Die Gartenlaube (1881)/Heft 30
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No. 30. | 1881. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
Mutter und Sohn.
„Eine heimliche Ehe?“ fragte Graf Raimund nicht ohne den
Anflug leiser Ironie. „In der That, meine schöne Dame, Sie
stellen den Glauben an Ihre Worte auf eine starke Probe. Was
hätte meinen Sohn zu einem so außerordentlicher Schritte veranlassen
können? Er war der Unmündigkeit längst entwachsen,
sein eigener Herr. Vorausgesetzt, er hätte sich zu solcher Mesalliance
entschließen mögen, stand es nur bei ihm, dieselbe öffentlich
kund zu geben.
„Der Name, den ich trug, ehe Graf Riedegg mir den seinigen gab, gehört einem altfranzösischen Geschlechte zu,“ entgegnete Genoveva rasch.
„Ich kenne diesen Namen und – kannte seinen letzten Träger,“ sagte der Graf schneidend. Er trat ihr einen Schritt näher, heftete einen scharfen Blick auf sie und sagte mit nachdrücklicher Betonung: „Zur Zeit, als dieser Name öffentlich – als er von Vielen genannt wurde, um später nie wieder ausgesprochen zu werden, befand ich mich in Wien. Sie selbst, Gnädige, waren damals noch zu jung, um über jene Tage und ihre Consequenzen ein Urtheil haben zu können. Monsieur de Meillerie –“
Genoveva erhob ihre Hand, als wollte sie ungesprochene Worte zurückhalten.
„Er lebt nicht mehr; er war mein Vater –“ sagte sie tonlos.
„Ihr Vater!“ bestätigte der Graf herb.
„Wenn Sie mein Schicksal kennen,“ fuhr sie lebhaft fort, „so wird Ihnen vielleicht auch nicht unbekannt geblieben sein, daß mir die Frau des französischen Gesandten ein Asyl in ihrem Hause bot, bis sie selbst nach der Heimath zurückkehren und mich meinen dortigen Verwandten zuführen konnte; sie und ihr Gatte rechneten mir ein Verhängniß, in das ich schuldlos hineingerissen worden, nicht zur Schmach.“
„Lassen wir Ihre Vorgeschichte zunächst ruhen!“ unterbrach sie der Graf. „Bleiben wir bei der Sache! Es ist nothwendig, über den seltsamen Anspruch, welchen Sie erhebn, sofort und für immer in das Reine zu kommen. Ich wiederhole meine Frage: Womit gedenken Sie Ihre Behauptung zu beweisen, womit einen so unwahrscheinlichen Vorgang zu begründen?“
Die Augen der jungen Frau hatten sich unter den kalten Blicke des Grafen gesenkt. Sie kämpfte heftig mit sich selbst, und sobald sie Herrin ihrer Gefühle war, ließ sie sich auf einem der zunächst stehenden Sitze nieder, und sagte sanft: „Sie wollen mich anhören?“
Er neigte schweigend den Kopf und setzte sich ihr gegenüber. In jede Linie seines düsteren Gesichtes schien das Wort gemeißelt: „Was Du auch sprechen magst – umsonst!“
„Ich werde kurz sein,“ sagte Genoveva, „lassen Sie mich ohne Unterbrechung zu Ende kommen. Alles, was ich zu sagen habe, geht Meinhard an. Wir lernten uns in Neapel kennen, vor einem Jahre etwa. Ich war dorthin gekommen, die Stellung einer Gesellschafterin bei der Fürstin Baccini anzutreten. Ein Brief, welcher mir den Aufschub von deren Rückkehr aus Palermo mittheilen sollte, hatte mich nicht mehr erreicht; deshalb wartete ich die Ankunft der Principessa in der deutschen Pension ab. Zu den dort bereits anwesenden Gästen gehörte Meinhard. Wir lernten uns kennen – wir liebten uns. Er warb um mich; ich verhehlte ihm Nichts, nicht, was Sie eben noch meine ‚Vorgeschichte‘ nannten, nicht meinen protestantischen Glauben und daß ich jeden Uebertritt ohne Ueberzeugung für schmählich halte. Er liebte mich und war entschlossen, glücklich zu sein. Deshalb, Herr Graf, beschwor er mich, zunächst in aller Stille die Seine zu werden.“
Sie hatte dies Alles gelassen gesprochen. Nun aber brach flammendes Leuchten aus ihren Augen; ihre Wangen färbten sich schwach, während sie rasch zu sprechen fortfuhr:
„Ja, er beschwor mich. Er schilderte mir sein armes, armes Leben und daß er bisher niemals glücklich gewesen sei. Er sah den Sturm von Widerspruch voraus, welchen unsere Verbindung erregen würde, und bat so dringend, so flehentlich, ihm ungetrübte Seligkeit zu gönnen, sei es auch nur für ein kurzes Jahr. Ich aber fühlte mich sein, mit jedem Athemzuge, mit jedem Blutstropfen sein. Wie hätte ich seinen Bitten widerstehen mögen? Allein gelassen in weiter Welt, arm an Glück von je, gleich meinem Geliebtesten, wie hätte ich uns den Himmel verschließen mögen? So ward ich die Seine. Er verließ mich auf kurze Zeit, uns in Tirol ein Heim zu suchen, der Welt verborgen und doch seiner eigenen Familie nicht allzufern. Dorthin führte er mich, nachdem ein Mönch aus jener Gegend unsere Ehe in einer stillen Waldcapelle eingesegnet. Ein armer Einsiedler war unser Zeuge.“
Sie schwieg einen Moment und faltete ihre Hände im Schooße.
„Wir waren glücklich in der Verborgenheit,“ sagte sie dann leise. Als aber unser Sohn seine Augen aufschlug, sagten wir uns, daß mit ihm Rechte und Pflichten geboren waren, stärker, höher als die Seligkeiten der Stunde. Deshalb ließ ich Meinhard ziehen, um für Weib und Kind in seiner Heimath eine Stätte zu bereiten, ließ ihn ziehen – und – verlor ihn.“
[490] Graf Raimund hatte ihr aufmerksam zugehörst Er schwieg einige Minuten, den Kopf sinnend aus die Hand gestützt.
„Sie haben den Charakter meines Sohnes jedenfalls richtig erfaßt,“ sagte er endlich. „Meinhard war von je ein Phantast, bei welchem ein extravaganter Schritt nicht zu den Seltenheiten gehörte. Aber – er war zugleich ein Ehrenmann.“ Mit diesen Worten erhob sich der Greis zur vollen Höhe seiner mächtigen Gestalt, schlug beide Arme in einander und fuhr mit starker Stimme fort:
„Knüpften ihn wirklich so ernste Bande an Sie, so würde er sich darüber, während einer vollen Woche ungestörten Verkehrs mit mir, geäußert haben.“
Auch Genoveva stand aufrecht da.
„Sie zweifeln – zweifeln noch?“ rief sie flammend.
„Das werden Sie mir allerdings gestatten müssen, Gnädigste. Die Mär klingt allzu seltsam. Wie ich eben vernahm, sind Sie Protestantin und behaupten, von einem Priester Tirols mit Meinhard getraut worden zu sein; wissen Sie nicht, daß hier dem katholischen Priester das Einsegnen solcher Ehe untersagt ist? Dieser Mönch dürfte denn doch nicht aufzufinden sein, so wenig wie die ,Beweise‘, auf deren Vorhandensein bei meines Sohnes Hinterlassenschaft Sie sich zuvor stützten, Ich habe persönlich seine Papiere, Blatt für Blatt, durchgesehen aber außer zwei Briefen – wohl von Ihrer Hand? – fand sich darunter nichts, das auf Sie oder auf Ihren Sohn Bezug hätte. So lange Sie mir die Rechte Ihres Sohnes nicht beweisen, muß ich annehmen, daß sich in Ihrem Berichte Dichtung und Wahrheit vermischen. Dies passirt liebenswürdigen Damen zuweilen, und Ihre Phantasie mag reicher entwickelt sein, als Frauenphantasien ohnedies zu sein pflegen. Abenteuer zu ersinnen – zu erleben ist ja schwerlich etwas Neues für die Tochter eines Abenteurers.“
Die tödtliche Beleidigung, mit welcher der lang zurückgedrängte Despotenzorn ausgebrochen, traf bis auf den Nerv. Genoveva gehörte aber nicht zu Denen, welche sich äußerlich maßlos zeigen wenn ihr Innerstes in Flammen steht. Ihre hohe Gestalt schien zu wachsen.
„Schweigen Sie!“ sagte sie.
Die Stimme, welche dem Grafen diese Worte zuschleuderte, erhob sich nicht; sie klang sogar noch dunkler als sonst. In den weiten Augen brannte aber so glühender Haß, daß selbst der eherne Geist des Mannes, der ihr feindlich gegenüberstand, einen Moment bezwungen ward.
Genoveva wendete sich in königlicher Haltung der Thür zu. Ehe sie die Schwelle überschritt, blickte sie noch einmal zurück. Die Augen Beider wurzelten einen Moment in einander.
„Sie werden von uns hören, Herr Graf,“ sagte die junge Frau kalt und verließ das Zimmer.
Es ist einige Jahre später, im Beginn des Octobers. Schon färben sich die Ausläufer der in den Buchten des Innthales weit vorgestreckten Wälder mit bunten Schattirungen, während die Fruchtbäume welche Lahnegg umgeben, noch in frischem Grün stehen. Von den Dachfirsten der Häuser hängen Maiskolben, auf Schnüre gereiht, in goldigen Guirlanden nieder.
Nordwärts vom Dorfe senkt sich der Weg in eine kleine Thalschlucht, deren Schooß nur wenige, vereinzelte Häuser birgt. Wer das malerische Felsenthor durchschritten hat, welches dieses stille Fleckchen Erde von der übrigen Welt gleichsam abscheidet, der wird von einem wundersamen Friedensgefühl umhaucht. Die mächtigen Bergriesen jenseits des Inn bleiben dem Wandelnden im Rücken; er könnte sich in dem lieblich begrenzten Grunde fern von den Alpen wähnen, erinnerte nicht ihr lebensprühendes Kind, der silberstockige Alpbach, fortwährend an ihre Nähe.
Heute brauste das Wildwasser stärker als je. Mehrtägiger Regen, erst seit diesem Morgen durch die Sonne verdrängt, hatte den Bach zu mächtiger Fülle anschwellen lassen, und schäumend und tobend stürzte er in dreifachem Gefälle einer raschen Bodensenkung zu, von wo aus er sich in mehrere Arme theilte. Wie im Wirbel bewegten sich die Räder einer pittoresk gelegenen Mühle, welche dort, nahe dem Abhange vorsprang. Purpurfarbiges Weinlaub bekleidete das dazu gehörende Wohnhaus, dessen Fenster in der Sonne blitzten, und eine Gruppe alter Nußbäume, die sich kräftig gegen die Luft abzeichneten, begrenzte ein in Terrassenform angelegtes Gärtchen, dessen bunter Asternflor in voller Blüthe stand.
Dort saßen zwei Frauen auf der Sommerbank Die Aeltere trug die übliche Landestracht; das noch dunkle Haar, welches ihr frühgefurchtes Gesicht umrahmte, bewies, daß sie mehr durch Arbeit gealtert war als durch Jahre. Sie sprach redselig auf ihre Banknachbarin ein, welche zwar das landesübliche Filzhütchen mit Goldquasten trug, sonst aber mehr städtisch als dörflich gekleidet erschien – ein junges Weib, mit lichtem Antlitz, weich in jeder Bewegung; die Haltung, mit welcher sie, die Hände im Schooß, zurückgelehnt saß, war voll natürlicher Anmuth. Obgleich sie den an sie gerichteten Reden und Fragen getreulich Antwort gab, schien doch ihre Aufmerksamkeit getheilt. Wenigstens galt das Lächeln, welches zuweilen in dem feinen Gesicht aufblitzte, offenbar einer Kindergruppe, welche auf der mit einem festen Zaun umhegten unteren Terrasse spielte. Wirklich schien es der Mühe werth, dorthin zu schauen.
Der in violetten Sammet gekleidete, etwa vierjährige Knabe, welcher lang ausgestreckt auf einem grauen Plaid lag und den lockigen Blondkopf mit beiden Händchen stützte, war so frisch von Gesicht und trug so hellen Sonnenstrahl in den Blau-Augen, daß es war, als ströme ein klares, warmes Licht von ihm aus. Seine langen, lockigen Haare flogen im Winde; goldiges Schimmern lag darüber. Vielleicht ließ gerade dies das dicht neben ihm kauernde Mädchen noch dunkler gefärbt erscheinen, als es wirklich war. Die Kleine mochte etwa gleichen Alters sein; dichtes, blauschwarzes Lockengewirr ringelte sich um ihr bräunliches Gesicht, aus dem große Augen hervordunkelten. Sie glich einem Zigeunerkinde, und das hellrothe Halstuch, welches über ihr graues Kleidchen flatterte, saß so verschoben daß beide Zipfel am Rücken niederhingen; einen besondern Reiz aber verlieh ihr die wilde Grazie, welche aus jeder ihrer Geberden sprach. Geschmeidig, wie ein Kätzchen, wechselte sie alle Augenblicke ihre Stellung, während sie in glitzernden Scherben Phantasiegerichte aus Sand und zerpflückten Astern zurecht machte und ihren kleinen Genossen beständig am Aermel zupfte, um ihm zu verkünden, was nun angerichtet würde. Der aber nahm nur geringe Notiz von ihrem Eifer; seine ganze Aufmerksamkeit war auf die Hände eines älteren Knaben gerichtet der ein paar Schritte weiterhin auf einem Holzklotze saß und aus einem Stück Ahorn eine Figur schnitzte, die bereits den Umriß eines sitzenden Hündchens verrieth. Der junge Künstler beugte sein intelligentes Gesicht eifrig über die Arbeit, was ihn aber nicht abhielt, zuweilen einen raschen Blick auf das Schwarzköpfchen zu werfen, dem er zunickte, so oft es zufällig einmal aufsah. Trotz des groben Lodens, mit dem der Knabe bekleidet war, hatte seine Erscheinung etwas Feines, Vornehmes; er war schlank und zart gebaut.
„Itz sag einmal, Jana, bleibt’s denn richtig dabei, daß Dein’ Gnädige den Winter lang auf der Moosburg forthausen will?“ fragte die Müllerin. „Ich hab gemeint, das wär’ nur so an Gered’, weil sie doch bislang keinmal hat dableiben mögen, seit der Herr todt ist. Gott schenk ihm die ewige Ruh! Daß sie im Frühjahr herkommen is, hat mich weiters net gewundert, daß sie ober jetzt mutterseelenalleinig im Winter da droben hocken mag, das wundert mi’ doch.“
„Mutterseelenallein?“ wiederholte Jana. „Hat sie ja doch ihren Sigmund und mich, und – und die Maxi.“
„Das is an schöne Unterhaltung für so an vornehme, städtische Frau muß i sag’n. Die Gesellschaft hat sie ja auch in den letzten drei Jahr’n um sich g’habt und is doch lieber in der Stadt blieben; da fehlt sich nix. Mir kann’s viel recht sein. Du läßt doch nimmer von ihr ab, bist ja auch gut versorgt dorten, und wir daheim sind froh, daß wir Dich auf die Näh’ behalten. Ja, wann’s nur Dauer hat! Denn siehst, Jana, wir vergunnen Dir ja das gute Leben. Die Gnädige hat Dich in manchem Stück unterwiesen, und es is fein, daß sie Dich beinah hält wie ein Anverwandtes und Dir nix zumuthen mag, als was Dir leicht is. Wohin taugst aber, falls sich einmal ihr Sinn umkehrt, falls sie wieder heirathen möcht’ oder sonst was? Zu uns Bauernleut’ taugst nimmer, und ob Du für einen andern Dienst taugen thätst, das weißt’ selber net.“
Jana schüttelte den Kopf.
