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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1881
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 3.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Amtmanns Magd.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)

Herr Markus saß am Morgen des vierten Tages nach seiner Ankunft in dem Gartenhäuschen auf der Mauer und schrieb. Er hatte mit einer Anzahl auserlesener Werke aus der „Bücherstube“, allerhand Schreibgeräth und einigen Regaliakistchen die kleine Stube noch behaglicher ausstaffirt. … Nun hatte er sich eine Cigarre angebrannt, und die blauen Wölkchen vertrieben die Camillen- und Lavendeldüfte, welche die Morgenluft aus dem Kräutergarten der Frau Oberforstmeisterin hereinwehte. – Er saß im Eckdivan, der Balconthür gegenüber. Sobald er aufblickte, übersah er durch die Glasscheiben den Weg, der, vor dem Gutshause hinlaufend, in fast schnurgerader Linie die Felder durchschnitt und erst weit drüben von dem beginnenden Waldschatten aufgenommen wurde. Nur einmal zweigte sich eine schmale Pfadlinie rechts ab, um hinter einem kleinen Fichtengehölz weg nach dem Vorwerk zu laufen.

Auf diesem Fußweg daherkommend, trat plötzlich ein weibliches Wesen in seinen Gesichtskreis – es war die Magd vom Vorwerk. Sofort erkannte er sie an Gang und Haltung, wenn auch heute, außer dem ominösen weißen Tuch – von Frau Griebel zornmüthig „Scheuleder“ genannt – noch ein breitrandiger Strohhut ihr Gesicht beschattete.

Sie ging langsam mit gesenktem Kopfe; in der Linken trug sie einen Rechen und ließ im Vorüberwandeln die grünen Kornähren durch die Finger der rechten Hand laufen. Wie auf Goldgrund hob sich das Mädchen aus der sonnenhellen, einsamen Landschaft. Sie war offenbar im Begriff, auf der entferntgelegenen Wiese, wo sie vor einigen Tagen gemäht hatte, das Heu zu wenden.

Er sah sie näher und näher kommen; sie hatte sichtlich keine Ahnung, daß in dem Gartenhäuschen ein Beobachter jeder ihrer Bewegungen unverwandten Blickes folgte. Herr Markus hatte nicht mehr an das Mädchen gedacht, das ihm die verlangte Hülfe auf der Brücke nur mit Widerwillen geleistet, jetzt aber fiel ihm die knappe und schroffe Art und Weise, mit welcher sie ihn abgefertigt hatte, wieder ein; er mußte lachen, und es reizte ihn, mit der Spröden noch einmal anzubinden.

Er erhob sich und trat an die Thür, während sie, der Mauerecke nahe, plötzlich Halt machte und einen Brief aus der Tasche zog. Es schien, als spähe sie nach irgend einem dienstbaren Geist des Gutes aus, aber vor dem Hause und an den Fenstern desselben rührte und regte sich nichts. Sie betrat deshalb, kurz entschlossen, den Rasenstreifen an der westlichen Gartenmauer, jedenfalls um zu den Hintergebäuden zu gelangen, wo die Mägde in den Ställen zu finden waren.

In diesem Augenblick kam Herr Markus auf den Balcon heraus; er stieg rasch das Treppchen hinab und vertrat ihr so den Weg. Sie schrak zusammen, als habe sich die Erde vor ihr aufgethan, und ließ vor Bestürzung den Rechen fallen.

„Der Brief ist doch wohl für Jemand auf dem Gute bestimmt – gieb ihn mir! Ich will ihn bestellen,“ sagte er lächelnd, indem er die Hand nach dem schmalen Couvert ausstreckte.

Stumm reichte sie ihm den Brief hin.

„Was der Tausend – er ist ja für mich,“ rief er mit einem Blick auf die Adresse. „Von wem?“

Sie bückte sich und nahm den Rechen auf.

„Von Deinem Herrn doch nicht?“ inquirirte er weiter, da die Antwort nicht sofort erfolgte.

„Ja, vom Amtmann,“ bestätigte sie jetzt in der fast ängstlich knappen Redeweise, die er bereits an ihr kannte.

Er wiegte lächelnd den Kopf.

„Sieh, sieh, was der alte Herr für eine, zierliche Damenhand schreibt!“

„Das ist nicht seine Schrift – er leidet an Augenschwäche –“

„Ach so, da hat er dictirt, und eine seiner Damen, wie ich vermuthe, das Fräulein Gouvernante, hat nachgeschrieben.“ Er hielt die Adresse prüfend von sich ab. „Schöne, schlanke Züge, auf schneeweißem Papier, wie es sich für eine Dame gehört, die mit Küchengeräth und Staubtuch absolut nichts zu schaffen hat.“

Sie warf den Kopf auf, und er hoffte schon auf eine schneidige Replik, aber umsonst; sie senkte das Kinn wieder auf die Brust und schwieg.

„Du bist wohl für Deine junge Dame sehr eingenommen?“ fragte er, seine brennende Cigarre wieder zum Munde führend.

„Ich glaube nicht,“ versetzte sie und trat ein wenig zurück, als wolle sie den blauen Duftringeln ausweichen, die ihren Kopf plötzlich umschleierten. Lächerlich! Das Mädchen da, das in öffentlichen Vergnügungslocalen unter ihresgleichen den dicken Dampf unfeinen Canasters athmen mußte, that verwöhnt und belästigt, als habe sie die feinsten Damennerven – sie copirte höchstwahrscheinlich das Fräulein Gouvernante. Das ärgerte und reizte ihn – er that nun erst recht ein paar kräftige Züge.

„Du glaubst es nicht?“ wiederholte er darauf. „Aber ihr vornehmes Wesen gefällt Dir trotz alledem, wie ich vermuthe – Du möchtest wohl gar zu gern sein wie sie, nicht?“

„Das wäre ein sonderbarer Wunsch –“

„Ei warum denn? Die schönen Hände pflegen und sich im [42] kühlen Zimmer bedienen lassen ist doch tausendmal wünschenswerther, als in’s Heu zu gehen und bei harter Arbeit von der Sonnenhitze ausgedörrt zu werden?“

„Meinen Sie, das – das Fräulein arbeite nicht?“

„Mein Gott, ja!“ versetzte er in persiflirendem Tone. „Ich bin sogar überzeugt, daß sie mit behandschuhten Händen sehr fleißig Feldblumen pflückt und sie als geschmackvolle Sträußchen für Albumblätter trocknet oder in Wasserfarben malt; sie wird Kanten sticken, schreiben und lesen und ihre Fingerübungen auf dem Clavier mit grausamer Pünktlichkeit zum Genuß aller nervengereizten Menschen herunterspielen. Nun, stimmt es?“

„Zum Theil, ja!“ bestätigte sie, wobei sie den Strohhut noch tiefer in die Stirn zog. Es waren hübsche, schlanke, aber tiefgebräunte Finger, die nach dem Hutrand griffen.

„Siehst Du?“ sagte er mit muthwilligem Lächeln. „Ich glaube auch, daß sie sehr gut zu beurtheilen versteht, ob Du in ihrem Zimmer gründlich abgestäubt und die Ordnung wieder hergestellt hast; sie wird es ebenso wohl zu würdigen wissen, wenn Dir die süße Mehlspeise gerathen und der Braten nicht angebrannt ist.“

Ein leises Auflachen kam unter dem weißen Tuch hervor. „Ich weiß nur, daß sie sehr selten zufrieden mit mir ist,“ sagte das Mädchen gleich darauf mit Bestimmtheit.

„Du wirst es an der gebührenden Unterwürfigkeit fehlen lassen, meine Kleine. Quält Dich das Fräulein Blaustrumpf dafür?“

„Dafür nicht, aber sie macht mir oft die bittersten Vorwürfe, wenn meine Kraft mit dem Willen durchaus nicht Schritt halten will.“

Er ließ die Hand mit der Cigarre sinken, und seine Augen suchten mit dem Ausdruck von Befremdung unter Tuch und Hutschirm zu dringen. „Du sprichst ja merkwürdig gewählt für ein Mädchen Deines Standes,“ sagte er aufhorchend.

Sie fuhr erschreckt zusammen und streckte ihm die Hand wie zur Abwehr entgegen.

„Ach ja, ich vergaß – Du bist ja kein Dorfkind,“ setzte er hinzu und strich sich über die Stirn und sein reiches Haar. „Hast in der Stadt, in gutem Haus gedient, und da ist etwas von den herrschaftlichen Manieren hängen gebliehen. Deine junge Dame hat Dich ja mitgebracht, wie ich höre – warst wohl in einem Hause mit ihr?“

Das Mädchen zögerte einen Augenblick mit der Antwort. „Nun ja, wir waren in einem Hause – im Hause des Generals von Guseck in Frankfurt,“ sagte sie und griff mit weggewandtem Gesicht mechanisch in das Halmengewoge des Kornfeldes, neben welchem sie stand. „Ich war stets mit ihr zusammen; ich leiste ihr alle Kammerjungferdienste, wie sie solch ein verwöhntes ,Fräulein Gouvernante’ braucht, und weil ich unzertrennlich von ihr bin –“

„So bist Du auch mit hierher gegangen, direct in die Armseligkeit hinein,“ fiel er vervollständigend ein. „Du bist ein wunderliches Mädchen, behauptest, Du seiest nicht für Deine junge Dame eingenommen, und gehst doch mit ihr, auf gut Deutsch gesagt, durch ,Dick und Dünn’. Es muß ein Zauber, so etwas von der dämonischen Macht des Rattenfängers von Hameln, in ihr stecken. Ist sie hübsch?“

Sie bückte sich über einen Aehrenbüschel, den sie in der Hand zusammensaßte, und zuckte die Achseln. „Was Einem zu nahe steht, beurtheilt man selten richtig –“

„Sphinx!“ rief er, indem er ihr näher trat. „Du möchtest sie mir interessant machen mit Deinen sibyllenhaften Antworten.“ Er lachte frisch, aber sehr spöttisch auf. „Verlorene Liebesmühe, meine Kleine! Ihr Gouvernanten-Nimbus reizt mich nicht; ich werde ihr aus dem Wege gehen, wo ich kann. Aber ich habe ein anderes Verlangen – ihrem ,unzertrennlichen’ Schatten möchte ich in die Augen sehen.“

Ehe sie sich dessen versah, hatte er mit kühner Hand Hutschirm und Tuch erfaßt und bog ihr beides aus dem Gesicht, aber in demselben Moment auch trat er in einer Art verlegenen Erschreckens von ihr weg – er hatte in ein Antlitz von überraschender Schönheit gesehen.

Sie zog mit einem Laut der Entrüstung die Verhüllung wieder über die Stirn und floh an ihm vorüber. In einiger Entfernung blieb sie indessen noch einmal stehen und sagte mit bebender Stimme über die Schulter nach ihm zurück: „Sie verspotten die Dame auf dem Vorwerk um ihrer geistigen Beschäftigung willen, und mir haben Sie eben durch Ihr Benehmen gezeigt, wie tief die Frau in Ihren Augen erniedrigt wird durch die Arbeit, der ich mich unterziehe – ist das Männerurtheil?“

Damit wandte sie ihm wieder den Rücken und eilte so rasch weiter, daß sie binnen wenigen Augenblicken seinen Augen entschwunden war.

Er biß sich zornig auf die Unterlippe und schleuderte die Cigarre weithin auf den Wiesenrasen. Er begriff jetzt sich und sein Thun selbst nicht mehr, und seine Stiefmutter, die so oft schalt und böse wurde, wenn er sich über alle jungen Damen ihrer Kreise lustig machte und es mit boshaftem Spotte betonte, daß es ihm stets Ueberwindung koste, die „geschnürten Mamsellchen“ auch nur beim Tanzen zu berühren, sie würde wohl große Augen gemacht haben angesichts der beschämenden Situation, in die er sich selbst gebracht hatte. Aber es war vorhin wie ein Rausch über ihn gekommen, und das Berückende hatte in der Stimme gelegen, die aus dem mystischen Dunkel der Umhüllung heraus geklungen hatte, wie ein interessantes Räthsel.

Ebenso rasch wie er herunter gekommen war, sprang er das Balcontreppchen wieder hinauf, warf die Glasthür heftig hinter sich zu und trat grollend an eines der Fenster. Ach was, weshalb alterirte er sich denn eigentlich so in tiefster Seele? Von all seinen Freunden verschmähte es Keiner, ein hübsches Stubenmädchen oder Kammerkätzchen unter das Kinn zu fassen, gelegentlich auch einen Kuß auf eine runde, rosige Wange zu drücken, und wem wäre es je eingefallen, darin etwas Deprimirendes für den Attentäter zu finden, selbst wenn die Betroffenen protestirten und sich sträubten? War es ein Verbrechen, daß er den scheußlichen groben Strohhut und das „Scheuleder“ berührt hatte? – Einzig und allein sein Blick war es gewesen, um deswillen er zurechtgewiesen worden war, wie ein Profaner, der unerlaubter Weise in das Allerheiligste dringt. Das Mädchen arbeitete auf dem Felde – mußte sie sich nicht auch dreiste Blicke gefallen lassen von jedem Handwerksburschen, der zu ihr trat, um nach dem rechten Weg zu fragen? … Aber freilich, sie war ja auch „Kammerjungfer“ auf dem Vorwerke; „die Cultur hatte sie beleckt“; sie besaß unleugbar scharfen Verstand und von Natur aus Schlagfertigkeit des Geistes; sie gerirte sich deshalb nahezu als Familienangehörige des Amtmanns, obgleich sie das Grünfutter auf dem Kopfe heimschleppen und mit Hacke und Rechen auf den Aeckern und Wiesen hantiren mußte.

So sehr er sich auch bemühte, die Sache von der humoristischen Seite zu nehmen und schließlich darüber zu lachen, er wurde doch nicht Herr über das widerwärtige Gefühl, eine Lection erhalten zu haben, die ihn zeitlebens ärgern mußte. Für heute wenigstens war ihm die Laune total verdorben.


5.

Herr Peter Griebel unterbrach dieses unerquickliche Nachsinnen. Er kam vom Felde heim und erzählte dem Gutsherrn unter vergnüglichem Händereiben, daß die Absteckpfähle der Eisenbahn-Ingenieure drüben im Wiesengrunde eingerammt würden – der Ackerboden bleibe unberührt seitwärts liegen. Dagegen habe der Amtmann Franz einen „Mordspectakel“ erhoben – Peter Griebel hatte in ziemlicher Entfernung seinen Protest voll Gift und Galle, sein Poltern und Raisonniren mit angehört. Der Schienenweg sollte aber auch direct durch den Vorwerkshof und so nahe an der südlichen Ecke des Wohnhauses hinlaufen, daß der alte, morsche Bau in wenigen Jahren nothwendig als Schutthaufen in sich zusammenstürzen mußte.

Bei dieser Meldung erinnerte sich Herr Markus des Briefes, den er in die Tasche gesteckt und über dem Recontre dem Mädchen vergessen hatte. Er erbrach ihn und überflog halb belustigt, halb geärgert den Inhalt – die Leute auf dem Vorwerke waren doch sammt und sonders, vom Herrn an bis auf die Magd herab, unverbesserlich vom Hochmuthsteufel besessen, eine merkwürdige Gesellschaft, ein lächerliches Gemisch von Schwindelei, Anmaßung und Prüderie! –

Der Amtmann ignorirte vollständig die Thatsache, daß ihm durch den Rechtsanwalt des Erben der Pachthof seit Jahresfrist gekündigt worden war. Er protestirte in kategorischer Weise gegen das laxe Verhalten des Gutsherrn, der Eisenbahnfrage gegenüber, [43] durch welches er, sein Pächter, in seiner Existenz geschädigt würde. Nie und nimmer würde er darauf eingehen, den Oekonomiehof hinter das Haus zu verlegen, so wenig wie er sich gefallen lasse, daß ihm seine Wohnung eines schönen Tages über dem Kopfe zusammengerumpelt werde. – Schließlich berührte er sehr von oben herab mit wenigen flüchtigen Worten den Umstand, daß er mit dem „Bischen Pachtgeld“ allerdings noch restire, aber er erwarte täglich eine bedeutende Geldsendung, die sein Sohn, ein grundreicher Mann in Californien, unbegreiflicher Weise verzögere – sofort nach Eintreffen des Geldes werde „die Bagatelle“ berichtigt werden.

