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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1886
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[345]

No. 20.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Lora-Nixe.
Novelle von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Heino fühlte sich so gehoben, so befreit von aller Erdenlast, daß er meinte, es müsse ihm jetzt spielend leicht werden, seine Dichtung in raschem Wurfe von Anfang bis zu Ende zu führen. Glühend vor Freude und Schaffensdrang stürmte er nach seinem Zimmer.

Der Salon seiner Mutter öffnete sich. Sie schaute heraus und jammerte:

„Mein Gott, Du verkennst gänzlich die Vorschrift des Arztes, daß man bei einer Brunnenkur sich Motion machen soll. Wenn Du Dich so erhitzest bei dem Gebrauch der Heilquelle, kann Dich der Schlag rühren.“

Heino wandte verzweiflungsvoll die Augen gen Himmel und verschloß sich in sein Zimmer.

Auf einem Purpurkissen breitete er die Locke aus und griff abermals zur Schwanenfeder.

Aber es war, als beneble der zarte Duft von Heliotrop, der dem Geringel entströmte, ihm den Sinn.

Dann sah er immer wieder nach der Pendüle, ob er auch nicht die Stunde des Diners versäume. Als diese endlich schlug, war er nicht über die Reime: „Lora hold, Lockengold“, hinweg gekommen, obgleich rings um ihn zerrissene Papiere lagen.

Nun mußte er schnell Gesellschaftstoilette machen.

Eilig die paillegelben Handschuhe überstreifend, trat er bei seiner Mama ein. Diese war auch heute nicht in Dinertoilette, und im Salon war wie immer in letzter Zeit die Mittagstafel gedeckt.

„Willst Du wieder nicht mit zur Table d’hôte gehen?“ fragte er gereizt.

„Ich kann jetzt durchaus keine fremden Menschen sehen,“ erwiderte Frau von Blachrieth mit leidender Miene.

Heino war sichtlich peinlich berührt. Mit einiger Ueberwindung sagte er:

„Ich möchte Dir die Dame gern vorstellen, die mich zu meiner neuen Dichtung inspirirt.“

„Die lerne ich am besten aus Deinem neuen Werke kennen, mein lieber Sohn,“ entgegnete seine Mutter.

Er wollte noch etwas einwenden; aber sie schnitt ihm die Rede ab:

„Die Küche des Kurhauses ist nicht ganz der Diät angemessen. Du würdest besser thun, mit uns zu speisen. Soll ich noch ein Kouvert auflegen lassen?“

Sie faßte nach dem Klingelzug, und er nach dem Thürgriff.

„Pardon, Mama! Ich habe mich bereits verpflichtet, zu kommen.“

„Iß nichts Saures, liebes Kind,“ rief sie ihm nach, und er flog wie ein vom Bogen geschnellter Pfeil nach dem Kurhaus.

Die ganze Table d’hôte befand sich in Aufregung über die Toilette, in welcher Leonore erschienen war: weiße Donna-Mariagaze


Auerbach’s Hof in Leipzig.0 Nach einer Radirung von E. Kiesling.

[346] mit großen schwarzen Sammetschleifen, eine Zusammenstellung, die noch nicht dagewesen war.

„Unsere Farben!“ bemerkte ein alter preußischer Oberst.

Seine Nachbarin, eine Französin, sah ihn erstaunt an. Die preußischen Farben waren damals nicht sehr bekannt in der Welt.

Der Kürassier aus Temesvar lächelte:

„Schwarz und weiß soll halt die neueste Erfindung der Kaiserin Eugenie sein. Vor einer Stund’ ist die Toilett’ aus Paris angekommen.“

„Die preußischen Schilderhäuser haben sie schon getragen, als an eine Kaiserin Eugenie noch gar nicht gedacht wurde,“ brummte der alte Herr unter seinem kurz gehaltenen grauen Schnauzbart.

„Magnifigue,“ sagte Frau von Nihiloff, den weiten freien Blick, den die Russinnen aus ihren Steppen mitbringen, auf Leonoren richtend. „Sie ist natürlich eine Ungarin. Eine Deutsche würde nicht mit solcher souveränen Willkür die Schleifen in den Volants arrangirt haben.“

Heino’s Ankunft gab dem Gespräch eine andere Richtung.

Alle Blicke wandten sich ihm zu. Aber nur Leonore bemerkte die Wolke auf seiner Stirn. Niemand ahnte, wie bang ihr Herz in diesem Augenblick schlug.

Ihr erster Gedanke war: er hat erfahren, was er nicht wissen darf.

Und wenn auch diese Furcht schwand vor dem in unverhohlener Bewunderung aufleuchtenden Blicke, mit dem er ihre gewählte Toilette überflog, so stieg eine andere geheime Sorge in ihr auf, die sie nicht zu verbannen vermochte.

Forderte er es, daß sie sich immer damit beschäftigen sollte, neue Toiletten zu ersinnen, um seine Augen zu beschäftigen, räthselhafte Andeutungen, die seine Phantasie reizten und interessirten? Sollte sie immer nur Muse und Modell sein, nicht einmal das arme Menschenkind, das die ganze Wahrheit vom Herzen herunter beichtet, um an ein warmes Herz genommen und getröstet zu werden? Erlosch das Gefühl, das er für sie hatte, wenn sie nicht mehr die bewunderte Leonore war? Mit Schrecken fragte sie sich: Ist das Liebe?

Und während diese Zweifel sie quälten lächelten ihre Lippen; ein weicher Glanz lag in ihrem Blicke, ihre Wangen überhauchte ein zartes Roth. Sie war schöner als je, und Heino sah nur sie.

Die Augen der ganzen Gesellschaft ruhten auf dem glänzenden Doppelgestirn. Eine solche interessante Saison hatte man noch nie mitgemacht. Alle fühlten sich gehoben, daß sie gewürdigt wurden, eine Beziehung entstehen zu sehen, wie die zwischen Dante und Beatrice, Petrarca und Laura.

Nur ein kleiner skeptischer Kopf mit kurz geschnittenem dunklen Haar war nicht zu beirren. Neben Mademoiselle saß Vera und ließ sich, obgleich sie kaum auf den Tisch zu sehen vermochte, mit dem Selbstbewußtsein einer vollkommenen Dame die Speisen präsentiren. Während sie mit der Gabel, die gegen ihre kleine Person riesig erschien, regelrecht dem Fisch zu Leibe ging, stach ihr Blick hinüber zu dem Dichter, auffordernd, mahnend.

Als er einmal nach der Brusttasche griff, blieben ihre zarten Fingerchen mit dem Artischockenblättchen, das sie vom Stengel gebrochen hatte, vor den Lippen schweben. Das ganze bräunliche Gesichtchen war gespannte Erwartung.

Es erfolgte jedoch nichts. Er bemerkte sie gar nicht, und auch, als die Gesellschaft sich erhob und den Speisesaal verließ, schritt er mit Leonoren in die schattigen Promenadenwege hinaus, ohne seine kleine Gläubigerin zu beachten.

Aber sie heftete sich an seine Sohlen. Ihr Ziel im Auge, schlüpfte sie wie ein Eidechschen zwischen den weiten Krinolinen hindurch, nirgends auf eine im feinen Kies schleifende Spitzenfalbel tretend oder an ein Spazierstöckchen stoßend, und stand plötzlich neben Heino.

„Herr von Blachrieth, haben Sie das – Sie wissen doch – in Ihrem Notizbuch?“ fragte sie und sah ihn drohend an. „Sie müssen sonst das, was ich Ihnen gebracht habe – Sie wissen doch – zurückgeben.“

Heino fuhr erschrocken herum, nahm die Kleine bei der Hand und entfernte sich schleunig mit ihr, während Leonore ihnen erstaunt nachsah.

Hinter dem nächsten Boskett blieb er stehen.

„Warte nur bis morgen,“ redete er Vera zu.

„Nein,“ entgegnete diese in ihrem scharfen Dialekt. „Sie könnten abreisen oder Maman. Machen Sie das Gedicht gleich.“

Heino seufzte, zog sein Notizbuch heraus„ that ein paar rasche Züge an seiner Cigarre und begann endlich zu schreiben. Dann riß er das Blatt aus dem Buche.

„Hier hast Du das versprochene Gedicht,“ sagte er; „nun laß mich in Ruhe.“

„Lesen Sie es mir vor,“ bat Vera.

„Ich habe mehr zu thun,“ entgegnete Heino ungeduldig. „Und Niemand von der Gesellschaft sagst Du, wofür Du es erhalten hast,“ schärfte er ihr ein und ging.

Vera blieb traurig mit ihrem Blatt Papier zurück und schaute darauf nieder.

„Wenn es nur wenigstens französisch wäre!“ seufzte sie.

Sie sah sich um.

Da auf einer Bank hinter dem Boskett saß ein ganz schwarz gekleideter Mann mit einem Buche in der Hand. Sie ging entschlossen auf ihn zu und fragte:

„Können Sie deutsch lesen?“

„Ja, mein Kind,“ entgegnete der Fremde.

„O bitte, ich möchte das Gedicht gern hören,“ bat Vera, ihm das Blatt gebend. Sie setzte sich neben ihn, und er las.

Es war ein kleines Wiegenlied, in welchem das Nachtlämpchen im weißen Milchglas, das aus spinnwebenen Schuhen heranhuschende Sandmännchen und endlich der auf goldenen Taubenflügelchen herabschwebende Schutzengel das Kind in den Schlaf singen.

„O, es ist schön,“ sagte sie, indem sie stolz das Papier zusammen faltete und in ihren Gürtel steckte. „Der berühmte Dichter, Baron Blachrieth, hat es für mich gemacht. Aber ich habe ihm auch einen großen Dienst erwiesen.“

Der Fremde sah mit nachsichtigem Lächeln auf sie herab.

„Sie glauben mir nicht?“ fuhr sie beleidigt fort. „Ich habe Fräulein Leonore Paloty, als sie schlief, heimlich eine Locke abgeschnitten – o, so lang,“ sie breitete die Arme aus, „und ihm gebracht. Aber es darf Niemand davon erfahren. Ihnen kann ich es sagen. Sie gehören doch nicht zur Gesellschaft,“ schloß sie mit einem abmessenden Blick auf seinen schwarzen Rock.

In die Züge des jungen Mannes war bei ihrer Erzählung ein leises Roth gestiegen. Jetzt sagte er ernst:

„Nein, Du hast Recht. Ich bin ein Prediger, ein Geistlicher.“

„Sie sind ein Pope?“ fragte die Kleine geringschätzig, nestelte rasch eine Stecknadel aus ihrer breiten dunkelrothen Schärpe und warf sie von sich.

„Was thust Du?“ fragte er erstaunt.

„Wenn Maman einem Popen begegnet, wirft sie stets eine Nadel von sich; sonst hat man Unglück,“ erklärte die Kleine rücksichtslos.

Der Blick des jungen Mannes heftete sich ernst auf das Kind.

„Du wirst sofort die Nadel aufheben und Dein Leibband wieder schicklich zusammen stecken,“ befahl er. „Uebrigens bin ich kein Pope, wohl aber ein Priester und Verkündiger von Gottes Wort. Und ich sage Dir: Dein Schutzengel wird sich von Dir abwenden und weinen, weil Du aus einem guten Kinde eine kleine Sünderin geworden bist.“

In die bernsteinfarbige Haut Vera’s stieg glühendes Roth. Aber sie zweifelte noch an seinem Ausspruch.

„Eine Dame schenkt doch ihrem Freund ein Stück Zopf. Maman hat auch dem Fursten mit dem großen Bart, der uns überall hin nachreist, eine Flechte von ihrem Haar gegeben. Und Herr von Blachrieth ist der Freund von Fräulein Leonore Paloty. O, sie werden sich verloben, wenn auch Frau von Tromsdorf sich ärgert, daß er nicht ihre Tochter Fifi liebt. Maman meint: es fehlt nur noch an einem Anstoß, der die Entscheidung herbeiführt. Nur Mademoiselle sagt: das ist eben die Schwierigkeit, an der die besten Partien scheitern.“

Sie zuckte mißachtend die kleinen runden Schultern. Dann sah sie ihn aufmerksam an, welchen Eindruck ihr Plaidoyer gemacht hatte.

[347] Das wehmüthige Lächeln, das seine Lippen umspielte, erschreckte sie. Ihr Vergehen mußte groß sein, daß er solchen Schmerz darum empfand.

Kleinlaut fuhr sie fort:

„Wenn Sie glauben, daß mein Schutzengel bös ist und fort fliegen wird, dann bitte, sagen Sie mir, was ich thun muß, daß er wieder gut werde.“

Aber er schwieg und sah über sie hinweg, hinüber, wo Leonore auf der Bank am Marmorbassin saß und Heino nachschaute, der ihre Mutter in den schattigen Kiosk geleitete. Wahrscheinlich fürchtete er, sie könne das Gespräch hören, dachte Vera, den Kopf schüttelnd.

Aber da faßte er schon ihre Hand und gebot ihr sanft:

„Du mußt Deine Sünde bereuen und Dir fest vornehmen, nie wieder etwas zu thun, zu sagen oder zu denken, was Du gezwungen bist, zu verschweigen. Du sollst zu Fräulein Leonore gehen, ihr offen das Unrecht bekennen, welches Du ihr zugefügt hast, und sie recht innig bitten, daß sie Dir und Herrn von Blachrieth vergeben möge.“

Die Kleine küßte ihm die Hand, als sei er der Pope im vollen goldgestickten Ornat. Dann fragte sie doch noch beklommen:

„Wird sie mich vor der Gesellschaft schelten?“

Ein schmerzliches Lächeln spielte einen Augenblick um seinen Mund. Er schüttelte schwermüthig den Kopf und wandte sich dem einsamen Wege am Flusse zu.

Da bemerkte er, daß er sein Buch auf der Bank hatte liegen lassen, und kehrte um, dasselbe zu holen.

Bei einer Biegung des schattigen Ganges stand er plötzlich vor Leonoren und Vera. Die Kleine sagte:

„Das ist der schwarze Herr.“

Eine glühende Röthe übergoß Leonoren’s Antlitz, als sie sich dem Bruder Johannes gegenübersah. Unwillkürlich warf sie den Fächer aus Sandelholz, mit dem sie eben noch, ihn halb entfaltend, kokett ihr Antlitz gegen die Sonne geschützt hatte, hinter sich ins Gras.

Auch Johannes veränderte die Farbe. Sein schmales, von schlicht zurückgestrichenem braunen Haar umrahmtes Gesicht wurde noch einen Schein bleicher; aber er grüßte mit feiner ruhiger Haltung.

„Sie sind es, der Vera’s Gewissen geweckt hat?“ rief Leonore aus. „Sie erzählte von einem schwarzen Mann, der sich plötzlich in einen großen Herrn verwandelt und ihr so zu gebieten verstanden habe, daß sie ihm nicht zu widerstehen vermochte.“

„Die Gewohnheit der Brüdergemeine, zu warnen, wo ein Schäflein irrt, war zu mächtig in mir,“ erwiderte er.

„Und Sie sind so glücklich, immer den rechten Weg zu finden,“ sagte Leonore.

„Den hat ein Anderer schon lange vor mir gefunden und seinen Wegweiser an jedem Kreuzweg aufgestellt,“ antwortete Johannes.

„Sie lügen nicht wie Mademoiselle,“ erklärte ihm Vera achtungsvoll. „Fraulein Leonore hat mir gleich vergeben.“

Er reichte der Kleinen freundlich die Hand; aber sein Auge ruhte auf Leonoren, als er sprach:

„Ich weiß, daß nichts süßer ist, als zu verzeihen, was aus Liebe gefehlt ward. Und ich weiß auch, daß eine Menschenseele uns nur noch theurer wird, wenn wir ihr viel zu verzeihen haben.“

Als er den Hut zog, glitt der Aermel zurück. Ein breiter rother Streif zog sich um das Handgelenk, Aber auf Leonorens erschrockenen Blick erwiderte er mit einem gelassenen Lächeln:

„Das waren nur äußere Fesseln.“

Dann ging er.

Unterdessen hatte auch der alte Freund des Bruder Johannes, der auf der Bank liegen geblieben war, einen Kampf zu bestehen.

Ein auserlesener Kreis der Badegesellschaft wandelte an ihm vorüber.

Welcher alte Tröster macht sich da breit?“ sagte Ravensburgk.