„Nein, Mutter,“ sagte sie mit ruhiger Zuversicht. „Meine Gnädige heirathet nimmer und läßt mich auch nimmer von sich; das ist alles Beides so sicher und gewiß wie das Evangelium.“
[491] „No, no! Wenn gleich das Zweite sich so ausweisen mag, denn sie hat einmal ihren Narren an Dir gefressen, so möcht’ ich auf’s Erste keinen Eid thun. Jung is sie noch genug, und noch viel feiner als jung; Geld muß sie auch haben – wie Heu, sonst thät’ sie nit so herumziehen; da bliebe die Heirath nit aus, und am End wird ihr schon Einer in die Augen stechen, daß sie denkt, ein lebendiger Mann ist besser als ein todter, wenn man ihn auch noch so germ gehabt hat. Und – was ich schon lang hab’ fragen wollen –“ Sie unterbrach sich, rückte an ihrem Hut, räusperte sich ein paar Mal, und sagte dann, während ihre Stricknadeln in doppelter Eilfertigkeit durch einander klapperten: „Wie steht es mit Dir selber, Jana? Das beicht’ mir einmal! Willst mit aller Gewalt an alte Jungfer werden? Es war uns leid, dem Vetter und mir, wie Du dem Bäck und dem Schmied abgesagt hast, aber freilich, wir haben’s begriffen, und ich hab’s ja grad noch selber gesagt : für’s Dorf bist verdorben. Daß Dir aber auch der Heer Lehrer aus Hall nit recht war, das weiß ich nit, warum. Der is doch an G’studirter; der hätt’ Dir doch recht sein mögen.“
Jana’s zartes Gesicht färbte sich purpurrot. Sie wandte den Kopf ein wenig zur Seite, legte die Hand mit raschem Druck auf den Arm der Müllerin und sagte ganz leise, aber nachdrücklich :
„Warum fangt Ihr allzeit wieder damit an, Mutter? Ich hab’s doch schon oft genug gesagt, daß ich nicht heiraten will und mag. Meine Gnädige und ich, wir bleiben zusammen, so hab’ ich’s mir vorgenommen, und versprochen hab’ ich’s ihr auch, mit Hand und Mund.“
„Denkst gar jetzt noch an Dein Schatz, den Wendelin Platzer, der sich todt gefallen hat auf den Fernern? Was hilft’s? Todt ist todt,“ murrte die Mutter, ohne Jana anzusehen. So entging ihr auch die abwehrende Handbewegung, welche der Tochter einzige Antwort war. Das Mädchen blickte sinnend, aber ohne Trauer im Auge, vor sich in’s Weite. Es war noch unverändert das gleiche in Schnitt und Farbe zarte Gesicht, welches damals an der Wiege von Genovevas Knaben so heiße Thränen der Herzensangst und des bittern Leids geweint, derselbe jungfräuliche, fast kindliche Ausdruck; nur waren die Farben blühender, die Gestalt etwas voller geworden, und vor Allem bildete die Elasticität ihrer Bewegungen und ein heiterer Zug um Mund und Augen, der einem verhaltenen Lächeln glich, den Contrast zwischen damals und heute. Lächelte sie aber wirklich, wie eben jetzt, wo sie auf die Kindergruppe schaute, dann trat seltsamer Weise das schwermütig Sinnende, welches im Grunde der Augen lag, fast gleichzeitig an den Tag.
Wie mit unwillkürlicher Bewegung erhob sie sich, um zu den Kindern hinabzugehen, und bemerkte in demselben Moment einen Fremden, welcher auf der andern Seite des über die Gefälle zum diesseitigen Fußpfade führenden Steges stand und Haus und Mühle mit großer Aufmerksamkeit zu mustern schien. Dies kam öfters vor; denn war die Zahl der Lahnegg durchstreifenden oder gar dort rastenden Reisenden damals auch noch spärlich, so pflegte doch jeder Vorüberkommende, von der pittoresken Lage des Anwesens gefesselt, an jener Stelle zu zögern.
Die Gestalt, auf welche sich Jana’s Blick richtete, war ihr übrigens von Ansehen bekannt. Der stets vom Kopfe bis zu den Füßen in Grau gekleidete Fremde hielt sich seit einigen Wochen in der Gegend auf und streifte viel umher. Um so mehr wunderte sie sich, daß er heute das von ihm sicher schon früer bemerkte Haus mit so scharfen Bllcken betrachtete. Denselben Eindruck schien die Müllerin zu empfangen.
„Was gafft Der?“ fragte sie. „Wird wohl an Maler sein, so an verdrehter. Jetzt schaut er gar durch sein Spektivi auf uns her, der Narre.“
„Ein Maler ist Der nicht,“ sagte Jana, „sondern ein Musikprofessor, und in Wien ist er daheim.“
„Kennst ihn also?“
„Nur von Ansehen. Er wohnt schon wochenlang. beim Judenwirth und geht oftmals nach der Zillerbrücke spazieren, da bin ich ihm manchmal begegnet, und auch meine Gnädige hat ihn gesehen. In Wien waren wir einmal im Concert, wo er dirigirte.“
„Was redst da? Und Du hast Dir das Gesicht gemerkt, unter so viel Volk heraus?“
Jana lachte.
„Der Oberste von den Musikanten, weißt Du, der steht auf einem hohen Schemel und schlägt mit einem Stöckchen in die Luft, damit die Anderen wissen, ob sie geschwind oder langsam spielen müssen, und ob sie leis’ oder stark blasen und geigen sollen. So Einer ist der Herr Fügen. Auch hat er schöne Weisen und Lieder ausgedacht; die sind gedruckt wie Bücher; ich singe mehr als eins davon. Aber schau, sollt’ man nicht meinen, er wollt’ herüber kommen, zu uns herein?“
In der That hatte der Fremde eben den Steg überschritten; er näherte sich der Gartenumzäunung und öffnete nun eine sehr primitive Gitterthür, während er Jana, die ihm entgegen ging, freundlich begrüßte. Ihre Haltung schien ihm aufzufallen; denn sie entsprach wenig der halb ländlichen Tracht. Unwillkürlich nahm er den zuvor nur leicht berührten Hut ab; während ihre weiche Altstimme ihn ansprach:
„Gewiß wünscht der Herr, sich hier ein Weilchen auszuruhen?“
„Wenn das gestattet ist, gern,“ sagte der Gast, indem er sich durch das dichte, aufwärts strebende Haar fuhr und neben ihr der Bank zuschritt. „Der eigentliche Grund, weshalb ich hier eingetreten bin, ist freilich ein anderer. Ich möchte mich nämlich erkundigen, ob vielleicht hier im Hause ein oder zwei Zimmer miethweise zu haben wären, für einige Zeit.“
Die Müllerin, in deren Hörweite der Fremde nun gelangt war, und welche ihn neugierig betrachtete, schüttelte kategorisch den Kopf:
„Dös giebt’s net,“ sagte sie kurz und bündig.
„Meine Geschwister und die Mühlburschen brauchen Gelaß; da haben die Eltern keine Zimmer übrig,“ erklärte Jana. „Außerdem würde Ihnen die Einrichtung schwerlich behagen; sie ist nicht auf städtische Gewohnheiten berechnet. Aber wollen Sie nicht Platz nehmen?“
Der Gast setzte sich mit leichtem Kopfnicken neben die Müllerin und sah rings um sich mit einem langen Blick, der zu sagen schien: „Schade!“ Ausdrucksvoll, wie dieser Blick, war des Mannes ganze Erscheinung. Der von einer schmächtigen Gestalt getragene Kopf schien auf den ersten Blick fast zu groß, was aber nur an der Masse lichtbraunen Haares lag. Merkliche Erhöhungen, welche sich über den vollen Brauen herabwölbten, verliehen der Stirn geistreich ernsten Charakter, um die feinen Lippen spielte aber zuweilen ein Schalk. Nur ein sehr kundiges Auge würde im ersten Moment das Alter des Musikers festzustellen vermocht haben; denn es schien zweifelhaft, ob Jahre oder Gedanken diese feinen Züge so herausgearbeitet hatten. Aus den nußbraunen Augen leuchtete unvergänglicher Jugendglanz. Es waren die Augen eines Künstlers.
„Hier ist gut sein!“ sagte er mit tiefem Atemzuge, während er zu Jana aufsah, die vor ihm stehen geblieben war. „Da hätte man sich leicht eingewöhnt. Nun bleibt’s wohl beim Weiterziehen.“
„Der Herr logirt doch beim Judenwirth?“ fragte die Müllerin. „Seid Ihr dort nit zufrieden?“
„Ei doch! Sonst wär’ ich nicht wochenlang geblieben. Jetzt aber, wo ich mich für den Spätherbst hier einrichten möchte, wäre mir eine Privatwohnung lieber. Damit schaut’s aber in Lahnegg knapp aus.“
„Der Lehrer, mein’ ich bald, hätt’ ein Gelaß übrig.“
„Beim Lehrer? Wo alle Samstag Singproben für’s Hochamt abgehalten werden? Soll mich der Herrgott bewahren!“
Jana sah mit verstohlenem Lächeln seine erschrockenen Augen.
„Vielleicht wüßt’ ich Ihnen Rath,“ sagte sie; „kennen Sie die Moosburg?“
„Freilich! Mein Lieblingsgang führt an den alten Schlössern vorbei, nach der Zillerbrücke. Dort sind wir einander öfters begegnet. Wissen Sie, daß ich mehr als einmal in Versuchung war, mit Ihren reizenden Kindern anzubinden? Sie wohnen gewiß der Brücke nahe? Ein gehöriges Stück Weges bis hierher, und doch nicht zu weit, wenn man bedenkt, wie oft sich eine Tochter in wirkliche Ferne verheiratet.“
„Ich bin nicht verheiratet,“ sagte Jana tief errötend. „Die Kinder gehören meiner Herrin zu, der Frau von Riedegg auf der Moosburg.“
„Ah!“ Er hob plötzlich den Kopf mit einer der schnellen Geberden, die ihm eigen maren. „Diese Dame habe ich nennen hören. Sie ist Wittwe, nicht wahr? Ist nach langer Abwesenheit [492] auf ihr Schloß zurückgekehrt? Ein beneidenswerter Sitz, den ich mir schon längst gern näher beschaut hätte, doch nehme ich Anstand, die Ruinen zu besichtigen, weil ich selbst zu viel von Einsamkeit halte, um gleiche Vorliebe nicht bei Anderen zu respectiren. Wenn sich eine Dame an so weltentfremdetem Orte häuslich niederläßt, wünscht sie aber sicherlich allein zu bleiben.“
„Und doch fände sich vielleicht gerade auf der Moosburg, was Sie suchen, falls Ihnen der Platz nicht zu entlegen scheint,“ sagte Jana. „So viel ich weiß, wäre die Gnädige nicht abgeneigt, einige Zimmer zu überlassen.“
Ein Blitz beinahe kindlicher Freude ging im Auge des Fremden auf. „Das wär’ ein Fund!“ rief er lebhaft. „Aber – aber – wird die gnädige Frau mich haben wollen, wenn sie erfährt, daß ich Musik zu machen pflege? In dem Punkte kann ich weder bei Tage noch bei Nacht für mich einstehen.“ Seine dichten, beweglichen Brauen rückten gegen einander, was dem Gesicht einen drollig besorglichen Ausdruck gab, obgleich der Sprecher durchaus nicht scherzte; er sah im Gegentheil wie ein recht ernstlicher Bittsteller auf Jana. „Es wäre prächtig dort zu hausen. Aber ich muß wirklich warnen – wahrhaftig, ich könnte nicht versprechen, ein stiller Gast zu sein! Mein Name ist Fügen, Richard Fügen.“
Jana lachte – das stand ihr reizend zu Gesicht. „Das zweite Stockwerk steht unbenützt,“ sagte sie ermuthigend. „Wenn Sie die Räumlichkeiten gelegentlich betrachten wollen, Herr Fügen, so ließe sich Weiteres besprechen.“ Sie neigte grüßend den Kopf. trat dann ein paar Schritte vor und rief zu den Kindern hinab. „Kommt! Es wird kühl; wir müssen heim.“.
Auch der Fremde stand auf und lächelte in sich hinein, während er die herbeispringenden Kinder betrachtete. Ein überaus angenehmes Gefühl überkam ihn, gleichsam eine rosige Perspective künftiger Tage, auf deren schwankendem Grunde der blonde Mädchenkopf da vor ihm sich abhob, von zwei Kinderköpfchen umgeben, die beinahe ausschauten wie die Engelchen zu Füßen der Sixtinischen Madonna. Er fuhr sich durch den Haarbusch, der über seine Stirn aufstrebte, trat den Kindern entgegen und hob den Knaben unversehens auf seinen Arm. Dieser ließ es ruhig geschehen, wandte nur einen gleichsam fragenden Blick auf Jana und richtete dann, als er sie lächeln sah, die blauen Augen forschend auf den fremden Mann. Während diese Augen auf ihm hafteteten, wurde Fügen seltsam zu Muthe. Jedes Kindes Blick birgt Geheimnißvolles; zuweilen begegnet er uns aber in einer Verklärung, welche an das Wort erinnert: „Kinder mit solchem Blick leben nicht lange.“ Der Junggeselle kannte diesen Ammenspruch nicht, auch spottete des Knaben strahlende Frische jeder bösen Ahnung; er glühte und blühte wie eine gesunde Frucht. Dennoch fühlte sich Fügen wie von Unirdischem angeweht; eine Art Heimwehgfsühl überkam ihn, wie Ton und Duft es zuweilen weckt.
Der Mensch kann einmal seine Natur nicht verleugnen, und selbst da, wo er es thut, kommen doch immer „den angenommenen Sitten die angeborenen nachgeschritten“. So scheint auch die Lust zu übertreiben, aus der Mücke einen Elephanten zu machen, den Nächsten zu bereden, ihn schlecht zu beleumunden – was man gewöhnlich unter dem Begriff „klatschen“ zusammenfaßt – in der menschlichen Natur zu liegen; denn so weit wir nur in die Culturgeschichte zurückblicken können, überall sehen wir, daß, sobald Menschen unter irgend welchen geselligen Formen zusammenleben, auch die Klatsch- und Uebertreibungssucht sich schnell entfaltet und Blüthen treibt. Mehr oder weniger tritt uns diese Sucht auch bei Chinesen, Indiern, Mesopotamiern, Aegyptern, Israeliten entgegen, sei es nun, daß es heißt: „Du sollst nicht falsch Zeugniß reden“, sei es, daß der chinesische Dichter singt:
„Sumsend setzen blaue Fliegen
Sich wohl auf den Zaun.
O du gnadenreicher Herrscher,
Wolle nicht Verleumdern trau’n etc.“
Sind wir nun darüber einig, daß das Klatschen bei allen Culturvölkern zu allen Zeiten existirt habe, so muß es uns um so wünschenswerter erscheinen, daß Culturhistoriker und Ethnographen die gesammelten „Zeichen der Civilisation“ einmal umständlichen „wissenschaftlichen“ Untersuchungen unterwürfen; sie würden damit der Culturphilosophie und Völkerpsychologie sehr dankenswerthe Beiträge liefern.
Es wäre nun interessant, zu erörtern, wo die des Schwatzens bedürftigen Männer sich vereinten, um der Fluth ihrer Worte und dem Strom ihrer geistreichen Ideen und Witze freien Lauf zu lassen; denn man verleumde mir nicht die Mädchen und Frauen als Klatschschwestern par excellence! Alle Welt weiß, daß sie zwar auch, wie wir stärkern Männer, der verführerischen Lust des bösen Plauderwortes fröhnen (und als Beleg dafür geben wir gleich hierneben das dem Leben unmittelbar abgelauschte hübsche Seyppel’sche Bild wieder – d. Red.), aber Eins ist doch sicher: die stärkere Hälfte der Menschheit besitzt die Eigenschaft des Klatschens in weniger umfangreichem, dafür aber in um so intensiverem Maße.
Dem athenischen Politiker und Bürger – um das classische Alterthum nicht völlig zu überspringen – bot die Agora, der Markt, auch das Gymnasion, die Turnhalle, stets Gelegenheit zu politistren, zu „kannegießern“ und über die biedern Nachbarn und Freunde Geschichtchen aller Art zum Beste zu gebe. Wie vorzüglich die alten Griechen das verstanden, lehrt uns z. B. Aristophanes in anschaulicher Weise.
Der Römer übte diese Art des Lungenturnens auf dem Forum und in den prachtvollen Bädern, die bei ihren großartigen und bequemen Einrichtungen ein beliebter Versammlungsort für Bekannte waren. Dort konnte man alle Neuigkeiten stets aus erster Hand erfahren; dorthin gelangten zuerst die Nachrichten vom Kriegsschauplatz; dort fand man zum Theil Gelegenheit, mindestens aber Muße, die jüngsten Erzeugnisse der Literatur kennen zu lernen, und viele Römer verbrachten denn auch den ganzen Tag an diesen angenehmen Aufenthaltsorten, in dem man auch in aller Bequemlichkeit jeder Art von Klatsch fröhnen konnte.