„Ja, ja, so macht’s der Amtmann!“ lachte Peter Griebel gutmüthig, nachdem ihm Herr Markus den Briefinhalt mitgetheilt hätte. Er ist eben ein närrischer Kauz –“

„Ein närrischer Kauz? – was Du doch immer für gemüthliche Ausdrücke hast, Peter – ein Erz-Aufschneider ist er,“ unterbrach ihn seine Frau. Sie hatte Petersilie vom Beet geschnitten, war auf die oberste Stufe des Pavillontreppchens von der Gartenseite her gestiegen und streckte die Faust mit dem dicken Petersilienbündel warnend durch die offene Thür. „Lassen Sie sich um Gotteswillen mit dem nicht ein, Herr Markus! Sie werden über’s Ohr gehauen, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht. Der denkt auch, wie der Vogel Strauß, wenn er die Augen zumacht, da sieht’s kein Mensch, in was für ein Hungerloch er sich durch seine eigene Schuld gesetzt hat. … Mit dem Sohne in Californien will er Ihnen auch nur Sand in die Augen streuen, wie allen den dummen Leuten, die ihm geborgt haben. … Mag schon ein schönes Früchtchen sein, der Herr Sohn von so ’nem alten Schwindler!“

„Mach’s doch nicht gar zu schlimm, Jettchen! Bist doch sonst nicht so!“ sagte ihr Mann. „Von der Frau Oberforstmeisterin weiß ich, daß der junge Franz ein guter Mensch gewesen ist – nur der Zorn und Jammer über die miserable Wirtschaft auf der Domäne hat ihn in die weite Welt getrieben. Er soll auch einmal ein großes Stück Geld heimgeschickt haben. Freilich, nachher ist er verschollen, und seine alte Mutter soll sich deshalb fast zu Tode grämen.“

„Na, da hören Sie’s ja, Herr Markus!“ bemerkte Frau Griebel anzüglich, mit dem Daumen nach dem Sprechenden zurückweisend. – „Und da verlangt der Mann auch noch, man soll solch einen unnützen Burschen, der nicht einmal Papier und Tinte für seine Mutter hat, womöglich für eine Respektsperson ansehen. – Da kannst Du warten, Peter.“ – Damit kletterte sie brummend und schwerfällig die Treppe hinab, um ihre Petersilie in die Küche zu tragen.

Herr Markus durchmaß unausgesetzt das Pavillonstübchen, nachdem auch Peter Griebel in die nahe Laube gegangen war, wo ihm sein Töchterchen Butterbrot und Servelatwurst und ein Gläschen goldhellen Nordhäuser zum Frühstück auf den Steintisch gestellt hatte.

Mit dem Briefe des Amtmanns war die Erbschaftsangelegenheil, die der Zufall in die Hand des neuen Gutsherrn gespielt hatte, in eine neue Phase getreten. Heute Morgen noch hatte er gemeint, durch eine Besprechung mit seinem Rechtsanwalt, kurz vor seiner Abreise, und ein paar Briefe von Berlin aus werde sich der letzte Wünsch seiner Tante leicht in Ausführung bringen lassen, ohne daß der ihm so antipathische persönliche Verkehr mit den Betheiligten nothwendig geworden wäre. Nun erschien aber eine ganz neue Person auf der Bildfläche – es war ja auch noch ein Sohn da, von welchem die Verstorbene eine sehr gute Meinung gehabt haben sollte, wie Peter Griebel wiederholt versicherte, und dennoch erwähnte ihn die letzte Verfügung mit keiner Silbe. War er vielleicht auch so nachgiebig und weichherzig wie seine Mutter und der gewaltthätigen, rücksichtslosen Art und Weise des Amtmanns ebenso wenig gewachsen, so daß die Testatorin gefürchtet, auch in seiner Hand sei der letzte Nothanker nicht gesichert? –

Demnach mußte die alte Dame eine große Achtung vor der Charakterstärke des Mädchens gehabt haben, unter dessen Hut sie die Zukunft der unglücklichen Jugendfreundin zu stellen gewünscht hatte. Herr Markus begriff diese Verblendung nicht. – Die Verstorbene war der unermüdliche Fleiß, die Thatkraft selbst gewesen; auf dem Felde und im Milchkeller, in der Küche und im Laboratorium, am Krankenbette der Armen, wie am Schreib- und Arbeitstische hatte sie sich stets zur rechten Zeit finden lassen, und nie war es ihr in den Sinn gekommen, sich auch nur ein Band ihres Anzugs oder das Haar von fremder Hand ordnen zu lassen. … Wie in aller Welt nun kam diese praktische, thätige Frau dazu, ein Mädchen mit einer solchen Aufgabe zu betrauen, von welchem er eben noch gehört hatte, daß es sich selbst in seiner jetzigen derangirten Umgebung fortgesetzt auf die verwöhnte Weltdame spiele, nicht Hand und Fuß rege, um der verkommenen Wirthschaft aufzuhelfen, und auch noch Kammerjungferdienste von der Dienerin beanspruche, die sich von früh bis spät im Hauswesen, wie auf dem Felde plagen mußte?

Er verwünschte den „dummen Einfall“, in Folge dessen er den alten Strickbeutel durchstöbert hatte – wäre er doch so weise gewesen, das urvorweltliche Möbel mit seinem Inhalte unbesehen in der Kommodenecke vermodern zu lassen. Nun war er auch noch so bodenlos albern, sich das Geschick der alten Frau aus dem Vorwerk zu Herzen zu nehmen und die gewissenhafteste Erwägung für seine Pflicht zu halten. … So viel stand fest: die Frau Oberforstmeisterin hatte sich bei aller geistigen Klarheit und Schärfe in Charakter und Wesen ihrer erwählten Erbin gründlich getäuscht – möglicher Weise war ihr eine Komödie vorgespielt worden. War es nicht geboten, ihren Mißgriff zu corrigiren und doch lieber dem jungen Franz das kleine Erbe in die Hand zu geben? Wer bürgte denn dafür, daß sich für die „Weltdame“ nicht sofort ein Freier fand, wenn die Erbschaft ruchbar wurde? Dann zögerte Fräulein Gouvernante sicher keinen Augenblick mitzugehen; Fremde säckelten den Nachlaß ein und die arme Kranke auf dem Vorwerk hatte das Nachsehen.

Voll Aerger fuhr er sich mit beiden Händen durch das Haar; nun blieb ihm doch nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und die Verhältnisse bei „Amtmanns“ sammt dem „Gouvernanten-Fräulein“ mit eigenen Augen zu prüfen.

Er blieb tagsüber verstimmt und griff gegen Abend nach seinem Hut, um den Wald zu durchstreifen. Das dunkle Laubdach über dem Kopf und verworrenes Rankengestrüpp zu Füßen, arbeitete er sich am liebsten durch das wilde Dickicht, und wenn der schwach modrige, aber kräftige Walderdengeruch aus den frischen Fußstapfen zu ihm emporhauchte und das aufgestörte, unabsehbare Blättergewoge unter seinen pfadbahnenden Armen wie empört aufrauschte, da mußte er ironisch lächelnd der Anlagen gedenken, die sein Vater dem kümmerlichsten Fleckchen der märkischen Sandbüchse abgerungen. Wie erlogen breitete sich dort das Rasengrün mit seinen Teppichbeeten vor der Villa hin, und die glatten Wege der wie heuchlerische Coulissen aufgestellten Bosquets endeten mit all ihren künstlerischen Windungen schließlich doch zur schreckenhaften Enttäuschung in der Sandöde.

Ein nur von den Forstleuten und dem Holztransport frequentirter Fahrweg trennte das Gebiet des Hirschwinkels von dem sogenannten Grafenholz, dem fürstlichen Waldrevier, und nahezu mit dieser Verkehrslinie schloß die Thalsohle ab; der herrliche Buchenbestand fing an, steil bergauf zu klettern; nur noch ein kleines Stück Wiesengrund schmiegte sich zwischen ihn und den Weg, und auf diesem Rasenfleck stand das Haus des fürstlichen Forstwärters. Es war ein hübscher neuer Ziegelbau mit großen, blanken Fenstern und einem weißen Holzstaket zur Seite, das ein kaum zwei Beete breites Stückchen Gartenland umschloß.

Schon zweimal hatte Herr Markus auf seinen Streifereien hier Halt gemacht, und auch heute blieb er stehen, als die rothen Wände plötzlich aus dem Busch hervortraten. Der Waldhüter, der das Haus bewohnte, mußte ein wahres Klausnerleben führen; er war jedenfalls ein unverheiratheter Mann, der mit dem Hausschlüssel in der Tasche seinem Berufe nachging. Nie stand die Thür gastlich offen; nicht die Spur eines Rauchwölkchens kräuselte über dem Schornstein; an den Fenstern, die wohl ein paar Blumentöpfe auf den inneren Simsen, aber nirgends den Schmuck hübsch gefalteter Gardinen aufwiesen, zeigte sich kein Menschengesicht, so wenig wie man irgend ein Hantiren innerhalb der vier Wände hörte; nur droben am Giebelfenster hingen drei, vier hölzerne Vogelbauer, in denen Finken und Kreuzschnäbel lärmten, und an dem steilen Abhange hinter dem Hause kletterten zwei naschende Ziegen herum, die wohl in den Stall des Forstwärters gehörten.

Der neue Gutsherr im Hirschwinkel hatte oft genug die Lust verspürt, dem nachbarlichen Waldhüterhaus näher in die Fenster [44] zu gucken, lediglich. um zu erfahren, an welcher Art Lectüre sich der ehemalige Taglöhnerjunge erquicke in seiner kärglichen Mußezeit, die ihm der strenge Dienst und seine Aushülfe auf dem Vorwerk übrig ließen. Wenn es Ritter- und Räubergeschichten waren, die dort zwischen den Blumentöpfen auf der niederen Brüstung über einander lagen, so steckten sie wenigstens nicht in der Livrée der Leihbibliotheken – er sah das über die Fahrstraße hinweg, die ihn um mindestens zehn Schritte von dem Hause trennte. – Vielleicht war er ein Mann von Intelligenz und Weltgewandtheit, dieser Waldhüter; er verkehrte ja viel auf dem Vorwerk, wo sich selbst die Magd, die mit Milcheimer und Heurechen hantirte, einer salonmäßigen Ausdrucksweise befleißigte.

Mit einem höhnischen Lächeln auf den Lippen bog er das letzte Gestrüpp aus einander, um auf den Fahrweg heraus zu treten, als ihn das Gebühren der einen Ziege stutzig machte. Es war ein junges schmächtiges Thier, das wie toll den Abhang herunter und über das schmale Wiesenland hin rannte; ihre Gefährtin trabte gemächlich hinterdrein, aber auch direct nach der Richtung, in welcher jetzt leichte Menschentritte hörbar wurden. … Herr Markus stampfte den Boden – immer wieder dieses Mädchen, das bereits anfing, ihm den Waldaufenthalt gründlich zu vergällen. War denn Amtmanns Magd das einzige weibliche Wesen, das in Wald und Feld lebte und athmete?

Da kam sie richtig wieder daher, das „Scheuleder“ auf dem Kopfe und einen großen Marktkorb am Arm. Die Ziegen liefen neben ihr und fraßen von dem Stück Brod in ihrer Hand, das sie für die Naschmäuler aus der Tasche gezogen hatte.

Herr Markus trat tiefer in das Gebüsch zurück, hinter die nächste dicke Buche – er wollte sich nicht noch einmal ärgern, wie heute in der Frühe. Das Mädchen war ihm förmlich verhaßt, und ebenso beflissen, wie er heute Morgen den Tabaksrauch unter das weiße Tuch geblasen, warf er jetzt die glimmende Cigarre auf den Boden und zertrat sie, auf daß ja nicht das leichteste hinüberziehende Duftwölkchen seine Anwesenheit verrathe.

Das Mädchen warf den Ziegen die Brodreste hin und trat auf die Thürstufen, um einen Einblick in das nächste Fenster zu gewinnen. Das Zimmer mußte leer sein; auch auf wiederholtest Klopfen gegen die Scheiben rührte sich nichts im Hause; die Thür blieb verschlossen. Da hieß es, sich in Geduld fassen.

Den Handkorb neben sich stellend, setzte sich die Angekommene auf die grüngestrichene Bank zu Seiten der Hausthür, jedenfalls um die Heimkehr des Hausbewohners zu erwarten. Sie löste die Tuchzipfel unter dem Kinn und ließ die weiße Umhüllung über den Nacken hinabfallen. So – das war sie ja nun, vom Scheitel bis zur Fußspitze, Amtmanns eitle Magd, die auf ihre Haut nicht das kleinste Sonnenfleckchen brennen lassen wollte, wie Frau Griebel erbittert behauptete, und so zornig Herr Markus war, er mußte zugeben, daß es auch schade um diesen etwas blassen. zartleuchtenden Teint gewesen wäre; er mußte bekennen, wie schon heute Morgen bei seinem flüchtigen Einblick, daß der Kopf dort den Adel und die Anmuth der Gestalt nicht im Entferntesten verwische; sondern mit voller Harmonie ergänze. Das verdroß ihn erst recht. Es wäre ihm tausendmal lieber gewesen, sie hätte geschielt, wäre sommersprossig und plump von Zügen gewesen – „die Aparte“.

Sie strich sich das lose Haar aus der Stirn nach dem Hinterkopf, wo es, ungeflochten und zu einem dicken Knoten aufgewunden, von einem Kamm gehalten wurde; dann legte sie tiefaufathmend die gefalteten Hände in den Schoos und lehnte, augenscheinlich erquickt durch die Waldruhe ringsum, den Kopf an die Hauswand. Sie sah sorgenvoll, wenn auch nicht eigentlich gedrückt aus und war wohl auch zu lebhaft und energisch, um sich länger als für ein paar Augenblicke der absoluten Unbeweglichkeit hinzugeben.

Aus dem Korb wurde ein Päckchen genommen, aus einander gerollt, und mit prüfendem Blick über die Kniee hingebreitet – Herr Markus sah, daß es eine weiße Spitzenkante war, wahrscheinlich alter ausgedienter Putzkram vom „Gouvernantenfräulein“, der nun noch an dem weißen Halse paradiren sollte. – Die flinken Finger wendeten das mißfarbene Gewebe nach allen Richtungen, und es sah fast aus, als streifte die Rechte liebkosend d’rüber hin – dann wandte das Mädchen plötzlich den Kopf zur Seite, wickelte die Kante eiligst zusammen und erhob sich.

Ein stattlicher Mann in grünem Rock kam den Fahrweg entlang. Als er der Wartenden ansichtig wurde, beschleunigte er seine Schritte; auch sein Hund, der müde vor ihm hergetrottet war, schoß vorwärts und sprang freudebellend an dem Mädchen empor.

„Es ruht sich köstlich vor Ihrer Klause, Fritz – aber ich bin doch froh, daß Sie kommen; ich habe Eile,“ sagte sie und copirte ihre junge Dame jedenfalls bis auf die kleinste Nüance; denn in der Art und Weise, mit welcher sie den höflichen Gruß des Herankommenden erwiderte, lag so viel freundliche Würde, wie sie höchstwahrscheinlich die blaustrümpfige Amtmannsnichte dem ehemaligen Tagelöhnerjungen gegenüber herauszukehren pflegte.

„Ich habe einen dringenden Auftrag für Sie,“ fuhr sie fort. „Aber erst sollen Sie etwas Gutes bekommen,“ unterbrach sie sich und reichte ihm aus dem Korb einen kleinen Brodlaib. „Ich habe heute Brod gebacken, und es ist so herrlich ausgefallen, daß Sie auch davon essen müssen. – Das ist nun auch überwunden, Fritz, und jetzt lache ich über den angstvollen Moment, wo ich zum ersten Mal mit grenzenlos ungeschickten Fingern den Teig knetete und schließlich ein paar steinharte, schwarze Klumpen aus dem Ofen brachte.“

„Ja, damals gab’s Thränen; bei aller Standhaftigkeit,“ sagte der junge Mann mit einem gutmüthigen Lächeln. Er legte das Brod auf den äußeren Fenstersims, sah dabei aber gespannt nach dem Mädchen zurück. „Muß es wieder einmal sein? Zum Juden oder zum Goldschmied in L.?“ fragte er ohne Umschweife, jedenfalls im Hinblick auf den verheißenen Auftrag.

