem Falle wurden aber nicht die Spieler doppelt taxirt – höchste Loyalität im Geschäftsverkehr ist eine Haupteigenschaft der Camorra – sondern das Messer hatte zwischen den Konkurrenten zu entscheiden. Das streitige Geld wurde auf den Boden gelegt; die Gegner stürzten mit gezückter Waffe auf einander, und der Kampf endete nicht eher, als bis einer von beiden blutend am Boden lag. Wenn die Polizei endlich herbeieilte, so beobachtete der Verwundete das tiefste Stillschweigen über die Person des Thäters und der Sieger stieg in der Camorra an Ehre und Ansehen, auch wenn er einen Genossen getödtet hatte.

Häufig fällt dem Camorristen auch die Rolle des Friedensrichters in seinem Stadtviertel zu, denn in Rechtsstreiten, wo der arme Mann sich vor langwierigen und unsicheren Processen fürchtet, ruft man seine Vermittlung an, und es werden mitunter von solchen Camorristen salomonische Urtheile, die eines Sancho Pansa würdig wären, berichtet. Für einen Klienten, der sich unter seinen Schutz gestellt hat, ist der Camorrist auch bereit, die eigene Haut zu Markte zu tragen. Daher verschmähen es selbst Personen von Rang gelegentlich nicht, für sich und die Ihrigen die Dienste der Camorra anzunehmen.

So erzählt John Peter in seinen reizenden „Etudes napolitaines“ von einem Mann in hoher Stellung, der eines schönen Tages ganz unerwartet den Besuch eines Camorristen, seines Nachbars, erhielt.

Pulpetiello (ein Spitzname, so viel wie kleiner Polyp) macht seinen Kratzfuß.

„Eccellenza reisen morgen nach Rom,“ redet er den Erstaunten an – „Ihre Frau und Tochter bleiben hier allein; sie möchten gewiß gern des Abends allein ausgehen, ihre Hühner und Eier, das Obst aus ihrem Garten in Ruhe essen können. [621] Auf mein Wort, das will ich möglich machen. Wenn Eccellenza mir während Ihrer Abwesenheit ein monatliches Almosen von sechs Franken gewähren wollen, so werden Sie sehen, was ich für meine Herrschaft thun kann.“

Da das Stadtviertel unsicher ist, spielt die Eccellenza nicht den Spröden, sondern geht auf Pulpetiello’s Vorschlag ein. Vier Monate lang war der Familienvater abwesend; während dieser Zeit gingen Frau und Tochter Abends mit voller Sicherheit aus, von stummen, geheimnißvollen Trabanten eskortirt. Auch Garten und Hühnerstall wurden verschont, während man sonst in jenem Stadtviertel von Nichts als Raub und Einbruch reden hörte und selbst dem Geistlichen des Sprengels der Garten ausgeplündert wurde.

Eben so bezeichnend ist die Geschichte jenes Uhrmachers, eines braven Schweizers, der allen Camorristen seines Viertels unentgeltlich die Uhren reparirte. Dies hatte seinen besonderen Grund.

Im Jahre 1856, so erzählt Peter, als dieser Schweizer sich eben in Neapel etablirt hatte, kam ein Unbekannter zu ihm in den Laden und stahl ihm eine sehr werthvolle Uhr, die er zu repariren hatte. Der arme Mann rennt auf die Polizei, wo man wenig Notiz von ihm nimmt; er soll warten, heißt es, bis der Inspektor von seinem Sommeraufenthalt in Castellamare zurückkommt. In seiner Noth wendet sich der Schweizer an einen wohlbekannten Camorristen, der sich das Signalement des Diebes geben läßt und zu helfen verspricht. Gegen Mitternacht legen sich Beide in einer Gasse von Alt-Neapel in einem Thorweg auf die Lauer und sehen allerlei nächtliche Vögel vorüberstreichen, denn es ist die Zeit, wo die Spitzbuben zur Ruhe gehen. Der Uhrmacher reißt die Augen auf, so weit er kann, um in der Dunkelheit seinen Dieb ausfindig zu machen; endlich erkennt er ihn an dem herausfordernden Gang und dem kleinen Hütchen, das keck auf dem Ohr sitzt, und zeigt ihn dem Camorristen. Dieser stürzt sich auf den Gauner, packt ihn an der Gurgel und fordert ihm unter wuchtigen Faustschlägen seinen Raub ab.

Nach Luft schnappend zieht der Dieb demüthig die gestohlene Uhr hervor; die Kette kann er jedoch nicht mehr herausgeben; denn die ist schon versetzt.

„Führe uns zum Pfänderverleiher!“ herrscht ihn der Camorrist an, ohne seine Beute fahren zu lassen. Der Dieb gehorcht, und bald stehen sie vor der Thür des Hehlers. Mit dröhnender Stimme ruft der Camorrist den alten Wucherer heraus, faßt ihn am Kragen, führt ihn mit sich in seinen Schlupfwinkel zurück, von wo er bald, die Kette in der Hand, triumphirend wieder herauskommt. Unser Schweizer hatte 15 Franken zu bezahlen und mußte sich außerdem von dem Camorristen umarmen lassen, der ihn bei dieser brüderlichen Umhalsung stark mit Knoblauch parfümirte. Von dieser Zeit an nahm der Schweizer stets die Partei der Camorra, wenn Jemand Uebles von ihr sprach.

Das denkwürdigste Beispiel dieser Art ist übrigens gewiß dem bekannten russischen Schriftsteller Alexander Hertzen widerfahren, als ihm im Februar 1848 das Portefeuille mit seinem Gesammtvermögen, bestehend aus Bankbilletten, Wechsel- und Kreditbriefen in den Straßen von Neapel abhanden gekommen war und ihm, nachdem die Polizei sich völlig ohnmächtig erwiesen hatte, durch ein paar zerlumpte Männer aus der Hefe des Volks wieder zugestellt wurde.

Aus allem bisher Gesagten geht hervor, daß die Camorra, so verderblich und demoralisirend auch ihr Einfluß im Ganzen sein mag, doch in einzelnen Fällen Gutes gewirkt hat und sogar in Zeiten politischer und socialer Auflösung ein Element der Ordnung gewesen ist. Von ihrer eigenen Ehrenhaftigkeit und Berechtigung ist sie jedenfalls aufs Tiefste überzeugt und hält streng auf point d’honneur, wie denn vor Aufnahme eines neuen Mitglieds die moralischen Eigenschaften desselben (il suo

Am Totalisator auf dem Rennplatze zu Charlottenburg.
Originalzeichnung von H. Albrecht.

[622] morale, lautet der technische Ausdruck) einer genauen Prüfung unterliegen.

Neben dieser Art von Banditentreue, die man auch anderwärts bei halbverwilderten Menschen findet, sobald sie nur durch eine strenge Disciplin und den Glauben an ihre gute Sache moralisch gehalten werden, finden sich noch andere lobenswerthe Züge, die im Camorristen eben den Sohn der „dolce Napoli“ kennzeichnen. So die Fürsorge für die Familien gefangener oder getödteter Genossen, die Rücksicht auf die alten im Dienst ergrauten Häupter, auch wenn sie längst in Ruhestand getreten sind – ein solcher Veteran der Camorra heißt in der Sprache der Sekte ein camorrista proprietario und genießt ein patriarchalisches Ansehen – ferner die unauslöschliche Erkenntlichkeit für erwiesene Wohlthaten, wenn sie wirklicher Menschenliebe und nicht der Furcht entsprangen.

Unser trefflicher Gewährsmann Peter, der seit lange das Amt eines Pastors der protestantischen Gemeinde in Neapel bekleidet, erzählt von einem Freunde, der wegen seiner Wohlthätigkeit allerwärts bekannt war und unter Anderm auch die Mutter eines gefangenen Camorristen, ohne den Grund ihrer Noth zu kennen, unterstützt hatte. Die Camorra blieb ihm dafür dankbar und bewies es zu öfteren Malen. Als er starb, folgten viele Camorristen seiner Bahre und kehrten Tags darauf noch einmal an das Grab zurück, das vom Volke schon ganz mit Blumen überschüttet war. Ihre Dankbarkeit für den Todten übertrugen sie auf den überlebenden Freund, und Herr Peter hat mehrfach Gelegenheit gehabt, der treulichen ihm von Camorristen erwiesenen Dienste rühmend zu gedenken.

Diese Gesellschaft, so stark nach innen und außen, mit hundertjährigen Traditionen und vererbtem Recht, getragen von unten und beschirmt von oben, mit der Polizei auf dem Fuße gegenseitiger Toleranz, übte natürlich auf das furchtsame und jedem Eindruck zugängliche neapolitanische Volk einen wunderbaren Bann aus; ihr anzugehören mußte Jeder wünschen, der lieber bei den Unterdrückern als bei den Unterdrückten stand. Und so wiederholte sich von Generation zu Generation der traurige Fall, daß alle mannhafteren Elemente der niederen Bevölkerung einer geheimen Verbrüderung zuströmten, deren Endziel das Verbrechen ist, und daß es für den jungen Neapolitaner, wenn er irgend hervorragende persönliche Eigenschaften besaß, keinen höheren Ehrgeiz gab, als Camorrist zu werden.