Bleiben wir zunächst auf italienischem Boden! Im Mittelalter, als die Gewohnheit des Badens in christlichen Landen schwand – sie wurde erst wieder durch das Vorbild , das die Mauren gewährten, neu geschaffen – da kamen die Barbier- und Friseurläden in Flor. Man weiß, welche bedeutende Rolle die Barbiere und ihre Läden in Italien für die gesammte Culturentwickelung dieses Landes gespielt haben. Durch den Verkehr mit aller Welt, mit allen Schichten der Bevölkerung waren die Barbiere in der Lage, Menschen zu beobachten und ihren Geist im Verkehr mit ihnen zu entwickeln. Die Folge davon war, daß die gewitzigten unter ihnen gelegentlich den Schreibstift in die Hand nahmen, um ihre Beobachtungen in satirischen Dichtungen niederzulegen oder durch burleske humoristische Improvisationen ihre Kunden zu belustigen. Man denke an Burchiello und den Einfluß seiner Schwänke auf die italienische Poesie, besonders die Volksdichtung! Die Masse von Geist und Witz, über welche die Italiener von Natur verfügen, fand in den Volksdichtungen der Straßen-Improvisatoren und der Barbiere ihren stets von Beifall belohnten Ausdruck. Die Stoffe für die Burchiellesken und Satiren bestanden natürlich meist in Tages- und Stadtneuigkeiten. Die Barbierläden waren, wenn nicht die Geburts-, so doch mindestens die Ablagerungsstätte für diese Dichtungen, und es gab, ebenso wie heute, wenige Männer, die für den Klatsch, für gutlaunigen Scherz nicht zugänglich gewesen wären; rechnet doch heute ein gut Theil der Presse – und mit welchem Erfolge! – mit diesem echt menschlichen Charakterzuge! Florenz war auch darin, wie überhaupt in Allem, was das geistige Leben betraf, unter den Medicäern besonders, tonangebend.
Heutzutage hat nun der italienische Barbier- und Coiffeursalon nicht mehr ganz die Bedeutung wie in früheren Zeiten
[493][494] aber man komme nur einmal in ein solches Local, wenn irgend eine Ministerkrisis oder ein anderes politisches Ereigniß die Gemüther in Aufregung versetzt! Da ist z. B. in Florenz nicht weit von der Piazza de la Signora ein eleganter kleiner Salon, in dem seiner Zeit, besonders während Florenz italienische Reichshauptstadt war, alle großen Politiker verkehrten. Versetzen wir uns in’s Jahr 1871, in die Zeit des deutsch-französischen Krieges, indem wir uns dem Salon nähern! Schon von fern erschallen laute verworrene Stimmen durch die nur mit grünem netzartigem Vorhang geschlossene Thür, und allmählich vernehmen wir aus dem Chaos die Namen Garibaldi, Napoleone etc. Indem wir den Vorhang bei Seite schieben, dröhnt uns ein Zornausbruch gegen die Deutschen entgegen, während sich zugleich ein ergötzliches Genrebild darbietet. Der Chef, den Seifenpinsel in der Hand, vertritt, mit Händen und Füßen agitirend, was er eben gesagt und was er eine halbe Stunde vorher von einem liberalen Staatsmanne vernommen, mit solcher Heftigkeit als seine Meinung und erweckt dadurch so lebhaften Gedankenaustausch, daß die Meisten der Wartenden und der gerade Bedienten sich von ihren Sitzen erheben, Partei ergreifend, eine lebhafte Debatte anspinnen, die – in Anbetracht der Rasirmesser, der leidenschaftlichen Reden, der funkelnden Augen, der heftig bewegten Arme und Füße – auf einen Neuling wohl einen beunruhigenden Eindruck zu machen geeignet ist.
In den Vormittagsstunden waren die zwölf oder mehr Sessel des Salons fast stets besetzt, während noch etliche Personen herumstanden; denn die Stunden, die dort verbracht wurden, waren für das Leben in der That nicht völlig verloren, und an Abwechselung fehlte es nie. Eben hatte eine politische Nachricht einen gewaltigen Sturm erzeugt und in beängstigender Weise arbeitete das von erregter Hand geführte Messer auf dem Gesichte des Kunden, da trat denn vielleicht ein als Witzmacher Allen bekannter alter Herr, ein Marchese, herein, der stets alle Hände und Taschen voll der „saubersten“ Stadtneuigkeiten hatte; es war seine Gewohnheit, stets in stereotyper Weise zu verfahren: erst durch Andeutungen aller Art die Neugier und die Erwartungen aller Anwesenden auf das Höchste zu spannen, worauf dann irgend eine triviale Skandalgeschichte über eine hohe oder höchststehende Persönlichkeit folgte. Neues gab es in dieser Hinsicht immer; denn das italienische Leben bietet ja Stoff genug; Gelächter gab es auch stets, und der Barbier und seine Gehülfen thaten dann natürlich das Ihrige, diese Neuigkeiten allen späteren Kunden mit den nöthigen Zierrathen und Andeutungen zu erzählen sodaß man wenige Stunden später dieselben an sich unbedeutenden Geschichten in’s Ungeheuere aufgebauscht und völlig entstellt am entgegengesetzten Ende der Stadt wiedererzählen hörte. Als Regel gilt hierfür: je unglaublicher, je unfeiner die Skandalgeschichten sind, desto begieriger nehmen die Fama und die Menschen sie auf.
Es ist wohl anzunehmen, daß die Läden intelligenter Barbiere auch heute noch in Italien wichtige Vermittler zwischen allen Ständen sind, weil jeder Kunde, ob er Proletarier oder Minister ist, sich hier als Mensch zeigt und sich dem Mitmenschen gegenüber so gerirt; auch unterliegt es kaum einem Zweifel, daß durch die Discussionen in den Barbierstuben auf das politische Leben ein gewisser Einfluß ausgeübt wird, weil doch die entgegengesetzten Meinungen in freier, zwangloser und furchtloser Weise discutirt werden.
Va bene – Vayamos!
Also auf nach Spanien! Der Barbier- und Coiffeursalon spielt natürlich auch dort wie in allen romanischen Ländern, und besonders auch in Frankreich, eine gewichtige Rolle; denn man denke doch nur, daß die Herren Spanier und Franzosen zuweilen eine Stunde und mehr zur Herstellung ihrer eleganten Haar- und Bartfrisur bedürfen, aber die große Bedeutung des italienischen hat weder der französische noch der spanische Barbierladen.
Man kann eigentlich kaum sagen, wo der Spanier ganz besonders der Klatschsucht obliegt. Für Madrid ist die Puerta del Sol um die elfte Vormittagsstunde der Markt für Neuigkeiten; um diese Tageszeit macht der große Platz immer den Eindruck, als ob ein Pronunciamiento, eine aufrührerische Kundgebung gegen die Regierung, beabsichtigt wäre. Nächstdem dient zu diesem Zweck der Paseo oder die Alameda, die öffentliche Promenade, und diese gilt für alle Städte als Zusammenkunftsort der feinen Welt für gewisse Tagesstunden, wobei das Zurschaustellen der Kostbarkeiten und prächtigen Kleidung, das Sehen und Gesehenwerden, auch das Sprechen und Besprechen der Hauptzweck ist. In späten Abendstunden, wenn die Promenade im Prado und Buen Retiro in Madrid beendet ist, garnirt man, das heißt das männliche Geschlecht, mit seiner Gestalt die Straßenecken, die Eingänge in die Cafés und die äußern Mauern derselben und macht seine Bemerkungen über die Vorübergehenden, bis man sich zu weiterem erbaulichem Klatsch in das Innere eines Cafés begiebt und sich dort über einem Täßchen Chocolade, über einem Glase Orchata con chufas, Eis, Chico chico oder andern Getränken die Zeit vertreibt, wenn man nicht das Bedürfniß fühlt, noch in einem politischen Club seine Lungen in höherem Maße zu erweitern und zu stärken, als es der Café-Klatsch ermöglicht.
Setzen wir nun unsern Stab in die ultima Thule des südwestlichen Europa: nach Portugal.
Das Klima ist dort für den Nordländer gefährlich, wohl auch für den Eingeborenen selbst, sollte man denken: denn nirgends findet man so viele Apotheken wie dort. Schlagen wir aber die statistischen Bücher auf, hätte ich beinahe gesagt, als ob es derartige Bücher dort gäbe; die Statistik ist daselbst eben noch ein ganz kleines Kind; informiren wir uns also über die Sterblichkeit, so ergiebt sich als Resultat, daß sie doch merkwürdig gering ist – vielleicht wegen der vielen Apotheken? Nun gut, es passirt uns möglicher Weise das Unglück, uns unwohl zu fuhlen; wir gehen daher in eine Apotheke, um dort ein Präservativ oder ein Heilmittel zu kaufen. Es ist Abend, und wir sind vielleicht erstaunt, den Laden, der uns als Apotheke bezeichnet worden, mit Herren gefüllt zu sehen, die dort offenbar wenig oder nichts zu thun haben. Wir denken vielleicht, es werde dort eine politische oder andere Versammlnug abgehalten und wir haben den rechten Ort verfehlt. Lassen wir uns nicht abschrecken, wagen wir uns nur hinein! Die Ruhe, die dort herrscht, beweist uns, daß wir keine politische Versammlung stören; man verhält sich still; man beobachtet die Ringlein des Rauchs der Cigarette und hört, nur dann und wann eine spöttische Bemerkung fallen lassend, auf einen der Anwesenden, der mit schwindelerregender Geschwindigkeit und bewunderungswürdiger Ausdauer in einer zungenbrecherischen Sprache, die aus lauter Nasenlauten, Zischlauten, Consonanten und etlichen „U“ zu bestehen scheint, einen Vortrag hält. Unser Eintritt in den Laden ruft allerdings eine Veränderung hervor; der Redner schweigt, und wir werden nun der Gegenstand sämmtlicher anwesenden dreißig bis vierzig Augen, Pincenez, Monocles und was es sonst fur Werkzeuge zur Unterstützung der Sehnerven geben mag; mit portugiesischer Gemächlichkeit erhebt sich allmählich oder löst sich von einer der Gruppen, die sich gebildet haben, einer der Herren, tritt hinter den Ladentisch, um uns zu fragen, was wir wünschen, und uns dann zu erklären, daß das Gewünschte nicht vorhanden ist. Während dessen hören wir spitze Bemerkungen über unsere Kleidung, unser Portugiesisch – kurz, man lacht über uns und macht Witze auf unsere Kosten. Das Alles darf uns nicht im Geringsten beirren; denn erstens müssen wir wissen, daß der Portugiese stets den Schalk im Nacken hat und zu Späßen geneigt ist, und daß wir ferner in das tollste Wespennest gefallen sind; denn die Apotheke ist der Ort, an dem der Portugiese kannegießert und seinen Klatsch auskramt. Außerdem versammelt man sich auch noch, gerade wie in Spanien, an den Außenseiten der Cafés, macht Glossen über die Vorübergehenden und arbeitet für Mutter Fama. Stundenlang sieht man die Leutchen dort an einer Stelle stehen, ihre Cigaretten rauchen, mit den Stöckchen spielen und – klatschen.
Gehen wir nun einmal, da wir so nahe sind, nach Afrika hinüber; nach ’’Marokko, Tunesien, Tripolis’’. Da ist der Fondug für die niederen Classen der Reisenden, das Café und der Bazar für alle Uebrigen, was für den Portugiesen die Apotheke, für den Italiener der Coiffeursalon ist; da politisirt und klatscht man über einem Schälchen Mocca. Treten wir in die Bazare von Tunis! Die Kaufleute scheinen da nichts Anderes zu thun zu haben, als ihre Freunde zu empfangen. Ein ambulanter Kawadschi (Kaffeeverkäufer) versieht euch sofort mit dem nöthigen Reizmittel für eure von der Hitze abgespannten Nerven. So, nun macht es euch nur bei irgend einem eurer kaufmännischen Freunde bequem, legt die Schuhe ab, laßt die unbequeme Bank, setzt euch vielmehr hübsch auf den Ladentisch, krenzt die Beine, fertigt euch ein Cigarettchen – so läßt es sich ganz bequem plaudern. Nun schmiedet nur mit euren Freunden Pläne gegen die Franzosen, überlegt, wie ihr [495] einen heiligen Krieg entfachen, die grüne Fahne des Propheten entrollen werdet, und erzählt ein Wenig, was es Neues von der Familie dieses und jenes Großen zu berichten giebt! Nachmittags sind die Bazare geschlossen – da gehen wir lieber zur Fortsetzung der Plauderei in ein Café, wo wir Bekannte zu finden wissen, die inzwischen wieder Neuigkeiten gesammelt haben.
In Algerien äfft man Frankreich nach. Wenden wir uns also lieber gleich dem Vorbild zu! Hier kommen wir in den Bereich des Boulevardcafé, in dem die Wirkungen des orientalischen Getränkes noch durch entsprechende Quantitäten Absinth und Cognac unterstützt werden müssen, um die nöthige Dosis Esprit zu weltmännischem Klatsch zu verleihen. Wehe dem, der in den Mund der Habitués der Boulevardcafés geräth! Da bleibt auch nicht einmal ein Fäserchen der Gewandung unbekrittelt, unbewitzelt und unzerpflückt. Je höher die Civilisation, desto boshafter, desto gemeiner, desto widerlicher der Klatsch – so scheint das Gesetz zu sein. In den großen Städten sind es freilich dafür auch nur die Großen, die der Fama verfallen, aber was müssen sie und oft vollkommen unschuldig erdulden! Dem Esprit des Pariser Flaneurs und Salonhelden ist nichts heilig, nichts zu klein, nichts zu groß – wo nur ein Häkchen ist, und wo ließe sich nicht eines finden! – da wird auch etwas angehängt, und das Gewicht wird binnen Kurzem so groß, daß der Gegenstand bald in den Staub sinkt und endlich im Schmutz begraben wird. Und welcher Art ist die Sprache dieser Elegants, die der civilisirten Welt als Musterbilder vollendeter Weltmänner dienen, welcher Art sind die Witze, ist der Esprit, den sie bekunden? – Passons!
Wenden wir uns nach England. Always gentlemanlike! – Nichts merken lassen! Scherzen, plaudern, witzeln, das kommt dort nie vor; nein, seht nur diesen Ernst, diese Gemessenheit! Ueber diese Lippen kann im Leben kein häßliches Wort kommen – und vollends der Jargon des Männerklatsches! – undenkbar, daß ein feiner Gentleman denselben je anwendete. Ja wohl, ganz recht! Kommt nur in einen Club von recht feinen, recht hohen Gentlemen! Da „sind wir unter uns“; da sieht man die Kehrseite der Medaille, und man wird seinen Ohren kaum trauen, wenn man hört, was dort bei Malagasect, Capwein und Porto gesprochen wird.
Und der biedere Deutsche? Was so ein guter deutscher Bürger und Hausvater ist, der muß Abends in’s Wirthshaus gehen, und wenn er sein Töpfchen Bier vor sich und die Cigarre oder das Pfeifchen angezündet hat und die Stammtischgenossen beisammen sind – dann wird’s gemüthlich, dann wird große Politik getrieben, gekalauert und geklatscht – und darin sind sie Alle gleich nach dem Satze: Hier bin ich Mensch; hier darf ich’s sein.
Ungleiche Seelen.
Es ist drei Jahre später, im Herbst 1878. Auf der großen Terrasse des Hotels *** zu Brunnen am Vierwaldstätter See bewegt sich der lebhafte, bunte Zusammenfluß von Eleganz und Müßiggang, welcher hier alljährlich sein ebenso heiteres, wie trügerisches Bild vom allgemeinen Wohlbefinden der Menschheit entfaltet. Es ist Frühstücksstunde und laute Conversation an den vielen kleinen, zierlich gedeckten Tischen; da sitzen im eleganten Morgencostüm junge Mütter, deren Leben noch keine andere Sorge kennt, als die um die möglichst graziöse Toilette für die künftigen kleinen Gesellschaftsmenschen, welche dort am Landungssteg ihren Fischfang mit einer eigentümlichen Mischung von natürlicher Unart und selbstbewußtem Weltton betreiben. Auf den Gesichtern der meisten Männer kann man jenen frühalten, nervösen Zug nicht verkennen, welchen das heutige eilige Tempo des Hastens nach Reichthum und Genuß dem modernen Menschen nicht gerade zu seiner Verschönerung auszudrücken pflegt; im Uebrigen fühlen sich Alle offenbar sehr erleichtert, für einige Wochen die juristischen, commerciellen und sonstigen Leitungsdrähte von der Hirnbatterie abgeschraubt zu haben und sich hier einmal gründlich ausspannen zu können. Bei dem appetitlichen Schweizerfrühstück sitzend, lesen sie ihre großen Zeitungen und betrachten hinter ihnen heraus die von Duft und Glanz eines wunderbaren Septembermorgens verklärten stillen Berge, die blauschattigen Wandhänge über dem leuchtend grünen Seespiegel mit dem fremden Blick des Stadteingesessenen, der den Zusammenhang mit der Natur verloren hat und nur aus dem Umweg der Operndecoration zu ihren hervorragendsten Knalleffecten zurückzukehren vermag.