„Ach, Sie wissen ja am besten, daß wir beim Goldschmied längst nicht mehr anklopfen können – zum Juden müssen Sie. Bis übermorgen müssen acht Thaler geschafft werden.“

Der Mann fuhr sich wie in heller Verzweiflung mit der Hand durch das krause Haar hinter dem Ohr.

„Ja, da sehen Sie nun, Fritz! Wir haben doch gewiß aufgepaßt, nahezu wie Gensd’armen, und dabei hat es doch so, ein commis voyageur möglich gemacht, ungesehen einzudringen und ein paar Kistchen feiner Cigarren in das Haus zu schwindeln. Sie sind bis zu einem kleinen Rest aufgeraucht, und nun kommen die Rechnungen und Mahnbriefe, und heute wurde die sofortige Klage bei Gericht in Aussicht gestellt.“

„Herr Gott im Himmel, ich hab gewiß Geduld, aber mit der Zeit wurmt und ergrimmt es Einen doch, und der Aerger würgt an der Kehle, wenn man sieht, daß es so gar kein Einsehen giebt, daß fortgewirthschaftet wird, als wär’ der Geldsack noch voll, wie in guten Zeiten.“

Ein trüber Ausdruck schlich um den Mund des Mädchens. „Können wir’s ändern, Fritz?“ Sie lächelte schwach. „Da stecken Sie in jeder freien Minute die Nase in Ihre naturwissenschaftlichen Bücher und wissen nicht einmal, daß das Wasser vom Uranfang an absolut nicht zum Berg hinauf will – alte Gewohnheiten und Neigungen lassen auch nicht vom Alter –“

„Aber so ein gottsträflicher Leichtsinn bei solch einem alten Herrn –“

„Still!“ unterbrach sie ihn heftig, mit einer herrischen Geberde. „Uns Beiden kommt es nicht zu, ihn zu richten; wir haben nur seiner Güte und Fürsorge zu gedenken. Hier“ – sie rollte die Spitzenkante aus einander – „ist noch ein Werthstück, kostbare alte Spitzen! Es ist mir versichert worden, daß sie unter Brüdern mindestens zwanzig Thaler werth seien – von Baruch Mendel dürfen wir freilich nicht mehr als die Hälfte des Preises erwarten.“

„Ob er sich überhaupt damit befaßt?“ meinte der Mann achselzuckend, mit einem ungläubigen Blick nach dem unscheinbaren Gewebe. „Die zwei seidenen Kleider und den Shawl hat er wohl gekauft, aber solch windiges Zeug? Ich glaube, er lacht mich nur aus. Lieber noch ein paar silberne Löffel, mein’ ich.“

„Die letzten?“ rief das Mädchen ganz empört. „Wo denken Sie hin? Soll ich ihr einen Blechlöffel neben den Teller legen? Das geschieht nicht, so lange ich Hand und Fuß rühren kann! Sie verstehen davon nichts, Fritz,“ setzte sie ruhiger hinzu, indem sie die Kante zusammenfaltete und ihm hinreichte. „Gehen Sie nur getrost zum Juden, der versteht sich auf Spitzen wie auf Goldsachen. … Haben Sie morgen Zeit und vielleicht selbst Besorgungen in der Stadt?“

„Wenn auch nicht – den Weg mache ich trotzdem möglich; Sie wissen’s ja –“

„Ja, ich weiß es, Sie sind ein guter, kreuzbraver Mensch.“

Dieses einfache, aber in innigem Tone gesprochene Lob schien ihn verlegen zu machen. Er griff linkisch nach seiner Mütze und

[45]

Eisschießen in Altbaiern.
Originalzeichnung von G. Sundblad.

[46] zog und rückte an dem Schild. „Heute sind sie ja auch dabei, die Bahnlinie abzustecken,“ sagte er ablenkend.

„Ja – und es gab deshalb viel Sturm und Unheil bei uns, wie Sie sich denken können. Es war überhaupt ein abscheulicher Tag heute“ – sie verstummte und klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne.

„Ich glaub’s. Aber die reine Lächerlichkeit ist’s doch, daß sich der alte Herr über die Geschichten immer so ereifert. Ihm kann’s doch ganz egal sein – er erlebt’s ja doch nicht auf dem Vorwerke, daß die Schienen über den Hof laufen oder gar die Locomotive an der Hausecke vorbeisaust. Der Neue auf dem Gute wird bald genug Kehraus machen und – na, er ist in seinem Rechte.“

„Ja wohl – in seinem guten Rechte!“ bestätigte, sie hart, mit Achselzucken. „Was gehen ihn die alten Beziehungen an?“

„Du lieber Gott, ja! Was fragt so ein junger herrischer Sausewind nach einer alten Freundschaft, die er in seinem ganzen Leben nicht mitangesehen hat? Man kann’s ihm nicht einmal verdenken! Ich hab’ ihn gestern im Vorbeigehen gesehen – ein hübscher Mann, stattlich und frisch! Er hat freilich ’was Brüskes, wie es ja die Herren vom Geldsacke fast noch mehr im Wesen haben, als die von Adel – den Ton kenn’ ich als alter Officiersbursche gut genug. Er stand mit dem Pachter Griebel an der Schneidemühle, die er umbauen lassen will – na, wackelig genug ist sie!“

(Fortsetzung folgt.)





Der unterirdische Telegraphenbau des deutschen Reichs.

Am 20. November 1833 schrieb Karl Fr. Gauß aus Göttingen seinem Freunde Olbers über die von ihm und Weber zwischen der Sternwarte und dem physikalischen Cabinet hergestellte galvanische Kette, wobei er die Ueberzeugung aussprach, daß unter Anwendung von hinlänglich starken Drähten eine Verständigung zwischen Göttingen und Hannover oder zwischen Hannover und Bremen zu erzielen sei.[1] Seit diesem von der Geburt der elektromagnetischen Telegraphie Zeugniß ablegenden Briefe ist noch kein halbes Jahrhundert verstrichen, und schon sehen wir um den Erdball ein Netz telegraphischer Leitungsdrähte sich ziehen, das die kühnsten Hoffnungen damaliger Zeit bei Weitem übertrifft.

Ueberall hin sind die Drähte gezogen, über der Erde und unter derselben, und selbst durch die Tiefen der Weltmeere fanden sie ihren Weg. Die Fernen sind überwunden; Welttheil ist an Welttheil gekettet, und in ununterbrochenem Fluge trägt der elektrische Strom in Minuten Nachrichten in eine Ferne, für deren Ueberwindung sonst Monate und Jahre nöthig wären.

Anfangs folgte man dem Beispiele von Weber und Gauß, die zur Telegraphie nothwendigen Leitungen wurden oberirdisch gelegt. Bald machte sich aber das Bedürfniß geltend, den Continent mit dem handelswichtigen England telegraphisch zu verbinden, und mit ihm erwuchs der Wissenschaft eine neue Aufgabe, Telegraphenleitungen im Wasser anzulegen und hierdurch getrennte Continente mit dem europäischen Communicationsnetz zu verbinden. Ihre Lösung beschäftigte seit 1840 die Köpfe der Gelehrten, und die Frage schien ihre Erledigung gefunden zu haben, als man im Jahre 1847 in der Guttapercha eine im Wasser dauernde Substanz entdeckte, mit deren Hülfe man isolirte Drähte für die Zwecke der Telegraphie herzustellen vermochte. Aus kleinen Anfängen und Versuchen, welche man schon im Jahre 1848 mit der Anlage von Flußkabeln machte, entstanden schließlich die großen transatlantischen Linien, welche die alte und neue Welt mit einander verbinden und deren Herstellung eine Hauptepoche der modernen Culturgeschichte bedeutet.

Diesen wichtigen Culturarbeiten schließt sich unmittelbar das jüngste Vorgehen der deutschen Reichspost- und Telegraphenverwaltung auf dem Gebiete der Telegraphie an. Ihr gebührt das Verdienst, den zweiten bahnbrechenden Schritt gethan und der unterseeischen Telegraphie die unterirdische hinzugefügt zu haben. Wie so vielen anderen Ruhm, den Deutschlands Post- und Telegraphenverwaltung durch die weit über seine Grenzen hinaus wirkenden gewaltigen Schöpfungen auf postalischem Gebiete sich erworben, verdankt sie auch diesen Ruhm ihrem genialen Leiter, dem jetzigen Staatssecretär Dr. Stephan.

Der eine Theil dieses Werkes, wie ein zweites die Erde nicht aufzuweisen hat, ist zum Abschluß gebracht worden, und wie früher alle Augen auf die Ausführung der unterseeischen Kabellegungen gerichtet waren, so verfolgt auch jetzt das In- und Ausland mit hoher Spannung das dem unterirdischen Telegraphenwesen zugewandte Vorgehen der deutschen Reichspostverwaltung, und die kurze, aber ruhmreiche Geschichte dieses Vorgehens wollen wir unseren Lesern im Folgenden mitzutheilen versuchen.

Die zahlreichen und erheblichen Störungen, denen die oberirdischen Leitungen ihrer Natur nach ausgesetzt sind, hatten schon früh die Nothwendigkeit der unterirdischen Anlegung der Telegraphenleitungen erkennen lassen, und schon 1837 hatte Morse vorgeschlagen neben den oberirdischen auch unterirdische, in Röhren eingeschlossene Leitungen zu legen. Bereits 1842 wurden vom Professor Jacobi in Petersburg Leitungen in Glasröhren gelegt. In den Jahren 1848 und 1849 wurde, nachdem die Guttapercha als ein zur Isolirung der Leitungsdrähte geeigneter Körper erkannt worden, in Preußen der erste Versuch gemacht, größere Linien unterirdisch herzustellen. Allein es traten bald Störungen auf und man mußte das unterirdische Leitungssystem verlassen. Die Einflüsse des Erdbodens auf die Guttapercha waren nicht bekannt gewesen, und die scharfen Zähne der Nagethiere bei der Legung nicht berücksichtigt worden. Ohne jeden mechanischen Schutz vertraute man die umhüllten Drähte der Erde an, und da die zur Isolation verwendete Guttapercha mit Schwefel gemischt, also vulcanisirt war, so wirkte das bald auftretende Schwefelkupfer vernichtend auf die Leitung. So wurde die 1849 in Angriff genommene Linie von Berlin nach Frankfurt am Main nur bis Eisenach gebaut.

Die in Frankreich angestellten ersten Versuche ergaben dasselbe Resultat. Weder die mit Kautschuk noch die mit Guttapercha überzogenen, der Erde anvertrauten Kupferdrähte boten den äußeren Erdeinflüssen Widerstand, und selbst der im Jahre 1852 gemachte Versuch, die isolirten Drähte mit Bleiröhren zu umgeben, täuschte die gehegten Erwartungen. Seit etwa zwölf Jahren werden Leiter von Kupfer, aus sieben Litzen bestehend, die mit einer Lage Chatterton-Compound, mit einer Lage Guttapercha, wieder mit Compound und dann wieder mit einer zweiten Guttaperchaschicht umgeben und mit getheerten Hanffäden umwickelt sind, verwandt. Diese Adern werden zu einem Kabel verseilt und erhalten, wo sie in den ausgedehnten Abflußröhren der Stadt Paris aufgehängt werden, eine Schutzhülle von Bleiröhren, wo sie aber der Erde anvertraut werden müssen, einen Panzer von gußeisernen Röhren.

Auch in England wurden Versuche angestellt, die größtentheils den obigen gleichkamen, in den letzten Jahren aber von befriedigendem Erfolg waren. Man hatte dort den von Dr. W. Siemens in einer zu Anfang der fünfziger Jahre erschienenen Schrift dargelegten Gründen des Mißglückens mehr Beachtung geschenkt und auf diese Weise Erfolg geerntet.

Immerhin aber blieb die Anwendung von Kabeln noch lange auf Leitungen in größeren Städten, Eisenbahntunnels etc. beschränkt.

Vor einigen Jahren ließ sich mit Sicherheit annehmen, daß die Wissenschäft und Technik jetzt soweit vorgeschritten seien, daß man mit Zuversicht die Herstellung brauchbarer größerer, unterirdischer Leitungen in Angriff nehmen könne. Es waren die Hauptursachen des ersten Mißglückens als überwunden zu betrachten. Die Eigenschaften der Guttapercha waren erforscht; die Vulcanisirung hatte man verworfen und die richtigen Mischverhältnisse, sowie die Entwässerung der Guttapercha herausgefunden. Das Eintreten der Bildung von Schwefelkupfer, welches die Isolirung zerstört, war nicht mehr zu befürchten.

So war die Wissenschaft Herrin dieser früher widerstrebenden Elemente geworden, und in Verbindung mit der vervollkommneten Technik, welche die vorzüglichsten Maschinen erfunden hätte, um das isolirende Material concentrisch und nach allen Richtungen hin gleichmäßig um den Leiter herumzupressen, ohne den Draht zu beschädigen, durfte zu einem großen Versuch geschritten werden. Ferner hatte man durch die außerordentlich ausgedehnte Anwendung, welche die Kabeltelegraphie inzwischen gefunden hatte, [47] sowohl für die technische Herstellung und Verlegung der Kabel, wie für das Telegraphiren auf denselben Erfahrungen gesammelt. Die hauptsächlichsten Hindernisse mußten somit als überwunden betrachtet werden, und so reifte bei dem Leiter der Telegraphenverwaltung des deutschen Reiches, Dr. Stephan, der Plan, auf den großen Verkehrs- und Militärstraßen Deutschlands ein unterirdisches Telegraphennetz anzulegen um die erheblichen, stets wiederkehrenden Störungen zu beseitigen.

Eine im Sommer 1875 vom Staatssecretär Dr. Stephan nach England und Frankreich entsandte Commission, bestehend aus den Geheimen Räthen des Generalpostamtes, Elsasser und Huche, sowie dem Commerzienrath Guilleaume, die von den dortigen Erfolgen Kennntniß zu nehmen hatte, sprach sich in ihrem Berichte so günstig aus, daß dem Reichstage eine Vorlage behufs Genehmigung einer Anleihe zum Zwecke der Herstellung einer unterirdischen Leitung zugehen konnte.

Nicht ohne vorherigen schweren Kampf wurden dem damaligen Generalpostdirector Dr. Stephan die zur Ausführung des gefaßten Planes erforderlichen Mittel vom Reichstage bewilligt, und im Frühjahr 1876 konnte mit der Ausführung der Versuchslinie Berlin-Halle begonnen werden; schon am Juni wurde das Kabel in das Berliner Haupttelegraphenamtsgebäude eingeführt. Es war somit eine Linie von circa 170 Kilometer im Laufe eines Vierteljahres betriebsfähig hergestellt worden.

Da diese Versuchslinie, ausgeführt von der Firma Fellen und Guilleaume in Köln, ein glänzendes Ergebniß geliefert hatte, wurde sofort die weitere Ausführung des Gesammtplanes mit Nachdruck betrieben. Im Anschluß an die Berlin-Halle'sche Linie sollte zunächst über Kassel und Frankfurt am Main die Linie bis Mainz weiter ausgebaut und Leipzig mit Halle verbunden werden, demnächst aber mit Legung einer neuen Linie von Berlin über Hamburg und Altona nach Kiel, nach der Elbmündung, Kielerhafen etc. begonnen werden. Die diesbezüglichen Vorlagen wurden vom Reichstage genehmigt. Am 1. März 1877 wurde nach Beendigung der erforderlichen Vorbereitungen das Werk begonnen, und schon am Juli konnten, dank der Umsicht und Energie der bauleitenden und ausführenden Beamten, die Arbeiten durch die Versenkung des Rheinkabels bei Mainz vollendet werden Eine unterirdische Telegraphenlinie, sieben Leitungen umfassend, jede von mehr als achtzig geographischen Meilen Länge, war damit geschaffen worden: die erste von dieser Ausdehnung auf der Erde.

Die bei diesem Bau gesammelten Erfahrungen wurden sofort für die Vorbereitungen weiterer Linien verwerthet, und so konnte unaufgehalten der Ausbau des in Aussicht genommenen unterirdischen Telegraphennetzes von Jahr zu Jahr weitergeführt werden. der nunmehr für die westliche Hälfte unseres Vaterlandes zum vorläufigen Abschluß gebracht worden ist.