Doch ward der Eintritt Keinem leicht gemacht. Bei der Camorra dient man von der Pike auf; der Aspirant muß schon früh Beweise von körperlicher Kraft und Gewandtheit, von Muth, Standhaftigkeit und Kaltblütigkeit gegeben haben.

Im persönlichen Dienst eines „Picciotto“ – die Erklärung dieses Grades wird später folgen – macht er als „giovane onorato“ oder, wie ihn Andere mit mehr Berechtigung nennen, als „garzone di mala vita“ seine erste oft viele Jahre dauernde Lehrlingszeit durch. Er ist gewissermaßen der Laienbruder dieses Ordens. Er führt blindlings jeden ihm gewordenen Befehl aus, ist stets bereit, vor der Justiz die Missethaten seiner Kameraden oder Vorgesetzten auf die eigenen Schultern zu nehmen; er trägt geduldig die härtesten Entbehrungen und Mißhandlungen; an der Beute, die er selber macht, hat er keinen Antheil, und wenn ihm der „Picciotto“, in dessen Diensten er steht, nur ein Stück Brot reicht, so muß er es als eine Gnade erkennen. Ein im Auftrag des Vorgesetzten verübter Todtschlag oder ein glücklich ausgeführter „sfregio“[1] beendigt die Prüfungszeit. In Ermangelung solcher Gelegenheiten hatte der Kandidat ein meist ungefährliches Duell mit einem durch das Los gezogenen „Picciotto“ zu bestehen, worauf er selbst als Picciotto oder besser gesagt als „Picciotto di sgarro“[2] in den aktiven Dienst der Camorra trat.

In früheren Jahren, als die Bedingungen noch härter waren, soll die Aufnahmeprüfung darin bestanden haben, daß man eine Kupfermünze auf den Boden legte und daß alle Versammelten gleichzeitig mit ihren langen Messern danach stachen; der Kandidat mußte mit bloßer Hand das Geldstück zwischen den Messern hervorholen. In unserer Zeit scheint ein einfacher Aderlaß, durch irgend einen Barbier der Camorra in Anwesenheit von zwei Camorristen und drei Picciotti an dem Kandidaten vollzogen, die einzige Ceremonie zu sein; angesichts des rinnenden Blutes hat der Neuling Treue und Gehorsam zu schwören.

Nun beginnt für ihn ein neues, bei Weitem gefährlicheres Noviziat. Er tritt in den unentgeltlichen Dienst eines Camorristen, der ihm nach Gutdünken jede Herkulesarbeit aufladen kann und ihm keinen Antheil am Erwerb schuldig ist. Was er selber „verdient“, liefert er pflichtgetreu in die Hände seines Vorgesetzten aus.

Auch diese Knechtschaft läßt er willig über sich ergehen. Eine glänzende That, eine Probe der Treue und Hingebung an die Gesellschaft sichert endlich seine Beförderung. Diese Probe bestand gewöhnlich darin, daß der „Picciotto“, sobald sein Vorgesetzter eine Missethat begangen hatte, alle Indicien der Thäterschaft auf sich selber lenkte und vor Gericht die Schuld des Camorristen übernahm. Wohl konnte er sich dadurch zehn, ja zwanzig Jahre Zwangsarbeit zuziehen, aber er bekränzte sich in den Augen seiner Genossen mit unvergänglichem Ruhm und stieg selber zum Camorristen auf. Aus Zeiten verschärfter Verfolgung der Camorra wird sogar der Fall erzählt, daß ein „Picciotto“, ohne wankend zu werden, die Todesstrafe für seinen Camorristen erlitt.

Andere avanciren, indem sie einen gefährlichen Gegner der Camorra aus dem Weg räumen. So jener Raffaelle Esposito, von dem John Peter in seinem Aufsatz „La Camorra en 1881“ erzählt. Derselbe erschoß einen allgemein verhaßten Polizei-Agenten, welcher der Camorra grimmigen, erbarmungslosen Krieg erklärt hatte. Die Nachbarschaft huldigte ihm wie einem Befreier; man gab ihm ein großes Bankett und er zog wie ein Triumphator unter einem Regen von Blumen und Bonbons durch die Straßen. Als er verhaftet wurde, eröffnete das Volk eine Subskription, um ihm einen Vertheidiger zu bezahlen, und die Regierung war gezwungen, seinen Proceß in Viterbo führen zu lassen, da die Richter in Neapel ihres Lebens nicht sicher gewesen wären. Er wanderte auf dreizehn Jahre in das Zuchthaus, aber das große Ziel seines Lebens war erreicht: er war noch am Tage der That vom „Picciotto“ zum Camorristen avancirt. Welchen Werth dieser Titel in der Gefangenschaft hat, werden wir später sehen.

Nicht immer findet sich jedoch Anlaß zur Großthat oder zum Martyrium; in diesem Fall bietet die Camorra, der daran gelegen ist von Zeit zu Zeit junge Kräfte aufzunehmen, einem Aspiranten „von guter Moral“ eine andere Gelegenheit zur Auszeichnung. Der „Picciotto“ darf einen Camorristen, welcher ihm übrigens auch durch das Los bestimmt werden kann, zum Zweikampf mit dem Messer herausfordern. Dieses Duell ist viel ernstlicher als das, welches der „giovane onorato“ zu bestehen hatte; es findet in geschlossenem Raume statt und geht häufig auf Tod und Leben. Der Verwundete wird von seinen Kameraden aus der Kammer getragen und einfach auf die Straße gelegt, wo ihn alsdann Vorübergehende, die häufig von der Camorra schon benachrichtigt sind, aufheben[WS 1] und ins Spital schaffen. Bleibt der „Picciotto“ Sieger, so erfolgt die Aufnahme unter allerlei feierlichem Hokuspokus, der die völlige Hingabe des Adepten an die Camorra symbolisch darstellt. Schließlich schwört der Neuling über einem Krucifix oder über zwei gekreuzten Messern (was dieselbe Bedeutung hat) der Gesellschaft Treue auf Leben und Tod; er wird der Reihe nach von seinen neuen Kameraden umarmt, und das Haupt der Versammlung stellt ihn allen Anwesenden vor mit den Worten: „Ecco l’uomo!“ (Seht den Mann!) Von dieser Stunde an nimmt er an allen Rechten, Ehren und Einnahmen der Genossenschaft Theil.

In früheren Zeiten hatte die Camorra in jedem Stadtviertel ein kleines Centrum, eine sogenannte „paranza“. Heute ist die Zahl derselben bedeutend zusammengeschmolzen, aber nach wie vor wählt jede dieser kleineren Korporationen aus ihrer Mitte den Tüchtigsten und Verwegensten zum Oberhaupt unter dem Titel „capoparanza“. Dieser Chef ist die höchste bekannte Behörde der Camorra; höher hinauf dringt kein Auge, und es ist schon viel darüber gestritten worden, ob die Camorra in den oberen und obersten Schichten der Bevölkerung wirkliche Mitglieder oder bloße [623] Gönner zähle. Gewiß ist, daß kein Angehöriger der niederen Camorra alle Fäden kennt, die durch seine Hände laufen; ein Jeder sieht nur, was unmittelbar über ihm und was unter ihm steht.

Die Bedeutung eines solchen Chefs, der keine geschriebenen Gesetze zur Seite hat, hängt einzig und allein von der Gewalt seiner Persönlichkeit ab. Ein gewisser großer Stil ist für ihn unerläßlich, und er muß jeden Augenblick bereit sein, eine Meuterei niederzuwerfen und sich allein zwischen die Messer aller seiner Kameraden zu stürzen. Eine Fülle von Ringen und Schaustücken aller Art, worunter der breite Messingreif am Mittelfinger nicht fehlen darf, kennzeichnet ein Haupt der Camorra. Seine amtlichen Funktionen sind jedoch ziemlich beschränkt; jede wichtige Entscheidung muß dem Rath vorgelegt werden, in welchem jeder Camorrist eine Stimme hat. Noch unlängst brachten die italienischen Journale eine Reihe neuer Enthüllungen über die Camorra, aus denen hervorgeht, daß über den gewöhnlichen Versammlungen innerhalb der „paranza“ noch eine höhere Instanz steht, das große Tribunal oder die „gran mamma“, wie die officielle Bezeichnung der Camorristen lautet. Neapel besäße demnach im Augenblick drei solcher großen Tribunale, deren Jurisdiktion je ein Drittel der Stadt umfaßt. Diese Tribunale haben über die schwereren Vergehen der Mitglieder der Camorra zu richten und treten – vielleicht um den Schreck, der von ihnen ausgeht, zu vermehren – mit Vorliebe am Freitag zusammen.