Er schlug das Büchlein auf und las:

„Meide den vertraulichen Umgang mit einem Weibe; empfiehl Du lieber das ganze andächtige Geschlecht dem lieben Gott.“

„Ich wollte, dieser vortreffliche Rath wäre ein Viertel Jahrhundert früher gekommen,“ sagte Ravensburgk ernster als sonst.

Der „Sohn seiner Mutter“ klappte das Buch ebenfalls auf.

„Du bist, wer Du bist,“ fuhr ihn der alte Hämmerlein an.

Mit spöttischem Lächeln griff Heino nach dem Buche, schlug es auf und las:

„Es ist nicht alles, was hoch ist, heilig, nicht alles Reizende rein, nicht alles Angenehme gut, nicht alles, was uns gefällt, gottgefällig."

„Kinderweisheit,“ sagte er empfindlich und legte es hin.

Niemand wagte sich mehr an den Thomas a Kempis heran. Man warf ihm scheue Blicke zu wie ungefähr einem Igel und drückte sich davon.

Noch aus dem Grabe heraus hatte sich der tapfere Augustinermönch gegen die Weltkinder gewehrt und behauptete siegreich das Feld.

Er war aber nun einmal in unwirscher Stimmung, und als Johannes ihn abholte, empfing er ihn mit dem Ausspruch:

„Wärest Du in Deinem Hause geblieben und hättest Dir den Kopf nicht vollschwatzen lassen, so wärest Du ruhig in Deinem Frieden geblieben.“

„Du hast Recht, alter Freund,“ sagte Johannes. „Ich will nicht wieder in das Weltgetriebe gehen. Ein lahmer Arm ist besser als ein matter Wille.“

Er schritt den Weg nach Himmelgarten zu, ohne noch einen Blick zurück zu werfen.

Leonore aber stand wie angewurzelt. Die Lora rauschte vorüber, vom goldenen Sonnenlicht mit Funken übersäet; die schmalen Blätter der Weiden schwankten neben ihr. Fernher tönten einzelne Klänge des Champagnergalopps. Ihr war, als wäre sie auf ein paar Minuten der Erde entrückt gewesen in eine andere höhere Welt. Und nur langsam besann sie sich wieder darauf, wo sie war.

Dann aber jubelte es in ihr auf:

„Heino liebt mich so, daß nichts uns mehr trennen kann.“

Als er ihr beim Abschied die Hand küßte, zitterten ihre Finger und – war es Täuschung oder selige Wahrheit? – er meinte einen leisen Druck zu empfinden.

Gleich einem von Haschisch Berauschten kam er nach Hause.

Und wie ein schlichter Mensch im großen Glücke vor dem Altar niederkniet, so warf er sich in seinen Sammetfauteuil vor dem Schreibtisch und blickte begeistert zu der Apollo-Büste empor.

Aber das schöne Gesicht mit den hochmüthig geschürzten Lippen, dem kalten, grausamen Zug um die feinen Nasenflügel schaute erbarmungslos auf ihn herab.

Heino kannte den stolzen Musenführer nicht.

Der duldet keine anderen Götter neben sich. So lange ein armes Erdenkind mit der Binde umhergeht, die ihm von dem schalkhaften Amor vor die Augen gelegt worden ist, wendet ihm der Gott mit der Leier den Rücken. Erst wenn der Verblendete ausgetaumelt hat und reuig und zerknirscht ihm naht, sieht ihn Apollo mit gnädigen Augen an und gestattet, daß zu seiner Ehre der Geprüfte die Qualen verwerthet, die er im Dienste des Liebesgottes erlitt.

Es fiel kein Lichtstrahl in das Erlösungswerk der Lora-Nixe. Wohl aber stachen in Heino’s Augen die Lichter, die sich drüben in den Sälen des Konversationshauses entzündeten, in welchem Reunions, Koncerte stattfanden und Bank gehalten wurde.

Dort war jetzt Leonore.

Er hatte keine Ruhe mehr an seinem Schreibtisch; er mußte wieder fort.

„Vermeide die Nachtluft, Heino. Vergiß nicht, einen Foulard mitzunehmen,“ tönte die klagende Stimme seiner Mutter ihm nach.

Er antwortete mit einer beleidigten Miene und stummen Verbeugung. Es war seine Gewohnheit, gleich einer schönen Frau, seinen Willen durch Schmollen durchzusetzen, und er zweifelte nicht an dem endlichen Erfolg seiner Taktik.

Während Frau von Blachrieth ganz bestürzt sich in ihren Salon zurückzog, eilte er mit beflügelten Schritten durch die Gänge des Kurgartens.

Ein weiches Lüftchen säuselte in den blühenden Akazienbäumen. Die Thautropfen auf den Blättern und auf dem [348] wie Sammet geschorenen Rasen blinkten im matten Schein des aufgehenden Mondes. Die Musik der Kapelle zog in süßen italienischen Melodieen in die schweigende Nacht hinaus.

Die hohen Flügelthüren der Säle waren geöffnet und eine Fluth von Licht strömte aus ihnen hervor. Seidene Schleppen rauschten, Sporen klirrten die breiten Stufen hinauf und hinab; Fächer wehten, Locken flatterten, und leise Worte flüsterten durch die von Blüthenduft und feinen Odeurs erfüllte Luft.

Im ersten Saale herrschte die Roulette.

Wie ein Tempel des Goldes erschien der hohe gewölbte, von weißen Marmorsäulen getragene Raum. Riesige vergoldete Gaskronen, die unzählige Flammen umspielten, erhellten ihn. Die blitzenden Lichter vervielfachten sich in den Spiegeln, welche die Wände bekleideten, bis in das Unermeßliche; sie funkelten aus den breiten Goldrahmen derselben und leuchteten auf dem gelben Seidenstoff, welcher die Draperien an den Fenstern und Thüren bildete und die schwellenden Polster der Causeusen, Chaise-longues und Fauteuils überzog, die zu kleinen Gruppen zwischen den Marmorsäulen zusammengestellt waren.

In der Mitte des glänzenden Raumes stand das Allerheiligste des modernen Götzentempels, der Roulettetisch, an dem die schwarz gekleideten Kroupiers mit eiserner Ruhe ihren Dienst verwalteten.

Um denselben hatte sich ein dichter Kreis gebildet. Frau von Nihiloff setzte in Gesellschaft einiger Französinnen mit der Ruhe routinirter Spieler ihre Louisd’or, Vera mit glühenden Wangen ihre Silberguldenstücke, die sie zu ihrer Unterhaltung bekommen hatte. Die reizende Gräfin Scultizka mit dem defekten rothseidenen Portemonnaie ließ sich herab, aus der Börse des Baron Pölz zu spielen. Und Mister Montagu hatte den Spleen, unablässig auf eine bestimmte Zahl zu setzen, die er mit seinen Goldstücken attakirte, obgleich die Rateaux der Kroupiers dieselben immer wieder einzogen.

Alles Licht aber schien sich zu koncentriren auf Leonoren’s Gestalt. Sie hatte den Hut abgenommen. Ihr Haar, das von Goldpuder überstreut schien, gleißte um die Wette mit dem Kleide von goldig schimmernder Seide.

Eine heiße Röthe lag auf ihren Wangen, ein erwartungsvolles Lächeln kräuselte die purpurrothen Lippen und ließ die Reihen feiner Zähne wie Perlenschnüre hervortreten.

Hinter ihr im Rahmen der weit geöffneten Pforte dämmerte die Sommernacht, vom ungewissen Mondlichte und den Gaskandelabern erhellt. Ueber dem Bette der Lora webte ein weißer Nebelstreif wie ein langer flatternder Schleier.

Als Heino zu Leonoren trat, strahlten ihre Augen auf wie die großen Sapphire ihres Schmuckes.

„Die Priesterin im modernen Tempel des Pluto, märchenhaft schön wie immer,“ hauchte er mit heißer Stimme in ihr Ohr.

„Und erscheine ich ihnen in dieser Gestalt verdammenswerth?“ fragte sie lächelnd, aber mit gespanntem Blick.

Seine trunkenen Augen tauchten selig in die ihren.

„O, die Schönheit verklärt Alles. Wenn sie in solcher Gestalt mir vorschwebte, ich würde ihr folgen, selbst in die Hölle.“

„Und wenn Sie beim Wort genommen würden?“ flüsterte Leonore in einem zitternden warmen Tone, der ihm das Blut zum Sieden brachte.

„Ich bin zu Allem bereit,“ lachte er ausgelassen „und beginne das Opfer im Tempel.“

Er setzte eine Anzahl von Goldstücken auf eine Nummer der Roulette.

Ein Ausdruck von verstecktem Triumph trat in ihre Züge.

Sie folgte ihm und setzte auf eine andere Nummer.

Es wurde todtenstill. Nur die Kugel rollte, und das Rauschen der Lora drang herein, als hielten beide eine geheimnißvolle Zwiesprache.

Dann zog der Kroupier Heino’s Goldstücke ein und ließ in unfehlbarem Wurf Leonoren eine Summe zufliegen.

Sie schob die ganze Summe auf eine andere Nummer.

Heino setzte abermals.

Er verlor wieder. Sie gewann.

Sie lachte leise, während ihre schöne von Brillanten funkelnde Hand mit den vor ihr aufgehäuften Goldstücken spielte wie ein Kind mit Rosen.

Heino leerte sein Portefeuille auf eine neue Nummer.

Ein dichter Kreis von Zuschauern hatte sich um sie gebildet.

„Sie spielen mit hohem Einsatz,“ krächzte Ravensburgk hinter Leonoren, welche abermals die gewonnene Summe auf eine andere Zahl schob.

„Ich riskire nichts,“ lachte sie übermüthig. „ich kann hier nicht verlieren, nicht gewinnen.“

„Das klingt ja verteufelt mysteriös,“ brummte Ravensburgk.

„Leonore!“ mahnte leise Frau Paloty, welche an der Seite in einem Fauteuil saß.

„Was hat es auch weiter auf sich, ein paar Hände voll Gold auf eine rollende Kugel zu setzen?“ scherzte Leonore. „Stehen wir nicht alle auf einer Kugel, die uns heute noch zu rosigem Licht erhebt, morgen vielleicht schon in schwarze Grabesnacht stürzt?“

Im nächsten Augenblick war der goldene Berg vor ihr wieder um das Doppelte gewachsen.

Heino’s hohen Satz hatte die Geldkrücke abermals eingezogen. Er nahm Ravensburgk vertraulich bei Seite. „Können Sie mir ein paar hundert Louisd’or leihen? ich erwarte in diesen Tagen eine Geldsendung von dem Inspektor meines Gutes."

Schweigend willfahrte dieser ihm. Aber dem Präsidenten flüsterte er zu: „Blachrieth verliert heute kolossal. Er hat die Besinnung ganz verloren. Geht das noch eine Weile so fort, dann kann morgen eine tüchtige Hypothek auf das Gut aufgenommen werden.“

Mit leisen Schritten war Frau Paloty zu ihrer Tochter getreten. „Wie kannst Du so unüberlegt handeln?“ flüsterte sie ihr zu.

Leonore schnippte mit den Fingerspitzen. „Ich wollte, ich könnte ihn ruiniren, um ihm dann Alles zurück zu geben.“

„Weißt Du so bestimmt, ob er es aus dieser Hand nimmt?“ fragte Frau Paloty.

Von der andern Seite ertönte der Unkenruf Ravensburgk’s: „Nehmen Sie sich in Acht! Allzuviel Glück im Spiel bedeutet Unglück in der Liebe.“

„Bah!“ lachte Leonore. „Meine erhabene Schutzpatronin Fortuna treibt keinen kleinlichen Schacher. Wem sie einmal hold ist, der ist gefeit gegen jede unheilspinnende Macht.“

„Fordern Sie das neidische Schicksal nicht heraus,“ mahnte der Präsident. „Nach alten Erfahrungen haben die dunklen Mächte keine Gewalt über Gefühle und Gedanken; aber das gesprochene Wort entfesselt die Tückischen.“

„Dem Falkneck kann es ja bange werden für seine Tantième bei ihrem Glück,“ bemerkte der ‚Sohn seiner Mutter‘.

„Wem?“ fuhr Leonore herum.

„Nun, dem sogenannten Faucon, dem Kroupier,“ antwortete Ravensburgk. „Da sitzt er ja vor ihrer schönen Nase: Der Herr mit dem schwarzen Henri quatre.“

„Die Falkenecks sind verschollen,“ widersprach Leonore schroff.

Ravensburgk sah sie erstaunt an. „Möchten sie es bleiben. Aber diesem Kerl ist bei seinem erbärmlichen Leben selbst das letzte Restchen Schamgefühl abhanden gekommen. Er giebt es zu, daß er der letzte Falkeneck ist.“

„Er giebt es zu?“ fragte Leonore wie geistesabwesend, indem ihre Augen mit zorniger Verachtung zu dem stattlichen Kroupier hinüber flogen.

Dieser hatte jedenfalls bemerkt, daß er der Gegenstand der Konversation war. Der Blick seiner schwarzen Augen begegnete dem ihren. Eine Sekunde lang kreuzten sie sich wie zwei blanke Klingen.

„Betrüger!“ zischte es von Leonoren’s Lippen leise und doch hörbar durch die Stille.

Die Lora rauschte auf. Frau Paloty schrak zusammen.

„Gehen wir, Leonore!“ sagte sie.

Verstört trat diese von der Roulette zurück. Mit dem Fächer schob sie ihren Gewinn, den ihr der stattliche Kroupier abermals zufliegen ließ, vom Tisch auf die Erde. „Pour le garçon!“ kam es von den zusammengepreßten Lippen.

Heino eilte schon fort, um den Wagen zu bestellen.

„Wohl bekomm’s, mein Poet, Du bist artig gerupft worden,“ murmelte Ravensburgk, als er Heino nachsah, der die Damen zu dem Wagen geleitete.

Auch er trat den Heimweg an.

Die Lichter in den Zimmern der Kurgäste waren bereits erloschen. Nur in Leonoren’s Boudoir schimmerte noch heller Schein.

Eine einzelne Gestalt wandelte vor den Fenstern auf und ab. Es war Blachrieth.

[349]


Vorabend
von
Uhland.


Was streift vorbei im Dämmerlicht?
War’s nicht mein holdes Kind?
Und wehten aus dem Körbchen nicht
Die Rosendüfte lind?

5
Ja, morgen ist das Maienfest!

O morgen, welche Lust,
Wann sie sich glänzend schauen läßt,
Die Röslein an der Brust!


[350] „Sind wir so weit, daß wir in der Nacht als Patrouille die Wohnung unserer Schonen umkreisen?“ brummte Ravensburgk vor sich hin. Laut aber begann er mit krächzender Stimme zu trällern: „Er sieht nicht die Felsenriffe, er starrt nur hinauf in die Höh.“

„Können Sie auch nicht schlafen?“ fragte Heino in weichem Tone und drückte ihm trotz des abscheulichen Ohrenschmauses so warm die Hand, als ob sein Herz vor Freundschaft und Dankbarkeit überflösse.

„Lassen Sie uns eine Cigarre rauchen,“ rieth Ravensburgk mit gutmüthigem Spott. „Das ist ein bewährtes Beruhigungsmittel. Da drüben ist das Café Lakrony noch geöffnet.“

Er nahm mit Heino unter der Veranda Platz, bestellte Sodawasser und zündete eine Cigarre an. Den Versuch, Konversation zu machen, gab er auf. Heino hörte ihn nicht, sondern blickte mit träumerischen Augen nach Leonoren’s Licht, das jetzt ganz matt geworden war, als sei es im Verlöschen.

Kein Mensch ließ sich mehr sehen. Nur die Stimme der Lora murmelte, und der kühle Nachtwind flüsterte in den Akazien.

Auch Ravensburgk versank in Gedanken. Da saßen nun Zwei, von denen der Eine aus Mangel an Erfahrung im Begriff stand, seine soliden Verhältnisse aufzugeben und in ein abenteuerliches Treiben sich hinein ziehen zu lassen, und der Andere von der Sorge erfüllt war, daß sein Ueberfluß an Erfahrung zum Hinderniß werden möchte, in ein geordnetes Leben zurückzukehren.

Da schallte ein eiliger Schritt über den Platz.

Als der Nachtwandler in den Lichtkreis der Gaskandelaber kam, sahen die beiden späten Gäste, daß es ein junger schlanker Mann war, vom Kinn bis zu den zierlichen bespornten Stiefeln in einen weißen mit Schnüren und Quasten besetzten Mantel gewickelt, einen breiten weißen Filzhut tief in die Stirn gedrückt.