So erstrecken sich denn die seit 1876 geförderten Anlagen der unterirdischen Linien auf nahezu 4000. Kilometer in den Richtungen. 1) von Berlin über Halle und Kassel nach Frankfurt am Main und Mainz, 2) von Halle nach Leipzig, 3) von Berlin nach Hamburg, 4) von Hamburg nach Kiel, 5) von Berlin nach Köln über Magdeburg, Braunschweig, Hannover, Minden, Münster, Wesel und Düsseldorf, 6) von Köln nach Elberfeld und Barmen, 7) von Frankfurt am Main nach Straßburg im Elsaß über Darmstadt, Mannheim, Karlsruhe, Rastatt und Kehl, 8) von Hamburg nach Cuxhaven, 9) von Hamburg über Bremen nach Emden mit Abzweigungen nach Bremerhafen und Wilhelmshafen 10) von Köln nach Coblenz, Mainz-Coblenz und Coblenz-Trier-Metz, 11) von Metz nach Straßburg und 12) von Berlin nach Dresden.

Die meisten dieser Linien zählen sieben, einige vier Leitungen, und es beträgt die Gesammtlänge der unterirdischen Leitungen circa 30,000 Kilometer, wovon auf die längste Linie, von Kiel nach Straßburg, allein 8500 Kilometer Leitung entfallen.

Im vorigen Jahre ist der Bau der Linien Berlin-Frankfurt an der Oder-Breslau, Berlin-Müncheberg (Theilstrecke der künftigen Linie Berlin-Küstrin-Posen-Thorn) und Berlin-Stettin in Angriff genommen, wovon bereits die Linien Stettin-Colberg-Danzig-Königsberg und Müncheberg-Küstrin-Posen-Thorn vor Kurzem vollendet wurden, demnächst ist aber die Weiterführung der Linien von Königsberg bis zur preußisch-russischen Grenze bei Eydtkuhnen und von Breslau bis zur preußisch-ästerreichischen Grenze bei Oderberg in Aussicht genommen.

Voraussichtlich wird in diesem Sommer der Hauptplan zur Schaffung des unterirdischen Telegraphennetzes verwirklicht und damit ein ruhmvolles Blatt in der Telegraphengeschichte des deutschen Reiches gefüllt sein.

Bevor wir uns der Schilderung der Arbeiten bei Verlegung des Kabels zuwenden, mag hier noch eine Beschreibung des zur Verwendung gelangenden Kabels einen Platz finden.

Die fünfundzwanzigjährigen Erfahrungen der Reichstelegraphenverwaltung mit den bei sehr verschiedenartigen Bodenverhältnissen verlegten Erdkabeln, welche als Zwischenglieder oberirdischer Telegraphenlinien dienen, waren von Haus aus bestimmend dafür gewesen, daß man sich entschloß, die mit Guttapercha isolirten und mit einer Armatur von eisernen Schutzdrähten zu einem Kabel geformten Leitungsdrähte als das allein geeignete Material zu wählen.

Eine technische Commission entschied sich in ihrem Gutachten für Herstellung des kupfernen Leiters, bestehend aus einer Litze von sieben Kupferdrähten von 0,6 Millimeter Durchmesser. Das Kabel sollte sieben solcher durch Guttapercha isolirter Leitungen umfassen, die Litzen eine doppelte Guttaperchahülle erhalten und mit zwei Chatterton-Compound derart umpreßt sein, daß die erste Lage Chatterton-Compound zwischen der Kupferlitze und der diese zunächst umgebenden Guttaperchaschicht, die zweite zwischen den beiden Guttaperchaschichten aufzubringen sei. Die Stärke der einzelnen isolirten Drähte war auf fünf Millimeter, die Stärke der Umspannung mit getheertem Hanf auf siebenzehn Millimeter bestimmt, während die Schutzhülle der Kabel aus sechszehn verzinkten Eisendrähten von je vier Millimeter Durchmesser zu bestehen, auf je fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig Centimeter Kabellänge einen Umgang um das Kabel zu bilden und vollständig dicht zu schließen hatte. Außerdem sollte das Kabel einen Ueberzug aus eingedicktem, creosotfreiem Steinkohlentheer erhalten und hiermit unmittelbar nach dem Verlegen umgeben werden. Die Länge der einzelnen Kabelstränge sollte 800 Meter betragen, wovon jedoch später abgegangen wurde, indem die Lieferung der Kabel in Längen von 1000 Metern sowohl von den Liferanten Felten und Guilleaume, wie von Siemens und Halske ausgeführt wurde.

Waren obige Punkte für das Kabel der Versuchslinie in Berlin-Halle maßgebend gewesen, so wurden auch für die neuen Kabel im Wesentlichen diese Grundsätze beibehalten; nur in einigen unwesentlichen Punkten gestattete man sich Abweichungen. Außerdem wurden die Siemens’schen Kabel schon vor der Verlegung mit einer Asphaltcomposition versehen, deren nähere Beschreibung die Leser im „Archiv für Post und Telegraphie pro 1877 und 1878“ finden

Die verwendeten Kabel sind theils in deutschen, teils in englischen Fabriken gefertigt worden. Während die Unternehmer Felten und Guilleaume die fertigen Kabeladern aus England beziehen und demnächst auf denselben Taue in ihrem großartigen Etablissement zu Mülheim am Rhein fertigen, fabriciren die Unternehmer Siemens und Halske, nachdem sie anfangs die fertigen Kabel von dem Hause Siemens Brothers in Woolwich bezogen haben, dieselben in ihren eigenen Fabriken in Berlin.

Wenden wir uns nunmehr der Kabellegung selbst zu! Zuerst sei erwähnt, daß die Frage, ob das zu erbauende unterirdische Telegraphennetz im allgemeinen den Eisenbahnen folgen solle oder im Zuge der großen Landstraßen herzustellen sei, zu Gunsten der letzteren Meinung entschieden wurde. Fast allenthalben wurde das Kabel in den Sommerweg dieser Straßen, in geringer Entfernung von der Steinbahn, verlegt. Auf den mit Sommerwegen nicht versehenen Straßenstrecken liegt das Kabel im Fußgänger-Bankett, in den Ortschaften mit gepflasterten Straßen im Straßendamm, etwa dreiviertel Meter vom Rinnstein entfernt.

Der Vertrag mit den Unternehmern bedingte die Verlegung des Kabels in einer Tiefe von einem Meter unter der Erdoberfläche. Es ist also die Ausschachtung eines Grabens von dieser Tiefe und nach Einlegung des Kabels die Wiederfüllung desselben erforderlich, woraus sich die Notwendigkeit der Bildung zweier größerer Erdarbeiter-Colonnen ergiebt, die durch eine kleinere, die Auslegung des Kabels etc. bewirkende Arbeiter-Abtheilung getrennt sind.

Einige Vorarbeiter an der Spitze der vorderen Colonne bewirken die nach vorheriger Anweisung erfolgende Absteckung des Kabelgrabens durch Einschneiden der beiden parallelen Kantenlinien desselben in die Oberfläche der Straße. In vorgeschriebener Tiefe heben dann die unmittelbar folgenden Arbeiter den Graben, bei thunlichst geringer Breite, aus. Die Arbeit geht rasch vorwärts, [48] und es wird uns versichert, daß täglich bei gewöhnlicher Bodenbeschaffenheit fünf bis sechs Kilometer Graben ausgeschossen werden.

In einiger Entfernung hinter dieser Colonne vollzieht sich die Versenkung des Kabels, indem dasselbe von dem tief zur Erde, in einer gekröpften hintern Achse hangenden Verlegungswagen, mittelst einer einfachen Vorrichtung während des Vorrückens des Wagens abgewickelt und je nach der örtlichen Verschiedenheit entweder zunächst neben dem Graben ausgelegt oder sogleich auf die Sohle desselben versenkt wird. Um der beim Abrollen des Kabels eintretenden ziemlich bedeutenden Spannung entgegenzuwirken, müssen die Wagen sich in schlangenförmiger Bahn bewegen. Das abgerollte asphaltirte Kabel wird zum Graben hinübergetragen und ohne Spannung versenkt. Unmittelbar darauf erhält es zum Schutz gegen Sonne etc. eine Decke von circa zehn Centimeter steinfreier Erde oder Sand. Die Zuschüttung des Grabens und die Wiederherstellung der Straße werden von der zweiten Erdarbeiter-Colonne bewirkt.

Dort, wo Brückenmauerwerk durchschnitten ist, kann die Zufüllung des Grabens selbstredend erst nach geschehener Wiederaufmauerung des Bauwerkes erfolgen. Die hierzu erforderlichen sachverständigen Arbeiter und die Materialien, als Kalk, Cement etc., werden nach Maßgabe des Bedarfs mitgeführt.

Eine zeitraubende, schwere Arbeit giebt es dort, wo der Straßenkörper durch das Mauerwerk von Brücken, Wasserdurchlässen und ähnlichen regelmäßig wiederkehrenden Baulichkeiten unterbrochen wird. Hier muß das Kabel im oder unter diese Mauer verlegt werden. Erhebliche Hindernisse bieten die zu überschreitenden großen Wasserläufe. Wo Brücken vorhanden und diese es gestatten, schließt sich das Kabel dem Mauerwerk an, ist dieses aber nicht statthaft, so werden Flußkabel von einer der Stärke des Stromes, seinem Eisgange und der auf ihm sich bewegenden Schifffahrt entsprechenden Beschaffenheit verwandt. Mittelst Prahmen, Fähren oder Dampfschiffen wird die Verlegung bewirkt.

Von größter Wichtigkeit bei der Anlage unterirdischer Linien ist die gute Verlöthung und Verbindung der einzelnen Kabeltaue beziehentlich Kabeladern mit einander. Löthstellen, welche nicht auf das Sorgfältigste hergestellt worden sind, verlieren mit der Zeit ihre Isolationsfähigkeit und sind eine Quelle dauernder Uebelstände für den Betrieb der Linie. Auch hier sind die Unternehmer den Aufgaben gerecht geworden, und einige vortrefflich, geschulte Leute, bei Felten und Guilleaume aus der englischen Guttapercha-Compagnie führen diese schwierige Arbeit mit größter, gleichmäßiger Sorgfalt aus.

Nach Fertigstellung jeder Löthstelle wird dieselbe auf Isolationsfähigkeit untersucht und sowohl hierzu, wie zur Untersuchung der Leitung auf Arbeitsfähigkeit wird ein Untersuchungswagen mitgeführt. Ein Feldtelegraphenapparatsystem ermöglicht die unausgesetzte telegraphische Verständigung mit dem nächsten Telegraphenamt, dessen dauernde Mitwirkung bei den elektrischen Messungen nicht entbehrt werden kann.

Sind die Messungen vorgenommen, ist die Isolationsfähigkeit geprüft und auch die bis dahin zum Zwecke der Ausführung dieser Untersuchungen freigebliebene siebente Ader der Isolirschicht umgeben, so wird das Ganze mit einer Muffe, der sogenannten Löthmuffe, umhüllt, und damit ist die Herstellung der Löthstelle beendet.

Der Hauptgrund, weshalb man den oberirdischen Telegraphenbau verlassen und zu dem unterirdischen übergehen zu müssen glaubte, lag bekanntlich, in den vielfachen Störungen, die bei dem oberirdischen System geradezu unvermeidlich waren. Drahtbrüche, u. dergl., wodurch oft tagelang der Betrieb der Leitungen gestört wird, waren unter der Erde nicht zu befürchten, und die Gefahr, daß die Hauptcentren des Verkehrs, Städte wie Berlin, Wien und Paris, mehrere Tage hinter einander vollständig von jedem telegraphischen Verkehr ausgeschlossen waren, wurde beseitigt. Die einzigen Bedenken gegen den Ersatz der oberirdischen Telegraphen durch unterirdische bestanden darin, daß man befürchten mußte, die Auffindung der schadhaften Stellen der unterirdischen Leitungen würde viel längere Zeit in Anspruch nehmen, als dies bei den oberirdischen der Fall ist. Doch seit man Meßinstrumente erfunden, durch deren Anwendung man mit absoluter Bestimmtheit den Ort finden kann, wo das Telegraphenkabel eine etwaige schadhafte Stelle hat, schwanden auch diese Bedenken, und mit Ruhe konnte der Bau in Angriff genommen werden. Einen sprechenden Beweis für die Sicherheit der Meßinstrumente liefert ein in den ersten Tagen der Inbetriebsetzung des Berlin-Kölner Kabels vorgekommener Störungsfall, wo plötzlich der elektrische Strom den Dienst versagte. Man ermittelte durch die zur Stelle befindlichen Meßinstrumente den schadhaften Punkt, und auf telegraphische Anweisung, diesen Ort zu untersuchen, wurde festgestellt, daß an dieser Stelle Kirmeßbuden errichtet waren und zur Befestigung einer derselben ein eiserner Pfahl in die Erde getrieben war, – der das Kabel so unglücklich traf, daß der Strom unterbrochen werden mußte. Innerhalb weniger Stunden hatte man also auf bedeutende Entfernungen die schadhafte Stelle des Kabels festgestellt und den Schaden selbst gehoben. Die Erfahrungen, die seitdem gesammelt worden sind, bestätigen die Zuverlässigkeit des unterirdischen Telegraphenkabels.

Wie schon gesagt, ist im verflossenen Jahre für den Westen unseres Vaterlandes das Werk zum Abschluß gebracht worden, und es bedarf wohl keines Nachweises über die große Bedeutung desselben sowohl für die Interessen des Staates, wie für die der Völker. Wir haben Störungen im Telegraphenbetriebe, wie sie noch bisher sich jeden Winter wiederholten, nicht mehr zu befürchten. Die Nachrichten werden keinen Augenblick mehr aufgehalten; unsichtbar, doch rastlos, wirkend, durchfliegt der elektrische Funke den der Erde anvertrauten Draht, hierhin frohe Nachrichten, dorthin Trübsal bringend, doch zum Heil des Volkes und Vaterlandes nach jeder Richtung hin seine Schuldigkeit verrichtend.

W. Lülling.





Aus der argentinischen Provinz Mendoza.

Reiseskizzen von A. Goering.

Wir befanden uns in der Provinz Mendoza. Je mehr wir uns der am Fuße der Cordilleren liegenden gleichnamigen Hauptstadt nähern, desto häufiger werden die Niederlassungen und desto höher steigen die majestätischen Gebirgsmauern mit ihren ewig in Schnee gehüllten Häuptern empor. Schon aus weiter Ferne, als wir uns noch in der Provinz San Luis befanden, erblickten wir bei Sonnenuntergang den ungemein malerisch geschnittenen Gebirgszug, und mit immer neuer Bewunderung staunten wir das großartige Landschaftsbild an. Wie eine ferne Meeresküste erschien uns aber dieses Gebirge, wenn am frühen Morgen sich eine dichte Nebeldecke über die Ebene breitete; so flach und gleichmäßig lag sie über der Landschaft, daß hier und da größere Baumgruppen und Häuser inselartig aus derselben hervorleuchteten. Schon lange bevor die kühle Morgendämmerung auf der Ebene der wärmenden Sonne gewichen war, strahlten die mächtigen Bergkolosse in hellem Glanze und spiegelten ihre immer wechselnden prächtigen Farben zitternd im Nebelmeer. Wie hingehaucht und schwimmend auf den graublauen Nebelfluthen, erschien eine gewaltige Gebirgswelt gleich einem Märchen, hervorgezaubert durch die allbelebende Sonne. Immer klarer wurden die Formen, und immer deutlicher gestalteten sich die Einzelheiten des großen Gemäldes, bis endlich mit dem vollen Sonnenlicht, welches nun auf die Ebene fiel, der Nebel sich theilte und die ganze großartige Landschaft, wie zur Wirklichkeit geworden, frei vor uns lag.