Es ist viel Redens und Berathschlagens auf der Terrasse; alle Möglichkeiten, in kurzer und kürzester Frist die gesammten Schönheiten des Rigigebietes „abzumachen“, werden aus den rothen Büchern construirt und Hotelrechnungen verglichen; dazwischen richten sich, da auch am Vierwaldstätter See „der Mensch dem Menschen das Interessanteste bleibt“, viele neugierige Blicke nach einem Tische, nahe der Terrassenbrüstung, wo eine Dame von ungewöhnlicher Schönheit und derjenigen Eleganz der Gewänder, welche durch Reichthum allein nicht zu bewerkstelligen ist, auch die Blicke solcher Mitschwestern auf sich zieht, die nicht gewohnt sind, auf der heimischen Promenade einer distinguirten Toilette die Ehre besonderer Betrachtung zu gönnen.
Wer ist sie? Gestern hieß es, eine russische Fürstin; heute weiß man, daß sie die Gattin einer der ersten Finanzgrößen der reichen Stadt F… ist und daß diese Größe in Gestalt des mageren ältlichen Herrn mit dem Zwicker auf der Nase dort unter dem Schattendache ihr gegenüber am Tische sitzt.
Bei gewöhnlichen Sterblichen müßte man, dem Ausdrucke der Gesichter nach, auf ein ungewöhnliches Maß von Langeweile schließen, hier aber ist es leicht, zu denken, daß nur eine gewisse, durch die nahe Nachbarschaft der anderen Tische gebotene Zurückhaltung die Ursache der kurzen und seltenen Reden ist, welche das ungleiche Paar in den Pausen zwischen Frühstück und Lectüre von Briefen und Zeitungen mit einander wechselt.
Herr Nordstetter scheint, geschäftlich und menschlich genommen, der Gleiche wie ehemals, nur daß er sich das unbequeme Färben der Haare jetzt erspart und in Folge dessen bedeutend grau aussieht. Im Uebrigen trägt sein Gesicht denselben Ausdruck positiver Nüchternheit und ruhigen Selbstgefühls, den es hatte, ehe die Liebe für kurze Zeit einige Pinselzüge hineinmalte: es ist klar, daß man an der Seite dieses Mannes keinerlei Gelegenheit zu tragischer Empfindungen hat.
Tragisch sieht sie auch nicht aus, die immer noch außerordentlich schöne Frau mit den blauen, schwarzumsäumten Augen und den blassen, vornehm geschnittenen Zügen, aber müde, sehr müde, und wenn man näher zusieht, gewahrt man auch ein paar Fältchen unter diesen Augen und eine senkrechte zwischen den feingezogenen Brauen.
Sie sitzt regungslos zurückgelehnt und ihre Blicke streifen ohne Antheil über die Terrasse voll Menschen hin, über den See und die morgenduftigen Wälder und Felsschroffen des jenseitigen Ufers – sie ist offenbar in Gedanken weit weg von alledem und auch weit von dem Zeitungsblatt, das ihre Hand noch immer mechanisch festhält. Nun legt sie das Blatt nieder, nimmt ein elfenbeingefaßtes Opernglas vom Tisch und richtet es auf das Dampfschiff, welches soeben am Eingange der Bucht erscheint und mit eiligen Schaufelrädern der nahen Landungsstelle zustrebt. Plötzlich zuckt sie heftig zusammen, wirft einen raschen Blick auf ihren Gatten, dessen Seele tief in die Schwierigkeiten der bosnischen Occupation versenkt ist, und führt das Glas wieder zu den Augen.
Ihr Gesicht erscheint noch um ein gutes Theil blässer geworden, als sie jetzt das Glas wieder hinlegt. Einen Augenblick noch – dann erhebt sie sich und sagt, indem sie leise mit dem Finger auf Nordstetter’s Zeitung tippt:
„Ich gehe jetzt hinauf, mich anzukleiden.“
„Au revoir,“ murmelt er, völlig von den österreichischen Calamitäten erfüllt, und sieht auch ferner nicht auf, bis das Rauschen des anlandenden Schiffes und die Signalglocke in nächster Nähe ertönen.
[496] Dann begiebt er sich gemächlich ein paar Schritte vorwärts und mustert ohne besondere Neugier den bunten Strom der Reisenden, welche von der Brücke her in den Garten eindringen. Plötzlich aber nehmen seine Züge einen überraschten und erstaunten Ausdruck an, als unter den vielen fremden Gesichtern ein wohlbekanntes auftaucht: scharf geschnittene Züge, ein blonder Vollbart und zwei rastlose blaue Augen, die sich eben mit einer raschen Frage an ein anderes dunkles Augenpaar wenden, welches aus dem allerliebsten, braunhaarigen Gesichtchen einer schlanken, jungen Frau freundlich emporsieht. Herr Nordstetter rückt hastig den Zwicker zurecht, um genau zu sehen, ob das kleine, in Stickereien halb verhüllte Wesen auf den Armen einer kräftigen Frauensperson zu dem Paare gehöre oder nicht.
Ja, ohne allen Zweifel. Die junge Mutter wendet sich, gleich nachdem der enge Durchgang passirt ist, als hätte sie es Jahre lang nicht gesehen, liebkosend nach dem Kindchen um, während ihr Gatte in die notwendigen Verhandlungen mit dem Oberkellner eintritt.
Herr Nordstetter geht wieder nach seinen Zeitungen zurück, nicht ohne vorher noch einen bezeichnenden Blick nach dem Fenster seiner Gattin emporzuwerfen. Die Tüllgardinen sind zugezogen.
„Schade,“ sagt er malitiös lächelnd zu sich selbst, „das sollte sie gesehen haben. Sie hätte doch wohl Augen gemacht.“
Größere zwar wohl schwerlich, als Herr Nordstetter selbst, wenn es ihm möglich gewesen wäre, einen Blick hinter diese geschlossenen Gardinen zu werfen. Da steht seine Frau und starrt unbeweglich durch den klaren Stoff auf die Gruppe im Garten hinunter. Rings um sie liegt der raffinirteste Luxus in Gestalt von gestickten und gefältelten, parfürmirten und banddurchzogenen Morgenkleidern, kostbaren Juchten-Etuis und silbernen Toilettegeräthschaften mit allen erdenklichen Essenzen von den Händen ihrer Zofe ausgebreitet, aber die Eigentümerin all dieser weichen duftenden Ueppigkeit hat keinen Blick dafür; die Hand hat sie auf’s Herz gepreßt, das nach langem Scheintode zu plötzlicher Qual erwacht, und ihre Lippen flüstern scheu und tonlos:
„Erich – er ist es. Er ist glücklich. Und ich und ich!?“
Sie sinkt auf den Stuhl zusammen und bedeckt ihr Angesicht mit beiden Händen. – –
Noch einige Stunden, und die unvermeidliche Erkennungsscene bei Tisch war überstanden. Wohl war Erich einen Moment zusammengezuckt, als er unter der offenen Thür des Speisesaales plötzlich den nie vergessenen Umriß einer schlanken, schwebenden Gestalt gewahrte, die mit keiner anderen zu verwechseln war. Doch faßte er sich rasch und sah ruhigen Blickes, wie sie mit der ihr eigenen aristokratischen Unbefangenheit, die ein Ignoriren aller Uebrigen schien, näher kam, so gleichgültig gegen die vielen neugierigen Augen, welche die Details ihrer kostbaren, blaßgelben Toilette musterten, wie gegen die in einer langen Schleppe hinter ihr rauschenden Wellen von Spitze und matter Seide. Sie hatte den Arm in den ihres Gemahls gelegt und wandte ihm, ruhig sprechend, das Gesicht zu, sodaß die Anwesenden nur den Anblick ihrer tadellosen Profillinie hatten.
Dann kam der unausbleibliche Moment. Die Ueberraschung nahm sich glaubhaft aus, und Gruß und Vorstellung wurden mit ausgezeichneter Höflichkeit gewechselt.
Dabei fiel ein kurzer Blick Erich’s auf Leontine, und sie hatte ihre ganze Selbstbeherrschung nöthig, um die schneidende Kälte dieser stahlblauen und stahlscharfen Augen mit Ueberlegenheit von sich abgleiten zu lassen.
Nun wußte sie es sicher: er war ihr für immer verloren, und die lebendige Ueberzeugung dieser Thatsache verursachte ihr ungeahnte Qualen. Der alte Zauber wirkte mächtig, wie nur je zuvor; wieder stand der kühne, jugendschöne Mann vor ihr, für ihr Empfinden die Verkörperung von Allem, was herrlich und begehrungswürdig ist, als der Siegreiche, der sich die Welt dienstbar macht und in Freiheit und Glück seine eigenen Wege schreitet; sie sah den Abstand von solchem Reichthume zu ihrer eigenen vergoldeten, armseligen Existenz, und ein Gefühl bitterer Reue preßte ihr das Herz zusammen.
Zu spät! Ihre Macht über ihn war erloschen, und an seinem Arme hing eine Fremde mit weichen Kinderzügen und unschuldigen Rehaugen – seine Frau!
Kühl und zurückhaltend fielen die üblichen Redensarten von ihren Lippen, und auch Ninette’s Gegengruß – denn keine Andere war es, die an Erich’s Seite schritt – kam aus schwerem Herzen; sie hatte die Zauberin wohl erkannt, die dermaleinstens ihren lieben Mann in so festen Banden gehalten, und sie zitterte im tiefsten Herzen vor der nächsten Stunde. Erich sah den Wolkenschatten über ihre reinen Züge gleiten und drückte ihren Arm noch einen Augenblick gegen seine Brust.
Dann setzte man sich zu Tisch, und wäre nicht der ahnungslose Nordstetter gewesen, der mit behaglicher Satisfaction den gegenwärtigen Stand der Dinge betrachtete und sich sehr liebenswürdig gegen die Frau seines einstigen Nebenbuhlers benahm, so würden es wohl die anderen Betheiligten zu schwer gefunden haben, die große gesellschaftliche Lüge ruhiger Unterhaltung bei erregtem Innern auch nur eine Stunde lang durchzuführen. Aber so konnte Erich nicht umhin, die teilnehmend-neugierigen Fragen des Banquiers zu beantworten und, wenn auch in kürzester Fassung, von seinem Lebensgange in den verfloßenen Jahren zu erzählen: er war berühmt geworden und glücklich. Glücklich? Leontine wagte noch daran zu zweifeln, und dieser Zweifel war ihr plötzlich etwas wie ein Lebensbedürfnis. Eine Frau kann niemals glauben, daß eine Andere so geliebt sei, als sie einstmals selbst. Leontine hielt den Zweifel daran mit allen Kräften fest. Sie wußte ja so gut, was es auf sich hat mit Schein und Sein und wie es innen aussehen kann, wenn außen gelächelt wird.
„Bleiben Sie einige Zeit hier?“ fragte Nordstetter jetzt von Neuem.
„Nein,“ erwiderte Erich, „wir sind blos Passanten; ich will meiner Frau die Schweiz zeigen, welche sie noch nicht kennt; dann halten wir uns noch etwas in Rom auf und gehen für den Winter nach Aegypten. Ich muß für ein großes Bild dort Studien machen und freue mich unbeschreiblich auf diesen completen Scenenwechsel. Was man in Europa südlichen Charakter nennt, ist doch höchst eintönig und civilisirt gegen die unglaubliche Buntheit jenes Lebens.“
„Und das Baby geht auch mit?“
„Versteht sich! Das ist ja die eigentliche Hauptperson der Familie,“ versetzte Erich heiter, „und für Damen und Kinder ist dort vorzüglich gesorgt.
„Nun, das ist ja sehr interessant,“ sagte Nordstetter mit einer gewissen Hochachtung. Er fühlte dunkel, daß es hienieden noch eine andere Art von großem Lebensgenuß geben möge, als Geld machen und Geld verzehren, und daß diese Art möglicher Weise sehr amüsant sei. Er würde, wenn es allein auf ihn angekommen wäre, sich gern diesem jungen Paare auf ein paar Tage angeschlossen haben, aber ein Blick auf die feindlichen Brauen seiner Gattin belehrte ihn, daß es Zeit zum Aufbruche sei.
Schon standen einzelne Gruppen von Herren rauchend auf der Terrasse draußen; die Kellner eilten mit Geschirr und Kaffeetassen im Saale hin und wieder, und einzelne Sonnenstrahlen fielen durch die Ritzen der gesenkten Jalousien und spielten mit hellen Streifen über das damastene Tafeltuch und die angebrochenen Fruchtpyramiden des Desserts; es schien äußerst behaglich in diesem braungetäfelten, halb familienhaften, halb hotelmäßigen Raume oder draußen unter dem linnenen Zeltdach, wo ein Stück wundervoller Welt vor den Blicken ausgebreitet lag und die herzerquickende Septemberluft voll Sonnenschein und Resededuft über die blühenden Beete strömte. Aber die vier Menschen am oberen Tafelende hatten es eilig, von einander zu scheiden, und die Abschiedsverbeugungen waren sehr ceremoniell.
„So, Liebchen,“ sagte Erich, noch ehe das Paar außer Hörweite war, „nun gehören wir uns wieder selbst; jetzt wollen wir einen Kahn nehmen und hinüber nach jener schattigen Bucht fahren; dort sehe ich schon die ganze Zeit einen Wiesenweg in den Wald hineinführen, den ich mir außerordentlich reizend vorstelle. Dort müssen wir heute noch wandern.“
Auf der Saalschwelle drehte Leontine den Kopf. Sie sah eben, wie Erich den Arm um sein junges Weib legte und sie fröhlich mit sich aus die Terrasse hinauszog.
„Was hast Du?“ fragte Nordstetter und wandte sich ebenfalls.
„Nichts,“ erwiderte sie, „ich dachte, mein Fächer liege dort, aber ich erinnere mich eben, ihn gar nicht mitgenommen zu haben.“
Das menschliche Leben besteht in Ausgleichungen, und wer nicht so glücklich ist, durch tägliche kleine Abschlagszahlungen die [497] Wage im Gleichgewicht zu halten, für den kommen in bestimmten Punkten schlimme Abrechnungstermine. Keine chemische Reaction tritt genauer und pünktlicher ein, als die Erkenntniß gewandelter Irrwege, und sie pflegt um so überwältigender zu sein, je länger man sich geflissentlich die Augen davor verschlossen hatte.
Eine solche Abrechnungsstunde mit sehr bitteren Erkenntnissen hatte hier an diesem eleganten, lachenden Vergnügungsorte auf die schöne Frau gewartet, welche spät am Abend, in einen dunklen Mantel eingehüllt, einsam unter den großen Ziersträuchern seitwärts von der Terrasse saß. Es war sehr finster in dieser Ecke des Gartens; sie rührte sich nicht und sah auch nicht hinüber zu dem erleuchteten Pavillon, wo ihr Gatte mit ein paar Andern phlegmatisch und gründlich seinen Robber Whist machte – sie blickte gedankenvoll vor sich hin, und es war ihr heute Abend noch viel banger zu Muthe, als Mittags bei Tisch.
Was vor ihr war, verschwand; ihre Gedanken
gingen rückwärts in die
Vergangenheit, und sie
sah ihre früheren Wege
ganz deutlich vor sich
liegen, und ganz deutlich
sagte sie sich zum ersten
Male, daß es falsche
Wege waren, die sie gewandelt.
O, jene Tage in Venedig, als sie noch frei war und ihr Schicksal in der eigenen Hand hielt – mit wie viel Jahren ihres Lebens hätte sie jene Zeiten zurückkaufen mögen!
Was war darauf gefolgt? Eine kurze Satisfaction bei der Rückkehr nach W… als die Braut des reichen Mannes – und dann?!
… Es waren schlimme Erinnerungen; die Stirn, welche diese Erinnerungen dachte, furchte sich tief, und der Athem ging gepreßt durch die blassen Lippen Leontinens. Erniedrigung, die schlimmste von allen … vergebliches Uebertäuben mit Glanz und Reichthum … tägliche und stündliche Heuchelei und dabei ein Gefühl im Innern, ein Gefühl der Oede und Leere, so riesengroß, daß jeder Lebensgenuß angesichts dieses Gefühls schon von ferne verdorrte und es sich ringsum wie eine Wüste ausdehnte, weit, trostlos unermeßlich!
… Wo waren die „Genüsse des Reichthums“ geblieben? Wo Freiheit, Kunst, Gesellschaft bedeutender Menschen?
Sie dürstete nach dem freien, glänzenden Leben, welches ihr das ungeheure Opfer ihrer Person hatte verschaffen sollen, und sah nun mit Entsetzen, daß es ihr nur Möbel, Kleider und eine Equipage verschafft hatte.
In dieser finsteren Abendstunde ging ihr plötzlich die Ahnung auf, daß es doch so etwas geben möge, wie moralische Naturgesetze, gegen welche man nicht ungestraft frevelt; sie mußte mit ihrer ganzen ferneren Existenz die Erkenntniß bezahlen, daß das Leben kein Rechenexempel ist und die Ehe ohne Liebe Abscheu und Gräuel.