Als der Weißmantel an sie heran kam, stutzte er und wich aus dem Lichtkreis. Dann eilte er mit festem Tritt rasch vorüber.

„Blüht hier Heliotrop?“ fragte Heino, plötzlich auffahrend. Aber das Pfeifenkraut und der Teufelszwirn, welche die Veranda umrankten, zeigten sich unschuldig an dem Verdacht. Er legte die Hand über die Augen und versank wieder in seine Träume.

Ravensburgk’s Blick war dem späten Wanderer gefolgt. „Er geht in den Lora-Pavillon, wo der Bankier Dornheim wohnt. Vielleicht ein Kroupier. Gute Nacht, Blachrieth.“

(Fortsetzung folgt.)




Allerlei Nahrung.
Gastronomisch-naturwissenschaftliche Plaudereien.0 Von Carl Vogt.
I.

Der Mensch ist, was er ißt," pflegte mein Freund Camperio zu sagen, der den Kanton Genf während einiger Jahre regiert hat, obgleich er Tessiner und selbst Lombarde war. Daß er nebenbei ein origineller Professor des Strafrechts und ein nicht minder origineller Redner in den eidgenössischen Räthen war, ist für das größere Publikum, besonders aber für das deutsche, um so gleichgültiger, als Camperio, trotz mehrjähriger Studien in Deutschland, nie eine Zeile hat drucken lassen. Der Professor wird aber in Deutschland nur nach der Zahl der Druckbogen gemessen, die er von sich gegeben hat. Das hindert nicht, daß Camperio’s Satz, den ich oben anführte, seiner Behauptung nach die Quintessenz aller Philosophie bildete, welche er sich in Berlin zu eigen gemacht hatte.

„Sage mir, was Du issest, und ich sage Dir, wer Du bist!“ lautet einer der Aphorismen Brillat-Savarin’s, des unsterblichen Verfassers der „Physiologie des Geschmackes“, durch deren Uebersetzung ich dem Kulturfortschritte des deutschen Volkes einen größeren Dienst geleistet zu haben glaube, als Hegel und Schopenhauer durch ihre philosophischen Systeme zu Stande gebracht haben.

Beide Sätze sagen etwa dasselbe; beide sind ebenso richtig als falsch. Der Ostpreuße und der Ire nähren sich beide von Kartoffeln und zwar in so ausschließlicher Weise, daß man gar nicht begreift, wie das Volk im grünen Erin und im Samlande vor Erfindung der Kartoffeln überhaupt sich anders ernähren konnte – aber trotzdem, daß diese gleichförmige Ernährungsweise jetzt schon etwa hundert Jahre andauert, wird Niemand behaupten wollen, daß Iren und Ostpreußen einander ähnlicher seien, als andere Arier, oder daß ihre Gedanken eine gewisse Uebereinstimmung zeigten.

Aber dennoch steckt viel Wahres in den beiden Sätzen. Der „unersättliche Magen“, wie Homer ihn nennt, hat einen großen, ja sehr großen Antheil an dem Aufbau der Civilisation der gesammten Menschheit, und auf ihm beruht wesentlich das Glück und die Zufriedenheit des Individuums wie der Familie. „Ein satter Mensch, ein schöner Mensch,“ sagte mein Onkel Forstrath, dem seine geizige Frau nie satt zu essen gab, wofür er sich zuweilen im Wirthshause schadlos zu halten suchte. Der Tante konnte zur Entschuldigung dienen, daß sie aus einem Lande stammte, welches wohl in grausige Tiefe zurücksinken würde, wenn es einmal einem Statistiker der Gastronomie einfallen sollte, die deutschen Stämme, Länder und Städte nach Qualität der Ernährung in Tabellen zu ordnen (die Quantität dürfte etwa überall die gleiche sein mit Ausnahme der thatsächlich Hunger leidenden Distrikte). Hamburg und Bremen würden gewiß in einer solchen Statistik die oberste Stufe einnehmen.

Die Ernährung im weitesten Sinne bildet den wahren „standard of life“; Wohnung, Kleidung und die geistigen Bedürfnisse kommen erst in zweiter Linie. Aber es ist offenbar, daß die Art der Ernährung von einer Menge von Faktoren abhängt, über welche der Mensch nicht immer gebieten kann. Es dürfte jetzt an der Zeit sein, diese Faktoren schärfer zu analysiren und in ihre einzelnen Elemente zu zerlegen, ehe die stets wachsende Vervielfältigung der Kommunikationen die Unterschiede zum großen Theile verwischt oder ausgleicht. Man vergegenwärtige sich doch den ungeheuren Umschwung, welchen die Konsumtion der Brotfrucht in den jüngsten Zeiten erlitten hat. Die eigentlichen Brotesser bilden nur eine Minorität der gesammten Menschheit, sogar jetzt noch, während sie in früheren Jahrhunderten nur einen sehr kleinen Bruchtheil der Bevölkerung der Erde ausmachten. Amerika kannte vor der Entdeckung das Brot nicht, und noch heute nähren sich zehnmal mehr Millionen von Reis, der nicht zu Brot verbacken wird, als von Weizen und Roggen. Aber die Brotesser (Arier und ein Theil der Semiten) haben sich über die ganze Erde verbreitet, erstere als dominirende Rassen, und sie wollen im Süden wie im Norden, im Osten wie im Westen ihr Brot haben. Früher, wo die Kommunikationen mangelhaft waren, konnte Pommern Hungersnoth haben, während die Pfalz im Ueberflusse schwamm. Heute regeln nicht nur Ungarn und Rußland, sondern auch überseeische Länder, wie Nordamerika, den Kornpreis im Inneren von Deutschland, und vielleicht werden in kürzester Zeit Indien und Australien ebenfalls mit Nachfrage und Angebot in diese Verhältnisse eingreifen. Endresultat aber wird sein, daß das Brot in solchen Gegenden, wo es noch zu den fast ausschließlichen Genüssen einer bevorzugten Klasse gehört, nach und nach heruntersteigen wird zu den weniger bemittelten, um deren Ernährungsverhältnisse ebenso von Grund aus umzugestalten, wie es die Kartoffel in so manchen Länderstrichen gethan hat.

Die Entwickelung geht also in der Zeit darauf hinaus, die Unterschiede, welche lokale Bedingungen in der Ernährung geschaffen haben und noch erzeugen, nach und nach zu verwischen. In gewissen Schichten der Gesellschaft ist dies schon geschehen; das Hôtel und das Restaurant, diese beiden Hebel der fortschreitenden Civilisation, haben jetzt schon einen gleichförmigen Tisch für die ganze von der Kultur beleckte Welt geschaffen. Man speist in Kairo nicht anders, als in St. Petersburg, in Hamburg an dem Ufer des Meeres nicht anders, als in Mürren auf 2000 Meter Höhe, und die Tafel der australischen Dampfer wird nicht anders besetzt, als diejenige der ersten Restaurants in Paris. Das kann sehr langweilig werden, läßt sich aber nicht ändern, und aus den Hôtels und der Welt der Reisenden sickern [351] die Gewohnheiten und Gepflogenheiten allmählich hinab in die Familien und die bürgerliche Gesellschaft.

Solche Processe spinnen sich nur langsam und allmählich ab, können aber auch durch besondere Ereignisse beschleunigt werden. Ich erwarte noch von irgend einem Berufenen eine Darstellung des Umschwunges, welchen das ganze Kulturleben Deutschlands in Folge des letzten französischen Krieges erlitten hat. Man hat unendlich viel in Frankreich gesehen, erfahren und erprobt; man hat besser wohnen, essen und schlafen gelernt, und wenn man nicht durch die Pedanterie der „Stilgemäßheit" die eroberten Resultate wieder in Frage stellte, so ließe sich über diese Errungenschaften manch' Schönes und Beherzigenswerthes sagen. Freilich geht selbst beim Sturmschritte nicht Alles mit einem Male; das bekannte „Berliner Zimmer" leistet ebenso hartnäckigen Widerstand, wie das täglich gebotene gesottene Rindfleisch, oder die furchtbare Foltermaschine mit meerestiefen Federwülsten, in der man sich noch immer in vielen Gegenden Deutschlands, sogar während des Sommers, allabendlich vergraben muß.

Trotz aller Ausgleichung werden aber stets Unterschiede fortbestehen, die wesentlich auf der Transportirungsfähigkeit der Nährstoffe im weitesten Sinne beruhen. Das Bessere schlägt zwar immer das Gute aus dem Felde, aber doch nur dann, wenn es überhaupt zum Schlagen kommen kann. Die Manövrirfähigkeit der Nährstoffe ist sehr verschieden. Die einen können nur langsam fort und bewegen sich nur über kleine Strecken, weil sie zu viel Ballast mit sich schleppen müssen. Die Kartoffel ist in diesem Falle; sie schleppt über 90 Procent werthloses Wasser mit sich. Andere Stoffe zersetzen sich, müssen unmittelbar in erster Frische verzehrt werden; wieder andere werden in zu geringer Menge producirt oder auch nur unter so schwer lastenden Bedingungen, daß sie kein Gemeingut werden können.

Zu den mannigfachen berechenbaren Bedingungen, die bei Annahme eines Nahrungsmittels mitspielen, kommen aber noch andere, welche durchaus unberechenbar sind, Launen, nicht von einzelnen Individuen, sondern von ganzen Völkerschaften, um so hartnäckiger festgehalten und um so tiefer eingewurzelt, je weniger vernünftige Gründe dafür angeführt werden können. Die Chinesen finden, daß ein gemästeter Hund ein ausgezeichneter Leckerbissen sei, während wir Tausende von Centnern dieses bei den Himmelssöhnen so geschätzten Nahrungsmittels verfaulen lassen. Die Semiten verabscheuen allesammt das Schweinefleisch, und Moses hat sein Verbot desselben nur diesem Abscheu entlehnt, der lange vor ihm bestand und wahrlich nicht durch die nachträgliche Entdeckung von Bandwurmfinnen und Trichinen sich erklären läßt. Sogenannte religiöse Gründe für solche althergebrachte Antipathien lassen sich zwar gewöhnlich finden; sie sind aber, bei genauerer Betrachtung, nur Mythen, welche um die Thatsache herumgesponnen wurden und gerade deßhalb nichts erklären, weil sie zum Zwecke der Erklärung ersonnen wurden.

Antipathien werden durch Sympathien ergänzt, und nirgends sonst finden wir solche ausgesprochene Launen, so ausgeprägte Vorliebe für gewisse Dinge, wie in dem Gebiete der Nahrungsmittel. Die meisten sogenannten Nationalgerichte gehören hierher; gewöhnlich sehr zweifelhafte, aus grauer Vorzeit stammende Zubereitungen, an die man sich von Jugend auf gewöhnt haben muß, für welche man in Folge dieser Gewöhnung sogar schwärmen und sich begeistern kann, während der mit diesen Jugenderinnerungen nicht vertraute Mensch, der nur auf seine Zunge und seinen Gaumen angewiesen ist, absolut unbegreiflich findet, wie man solches Zeug hinunterschlucken könne. Manche dieser kulinarischen Eigenthümlichkeiten tragen das Alterszeugniß auf der Stirn; man kann sicher sein, daß alle Speisen, zu deren Zusammensetzung Honig gehört, den Ursprung ihres Receptes wenigstens bis in das Mittelalter, wenn nicht gar in die Römerzeiten zurückdatiren können. Dem Gulasch der Ungarn ist das Ursprungszeugnis von den wilden Reiterscharen der Hunnen aufgedrückt, die ihr Fleisch unter dem Sattel mürbe ritten, statt es zu kochen oder zu braten.

Wie zu diesen historischen Ruinen verschwundener Civilisationsstufen, schüttelt der Unberufene auch zu einer Menge lokaler Nährstoffe den Kopf, kostet sie meist nur mit Unbehagen und gewöhnt sich nur mit Mühe daran, was nicht hindert, daß in einzelnen Fällen der anfängliche Abscheu in Leidenschaft umschlagen kann. In Beziehung auf Erzeugung solcher Genüsse ist das Meer unerschöpflich und dem Binnenlande weit überlegen. In früheren Zeiten war überhaupt nur ein schmaler Küstensaum den Erzeugnissen des Meeres zugänglich; die homerischen Helden und die handeltreibenden Phönicier durchschifften die Salzfluth nicht, um Fische, Hummern oder Austern zu holen. Bei den Gastmahlen dieser altgriechischen Insel- und Küstenbewohner, dieser viehhütenden Raubritter spielen die Erzeugnisse des Meeres oder des süßen Wassers gar keine Rolle. Man kennt Ichthyophagen, fischessende Völker, aber weder in dem Hause des Odysseus, noch in dem Palaste des Alkinoos, die doch unmittelbar am Strande wohnten, wurde jemals ein Fisch aufgetischt, geschweige denn im Binnenlande bei Menelaos. Man überließ wahrscheinlich solche gemeine Nahrung dem niedrigsten Volke, welches sie, wie heute noch der Neapolitaner, großentheils roh verzehrte. Wie für die in Norddeutschland gefangen gehaltenen Franzosen das schwarze Roggenbrot, so galt für die verschlagenen Gefährten von Odysseus und Menelaos die Fischnahrung als Beweis des tiefsten Elends, und daß sie auf den Inseln des Proteus und des Helios mit „gebogenen Angeln" in der Noth und „gequält vom hungrigen Magen" fischen mußten, gehört zum Entsetzlichsten, was sie erduldeten.

Man vergleiche nun mit diesen homerischen Zuständen die heutigen, wo ein leckerer Fisch auf keiner gut besetzten Tafel fehlen darf und ein nordischer Fisch, der Stockfisch, eines der Hauptelemente der Ernährung für die Bewohner der Mittelmeerländer abgiebt und wesentlich den Preis des Oels bestimmt — welcher Umschwung der Verhältnisse, tief eingreifend in jeder Beziehung! Die Erzeugnisse des heimathlichen Meeres, von den massenhaft vorkommenden Thunfischen und Makrelen an bis zu den selteneren Fischen, genügen dem Anwohner des Mittelmeeres nicht, um sein Nahrungsbedürfniß zu befriedigen; er tauscht sein Salz und sein Oel gegen den in der Nähe des Polarkreises gefangenen Stockfisch aus, der auf weitem Wege durch die Straße von Gibraltar ihm zugebracht wird.

Wie die Produkte des Meeres sich einerseits einen stets größeren Absatzmarkt in dem Binnenlande erobern, so bedingt auch die Beschaffung einzelner derselben andrerseits einen stets vergrößerten Jagdbezirk. Von der Küste aus wandert die Auster jetzt schon in weite Fernen, Dank der durch die Eisenbahnen beschleunigten Verführung und den verbesserten Konservirungsmethoden; aber wenn die Auster fast nur aus der unmittelbaren Nähe des Strandes bezogen werden kann, weil sie in größeren Tiefen nicht fortkommt, so erobert die Hochseefischerei stets neue Jagdgründe in vorher unzugänglichen Tiefen der Gewässer.

Der Binnenländer ist mit den Gestalten der Fische und Krebse schon hinlänglich vertraut, und er findet nichts Auffallendes in der Zumuthung, sie als Nährstoffe zu benutzen. Die Sache wird ihm schon etwas bedenklich, wenn die Formen der ihm angebotenen Fische von denjenigen der Süßwasserfische bedeutend abweichen. Vor dreißig Jahren noch würde eine schwäbische Köchin um keinen Preis einen Rochen oder Steinbutt eingekauft haben; der Hamburger, der ein solches Ungethüm sich wohlschmecken ließ, würde ihr wie ein halber Kannibale vorgekommen sein. Und nun gar all' das übrige Zeug, was in dem Meere sitzt, kriecht und schwimmt, von dessen Existenz der Binnenländer keine Ahnung, und vor dessen Verzehrung er einen instinktiven Abscheu hat! Aber über derlei Dinge läßt sich reden, und die Vorurtheile weichen vor dem Guten und Schönen, wenn auch nur langsam.

Unser Thema entbehrt sogar nicht ganz des Geheimnißvollen und Mystischen. Es ist geradezu unerklärlich, wenigstens bis jetzt, wie der Mensch auf eine Reihe von Nahrungsmitteln, besonders Genuß- und Reizmittel, verfiel, dieselben aus einer Menge ähnlicher Substanzen hervorzog und sich aneignete, während er Verwandtes bei Seite schob. Wie in aller Welt kam er auf den Paraguay-Thee, den Mate, jenen Absud der Blätter einer bestimmten Stechpalmenart, während er die übrigen Arten der Gattung nicht benutzte? Man kann nicht behaupten, daß er alle Sträucher Paraguays durchprobirte, um schließlich diese Theestaude zu adoptiren — und doch ist es eine Thatsache, daß nur sie einen trinkbaren Mate liefert!