Der Präsident heißt „u prence e testa d’oro“[3]; er thront auf einem großen Faß, während die andern richterlichen Sitze durch kleinere Fässer dargestellt sind. Meist figurirt ein altes Weib „a spagara“ als Staatsanwalt; sie hält einen langen Bindfaden (spago) mit den Zähnen, den sie während der ganzen Verhandlung beständig zwischen den Fingern durchzieht, wie um symbolisch das Abspinnen des Processes darzustellen, und mag bei dieser Beschäftigung recht einer Parze gleichen. Ist der Beklagte ein „Picciotto“, so hat er das Recht, bei dem Proceß anwesend zu sein und sich zu vertheidigen, während der „giovane onorato“ stets von den Verhandlungen ausgeschlossen bleibt. Von der Justiz der Camorra und der Willigkeit, mit der ihre Sentenzen vollzogen und erlitten werden, soll späterhin die Rede sein.

Am Sonntag wird unter den Mitgliedern jeder Sektion mit größter Gewissenhaftigkeit der „barattolo“ oder die „camorra“ vertheilt; so heißt nämlich außer der Genossenschaft im Allgemeinen insbesondere noch der die Woche über eingegangene Betrag an Steuern wie aller sonstige Erwerb. Ein Rechnungsbeamter, welcher „contarulo“ heißt, hält die Kasse und führt sorgfältig Buch über das Soll und Haben jedes Mitgliedes. Außerdem steht dem Chef, der häufig mit der Feder nicht sehr vertraut ist, noch ein Sekretär für seine Korrespondenz zur Seite, welcher nicht gerade der Camorra aktiv anzugehören braucht, ihr aber als Mitwisser ihrer delikatesten Geheimnisse Treue und Verschwiegenheit gelobt hat und eine Indiskretion mit dem Leben bezahlen würde.

Den schon angeführten Beispielen aus der Gaunersprache der Camorristen mögen hier noch einige der originellsten folgen. Ihr unzertrennlicher Gefährte, das lange breitgeschliffene, im Griff feststehende Messer heißt sehr euphemistisch „misericordia“, der Revolver „tic-tac“; einen Getödteten nennen sie „dormente“ (Schläfer), einen Bestohlenen „agnello“ (Schaf), einen gestohlenen Gegenstand „il morto“ (der Todte). Ein Oberhaupt der Camorra wird sehr respektvoll „masto“ (Meister) oder „capo-masto“ angeredet, der einfache Camorrist schlechtweg „compagno“ oder „si“ (Abkürzung von signore).

(Schluß folgt.)




Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Hängende Fäden.

Erzählung von A. Godin.
(Schluß.)

Tiefes Dunkel lag über der tausendjährigen Stadt und ließ kaum die Umrisse ihrer seltsamen Häuser unterscheiden, deren viele noch heute die Signatur ihrer Zeiten tragen, jener Zeiten, wo Auftraggeber wie Baumeister dem erwählten Schnitzwerk in Holz oder Stein gleichsam ihre innersten Gedanken aufprägten – Häuser, von denen manche sich ganz träumerisch vornüber neigen und auf den durch den Mittelbau laufenden Balken die wundersamsten Erfindungen zeigen, deren mittelalterliche Holzarchitektur hier den Charakter der Gothik streng festhält, während dort reich ornamentirter Steinbau späterer Zeit an den Portalen und unteren Stockwerken durch Motive der Renaissance die Aufmerksamkeit fesselt.

Von Alledem ließ sich in dieser Stunde zwischen elf Uhr[WS 2] und Mitternacht nichts erkennen. Zwar brannten alle Gaslaternen der Stadt; doch waren sie mit schwarzem Flor umgeben, der den verhüllten Flammen etwas Melancholisches verlieh, als wären sie heute nur da, um das Dunkel zu zeigen, das zu erhellen sonst ihre Bestimmung war.

Auch durch die Fenster der Häuserreihen drang nur gedämpftes Licht; sie waren dicht mit Menschen besetzt, deren Gestalten sich wie Schatten zeichneten, während die zahllose Menge, welche auf den Straßen Spalier bildete, als dunkle ununterscheidbare Masse erschien, wogend wie die Wellen eines eingedämmten Sees. Berittene Schutzleute hielten die Mitte der Straßen frei. Das Schweigen gespannter Erwartung lag gleich einem Bann über all den Tausenden; man vernahm nur kurzes, rasch abgebrochenes Flüstern, das mit den langsamen Hufschlägen dann und wann zusammenklang. Da schlug es Mitternacht von den Thürmen, und plötzlich ertönte ein militärisches Signal scharf und deutlich durch die Stille – nur wenige Takte, aber so schmetternd, daß ein Murmeln des Schauers über die Menge lief. Im nächsten Moment tönte eine Kanonensalve, und gleichzeitig begann es hoch in Lüften zu tönen – alle Glocken der Stadt regten ihre ehernen Stimmen.

Der Todeszug hatte sich in Bewegung gesetzt und nahm vom Bahnhofe aus seinen langsam vorschreitenden Weg nach dem Schlosse, umgeben von Nacht und Schweigen. Wie Gespenster, schattenhaft, ohne erkennbaren Umriß, zog das zahlreiche Geleite voran, bis schwacher Silber- und Fackelschimmer ein erschütterndes Bild in das Dunkel zeichnete. Auf hohem, silbernem, mit sechs Schimmeln bespanntem Wagen ruhte der Sarg, welcher Herzog Wilhelm’s sterbliche Hülle umschloß; zur Rechten und Linken ritt eine Reihe von Fackelträgern, deren flackernde Leuchten die breiten Silberflächen erschimmern ließen und die Kontouren der tief niederhängenden Trauerdecken der Pferde scharf hervorhoben. Und während diese düster feierliche Gruppe sich zwischen all den lautlosen entblößten Häuptern vorwärts bewegte, hallten unablässig die mächtigen Glocken, als sei die Luft in Schall verwandelt, als müßten diese erschütternden Laute nun in alle Ewigkeit so weitertönen.

Die Menge stand in feierlichem Schweigen – die Empfindung bemächtigte sich aller Gemüther, daß das Herrschergeschlecht, unter dessen Fürsten Glück und Wohlfahrt des Volkes sich steigend entwickelt hatten, erloschen war mit dem stillen Manne, den das von drei ruhmreichen Generationen seiner Väter bewohnte Schloß jetzt zum letzten Male beherbergen sollte. Noch lag die Zukunft des Landes verschleiert im Schoße dieser düstern Nacht.

Nur ein Bauwerk der Stadt stand glänzend erleuchtet: der Dom Heinrich’s des Löwen. Der goldene Lichtschein, welcher durch die hohen Fenster brach, warf schwache Reflexe auf die Krone der von diesem Fürsten gepflanzten Linde, auf den Löwen von Erz, welcher seit nahezu achthundert Jahren seinen Standpunkt auf hohem Sockel behauptet, und streifte die Mauerreste des herzoglichen Stammschlosses Dankwarderode.

Hier, auf dem Burgplatze, erwartete Major von Rüttiger mit seinen Kindern das Herannahen des Zuges unter dem Thorwege eines hochgiebeligen Hauses, dessen vorspringendes erstes Stockwerk und säulengeschmücktes Erdgeschoß hohes Alter verrieth. Es war dem raschen Soldatenblick geglückt, noch rechtzeitig eine der Stufen zu erobern, die zum Eingang hinaufführten. So stand er mit den Seinen rückenfrei und günstig.

[624] Lisbeth’s Künstlernatur wurde vom Eindruck des seltsamen Schauspiels stark erfaßt. Schon das schweigende Harren, Angesichts des leuchtenden Doms, des stummen Zeugen einer Vergangenheit, die nun ihren Abschluß gefunden hatte, ließ ihr Herz stärker klopfen; als dann die aufgewühlten Gedanken gleichsam leibhaftig in Bildern und Gestalten an ihr vorüberzogen, zitterte sie vom Scheitel bis zu den Füßen. Ihre Phantasie schwang sich dem verschwindenden Zuge nach und ließ sie einen Moment alles Gegenwärtige vergessen. So berührte des Vaters Wort: „Vorwärts jetzt, mit dem Strom, folgt mir auf dem Fuße,“ ihr Ohr nur wie von fern, bis sie auf einmal den Grund unter ihren Füßen verlor, indem aus dem Hause selbst, vor dem sie stand, wie auch dicht um sie her eine ganze Schar von Menschen vorwärts drängte. Nun fand sie sich von den Ihrigen getrennt, machtlos, nach eigener Wahl zu gehen oder zu stehen, fast des Athems beraubt in dem Knüttel von Gestalten, der sie von der eingenommenen Stufe hinabschob, und fühlte sich, trotz ihrer Beherztheit, einen Moment hilflos beängstigt. Da erfaßten sie von rückwärts starke Arme, hoben sie in die Höhe wie ein Kind und ließen sie erst wieder los, als sie sicher auf derselben Stufe stand, die sie eben unfreiwillig verlassen hatte. Noch nach Athem ringend, erblickte sie den Helfer in der Noth dicht neben sich und begegnete einem Gesicht, das die am Hause brennende Gaslaterne trotz des verhüllenden Flores deutlich genug erkennen ließ. Die blauen Augen, welche, der Zeit zum Trotze, noch immer durch ihre Träume blitzten, waren mit dem übermüthig strahlenden Blick auf sie gerichtet, der sich nie hatte vergessen lassen. Doch sprachen des jungen Mannes lächelnde Lippen kein Wort, behielten dazu auch kaum Zeit, denn der Major hatte nach wenigen Schritten seine Tochter vermißt, kam, eine Donnerwolke auf dem Gesicht, mit Anstrengung zurück und nahm die Säumige wie im Sturm mit sich hinweg.