Sie legte den Kopf in die stützende Hand und stöhnte tief und verzweiflungsvoll …
Wie lange sie so gesessen, wußte sie nicht, als nahende
Stimmen an ihr Ohr schlugen. Ein Frauenkleid rauschte zu dem
Männertritt. Leontine brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen,
wer hier noch im Garten lustwandelte und jetzt in die kleine Laube
zu ihrer Linken, von welcher sie nur der Jasminstrauch trennte,
eintrat. Krampfhaft umklammerte ihre Hand die Stuhllehne; aufstehen
konnte sie nicht, ohne gesehen zu werden. Sie wollte es
auch nicht; es lohte in ihrer Seele auf mit dämonischem Verlangen,
jetzt, gleich jetzt zu wissen, ob sie allein elend sei. Mit eigenen
Ohren wollte sie hören, wie die Beiden mit einander sprachen,
wenn sie unbeobachtet waren; sie kannte den Ton seiner Liebe,
und es wäre ihr Labsal gewesen, wie dem Verschmachtenden am
Kreuze ein Tropfen Wasser, jetzt gleichgültige Worte, zu seinem
Weibe gesprochen, aus
Erich’s Münde zu hören.
Es blieb einige Augenblicke ganz still.
Leontine bog vorsichtig einen Zweig zurück und sah durch die schmale Blätterlücke im dämmernden Zwielicht den Kopf der jungen Frau, der an des Mannes Schulter lehnte, während seine Hand liebkosend über ihre braunen wolligen Haare strich.
„Bist Du nun beruhigt, Liebchen?“ hörte sie ihn fragen.
„Ja, Du Schlimmer!“ sagte Ninette zärtlich und streifte mit den Lippen flüchtig seine Hand. „Ach, wenn Du wüßtest, was ich heute dort drinnen im Saal gelitten habe! Kein Mann weiß es, wie eine Frau sich um ihn grämen kann.“
„Besonders, wenn sie sich umsonst grämt,“ versetzte er heiter. „Es geschieht Dir eigentlich ganz Recht, warum glaubst Du nicht, daß Du mir das Liebste auf der Welt bist?“
„O Erich,“ sagte sie und schloß den geliebten Mann in ihre Arme, „ich könnte nicht mehr leben ohne Dich, und Niemand, Niemand auf Erden könnte Dich so lieben wie ich. Wo Du bist, ist mir wohl, und glücklicher bin ich nicht in unserem neuen schönen Hause in B., als in der verfallenen kleinen Loggia am Canal, wo wir mein selbstgekochtes Essen verzehrten, wenn Du aufhörtest am Titian zu malen, und uns zum Nachtisch küßten. Weißt Du noch?“
„Laß sehen!“ sagte er mit verlangender Zärtlichkeit und neigte seine Lippen zu den ihren. „Ist der Kuß wohl noch eben so süß wie damals?“ –
Die blasse Lauscherin hinter dem Fliederstrauch fühlte in diesem Augenblick einen Dolchstoß im Herzen. Nun wußte sie, was sie wissen wollte! Das war Glück. Dasselbe Glück, welches sie einstmals so sehnsüchtig geträumt und dann in ihren Armen gehalten und aus feiger Kleinheit verleugnet und weggeworfen hatte.
Sie bedeckte die trockenen heißen Augen mit der Hand.
„Erich,“ hörte sie die junge Frau nochmals mit ihrer weichen Betonung sagen, „wie ist es doch nur möglich, daß Dein Herz sich so gewendet? Damals, im Anfang, kanntest Du mich doch auch schon und achtetest gar nicht auf mich – warst Du denn ganz verzaubert?“
[498] „Ich war es, liebes Herz,“ antwortete er. „Schönheit und
Geist sind große Zaubermittel, und so lange sie mir wahr schien,
hätte ich tausend Leben für sie hingegeben. Als ich aber die ungeheure
Lüge in ihrem Wesen inne ward, als ich sehen mußte, daß
die Liebe, die mir Religion und Heiligthum war, ihr nur für
Zeitvertreib galt, da war es mit einem Male ganz kalt in
mir geworden, und heute – sonderbar – habe ich in ihrem
Gesichte all die deutlichen Züge gesehen, für die ich damals
blind war.“
„Nein, nein,“ unterbrach ihn Ninette, „sage nichts Schlimmes mehr über sie! Mir schien sie gar nicht glücklich zu sein. O, wenn sie wüßte, die Arme, was das Leben an Deiner Seite ist, Erich!“
„Denke nicht, daß sie Dir es beneiden würde!“ sagte er aufstehend, indem er ihr die krausen Härchen aus der Stirn strich. „Solche Seelen sind anders als die unsrigen; sie wissen nichts von unseren unsichtbaren Gütern und fühlen auch ihre eigene trostlose Armuth nicht. Ich dachte damals das Gegentheil, aber das war ein großer Irrthum. Nein, nein, mein süßes Weib, das Herz, das durch Liebe glücklich oder unglücklich wird, das hast Du und seit dieses Herz mein geworden, seitdem ist mein Leben voll Sonnenschein.“ Er umfaßte und küßte sie. „Aber nun komm’! Es wird kühl hier im Garten und Du darfst Dich nicht erkälten. Wir wollen auf dem Zimmer zu Abend speisen – ich wünsche keine Begegnung mehr wie heute Mittag. Und morgen früh um sieben Uhr reisen wir ab; bis morgen Abend um diese Zeit sind wir am Lago Maggiore.“
Sie schritten, sich umschlungen haltend, so dicht, daß die ausgestreckte Hand sie hätte berühren können, an der dunklen Gestalt hinter dem Gebüsch vorüber.
Aber die Hand wurde nicht ausgestreckt, und die Gestalt saß noch lange regungslos, bis die Lichter im Pavillon gelöscht wurden. Einen Augenblick war sie an die Terrassenbrüstung vorgetreten und hatte in das bleifarbige Wasser gestarrt. Aber schaudernd wandte sie sich wieder ab; diesen Weg zur Freiheit konnte sie nicht gehen.
Und dann?!
Die Dramen des wirklichen Lebens verlaufen anders, als die der Bühne. Es geht schweigsamer dabei zu, als bei jenen; in ihnen wird mehr gelitten, als gehandelt. Aber die verborgenen Wunden bluten nicht weniger heiß, als die offenkundigen Dolchstiche, und die Vergeltung bleibt auch nicht aus; nur kommt sie meistens schon lange vor dem letzten Act. …
Am nächsten Morgen ging die Sonne gerade so glänzend und hell über den Bergen empor, wie den Tag vorher. Ihre Strahlen fielen durch die Gardinen eines Schlafzimmers, wo zwei müde, überwachte Augen widerwillig den neuen Tag anbrechen sahen, und dieselben Strahlen umflutheten mit Licht und Heiterkeit ein junges, seliges Menschenpaar, das, am Vorderrand des Dampfers stehend, Hand in Hand, voll schweigender Andacht die Wunder dieser Morgenstunde betrachtete. Schäumende Furchen pflügte der Kiel in die smaragdenen Wasser; über den steil abfallenden schwarzgrünen Waldflanken der Berge stand noch blauer Duft, und kräftig rosenroth glänzten die Felshäupter im Morgenlicht.
Jetzt bog das Schiff südwärts, das wild-einsame Becken von Fluelen that sich auf, und in majestätischer Größe standen die Hochalpen da.
Erich streckte mit glänzenden Augen die Hand darnach aus: „Das ist unser Weg, mein Herz; dort führt die Straße über den Gotthard nach Italien, zu Kunst, Schönheit und Liebe.“
Sie ruft, ich weiß nicht welchem Thale,
Ich weiß nicht welchem Sonnenstrahle,
Sie ruft dem Lebenskeim
Zum Licht emporzudringen;
O sehnsuchtsvolles Singen,
Du rufst auch mir, du rufst mich heim!
Ja, heim zu schönen Jugendtagen,
Zu längstverscholl’nen süßen Klagen
Um holder Liebe Glück – –
Du singst noch – o sing’ immer
Im goldnen Abendschimmer
In jene schöne Welt zurück!
„Zu allen Zeiten wurden die Kometen den merkwürdigsten und räthselhaftesten Erscheinungen beigesellt, welche sich der menschlichen Betrachtung am Himmelsgewölbe darboten.“ So spricht sich Friedrich Zöllner[1], der berühmte Schöpfer der neuen elektrischen Kometentheorie, über diese interessanten Himmelskörper aus. „Theils,“ fährt er fort, „ihr plötzliches und scheinbar unvermitteltes Auftauchen aus den Tiefen des Weltraumes, theils ihr eigenartiges, von allen andern Himmelskörpern so wesentlich abweichendes Aussehen machte sie seit den frühesten Zeiten zum Gegenstande besonderen Nachdenkens. In der That, sie bilden für das unbewaffnete Auge die einzige Ausnahme von jener an allen übrigen Gestirnen beobachteten scheinbaren Ruhe und majestätischen Gleichförmigkeit der Bewegung. Nicht nur, daß sie selber ihren Ort unter den übrigen Gestirnen schnell verändern, sondern auch die wunderbar wechselnden Gestalten ihrer Schweife und deren Richtung mußten sie für jede unbefangene Betrachtung als Körper ganz verschiedener Art und Herkunft, im Vergleich zu den übrigen Körpern des Weltalls, erscheinen lassen.“
Und wahrlich ein seltsames Volk sind sie, diese „himmlischen Vagabonden“, wie sie regellos zerstreut, mannigfaltig an Gestalt und Größe, flüchtig in ihrem innersten Wesen, sich launenhaft bald in eine bedenkliche Nähe der Sonne wagen, bald trotzig in endlose Fernen hinausschweifen. Der Erforschung der Kometen hat die Wissenschaft in neuerer Zeit hohe Aufmerksamkeit zugewendet.
Erwiesen ist es nun durch dieselbe, daß wir in ihnen keine Weltkörper vor uns haben, die sich durch jene Stabilität auszeichnen, welche den Planeten eigen ist. Die Kometen neigen vielmehr zu Extremem. Sie bewegen sich nur kurze Zeit in der Nähe der Sonne, schweifen aber dann wieder viele Jahre, Jahrhunderte, Jahrtausende hindurch in Entfernungen umher, bis wohin die Strahlen des Tagesgestirns keine nennenswerthe Erleuchtung mehr tragen. Sorgfältige Beobachtungen über den Kern, den Nebel und den Schweif der Kometen haben neue und überraschende Einblicke in die Physik des Himmels eröffnet; allerdings war man früher rasch bereit, bei Erklärung jener räthselhaften Phänomene zu einer neuen Naturkraft oder zu künstlich im Laboratorium erzeugten Wirkungen seine Zuflucht zu nehmen. Aber weder bei Kepler, Newton, Olbers, Bessel noch bei John Herschel ist eine Annahme zu finden, welche sich auf Hypothesen über neue, bisher unbekannte Kräfte bezieht. Kepler und Newton waren vielmehr zuerst bestrebt, die räthselhaften Erscheinungen der Kometen auf allgemein bekannte und an der Erdoberfläche unter ganz gewöhnlichen Verhältnissen beobachtete Thatsachen zurückzuführen.
Kepler entdeckte in einsamer und mühevoller Gedankenarbeit Gesetze, die ein Verstandesbedürfniß der Menschheit befriedigten und deshalb seinen Namen unsterblich machten. Ihm, der den Weltenraum so voller Kometen bevölkert sieht, wie das Meer voller [499] Fische, erscheint der Entstehungsproceß eines Kometen als „eine Verdichtung der die Himmelsräume erfüllenden überall durchgängigen und ledigen Lufft“, ähnlich wie die Entstehung eines Flüssigkeitstropfens in einer gesättigten Dampfatmosphäre.
Nach den Arbeiten von Kepler (1607) und Newton (1680) verging mehr als ein Jahrhundert, ohne daß trotz zahlreicher und zum Theil sorgfältiger Monographien etwas Wesentliches zu Tage gefördert worden wäre, was der Wissenschaft die Lösung des Problems über die physische Beschaffenheit der Kometen hätte näher bringen können.
Erst im Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts traten zwei Männer hervor, deren Arbeiten in wahrhaft classischer und um übertroffener Weise das Fundament zur Kometentheorie der Jetztzeit legten: Olbers und Bessel.
„Ich weiß nicht,“ sagt Olbers, der Begründer der elektrischen Kometentheorie, „woher diese Repulsivkraft (Abstoßungskraft), oder bestimmter zu reden woher dieses Bestreben der Schweifmaterie, sich von der Sonne und dem Kometenkerne zu entfernen, entsteht, genug, daß die Beobachtung es deutlich zeigt. Enthalten kann man sich indessen schwerlich, dabei an etwas unseren elektrischen Anziehungen und Abstoßungen Analoges zu denken. Warum sollte auch diese mächtige Naturkraft, von der wir in unserer feuchten stets leitenden Atmosphäre schon so bedeutende Wirkungen sehen, nicht im großen Weltall nach einem weit über unsere kleinlichen Begriffe gehenden Maßstabe wirksam sein?
Mir scheint aus der Form des Kometenschweifes deutlich zu folgen, daß die von dem Kometen und seiner eigenthümlichen Atmosphäre entwickelten Dämpfe sowohl von diesem wie von der Sonne abgestoßen werden. Sie müssen sich also dort anhäufen, wo die Repulsivkraft des Kometen von der Repulsivkraft der Sonne überwogen zu werden anfängt.“
Und auf Olbers (1812) folgt Bessel (1836) mit seinem Ausspruche: „Ich glaube, daß das Ausströmen des Schweifes des Kometen ein rein elektrisches Phänomen ist: Körperchen auf dem Kometen und der Komet selbst werden durch den Uebergang von größerer zu geringerer Entfernung von der Sonne elektrisirt und dadurch abgestoßen. Wenn man doch das Licht des Schweifes prüfen könnte, um dadurch zu erfahren ob es elektrisch ist!“
John Herschel (1847) stellt die von Olbers und Bessel vermuthete Repulsion der Schweiftheilchen durch die elektrisch geladene Sonne gleichfalls als eine der natürlichsten Annahmen hin. Außerdem aber behandelt Herschel in sehr scharfsinniger Weise die Veränderungen der Dunsthüllen des Kopfes und erklärt dieselben aus der Annahme, daß die Hüllen Nebel und Dämpfe von tropfbarer Flüssigkeit seien.
Die Anschauungen Herschel’s bilden gleichsam den Uebergang zur Theorie Friedrich Zöllner’s über die Kometenphänomene, welche er zuerst in der am 5. Mai 1871 abgehaltenen Sitzung der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig vortrug; veröffentlicht hat er diese Theorie in Berichten jener Gesellschaft, sowie in seinem Buche über die „Natur der Kometen“ und vor Kurzem in Verbindung mit seinen neuesten Forschungen über diesen Gegenstand im zweiten Bande seiner „Wissenschaftlichen Abhandlungen“ (Leipzig, Staackmann 1878). Wer sich über den gedachten Stoff eingehender unterrichten will, mag auf das Studium der betreffenden Abschnitte der letzterwähnten Schrift verwiesen sein.
Zöllner betrachtet in Uebereinstimmung mit Olbers, Bessel und J. Herschel die Schweife und nebelartigen Hüllen der Kometen als an der Oberfläche der Kerne durch Verdampfung tropfbar flüssiger Massen erzeugte Dunst- und Nebelmassen. Er nimmt in Folge dieser Betrachtung an, daß die einzelnen Theile oder Elemente der Dünste wenigstens an der Quelle ihres Ursprungs, also in unmittelbarer Nähe ihrer Entwickelungsflüssigkeit bezüglich ihrer allgemeinen Eigenschaften mit denjenigen Elementen übereinstimmen, welche wir in den Dämpfen und Dünsten ähnlicher Flüssigkeiten an der Erdoberfläche beobachten. Die am allgemeinsten verbreiteten kosmischen Flüssigkeiten sind aber Wasser und flüchtige Kohlenwasserstoffe (z. B. Petroleum) im Innern von Weltkörpern, welche sich in einem ähnlichen Entwickelungsstadium wie unsere Erde befinden. Dem entsprechend, setzt Zöllner bei seiner Kometentheorie die Oberfläche des Kometenkernes, aus dem sich Dunsthülle und Schweif entwickeln, als ein Gemisch von Wasser und Kohlenwasserstoffen voraus. Das Vorhandensein der letzteren Stoffe wird durch die zuerst von dem Engländer Huggins entdeckte Uebereinstimmung der Kometenspectra mit den Spectren von Kohlenwasserstoffen im höchsten Grade wahrscheinlich gemacht.