Vielleicht bietet es einiges Interesse, von einzelnen Nahrungsstoffen zu sprechen, die gerade nicht zu dem Alltäglichen gehören, mehr oder minder aber doch in den täglichen Gebrauch vorzudringen und statt der lokalen Joppe den kosmopolitischen Frack anzulegen suchen.




[352]

Ein Deutscher vom rothen Kreuz.

Erinnerung an den serbisch-bulgarischen Krieg, December 1885.0 Von Karl Braun-Wiesbaden.

Bulgarische Frauentracht.

Im Jahre 1878 habe ich in meinen Reise-Eindrücken aus dem Süd-Osten (Band III, Seite 145) Bericht erstattet, wie sich die Genfer Konvention und das rothe Kreuz in den Aufständen und den Kriegen, deren Schauplatz in der Zeit von 1875 bis 1877 die Balkan-Halbinsel war, bewährt hat, wie die Türken aus religiösen Bedenken statt des rothen Kreuzes den rothen Halbmond im weißen Felde annahmen, wie aber gleichwohl das rothe Kreuz so wenig wie der rothe Halbmond überall den nöthigen Respekt fanden, wie vielmehr von allen Bethelligten – von den Türken, den Russen, den Bulgaren, den Serben und den Montenegrinern – Beschwerden wegen Verletzung der Genfer Konvention erhoben und leider vielfach begründet befunden wurden.

Heute, 1886, bin ich in der Lage, ein erfreulicheres Bild ungehemmter und segenbringender Thätigkeit des rothen Kreuzes aus Anlaß des serbisch-bulgarischen Krieges von l885 entrollen zu können. Ich folge bei meiner Erzählung den Mittheilungen meines verehrten Reichstags-Kollegen, des schlesischen Rittergutsbesitzers von Hoenika, der sich seit zwanzig Jahren mit opferfreudiger Hingebung dem Dienste des rothen Kreuzes gewidmet und sowohl 1866 im preußisch-österreichischen Kriege und 1870 und 1871 im französischen Feldzuge, als auch 1877 und 1878 im türkischen und 1885 im serbisch-bulgarischen Kriege eine hervorragende Thätigkeit im Dienste der leidenden Menschheit, ohne Unterschied der Rassen und der Religionen, entfaltet hat.

Seine Mittheilungen aus Serbien und Bulgarien waren mir von dem höchsten Interesse, da ich diese Länder wiederholt bereist habe, und ich glaube, auch den zahlreichen Lesern der „Gartenlaube“ einen Dienst zu erweisen, wenn ich aus seinen Berichten und meinen Erinnerungen dasjenige mittheile, was allgemein wissenswerth ist.

Von dem deutschen Centralkomité des rothen Kreuzes, das unter dem Protektorate der deutschen Kaiserin steht, erhielt Herr von Hoenika am 8. December 1885 den Auftrag, eine große Sendung von Lazarethgegenständen, als da sind Verbandzeug, Medikamente, Decken, Kleider etc., – in Summa im Gewichte von nahe an 4000 Kilo – möglichst bald, schnell, sicher und billig von Berlin nach Sofia, der Hauptstadt von Bulgarien, zu transportiren. Das ärztliche Personal, die Herren Doktoren Gluck, Grimm und Langenbuch, waren schon auf anderem Wege vorausgeeilt. Einer besonderen Instruktion bedurfte es für Hoenika nicht. Er kannte aus dem Jahre 1877 die Gegend zwischen Rustschuk und Plewna. Man überließ ihm vertrauensvoll alle Einzelnheiten der Ausführung, deren Schwierigkeit auf der Hand lag.

Die Donaudampfschifffahrt wird im Winter eingestellt, und zwar in der Regel Mitte December. Wenn aber auch die Dampfer noch gingen, so waren dieselben doch schon bedroht durch Eisgang und Nebel, und zum Oefteren mußte sie auch in Orsowa liegen bleiben. Dann gingen auch wieder Schiffe von Turn-Severin, auf rumänischem Boden, donauabwärts. Auf telegraphische Anfrage erhielt Herr von Hoenika Auskunft, das letzte Schiff von Pest gehe am 12. und das letzte von Turn-Severin am 18. December 1885 donauabwärts, falls kein Eisgang eintrete; und der Chef des bulgarischen rothen Kreuzes, Metropolit Clement in Sofia, antwortete, der Weg von Lom-Palanka nach Sofia (über den Balkan) stehe offen, freilich sei er bei schlechtem Wetter schwer passirbar. Der tapfere Ritter vom rothen Kreuze wählte die schwierigste, aber auch kürzeste Route, nämlich mit der Eisenbahn von Berlin bis Turn-Severin und von da mit dem Dampfschiff nach Lom-Palanka. Die Verwaltungen der Eisenbahnstrecken, welche er zu befahren hatte, kamen ihm bereitwilligst entgegen. Sie erlaubten ihm, den großen Packwaggon, der die Lazarethgegenstände enthielt, an die Eilzüge anzuhängen. Denn nur so war es möglich, Turn-Severin noch zur richtige Zeit zu erreichen; und um zu verhüten, daß nicht irgendwo der große Wagen, der für die Bahnverwaltung eine höchst unangenehme Zugabe des Eilzuges bildete, abgehängt werde und stehen bleibe, mußte Herr von Hoenika sich bequemen, selbst in dem Packwagen Platz zu nehmen und seine Schätze zu bewachen.

Am 12. December 1885 verließ Herr von Hoenika Berlin mit dem Personenzuge, um über Ratibor und Pest nach Turn-Severin zu fahren. Unterwegs erfuhr er, daß die Dampfschifffahrt von Pest donauabwärts schon eingestellt sei wegen Eisgangs. Es schneite unaufhörlich. In Ungarn schon lag der Schnee meterhoch, dabei wehte ein eisiger Wind, der die Schneemassen auf dem Bahndamme aufhäufte und eine gänzliche Einstellung des Eisenbahnverkehrs fürchten ließ. Ein Grund mehr, den Packwaggon mit dem anvertrauten Gut nicht zu verlassen. Denn hier galt der Satz „Doppelt giebt, wer schnell giebt“ noch mehr, als im gewohnlichen Leben.

So machte Herr von Hoenika, nur von seinem Diener begleitet, die endlos lange Fahrt in dem Packwagen, immer wachsam, „toujours en vedette“.

Man denke sich die Situation in dem Wagen!

Eine Stalllaterne diente nur nothdürftig, mehr die Finsterniß erkennen zu lassen, als den Raum zu erhellen. Dabei herrschte eine grimmige Kälte und der Schnee drang durch alle Spalte und Ritze bis in den hintersten Winkel. Kleider und Decken vermochten kaum noch Schutz zu gewähren. Ein Spirituskochapparat versagte den Dienst; das Wasser in den Flaschen war eingefroren. Wurst und Brot, die man mitgenommen hatte, waren nicht zu genießen. Sie waren festgefroren, und wenn man hineinbiß, knirschten die Eissplitter zwischen den Zähnen. Während der langen Fahrt – sie dauerte drei Tage und drei Nächte, ohne Unterbrechung, bei 15 bis 20 Grad Kälte – versagten alle Hilfsmittel, mit Ausnahme eines feinen Kognak, den man von Berlin mitgenommen hatte, und eines unbekannten Wohlthäters, dessen Namen man niemals erfahren. Dieser warf nämlich auf einer ungerischen Station ein großes Bund Stroh in den Packwagen, und Herr von Hoenika beeilte sich nun, unter Beistand seines Dieners nach Möglichkeit die Ritze und Spalten des Packwagens zuzustopfen, wodurch etwas Schutz gegen Schnee, Kälte und Wind gewonnen wurde.

Am 16. December Abends wurde endlich Turn-Severin erreicht. „Am nächsten Morgen früh geht das letzte Schiff donauabwärts nach Galatz,“ lautete die Nachricht auf dem Bahnhof, welcher jedoch weit entfernt ist von der Schiffslände an der Donau. Bis tief in die Nacht galt es nun zu arbeiten, um durch den tiefen Schnee auf unwegsamer Strecke die etwas zu groß gerathenen Kisten auf den Dampfer zu schaffen. Endlich konnte der Ritter vom rothen Kreuz sich auf dem Dampfer wieder eines warmen Essens und eines bequemen Nachtlagers erfreuen. Sein erquickender Schlummer wurde Morgens um fünf Uhr durch die Bewegung der Schaufeln des Dampfers und das Rauschen des Wassers unterbrochen.

„Gott sei Dank,“ sagte Hoenika, „die schwierige Mission ist gelungen!“

Palast des Fürsten Alexander in Sofia.

Allein die Enttäuschung folgte der Freude auf dem Fuße. Ein toller Schneewirbel und dann ein Nebel, den man mit dem Messer schneiden konnte, machten die Fortsetzung der Fahrt alsbald unmöglich und zwangen, nach Turn-Severin zurückzukehren. Nach drei Stunden siegte die Sonne, und der Dampfer fuhr aufs Neue donauabwärts. Die erste Landestelle war Widdin. Diese befestigte Stadt war auf der Landseite von siebentausend Mann Serben eingeschlossen und belagert. Auf der Flußseite war sie offen. Herr von Hoenika hatte von Turn-Severin aus dem Metropoliten von Widdin, dem dortige Chef des rothen Kreuzes, seine Ankunft telegraphisch gemeldet. Er wurde, als das Schiff in Widdin anlegte, von dem Metropoliten und dem Kommandanten der Festung empfangen. Der Letztere, Hauptmann Jusunof, hat sehr Rühmliches im [353] Kriege geleistet. Die Festung hatte nur einige Mann Besatzung. Sie war seit 1878 in Verfall gerathen. Jusunof hatte aber in aller Eile Waffen von Rustschuk und Nikopolis kommen lassen und damit dreitausend Mann bewaffnet, die vom Lande freiwillig hereingeeilt waren und die Festung gegen die mehr als doppelt so starken serbischen Belagerungstruppen hielten. Aber die Noth und namentlich der Mangel an Lazarethgegenständen war groß. Herr von Hoenika war so glücklich, mit seinen reichlichen Vorräthen aushelfen zu können.

Dann dampfte er noch denselben Tag nach Lom-Palanka. Von da galt es den schnee- und eisstarrenden Balkan zu überschreiten und nach Sofia zu gelangen. Der Präfekt hatte zehn Wagen zur Verfügung gestellt, mit schleppfüßigen Ochsen bespannt, geführt von bulgarischen Bauern und eskortirt von einer Abtheilung Gendarmen.

Ein bulgarischer Wojwode.

„Es ist eine harte Tour, denn der Paß ist 4600 Fuß hoch und selbst bei gutem Wetter schwer zu passiren. Zur Zeit aber haben wir furchtbare Schneewehen und 24 Grad Kälte. Uebrigens sind die Ochsen ausdauernder als die Pferde, die sich zu schnell abstrapaziren. Ich denke, es wird gehen.“

So lautete die wenig tröstliche Auskunft.

„Ich denke auch,“ sagte kurz entschlossen Herr von Hoenika und machte sich an das gefährliche Wagniß, das selbst den Kühnsten erzittern machen konnte. Der Weg war vollständig verschneit und verweht, und da er auch weder durch Bäume, noch durch sonstige Zeichen markirt war, so riskirte man, in die tiefen Abgründe zu fallen, und von da wäre keine Rückkehr gewesen. Hoenika bediente sich eines nothdürftig aus Brettern zusammen genagelten bäuerlichen, offenen Schlittens. Er und sein Diener saßen auf einem kleinen Reisekoffer, natürlich ohne Lehne. Der kalte Wind schnitt in das Gesicht, wie eine Säge aus Eis. Längs der Straße lagen gefallene Pferde und Ochsen. Sie waren der Kälte und den Anstrengungen erlegen. Nachts kamen die Wölfe zum Vorschein, deren es in dem Balkan noch viele giebt. Sie nagten an den Kadavern und kamen manchmal so nahe, daß man ihre glühenden Augen sehen konnte. Ihr unheimliches Geheul begleitete den Schlitten und die Wagen schon von der Dämmerung an. Man fuhr täglich 15 bis 16 Stunden. Es gab zwar unterwegs Einkehrhäuser oder „Han“, aber diese primitiven Hôtels haben noch den türkischen Zuschnitt. Man findet darin nichts als ein Dach und vier Wände aus Lehm; was man sonst nöthig hat, muß man sich selber mitbringen. Höchstens bekommt man etwas Mamaliga (einen Brei aus Kukurutz, der das bulgarische Leibgericht bildet) und etwas Schwarzbrot; wenn es gut geht, trifft man auch einen überheizten kleinen Ofen von Eisen, wie sie früher in Mitteldeutschland allgemein gebräuchlich waren. Gewissermaßen war aber die Kälte als ein Glück zu betrachten. Sie band den Schnee, und wenn es geregnet hätte, so wäre ein großer Theil der werthvollen Ladung verdorben.

So kam denn Herr von Hoenika, mit unversehrter und tadelloser Ladung, am 24. December nach Sofia. Es war Weihnachten nach unserem Kalender, und obwohl er gerne dies Fest inmitten der Seinigen zugebracht hätte, so tröstete ihn doch der Gedanke, daß er durch die Mission, die er übernommen und ungeachtet aller Unbilden der Witterung und allen Widerstands der Elemente erfolgreich durchgeführt hatte, vielen Verwundeten und Kranken eine Hilfe brachte, die sie ohne ihn entbehrt haben würden. Das war auch eine Weihnachtsfeier!

Er hatte trotz aller Hindernisse die lange Strecke von Berlin bis Sofia mit seiner schweren und kostbaren Ladung in elf Tagen zurückgelegt. Sein Waggon hat 1676 Kilometer auf Eisenbahnen durchlaufen, wozu dann noch der Transport auf der Douau und über den Balkan hinzukommt. Die Transportkosten beliefen sich im Ganzen auf 1479 Mark, also per Pfund auf nicht mehr als 33 Pfennig. Die Vorräthe waren so reichlich, daß nicht nur die von den Berliner Aerzten geleiteten Lazarethe versorgt werden konnten, sondern auch das des Schweizers Dr. von Bonet und des Württembergers Dr. Heberle, abgesehen von Dem, was schon in Widdin abgegeben wurde.

Man kann sich kaum all das Elend vorstellen, was unrettbar über Bulgaren sowohl, als über Serben hereingebrochen wäre, wenn nicht die internationale Thätigkeit dazwischen getreten wäre. Die Genfer Konvention hat nie größere Triumphe gefeiert, als in diesem gleichsam improvisirten Kriege, wo es an Allem fehlte. Die Delegirten Deutschlands, der Schweiz, Italiens, Oesterreichs, Ungarns, Rumäniens und Rußlands arbeiteten um die Wette. Die Deutschen, die Oesterreicher und die Rumänen besorgten vorzugsweise die großen Lazarethe. Die Ungarn, unter Baron von Ambrosi und Gras Törek, haben sich große Verdienste um Wegbringung der Verwundeten von den Schlachtfeldern erworben, wobei die leichten ungarischen Bauernwägelchen sich besser bewährten in diesem Gebirgsland, als die großen schweren, kunstvoll hergestellten Krankenwagen. Was die Italiener anlangt, so war deren eine große Anzahl bei den Eisenbahnarbeiten hier beschäftigt, und da die Arbeiten durch den Krieg ins Stocken geriethen. so bildeten diese braven Arbeiter Evakuations-Kolonnen, welche die Verwundeten auf den Schlachtfeldern um Pirot auflasen und in die Lazarethe schafften. Das italienische rothe Kreuz stellte die erforderlichen Geldmittel.

In den Lazarethen, deren die Deutschen drei hatten – eines in dem Bankgebäude unter Dr. Langenbuch, eines vor der Stadt unter Dr. Gluck, und dann noch ein drittes in Pirot – bewährten sich die Krankenpflegerinnen vortrefflich. Eine derselben, Fräulein Antonie von Dömming, bisher Viktoria-Schwester in dem königlichen chirurgischen Klinikum in Berlin, hat sich dort mit dem Hof-Prediger des Fürsten Alexander verlobt. Derselbe heißt Koch und ist ein vortrefflicher Schwabe. So finden sich die Deutschen im Ausland.