Ein rasch geathmetes: „Danke!“ ein fragender Blick traf den jungen Mann, während sich des Vaters Arm in den der Tochter schob. Joachim Rank, denn er war es wirklich, lüftete den Hut, ohne den geringsten, in der That auch aussichtslosen Versuch zu machen, seinerseits ein Wort zu äußern, und Lisbeth gelangte, ohne von ihres Vaters Scheltworte viel zu hören, wie im Taumel nach Hause. Gegen ihre Gewohnheit gab sie der noch harrenden Mutter heute keinen Bericht des Geschauten, sondern drängte in ihr Zimmer, wo sie sich, ohne Licht anzuzünden, auf den Rand ihres Bettes setzte und in einen Strom von Thränen ausbrach.

Was war das? Welcher Stern oder Unstern führte ihr diesen Einen immer wieder zu, um ihn dann meteorgleich wieder entschwinden zu lassen? Warum dieser Tumult in ihr, dessen sie sich schämte und gegen den sie sich doch so widerstandslos fühlte? Sie wußte nicht einmal, ob der Künstler sie heute erkannt hatte – ganz sicher nicht, nach Jahren, deren tausend Erlebnisse die flüchtige Episode eines kurzen Begegnens längst verdrängt haben mußte. Und doch konnte sie sich eines unbegreiflichen Glücksgefühls nicht erwehren, ihn hier zu wissen, sich nicht des Glaubens erwehren, daß sie ihn wiedersehen würde. Das Schicksal konnte doch nicht zwei Menschen, wie ein paar Sandkörner, so oft zusammen und wieder aus einander wirbeln, ganz ohne Plan und Sinn! Fast unmöglich erschien ihr, daß der eben erlebte Augenblick keine Folge haben sollte, und doch war sie sich bewußt, wie geringe Wahrscheinlichkeit dazu bestand. Ohne Zweifel war Rank auf dem Wege nach Berlin, hatte in Braunschweig nur verweilt, um das Ereigniß der Nacht zu schauen, und würde die Stadt wieder verlassen. Sie war vor Kurzem dem Namen, nach welchem sie in jedem Bericht über Künstlerisches spähte, in einem Berliner Blatte begegnet, das eines ehrenvollen Auftrags erwähnte, der Joachim Rank von Staatswegen zugetheilt worden sei. Sie wußte längst aus ähnlichen Quellen, daß der junge Künstler bereits in Rom durch sehr gerühmte Schöpfungen Ruf und Ruhm gewonnen hatte; ein illustrirtes Blatt, das sein Portrait und die Reproduktion einer kleinen Marmorgruppe seines Meißels brachte, war in ihrem Besitz. Lange saß sie regungslos in Sinnen und tiefe Träumerei verloren; dann erhob sie sich, fachte Licht an und nahm dies Blatt aus ihrem Schränkchen. Das Bildniß Rank’s lag vor ihr; eine leise Kopfbewegung übte strenge Kritik – das waren ja doch seine Augen nicht! Als sie aber die Seite umschlug, begann ihr Herz von Neuem rasch zu schlagen! die antik schönen Gestalten, die edlen Köpfe dieser Dioskuren erschienen ihr vollkommen, und ein Stolz, wie nur das Weib ihn kennt: der hohe freudige Stolz auf die Größe des geliebten Mannes, schwellte ihre Brust.

Als Lisbeth ihr Lämpchen löschte und ihr Lager einnahm, schlug es zwei Uhr. „Ein neuer Tag –“ dachte sie, und mit einem Gefühl tiefer Ruhe, das sich weich und warm über sie breitete, schlief sie ein.

Vielleicht war es doch nur die kaum eingestandene Zuversicht, während des weiteren Verlaufes der Trauerfeierlichkeiten nochmals mit Rank zusammenzutreffen, was Lisbeth mit solcher Frische in die nächsten Tage hinein leben ließ. Das Strahlende ihres ganzen Seins fiel der Mutter auf; wenn Lisbeth aber wiederholt die Regung empfand, auf das leise Tasten vertraulich zu antworten, fühlte sie es doch als unmöglich, etwas von dem, was in ihr vorging, zu äußern. Es gab ja im Grunde nichts zu vertrauen! Im Gegentheil flüsterte tief innen die Ueberzeugung, daß vor einem lauten Worte Alles entfliehen müßte, was jetzt so lieb heimlich und hoffend in ihr blühte. Bei Alledem mochte sie aus eigener Initiative keinen Schritt auf die Straße thun, folgte hierbei nur bestimmten Aufforderungen des Vaters.

Weder im Schlosse, wo der Herzog aufgebahrt lag, noch während des großartigen Begräbnisses begegnete ihr die Gestalt, welche nun wirklich wie ein Traumbild vorübergeglitten war. Da ergriff plötzliche Muthlosigkeit ihr Gemüth so heftig, daß sie davor erschrak und mit Aufgebot aller trotzigen Herzenskraft, die durch kein Entsagen, kein tödliches Einerlei ihrer Tage gebrochen war, sich dagegen zur Wehr setzte. Sollte sie sich gestehen, daß sie wirklich vier Jahre lang so thöricht gewesen sei, auf das Wahrwerden eines Traumes zu warten, eines Traumes, den sie ganz allein geträumt?

Das Leben kam ihr auf einmal völlig sonnenlos vor, die selbstergriffene Aufgabe, kleine Bildchen zu erfinden, die als bunt lithographirte Karten in die Welt hinausgingen, erschien ihr so ärmlich, das Leben so lang, der Himmel so fern! Des Dichters Wort, daß jedes Herz etwas hoffen, wünschen, sorgen müsse, kam ihr trostlos zum Bewußtsein. Oft richtete sie im Stillen den Blick auf ihre Mutter. Wie hatte die es wohl angefangen, sich unter allem Druck und so wenigen Freuden, unter Tagesmühen und vielerlei Verdruß den Gleichmuth, ja, mehr noch, den anmuthigen, leicht geweckten Humor zu bewahren? Sie war doch auch einmal jung gewesen!

Solche Betrachtungen gingen eben wieder durch Lisbeth’s Kopf als sie, acht Tage nach der Nacht, die sie so stark berührt hatte, mit Stift und Farben hantirend, an ihrem Giebelfenster saß und, ärgerlich auf sich selbst, daß es ihr nicht glücken wollte, froh zu werden, ein Inventar all ihrer stillen Freuden aufstellte, um damit dem Gefühl heimlichen Darbens siegreich entgegen zu treten. Lieblich glitt der Gedanke an den „kleinen Schatz“ ihrem Geiste vorüber. Sie lächelte, sah nach der Uhr und unterbrach ihr Werk einen Moment, um eine Chokoladecigarre an buntem Faden zu befestigen, den sie nicht vom Knäuel schnitt. Der blonde Liebste mußte bald seines Weges kommen, denn schon strebten seine Kamerädchen der Fräuleinsschule zu, während er sich wohlweislich erst mit dem Stundenschlage einzustellen pflegte. Heute ließ sich aber nichts sehen, obgleich die Glocke bereits ihr Neun verkündigt hatte. Lisbeth legte die bereit gehaltene Spende bei Seite und begann wieder fleißig zu arbeiten, bis ein zufälliger Blick auf die Straße sie heftig zusammenfahren ließ. Dicht vor dem Stacket, doch ohne durch dasselbe einzutreten, stand ihr kleiner Schatz, und neben ihm, des Bübchens Hand in der seinigen haltend, die schlanke Gestalt Rank’s. Beider Köpfe waren aufwärts gerichtet, und trotz des Schrecks, der Lisbeth durchzitterte, fiel ihr in diesem Moment eine schlagende Aehnlichkeit beider Gesichter auf. Unfähig sich zu regen, blickte sie unverwandt hinab, ohne die sehr ausdrucksvollen Zeichen des Kindes zu erwiedern. Erst als Rank grüßte und sie das Erglühen ihrer Wangen empfand, erhob sie sich wie von einer Feder geschnellt, doch nicht, um das Fenster zu öffnen, sondern um von demselben zu verschwinden.