Am Schlusse seiner umfangreichen und eingehenden Untersuchungen gelangt Zöllner zu dem Resultate: „daß es zur Erklärung der wesentlichsten Erscheinungen der Kometen nicht der Annahme einer neuer bisher unbekannten repulsiven (abstoßenden) Naturkraft bedarf, sondern daß es vollkommen genügt, der Sonnenoberfläche selbst quantitativ nur diejenigen elektrischen Eigenschaften beizulegen, welche die directe Beobachtung an der Erdoberfläche nachzuweisen im Stande ist.“
Wie bereits oben angedeutet, hat die Spectralanalyse auf dem Gebiete der Kometenforschung eine großartige Entdeckung geliefert, durch die wir zu der Ueberzeugung gelangt sind, daß das Licht der Kometenkerne identisch mit dem Lichte des elektrischen Funkens ist, der durch Benzindämpfe schlägt, wodurch das Vorhandensein von Kohlenstoff in der Masse des Kometen constatirt wurde. Eine wie subtile Feinheit die Materie des Kometen besitzt, ist leicht daraus zu erkennen, daß man sogar durch die mehr als 20,000 Meilen messende Dicke des Kometenschweifs die kleinsten Sterne ohne Lichtverlust durchschimmern sieht, wobei jedoch noch keinerlei Ablenkung des Lichtstrahls beobachtet wird.
Die befolgende Figur (vergl. Seite 500), welche wir dem erwähnten Werke Zöllner’s „Ueber die Natur der Kometen“ entnehmen, stellt nach einer Zeichnung des verstorbenen Astronomen Pape den Schweif des glänzenden Donati’schen Kometen vom Jahre 1858 dar, durch welchen hindurch man mit ungeschwächtem Glanze die Sterne erblickte. Bei diesem Kometen erschien der Schweif stets gekrümmt und war mit der convexen Seite nach derjenigen Richtung hingewendet, nach welcher sich der Komet bewegte. Die voranschreitende Seite des Schweifes war außerdem viel schärfer begrenzt, als die entgegengesetzte, concave, sodaß es schien, als ob der Kometenschweif äußere Widerstände zu überwinden hätte und seine Masse durch dieselben zurückgedrängt worden wäre.
Die Kometen unterscheiden sich nur quantitativ, nicht qualitativ von den Stoffen der Erde, eine Ansicht, welche bereits Newton vor 200 Jahren in seinen unsterblichen „Principien der Naturwissenschaft“ mit folgenden Worten ausgesprochen hat: „Ich muß mich sehr irren, wenn die Kometen nicht Körper von derselben Art wie die Planeten sind. Die Köpfe der Kometen sind von sehr großen Atmosphären umgeben, und diese müssen unten dichter sein. Die Aenderungen, welche man an den Kometen wahrnimmst zeigen sich in den Wolken dieser Atmosphären und nicht an den Körpern selbst. Ebenso würde ohne Zweifel die von den Planeten aus gesehene Erde nur durch das Licht der sie umgebenden und verbergenden Wolken glänzen.“
Ueber den gemeinsamen Ursprung der Kometen und Sternschnuppenschwärme und die hierdurch bedingte Uebereinstimmung ihrer Bahnen, welche Schiaparelli 1866 entdeckte, spricht sich Zöllner in einer Abhandlung vom 12. December 1872 wie folgt aus: „Würde unsere Erde jemals durch einen ähnlicher Proceß in einzelne Stücke zertrümmert, durch welchen sich Olbers die kleinen Planeten entstanden dachte, so müßten sich neben den zahlreichen festen Fragmenten auch Theile der gegenwärtigen Meere und der im Inneren gebildeten flüssigen Kohlenwasserstoffverbindungen zu einzelnen Flüssigkeitskugeln gruppiren, die den Bewohnern anderer Welten den Anblick kometenartiger mit wechselnder Dunsthülle umgebener Körper darböten.“
Daß die Verflüchtigung sich an dem der Sonne gerade zugewandten Theile der flüssigen Oberfläche am frühesten zeigt, auch daß sie sich durch größere Annäherung an die Sonne und durch längere Dauer ihrer Wirkung vermehrt und sich über einen immer größer werdenden Theil der Oberfläche ausbreitet, ist einleuchtend. Die Schweiftheilchen in unmittelbarer Nähe des Kometenkerns, wo sich die Dämpfe aus der durch die Sonne erwärmten Flüssigkeitsoberfläche entwickeln, entsprechen den Wasserbläschen sich condensirender Dämpfe an der Erdoberfläche; wenn nun diese Theilchen sich vom Kern entfernen und damit in Räume von stets geringerer Dampfspannung gelangen, verkleinern sie sich nothwendig immer mehr und mehr.
„Es sind nicht immer dieselben Theilchen,“ sagt Olbers, „welche wir in dem Kometenschweife schimmern sehen. Nein! unaufhörlich [500] entwickeln sich neue Stoffe von seinem Körper und seiner eigenthümlichen Atmosphäre, die mit erstaunenswürdiger Geschwindigkeit von den Kometen abwärts strömen, um sich endlich in den weiten Himmelsraum zu verlieren.“
Die Dicke der Kometenschweife kann nach Tausenden von Meilen gemessen werden, wie dünn dagegen die Schweifmaterie selbst ist, zeigt sich an ihrer Durchsichtigkeit.
Die Schweifelemente selbst bestehen nach der Zöllner’schen Theorie aus schwach elektrisirten Dampftheilchen und lassen sich, wie bemerkt, mit den einzelnen Nebelbläschen einer zarten Wolke in luftverdünnten Räumen wie in sehr hoch gelegenen Theilen unserer Atmosphäre vergleichen.
Auch die nebebelartigen Hüllen
am Kopfe des Kometen
entstehen durch den
Verdampfungsproceß an
der Oberfläche des flüssigen
Kerns. Das Licht der
Kometenschweife besteht
theils aus reflectirtem Sonnenlichte,
theils aus elektrischem
Lichte, welches alle
elektrische Ausgleichungprocesse
begleitet.
Die ungeheuren Geschwindigkeiten, mit denen die Kometenschweife von dem Kerne gleichsam hervorschießen und sich in wenigen Tagen über Strecken von vielen Millionen von Meilen ausbreiten, ist als eine wirklich mechanische Bewegung der elektrisirten Dampftheilchen aufzufassen, die sich unter dem Einflusse der elektrischen Abstoßung der Sonne mit beschleunigter Geschwindigkeit von derselben entfernen.
Mit der Entfernung von der Sonne nehmen die Schweife rasch ab, und die Kometen schrumpfen nach und nach zu einer bloßen Nebelmasse zusammen, die sich dann auch den stärksten Ferngläsern entzieht. Rasch verschwunden, wie erschienen, läßt der flammende Stern nur ein Bild in der Erinnerung zurück.
Betrachtet man die Geschichte der menschlichen Ideenentwickelung über die Natur und Bedeutung der Kometen, so offenbart sich in ihr der übereinstimmende Charakterzug aller Fortschritte der Erkenntniß im Gebiete der Natur. In unentwickeltem Zustande der Völker waren sie, wie Blitz und Donner, der Gegenstand staunender Bewunderung, gemischt mit sclavischer Furcht vor den Launen einer zürnenden Gottheit. Heute sind sie Erscheinungen, welche denselben Gesetzen unterworfen und aus denselben Stoffen gebildet sind, wie die Körper unserer täglichen Umgebung.
Die Kraft, welche den Fall des Apfels bewirkt, wurde für Newton der Schlüssel zur Erklärung aller himmlischen Bewegungen; das Spectroskop lehrte uns in unermeßlich weit entfernten Sternen dieselben Stoffe kennen, aus welchen unsere Erde und unser eigner Leib besteht. So zieht der Genius der fortschreitenden Menschheit durch geläuterte Erkenntniß der Natur den Himmel zur Erde herab. Der sklavischen Furcht folgt die befreiende Herrschaft himmlischer Gesetze und die trostreiche Ueberzeugung von der Einheit und Harmonie des gesammten Universums. Derjenige Theil der Astronomie aber, welcher sich in unseren Tagen mit unerwarteten Erfolgen der Fortsetzung dieser menschlichen Culturarbeit besonders in Deutschland unterzogen, ist die Astrophysik. Ueber das Verhältniß dieses neuen Theiles der Astronomie zu dem bisherigen Gebiete astronomischer Forschung spricht sich Zöllner in seinen vor sechszehn Jahren erschienenen „Photometrischen Untersuchungen, mit besonderer Rücksicht auf die physische Beschaffenheit der Himmelskörper“ wörtlich wie folgt aus:
„Sowohl die heutige Entwickelungsphase der Astronomie, als auch das täglich sich steigernde Interesse für die Anwendung rein physikalischer Methoden auf astronomische Objecte, scheinen anzudeuten, daß bereits gegenwärtig alle Elemente zur Bildung jenes neuen Theiles der Astronomie vorhanden sind. Derselbe dürfte vielleicht nicht unpassend mit dem Namen ‚Astrophysik‘ belegt werden, zum Unterschiede von dem bisher in Deutschland als ‚physische Astronomie‘ bezeichneten Theile. War es die Aufgabe der letzteren, unter Voraussetzung der Allgemeinheit einer Eigenschaft der Materie (der Schwerkraft) alle Ortsveränderungen der Gestirne zu erklären, so wird es die Aufgabe der Astrophysik sein, unter Voraussetzung der Allgemeinheit mehrerer Eigenschaften der Materie alle übrigen Unterschiede und Veränderungen der Himmelskörper zu erklären. Mit Rücksicht auf die Natur der hierbei anzuwendenden Methoden läßt sich die Astrophysik auch als eine Vereinigung der Physik und Chemie mit der Astronomie betrachten, und sie erscheint von diesem Gesichtspunkte aus als das nothwendige Resultat einer allgemeinen Entwickelung, welche beim stetigen Fortschritt der Wissenschaften bereits auch auf anderen Gebieten ähnliche Verschmelzungen ursprünglich getrennter Disciplinen zu einer höheren und allgemeineren Einheit herbeigeführt hat.“
[501]
Der gegenwärtig mit freiem Auge sichtbare Komet.
Zu den interessantesten Gebilden des Weltenraumes gehören die Kometen. Während der Verfolg ihres scheinbaren Laufes am Himmel uns wichtige Aufschlüsse giebt über die Gesetze, welche das Weltall beseelen, offenbart die Betrachtung ihres wechselnden Anblickes manches Räthsel über das Leben und Pulsiren in demselben. Der Besuch eines solchen Gastes in unserem Sonnensystem erscheint daher dem Astronomen hoch willkommen der Geheimnisse wegen, die dieser zu enthüllen verspricht. Und so richten sich plötzlich Hunderte von Fernröhren nach einer Stelle des Firmamentes, um über diesen schnellen Wanderer während der kurzen Zeit seiner Sichtbarkeit möglichst viel zu erfahren.
Naturgemäß zerfällt die Beobachtung eines Kometen auf Sternwarten in zwei Arten, in die fortlaufende genaue Fixirung seines Ortes unter den Sternen für bestimmte Zeitmomente und in das Studium seines Wesens, sei es durch Analyse des Lichtes nach der wunderbar feinen, von Kirchhoff begründeten Methode, sei es durch Zeichnen oder Photographiren dieser Objecte in Verbindung mit allen Wahrnehmungen, betreffend die Veränderlichkeit derselben.
Auch auf der Leipziger Sternwarte ist der jetzt erschienene Komet so oft, als es die Witterung gestattete, gezeichnet worden. Das benutzte Fernrohr ist das große Aequatoreal dieses Instituts von 3,9 Meter Focallänge mit einer Objectivöffnung von 215 Millimeter (8 Zoll). Obwohl bei demselben die Vergrößerung bis zur siebenhundertundzwanzigfachen gesteigert werden kann, wurde doch die schwächste, die zweiundsiebenzigfache, gewählt, um nicht durch zu starke Ausbreitung des matten Kometenlichtes ein zu blaß nüancirtes Bild zu erhalten. Beide hier gegebene Abbildungen stellen den Kopf des Kometen nach oben, den Schweifansatz nach unten dar, also umgekehrt zur Wirklichkeit, wie dies allgemein durch astronomische Fernröhre, von welchen große Lichtstärke verlangt wird, geschieht. Sie sind um Mitternacht aufgenommen, damit die Dunkelheit des Himmelsgrundes das Erkennen von Details im Kopfe unterstütze. Die erste Zeichnung gehört der Nacht vom 25. zum 26. Juni, die andere der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli an.
Bild I zeigt einen deutlichen, fast kreisrunden und gut begrenzten Kern, aus welchem drei eigenthümliche Lichtstrahlen nach unten (Nord), rechts (West) und oben (Süd) treten. Der lichte Bogen über dem Kerne, welcher in den Schweif übergeht, ist zur Sonne gerichtet. Imteressant erscheint dabei, daß derselbe nicht symmetrisch um den Kern liegt, sondern gleichsam nach rechts verschoben über demselben lagert und nach dieser Seite hin eine Zweitheilung aufweist. Diese Lichthaube ist im Sinne von Zöllner’s Hypothese (vergl. S. 498 dieser Nummer) über die Natur der Kometen als das Product einer vom Kerne ausgegangenen Dampfstrahlung zu betrachten, welche, zuerst nach der Sonne, der erregenden Wärmequelle, gerichtet, alsbald durch elektrische Abstoßung in der Richtung von der Sonne weg hinter den Kern getrieben wird und derart den Schweif bildet.
Sieht man eine vom Kerne entfernter abstehende Lichthülle als das Ergebniß einer in Zeit weiter zurückliegenden Ausströmung an, so würde aus dieser Zeichnung folgen, daß jene Ausströmung aus dem Kerne nicht in der Richtung der Achse des Kometen, sondern nach rechts hin stattgefunden habe. Den erwähnten Lichtbogen umhüllt noch, wie man sieht, ein feiner, in den Himmelsgrund verlaufender Dunst. Die deutlich erkennbare dunklere Partie in der Mitte des Schweifes, welche nahe unter dem Kerne ansetzt, ist so zu erklären, daß wir im Schweife einen hohlen Kegel schwach leuchtender Materie vor uns haben, der an den Rändern heller als in der Mitte erscheinen muß.
Während das Bild I einen vollzogenen Verdampfungsproceß und den Kern in zeitweiliger Ruhe zeigt, ist Bild II besonders geeignet, die Dampfstrahlung aus dem Kerne selbst in Form eines steilen, sich nach oben erweiternden Büschels oder Fächers mit eclatanter Abbiegung nach links vor Augen zu führen. Ueber diesem lagert ebenfalls eine Lichtwolke, welche einer früheren Ausströmung aus dem Kerne angehört, während sich weiter hinaus wieder feiner Dunst verbreitet. Diesmal war der Kern auffällig verlängert in der Richtung des Büschels und zeigte nach unten einen feinen, sich ansetzenden Lichtstrahl, ähnlich den dreien im ersten Bilde.
Vergleicht man eine fortlaufende Reihe von Zeichnungen des Kopfes dieses Kometen, so nimmt man deutlich die Unbeständigkeit der Lage des Ausströmungskegels wahr. Während z. B. dessen Achse am 27. Juni und 5. Juli völlig in die Schweifachse fiel, hatte diese am 4. Juli eine Neigung von nahe 30 Graden nach rechts gegen letztere. Auch diese pendelartige [502] zuerst von Bessel entdeckte Schwingung des Ausströmungkegels findet befriedigende Erklärung durch die Zöllner’sche Hypothese.
Widmen wir dem gegenwärtigen Kometen noch einige allgemeine Betrachtungen. Die erste Nachricht in Deutschland über einen in der südlichen Hemisphäre von Gould, dem Director der Sternwarte in Cordova (in der Argentinischen Republik), entdeckten Kometen erfolgte durch ein Telegramm von Gould selbst an die Redaction der „Astronomischen Nachrichten“ in Kiel und datirt aus Buenos-Ayres vom 1. Juni dieses Jahres. Der Komet wird darin als der Komet von 1807 bezeichnet, was darauf schließen ließ, daß Gould aus eigenen Positionsbestimmungen dieses Kometen bereits eine Bahn berechnet und die Aehnlichkeit ihrer Elemente mit jenen der Bahn des Kometen von 1807 constatirt habe. Da der Komet mit bedeutender Geschwindigkeit in nördlichere Breiten eilte und auch dem freien Auge sichtbar zu werden versprach, erwarteten die Sternwarten Europas lebhaft dessen Ankunft. In Leipzig konnte er wegen ungünstiger Witterungsverhältnisse erst in der Nacht vom 25. zum 26. Juni wahrgenommen werden, während ihn Kiel schon am 22. Juni beobachtete. Im Kopfe des Kometen war jetzt ein deutlicher sternartiger Kern zu erkennen, dessen Helligkeit jene des Polarsterns noch etwas übertraf. Der Schweif, welcher einfach erschien, konnte um Mitternacht bis auf 20 Grad Länge mit Sicherheit geschätzt werden. Jener Komet von 1807 dagegen wird geschildert als einer der schönsten und prachtvollsten Kometen, der an Glanz Sterne zweiter Größe überbot, mit hell leuchtendem, gut begrenztem Kerne und einem Doppelschweife.