Ich will jetzt noch ein Wort zur Erläuterung unserer Bilder bemerken:

Wer Sofia in türkischen Zeiten gekannt hat, der erkennt es nicht wieder. An dem Ostende der alten Stadt erhebt sich eine neue, Klein Berlin genannt, eine Stadt von westeuropäischer Schönheit. Unser Bild zeigt den dort befindlichen Palast des Fürsten Alexander, sowie ein Stück der Parkanlagen. Dann wollen wir uns einige bulgarische Typen betrachten.

Lassen wir dem schönen Geschlechte den Vortritt. Wir sehen hier znnächst eine bulgarische Frau in der malerischen Tracht ihres Landes. Diese Tracht ist eben so einfach als schön, und Alles, was die Frau trägt, ist die Arbeit ihrer eigenen kunstfertigen Hände. Sie selbst hat das Alles gesponnen, gewebt und gestickt. Der Rock – oder sollen wir sagen das Hemd? – ist reich gestickt an der Brust, dem Hals und den Aermeln, und dasselbe gilt von der Doppelschürze, welche vorn und hinten den Rock überdeckt und in den lebhaftesten Farben – weiß, blau und roth – prangt.

Der Zweite in unserer bulgarischen Nationalgalerie ist ein bulgarischer Wojwode, ein Großgrundbesitzer und Häuptling, der als Freiwilliger in der Armee dient. Man sieht, es ist ein wohlgenährter und wohl ausgerüsteter Herr, mit zahlreichen Westen und Gürteln und einem ganzen Arsenale von allerlei Waffen zum Hauen, Stechen und Schießen. Er steht in seinen eigenen Schuhen. Diese Schuhe aber sind „Opanken“, das sind die leichten und beweglichen Gebirgsschuhe der Balkan-Slawen, womit dieselben über die Felsen klettern gleich den Gemsen.

Bulgarischer Hirte.

Dann sehen wir einen Hirten, an Haupt, Leib und Gliedern derart in Schafpelz eingehüllt, daß man ihn – abgesehen von den Füßen – für einen antiken Faun oder Satyr halten könnte. Auf unserem Bild führt er den Hirtenstab. Wenn man ihm aber statt des Hirtenstabs eine lange Flinte in die Hand giebt, dann ist damit der bulgarische Milizsoldat fertig. Alles Uebrige bleibt Dasselbe. Diese Tracht ist die nämliche für Uniform, wie für Civil – für den streitbaren Krieger, wie für den idyllischen Hirten. Jedenfalls weiß er die Flinte eben so gut zu handhaben, wie den Stab eines Hirten. Das haben die Serben erfahren. …

Den Rückweg mußte Herr von Hoenika über Serbien nehmen. Die Donau ging mit Eis und war unpassirbar. Die Türken hatten östlich von Rumelien die Eisenbahnbrücken in die Luft gesprengt und den Verkehr unterbrochen. Nach Konstantinopel war also nicht zu kommen.

Zum Ruhm der Serben muß hervorgehoben werden, daß die dortigen Officiere und Beamten dem deutschen Vertreter des rothen Kreuzes bei seiner Rückkehr in jeder Weise förderlich waren, obgleich er aus Bulgarien kam, und daß sie überhaupt die Vorschriften der Genfer Konvention nach jeder Richtung anerkannten und befolgten.

Herr von Hoenika schloß seinen Bericht, in welchem er stets bemüht war, die Verdienste Anderer mehr hervorzuheben, als seine eigenen – in dieser Beziehung habe ich, vielleicht gegen seinen Willen, seine Darstellung etwas vervollständigt – mit den erhebenden Worten:

„Von Krieg zu Krieg habe ich die erfreuliche Erfahrung gemacht, wie das Verständniß und die Liebe zu den Bestrebungen des rothen Kreuzes und der Respekt vor der Genfer Konvention immer mehr bei der Bevölkerung Europas, vom Hellespont bis zum atlantischen Ocean, Wurzel geschlagen. Von Krieg zu Krieg wächst auch bei mir, trotz vorgerückter Jahre, die Begeisterung für dieses erhabene Werk der Humanität und der Eifer, auch fernerhin demselben zu dienen.“

Kurz, unsere deutschen Ritter des rothen Kreuzes haben auch in diesem höchst eigenthümlichen Kriege, zur Ehre ihres Vaterlandes, ihre Pflicht voll und ganz erfüllt im Interesse der Menschlichkeit und der leidenden Menschheit. Ehre, wem Ehre gebührt!




[354]

Was will das werden?

(Fortsetzung.)


Es war dem Herzog fast schon zur Gewohnheit geworden, daß er sich bei diesen Zusammenkünften ein oder das andere Gedicht, welches inzwischen bei mir entstanden, vorlesen ließ, um seine Bemerkungen daran zu knüpfen, die manchmal zu förmlichen ästhetisch-poetischen Exkursen wurden. Ich pflegte mir zu dem Zweck ein paar Sächelchen zurecht zu legen, von denen ich hoffen durfte, daß sie ihm gefallen würden. Heute stand mein Sinn ganz anders. Es war wie eine Tollheit über mich gekommen, ihm zu widersprechen, ihn zu reizen, ja mehr: ihn zu zwingen, den störrisch-widerspänstigen Menschen fortzuschicken, fortzujagen womöglich noch in dieser Stunde, auf der Stelle.

„Ich hätte Eurer Hoheit nur eines aufzuweisen,“ erwiderte ich, scheinbar ruhig, trotz des furchtbaren Herzklopfens, das mir den Athem zu benehmen drohte, „und ich fürchte, Eure Hoheit würden das eine keineswegs hübsch finden.“

„Da ich bei Ihnen sicher sein darf, daß es nicht de mauvais genre ist – ein genre, das, wie Sie wissen, ich ein für allemal nicht goutire – heraus damit! Wo steckt es?“

„Ich kann es Eurer Hoheit auswendig sagen,“ erwiderte ich.

„Desto besser. Ist es lang?“

„Nein.“

„Also!“

Er lehnte sich in die Sofa-Ecke zurück. Ich holte noch einmal hastig Athem und recitirte, ohne zu stocken und ohne die Augen von ihm zu verwenden, der die seinen, als aufmerksamer Hörer, halb eindrückte:

„Nie neidet’ ich dem Hirschen seine Schnelle;
Nie wünscht’ ich mir des Löwen wucht’ge Krallen;
Und selbst im Traum ist mir nicht eingefallen,
Zu prunken in des Panthers buntem Felle.

Den Armen war ich stets ein Gutgeselle;
Auch mied ich nicht des Reichen Marmorhallen;
Wenn fromme Leute zu den Tempeln wallen,
Verengt’ ich ihnen nie die heil’ge Schwelle.

So laß’ jedwed’ Geschöpf ich gerne gelten.
Nur ein’s, gesteh’ ich, macht mein Herz beklommen:
Der Herrscher Existenz und sondre Rechte.

Und doch unbillig wär’s, darob zu schelten,
So lang’ neun Zehntel, die zur Welt gekommen,
Sich wohlig fühlen als gebor’ne Knechte.“

„Bravo!“ rief der Herzog.

Ich starrte ihn erschrocken an.

„Das ist vortrefflich,“ fuhr er lebhaft fort; „Alles rund und klar, mit schönem Rhythmus der wohlgebauten Verse, die in vollen Reimen rein ausklingen. Auch das scheinbar bedeutungslose Vorspiel der ersten Strophe, das sich dann in der zweiten schon vertieft, bis in der dritten das Thema schnell und kräftig einsetzt, um in der vierten mit nicht minder kräftiger Ironie abgethan zu werden – es ist wirklich mit das Beste, was Sie in letzter Zeit gemacht haben. Und wie à propos der Inhalt zu unserem abgebrochenen Gespräche über den ,Münzer’! Ja, cher ami, merken Sie denn gar nicht, welche Waffe Sie mir mit diesem Sonett gegen Sie in die Hand geben? Kann man die ,Existenz der Herrscher’ und ihre ,sondren Rechte’ fester stabiliren, als auf dem Umstand, daß neun Zehntel aller Geborenen geborene Knechte sind? Sie räumen das ja selber ein. Nun, und neun Zehntel, die ohne Herrscher nicht leben können, werden wohl das eine Zehntel, das ohne dieselben fertig werden zu können glaubt, majorisiren dürfen! Dagegen kann doch der eingefleischte Demokrat nichts einzuwenden haben. Ich gebe Ihnen mein Wort: in dem Augenblicke, wo die Sache umgekehrt liegt, und unsere neun Zehntel Ihre neun Zehntel geworden sind, bin ich der Erste, der den, welcher seine fürstlichen Herrlichkeiten auskramen wollte, aufs Schafott oder ins Irrenhaus schickt. Bis dahin –“

Er brach ab, hielt nachdenklichen Blickes die ausgegangene Cigarre in das Licht und fuhr dann, leiser und mehr mit sich selbst, als zu mir sprechend, fort:

„Bis dahin, fürchte ich, wird noch viel Wasser bergab laufen. Ich sage: fürchte, denn im Grunde meines Herzens gehöre ich zu Ihrem einen Zehntel, und wäre ich nicht auf einem Throne geboren, würde ich ein fanatischer Revolutionär geworden sein, ja auch auf dem Throne, wäre der Thron hoch genug gewesen, daß sich das Revolutioniren der Mühe verlohnt hätte. Dennoch habe ich es versucht. Was ist mein Lohn gewesen? Des Thoren Lohn, der zusehen muß, wie nun hinterher Schlauere jene neun Zehntel, die ich aus ihrer stumpfen Lethargie wecken und zur Freiheit begeistern wollte, mit dem Mohnsaft von Macht und Ruhm – ah bah!“

Er hatte die Cigarre in den Aschbecher geschleudert und sich erhoben.

„Da schwätzt man die Mitternacht heran, und ich muß morgen so früh heraus. Ich möchte Sie eigentlich mitnehmen, um Sie auf andere Gedanken zu bringen; aber an dem leidigen Berlin würden Sie auch keine Freude haben. Ich will Ihnen einen andern Vorschlag machen. Laufen Sie einmal, während ich weg bin, in meinen lieben Bergen herum! Das wird Ihnen gut thun. Sie sehen verzweifelt blaß und angegriffen aus. Sie können ja den Holzbock mitnehmen, oder Sie gehen auch meinetwegen allein. Aber gehen Sie. Und kommen Sie wieder mit rothen Wangen und Augen, die fröhlich in die Welt und nicht in Jedem, der das Unglück hat, als Fürst geboren zu sein, gleich einen Tyrannen sehen, zumal wenn er es so herzlich gut meint, wie ihr unterthänigster Diener mit Ihnen – Sie Brausekopf, Sie!“

Er hatte mir bei den letzten Worten die Wange sanft mit der Hand gestreichelt, die er mir nun mit lässigem Drucke reichte.

Dann war ich allein, verstört auf die Thür blickend, durch die er gegangen war.

So mag ein Gefangener auf die Thür blicken, die der Kerkermeister hinter sich abgeschlossen. Der dumme Teufel hatte wirklich versucht, die goldenen Ketten abzustreifen. Für diesmal war es ihm nicht gelungen.


8.

Am andern Morgen war der Herzog bereits fort, und das Ränzelchen, das er mir noch herübergeschickt mit dem Bemerken, er habe es selbst als junger Mensch durch den Wald getragen, hatte Holzbock, den ich zu Hause lassen wollte, bereits sorgfältig gepackt, als mir ein Briefchen von Adele gebracht wurde:

„Lieber Trauter! Sei so gut und komme sofort zu mir! Ich habe Dir etwas mitzutheilen, wozu ich gestern nicht den Muth hatte und woran das Glück meines Lebens hängt, das Du in Deiner Hand hast, die viel mächtiger ist, als Du ahnst. Ich darf dem Papier nicht mehr anvertrauen, wie ich Dich denn auch bitte, Niemand wissen zu lassen, daß Du zu mir gehst. Aber so viel mußte ich schreiben, weil ich fürchte, daß Du mir zürnst und auf eine nicht unterstrichene Bitte nicht kommen würdest.“

Ich fand in meinem Herzen nicht die Kraft, ihr jetzt schon wieder unter die Augen zu treten; ich fühlte, daß ich mich verrathen würde. So nahm denn der Bote, ihr alter treuer Diener, die Antwort zurück:

„Ich kann nicht kommen. Der Herzog schickt mich auf acht Tage in den Wald. Der Befehl ist bündig; ich muß gehorchen. Auch würde ich jetzt, wo die Leute auf mein Fortgehen warten, ohne Aufsehen zu erregen, Dich nicht besuchen können.“

Nach einer halben Stunde brachte der Mann ein zweites Billet:

„Nun wohl! Es ist vielleicht besser so. Im Walde wirst Du Deine Liebe zu mir wiederfinden. Halb, wie sie jetzt ist, kann ich sie nicht brauchen: sie würde das Geheimniß, das ich ihr anzuvertrauen habe, nicht verstehen. Also Dein ganzes Herz! Deine volle Liebe! Und: auf Wiedersehen in acht Tagen.“

Im Walde wirst Du deine Liebe wiederfinden! Aber hatte sie mich denn verlassen selbst in dem schauderhaften Moment, als ich den fremden Mann in ihren Armen sah? Und ob mein Herz in Eifersuchtsqualen zuckte, war es nicht wieder die Liebe zu ihr, aus der ich den Muth schöpfte, dem Herzog zu trotzen und für die Tochter an sein Vaterherz zu appelliren, wenn ich auch den Vaternamen nicht aussprechen durfte? Er hatte mich wohl verstanden. Dann erst, als dieser Appell kein Echo in seinem [355] egoistischen Herzen fand, hatte ich an mich selbst gedacht und, da ich sie nun doch einmal nicht zu retten vermochte, wenigstens mich selbst zu retten gesucht.

Es war mir mißlungen: er hatte mich nicht weggejagt: hatte mir zum Lohn für meine unerhörte Keckheit die Wangen gestreichelt wie ein Lehrer einem lieben Schüler, fast wie ein Vater seinem Sohne, dem er nicht zürnen kann trotz alledem. Und wenn ich mich so entwaffnen und wieder in Ketten schmieden ließ, so war es nicht sowohl, weil mir der Muth zu weiterem Widerstande gebrochen war, sondern weil ich schon in demselben Moment fühlte und wußte, was Adele mir heute Morgen schrieb: daß meine Hand in der That viel mächtiger sei, als ich irgend geahnt, daß ich dem Herzoge sagen mochte, was ihm kein Anderer zu sagen wagte, und also auch nicht daran verzweifeln durfte, ihn für die Geliebte umzustimmen, wenn auch der erste Angriff abgeschlagen war.

Nein, ich brauchte nicht in den Wald zu ziehen, um meine Liebe wiederzufinden, meine ganze und volle Liebe, nur daß sie im Walde, mir selbst zu einem Wunder, dessen sanfter Gewalt ich nicht widerstreben mochte, ein anderes Antlitz zeigte.

Ein Antlitz voll stiller, wehmuthsvoller Melancholie, das wundersam harmonirte mit der ahnungsvollen, aus Licht und Schatten mystisch gewobenen Dämmerung in den hohen Hallen unter dem Gewölbe in einander verschlungener Buchenkronen; dem feierlichen Rauschen des Windes durch die unsichtbaren Wipfel zu meinen Häupten; dem süß-leisen Gesange der Vögel; dem Kinderlied, das die Quelle in ewig wiederkehrenden Refrains murmelte, sich den Weg zu kürzen zwischen bemoostem, farnkrautüberwuchertem Gestein; dem großen glänzenden Auge des Rehs, das in der Lichtung friedlich äßte und, zu dem nahen Wanderer furchtlos aufblickend, zu fragen schien: Was willst du hier in unserem Frieden, du friedloser Mensch?

Ja, gieb mir Frieden, heilige Waldesruhe! Laß mich theilhaben, du stilles Waldesleben, an deinem seligen Genügen, deinem frommen Verzichten auf Alles, was du nicht selbst bist, nach Anderem trachtet, als das ewige Gesetz will, das du in dir trägst! Siehe das zarte Vergißmeinicht an der Quelle: es will sich nicht zur Höhe der krausen Farnbüschel über ihm heben; die Farnbüschel bescheiden sich, unter dem Weißdornstrauch zu wehen; der Weißdornstrauch will sich nicht messen mit der schlanken Birke; die Birke läßt gern der Buche ihre trotzige Kraft; das Reh stutzt, wie jetzt die Krähe auf der Buchenkrone ruft, und folgt gehorsam dem Warner, aber neidet ihm nicht die sichere Freiheit da oben im luftigen Revier!