Beide Hände gegen das klopfende Herz gedrückt, stand sie, ohne zu begreifen, weßhalb sie floh, was sie so sehnlich herbeigewünscht hatte, und wagte, von tiefster Scheu erfaßt, doch nicht,

[625]

Batterie zum Galopp übergehend.
Nach einer Radirung von Hans W. Schmidt.

[626] sich dem Fenster wieder zu nähern, das ihr nun auch sicherlich die leere Straße gezeigt hätte. Da vernahm sie ein Geräusch im Vorzimmer und gleich darauf öffnete ihre Mutter die Verbindungsthür und sagte:

„Du bekommst Besuch, Lisbeth!“

Der kleine Schüler, welcher auf der Schwelle erschien, zeigte sich in diesem Moment bei weitem nicht so keck wie von fern. In reizender Unbeholfenheit stand er da, das grüne Ränzel auf dem Rücken, ein blödes Lächeln auf dem hübschen Gesicht, und streckte das rechte Händchen, womit er eine Karte krampfhaft festhielt, pfeilgerade vor sich hin.

Ein Strom von Freude nahm bei seinem Anblick alle Spannung, alles Beengende von Lisbeth’s Seele. Des Menschen Herz ist ja ein Orakel, das mehr weiß als alle Profanen – es verkündete dem Mädchen in diesem Moment, daß sein Glück hier eingetreten sei.

,Nun?“ rief sie mit strahlenden Augen, „komm doch!“ und breitete, niederkniend, beide Arme aus. Noch ein wenig unschlüssig schob der kleine Gast sein Mäulchen vor, dann rannte er plötzlich auf Lisbeth zu und ließ sich, hell aufjauchzend, von ihr fassen – freilich nicht halten, denn schnell genug machte er sich los und rief: „Du! ich muß ja ausrichten!“ wobei er sich bückte, um das ihm entfallene Kärtchen vom Boden aufzunehmen, sich dann ein Weilchen besann und mit der Wichtigkeit, womit kleine Leute alles Eingelernte betonen, hersagte:

„Um Antwort wird gebeten.“

Die Visitenkarte in Lisbeth’s Hand trug Joachim Rank’s Namen, darunter stand mit Bleistift geschrieben:

„Der Malonkel frägt an, ob die Fenstertante zu schicklicher Stunde seinen Besuch gestattet.“

Ihr Auge hing an den Scherzworten, als läge darin eine tiefe Räthselfrage verborgen, über die man erst lang nachsinnen müßte. Jedenfalls dauerte ihr Schweigen dem kleinen Boten zu lang.

„Sag’ doch was,“ rief er, an Lisbeth’s Kleide zupfend. „Um Antwort wird gebeten, und ich muß jetzt endlich in die Schule!“

Lisbeth neigte sich und küßte das Kind.

„Sage: Willkommen,“ flüsterte sie, wandte sich schnell ab und haschte, den Scheiben so fern wie möglich bleibend, nach dem kleinen Geschenk, das auf ihrem Arbeitstische lag. Der Schatz streckte aber keine Hand nach der lockenden Chokolade aus, sondern rief: „Am Faden! am Faden!“ und rannte davon.

Lisbeth zögerte ein kurzes Weilchen; dann trat sie entschlossen vor, öffnete den Fensterflügel und ließ den rothen Faden nieder, der von den bereits harrenden Händchen schnell erfaßt wurde. Hell blickte Rank zur Spenderin auf und erhob leicht, kaum merklich, seine Rechte. Da blitzte ein Strahl alten Uebermuthes in des Mädchens Gesicht, und – ob gewollt, ob entschlüpft, wer könnte das errathen, des Fadens Knäuel flog hinab. Indem er geschickt aufgefangen wurde, trafen zwei leuchtende Augenpaare einander über lächelnden Lippen. Dann war das Bild im Rahmen entwichen.

„Nun sag’ mir doch, was dies zu bedeuten hat?“ fragte die Mutter, Rank’s Karte in der Hand, als Lisbeth’s heißes Gesicht sich zu ihr wendete.

„Gutes, Liebes!“ athmete diese und fiel der Mutter um den Hals.

Lisbeth nahm sich vor, sehr ruhig zu sein, wechselte aber die Farbe bei jedem Klingelzug, der sich im Verlauf des Tages vernehmen ließ. Nachmittags, als es bereits dämmerte und der Major eben in das Kasino gegangen war, die Abendzeitungen zu lesen, wurde Rank gemeldet und erschien zur Ueberraschung Lisbeth’s und ihrer Mutter in Begleitung einer sehr hübschen jungen Frau.

„Erlauben Sie, Ihnen meine Schwester, Regierungsräthin Besser vorzustellen, gnädige Frau,“ sagte der Künstler zur Majorin, indem er sich in seiner leichten Weise verbeugte, „allerdings muß ich gestehen, daß sie mit gleichem Rechte mich vorstellen könnte, da wir Beide keine andere Entschuldigung dafür haben bei Ihnen einzudringen, als den Wunsch dazu.“

„Nicht doch,“ bestritt die Räthin, „meine Entschuldigung steht hier!“ Sie wandte sich graziös zu Lisbeth: „denn nicht wahr, Fenstertante und Mama mußten sich doch endlich kennen lernen! Unter diesem Namen freier Erfindung meines Fritz weiß ich längst, welches gütige Händchen ihm zahllose Freuden bereitet, und habe der Versuchung, ihn einmal zu begleiten, nur deßhalb widerstanden, weil ich mich scheute, das fröhliche Verhältniß zu stören. Nachdem sich aber nun der Gast unseres Hauses, mein lieber Bruder, auch Malonkel genannt, nicht eben so diskret erwiesen hat, was er mir beichtete, sah ich doch nicht ein, weßhalb ich mir die langgewünschte Freude versagen sollte, Ihnen zu danken!“

Die kleine Rede ward mit so anmuthiger Herzlichkeit hingesprochen, daß ihr beste Wirkung nicht fehlte. Lisbeth antwortete warm und natürlich, die Majorin ward sehr sympathisch berührt und kam, als die junge Frau neben ihr Platz genommen hatte, sogleich mit ihr in die Art vertraulichen Gespräches, welches sich zwischen Müttern jedes Alters leicht ergiebt. Während beide Damen sich so eingehend unterhielten, sagte Rank, der vor Lisbeth stehen geblieben war, im behaglichen Ton eines alten Freundes:

„Sind Sie neulich gut nach Hause gekommen? Sie verschwanden spurlos wie ein Hexchen; die Kunst sich unsichtbar zu machen, scheint Ihnen überhaupt nicht fremd zu sein! Aber Sie sehen, was dabei schließlich zu Stande kommt –“ seine Finger glitten in die Brusttasche und ließen ein kleines Wollknäuel sehen. Als sie rasch die Hand ausstreckte, um es an sich zu nehmen, schüttelte er lachend den Kopf und sagte nachdrücklich:

Diesen Faden gebe ich nicht mehr heraus!“




Vierzehn Tage später saßen Lisbeth und Rank beisammen am kleinen Zeichentisch im Giebelfenster. Sie hatten eines der nicht nachzuschreibenden Gespräche geführt, die von Tisch und Stühlen künftiger Hauseinrichtung auf alles Höchste und Tiefste überspringen und, gleich dem lieben Gott, sogar aus Nichts eine Welt erschaffen. Nun saßen sie schweigend und schauten einander an.

„Morgen, wenn Du fort bist, werde ich Mühe haben zu glauben, daß Alles wahr ist –“ sagte Lisbeth endlich wie aus dem Traume heraus; „kann man sich über Nacht an das Glück gewöhnen? So lange, lange dacht’ ich, Du hättest den Nymphenburger Tag völlig vergessen!“

Diesen Tag? O Kind, das Erinnern fing viel früher an! Dein rothes Fädchen hielt mich vom ersten Moment an festgebunden und flatterte hinter mir her, wo ich ging und stand. Weit entfernt davon, meine Augen zuzuhalten, wenn Reizendes mir begegnete, that ich sie im Gegentheil weit und fleißig auf; aber weil Du Dich zweifellos auf schwarze Kunst verstehst, hatte dies Gesicht hier wie ein Bild im Rahmen in meiner innersten Behausung seinen unverrückbaren Platz. Als Du mich nun gar aus dem Wasser anlachtest, war ich ein verlorener Mann, und wer weiß, was schon damals geschehen wäre ohne – – soll ich Dir beichten? Ja? – Du selbst hattest mich mit wirksamem Gegengift versehen, als Du mir sagtest, Du seiest Künstlerin. Allen Respekt vor Kolleginnen – aber zwei Bildner sind für eine Wirthschaft zu reichlich. Darum wagte ich mich damals nicht in Dein Haus, obgleich mir die Thür aufgethan war und wenig daran lag, an welchem Tage ich weiter reiste. Ich wollte nichts weiter von Dir hören und sehen, Deine goldbraunen Augen hatten mir schon genug zu Leide gethan. Wer konnte aber noch an Widerstand denken, als wir hier nochmals zusammengeweht wurden? Seinem Schicksal entgeht Keiner! Künstlerin oder nicht war Nebensache, ich begann Dich auf allen Gassen zu suchen – diesmal war es aber das Hexchen, das sich nicht finden ließ. Lisbeth ist ein holder Name, aber er steht in keinem Wohnungsanzeiger, und so hing unser Glück wirklich an einem Fädchen! Aber Du bist so stumm, geliebter Schatz? Hab’ ich Dir mit meiner Beichte etwas zu Leide gethan? Schau mich an! Wer weiß, was diese Händchen noch im Sinne haben!“

„Nichts – nichts, als Dich zu hegen, Liebster!“ sagte sie ganz leise und schloß beide Hände um seinen Hals in einander. „Es war nur ein tödliches Entbehren, hinzuleben ohne Kunst! Du schenkst sie mir aber tausendmal herrlicher, als diese schwachen Hände sie jemals fassen und halten könnten, und ich bin glücklich, glückselig!“



[627]

Blätter und Blüthen.