Die zwischen 1600 und 1700 geographische Quadratmeilen umfassende Provinz Mendoza hat nur ungefähr 80,000 bis 90,000 Einwohner. Das noch uncultivirte Land ist hauptsächlich mit dornigen Mimosenbüschen und verschiedenen Cactusarten bedeckt, welche der Gegend einen höchst eigenthümlichen Charakter verleihen. Auch alle andern hier wachsenden Pflanzen sind knorrig gewachsen und kleinblättrig und haben nirgends das üppige dichte Laubwerk, wie die meisten Pflanzen der Tropenzone. Myrtenartige, niedrige Gewächse bedecken namentlich südlich von der Stadt oft weite Strecken; dann folgen wiederum Mimosenhecken, niedrige und hohe, oft prachtvoll blühende Cactusformen, welche zusammen auf sandigem trockenem Boden ein hier und da undurchdringliches Dickicht bilden. Eben mit solchem Pflanzenwuchse bedeckte Sanddünen (Mendanos) erheben sich da und dort wie kleine [49] runde und niedrige Inseln aus der Ebene. Sümpfe und Lagunen, einige von bedeutender Ausdehnung, vertheilen sich im Lande, und eine Anzahl unschiffbarer Flüsse durchkreuzt die Gegend.

Ein Ritt durch dieses Buschland, welches im Norden der Stadt die größte Ausdehnung hat und fast ununterbrochen bis nach San Juan reicht, ist im höchsten Grade anstrengend und ermüdend. Kein Schatten schützt vor der brennenden Sonne; ein graugelber Staubmantel deckt sich über die knorrige, dornige und stachlige Pflanzenwelt, und kein erfrischender Regentropfen scheint diese Gegend jemals benetzt zu habend denn ein fast immer klarer Himmel spannt sich über die regenlose Wüste.

Ermüdet steigt der durstige Reisende vom Pferde, um sich durch den Genuß ewiger Tunas (indianische Feigen) zu erfrischen, welche die stachligen Cactusarten spenden, um so freudiger aber begrüßt er nach langem Ritte durch diese Travesias die frischen

Condormahl in den Cordilleren.
Nach der Natur gezeichnet von A. Goering.

Früchte und Wasser spendenden Niederlassungen in der Umgebung der Flüsse und Lagunen. Zwei Flüsse sind es besonders, welche für die Cultur der Provinz Mendoza von größter Wichtigkeit sind, der Rio Tunuyan und der Rio de Mendoza, welche beide in der nahen Cordillere entspringen. Vermittelst geschickt angelegter Canäle, welche netzartig durch die Gegend gezogen sind, werden die Felder und Gärten zeitweilig, je nach Bedürfniß, überschwemmt. Der Boden verbessert sich durch diese künstliche Bewässerung fortwährend, und so hat man dem ursprünglich unfruchtbaren Boden die ergiebigsten Ländereien abgerungen.

Fast mitten in dem üppigen Grün der alle südeuropäischen Früchte erzeugenden Oase liegt die seit dem großen Erdbeben von 1861 neu aufgebaute Provinzialhauptstadt Mendoza, welche einen der bedeutendsten Handels- und Verkehrsplätze zwischen Argentinien und Chili bildet. Es gewährt einen Hochgenuß, die cultivirte Umgebung der Stadt zu durchstreifen, ein Genuß, der durch das freundliche Entgegenkommen der Bewohner, welche meistens aus spanischen Creolen und Mischlingen von diesen und Indianern bestehen, noch bedeutend erhöht wird. Die das bebaute Land vielfach kreuzenden Straßen und Wege sind größtenteils mit sehr eng an einander stehenden, schlanken italienischen Pappeln bepflanzt, zwischen denen üppige Rosenstöcke zu einer bedeutenden Höhe emporwachsen, sodaß man oft hoch oben in den Zweigen der Pappeln eine Fülle prachtvoll blühender Rosen erblickt, welche im Verein mit den mannigfaltigen Blüten der Fruchtbäume einen wunderbaren Duft verbreiten. Neben der Straße ist fast stets ein Graben gezogen, dessen fließendes, wenn auch meist trübes Wasser nicht selten die Verkehrswege überschwemmt, da schadhafte Stellen der Gräben nur im höchsten Notfalle ausgebessert werden. So kommt es häufig vor, daß man gezwungen ist, durch künstliche Lagunen zu reiten oder dieselben zu Fuß zu durchwaten. Doch Letzteres kann nur ausländischen Jägern passiren, da alle Einheimischen reiten. Selbst dem ärmsten Manne fehlt Pferd, Maulthier oder Esel nicht, und er blickt mit einer gewissen Verachtung auf den ausländischen Fußgänger. Oft bin ich dort von berittenen Bettlern um eine Gabe angesprochen worden.

Einen unvergeßlichen Eindruck machten mir die großen Weingärten (Viñas), der Stolz der Bewohner von Mendoza. Die an Pfählen und Querstangen wuchernden Reben bilden große, üppige, manchmal mühsam zu durchdringende Lauben, deren prachtvolle Trauben den besten Italiens nicht nachstehen sollen. Rosinen werden vielfach ausgeführt, und der dort bereitete Wein ist von besonderer Güte, dem besten Burgunder ähnlich.

Von großer Wichtigkeit sind ferner die Luzernfelder, nicht allein für die einheimische Viehzucht, sondern auch für die Rinder, Pferde, Maulthiere und Esel, welche aus den Pampas über Mendoza nach Chili getrieben werden. Bevor die Thiere die schwierige und oft gefahrvolle Reise dahin antreten, werden sie längere Zeit in den Luzernfeldern gehalten, um sich durch kräftige [50] Nahrung zu stärken; ohne diese Station würden sie kaum die Märkte von Chili in brauchbarem Zustande erreichen.

In den Sumpfgegenden des Landes tummeln sich dagegen Hunderte und Tausende von Pferden und Rindern in halb wildem und zum Theil in verwildertem Zustande. Ställe giebt es nicht, und die Thiere werden zur Auswahl nur in Umzäunungen getrieben, welche immer in der Nähe der Niederlassungen angebracht sind.

Das beigegebene Bild (Seite 53) veranschaulicht eine solche Sumpfgegend südlich von Mendoza, diejenige bei de San Carlos, in deren Nähe Mais-, Weizen- und Luzernfelder eine freundliche Abwechselung in die Landschaft bringen, welche außerhalb der Lagunen und der Sumpfstrecken mit der erwähnten Buschvegetation bedeckt ist. Den Hintergrund schließt ein Theil des imposanten Cordillerenzuges mit dem 23,000 Fuß hohen Gipfel Aconcagua. Diese wasserreichen Sümpfe sind die Sammelplätze von Tausenden der verschiedensten Wasser- und Sümpfvögelarten, von denen sich die prachtvollen Flamingos, die rothen Löffler, Ibisse, Reiher, Störche und schwarzhalsigen Schwäne am meisten hervorheben; letztere, die fast in keinem unserer zoologischen Gärten fehlen, traf ich nur in Gesellschaften von drei bis vier Stück an.

Bei meinen Ausflügen in diese Sümpfe begleitete mich stets ein junger Pampas-Indianer. Wir waren Beide zu Pferde und ritten jeden Tag ein anderes, da die Rosse am Morgen erst aufgefangen wurden. Es gehört genaue Kenntniß der durch die Sümpfe führenden Pfade dazu, und nur mit größter Vorsicht kann man sich gerade dahin wagen, wo die meisten Vögel sich zusammenfinden. Mein Indio manso (zahmer Indianer) wußte indessen immer Rath zu schaffen und leistete mir bei der Jagd ausgezeichnete Dienste. Hatten wir einen günstigen Punkt gefunden, so stieg ich ab und drückte mich in das Schilf oder Gestrüpp, oder war das nicht vorhanden, so legte ich mich flach auf den Boden. Mein Indio duckte sich nun auf seinem Pferde so zusammen, daß er von den in noch bedeutender Ferne befindlichen Vögeln nicht gesehen werden konnte.

Langsam und in großem Bogen näherte er sich den Reihern, Ibissen oder Flamingos und führte, in entgegengesetzter Richtung von mir, die Pferde auf die Vögel los; bald setzten sich diese in Bewegung und marschirten auf mich zu. So gelang es oft, einen erfolgreichen Schuß abzugeben, wenn die Vögel nahe genug heran gekommen waren. Auf andere Weise war die Anschleichung schwierig, da nirgends Gebüsch oder Schilf genügendes Versteck gewährten, und die besten Vögel sich auch vorsichtig auf weiten, offenen Flächen aufgestellt hatten. Es kam noch dazu, daß der dortige Kiebitz bei unserm Anblick stets in größte Aufregung geriet und, über dem Jäger kreisend, durch sein unaufhörliches gellendes Geschrei die anderen Vögel stutzig machte, sodaß diese in der Regel das Weite suchten.

Während die dort so häufig vorkommenden Wasser- und Sumpfvögel zum großen Theil über die ganze Argentina und viele über ganz Südamerika verbreitet sind, leben in dem trockenen Buschlande viele Vögel, die dieser Gegend und zum Theil der Nachbarrepublik Chile eigenthümlich sind. Sie sehen meist grau und braun aus wie die Landschaft, und nur wenige buntfarbige finden sich unter den immerhin zahlreichen Arten, von denen die durch ihre Farben auffallendsten als Zugvögel gelten dürften.

Oft hört man im dichten Gebüsche einen kurzen, ziemlich lauten Lockton, von welchem man im Augenblick nicht weiß, ob er von einem Säugethiere oder einem Vogel stammt, bis man endlich nach langem Suchen entdeckt, daß er von einem einfach gefärbten Vogel, der nicht viel größer ist als eine Nachtigall, herrührt. Ungemein schnell läuft das kleine zierliche Thier über die Lichtung, um im Verstecke eines andern Busches seine Locktöne zu wiederholen. Der Vogel trägt den langen Schwanz aufrecht nach Art unseres Haushahns, und seine ganze Gestalt ist diesem ähnlich. Die Eingeborenen nennen ihn bezeichnend Gallito (Hähnchen).

Die in Höhlen, an steilen Abhängen nistenden Lorros (Conurus patagonicus) ziehen oft in großen Schaaren über uns hinweg und fallen verheerend in die Maisfelder ein. Es ist dies die größte hier vorkommende Papageienart, ungefähr halb so groß wie der rothe Ara, und hat in der Form Aehnlichkeit mit diesem. Zuweilen stößt man auf ein Rudel Emus, amerikanischer Strauße, welche eilig das Weite suchen. Die Eier dieser Vögel sind sehr beliebt, und mit dem Schalen derselben schmückt man gern die Umzäunungen; ich zählte einmal in Uruguay über siebenzig solcher Eierschalen auf den Spitzen der Zaunpfähle. Auch traf ich so aufgesteckte Pumaschädel, die den erlegten Räubern abgeschnitten worden waren, aber wenn ich ein Angebot machte, dieselben zu kaufen, erhielt ich von den Besitzern stets abschlägige Antwort, da sie glaubten, daß sich durch Aufpflanzung dieser Schädel die Pumas von neuen Raubanfällen abhalten lassen.

Hier und da sieht man auf den Algarrobobüschen eine prachtvoll rothblühende Schmarotzerpflanze, welche oft die ganze Krone des Busches bedeckt. Sie bildet immer den Anziehungspunkt eines der schönsten aller bekannten Colibris (Sparganura sappho), welcher besonders im April nicht selten vorkommt und hier nur Zugvogel zu sein scheint. Er ist metallgrün, sein Rücken hochroth, und die sechs Zoll langen Schwanzfedern auf der Oberseite leuchten goldfarbig. Ein selten schöner Anblick ist es, diese reizenden Thierchen vor den Blüthen summend schweben, pfeilschnell durch den Busch fliegen und sich gegenseitig verfolgen zu sehen. Bei Sonnenbeleuchtung scheint alsdann ein Feuerfunken durch die Lust zu zittern. Staunend stand ich dort, als ich den ersten erblickte, und vermochte nicht zu schießen und so dem harmlosen Treiben des kleinen Vogels ein Ende zu machen.

Das Thierleben in Mendoza ist mannigfaltig. Oft glaubt man in der schweigenden Natur keinen Laut zu vernehmen. Plötzlich hören wir dumpfe, eigenthümliche Töne wie „Tultuck, Tultuck“ unter uns, dann neben uns, dann weiter entfernt, bis wir entdecken, daß sie unterirdisch sind. Diese unheimliche Unterbrechung der Ruhe in der Landschaft stammt von einem unter der Erde lebenden Nagethier von der Größe unserer Hausratte, vom Tultuco der Eingeborenen her.

Und solche unterirdische Stimmen hat Mendoza noch mehrere aufzuweisen. Bei Einbruch der Dämmerung vernimmt man ein lautes Grunzen und Belfern unter seinen Fußen; es deutet an, daß die Viscachas rege werden und im Begriffe sind, ihre unterirdischen Wohnungen, welche aus vielen Gängen bestehen, zu verlassen. Vorsichtig halten sie sich zunächst an ihren Eingängen, ehe sie ihre nächtlichen Streifereien beginnen. Ich schoß mehrere dieser großen Nagethiere, welche ihre Wohnungen mit einer unserem Waldkäuzchen ähnlichen Eule theilen, auf dem Anstande vor dem Baue, erhielt aber kein solches, weil sie, wenn auch augenblicklich todt, von ihren Cameraden in die Höhle gezogen wurden. Die Besitzer der Estancias, in deren Nähe oft weite Strecken von den Viscachas unterwühlt sind, versuchten, die fatalen Minirer durch Wasser aus ihrer Nähe zu vertreiben. Vermittelst einiger Gräben wurde Wasser in die Baue geführt, doch dauerte es lange, ehe wir eine Wirkung wahrnahmen. Endlich erschienen einige Viscachas, schon durchnäßt, an der Oeffnung, fuhren aber sofort zurück, als sie die aufgestellten Jäger und Hunde erblickten. Wer höher und immer höher stieg das Wasser und jetzt mußte die Ueberschwemmung eine vollständige sein; denn plötzlich stürzten sie verzweifelt an’s Tageslicht. Einige wurden durch Schüsse niedergestreckt, und wüthend stürzten sich die hungerigen Hunde auf die überraschten Thiere; es kam zum Kampf; denn die Viscachas hoben sich und vertheidigten sich mit ihren großen Nagezähnen, doch schließlich unterlagen sie, nur wenige retteten sich durch die Flucht in Erdlöcher.

Mit vielem Eifer verfolgen die Eingeborenen die ebenfalls unterirdisch lebenden Gürtelthiere, welche sehr wohlschmeckende Braten liefern, wie hier auch das seltenste aller Gürtelthiere, der kleine Pichiciego, gefunden wird.

Während unserer Viscachajagd umkreisten uns verschiedene Raubvögel, und hoch in den Lüften, zuweilen dem schärfsten Jägerauge unsichtbar, schwebte der Condor, dessen nahe Heimath, die Kordilleren, zu einem Besuche locken. Doch wir erreichten nur die ersten Ausläufer dieser großartigen Gebirgswelt, deren schluchten- und thälerreiches Innere ein anderes Thierleben birgt, als die weite meerähnliche von uns durchzogene Ebene. Schon beim Ersteigen der ersten Vorberge erblickten wir mehrere Rudel Guanacos, einer schönen Llama-Art, welche uns von ihrem hohen Standpunkte aus neugierig betrachteten. Und als wir eine Höhe von gegen 4000 Fuß erklettert hatten, wurde uns das Glück zu Theil, ein Condormahl zu belauschen. Ein gefallenes Guanaco blutete unter den Krallen und kräftigen Schnäbeln der um ihre Beute kämpfenden Riesengeier (vergl. Abbildung auf Seite 49). Immer mehr und mehr dieser gewaltigsten aller Vögel senkten sich herab aus schwindelnden Höhen auf die streitende Gruppe, [51] und in kurzer Zeit war, unter furchtbaren Kämpfen und Flügelschlägen, das Opfer zerrissen. Doch lange noch dauerte der Kampf um die einzelnen Theile, bis ein scharfer Schuß die gierigen Geier aus einander scheuchte.

Der nahende Abend mahnte uns zur Rückkehr nach der tief unter uns sich ausbreitenden, sanft nach Osten sich neigenden Ebene. Eine großartig erhabene Umgehung: hinter uns die immer höher ansteigenden kahlen Bergmassen mit ihren zerklüfteten Wohnungen der Bergviscachas und den spärlich bewachsenen Weiden der vom Puma und Jaguar verfolgten Guanacos und vor uns in der Tiefe die scheinbar unendliche meerähnliche Fläche von Mendoza, welche, wie andere argentinische Provinzen, eine große Zukunft haben mag, wenn durch einwandernde Europäer der Ackerbau noch zu höherer Blüthe gebracht wird.