Da das Aussehen der Kometen sehr variabel sein kann, indem dieselben großen physikalischen Veränderungen unterworfen sind, wird natürlich nicht dieses, sondern nur die Rechnung über die Identität der Bahnen beider Kometen zu entscheiden haben. Und diese, mehrfach unabhängig geführt, bestätigt in der That die nahe Gleichheit der beiderseitigen Bahnelemente. Doch fällt hier ein Umstand zu Ungunsten der Identität dieser Weltkörper bedeutend in die Wagschale. Der Komet von 1807 soll nämlich nach der sehr scharfen Rechnung des berühmten Königsberger Astronomen Bessel erst um das Jahr 3350 von seiner weiten Reise um die Sonne zu uns zurückkehren, und wir stehen vor dem Räthsel, wodurch diese Umlaufszeit von 1543 Jahren in eine von 73 oder 74 Jahren verwandelt worden wäre? – Als Bessel die sämmtlichen Beobachtungen jener Zeit von Ende September 1807 bis Ende März 1808 seiner Bahnbestimmung zu Grunde legte, erkannte er unzweifelhaft, daß jener Komet in einer geschlossenen Linie einhergehe – in einer sehr gestreckten Ellipse mit dem Längsdurchmesser von 286 Entfernungen der Sonne von der Erde – und fand die Umlaufszeit von 1713 Jahren mit einer Unsicherheit von etwa einem Jahrhundert, was der der Ungenauigkeit von Kometenbeobachtungen überhaupt und der Nothwendigkeit, aus einem sehr kleinen beobachteten Stücke der Bahn auf eine ungeheuer große zu schließen, sehr wohl erklärlich ist. Er zeigte aber, daß diese Bahn auf dem Wege des Kometen aus unserem Planetensysteme hinaus noch modificirt würde, und ermittelte überschlagsweise die Störungen, welche die großen Planeten Jupiter, Saturn und Uranus auf ihn noch üben könnten. Es ergab sich, daß diese die Umlaufszeit um 170 Jahre verkürzten, weshalb Bessel schließlich dieselbe aus 1543 Jahre festsetzte. Damals war aber der Planet Neptun noch nicht entdeckt, sodaß dessen Störungen nicht in Rechnung gezogen werden konnten. Wesentlich dieser Planet wird also demnächst als Störenfried in’s Auge zu fassen und vor Abschluß der betreffenden Untersuchung kein definitives Urtheil über Identität oder Nichtidentität zu fällen sein.
Schließlich sei noch bemerkt, daß der gegenwärtige Komet am 16. Juni Abends 8 Uhr 10 Minuten mittlerer Berliner Zeit der Sonne am nächsten stand, wobei die Entfernung beider Himmelskörper 14,7 Millionen geographischer Meilen betrug. In diesem Punkte seiner Bahn eilte er mit der Geschwindigkeit von 6,6 geographischen Meilen in der Secunde an der Sonne vorüber, während die Erde in gleicher Zeit nur 4,0 geographische Meilen zurücklegt. Hier also fand die lebhafteste Einwirkung der Sonne auf den Kometen und dessen größte Schweifentwickelung statt.
Verfolgen wir die weiteren Bahnverhältnisse des Kometen bis Ende Juli, so ergiebt eine einfache Rechnung folgende Daten:
Ende Juni | Mitte Juli | Ende Juli | |
Um Mitternacht des: | 29. bis 30. | 14. bis 15. | 29. bis 30. |
Entfernung des Kometen von der Sonne in Mill. g. M. | 15,6 | 18,4 | 22,2 |
Entfernung des Kometen von der Erde in Mill. g. M. | 7,8 | 13,8 | 19,6 |
Geschwindigkeit des Kometen in seiner Bahn um die Sonne in g. M. | 6,4 | 5,9 | 5,4 |
Wir sehen daher, daß der Komet sich nunmehr schnell von der Sonne und Erde entfernt, weshalb er schon in kurzer Zeit dem freien Auge entschwunden sein wird. Hoffentlich ist er aber dann noch länger mit dem Fernrohre zu verfolgen, um eine möglichst genaue Bahnbestimmung desselben zu erhalten.
Karl Freiherr vom Stein und August Neidhardt Graf von Gneisenau. (Ein Gedenkblatt.) Ein halbes Jahrhundert vollendet sich in den gegenwärtigen Sommertagen seit dem Hinscheiden der beiden eisernen Charaktere, deren Namen für immer in den vordersten Reihen jener heldischen Männer stehen, die in drangsalvoller und verzweifelter Zeit unser Volk aus der Nacht des Unglücks und der Knechtschaft zur lichten Höhe nationaler Wiedergeburt emporrangen; wenn es wahr ist, daß eine Nation, die ihre großen Todten ehrt, sich selbst erhöht, so erscheint schon die Berechtigung oder besser die Verpflichtung zu nachstehender kurzer Rückschau als gegeben.
Lassen wir dem Freiherrn vom Stein den Vortritt!
Ueber Stein’s frühere segensreiche Thätigkeit in der preußischen Verwaltung mag hier füglich hinweggegangen werden. Der Schwerpunkt seines patriotischen Wirkens fällt zusammen mit Dentschlands Fall und Erhebung zu Beginn unseres Jahrhunderts. Als nach der Katastrophe von Jena nicht blos die Schwachen und Kleinmüthigen vor der Gewalt sich beugten, sondern auch viele der Bessern in stummer Resignation an der Zukunft Deutschlands und Europas verzweifelten, da war es der Freiherr vom Stein, der die Hoffnung auf des Vaterlandes Zukunft nicht verloren gab, sondern der inmitten trostloser Bedrängniß mit aller Zuversicht des Glaubens und Wollens den großen Gedanken festhielt: Preußen so umzugestalten und zu erneuern, daß es der fruchtbare Kern deutscher Wiedergeburt und Unabhängigkeit zu werden vermöge. Wie er selbst sagte, galt es ihm, den sittlichen, religiösen und vaterländischen Geist in der Nation zu heben, ihr nach furchtbaren Schicksalsschlägen wieder Muth, Selbstvertrauen, Bereitwilligkeit zu jedem Opfer für die Unabhängigkeit und für die Nationalehre einzuflößen, und, sobald die günstige Gelegenheit gekommen, den Entscheidungskampf für Beides zu beginnen. In diesem Sinne ging er mit Scharnhorst an die Umgestaltung des Staates.
Alle seine Vorarbeiten, der neugeschaffene freie Bauern- und Bürgerstand, die reformirte Verwaltung, das umgestaltete Heer – sie alle sollten dem einen großen Zwecke dienen: der Erhebung Preußens gegen den fremden Unterdrücker, einer Erhebung, die das Signal zum Kampfe werden sollte für ganz Deutschland. Schon ein Jahr nach dem Tilsiter Frieden, der Preußens Unterwerfung und Verstümmelung sanctionirte, stand Alles bereit, den Entscheidungskampf um die verlorene Freiheit auf’s Neue zu beginnen. Somit war die Aussaat vorhanden, aber noch kam, ehe die Früchte zu reifen vermochten, eine schwere, oft hoffnungslose Zeit der Prüfungen. Von den inneren Gegnern, von den äußeren Feinden bedrängt, mußte Stein die Fortsetzung seines großen Werkes unterbrechen und gegen Ende des Jahres 1808 seinen Rücktritt aus der Verwaltung nehmen. Wenige Wochen später erließ Napoleon das berüchtigte Decret, welches Stein für einen Feind Frankreichs erklärte, ihn ächtete und seine Güter mit Beschlag belegte. Wohl war mit diesem Acte Niemand mehr geehrt, als Stein selbst, wie denn auch Gneisenau ihm damals schrieb: „Alle edlen Herzen sind durch Ihre Proscription nur noch fester an Sie geschlossen,“ allein zunächst war die Macht des Unterdrückers groß genug, der Achterklärung allen Nachdruck zu geben.
Stein wurde arm und heimathslos; kaum daß ihm noch in Oesterreich eine sichere Zufluchtsstätte ward gegen die Verfolgung Bonaparte’scher Rache. Doch was bedeutete ihm das persönliche Leid im Vergleiche mit dem öffentlichen! Die Lage der Nation schien noch trostloser, als seine eigene. Die Hoffnungen auf eine Erhebung waren durch den abermaligen unglücklichen Krieg Oesterreichs vom Jahre 1809 vereitelt, und die Macht des fremden Despoten erschien fester begründet, als je zuvor. So kam das Jahr 1812 und mit ihm Napoleons Zug nach Rußland. Kaiser Alexander fühlte die Größe des Kampfes und den Mangel fähiger entschlossener Männer und berief Stein an seine Seite. Dieser folgte dem Rufe ohne Zögern. Während Napoleon seine halbe Million Soldaten an den Niemen führte, arbeitete Stein für die künftige deutsche Erhebung; als der französische Imperator in Moskau eingezogen war, schrieb er Denkschriften über die künftige Verfassung Deutschlands; denn ihn täuschte nicht der äußere Schein der französischen Siege, und all seinem kühnen Muthe festigte sich Alexander’s weiche Seele zu dem Entschlusse, auszuharren [503] bis zum Ende. Daß nicht am Niemen, sondern an der Seine der Krieg endige, war schon in Petersburg Stein’s rastloses Streben.
Er zog die Russen herüber zum großen Weltkampfe; er feuerte die Briten an, den nie wiederkehrenden Augenblick rüstig auszunützen; er wirkte nach Deutschland herüber, daß es sich sammele und ordne zum Kampfe für seine Unabhängigkeit; von den denkwürdigen Tagen von Königsberg, Breslau, Kalisch bis Leipzig und Frankfurt ist nichts Großes und Denkwürdiges geschehen, womit sein Name nicht unlösbar verflochten wäre. Hatte Stein in rastloser, geduldiger Arbeit einst die Vorbereitungen zur Erhebung geleitet, so war er nun, da die Stunden des Sieges gekommen, mit gleicher Energie bemüht, die Schwäche und Lauheit in der Ausnutzung der Erfolge zu bekämpfen.
Als bei Leipzig das Gebäude des französischen Imperators zertrümmert lag, war er der Ersten einer, die entschlossen darauf drangen, den Sieg bis zur letzten äußersten Entscheidung zu verfolgen. Von der Newa bis zum Niemen, vom Niemen bis zum Rhein, vom Rhein bis zur Seine hatte er die große Wendung der Dinge führen helfen, und als er endlich siegreich mit den verbündeten Monarchen in die französische Hauptstadt eingezogen war, da war wiederum er der Erste, der zweien Forderungen für Deutschland – Forderungen, die leider erst zwei Menschenalter später sich erfüllen sollten – energischen Ausdruck verlieh: denen nach einer starken Bundesverfassung und nach dem Wiedererwerb des Elsaß mit Straßburg. „Europa ist daran gelegen,“ schrieb er an den Czaren Alexander, „daß Deutschland einer staatlichen und bürgerlichen Freiheit genieße, daß der Souveränetät der Fürsten Grenzen gezogen werden, daß die schreienden Mißbräuche der Gewalt ein Ende nehmen und daß das Herz unseres Welttheils aufhöre, ein weiter Sammelplatz von Unterdrückern und Unterdrückten zu sein.“ Was dazumal, in den Friedensschlüssen von 1814 und 1815, sowie auf dem Wiener Congreß für Deutschland erreicht war, es war zum weitaus größten Theile des Freiherrn vom Stein unvergeßliches Verdienst.
Mit dem Sturz seines Todfeindes, des Kaisers Napoleon, endet auch Stein’s großes öffentliches Leben. In freigewählter Zurückgezogenheit lebte er fortan in kleinerem Kreise, nicht ohne schmerzlich zu empfinden, wie so manche der ihm theuersten Hoffnungen unerfüllt geblieben, aber doch voll Zuversicht in des Vaterlandes Zukunft und voll reger, warmer Theilnahme an allen seinen Angelegenheiten. Am 29. Juli 1831 beschloß der fast Vierundsiebenzigjährige sein gesegnetes Dasein; zwei imposante Denkmale von Erz – das eine in der Nähe der heimathlichen Burg zu Nassau an der Lahn, das andere im Mittelpunkte der Hauptstadt des von ihm so heiß erstrebten, aber erst vierzig Jahre nach seinem Tode zur Wahrheit gewordenen Deutschen Reiches – sichern auch äußerlich sein Andenken im Herzen unseres Volkes. –
Gleich dem Freiherrn vom Stein tritt auch der um drei Jahre jüngere Neidhardt von Gneisenau erst in Folge der unheilvollen Octobertage von 1806 in den Vordergrund der Ereignisse. Gegenüber der Schande, mit welcher die meisten preußischen Festungen dem siegenden Soldatenkaiser übergeben wurden, trat die Vertheidigung Kolbergs durch Schill und Nettelbeck wie ein glänzender Stern des Patriotismus hervor. Aber Kolbergs Commandant, der alte pedantische General Loucadon, gegen dessen Willen die Festung von den Bürgern und den Schill’schen Freischaaren vertheidigt wurde, war kein Mann für diesen Posten. Die Patrioten um den König sorgten dafür, daß der richtige Mann dorthin gesandt wurde: es war Gneisenau, damals Major und bald darauf Oberst, welcher im Frühjahr von 1807 als Commandant in Kolberg eintraf und die schwache Festung gegen ein schweres Bombardement und einen überlegenen Feind mit einer Umsicht und Energie vertheidigte, die seinen Namen plötzlich weit berühmt machten. Er hielt Kolberg bis zum Tilsiter Frieden, womit dieser Platz für den preußischen Staat gerettet war.
Durch diese Heldenthat aber gehörte Gneisenau fortan zu den wenigen Officieren, zu denen das Volk in jener Zeit der schweren Noth mit Vertrauen aufblickte und die vom Könige mit der Mission, für Preußen ein neues Heer nach neuem System zu schaffen, betraut wurden. Bereits im Juli 1807 trat die Reorganisationscommission zusammen; ihr Vorsitzender war Scharnhorst, der Gneisenau sofort mit hineinzog und diese unersetzliche Kraft am meisten zu würdigen wußte. Jene Männer waren es, welche damals Preußens neues Militärsystem auf volksthümlicher Grundlage und in demokratischem Geiste aufbauten, und wie es sich bewährte, das zeigte zunächst sechs Jahre später der große Befreiungskampf. Gneisenau war einer der eifrigsten Vertreter jener Reformen, die er schon vor der Katastrophe von Jena für nothwendig gehalten hatte; er vor Allen arbeitete mit Scharnhorst die Organisation der Landwehr aus; er vor Allen war auch an jener patriotischen Verschwörung betheiligt, die schon 1808 eine Erhebung des Volkes vorbereitete und alle Kräfte aufbot, den König aus Napoleon’s Bann zu befreien. Umsonst: der König schloß voller Besorgniß vor dem mit Rußland verbündeten Frankreich jenen beklagenswerten Tractat mit Napoleon, der Preußen so ziemlich zur Stellung eines Vasallenstaates herabdrückte. Mit diesem Ereigniß verloren die Patrioten Hoffnung und Muth, und als sodann 1809 auch Oesterreichs Waffen abermals unterlegen waren, da wurden jene Braven, einer nach dem andern, von der französisch gesinnten Hofpartei und von den Napoleonischen Spähern aus der Umgebung des Königs verdrängt. Scharnhorst allem hielt Stand, aber Stein mußte nach Oesterreich fliehen, und Gneisenau, an des Vaterlandes Befreiung verzweifelnd, ging nach England.