Am Totalisator auf dem Rennplatze zu Charlottenburg. (Mit Illustration S. 621.) Der Rennsport, in seiner gegenwärtigen Form aus England stammend und von dort im ersten Viertel unseres Jahrhunderts nach dem Kontinent herüber gebracht, hat sich speciell in den letzten zwanzig Jahren in allen Gauen Deutschlands viele Freunde erworben. Man kann wohl sagen, daß die Wettrennen überall zum Volksfest geworden sind, indem die große Menge erwartungsvoll der Tage harrt, wo auf weitgedehnter Wiesenmatte die Kampfspiele der Rosse zum Austrag kommen. Wer sollte nicht auch mit Freude und Spannung das edle Vollblutpferd betrachten, wenn es, mit Sehnen und Muskeln aus Stahl und Eisen, dem Vogel gleich die Luft durchschneidet und in offenbarer Erkenntniß seiner Aufgabe dem Siegeslorbeer seine letzten Kräfte opfert?

Es hat sich aber, im Gegensatze zu dem Mutterlande England, bei uns, wo sich dem Kavalier die Gelegenheit des Jagdrennens, welches unstreitig die beste Schule für die Reitkunst ist, weniger bietet, der Herrensport zur höchsten Blüthe entwickelt. Hier steigt, anstatt des bezahlten Jockeys, der Besitzer des Pferdes selbst in den Sattel, wo ihm Gelegenheit wird, bei der Ueberwindung schwieriger Hindernisse Muth, Entschlossenheit und Gewandtheit zu zeigen. Dazu hat aber wiederum die schneidige deutsche Kavallerie viel beigetragen; denn größtentheils sind es ja, wie jedem Rennbesucher erinnerlich sein wird, Officiere unserer Reiterregimenter, welche um den Siegespreis ringen. Es ist deßhalb leicht erklärlich, daß in der Nähe des Centralisationspunktes der deutschen Kavallerie, Berlin-Potsdam, eine geeignete Rennbahn Berlin-Charlottenburg geschaffen worden ist, deren animirtesten und dem Beschauer am meisten auffälligen Theil unser Bild zeigt. Dies ist der Totalisator, eine sinnreiche, französische Erfindung, zur Vermittelung von Wetten, dessen Aufstellung mehrere Jahre hindurch von den Behörden untersagt worden war und erst mit Beginn des Jahres 1887 wieder in seine alten Rechte eingesetzt wurde.

Unsere Leser wird es gewiß interessiren, zu erfahren, wie am Totalisator gewettet wird.

Wir nehmen an, daß sich an einem Rennen vier Pferde: Meta, Orion, Hans und Bella betheiligen. Die Sportfreunde melden nun ihre Wetten an, indem sie den vom Totalisator als Einheit bestimmten Einsatz: 10, 20 oder 30 Mark etc. auf dasjenige Pferd einzahlen, welches der Meinung des Einzelnen nach aus dem Wettrennen als Sieger hervorgehen wird. Beim Schluß der Anmeldung stellt sich heraus, daß auf die Pferde folgendermaßen gewettet wurde. Auf

Nr. 1. Meta wurden eingelegt 3 Einsätze,
2. Orion 15
3. Hans 6
4. Bella 0

Die Summe der Einsätze oder Einheiten beträgt somit 24. Der Gewinn wird nun nach folgendem Verhältniß ausgezahlt. Siegt der Orion, so erhält der Wettende als Gewinn 24/15 seines Einsatzes ausgezahlt, also bei einem Einsatz von 10 Mark erhält er 16 Mark, bei einem Einsatz von 20 Mark dagegen 32 Mark. Sollte aber Meta siegen, so erhalten die Wettenden 24/3 des Einsatzes ausgezahlt, also für einen Einsatz von 10 Mark 80 Mark etc.

Würde wider Erwarten Bella, auf die Niemand gewettet hat, siegen, so würden alle Wetten verloren gehen und Niemand da sein, der gewinnt. Um diesem Falle vorzubeugen, pflegt die Administration des Totalisators auf solche Pferde eine Einheit zu setzen und streicht alsdann den eventuellen Gewinn ein. Ein derartiges, allgemein als unfähig angesehenes Pferd dürfte jedoch kaum jemals den Preis erringen. Der Totalisator kann selbstverständlich nicht umsonst arbeiten, und so fallen von dem Gesammtbetrage des auf ein Rennen angelegten Geldes, vor Berechnung des Gewinnantheils, 6 bis 10% der Kasse des Totalisators zu.

Da die Zahl der Einsätze durch einen einfachen Mechanismus dem Publikum auf einer Tabelle öffentlich bekannt gemacht werden kann, so schließt diese Einrichtung jede Heimlichkeit und die daraus entstehenden Unzuträglichkeiten aus, und der Totalisator ist in der That diejenige Form der Wette, welche gesetzlich am zulässigsten erscheint.

Zwei schwarze Könige in Kamerun. In seinen Skizzen und Beleuchtungen „Kamerun“ (Leipzig, Duncker und Humblot) berichtet Max Buchner über die Eingeborenen unseres neuen Koloniallandes in wenig schmeichelhafter Weise. Aufgeblasenheit, Jähzorn, Rachsucht, Neigung zu Raub und Gewalt sind ungemein ausgeprägte Züge dieser Duallas, welche den Verkehr mit ihnen unangenehm und gefährlich machen. Als englisch erzogene Neger gehören sie zu den schlechtest erzogenen Halbwilden, die der Erdball kennt. Wohlthaten werden in der Regel mit brutaler Grobheit als etwas Selbstverständliches gefordert; ein Dankwort gehört zu den seltensten Ausnahmen; eine That des Dankes ist unerhört. Die Lust zum Rauben und Plündern ist stets vorhanden und bricht bei jeder Gelegenheit durch. Bewundernswerth ist nur die Kunst dieser Duallas, ihre Fahrzeuge zu lenken; sie übertrifft Alles, was man sonst von Küstenstämmen zu sehen und zu hören bekommt, und etwas Einziges ist ihre Trommelsprache, durch welche sich ein Mann kilometerweit mit einem andern und zwar über alles Mögliche zu unterhalten, ihn um etwas zu fragen, ihm irgend eine Geschichte zu erzählen, ihn zu rufen, zu höhnen, zu schimpfen vermag. Es handelt sich dabei nicht um ein Signalsystem, sondern um eine richtige Wortsprache, um ein eigenes für sich zu lernendes Idiom.

Der erste und beste Neger von Kamerun ist ohne Frage King Bell. Seine Gestalt ist stattlich und mächtig, sein Gesicht wenig negerhaft, würdevoll, ernst und ruhig, sehr regelmäßig geformt, fast europäisch, aber ohne hervorstechende Eigenart. Sein Benehmen zeigt Selbstbewußtsein und eine gewisse vornehme Reserve. Natürlich hat auch King Bell seine Fehler. Namentlich ist sein Erwerbssinn für einen König allzusehr ausgebildet und oft genug vergißt er über dem Schacher jede andere Rücksicht. King Bell ist eben auch ein Neger, aber der beste von allen, verhältnißmäßig treu und ehrlich, so zu sagen ein Gentleman.

Ein scharfer Gegensatz zu King Bell ist King Akwa. King Akwa ist ein Schuft, aus Instinkt, Gewohnheit und Ueberzeugung, ein kurzer, gedrungener Dickwanst, der die gänzlich mangelnde Würde dadurch zu ersetzen sucht, daß er sich mit gespreizten Beinen hinstellt. Je mehr man mit ihm zu thun hat, desto mehr lernt man ihn verachten. Sein Gesicht ist einfach gemein und sagt weiter nichts als bornirte Gefräßigkeit. Spricht man mit ihm, so wechselt er zwischen Unverschämtheit und Unvernunft unsicher hin und her. Sein englisches Kauderwälsch versteht Niemand. Er liebt es, die Faktoreien zur Essenszeit zu besuchen, und setzt sich dann dreist mit zu Tisch.