Wenn die Natur auch dort bei Weitem weniger bietet als in den nördlich liegenden Tropenländern, so tritt dem Wanderer doch so viel Eigenthümliches und Interessantes entgegen, daß unsere Skizze nur einen flüchtigen Ueberblick gewähren konnte.




Hitze und Kälte.
Eine naturwissenschaftliche Plauderei.

„Wie heiß muß es erst in den heißen Ländern sein!“ so rufen wir wohl aus, wenn wir bei einer Temperatur von über 20° R. im Schatten schwitzen, und fühlen uns getröstet durch den Gedanken, daß es anderwärts noch wärmer sei als bei uns. Wo aber auf der Erde ist die Hitze am größten? Nach der landläufigen Ansicht unter dem Aequator; denn dort hat ja die Sonne – mach eben diesen Meinungen – die Menschen bereits in „Schwarze“ umgefärbt. Wie aber nachgewiesenermaßen die Färbung des menschlichen Körpers nicht direct von der Bestrahlung der Sonne, also nicht von der Entfernung vom Aequator abhängig ist, so ist auch von der Wissenschaft bereits festgestellt worden, daß die heißesten Punkte der Erdoberfläche nicht unter dem Aequator liegen, sondern gegen zweihundert geographische Meilen und darüber nach Norden wie nach Süden vom Aequator entfernt. Der Grund dafür, daß die Gegend am Aequator, der Palmengürtel, nicht die höchsten Thermometerstände zeigt, liegt darin, daß diese Zone mit täglichen Niederschlägen ausgestattet ist, durch jeden Regen aber wird die Atmosphäre erheblich abgekühlt; es wird ihr ferner Verdampfungswärme entzogen und endlich durch die Vegetation, die in Folge des reichlichen Regens üppig den Boden überzieht, eine so bedeutende Erwärmung des letzteren und damit der Luftschichten unmöglich gemacht, wie in pflanzenleeren Gegenden. So kommt es denn auch, daß an Gebirgen in der Nähe des Aequators die Schneegrenze weiter herabreicht, als an Gebirgen, die fünfzehn bis zwanzig Breitengrade vom Aequator entfernt sind.

In den wüsten Gegenden der Erde, die in der geographischen Breite von 18 bis 30° anzutreffen sind, dürfen wir somit die heißesten Punkte vermuthen, und in der That hat man dort die größten Wärmemengen gemessen.

In Murzuk (Oase Fezzan) wurde als Maximum der Luftwärme 45° R. beobachtet; der Wüstensand zeigt noch höhere Temperaturen, bis 56° R.; hier ist, wie ein arabisches Sprüchwort sagt, die Erde Feuer und der Wind Flamme. In Australien zeigte das Réaumur-Thermometer bis 43,3°, in Arabien bis 42°, und die Hitze des Hochlandes von Iran, speciell der Provinz Siwistan (im südöstlichen Afghanistan), wird durch einen persischen Vers bezeichnet, den die Afghanen häufig citiren: O Gott, da du Siwistan hattest, warum machtest du die Hölle? Als unerträglich heiß wird auch das Pendschab bezeichnet, und von der Coromandelküste wird gesagt, daß während der trockenen Jahreszeit der Himmel wie Erz, die Erde wie Eisen glühe. Vor Allem aber verrufen ist das rothe Meer nebst seinen Hafenstädten, besonders Massaua (Habesch), Sauakin (Nubien) und Kosseir (Aegypten); schon der Name des südlichen Eingangs „Bab el Mandeb“ das ist: Thor der Trauer, charakterisirt nicht blos die wegen der früher häufig dort stattgefundenen Schiffbrüche gefürchtete Meerenge, sondern zugleich auch diesen ganzen Meeresraum, der zwischen den Wüsten im Osten Aegyptens und dem arabischen Hochlande eingebettet liegt und über dem wie über einem Kessel eine glühend heiße Atmosphäre lagert, die nur zeitweilig von einem Windhauche bewegt wird; nur selten verdingt sich ein europäischer Matrose zum zweiten Male auf ein Segelschiff zur Fahrt durch’s rothe Meer, umsoweniger als bei der schon erwähnten fast vollständigen Windstille diese Reise ungewöhnlich viel Zeit in Anspruch nimmt.

Falls die Schiffe nicht Eis mit sich führen, bietet in diesen heißen Gegenden die Aufbewahrung der Vorräthe große Schwierigkeiten. Mrs. Brassey erzählt in ihrer „Segelfahrt um die Welt“: „Bei der fürchterlichen Hitze (südlich von Arabien) ist ein Abends geschlachteter Hammel andern Tages ungenießbar; Butter ist so flüssig wie Oel; selbst der Siegellack schmilzt vollständig und fließt in syrupähnlichem Zustande im Kasten umher.“

Der Aufenthalt in diesen Gegenden wird dadurch noch unerträglicher, daß frisches Trinkwasser nicht vorhanden ist; das Quellwasser, wo es überhaupt solches giebt, hat dort zu jeder Jahreszeit eine Temperatur von 16 bis 18° R., kann also kaum Erfrischung bieten. Ein anderer Umstand, der das Leben in solchen heißen Orten erschwert, ist noch der, daß häufig zwischen Tag und Nacht große Temperaturschwankungen sich zeigen; denn ebenso rasch, wie sich die Luft unter dem Einfluß der Besonnung erhitzt, kühlt sie sich in jenen wolkenlosen Festlandsräumen ab, sobald diese Ursache nicht mehr vorhanden ist; auf die Tagesstunden der größten Hitze folgen Nächte mit empfindlicher Kälte, sodaß bisweilen sogar den Karawanen das Wasser in den Schläuchen gefriert und die Nachtfröste den Reisenden ebenso unbequem werden, wie die Sonnenhitze den Tag über. Solche Schwankungen sind im Gebiet der Sahara wiederholt constatirt worden; in Australien trat einmal binnen 12 Stunden eine Temperaturänderung von 25,2° R. ein, indem das Thermometer bei Tagesanbruch – 9,3° R. zeigte, den Tag über als Höhepunkt aber + 15,9° R. erreichte.

Außerhalb der tropischen und subtropischen Gegenden finden sich ebenfalls innerhalb eines halben Tages ganz enorme Temperaturschwankungen. Auch auf die Frage nach den kältesten Punkten der Erdoberfläche muß geantwortet werden, daß das Extreme nicht im äußersten Norden zu suchen ist; vielmehr zeigt uns jede Karte mit Winter- bezüglich Januar-Isothermen zwei Gebiete der nördlichen Erdhälfte als die kältesten, welche daher auch Kältepole genannt werden: der eine dieser Kältepole liegt in Sibirien, westlich von der Lena, der andere im Nordwesten der Hudsonsbai, in der arktischen Inselwelt Amerikas; da hier den Winter über eine dicke Eisschicht das Inselmeer bedeckt, so kommt die Wärme-Ausstrahlung an dieser Stelle der Erde jener des nordasiatischen Festlandes gleich; daher auch hier die gleiche niedrige Temperatur wie dort. Die südliche Halbkugel muß außer Betracht bleiben; weil sie nämlich zum weitaus überwiegenden Theile mit Wasser bedeckt ist, zeigt sie selbst in ihren polaren Gegenden verhältnißmäßig milde Winter, hat dafür aber auch kühle Sommer. An beiden Kältepolen sind Temperaturen von –40 bis –50° R. und noch darunter beobachtet worden; was aber solche Temperaturwerthe sagen wollen, davon machen wir uns kaum eine Vorstellung.

Schon der Petersburger Winter, wie er im „Heutigen Rußland“, herausgegeben von Lankenau und Oelsnitz, geschildert wird, läßt uns ahnen, was wir von nordischer Kälte zu erwarten haben. Es heißt dort: „Während die Bewohner der gemäßigten Zone vom Winter im Ganzen mehr unangenehm als freundlich berührt werden, beginnt der Petersburger mit dem Eintritt der Schnee- und Eiszeit sich in den Zustand des Behagens zu versetzen; sein ganzes Fühlen und Denken steht mit dem Winter im engsten Zusammenhang; selbst die Poesie ergeht sich mit Vorliebe in Schilderungen des Winters … Alles erscheint mit den phantastischen Eisüberzügen und Eiszapfen bedeckt. Gesichter bekommt man nur selten auf der Straße zu sehen, denn Alles zieht die Pelze selbst über die Mütze. ,Väterchen, Deine Nase, Deine Wange!’ so erinnern sich die Begegnenden, wenn sie die verdächtigen runden, kreideweißen Flecken im Gesicht der Vorübergehenden sehen; denn der, dem ein Theil des Gesichtes erfriert, merkt es nicht. Da hilft nur unmittelbares heftiges Einreiben mit Schnee, bis das Gefühl sich in dem erfrorenen Theil wieder einstellt.

Ein Bauer, der eine lange Zeit brauchte, um die Eiszapfen [52] in Bart und Haar aufzuthauen, erwiderte auf die Frage, ob es denn wirklich so kalt draußen sei: ,Freilich, Herr! Auf dem Felde war eine zweipelzige Kälte.’“

Daß diese „zweipelzige Kälte“ kein scherzhafter, bildlicher Ausdruck ist, sondern der Wirklichkeit entstammt, das erfuhren in vollster Wahrheit die Mitglieder der Bremer Expedition nach Westsibirien. Dr. Finsch berichtet hierüber:

„Von Jekaterinburg ging die weitere Reise durch die Ischim-Steppe nach Omsk. Der Empfang der Reisenden Seitens der Witterung – es war im März – war ein echt sibirischer. Der Himmel trübte sich; Schneewolken jagten einander, und es wurde empfindlich kalt. Das Land zeigte, daß man es nur in jeder Weise entsprechend ausgerüstet betreten darf. Und in Bezug auf Winterkleider waren wir es nicht; denn bei diesem schneidenden Winde und den 13° R. Kälte konnte man leicht einsehen lernen, daß unsere Pelze wohl für deutsche, aber nicht für sibirische Verhältnisse eingerichtet waren. Trotz Wollenzeug, doppelter Weste, Jagdflausch und Pelz fror mich so entsetzlich, daß ich mir oft wie in Hemdsärmeln sitzend vorkam. Will man sich also verwahren, so muß man sich nach Landessitte in zwei Pelze (eigentlich drei) kleiden. Der eine innen mit Schafpelz gefütterte gleicht einem bis über die Kniee reichenden Rocke und wird seitlich durch engschließende Oesen zugeknöpft. Ueber diesen gehört eine sogenannte Dacha, das heißt ein außerordentlich weiter mit Kapuze versehener Pelz, innen aus den Sommerfellen des Eisfuchses, außen aus Renthierkalbfellen gefertigt, der deshalb sehr leicht ist und in den man sich ganz einhüllen kann. Als Kopfbedeckung trägt man dazu am besten eine samojedische Kappe, innen und außen aus Fell vom Renthierkalbe, deren Ohrenklappen in lange breite Streifen enden, die als Shawl um Hals und Kinn geschlungen werden können. Und vor Allem sind Pelzstiefel nicht zu vergessen und ganz unerläßlich. So ausgerüstet, vermag man der größten Kälte zu trotzen.“

Aber weder in dem einen noch in dem anderen angeführten Falle wird uns der eigentliche arktische Winter in seiner ganzen schreckhaften Gestalt vorgeführt: davon können uns nur jene Männer erzählen, die als Nordpolfahrer Leib und Leben in den Dienst der geographischen Erforschung gestellt haben.

Aus der großen Menge der einschlägigen Berichte heben wir hier die von Wrangel und Kane hervor, weil diese uns in besonders drastischer Weise jene Winterszeit beschreiben: Die Erde berstet vor Kälte bis zu Tiefen von 400 bis 600 Fuß. Wo sich in diesen Rissen und Spalten noch fließendes Wasser befindet, verdunstet es, doch gefrieren diese Wasserdämpfe bereits zu Eis, ehe sie noch an die Oberfläche kommen. Bart, Augenbrauen, Wimpern und die Härchen an den Ohren bekommen eine zarte und vollkommen einhüllende Decke von ehrwürdigem Reif; an Schnurrbart und Unterlippe bilden sich schwebende Eisperlen. Steckt man die Zunge heraus, so friert sie sogleich an dieser Eiskruste fest, und eine schleunige Anstrengung und Nachhülfe mit der Hand ist erforderlich, um sie wieder frei zu machen. Je weniger man spricht, desto besser ist es. Sogar die Augenlider kleben, oft schon bei vorübergehendem Schließen, zusammen. Ergötzlich ist im Bericht des Dr. Kane zu lesen, welchergestalt sich die Eßwaaren zeigten:

„Die getrockneten Aepfel und Pfirsichen wurden zu einer festen Masse voll an einander gedrängter Ecken und Winkel. Diese aus dem Fasse oder das Faß aus ihnen herauszubringen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Wir fanden nach verschiedenen Versuchen, daß der kürzeste und beste Weg der war, das Faß sammt den Früchten mit wiederholten Schlägen einer schweren Axt aus einander zu hauen und dann die Klumpen zum Aufthauen in die Schiffsküche hinab zu schaffen. Sauerkraut sah aus wie Glimmer oder richtiger wie Talkschiefer. Butter und Schweineschmalz, die sich weniger verwandeln, erfordern einen schweren Schrotmeißel und Schlägel. Schweine- und Ochsenfleisch sind seltene Probestücke florentinischer Mosaik, denen man nicht einmal mit der Axt, sondern nur mit Brecheisen und Hebebaum oder mit der Säge beikommen kann. Ein Klumpen Lampenöl, der aus den Faßdauben losgelöst war, stand da wie eine gelbe Sandsteinwalze für einen Kiesweg. Unsere eingemachten Speisen könnten vortrefflich als Kanonenkugeln verwendet werden.“

Soweit unser Berichterstatter. Der schlimmste Feind der Nordpolfahrer ist der Durst. Wie soll das aber möglich sein in Gegenden, wo es nur Schnee und Eis giebt? Wir wissen aus unserer Jugendzeit, daß Schneeballen und Schneemänner nicht an jedem Wintertage herzustellen sind, sondern nur dann, wenn die Temperatur dem Thaupunkte nahe ist; denn der Schnee nimmt je nach der Lufttemperatur verschiedene Kältegrade an; beträgt seine Temperatur –6° R. und darunter, so vernehmen wir bei unseren Tritten das Knirschen und Kreischen des Schnees. In jenen nördlichen Gegenden aber hat der Schnee während des Winters häufig –25° R., ist also ungenießbar; zum Aufthauen fehlt es meist an Feuerungsmaterial. So kann man sich vielfach nur dadurch helfen, daß man mit der Wärme des menschlichen Leibes den in Kautschukflaschen gefüllten Schnee aufthaut. Welch angenehmes Gefühl solche „negative Wärmflaschen“ dem Körper bereiten, kann man sich leicht vorstellen.

Die höchsten Wärme- und die größten Kältetemperaturen, die man an der Oberfläche unseres Erdenballes beobachtet hat, liegen um mehr als 100° R., also weiter als Gefrier- und Siedepunkt von einander entfernt. Daß aber der Mensch bei all diesen extremen Temperaturverhältnissen seine Existenz zu behaupten vermag, daß er sogar, wie neulich Nordenskjöld und seine Gefährten gethan, in verhältnißmäßig kurzer Zeit mit dem Aufenthalte in den Gegenden der äußersten Extreme wechseln kann, ohne der Gesundheit zu schaden, das ist ein bedeutungsvolles Zeugnis für seine hohe Organisation und ein Beweis dafür, daß der Mensch zum Herrscher der Erde berufen ist.
Fritz Krumbiegel.




Zum Tage der Kaiserproclamation.
(18. Januar 1871 – 18. Januar 1881.)


In Nanzig war ich, der Stadt der Pracht –
Von Geschützen erdröhnend, auf eherner Bahn,
Wie rollte, gleich grollenden Schatten der Nacht,
Im Sturme Wagen um Wagen heran!
Noch trotzte Paris, und im Süd und Nord
Auflohten im Volke die Flammen des Kriegs.
Da trugen die Wagen an klirrendem Bord
Die jungen Kämpfer zum Banner des Siegs.
Doch wohin sie fuhren, horcht, auf! dorther
Erschallte die stolze, beglückende Mär.