Auch jenseit des Canals arbeitete dieser edle Geist unablässig an Preußens und Deutschlands Wiederaufrichtung. Durch Briefe blieb er mit den Patrioten in Verbindung; der König vertraute ihm und betrachtete ihn als seinen geheimen politischen Agenten in London. So kam das verhängnißvolle Jahr 1812, und je mehr sich durch die Vorgänge in Rußland die Hoffnungen wieder belebten, desto eifriger betrieb Gneisenau ein Bündniß mit England für den Fall, daß Deutschland mit Preußen sich gegen den Unterdrücker erhebe. Und als nun endlich die große Stunde schlug, als York der Erste war, der das französische Joch abschüttelte, Ostpreußen in hellem Aufstande war, der König Berlin verließ und Breslau alle Patrioten zum Kriege gegen Napoleon versammelte: da kam am 11. März 1813 auch Gneisenau von England nach der schlesischen Hauptstadt mit der Verheißung englischer Hülfe und dem Versprechen der Landung eines englisch-schwedischen Heeres. Das war ein Wort von entscheidendem Gewicht, und Gneisenau konnte es mit Stolz geben. Denn durch seine Bemühungen vornehmlich, durch seine Reisen nach Stockholm, Petersburg und Wien war dieser Erfolg zumeist ermöglicht worden. Mit Gneisenau aber war ein Dränger nach vorwärts mehr in’s preußische Cabinet gekommen; Hardenberg wurde jetzt bestürmt, der König mit seinem Zaudern übermannt und acht Tage später war der Krieg an Frankreich erklärt. Nach Beendigung seiner politischen Mission trat Gneisenau sofort wieder in den Kriegsrath ein, um gemeinschaftlich mit Scharnhorst den Feldzugsplan zu unterwerfen.
Als Generalmajor und Generalquartiermacher im Blücher’schen Corps entfaltete er fortan jene geniale Thätigkeit eines Feldherrn, die in unzähligen Schwierigkeiten sich glanzvoll erproben sollte; sein militärischer Blick, die rasche Uebersicht, der durchdringende Scharfsinn, die Bestimmtheit, Zweckmäßigkeit und Ruhe seiner Anordnungen haben ihn als Feldherrn dem Genie eines Napoleon als ebenbürtig erwiesen. Als der verwundete Scharnhorst die Armee nach der Großgörschener Schlacht verließ, um sich in Aufopferung für das österreichische Bündniß den Tod auf der Reise zu holen, wurde Gneisenau, sein Freund und Geistesdioskur, der alleinige Chef des Generalstabes, als welcher er mit dem Meisterstück des Rückzuges von Großgörschen und Lützen nach Breslau begann, um hiernächst während des Waffenstillstandes die Organisation der schlesischen Landwehr zu Ende zu führen.
Daß nach Wiedereröffnung der Feindseligkeiten einem Generalstabschef wie Gneisenau – man hat ihn später treffend den Moltke der Befreiungskriege genannt – ein Schlachtengeneral wie der alte Blücher zur Seite stand, war eine selten glückliche Fügung des Geschickes; für Gneisenau’s Kopf war Blücher der ergänzende, thatkräftige Arm, und in einer ununterbrochenen Reihe von Ereignissen, bis zum Ende des Krieges, feierte diese glückliche Vermählung zweier solcher Heldengeister ihre Triumphe. Zuerst an der Katzbach, dann bei dem meisterhaft geleiteten Uebergange der schlesischen Armee über die Elbe bei Wartenburg, dann bei Leipzig, wo das rechtzeitige Eintreffen dieses Corps, trotz des eben bestandenen mörderischen Treffens bei Möckern, von ausschlaggebender Bedeutung für die Entscheidungsschlacht wurde. Am Rheine sollte Halt gemacht werden – so verlangten es die Apostel eines faulen Friedens, aber: „Vorwärts, vorwärts, nach Paris!“ riefen Gneisenau und Blücher und marschirten, sehr zu Napoleon’s Erstaunen, über den Rhein direct auf die französische Hauptstadt, so wie es Gneisenau im Kriegsrathe durchgesetzt hatte.
Und wieder, beim Beginne des Feldzuges von 1815, stand der Unermüdliche als General der Infanterie auf seinem Posten neben Blücher, und Beide haben in jenem letzten furchtbaren Ringen ihre kriegerische Laufbahn mit unsterblichem Ruhme beendigt. Nach der verlorenen Schlacht bei Ligny setzten Gneisenau und Blücher, die Geschlagenen, in Gewaltmärschen dem Sieger nach, erreichten ihn, halbtodt vor Nässe und Erschöpfung, bei Waterloo, wo Wellington kaum noch Stand zu halten vermochte, und – Belle-Alliance war die letzte Schlacht des Kaiserreiches. Zum zweiten Mal sah die französische Hauptstadt, nachdem bei Gemappes und Quatrebras noch die Trümmer des Kaiserheeres vernichtet worden, die sieggekrönten deutschen Feldherren in ihre Mauern einziehen. Nach wiederhergestelltem Frieden erhielt Gneisenau, der schon nach dem ersten Pariser Einzüge in den Grafenstand erhoben worden war, das Gouvernement der Rheinprovinz. 1818 ernannte ihn der König zum Gouverneur von Berlin und 1825 zum Generalfeldmarschall. Als im Frühjahr 1831 der polnische Aufstand sich den preußischen Grenzen näherte, erhielt der alte Feldherr das Oberkommando über die östlichen Armeekorps, aber schon wenige Monate später, in der Nacht vom 23. zum 24. August, erlag er zu Posen der Cholera im Alter von einundsiebenzig Jahren. Auch sein Standbild, inmitten der Stadt Berlin und zur Seite des alten Blücher, hält das Andenken des Helden Gneisenau bei den nachwachsenden Geschlechtern in ehernen Ehren.
Kant’s Grabcapelle in Königsberg. (Mit Abbildung S. 497.)
„Cineres mortales immortalis Kantii“ (die sterblichen Ueberreste des
unsterblichen Kant) – diese vielsagende Inschrift las man am letzten
Februar des Jahres 1804 auf einem Sarge, den die Studirenden der
Königsberger Hochschule an jenem Tage nach der in den Arcaden an der
Nordseite der Domkirche gelegenen Professorengruft trugen. Kant, der
unsterbliche Denker, hatte am 12. Februar jenes Jahres das Zeitliche
gesegnet.
Fünf Jahre nach diesem Begräbniß ehrte ein Freund des Verstorbenen, Kriegsrath Scheffner, das Andenken Kant’s, indem er die Professorengruft in eine bedeckte Spazierhalle für die im Collegium Albertinum Wohnenden verwandeln ließ. Die Stelle, an welcher die irdische Hülle des großen Philosophen ruht, wurde damals durch einen einfachen Sandstein mit einer lateinischen Inschrift (vergl. unsere Abbildung S. 497) bezeichnet, die in deutscher Uebersetzung also lautet:
Dieses Denkmal widmete ihm sein Freund
[504] Von den Königsbergern wurde der Ort nach altgriechischer Sitte Stoa Kantiana benannt, als jedoch die Universität in ihr neues Gebäude auf Königsgarten übersiedelte, verschloß man die Halle mit einfachem Lattenwerk, und erst das hundertjährige Jubiläum der „Kritik der reinen Vernunft“ (vergl. „Gartenlaube“ 1881, Nr. 19) gab Veranlassung zur Begründung einer Grabcapelle, welche am 19. Juni dieses Jahres feierlich eröffnet wurde.
Ehe aber die Gebeine Kant’s in dieser Capelle, welche an dem östlichen Ende der Stoa Kantiana liegt, beigesetzt wurden, entbrannte zunächst unter den Königsberger Gelehrten die Streitfrage über die Identität jener Gebeine. Als nämlich am 22. Juni 1880 das verfallene Grab Kant’s geöffnet wurde, fand man in demselben zerstreut die Theile eines männlichen Skelets und die bekannte Tafel mit der Inschrift: „Cineres mortales immortalis Kantii“, während der Sarg vollständig vermodert war. Unmittelbar unter dieser Tafel stieß man indessen auf ein zweites, ebenfalls männliches Skelet. Nun wußte man aber, daß Professor Knorre aus Königsberg gleich nach dem Tode Kant’s den Kopf des Verstorbenen in Gyps abgeformt hatte, und da die Abgüsse dieser Form bis jetzt noch wohlerhalten sind, so verglich man dieselben mit den beiden ausgegrabenen Schädeln. Die peinliche wissenschaftliche Untersuchung ergab mit Bestimmtheit, daß der zweite der beiden ausgegrabenen Schädel der echte Kant’sche sei, und so wurde denn das zweite Skelet in der Kant-Capelle beigesetzt.
Betreten wir die Ruhestätte des Weisen von Königsberg, so erblicken wir links vom Eingange derselben in dem mit schwarzen und weißen Marmorfließen getäfelten Flur den Scheffner’schen Stein; unter ihm liegt in doppeltem Zinksarge das Skelet Kant’s. Hinter dem Grabsteine erhebt sich auf einem Postamente die Büste des Todten, in weißem carrarischem Marmor von Professor Siemering ausgeführt, während die Hintere Wandfläche der Capelle einen würdigen Abschluß findet durch die von dem Königsberger Künstler Neide grau in grau auf Leinwand gemalte Copie des berühmten Raphael’schen Bildes „Die Schule von Athen“ Die Büste Kant’s ist derart angebracht worden, daß sie zwischen den beiden Hauptfiguren des Gemäldes, zwischen Plato und Aristoteles, sichtbar wird. An der dem Eintretenden gegenüberliegenden Wand grüßen uns die letzten Worte jenes allgemein bekannten Passus aus der „Kritik der praktischen Vernunft“: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.
Königsberg ist durch die Stiftung der Kant-Capelle einer Pflicht der Pietät gegen seinen großen Mitbürger in anerkennenswerther Weise nachgekommen, Deutschland aber schuldet dem edlen Tobten noch immer die Erfüllung einer weit größeren Pflicht: es hat danach zu streben, daß die Resultate der mühevollen geistigen Arbeit Kant’s mehr und mehr zum Eigenthum der breitesten Volksmassen werden. Hoffen wir, daß man an maßgebender Stelle im deutschen Reiche dieser Pflicht sich endlich bewußt werde!
Schiller’s Leben von Heinrich Düntzer. (Leipzig, Fues’ Verlag.)
Heinrich Düntzer gehört zu den berufensten Interpreten unserer klassischen
Dichter. Nicht nur durch seine werthvollen gelehrten Arbeiten, sondern
auch – und vielleicht in noch höherem Grade – durch seine populär gehaltenen
biographischen Werke aus dem Gebiete der deutschen Literaturgeschichte
hat er sich ein dauerndes Verdienst um die Hebung jener
Schätze erworben, welche der Mit- und Nachwelt in den Werken und im
Leben unserer Literaturkoryphäen so reichlich geboten wurden. So ist
auch sein soeben erschienenes „Leben Schiller’s“ ein dankenswerthes Geschenk
an die deutsche Nation. Das mit sechsundvierzig Illustrationen
und fünf Beilagen geschmückte Werk begleitet die Lebens- und Strebenswege
unseres genialen Dichters von dessen erstem Eintritt in die Welt
bis zu jenem verhängnißvollen Maimorgen, der uns den erhabensten
unter den deutschen Poeten entriß, in immer geistvoll erläuternder
und vielfach auf die zunächst einwirkenden Zeiteinflüsse hindeutender
Weise. Düntzer geht hier mit jener feinen psychologischen Spürkraft, die
zu den vornehmsten Eigenschaften des echten Dichterbiographen gehört,
den geheimsten Entwickelungsfäden in Schiller’s Leben und Dichten nach,
und so erschließt er uns manchen neuen, theilweise überraschenden Blick
sowohl in die Seele des edlen Meisters von Weimar, wie in die Werkstätte
von dessen dichterischem Schaffen. Ohne auf die Einzelnheiten des
auch äußerlich sehr geschmackvoll ausgestatteten Buches hier näher eingehen
zu können, beschränken wir uns auf obigen kurzen Hinweis und geben dem
von uns freudig willkommen geheißenen Werke die besten Wünsche mit auf
den Weg zum Herzen des deutschen Volkes.
Die vier Ebner’schen Waisen, für welche wir in unserer Nr. 17 einen Aufruf erließen, konnten jetzt dank der durch uns angeregten Mildthätigkeit
aus Italien in ihre deutsche Heimath zurückkehren und wurden auf
Rechnung der zu ihrer Versorgung verpflichteten Gemeinde bei ihren
Verwandten untergebracht. Indem wir hiermit denjenigen unter unsern
Lesern, welche den Kindern durch menschenfreundliche Spenden die
Heimkehr ermöglichten, unseren wärmsten Dank sagen, fühlen wir uns
verpflichtet, auch dem „Deutschen Hülfsverein in Neapel unsere
dankbare Anerkennung für die Bereitwilligkeit auszusprechen, mit welcher
er die Beförderung der Waisen nach Deutschland ebenso umsichtig wie
liebenswürdig leitete und überwachte. Der genannte Verein, welcher sich
die Aufgabe gestellt hat, unterstützungsbedürftigen Deutschen in Süditalien
nach Möglichkeit helfend zur Seite zu stehen, sei hiermit der
Aufmerksamkeit unserer wohlthätigen Landsleute aus das Beste empfohlen!
Wer sein Scherflein beisteuert zur Milderung deutschen Elends im Auslande,
vollführt ein wahrhaft patriotisches Werk. Die Adresse des Vereins
lautet einfach: „Deutscher Hülfsverein in Neapel“.
Nun blühn die Rosen wieder,
So wie vergangnes Jahr;
Der Sprosser schlägt im Flieder;
Vom Dache singt der Staar;
Muß ich der Blumen warten,
So wie vergangnes Jahr.
Manch Kränzlein muß ich winden,
So wie vergangnes Jahr;
Für manches Liebespaar –
Das kann ich nur mit Schmerzen,
Das kann ich nicht von Herzen,
So wie vergangnes Jahr.
So wie vergangnes Jahr,
Ich winde, ach, und binde
Für Tanzsaal und Altar;
Für mich sind keine Kränze
So wie vergangnes Jahr.
Ach, wenn er kommen müßte,
So wie vergangnes Jahr,
Wo er so innig küßte
Ja, wenn er nicht geschieden,
Wär’ alles noch hienieden,
So wie vergangnes Jahr.
Daß ich ihn einst besessen,
Das kann ich nicht vergessen,
Und daß er treulos war:
Drum muß ich bitter weinen.
Und nichts will mir erscheinen,
Die Myrthen will ich gießen,
So wie vergangnes Jahr,
Damit sie blühn und sprießen
Für meine Todtenbahr’.
Ich kann ihn nicht verstehen,
So wie vergangnes Jahr.
Kleiner Briefkasten.
E. P. in Constanz. Schon in der nächsten Nummer werden wir die längst angekündigte Artikelreihe „Um die Erde“, Beiträge in Wort und Bild von unserem Weltfahrer Rudolf Cronau, mit einem illustrirten Artikel über das Straßenleben New-Yorks eröffnen. Herr Cronau hat, nachdem er die Oststaaten Nordamerikas besucht, in Gemeinschaft mit dem bekannten Schwimmer, Capitain Boyton, eine gefahrvolle und ereignißreiche Bootfahrt auf dem Mississippi, von St. Paul bis St. Louis, glücklich überstanden und wird nicht verfehlen, unseren Lesern mit Stift und Feder darüber Bericht zu erstatten. Cronau’s jüngste Nachrichten datiren aus St. Louis.
M. G. in Sagan. Wir bedauern, von Ihrer Offerte keinen Gebrauch machen zu können. Die Antwort auf eingesandte Gedichte ist, wie schon oft erklärt: Abdruck oder stillschweigende Vernichtung. Correspondenzen über eingesandte Lyrik verbieten sich durch die Masse der in dieser Beziehung an die Redaction gestellten Anforderungen.
F. C. M. in Dessau. In jeder Buchhandlung erhalten Sie die gewünschte Auskunft.
E. H. in Ehrenfeld. Wenden Sie sich in dieser Angelegenheit an einen tüchtigen Rechtsanwalt!
Ein Abonnent in der Rheinprovinz. Einfach: Steglitz bei Berlin.
S. E. M. Die gewünschte Adresse lautet: Amtsgerichtsrath a. D. Theodor Storm in Husum, Schleswig.
B. L. in Lüchow. Karl Weise’s Werke: „Die Braut des Handwerkers“ (Preis 75 Pf.) und „Blumen der Wälder“ (Preis 1 M.) sind bei G. F. Lenz in Berlin erschienen.
I. M. in Bodenbach. Allerdings sind die Beamten dazu berechtigt.
Viola Hortt in Wien, C. R. in Berlin und Franziska. Ungeeignet! Verfügen Sie gütigst über das Manuscript!
Leserin in Thüringen. Wenden Sie sich unbedingt an einen tüchtigen Arzt!
G. J. in Kassel. Sie finden den gesuchten Artikel in Nr. 36 von 1862.
Brrr. in Florisdorf bei Wien. Wurde vernichtet.
M. A. in O. Mit wenigen Ausnahmen in englischer Uebersetzung erschienen und durch jede solide Buchhandlung zu beziehen.
H. und R. in Lübeck. Allerdings – bei Stade.
Alfons in Leipzig. Ganz hübsch, aber wegen allzu starken Vorraths leider nicht verwendbar!
- ↑ In der Vorrede zu seiner Schrift: „Ueber die Natur der Kometen. Beiträge zur Geschichte und Theorie der Erkenntniß“.