Dieser Regentenspiegel aus Kamerun zeigt uns, daß es auch unter den schwarzen Fürstlichkeiten gute und schlechte Herrscher giebt.

Ein poetisches Tagebuch. Ein mehr als achtzigjähriger Poet, der Nestor der deutschen Lustspieldichtung, der Verfasser von „Bürgerlich und Romantisch“, einem der anmuthigsten und besten Repertoirestücke deutscher Bühnen, Eduard von Bauernfeld in Wien, hat ein „Poetisches Tagebuch“ (Berlin, Freund und Jeckel) herausgegeben, welches die Zeitereignisse von 1820 bis zur Gegenwart mit seinen Glossen begleitet. Natürlich handelt es sich dabei in erster Linie um die Geschichte Oesterreichs, denn Bauernfeld ist ein guter Wiener und Oesterreicher. Diese Glossen zeichnen sich durch ihren Freimuth aus; sie sind eine Art von politischer Beichte, gehen indeß oft nicht über Federübungen und Notizen zur Tagesgeschichte hinaus; sie brauchen ja nicht geistfunkelnd zu sein; ihre Anspruchslosigkeit erklärt sich damit, daß sie nur Selbstgespräche, nur für das verschwiegene Pult des Dichters bestimmt waren. Doch neben diesen Aufzeichnungen, denen es allerdings, einzelnen Persönlichkeiten gegenüber, hier und dort nicht an schneidender Schärfe fehlt, findet sich auch eine beträchtliche Zahl von Sinn- und Denksprüchen, die sich auf die richtige Lebensführung beziehen und manche glückliche Beobachtung enthalten. Freilich giebt es auch hier einige hohle klappernde Nüsse, doch auch andere, welche verdienen, mit Silberschaum geschmückt, den Sterblichen an den Christbaum gehängt zu werden; wir wollen für unsere Leser eine kleine Auswahl derselben mittheilen:

„Fühle zart und denke scharf,
Was nicht jeder kann;
Gieb der Welt, was sie bedarf,
Und du bist ihr Mann.

Wenn man sich nur verstehen möcht’,
Es ließe Manches sich erreichen;
Doch ist man immer ungerecht,
Am meisten gegen seines Gleichen.

Partei zu nehmen ist kein Heil;
Vorliebe ist immer auch Vorurtheil.

Das Glück will Manchem ein Amt bescheren,
Für das er nicht erkoren,
Und kommt ein Esel zu Ehren,
So wachsen ihm noch die Ohren.

Der große Mann eilt seiner Zeit voraus,
Der kluge kommt ihr nach auf allen Wegen;
Der Schlaukopf beutet sie gehörig aus,
Der Dummkopf stellt sich ihr entgegen.

Geselligkeit, was will’s bedeuten?
Nichts als Ennui mit vielen Leuten.

Es ist ein Mühsal, nicht zu sagen,
Sich selbst und die Andern zu ertragen.

Schwatzende Weiber und kitzelnde Fliegen
Sind alleweile nicht los zu kriegen.

Ich kann’s noch immer nicht begreifen,
Daß Rosen welken und Mispeln reifen.

Nur selten findet man, es muß befremden,
Gute Cigarren und gut gemachte Hemden.

Wenn Andere sich im Schlamme wälzen,
So schreite sorgsam drüber hin auf Stelzen.

Gemeinheit und öffentliche Meinung
Kommt oft gleichzeitig zur Erscheinung.

Batterie zum Galopp übergehend. (Mit Illustration S. 625.) Es sind nur ein paar abgerissene Noten im zweiviertel Takt, die der Trompeter nicht immer in der gewünschten Reinheit seinem Instrumente entlockt, eine Art Leitmotiv für das, was nun kommen soll. Das leichtere Kavallerieroß versteht darunter meistens das Vorspiel zur Attacke und setzt sich ganz von selbst in das verlangte Tempo, wie Mancher, der solch einen ausgedienten Klepper als Zuschauer zum Manöver hinausritt, schon zu seinem Leidwesen erfahren hat. Etwas weniger musikalisch ist das Zugpferd der Artillerie, was man ihm bei seinem schweren Berufe auch nicht übelnehmen kann, zumal wenn man bedenkt, was Alles drum und dran hängt.

[628] Das ist erstens eine schwere Gußstahlkanone, zweitens eine mit Munition gefüllte Protze, deren Räder sich tief in den lockeren Boden einwühlen, und endlich noch als Ballast auf beiden je ein Paar handfester Kanoniere. Genug für sechse, von denen die drei auf der Sattelseite noch überdies ihre Reiter, in diesem Fall „Fahrer“ genannt, zu tragen haben.

Für gewöhnlich bewegt sich denn das schwere Gespann auch im Trab fort, und nur wenn der Gefechtsmoment besondere Eile gebietet, ertönt das Signal „Galopp“. Dann aber ist es Sache der Fahrer, dem mangelnden Musikverständniß ihrer Thiere durch Sporn und Peitsche nachzuhelfen, wie wir denn auch auf unserem Bild diese Hilfsmittel in voller Thätigkeit sehen. Scheint’s nicht, als ob der an der Tête reitende Officier sich sogar seines Säbels als einer Art von Taktstock bedienen wollte? – Wir sehen aber auch an den gereckten Hälsen, den weitgeöffneten Mäulern, Nüstern und Augen, wenn wir Kenner sind, wohl auch an der Stellung der Beine, wie schwer es den armen Thieren wird, sich in die verlangte Gangart zu setzen.

„Drauf!“ heißt’s da, „immer drauf!“ Wer dem Thierschutzvereine angehört, mag wohl entsetzt die Augen schließen, aber es muß sein. Noch ein paar Hiebe, und sie sind im Zug und dann ist auch das Schwerste überstanden.

Es ist eben solch ein Gefechtsmoment, den unser Bild darstellt. Was wir da hinten an Infanterie mit Gewehr bei Fuß stehen sehen, ist als eine Reservetruppe zu betrachten; die Vorhut ist schon am Feind; die Artillerie hat ihn von einem Flügel der Stellung aus bisher wirksam beschossen; nun entzieht sich der Weichende plötzlich ihrem Gesichtsfeld. Um ihn wieder zu erreichen, gilt es nun, wie das Terrain einmal ist, rasch eine andere Position auf dem entgegengesetzten Flügel zu nehmen. Darum: „Aufgeprotzt! Abgebrochen! Galopp!“

Bald wird eine Staubwolke das Bild umhüllen, wir hören dann nur noch das Rasseln der Geschütze, ein Dröhnen und Schnauben und kurz darauf den ersten Schuß aus der neuen Position.

Noch einmal „Heidelbeerwein“. Die „Gartenlaube“ war eins der ersten Blätter, welche auf die hohe Bedeutung des Heidelbeerweines hingewiesen (vergl. Jahrg. 1886, S. 818). Wenn wir heute zu Gunsten desselben noch einmal das Wort ergreifen, so geschieht es lediglich, um die junge Fabrikation, welche so viel verspricht, vor einigen ihr drohenden Gefahren zu schützen. Die Handelsberichte einiger Zeitungen brachten vor Kurzem die Nachricht, daß die Engländer in Deutschland Heidelbeeren aufkaufen, um sie zur Weinherstellung zu verwenden. Es gewinnt also den Anschein, als ob das Ausland sich wiederum, wie das schon so oft geschehen, anschicke, deutsche Erfindungen auszubeuten, welche in dem Heimathlande nicht genügend gewürdigt werden. Die Herstellung des Heidelbeerweines bildet namentlich für Waldgegenden mit ärmerer Bevölkerung eine neue, nicht zu unterschätzende Quelle des Erwerbes, und wir sollten uns dieselbe nicht entgehen lassen. Freilich kommt es dabei vor Allem darauf an, daß eine wirklich gute Waare auf den Markt gebracht wird. Durch mangelhafte Herstellung sind schon früher der Johannisbeerwein und der Stachelbeerwein vielfach um ihren Kredit in Deutschland gekommen.