Aufsprangen wir Alle in Hof und Saal,
Die Krieger und Waller von jeglicher Art,
Wie Deutschland von Küste, Berg und Thal
Im Feindesland sie zusammengeschaart –
Von der Alpenhöh’ und vom Bernsteinstrand,
Von der Donau und Elbe, vom Neckar und Main,
Sie Alle, die sich aus so vielerlei Land
Zusammengefunden als „Wacht am Rhein“,
Sie Alle lauschten der jubelnden Mär:
Sie kam von Versailles, von König und Heer.

Und wie durch die Reihen die Kunde erschallt
Von dem theuern, dem wiedergewonnenen Reich,
Da werden auf einmal mit Wonnegewalt
Die Augen naß und die Herzen weich.
„Die kaiserlose, die schreckliche Zeit“,
Im Grolle getragen so manches Jahr,
Von der uns nicht Wunden noch Thränen befreit,
Nun liegt sie auf schmählicher Todtenbahr,
Und daneben in goldener Wiege lacht
Das neue Reich in Siegespracht.

Versunken war der Vergangenheit Bild,
Das „Kaiser und Reich“ uns in’s Herz gemalt,
Wo in Heldenarmen Deutschlands Schild
Und der deutsche Name in Ehren gestrahlt.
Da kam der rettende Krieg – er trat
Der Zwietracht Hyder den Kopf entzwei –
Auf dem Kampfplatz steht ein Volk der That;
Mit dem Siege zieh’n Macht und Ruhm herbei,
Und wieder vor allen Landen verklärt
Steht Deutschlands Thron und das deutsche Schwert.

Ich eilte hinaus in den Sternenschein,
Von Begeisterungswonne die Brust geschwellt;
Ich mußt’ in die festliche Nacht hinein
Die Kunde zujauchzen der staunenden Welt.
Dort trugen die Wagen das junge Heer
Gen Paris – und der dienende Blitz trug dort
Nach Deutschland die völkerdurchzuckende Mär
Von dem neuen Reich und dem Kaiserwort;
Und ich hob zum Himmel Herz und Hand:
Gott segne dich, herrliches Vaterland!

Friedrich Hofmann.
[53]

Sumpfgegend bei San Carlos in der Provinz Mendoza.
Nach der Natur gezeichnet von A. Goering.

[54]

Die weiße Rose.

Episode aus dem mexikanisch-französischen Kriege.
(Schluß.)

„Man kann seinem Fatum nicht entgehen, Sennorita,“ sagte de Brunne galant, „aber ich bedauere es von Herzen, daß mein Anblick Ihnen diesen idyllischen Morgen verbittern mußte,“ und er bückte sich, um die Lichtung zu gewinnen und dem jungen Mädchen den in der That reizenden Platz zu überlassen.

„Ich beabsichtige nicht, Sie zu stören, Sennor,“ sagte sie kalt, aber doch mit einem merklichen Beben der Stimme, welches auch Henri de Brunne nicht entging und ihm vielleicht den Muth gab, stehen zu bleiben und einen prüfenden Blick auf ihre vom frischen Morgen belebten, wunderschönen Züge zu werfen. „Ich möchte Sie im Gegentheil um ein paar Worte bitten, Sennor,“ fuhr sie zögernd fort, „zu welchen ich bis jetzt vergebens die Gelegenheit suchte.“

Des Franzosen feines Gesicht überzog eine jähe Gluth, aber dennoch vermochte er nichts zu sagen und neigte nur ehrerbietig sein Haupt.

„Ich fühle mich bedrückt,“ fuhr sie immer langsamer und stockender fort, „in Ihrem Besitze etwas zu wissen, wozu Sie keine Berechtigung haben, Sennor, das nur ein unglücklicher Zufall Ihnen in die Hände gespielt –“

„Und wovon Sie glauben,“ unterbrach sie jetzt der Franzose erregt, „daß ich nicht werth bin, es zu besitzen. Sie meinen doch die Rose, Sennorita?“

„Ja, die Rose, die ich keinem Franzosen, keinem Feind meines Vaterlandes lassen darf,“ und die junge Dame erhob das Haupt mit kaltem Stolze – jeder Anflug von schüchterner Verlegenheit war aus ihren Mienen verschwunden.

„Wenn es aber nun nicht der Franzose, der Feind Ihres Vaterlandes, ist, Sennorita, der Sie darum bittet,“ sagte jetzt Monsieur de Brunne weich, in dem wunderschönen Anblick des Mädchens versunken, dessen Bild sich von der ersten Stunde an so unauslöschlich tief in sein Herz gesenkt. „Wenn ich Ihnen sage, daß mich keine Eroberungssucht nach Mexico trieb, sondern neben unglückseligen Verhältnissen die Sehnsucht nach dem Meere, nach fremdem Lande und tropischem Himmel – würden Sie mir auch dann die Rose verweigern, Sennorita?“

Ein unerklärliches Etwas bäumte sich in der Brust des leidenschaftlichen Mädchens auf – ein Gefühl, halb Himmel, halb Hölle. Ihre Augen ruhten feucht auf dem fernen Gebirge. Wollte sich da eine wunderbar leuchtende Sonne hervordrängen, die in ihrem Herzen einen Abglanz fand? Schon legte sich ein weicher, verklärender Zug um ihre Lippen, ein Zug von ungesprochener, unsagbarer Seligkeit – dann wandten sich ihre Blicke ab von der schönen freien Gotteswelt und fielen starr, wie aus allen Himmeln gerissen, auf die französische Uniform ihr gegenüber.

Ein eisiges: „Auch dann nicht,“ drängte sich gewaltsam über die Lippen, die jetzt ein dunkler Schatten von bitterem Trotz verzerrte, und jeder verklärende Glanz war verschwunden.

„Auch dann nicht!“ wiederholte der Franzose mit gesenktem Antlitz, in dem eine Welt tiefen Weh’s lag.

Sie standen sich einige Augenblicke schweigend gegenüber.

„Donna Conchita,“ sagte endlich Henri de Brunne, „lassen Sie mir die Rose; ich bitte Sie – sie soll, von der Erinnerung an Sie geheiligt, mein liebstes Andenken sein.“

„Ich kann nicht,“ sagte sie weicher als vorher. „Ich darf diese Rose nur dem Manne schenken, den ich – liebe.“

„Und das ist, Sennorita?“

„Das darf niemals ein Franzose sein, so wahr mir Gott helfe!“ und die Stimme, die diese Worte sprach, hatte nichts von dem musikalischen Klang, der sie sonst so bezaubernd machte.

Der Adjutant hatte sein Portefeuille von der Brust genommen, mit bebenden Fingern schlug er es aus einander und gab ein Blatt des feinsten Seidenpapiers, zwischen dessen Falten eine welke Rose lag, in der jungen Dame Hand; dann verbeugte er sich und ging.

Als er die Lichtung gewonnen hatte, schaute er noch einmal zurück. Das schöne Mädchen stand noch auf derselben Stelle wie zuvor; in der einen Hand hielt sie die lebensfrischen Blumen, die sie vorher im Bosquet gepflückt, zwischen den bebenden Fingern der anderen die weiße Rose. Ihre Augen waren wie abwesend in die Ferne gerichtet, groß, träumerisch.

Ein helles Lachen weckte Concha aus ihren Träumen. Es war ihre Freundin Rosita, die nun mit Don Miguel ernstliche Versuche machte, sie aufzufinden; sie barg hastig die Rose in den Falten ihres Reitkleides und trat ihnen entgegen.

„Ich dachte schon, irgend ein räthselhafter Berggeist hätte Dich verzaubert,“ sagte die junge Frau, indem sie mit der zierlichen Reitgerte, welche am Knopfe ihrer Weste befestigt war, schmeichlerisch der Freundin Schulter berührte. „Beichte, wo warst Du, und was hat Dich so geisterbleich gemacht?“

„Nur der Schrecken, als ich Euere Stimmen hörte und mir erst klar wurde, wie lange ich hier beim Blumenpflücken geträumt.“

Sie war wieder vollständig gefaßt und legte ihren Arm zärtlich in den der jungen Frau, indem sie den Berg hinunter stiegen.

Und als sie eine Stunde später in kunstgerechtem Trabe nach Mexico zurückritten, war ihr Lachen fast noch heller und anhaltender, als das Rosita’s. – –

Als Conchita am andern Morgen nach unruhigem Schlafe erwachte, war sie so weit mit sich und ihrer Ueberzeugung im Reinen, daß der Franzose anmaßend wie seine ganze Nation sei, und daß sie sich seiner impertinenten Liebeserklärung gegenüber viel zu schwach und duldend gezeigt habe. Was gab ihm ein Recht, ihm, dem Eindringlinge, sie zu lieben?

Ja gewiß, es konnte nichts als der Aerger über ihr eigenes viel zu wenig stolzes Benehmen sein, welches ihr Gewissen beunruhigte und ihre Gedanken an ihn fesselte. Die Rose hatte sie in ein Kästchen in den letzten Winkel ihrer Kommode geschoben, und obgleich sie gestern Abend zum ersten Male den Liebesschwüren Don Miguel’s Gehör gegeben, die Rose hätte sie ihm doch nicht für ein Königreich überlassen mögen.

Sie mochte nicht allein sein. Das bleiche Bild des Franzosen, wie er seine Augen so tief und ernst – so ganz anders, als die Don Miguel’s – zu ihr emporgehoben, verfolgte sie und nagte fast schmerzend an ihrer Seele.

Sie kleidete sich sorgfältig an und ging in den Salon.

Don Miguel erwartete sie schon, und sie ließ es geschehen, daß er sie zärtlich in seine Arme zog und ihre Hand an seine Lippen preßte. Dann trat sie mit ihm hinaus auf den Balcon; sie wußte, daß der Generalstab jeden Augenblick vom Spazierritte kommen mußte, und ihr Todfeind, der anmaßende Franzose, sollte sie an der Seite Don Miguel’s sehen – ihres Verlobten.

Als sie von ferne das Herannahen der Cavalcade vernahm, legte sie ihre Hand trotzig in die seine, aber ihr Herz schlug so gewaltig und ihre Lippen zuckten so eigenthümlich, daß sie sich, um nicht umzusinken, an seine Schulter lehnen mußte.

Monsieur de Brunne war vorübergeritten, aber er hatte sie keines Blickes gewürdigt. Ihre Verlobung wurde einige Tage später mit großem Pompe gefeiert – doch in den großen, schönen Augen der Braut glänzte ein fast unheimliches Feuer, welches ihre Umgebung erschreckte.

Monsieur de Brunne hatte sie nicht wiedergesehen. Jeden Morgen, wenn die Officiere vorüberritten, stand sie mit hoch klopfendem Herzen auf dem Balcon, aber jedes Mal trat sie getäuscht und noch aufgeregter zurück.

Ging sie in das Theater oder in irgend eine Gesellschaft, so spähten ihre Augen fiebernd in jedem Winkel nach ihm – und fanden ihn doch nicht. Dann sank sie theilnahmlos in sich zusammen, lächelte seelenlos ihrem Verlobten – aber kein Strahl von Feuer und Glück vergoldete mehr ihre schönen Züge.

Und doch hatte sie nicht den Muth, nach ihm zu fragen; doch wäre es ihr eine vollständige Unmöglichkeit gewesen, den Namen über ihre Lippen zu bringen, der mit flammenden Lettern in ihrem Herzen stand. Die Rose lag unberührt im Winkel; nicht einmal den Triumph hatte sie sich gegönnt, sie Rosita zu zeigen – sie fürchtete sie zu berühren, und ihr Stolz war gebrochen.

Ihr Onkel triumphirte indessen über das glückliche Gelingen seiner Pläne. Don Miguel selbst verstand sie nicht. Ihm genügte [55] es, wenn sie seine Liebe duldete, seinem Geplauder lächelte und auf seinen Arm gestützt in die Gesellschaftssäle trat. Er war eine oberflächliche Natur, der auch oberflächlich über die Frauen dachte. Sie waren ihm nur ein liebreizendes Spielzeug für müßige Stunden, die dem Hause des Gatten den prächtigsten Glanz verleihen.

„Weißt Du schon, Conchita,“ sagte Tante Pepita eines Abends, als sie mit ihr oben auf dem flachen Dache des Hauses spazieren ging und ihre Nichte gedankenlos hinüber auf den Schnee der Berge schaute, welche eben in den letzten Strahlen der Sonne erglühten. „Weißt Du schon, daß der schöne, blonde Adjutant, welcher im Stab des Generals Bazaine war, seit Wochen krank darnieder liegt und wahrscheinlich in den nächsten Tagen mit den andern kranken Officieren nach Frankreich transportirt werden wird?“

„Was fehlt ihm?“ fragte Conchita tonlos.

„Er soll noch von den Gefechten von Puebla her eine Kugel zwischen den Rippen haben, die nicht herauszubringen ist. Er liegt im französischen Lazareth, und Schwester Brigita pflegt ihn – sie hat mir von ihm erzählt. War es nicht derselbe, mein Kind, mit welchem Dich Rosita neckte, weil er die Rose aufgenommen, die Dir damals beim Einzüge der Franzosen entfallen war?“

„Vielleicht! Du weißt, mich interessiren die Franzosen nicht.“ „Ist Dir nicht wohl, Kind?“ fragte die alte Dame nach einer Weile, während welcher sich das junge Mädchen auf einen kleinen Sessel niedergelassen und kein Wort gesprochen hatte.

„Ich bin sterbensmüde, Tante; sonst fehlt mir nichts. Sage Miguel, daß ich ihn heute unmöglich in die Oper begleiten kann – und gehe Du mit ihm – ich bitte Dich.“

„Aber Kind, wenn Du krank bist?“

„Ich bin nicht krank, Tante, nur müde von all’ den Gesellschaften, in denen ich mich langweilen mußte. Ich will allein sein und schlafen – sonst nichts mehr.“

Die Tante schüttelte den Kopf; sie verstand sie nicht, aber Conchita setzte es durch, daß sie Abends statt ihrer mit Miguel in die Oper ging.

Conchita war mit ihren Gedanken allein. Er, dessen Bild sie nicht aus dem Herzen bannen konnte, krank – er, der sie so sehr liebte! Und diesen Strahl der Liebe, den ein Gott in all das Elend des Menschenseins gegeben, sie hatte ihn verschmähet; sie hatte sich von ihm gewendet. Sie fühlte sich schuldbeladen und elend – sie mußte sühnen, wenn sie weiter leben sollte – sühnen, ehe es zu spät war.

Mit raschen Schritten ging sie zurück in ihr Zimmer, und als sie nach kurzer Zeit mit einem einfachen Shawl über dem Kopf und von ihrem Mädchen begleitet energisch durch die langen Straßen schritt, da fühlte sie, wie der tobende Sturm sich legte und es stiller wurde in ihr.

Es war damals, wo das Lazareth von. Kranken überfüllt war, nichts Seltenes, wenn eine Dame noch spät einen Patienten zu sprechen wünschte; auch Conchita gelangte unbelästigt bis auf den oberen Gang – hier fragte sie nach Schwester Brigita.

Diese, eine ältliche Nonne, mit angenehmem Wesen, sah erstaunt auf das junge, schöne Mädchen mit dem bleichen Gesicht.

„Wie geht es Monsieur Henri de Brunne?“ fragte Concha bittend. „Ich bin mit einem Auftrage für ihn betraut. Glauben Sie, daß ich ihn noch sprechen darf?“

„Monsieur de Brunne? Ah, der kranke Adjutant des Monsieur Bazaine? Er ist sehr elend, Sennorita, sehr. Ich bezweifle, ob er die Reise wird mitmachen können, die schon in wenigen Tagen vor sich gehen wird.“

„Aber der Auftrag ist wichtig; ich möchte –“

„O, gehen Sie immerhin zu ihm, Sennorita! Er ist noch mit dem Ordnen seiner Sachen beschäftigt, weil er unter allen Umständen nach Frankreich zurück will zu seiner Mutter.“

Eine Thräne drängte sich in Conchita’s Augen.