Und mein Gebet wurde erhört und der Friede kam über mich.

Nicht auf einmal. Allmählich, tiefer, erquicklicher mit jedem neuen Morgen, wenn ich nach nächtiger Rast in waldumragtem Forsthause, von meiner Lagerstatt am schwälenden Kohlenmeiler fürbaß zog in das grüne Revier, auf ein Streckchen begleitet von dem Förster, dem Köhler, damit ich auch den rechtem Pfad nicht verfehle durch die Wildniß.

Denn ich suchte die einsamsten Pfade und tauchte in die Oede, nur der gegebenen Weisung folgend und meiner Karte vertrauend, in welcher ich mit einer Sicherheit las, die sich mit jedem Tage vermehrte. Und ging ich einmal vollständig in die Irre, mir war es recht. Mochten Weg und Steg doch verschwinden, wenn sich mir dafür die Pforte zum Allerheiligsten des Waldes aufthat, wo, während mein Fuß lautlos uber den fußdicken Moosteppich glitt, ich das Athmen des großen Pan zu vernehmen glaubte und die stille Antwort des Uralten auf die bange Frage des klopfenden jungen Menschenherzens.

Ach, mein junges Herz hatte noch gar viel zu fragen, jetzt, nachdem der wilde Kampf in meiner Brust geschlichtet war und die mahnenden Stimmen vernehmbar wurden, die sein Lärmen übertönt hatte.

Mein Leben der legten Monde, das wie ein einziger rosiger Traum an mir vorübergeglitten, begann sich in Wochen und Tage zu sondern, die vor mich traten ernsten Antlitzes und Auskunft begehrten, was ich mit ihnen begonnen. Ich, der Sohn des Sargtischlers, der schon als Knabe seine bitteren Thränen geweint hatte, daß er das kärgliche tägliche Brot nicht mit seiner Arbeit verdiente; dessen Sinnen und Trachten, sobald er so viel Einsicht in das Menschentreiben gewonnen, darauf gestanden, sich frei zu machen von der Güte der Befreundeten und von dem Mitleide der Fremden; der eben darum keine Erholung gekannt hatte als in der Arbeit und heimlich lächeln mußte, wenn ihn die Lehrer als Muster des Fleißes hinstellten, ohne zu ahnen, wie scharf die Skorpionen waren, mit denen der Fanatismus des Stolzes und des Dranges nach Unabhäbhangigkeit ihn zur Arbeit geißelten! Wohin der Stolz? wohin der Drang? Seine Tage vertändeln an der Schürze eines schönen Weibes; seine Stunden verzetteln im Geschwätz mit müßigen Kavalieren über tausend und eine nichtsnutzige Kleinigkeit; zu Roß, zu Wagen, auf der Jagd junkerlichen Sport treiben; sich anrühmen lassen, wie herrlich man doch zu aller und jeder ritterlichen Uebung veranlagt sei, und diesen billigen Ruhm mit langen Thorenohren einsaugen; an üppiger Tafel hinter der Flasche sitzen, die immer wieder erneuert werden muß, und sich Geschichten erzählen lassen und zu Geschichten lachen, von denen die Seele sich abwendet, wenn auch die Wange zu erröthen verlernt hat – heißt das Arbeit? Und was man so nennen möchte, was ist es wieder, als abermals Tändelei, nur jetzt nicht mit einer schönen, zu Scherz und Neckerei allzeit aufgelegten Frau, der leicht gefallen ist, sondern mit der ernsten Muse, der man jede Gunst mit heißem Mühen abringen muß?

*               *
*

Ich hatte das schön gebundene Büchlein mit den Gedichten des Herzogs in der Reisetasche gefunden, in die er es, wie mir Holzbock berichtete, mit eigener Hand gelegt. Wiederholt hatte er davon gesprochen, daß er, bevor er sie drucken ließ (selbstverständlich nur für den kleinen Kreis Auserwählter), mir die Gedichte zur Durchsicht, zur Kritik geben wolle. Ich dürfe unbedenklich streichen, was mir nicht gefallen würde. Er hatte es nicht gethan. Ich wußte von Adele, daß er jene Auswahl nun selbst vorgenommen, die Kritik selbst geübt habe, mit dem Resultate sehr zufrieden sei und sich schon im Voraus des Eindrucks freue, den die Sammlung, nachdem sie so auf die Hälfte ihres zuerst geplanten Umfanges gebracht, gerade auf mich machen werde. Jedenfalls sollte die Ueberreichung des Büchelchens die Ueberraschung sein, die er mir an jenem Abend zugedacht und von der er dann doch gesagt, daß er sie lieber in petto oder – in der Tasche behalten wolle. Vielleicht war ihm die erregte Stimmung, in die wir uns hineingesprochen, nicht als der rechte Augenblick erschienen, um im Glanze des Poeten vor den Uebelgelaunten hinzutreten.

Wie dem auch sein mochte: ich führte das Büchelchen in meiner Reisetasche mit mir; und wiederholt, wenn ich im Forste am murmelnden Bache oder auf dem Moosteppich zu Füßen der schattenden Buche Rast machte, hatte ich es hervorgenommen und darin zu lesen versucht. Ich war niemals weit gekommen. Hier störte mich ein unreiner Reim, dort ein schlecht gebauter Vers; hier ein hinkender Vergleich, dort ein schiefes Bild; hier die Flüchtigkeit, dort die Weitschweifigkeit, mit der das Thema behandelt war; und nicht selten war es das Thema selbst, das auch für ein harmloses Lied doch gar zu dürftig schien, ein anderes Mal wieder einen Umfang und eine Bedentung hatte, die es auf die dürre Heide der Spekulation, aber nicht in das blumige Reich der lyrischen Muse wiesen. Nicht als ob sich bei allen diesen Mängeln der reiche und vielgewandte Geist des Mannes verleugnet hätte! Auf jeder Seite, ja fast in jedem Gedichte war seine Spur unschwer zu finden; aber zum Dichter gehört eben mehr als bloß gewandt und geistreich sein, und – der Mann war kein Dichter. In der schlichten Prosa des Vaters, wenn er mir in meiner Kindheit selbsterfundene Märchen erzählte, oder später, was sein klares Kinderauge aus Wald und Flur oder dem Menschentreiben in Dorf und Stadt herausgeschaut, oder er an sich selbst erlebt und erfahren – um, ach! jede Erfahrung mit seinem Herzblute zu bezahlen – in dem Allem war tausendmal mehr Poesie, als in diesen anspruchsvollen Versen. Deßhalb, weil in Allem das warme Herzblut des besten, liebevollsten der Menschen pulsirte, und in der Brust des Fürsten von Gottes Gnaden schlug kein warmes Herz, und so konnte er kein Dichter von Gottes Gnaden sein.

Seltsam! Ich konnte die beiden Gestalten in meinen Gedanken nicht mehr so weit sondern, daß ich nicht der anderen hätte gedenken müssen, sobald ich an die eine dachte. Und zu meinem Erstaunen sah ich, wie mit jedem Tage das Bild des Fürsten neben dem des Mannes aus dem Volke verblasste, wie ein Werk der Schule neben dem des Meisters. Ja, beim Himmel, [356] wenn Größe der Gesinnung die Vornehmheit, Reinheit des Herzens den Adel macht, wie tief stand die Hoheit unter der Niedrigkeit, der Herzog unter dem Sargtischler! An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Wohin der Sargtischler seine verstümmelte Hand legte, da waren Früchte der Liebe emporgequollen, eine Wunde geheilt, ein Schmerz gelindert. Hier, in diesen Bergen, diesen Thalen, über denen des Anderen mächtige Hand schaltete, waren seltsame Früchte zu schauen von seiner Liebe zum Volk, der Barmherzigkeit mit den Armen und Elenden, die er doch so gern und mit so pomphaften Worten im Munde führte!

Denn ich war jetzt aus den reicheren Breiten am Fuße und den noch immer wohl angebauten Strichen zwischen den lang sich streckenden Hängen des Gebirges heraus in Regionen gelangt, wo entweder schier undurchdringlicher Wald die Kämme bedeckte und die Schluchten füllte, oder da, wo der steinige Boden dem Walde keine Nahrung mehr bot, sich der Mensch angesiedelt hatte und der Wüstenei seinen kümmerlichen Unterhalt abzuringen suchte: armselige, aus Feldsteinen, wenig Holz und viel Lehm zusammengeklebte Hütten, umgeben von steineübersäeten Oeden mit einem Stück dürren Hafers hier, einem bischen Kartoffeln da; die Hütten selbst schwarz von Alter und Rauch, mit vergilbten Scheiben in den viereckigen Fenstern (und oft mit einer alten Zeitung oder einem Lappen statt der Scheiben); vor der Thür, wenn es hoch kam, ein paar umfriedete Quadratfuß, die mit ihrem Küchenkraut und ein paar Sonnenblumen ein Gärtchen darstellen sollten; an der Giebelwand ein oder zwei Ställchen mit dem Hof, auf dessen Dung und zertretenem Stroh Schweine, Hühner und Kinder einträchtlich sich umtrieben. Halbnackte Kinder, wenn es zum Besten war; ich hatte aber auch schon mehr als ein gänzlich nacktes gesehen und mich der armen Würmer willen des heißen Sonnenscheins gefreut, wie arg er mich auch auf meiner Wanderung belästigt hatte. Und die erwachsenen Personen, wie sie eben aus diesen krankhaft abgemagerten oder aufgedunsenen Kindern mit den stumpfen Augen werden konnten: dürftigste Gestalten von lange vor der Zeit gealterten Männern und Weibern, alle mit dem stumpfen dumpfen Ausdruck des Hungers und der Hoffnungslosigkeit in den gelben verwelkten Gesichtern.

So war ich wieder in eine dieser Ortschaften gekommen, die man nur zum Hohn ein Dorf nennen mochte. Es war womöglich noch trostloser als die bisherigen, wenn es gleich weniger alt und verfallen schien. Ich hörten dann auch von Einem, den ich ansprach, daß es erst vor fünf Jahren gänzlich abgebrannt gewesen sei bis auf ein Haus, das nur hätte mit abbrennen sollen, denn es sei das allerälteste und wohl schon viele hundert Jahre alt. Ich wollte mir eine solche Merkwürdigkeit nicht entgehen lassen, und das Männlein führte mich in eine Art Seitengasse, in der nur noch zwei oder drei Häuser standen, von denen das letzte das verschonte war. In der That ein seltsames Haus – wenn man dies anders so nennen konnte – von einer Baufälligkeit, daß man nicht begriff, wie es zusammenhielt, und das doch mit seinen tief durchgebogenen Balken, die an den hervorstehenden Enden Spuren von Schnitzwerk zeigten, und dem windschiefen Giebel über der zweigetheilten Thür, und dem steinernen Treppchen mit seinen ausgetretenen Stufen, das zu der Thür hinaufführte, etwas Ungewöhnliches, ja Ehrwürdiges hatte.

Aber der Anblick, trotzdem man heute nach seines Gleichen wohl weit herum in deutschen Landen vergeblich suchen möchte, war doch nichts Neues für mich. Dies hier und die Umgebung, die reinlicher, aber womöglich noch dürftiger war, als bei den andern Häusern, hatte ich doch schon gesehen. Das monotone gleichmäßige Pochen, das aus der offenen Hausthür zu kommen und mit einem schwälenden Feuerchen in dem Halbdunkel des Flurs in Verbindung zu stehen schien, an welchem eine gekrümmt sitzende Person irgend etwas schaffte – ich hatte es doch schon gehört, aber wo? Im Traum?

Und auf einmal fuhr es mir durch die Seele: nein, nicht in einem Traum: in der Erzählung des Vaters von seinen Kinderjahren; von dem Leben der armen Nägelschmiede, deren einer sein Vater gewesen, wie dessen Väter, die alle in dem alten zerfallenen Hause gewohnt hätten mit der Esse auf dem Flur, auf welcher das Feuer nicht ausging!

Warum sollte dies nicht das Haus seiner Erzählung, sein Geburtshaus sein? Alt und verfallen war es genug. Und war ich doch oben „auf dem Walde“! Ich hatte den Vater nie gefragt, wo ich das zu suchen habe „oben auf dem Walde“. Aber warum sollte es hier nicht sein? Es mußte hier sein.

Mein Begleiter hatte mich verlassen. So stieg ich denn das Treppchen hinauf und trat in den Hausflur.

Die dunkle Gestalt schaute auf und nickte, als ich fragte, ob ich hereinkommen dürfe; fuhr dann aber alsbald mit ihrer Arbeit fort, die darin bestand, daß sie mit einem Hammer ein Stückchen an der Spitze glühendes Eisen auf einem winzigen Amboß zu einem Nagel klopfte, dergleichen bereits fertig neben seinem Schemel ein ganzer Haufen auf dem Estrichfußboden lag – jedenfalls das Produkt seines morgendlichen Fleißes. Es war ein alter Mann in schäbiger Kleidung, aus dessen geschwärztem abgemagerten Gesicht ein paar geröthete Augen so hilflos blickten, wie das Feuer auf der Esse, das nur um ein Weniges aus seiner grauen Aschenhülle aufglimmte, wenn der Mann, um es aufzuschüren, oder auch nur nicht ausgehen zu lassen, mit dem Fuß einen kleinen Blasebalg in Bewegung setzte.

Aus dem Alten war nichts herauszubringen; er murmelte Unverständliches auf meine weiteren Fragen; ich mußte ihn für stumpfsinnig oder schwerhörig halten. Daß er das Letztere sei, bestätigte eine alte, aber doch ein wenig intelligenter aussehende Frau, die jetzt aus der Stube rechter Hand auf den Flur trat. Ich fragte sie, ob dies das Haus sei, in welchem eine Familie Namens Lorenz sonst gewohnt hätte? – „Ja, sonst!“ erwiderte die Alte; „der Letzte ist bei dem Brande vor fünf Jahren umgekommen, als er ein Kind rettete, das ohne ihn verbrannt wäre. Er hatte keine Kinder und keinen Anhang. So hat mein Alter sich hier festgesetzt. Denn wir waren auch abgebrannt, und mein Alter und der Lorenz waren die einzigen Nägelschmiede. Früher waren hier Alle Nägelschmiede; aber nach dem Brande haben sie’s nicht wieder aufgenommen und suchen sich nun so durchzuhelfen. Mein Alter ist aber schon zu alt, um noch umzulernen. So ist er denn dabei geblieben, und sie lassen uns hier, weil Keiner sich mehr in dem Hause zu wohnen getraut, und wenn es uns mal über dem Kopfe zusammenfällt und uns todt schlägt, so schadet es auch nichts.“

„Haben Sie denn keine Kinder?“

„Gott sei Dank, nein!“

Ich blickte der Alten in die hohlen Augen, und ein Schauder durchrieselte mich. Es war so aus tiefstem Herzen gekommen, das fürchterliche: „Gott sei Dank, nein!“

Die Thür zu der Stube hatte sie offen gelassen. Ob ich einen Blick hinein werfen dürfe? – Gern.

Die Thür so niedrig – ich mußte mich bücken, um einzutreten; die durchgebogenen Balken der Decke so dicht über mir – ich berührte sie beinahe mit dem Scheitel. Ein Spinnrad in der Nähe des Fensterchens mit den vergilbten Buzzenscheiben; ein Tischchen, auf dem das gesponnene Garn lag; ein Schränkchen mit ein paar thönernen Tellern und Kannen – Alles von großer Sauberkeit. Ein sorgfältig gemachtes, reinliches, breites Bett unter einer Art von Betthimmel, zwischen dem und der Decke noch gerade Raum blieb für ein Bild in braunem, wurmstichigem Rahmen – ich hätte wohl kaum erkannt, was es darstellte, hätte ich es nicht gewußt und hätte es nicht so oft vor meiner Seele gestanden: der hochbeinige Hirsch, auf den sie den Schächer gebunden haben; hinter ihm her die Meute; vor ihm der Wald, über dem die Sonne aufgeht; in den Sonnenstrahlen Gott Vater und seine Engelscharen!

Sah ich das Alles? glaubte ich nur, es noch zu sehen auf dem rauchgeschwärzten Bilde? Ich weiß es nicht; ich hatte mich auf einen Schemel, der mitten in der Stube stand, gesetzt und weinte – weinte, wie ich noch nie geweint, seitdem ich ein Kind gewesen.