Es wäre nun wirklich zu bedauern, wenn auch den Heidelbeerwein, der die genannten bei Weitem übertrifft und entschieden besser ist, als die billigen und gleich theuren Bordeauxweine, dasselbe Schicksal ereilen sollte. Aus vielfachen Zuschriften und mündlichen Berichten haben wir ersehen, daß es in Deutschland Leute genug giebt, welche zur Herstellung des Heidelbeerweines Lust haben – aber sie nehmen die Sache viel zu leicht. Sie haben nicht die genügenden Vorkenntnisse, wissen nicht, daß dieser Wein zwei bis drei Jahre auf Fässern lagern muß, bevor er in Flaschen gefüllt werden kann, etc. Wir möchten daher Allen den Rath ertheilen, möglichst sorgfältig ans Werk zu gehen und sich dem Vorgang der ersten deutschen Heidelbeerwein-Firma, J. Fromm in Frankfurt am Main, anzuschließen, die jedem Berufenen gern die gewünschte Auskunft ertheilen wird. Durch eine fachgemäße Ausbeutung der Heidelbeere würden große Waldstrecken Deutschlands so zu sagen in Weinberge umgewandelt werden, ohne daß ihre gegenwärtige wirthschaftliche Ausbeute irgend wie beeinträchtigt würde. Alle diese Hoffnungen muß aber das Auftauchen von Schundwaare zu Nichte machen, und dies sollte von Anfang an verhindert werden. *     

Antike Kleinkunst. Die Benutzung des Schildpatts, in dessen Verarbeitung unser modernes Kunstgewerbe eine so rühmliche Fertigkeit bekundet, wurde von dem Alterthum, welches auch auf dem Gebiete der Kleinkunst uns noch heute so viele nachahmenswerthe Muster stellt, erst seit der Kaiserzeit geübt, wo Kunsttischlerei und Drechselei begannen, das dankbare Material umfänglich zu verarbeiten. Bis dahin war es vornehmlich zu Resonanzböden für Lyren verwendet worden. Leider aber verfiel die Neronische Zeit der Geschmacklosigkeit, das Schildpatt zu färben, um es dadurch dem Holze ähnlich erscheinen zu lassen; namentlich die Maserung von Terpentinbaum, Ahorn und Thujaholz wurde im Schildkrot nachgeahmt; die originellen Farbenspiele desselben wurden dadurch natürlich völlig zerstört. In dieser Verarbeitung wurde der Stoff dann zum Schmuck von Sofas, Betten und Triclinien verwandt; aber auch Thüren wurden mit Schildpattplatten ausgelegt. Minder zu Schmuckgegenständen, als in der Medicin wurde die Koralle von den Alten angewendet; man machte Amulette daraus gegen den bösen Blick oder das Besprechen; aber auch kleinere Bildwerke wurden aus Korallen gefertigt. Dagegen galt die Perle das ganze Alterthum hindurch als köstlicher Schmuck, und Halsbänder und Ohrgehänge aus Perlen erfreuten sich derselben Beliebtheit wie heute. Je nach Größe und Form gaben die römischen Perlenhändler (margaritarii) den einzelnen Stücken dann besondere Namen. Uebrigens weihte Cäsar der Venus genitrix einen Harnisch aus Perlen, während Nero seine Betten mit Perlen schmückte. Auffallend ist, daß dem Alterthum der Gebrauch der Perlmutter völlig verschlossen geblieben zu sein scheint; nur von Nero wird berichtet, daß er mit Perlmutter die Wände seines „goldenen Hauses“ überlud. Eben so wenig wußte die Antike von unechten Perlen, während der Bernstein, ein Produkt des fernen Nordens, bereits dem Sänger der homerischen Epen bekannt ist und in seiner merkwürdigen Beschaffenheit zu den seltsamsten Mythenbildungen Anlaß giebt. Und doch finden sich, wohl in den Gräbern der frühesten, aber nicht in denen der klassischen Zeit, weder in den Kolonien, noch in Griechenland, Bernsteinobjekte irgend welchen Genres, so daß wohl in späteren Perioden die Verwendung des Bernsteins von dem Kunstgewerbe gemieden wurde. Erst in den letzten Zeiten der römischen Republik wird er wieder zu Zieraten und Schmucksachen verarbeitet und von der Kaiserzeit sodann höher geschätzt als je vorher.

Skat-Aufgabe Nr. 13.
Von Dr. Rietzsch in Dresden.

Die Vorhand verliert auf folgende Karte:

(tr. As.) (tr. Z.) (tr. K) (tr. D.) (tr. 9.) (tr. 8.) (tr. 7.) (p. As) (p Z.) (p. K.)

ein Eichel (tr.)-Solo; denn die Gegner erhalten 60 Augen. Wie sitzen die Karten und wie ist der Gang des Spiels?

Auflösung der Skat-Aufgabe Nr. 12 auf S. 564.

Wie sich aus dem 3. und 5. Stiche der Aufgabe ergiebt, besaß die Hinterhand nur einen Trumpf (e8), und da sie herauf sicherlich keinen Stich machen konnte, so hätte sie denselben schon im 2. Stiche anstatt der s7 wegwerfen sollen, um später eventuell wimmeln zu können. Wäre z. B. die Sitzung folgende gewesen: Skat: gK, rZ,

Vorhand: gW, rW, sW, gD, gZ, gO, g8, rO, r7, sK,
Spieler: eW, eD, eZ, eK, eO, e9, e7, g9, sO, r8,
Hinterhand: e8, g7, rD, rK, r9, sD, sZ, s9, s8, s7,

so folgte nach den 6 Stichen der Aufgabe noch

7. sK, sO, sZ (−17) und 8. rD, rO, r8 (−14),

so daß die Gegner nur 57 Augen bekommen. – Dagegen wäre bei fehlerloser Spielführung der Gang des Spieles so gewesen:

1. gD, g9, g7 (−11)
2. gZ, eO, e8 !! (+13)
3. e9, sD, sW. (−13)
4. sK, sO, sZ. (−17)
5. rD, rO, r8 (−14)
6. s9, r7, eD. (+11)

worauf die Gegner noch 6 Augen, also zusammen 61 Augen erhalten müssen.

Auflösung des Scherz-Räthsels auf S. 612:
Burgunderwein.

Kleiner Briefkasten.

(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

R. in Zeitz. Im Anschluß an unsere Mittheilung über die Familie Hofer’s erkundigen Sie sich, ob nicht auch von dem Tiroler Freiheitskämpfer Joseph Speckbacher Hinterbliebene vorhanden sind. Es lebt noch sein jüngster Sohn, Joseph Speckbacher, jetzt allerdings ein Greis von mehr als 80 Jahren, aber in Aussehen dem Vater ähnlich; nur fast erblindet. Anna Speckbacher, die Schwester, lebt bei ihm, sie ist 86 Jahre alt; in Folge eines Schenkelbruchs seit einem Jahre gelähmt, sitzt sie in einem Lehnstuhl. Uebrigens wurde am 14. August vor dem unansehnlichen Sterbehause Speckbacher’s in Hall ein einfacher Denkstein gesetzt.

M. D. in Kr. und L. G. in Gr., Holland. Wenden Sie sich an einen Arzt.

B. Offenbach. Senden Sie uns unter Angabe Ihrer Adresse gefl. eine Probe zur Untersuchung. Eine frühere Anfrage ist uns nicht zugegangen.


Inhalt: Der Unfried. Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer (Fortsetzung). S. 613. – Aufdringliche Begleiter. Illustration. S. 613. – Ein Ballon! Illustration S. 617. – Das erste Jahr im neuen Haushalt. Eine Geschichte in Briefen. Von R. Artaria. IX. S. 619. – Von der Camorra. S. 620. – Hängende Fäden. Erzählung von A. Godin (Schluß). S. 621. – Blätter und Blüthen: Am Totalisator auf dem Rennplatze zu Charlottenburg. S. 627. Mit Illustration S. 621. – Zwei schwarze Könige in Kamerun. S. 627. – Ein poetisches Tagebuch. S. 627. – Batterie zum Galopp übergehend. S. 627. Mit Illlustration S. 625. – Noch einmal Heidelbeerwein. S. 628. – Antike Kleinkunst. S. 628. – Skat-Aufgabe Nr. 13. Von Dr. Rietzsch in Dresden. S. 628. – Auflösung der Skat-Aufgabe Nr. 12 auf S. 564. S. 628. – Auflösung des Scherz-Räthsels auf S. 612. S. 628. – Kleiner Briefkasten. S. 628.


Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das dritte Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen Reichspostamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig).

manicula 0 Einzeln gewünschte Nummern liefern wir pro Nummer incl. Porto für 35 Pfennig (2 Nummern 60 Pf., 3 Nummern 85 Pf). Den Betrag bitten wir bei der Bestellung in Briefmarken einzusenden.

Die Verlagshandlung.     

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig

  1. „Sfregio“, eine dem Gegner beigebrachte entstellende Gesichtswunde, wobei das Messer kreuzweise durch das Gesicht des Opfers gezogen wird. Dieser sfregio war stets ein sehr verbreitetes Abzeichen, das die Camorra den Gesichtern ihrer Mitbürger, besonders den weiblichen, aufzudrücken liebte; M. Monnier, der eifrige Forscher des neapolitanischen Volkslebens, behauptete, in den sechziger Jahren sei derselbe in den niederen Klassen von Neapel noch so häufig gewesen wie der „Schmiß“ beim deutschen Studenten.
  2. „Picciotto“ heißt so viel wie „Junge“; die Bedeutung des Wortes „sgarro“ ist nicht zu ermitteln.
  3. Gekröntes Haupt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ausheben
  2. Vorlage: Uhr Uhr