Die verwunderte, rathlose Alte trippelte auf und ab und rief ihren Alten, ob er nicht wisse, was dem fremden jungen Herrn fehle? Ich ermannte mich und beruhigte, noch immer mit meinen Thränen kämpfend, die guten Leute. Ich sei der Pflegesohn von einem Lorenz, der auch hier in dem Hause geboren sei, einem Bruder des letzten Insassen, der in dem Brande umgekommen.

Das war ein Erstaunen. Selbst der halbtaube Alte, als ihm die Alte die seltsame Mähr ins Ohr geschrieen, wachte ein wenig aus seiner Stumpfheit auf. Eiha, der Lorenz, der Sargtischler! Ja, das sei ein guter Mann gewesen. Der habe dem Bruder hier oben auf dem Walde immer zu Ostern und Michaelis regelmäßig Geld geschickt. Viel sei’s just nicht gewesen; aber er

[357]

Markgraf Christoph von Baden hebt das Fehmgericht in seinen Landen auf.
Nach dem Oelgemälde von Hugo Knorr.

[358] habe selbst wohl nimmer viel gehabt. Und was der Lorenz gewesen, der Nägelschmied, der hab’ es immer weiter gegeben an die, die noch ärmer waren. Denn auch er habe ein gutes Herz gehabt, wie alle Lorenz, sonst hätte er nicht sein Leben gelassen, um ein halbjähriges Wurm zu retten, das hernach doch gestorben sei – am Scharlach.

Ich hätte das Bild gern mit mir genommen; aber eine abergläubische Furcht hielt mich zurück, den Wunsch auch nur zu äußern. Ich meinte, das Haus müsse zusammenstürzen, wenn ich das Bild von dem Platz nähme, wo es nun gehangen, wohl so lange als das Haus stand. Nein, da sollte es nun auch bleiben und untergehen mit dem Hause!

Und wenn es untergegangen – ein Abbild blieb. So lange ich lebte, würd’ es in meiner Seele bleiben. So lange mir ein Herz in der Brust schlug, das schneller pochte, so oft ich eine Kreatur leiden sah, würde ich des Bildes gedenken mit dem Hirsch, auf den sie den Schächer gebunden, hinter dem die Meute her jagte dem Walde zu, über welchem in Strahlen der aufgehenden Sonne Gott Vater thronte mit seinen heiligen Engelscharen!

(Fortsetzung folgt.)

Die deutschen Fehmgerichte in Wahrheit und Dichtung.

Von Fr. Helbig.

Wer in Heinrich von Kleist’s anmuthigem Schauspiele „Das Käthchen von Heilbronn“ beim Aufzuge des Vorhangs die vermummten Gestalten in der nur düster von einer Lampe erleuchteten „unterirdischen Höhle“ um einen Tisch herum hat sitzen sehen, auf welchem der Todtenkopf und ein blankes Schwert liegen, der weiß, daß hier das heimliche Gericht der Fehme seines furchtbaren Richteramtes waltet. Es ist so tief geheim, daß Kläger, Angeklagter und Zeugen nur mit verbundenen Augen hinein- und herausgeführt werden. Die andächtige Menge im Theater hält dabei auch an dem Glauben fest, daß dies Alles so gewesen ist, die Sage hat es ja so überliefert, der Glaube des Volks so festgehalten, die Feder des Dichters und der Pinsel des Malers es also verewigt.

Im Lichte der Geschichte ist das freilich ganz anders gewesen.

Der nüchterne Geschichtsforscher, der seine Weisheit nicht aus der Phantasie, sondern aus vergilbten Pergamenten und verstaubten Akten herausholt, hat vom Institute der Fehme schon längst den geheimnißvollen Nimbus abgestreift, er weiß, daß dieselbe ihre Gerichtssitzungen weder in Höhlen und Verstecken noch im Dunkel der Nächte abhielt, vielmehr im Freien möglichst auf einer luftigen Anhöhe, von der aus man einen weiten Umkreis beherrschen konnte, und in der Zeit vom Sonnenaufgange bis zum Sonnenuntergange, wie es die alten Fehmordnungen vorschreiben. Auch waren Haupt und Angesicht der Richter bloß und unbedeckt zum Wahrzeichen, „daß sie kein Recht mit Unrecht bedeckt haben noch decken wollen“.

Ebenso wenig waren die Fehmgerichte Gerichte, welche das Richteramt gewissermaßen auf eigene Faust vollzogen, eine Art Lynchjustiz übten ohne Titel und Recht. Im Gegentheil hatten sie das Recht zu richten unmittelbar vom Kaiser. Es waren kaiserliche Gerichte in aller Strenge des Wortes.

Das war so zugegangen.

In Westfalen hatten sich neben den herrschaftlichen Gaugerichten, als Bruchstücke der alten, schon von Karl dem Großen eingesetzten Grafengerichte, Freigerichte (Freistühle) erhalten, in denen ein vom Stuhl- oder Gerichtsherrn ernannter Freigraf mit den zum Freistuhle gehörenden Schöffen unter Königsbann richtete. Die Belehnung mit letzterem erfolgte durch den Kaiser selbst, später in des Kaisers Namen durch den Erzbischof von Köln, nachdem Westfalen unter dessen Botmäßigkeit gekommen war. Obwohl diese Frei- oder Fehmgerichte nur „auf rother Erde, im Land Westfalen“ tagten, konnte doch Jedermann im Reiche sich dort sein Recht holen, und zwar hauptsächlich in dem Falle, wenn er vor den Gerichten im eigenen Lande kein Recht fand. Das war das besondere Privileg der kaiserlichen Gerichte.

Nun war in Deutschland, begünstigt durch das lange Interregnum zwischen dem letzten Hohenstaufen und dem ersten Habsburger, jener „kaiserlosen schrecklichen Zeit“, im 13. und im Anfange des 14. Jahrhunderts eine große Rechtsunsicherheit eingetreten. Es waren die Zeiten des Faustrechts, da allein der Starke und Mächtige regierte, der Arme und Schwache aber ihm machtlos preisgegeben und geradezu rechtlos war. Da wandten sich Alle, die in ihrem guten Rechte gekränkt waren, an das Freigericht in Westfalen. So wurde dasselbe geradezu ein Hort aller Bedrängten, ein Schutzherd der Kleinen wider die Gewalt der Großen. Und damit erlangten diese westfälischen Stuhlgerichte eine von ihnen selbst wohl nicht geahnte Bedeutung.

Die Zahl der Freischöffen beschränkte sich nicht mehr auf die im Stuhlbezirke sässigen Freien, sondern sie verbreitete sich über das ganze Reich. Selbst Fürsten und Herren drängten sich dazu, Freischöffen zu werden, da man dadurch einen gewissen Schutz vor der vernichtenden Gewalt der Freigerichte bekam. Alle diese Schöffen wurden von einem westfälischen Freigrafen, der in den meisten Fällen nichts war als ein schlichter Bauersmann, durch einen feierlichen Eidschwur und unter geheimnißvollem Ceremoniell verpflichtet. Knieend und entblößten Hauptes, den Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand auf ein bloßes Schwert legend, hatte der Aufzunehmende zu geloben, daß „er die heilige Fehme fortan wolle helfen halten und verhehlen vor Weib und Kind, vor Vater und Mutter, vor Schwester und Bruder, vor Feuer und Wind, vor alldemjenigen, was die Sonne bescheint und der Regen bedeckt, vor alledem, was zwischen Himmel und Erde ist, und daß er dem freien Stuhle, darunter er gesessen sei, Alles vorbringen wolle, was in die heimliche Acht des Kaisers gehört, er für wahr wisse oder von wahrhaften Leuten habe sagen hören, das zur Rüge oder Strafe geht, das Fehmwrogen (d. h. ein vor die Fehme gehörendes Verbrechen) sei, auf daß es gerichtet oder mit Willen des Klägers in Gnaden gefristet werde und daß er das nicht (unter-)lassen wolle um Lieb noch um Leid, um Gold noch Silber noch um Edelgestein und er stärken dies Gericht und Recht nach allen seinen fünf Sinnen und Vermögen und daß er das Gelobte wolle festhalten, als ihm Gott helfe und sein heiliges Evangelium.“

Nach Leistung dieses Eides wandte sich der Freigraf zu dem anwesenden Frohnboten mit der Frage: „Ich frage Dich, Frohne, ob ich diesen Mann zu Recht gestürt habe des Eides und der heimlichen Acht und ob er mir auch zu Recht gefolgt habe?“

Der Frohn antwortete hierauf: „Ja, Herr Graf, Ihr habt dem Manne den Eid zu Recht vorgestürt und er hat dem Recht nach gefolgt und geschworen.“

Die Freischöffen erkannten sich gegenseitig an gewissen Erkennungszeichen als „Wissende“. Sie begrüßten sich beim Begegnen unter Auflegung der rechten Hand auf die linke Schulter mit der Anrede: „Ich grüße Euch, lieber Mann, was fanget Ihr hier an?“ worauf der Begrüßte erwiderte: „Alles Glück kehret ein, wo die Freischöppen sein.“ Das Geheimzeichen bestand in den vier Buchstaben S. S. G. G. (Stock und Stein, Gras und Grein, das heißt Ast). Bei Tisch hielten sie das Messer immer mit der Spitze gegen sich gekehrt. Auf diese Weise nahm der Schöffenbund den Charakter eines Geheimbundes ganz unwillkürlich an, der in seiner guten Zeit den Wahlspruch: „Gott, König und Recht“ immer treu und hoch hielt.

Die Aufgenommenen wurden vom Freigrafen in das Schöffenbuch eingetragen; sie gehörten nun zu den „Wissenden“ und hatten die in dem Eide enthaltenen Verpflichtungen sowohl des Anklägers (Rügers) als des beisitzenden Richters. Ja sie hatten nach Findung des Urtheils aber auch die Pflicht, dasselbe an dem Verurtheilten zu vollstrecken. Der Eidbruch eines Schöffen wurde furchtbar bestraft. „Wäre es,“ heißt es in einer Fehme-Ordnung, „daß ein Freischöffe die Heimlichkeit und Losung der heimlichen Acht oder irgend etwas davon in das Gemeine brächte oder unwissenden Leuten einige Stücke davon klein oder groß sagte, den sollen die Freigrafen und Freischöffen greifen unverklagt und binden ihm seine Hände vorne zusammen und ein Tuch vor seine Augen und werfen ihn auf seinen Bauch und winden ihm seine Zunge hinten aus seinem Nacken und thun ihm einen dreisträhnigen [359] Strick um seinen Hals und hängen ihn sieben Fuß höher als einen verfehmten verurtheilten missethätigen Dieb!“

Von dem gefundenen Urtheile durfte der Freischöffe nichts verrathen bei Strafe des Todes, auch nicht mit der leisesten Andeutung, und wäre der Verurtheilte sein eigener Bruder gewesen. Dies Urtheil lautete aber, sobald der Angeschuldigte des Verbrechens schuldig befunden wurde, nie anders, als auf den Tod durch den Strang. Das dabei beobachtete Verfahren war ein ebenso eigenartiges als rasches. Nachdem die vom Kläger vorgetragene Sache als zur Zuständigkeit des Freigerichts gehörig, als „Fehmwroge“, erkannt worden war, und dazu gehörten mit der Zeit alle schweren Verbrechen, so wurde der Verklagte in förmlicher Weise vorgeladen. Dabei wurde ihm zum Erscheinen eine Frist von sechs Wochen und drei Tagen gegeben. Für den Fall seines Ungehorsams wurde dem Geladenen angedroht, daß man Urtheil und Proceß und hernach die letzte Sentenz wider ihn ergehen lassen werde.

War der Aufenthalt des Angeschuldigten unbekannt, so erfolgte die Ladung durch vier Ausfertigungen, die man an Kreuzwegen in der Richtung der vier Himmelsgegenden, jede mit einer Königsmünze beschwert, niederlegte. Auch begnügte man sich, statt die Ladung dem zu Ladenden persönlich zu überreichen, dieselbe an Orte niederzulegen, wo der Letztere sie leicht finden mußte, so an der Hausthür, an seinem Platze in der Kirche. Wurden, wie dies auch vorkam, ganze Städte vorgeladen, so hefteten die Schöffen die Ladung Nachts an das Stadtthor. Saß der Angeklagte „auf einem Schloß, darein man ohne Sorg und Abenteuer nicht kommen mochte“, so sollen, lautete eine alte Vorschrift, die Schöffen, die ihn heischen wollen, eines Nachts oder wenn es ihnen taugt, vor das Schloß reiten oder gehen und aus dem Rennbaum oder Riegel drei Späne hauen und die Stücke behalten zum Gezeugniß und den Ladungsbrief in die Kerben oder Grindel stecken und dem Burgwächter zurufen: „sie hätten einen Königsbrief in den Grindel gesteckt und eine Urkunde mit sich genommen, und er solle Dem, der in der Burg ist, sagen, daß er seines Rechtstages warte an dem freien Stuhl bei den höchsten Rechten und des Kaisers Bann.“

Auch dieses einfach durch die unsicheren Verhältnisse der gewaltthätigen Zeit gebotene Ceremoniell hat durch die schaffende Volksphantasie allerlei Ausschmückungen erfahren, die in Romanen und Schilderungen gelegene Aufnahme fanden. So fabelte man, der Angeklagte habe sich eine Stunde vor Mitternacht auf einem Kreuzwege einfinden müssen, dort seien ihm von einem Freischöffen die Augen verbunden und er vor Gericht geführt worden.

Erschien der Angeklagte, leugnete aber die Klage, so konnte er sich durch Eidschwur mit dreizehn Eideshelfern von der Schuld reinigen, jedoch konnte ihn der Kläger dann noch mit zwanzig Eideshelfern überbieten. Ward der Angeklagte nun durch die Schöffen, deren immer sieben zugegen sein mußten, der That für schuldig befunden oder war er derselben geständig, so wurde er von den Freischöffen mit einem aus Weiden geflochtenen Stricke – von ihm entstand der Name „Fehme“ – wie er nebst blankem Schwerte auf dem steinernen Gerichtstische lag, an dem nächsten Baume, gewöhnlich an der Linde oder dem Hagedorne, unter welchem das Gericht saß, sofort aufgehangen.

Blieb der Angeklagte – und das war wohl das Gewöhnliche – aus, obwohl auf ihn gewartet worden war, „bis die Sonne auf dem Höchsten gewesen, bis Mittags um die dritte Uhr“,- so wurde sein Name viermal aufgerufen und hatte der Ankläger seine Anklage knieend und die rechte Hand auf des Freigrafen Schwert gelegt, mit sechs Eideshelfern, die des Klägers Glaubwürdigkeit bekräftigten, zu beschwören. Das genügte, den Angeklagten zu überführen, und nun folgte die Verkündung des von den Schöffen gefundenen Urtheils durch den Freigrafen. „Den beklagten Mann mit Namen N.,“ so lautete die grausige Formel, „nehme ich hiermit aus dem Frieden, aus den Rechten und Freiheiten, die Kaiser Karl eingesetzt und alle Fürsten, Herren, Ritter und Knechte, Freie und Freischöffen beschworen haben im Lande zu Westfalen, und werfe ihn nieder und setze ihn aus allem Frieden, Freiheiten und Rechten in Königsbann und Wette in den höchsten Unfrieden und Ungnade und mache ihn unwürdig, achtlos, rechtlos, siegellos, ehrlos, friedlos und untheilhaftig alles Rechts und verführe ihn und verfehme ihn und weihe seinen Hals dem Stricke, seinen Leichnam den Thieren und Vögeln in der Luft zu verzehren und befehle seine Seele Gott im Himmel in seine Gewalt und setze sein Leben und Gut ledig, sein Weib soll Wittwe, seine Kinder Waisen sein.“

Sodann warf der Freigraf den weidenen Strick aus dem Gerichte und die anwesenden Freischöffen „spieen aus dem Munde, gleich als ob man den Verfehmten sofort in der Stunde henkte.“

Gegen den abwesenden Verurtheilten fertigte der Freigraf eine Urkunde aus, und gegen Vorzeigung dieser Urkunde wurde der Verurtheilte überall da auf gleiche Art gerichtet, wo ihn ein Freischöffe traf. Nur hatte der letztere noch zwei andere Schöffen hinzuzuziehen. Zum Wahrzeichen dessen, daß nicht die Hand eines Frevlers, sondern die Vehme den Todten gerichtet, steckte der Schöffe ein Messer in den Baum, an welchem er die Exekution vollzog. Wurde ein Verbrecher von Freischöffen auf „handhafter That“, das heißt bei der Begehung des Verbrechens selbst betroffen, so bedurfte es gar nicht erst eines Urtheilsspruchs durch das Freigericht, die Schöffen konnten den Betroffenen sofort an Ort und Stelle richten. Nur bedurfte es der Anwesenheit von mindestens drei Schöffen. Dieses entsetzlich rasche Verfahren wurde ohne Beanstandung und Widerspruch vielfach auch wirklich in Scene gesetzt. So meldet eine alte Chronik von Thüringen und Hessen, wie der Ritter von Waldstein, der ein Wissender war, mitten in einem Mahle, an dem im Jahre 1402 zu Hersfeld Kaiser Ruprecht und viele Fürsten und Herren theinahmen, einen der letzteren, der im übermüthigen Muthwillen sich eines Verbrechens bekannte, ohne Weiteres vom Tische hinwegführte und draußen an einen Baum aufhängen ließ. Von diesem Simon hieß es, daß er schon vierundzwanzig Bösewichter auf gleiche Weise habe henken lassen. „Damals,“ schreibt der Chronist, „war Zucht und Ehre unter dem Adel, denn jedermann forchte die schnelle Strafe.“

Es konnte nicht ausbleiben, daß diese schnelle Procedur zu Mißbrauch führte; so in dem bekannten Fall zwischen Herzog Ulrich von Württemberg und Hans von Hutten. Jener hatte diesen in dem Verdachte der Untreue mit der Herzogin. Und als er einmal auf der Jagd in dem Umstand, daß Hutten der Herzogin Ring trug, diesen Verdacht bestätigt glaubte, stieß er den Verräther mit dem Schwerte nieder, hing den Leichnam an einen Eichbaum und steckte als Zeichen der wissenden Fehme das Schwert in den Baum, denn der Herzog war Freischöffe. Die Verwandten des Gemordeten erhoben indeß wegen dieses zu formlosen Verfahrens – es fehlten unter Anderem die beiden andern Schöffen bei dem Akte – Beschwerde beim Kaiser, und Herzog Ulrich verfiel in Reichsacht.

Nur insoweit war die Fehme ein „heimliches“ Gericht (Stillgericht), als in einzelnen Fällen, wo es galt, über den abwesenden Verklagten oder über einen „Wissenden“ zu urtheilen, die Oeffentlichkeit, um in heutigem Gerichtsstile zu reden, ausgeschlossen war und alle „Nichtwissenden“ bei Todesstrafe sich entfernen mußten.

Die Zahl der Freischöffen wuchs ins Große, da sich Viele zu dem Amte drängten, weil es ihnen, wie gesagt, einen gewissen Schutz vor denn Fehmspruche bot. Ums Jahr 1500 soll dieselbe im Reiche gegen 100 000 betragen haben.

Aber gerade diese furchtbare Macht, welche die Fehmgerichte erlangten, wurde, wie man das immer in der Geschichte beobachten kann, auch die Ursache ihres Verfalles und ihrer Entartung. War man doch so übermüthig, Kaiser Friedrich III. selbst einmal vor den Freistuhl zu laden. Im fünfzehnten Jahrhundert begannen bereits die Klagen über Willkür und Parteilichkeit des Verfahrens und über die leichtfertige Aufnahme von Freischöffen. In Folge dessen erwirkten einzelne Städte für sich und ihre Bürger das Privileg, der Ladung der Fehme nicht folgen zu müssen. Auch thaten sich mißbräuchlich und gesetzlos einzelne Fehmgerichte außerhalb Westfalens, wie in Sachsen und dem Odenwalde, auf.

Was aber vor Allem der Fehme das Leben entzog, war die Wiederbefestigung der Rechtssicherheit, der vom Kaiser gebotene Landfriede und die Erstarkung der Landeshoheit. Man fand jetzt im eignen Lande Recht und brauchte es nicht mehr auf rother Erde zu suchen. Die Territorialherren mochten die Eingriffe in ihre Justizfreiheit nicht länger dulden. Einer der Ersten, welche gegen das eingerissene Unwesen einschritten, war der thatkräftige Markgraf Christoph von Baden (1475 bis 1527). Hugo Knorr, der talentvolle Maler des unserer heutigen Nummer beigegebenen Bildes, hat dieses Vorgehen in einer dramatisch sehr lebendigen Scene zur Anschauung gebracht. Nächtlicher Weile beim Fackelscheine [360] überrascht der Markgraf mit seinen Reisigen die ihres Amtes waltende Fehme und befreit eine Frau, die trotz ihrer Unschuld dem blutigen Urtheil schon verfallen war. Wirkungslos verhallt der Protest des Freigrafen, der das Kreuz drohend erhebt; denn die Macht der entarteten Richter ist bereits gebrochen und die Zeiten sind dahin, da vor dem Freigerichte selbst Fürsten erzitterten. Bei dieser Darstellung machte Hugo Knorr allerdings von der Freiheit des Künstlers Gebrauch, der poetischen Ueberlieferung der Sage treuer zu folgen als der nüchternen Forschung der Geschichtsschreiber. Er hat aber dabei dennoch wahr und volksthümlich eine der großen geschichtlichen Wendungen in dem Leben unseres Volkes dargestellt: den Sieg der lichten Gerechtigkeit über die finsteren Mächte eines zur Willkür und zu Unrecht entarteten Gerichts.


Blätter und Blüthen.

Auerbach’s Hof in Leipzig. (Mit Illustration S. 345.) Es war im Jahre 1420, als Leipzig durch eine Feuersbrunst heimgesucht wurde, die gegen 400 Bürgerhäuser zerstörte, damals hölzerne, großentheils mit Stroh gedeckte Gebäude. Dieser Brand brachte der Stadt neben vielem Jammer auch bedeutende Vortheile, insofern an Stelle der leichten Häuser steinerne Gebäude mit feuerfesten Gewölben und Niederlagen aufgeführt wurden, wie sie sich in vielen Unterbauen der inneren Stadt bis zum heutigen Tage erhalten haben.

Das berühmteste jener nach dem Brande von 1420 entstandenen Kaufmannshäuser wurde „Auerbach’s Hof“. Von der Patricierfamilie Hommelshain, in dessen Besitze sich das Gebäude zuerst befand, erwarb dasselbe im Jahre 1519 der Rektor und Dekan der medicinischen Fakultät Doktor Heinrich Stromer aus Auerbach bei Straubing in Bayern, der bekannte Freund und Verehrer Luther’s, welchen man, nach der Sitte jener Zeit, nach seinem Geburtsorte „Doktor Auerbach“ nannte. Als er 1520 Rathsherr geworden war, kaufte er mehrere Nachbarhäuser, namentlich auch die an den Neumarkt grenzenden, dazu und verband sie (1530 bis 1538) zu einem Grundstücke, das seit dieser Zeit den Namen „Auerbach’s Hof“ führt. Besonders für den Handelsverkehr mit den Reichsstädten Augsburg, Nürnberg, Frankfurt am Main, sowie für die italienischen, französischen und niederländischen Kaufleute war Auerbach’s Hof ein wichtiger Sammelplatz. Hier befanden sich hundert Gewölbe, viele offene Buden, zwei Bilderhäuser nebst schönen Stuben und Logiamentern, und selbst ein Reisigenstall für die Rosse der fremden Kaufleute fehlte nicht. Alle Chronisten Leipzigs rühmen den Reichthum und die Pracht der kostbaren Waaren, welche hier aufgespeichert wurden.

Der seit 1592 in Wittenberg lebende, durch seine trefflichen Witzreden noch jetzt unvergessene Professor Friedrich Taubmann schrieb begeisterte Verse über „Auerbach’s Hof“, und zahllose lateinische und deutsche Reimschmiede ahmten ihm nach. Während der Messen belebte seine Räume der glänzende Dresdener Hof, der Landesadel und überhaupt die vornehmste und reichste Gesellschaft. Die letzten Meßbesuche des sächsischen Fürstenhauses in „Auerbach’s Hofe“ geschahen zu Ende des vorigen Jahrhunderts. Um diese Zeit schwand auch der alte Ruf dieses „Klein-Leipzigs“, von welchem Taubmann einst geschrieben, „daß, wer sich nicht in ‚Auerbach’s Hofe‘ umgeschaut, nicht sagen könne, daß er Leipzig gesehen habe.“ Jetzt haben die Gewölbe, wo einst die Reichthümer aller Zonen auslagen, größtentheils Leipziger Gewerbetreibende inne. Von dem berühmten Weltbazar der letzten drei Jahrhunderte zeigt sich keine Spur mehr.

Vielleicht würde „Auerbach’s Hof“ kaum noch genannt werden, wenn an ihm nicht die Faust-Sage haftete, welche Goethe zu seiner herrlichen Dichtung benutzte, deren Plan er in „Auerbach’s Keller“ entworfen haben soll. Die Erinnerung an den Schwarzkünstler, welcher auf einem Weinfasse aus diesem Keller geritten sein soll, erhalten noch zwei in demselben befindliche, in die Füllungswände einer Wölbung befestigte Bilder mit der Jahreszahl 1525, also des Jahres, in welchem Faust notorisch in Leipzig war. Goethe’s Trauerspiel hat dieser Lokalität Unsterblichkeit verliehen, aber modernen Umgestaltungen ist auch sie nicht entgangen. Hätte Goethe nicht seinen „Faust“ geschrieben, so würde „Auerbach’s Keller“, gleichwie der berühmte Weltbazar in den Hofräumen, wahrscheinlich längst in Vergessenheit versunken sein. Sachverständige Kritik hat ergeben, daß die Jahreszahl 1525 auf den Bildern sich zuverlässig nur auf das Faktum des Kellerrittes, keineswegs aber auf die Ausführung der Malerei bezieht. Nahe liegt die Wahrscheinlichkeit, daß Heinrich Stromer, welcher 1542 gestorben ist, die Bilder als Warnung gegen die Völlerei stiftete. Der obere Keller, wo die Bilder angebracht sind, war im Jahre 1525 noch gar nicht vorhanden, da dieser Theil des Hauses, wie auch eine vorhandene Jahreszahl bezeugt, erst 1530 erbaut worden ist.

Die Baulichkeiten, welche unsere Abbildung zeigt, gehören verschiedenen Zeiten an. Sie sind an der Stelle aufgenommen, wo der eigentliche alte „Auerbach’s Hof“ mit seinen Kaufläden und seinem lebendigen Meßverkehr begann, während die andere Seite nach dem Neumarkt hin Herbergen für die fremden Handelsleute und den Reisigenstall enthielt. In dem großen Gebäude zur Rechten befanden sich die Bildersäle; das kleine Haus mit dem Spitzgiebel wurde das „Juwelierhaus“ genannt, wahrscheinlich weil hier die fremden Goldschmiede ihre Schätze feilboten. Der hinter demselben sichtbare Ausgang führt nach der Grimmaischen Straße, gegenüber dem Rathhause. Rechtsseitlich an dem Vordergebäude, durch welches dieser Ausgang führt, befindet sich eine Treppenpforte, durch welche man nach dem unteren Keller, dem eigentlichen Faust-Keller gelangt. Dieser Keller rührt noch von dem alten Bau aus dem Jahre 1420 her. Durch diese Kellerpforte erfolgte „Faust’s unsterblicher Faßritt“, also nicht nach der Grimmaischen Straße, sondern nach dem Hofe heraus, wie dies auch auf einem der obengenannten Bilder, welches diese Heldenthat des Schwarzkünstlers darstellt, ersichtlich ist.

Hat „Auerbach’s Hof“, jetzt Eigenthum der gräflichen Familie von Veltheim, noch einige Baulichkeiten aus seiner Glanzperiode aufzuweisen, so dürfte hier die Neuzeit ebenfalls bald ihre Forderungen zur Geltung bringen. Es steht eine Renovation des Gebäudekomplexes bevor, durch welche wahrscheinlich auch manche noch damit verbundene Erinnerung weit in das Dunkel der Vergangenheit zurückgedrängt werden wird. Otto Moser.     

Bekämpfung der Frühjahrsfröste. Seit jeher bilden die in der ersten Hälfte des Monats Mai eintretenden Frühjahrsfröste eine von den Landwirthen mit Recht gefürchtete Witterungserscheinung, deren Ursachen die Wissenschaft trotz der sorgfältigsten Beobachtungen bis jetzt mit voller Gewißheit nicht erforschen konnte. Glücklicher Weise treten diese Rückfälle der Kälte nicht in jedem Jahre ein; oft genug ist aber durch dieselben die gesammte Wein- und Obsternte ganzer Landstriche vernichtet worden.

In neuerer Zeit hat man hier und dort das Eintreten der Frühjahrsfröste durch Erzeugung „künstlicher Wolken“ zu verhindern gesucht, indem man rings um die Weinberge und Obstgärten mit Theer getränkte Blätter- und Strohhaufen anzündete. Dieses Verfahren wurde durch den Inspektor der Telegraphen zu Mont de Marsan, Lestelle, in sinnreicher Weise vervollkommnet.

In der Mitte der Anlage wird nach der Anordnung Lestelle’s ein Thermometer aufgestellt, welches mit einer elektrischen Batterie in Verbindung gebracht und derartig konstruirt ist, daß der Strom sofort geschlossen wird, wenn die Temperatur einen so niedrigen Grad erreicht, daß das Eintreten des Frostes mit Sicherheit anzunehmen ist. Von dem Thermometer und der galvanischen Batterie laufen Leitungsdrähte nach verschiedenen Punkten des Weinberges und münden hier in Zünder, die mit Schießbaumwolle und Pulver gefüllt sind. Rings um diese Zünder sind leicht brennbare, in Theer getränkte Stoffe aufgehäuft.

Wird nun am Abend der Himmel klar und steht ein Nachtfrost zu erwarten, so kann der Landwirth unbesorgt sich zur Ruhe niederlegen, der Apparat wird von selbst im richtigen Augenblicke eingreifen; denn sobald die Temperatur auf zwei Grad über Null sinkt, wird durch das Thermometer der galvanische Strom geschlossen, er läuft durch die Leitungsdrähte zu den Zündern und läßt mit einem Schlage alle Feuerherde rings um den Garten aufflammen.


Skataufgabe Nr. 2.
Von K. Buhle.

Die Mittelhand sagt auf folgende Karte:

Eichel (tr.)-Solo an und verliert das Spiel, denn sie bekommt nicht mehr als höchstens 9 Augen.

Wie sitzen und fallen die Karten?


Auflösung der Skataufgabe Nr. 1 auf Seite 308.[1]

Die Vorhand, welche von Hinterhand bis Eichelsolo getrieben war, spielt Grand, und eD. und sD. liegen im Skat. Die Karten waren so vertheilt:

0Vorhand: rW, sW, gD, gZ, gK, gO, g7, rD, sZ, s9,
Mittelhand: eZ, g9, g8, gO, r9, r8, sK, sO, s8, s7,
Hinterhand: eW, gW, eK, eO, e9, e8, e7, rZ, rK, r7.

Nach den in der Aufgabe gegebenen 4 Stichen muß der Spieler alle übrigen Stiche bekommen.



  1. Abkürzungen: e., g., r., s. = Eicheln (tr.); Grün (p.); Roth (c.); Schellen (car.), W., D., Z., K., O.,, 9, 8, 7 = Wenzel (B.), Daus (As), Zehn, König, Ober (Dame) etc.



Inhalt: Die Lora-Nixe. Novelle von Stefanie Keyser (Fortsetzung). S. 345. – Vorabend. Gedicht von Uhland. Mit Illustration S. 349. – Allerlei Nahrung. Gastronomisch-naturwissenschaftliche Plaudereien. Von Carl Vogt. S. 350. – Ein Deutscher vom rothen Kreuz. Erinnerung an den serbisch-bulgarischen Krieg, December 1885. Von Karl Braun-Wiesbaden. S. 352. – Mit Illustrationen S.352 und 353. Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 354 – Die deutschen Fehmgerichte in Wahrheit und Dichtung. Von Fr. Helbig. S. 358. Mit Illustration S. 357. – Blätter und Blüthen: Auerbach’s Hof in Leipzig. Von Otto Moser. S. 358. Mit Illustration S. 345. – Skataufgabe Nr. 2. Von K. Buhle. – Auflösung der Skataufgabe Nr. 1 auf Seite 308. S. 360.


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redakteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.