Es war ein großes, luftiges Gemach, in welchem Henri de Brunne bleich in einem Sessel neben dem Tische lag und in Papieren kramte. Das junge Mädchen war leise in das Gemach bis dicht vor ihn hingetreten.

Er hatte sie nicht bemerkt.

„Monsieur de Brünne,“ sagte sie weich. „Wie ich höre, wollen Sie zurück nach Frankreich; ich komme, um – Abschied von Ihnen zu nehmen.“

Henri de Brunne schaute wie im Traume zu ihr auf. Der Shawl war ihr vom Kopfe auf den Boden geglitten, und ihre großen, dunklen Augen blickten so milde und zärtlich, wie er sie noch nie gesehen. Sie war wunderbar schön.

„Sie von mir Abschied nehmen, Sennorita? Wie gut Sie sind! Ich danke Ihnen.“

„Ich habe Ihnen Vieles abzubitten und möchte, daß, wenn Sie wieder in Ihrem Vaterlande sind, Sie milde und gütig an mich denken können. Wollen Sie mir vergeben, Monsieur de Brunne, Alles vergeben, was ich Ihnen gethan?“

„Ich Ihnen vergeben? O, es war nicht Ihre Schuld, daß ich Sie anbeten mußte, und wenn Sie mich einen Augenblick nicht verstanden – es ist Alles, Alles vergessen durch diese Stunde. Ich – nur ich allein bin Ihnen zu unsäglichem Danke verpflichtet.“

Seine Lippen bebten und die abgezehrten Hände zerpflückten krampfhaft das Papier, welches er zwischen seinen Fingern hielt.

O, so – elend hatte sie sich ihn nicht gedacht.

Sie war leise bis dicht zu ihm hinan getreten.

„Ich habe nichts als diese Rose,“ und jetzt war es ihre Stimme, die vibrirte. „Wollen Sie dieselbe annehmen von mir und sie mit sich nehmen in Ihr Heimathland zur Erinnerung an – mich?“

Seine Augen suchten die ihren; er ergriff krampfhaft ihre Hand, und mit fliegendem Athem stieß er die Worte hervor:

„Conchita, mir – mir bringen Sie diese Rose? Träume ich denn? O, allerbarmender Gott, laß mich jetzt nicht sterben! Haben Sie mir denn nicht gesagt, daß Sie diese Rose nur dem Manne geben dürfen, den Sie lieben? Gott, Gott, sprechen Sie, Conchita – vielleicht bin ich ein Sterbender und stehe in ganz kurzer Zeit vor dem Throne des Ewigen. Ist diese Rose wirklich für mich? Darf ich – – ?“

Das stolze, schöne Mädchen war vor ihm in die Kniee gesunken; sie legte den Kopf auf seine zitternden Hände und benetzte sie mit einem Strom brennender Thränen.

„Henri, ich kam ja, um Dir meine Liebe zu bringen – nimm sie mit Dir, wohin Du auch gehen magst! Ich bin Dein mit Allem, was ich bin und habe, todt oder lebendig – hier oder dort.“

Er hatte sie mit hochfliegendem Athem an seine Brust gezogen – still und hingebend, mit namenloser Liebe lag sie an seinem Herzen. Mit den Liebkosungen, die er ihr so verschwenderisch gab, mengten sich die Thränen, die sie nicht zurückzuhalten vermochte. Kein Wort kam über die Lippen Henri’s, der sie selig – überselig in seinen Armen hielt. Nur seine Augen, welche nicht von ihrem Antlitz wichen, sagten ihr – wie tief, tief er sie liebte.

Als sie schied, nahm er von seinem Tisch das Pastellbild einer Frau mit ernsten, unbeschreiblich weichen Zügen.

„Meine liebe Mutter, Conchita – willst Du sie mit Dir nehmen, zur Erinnerung an diese Stunde?“

Sein Kopf war zurückgesunken; seine Augen hatten sich im Uebermaß von Glück geschlossen, und als das schöne Mädchen zum Abschied sich über ihn beugte und ihre lebensfrischen Lippen auf seinen bleichen Mund preßte, fragte er leise, wie in seligstem Träumen: „Wann kommst Du wieder, Geliebte?“

Die Thür glitt geräuschlos in ihren Angeln – Conchita hatte ihren Shawl tief über ihr Gesicht gezogen. Leise, von Niemanden gesehen, huschte sie über die Treppen; an ihrer Brust hielt sie krampfhaft das Bild von Henri’s Mutter.

Es war still und friedlich in ihr geworden; alle Stürme hatten aufgehört zu toben. Der Glorienschein einer wunderbaren Liebe beleuchtete ja für alle Ewigkeit ihren engen einsamen Pfad, der sie am Ziel – das hoffte sie – mit ihm vereinen mußte.

Als sie am andern Morgen erwachte, läuteten die Glocken in der Kathedrale die Sterbegebete. Henri de Brunne’s Herz hatte aufgehört zu schlagen.

Wenige Wochen später trat Conchita als Novize in den Orden der barmherzigen Schwestern – trotz aller Bitten Don Miguel’s und ihrer Familie. Ein Jahr darauf nahm sie den Schleier. Ihr großes Vermögen aber legte sie in die Hände von Benito Juarez.



[56]
Blätter und Blüthen.


Ein altbaierisches Wintervergnügen. (Mit Abbildung, Seite 45.) Hart führt der Winter sein Regiment im Hochlande, und doch ist es gerade der Hochländer, der sein Wintervergnügen hauptsächlich im Freien sucht. Wenn auf der Ebene der Bauer den stattlichen Braunen vor den kleinen Reitschlitten spannt, um im Wettfluge das weite Schneefeld zu umkreisen, dann zieht der kräftige baierische Hochlandsbursche den Hornschlitten aus dem Schuppen und trägt ihn hinauf auf eine der nächstgelegenen Höhen. Dort sammelt sich eine Schaar munterer Dirnd’ln, und auf je einem Schlitten nimmt eine kleine Gesellschaft Platz; der gewandteste Bursche sitzt vorn, da ihm das wichtige Amt des Steuerns übertragen worden, und nun geht es thalabwärts in sausender Eile, der Schlitten gleitet mit rasender Geschwindigkeit über die abschüssige Fläche; man meint, das gebrechliche Fahrzeug müsse an der nächsten Bahnkrümmung zerschellen,aber fest stemmt der Führer die eisenbeschlagenen Absätze gegen den Boden, eine tiefe Furche in den Schnee reißend; ein Ruck genügt, um dem Schlitten die Richtung zu geben; man weiß, daß der muskulöse Aelpler seine Aufgabe zu erfüllen vermag; furchtlos freut sich die Gesellschaft ihrer Fahrt, und schmetterndes Jauchzen füllt die Luft und ruft die schlafenden Echos der benachbarten Felsen wach. Freilich kostet die luftige Tour von einigen Minuten sodann lange Zeit neuer Anstrengung, bis das Gefährte wieder hinaufgebracht ist, um die Fahrt auf’s Neue zu beginnen. Die fröhlichen Theilnehmer finden an diesem halsbrecherischen ländlichen Vergnügen einen ebenso großen Genuß, wie die städtische Balljugend am Cotillon. In den Seegegenden des baierischen Gebirges concentrirt sich das Wintervergnügen hauptsächlich auf die Eisfläche. Theilweise ist der Schlittschuh im Gebrauche, theilweise benutzt Alt und Jung kleine Schlitten, welche man, darauf stehend, mittelst eines eisenbeschlagenen Stockes vorwärts treibt. Kraft und Gewandtheit führen hier zu einer großen Fertigkeit, und es gestalten sich die von Zeit zu Zeit abgehaltenen Wettfahrten zu höchst originellen Volksbelustigungen. Allgemein verbreitet und von den Bergen bis weit in’s Flachland hinein cultivirt ist das sogenannte Eisschießen. Es ist dies ein Gesellschaftsspiel im Freien das gleichfalls Kraft und Gewandtheit, ein sicheres Auge und Uebung verlangt und deshalb von den Landbewohnern mit Leidenschaft betrieben wird.

Als hierzu dienliches Werkzeug wird der Eisstock verwendet, er hat die Form einer Scheibe mit pyramidenförmigem Aufsatze, der in einem gebogenen Handgriffe endigt, ist von hartem Holze angefertigt und mit einem massiven schmiedeisernen Reife bezogen, sodaß er jedem Anpralle zu widerstehen vermag. Dieser Eisstock, mit einem genau zu berechnenden Schwung und unter einer kleinen Drehung auf die Eisfläche geworfen, gleitet mit einer bedeutenden Geschwindigkeit unter kreiselförmiger Bewegung fort, bis der dynamische Effect nachläßt oder ein Anprall auf irgend einen Gegenstand denselben aufhebt. Es handelt sich beim Spiele selbst vor Allen darum, ein gewisses Ziel zu erreichen, dieses letztere wird durch ein kleines quadratisches Holzstück, welches leicht verschiebbar ist, dargestellt, der beste Schuß ist natürlich derjenige, der zunächst am Ziele sitzt. Spielen Zwei mit einander, so trachtet der Gegner, entweder auf geradem Wege näher zum Centrum zu gelangen oder durch Gewalt den Feind zu verdrängen, indem er durch einen wohlberechneten Anstoß den vor dem Ziele liegenden Eisstock zu beseitigen sucht. Je mehr Theilnehmer, desto abwechselungsreicher und lebendiger gestaltet sich das Spiel. Die Zahl der Interessenten theilt sich in zwei Parteien, was dadurch geschieht, daß Jeder einen Probeschuß auf das Ziel abgiebt; die dem Holzstückchen - der sogenannten „Daub’n“ - zunächst situirte Hälfte bildet die Sippe der „Engen“, die Uebrigen diejenige der „Weiten“; der einzeln dem Zielobjecte am nächsten Gekommene ist der „Engmoar“, der Gegenfüßler desselben der „Weitmoar“ und haben diese „Moars“ - bei Leibe nicht Meier! - das Recht, einen zweiten Schuß abgeben zu dürfen, wenn es die Sachlage erheischt, dafür sind sie aber gehalten, im Verlustfalle doppelte Zahlung zu leisten, welche der gewinnende „Moar“ empfängt. Das Spiel beginnt damit, daß ein Mann der „Weiten“ seinen Eisstock so dicht wie möglich an’s Ziel zu bringen trachtet; der nächstfolgende Mann der Gegenpartei sucht ihn zu überbieten oder wegzuschneiden, je nachdem dies gelingt oder mißlingt, tritt entweder ein Freund ein, der es besser machen soll, oder es folgt ein Feind, um den Erfolg aufzuheben. Diejenige Partei, welche zuletzt den Platz bei der Daube, wenn auch nur mit einem Eisstocke, behauptet, ist Siegerin, und dieser Kampf um’s Ziel wiederholt sich dreimal; gelingt es der Gegenpartei nicht, wenigstens einmal sich zu behaupten, dann ist sie „geschneidert“, eine Schmach, die mit doppelter Zahlung des Partiegeldes verbunden ist.

Bei dem Spiele geht’s lebendig genug her, denn jeder Partner betheiligt sich fortwährend durch Gutachten, Rathschläge und Meinungsaustausch in der animirtesten Weise; jener gutmüthige Spott, der, nie über den Rahmen des Spiels hinaustretend, die Unterhaltung pikant macht, darf nicht fehlen, und deshalb wird auch eine Eisbahn selten leer, ehe der Abend sein Veto einlegt.

Gesellschaftliche Schranken existiren, besonders in kleinen Orten auf dem Lande, bei einer solchen Gelegenheit nicht. Pfarrer und Meßner, Bürgermeister und Gemeindediener, Bauer und Häusler haben das gleiche Recht zur Theilnahme. Unser Künstler hat dies auf dem Bilde in gelungenster Weise zur Anschauung gebracht.

Die ganze mobile Gemeinde eines altbaierischen Dorfes der Voralpen hat sich auf dem Eisplatze hinter dem Wirthshause - neben der wegen des Winters in Quiescenz befindlichen geschlossenen Kegelbahn versammelt. Das Spiel hat bereits begonnen; draußen am Ziele, um die „Daub’n“ geschaart, stehen die Spieler, welche ihren Schuß abgegeben haben, bei ihren Eisstöcken, in größter Spannung den Fortgang des Spieles verfolgend. Da sehen wir den ehrsamen Schuster, wie er, die Hände unter dem leinenen Arbeitsschurz, mit Kennermiene die Bahn des herangleitenden Eisstockes verfolgt, während seine Nachbarn, der Schmied, der Zechenhauer und der Wolf, resignirt dem Effecte des offenbar gelungenen Wurfes entgegensehen. Der in Action befindliche Großbauer - sein Anzug kennzeichnet ihn als solchen - hat seine ganze Kunstfertigkeit aufgeboten, und sein Körper folgt mechanisch der eigenen Gewalt auch dann noch, wenn der Stock geworfen ist, er möchte ihn sichtlich jetzt noch weiter herumdrehen. Der hinter ihm stehende Gemeindediener in voller Amtstracht, die ein ordentlicher Gemeindediener kaum bei Nacht ablegt, sieht mit pfiffigem Gesichte auf den rückwärts stehenden Herrn Pfarrer, als wollte er sagen. „Na, jetzt komme ich, und da sollt ihr einmal sehen.“ Der würdige Ortspfarrer, der mit seinem getreuen Adlatus, dem schlanken Schullehrer, vorläufig dem Spiele noch zusieht, ist eben im Begriffe, eine bedächtige Prise zu nehmen, welchen feierlichen Moment der Pädagoge in bescheidenem Stillschweigen abwartet, wohl um der höheren Meinung nicht ungebührlich vorzugreifen.

Beim nächsten Spiele werden sie sich sicher auch betheiligen, ebenso wie der zur Seite stehende baumlange Förster, der eben von einem eifrigen Eisschützen über die hohe Vortrefflichkeit des vorgezeigten Eisstockes belehrt wird, welche Belehrung der Waidmann mit der ruhigen Gutmütigkeit, die das Gefühl der moralischen Ueberlegenheit in jedem Falle verstattet, über sich ergehen läßt. Die muntere Jugend ist mit der eigenen Angelegenheit, der Fertigung eines kolossalen Schneemannes, vollauf beschäftigt, und das ganze bunte Bild ist von einem echt winterlichen Rahmen umgeben, der hohe Schnee deutet die volle Kraft des Winters, die aufzeigenden Rauchsäulen auf den Dächern die Strenge desselben an, und das gehört zu dem eben geschilderten Vergnügen. Eigentümlich, ja für den Uneingeweihten höchst fremdartig klingt die auf das Spiel bezügliche Unterhaltung. Abgesehen von dem breitesten altbaierischen Dialekte, der auf der Eisbahn dominirt, hört man eine Menge technischer Ausdrücke, die den Sinn der Worte absolut unverständlich lassen.

Wir wissen, was eine „Daube“ ist: nun hören wir von einer „Maß“. Damit ist keineswegs das bajuvarische Wahrzeichen, der berühmte Flüssigkeitsbehälter gemeint, sondern eine „Maß“ bedeutet den Anschub. Es giebt aber eine „staate“ Maß und eine „laute“ Maß - ein behutsames oder energisches Anschieben bedeutend. Erreicht der Stock das Bahnende nicht, so ist er „verhungert“. Hat der Feind sich gut vor die Daube gelegt, so muß man ihn „obithoa“, das heißt zu verdrängen suchen, oder es heißt „der muß ’ naus“ . Manchmal genügt ein kleiner Ruck, um den naheliegenden Eisstock des Freundes zum Ziele zu befördern. „a kloans Druckerl, aufbessern“. Will man dem Feinde von der Seite beikommen, dann sucht man durch „Anwandeln“ dieses zu erreichen. Vom Ziele her empfangen die Spielenden ihre Directiven aus dem Freundesmund, wer geschossen hat, begiebt sich sofort dahin, um sich an der Controlle zu betheiligen. Sehr wichtig ist die Arbeit des Ausmessens der Entfernung zweier feindlicher Eisstöcke vom Ziele - kurz, jede Handlung nimmt das allgemeine Interesse in Anspruch und hält die Gesellschaft mobil.

Das Beste an der Sache aber ist, daß das Spiel eine gesunde Bewegung im Freien bedingt, die Jedem zu Gute kommt, weshalb viele Städter dasselbe aus Sanitätsrücksichten betreiben. So konnte sich das Eisschießen in Laufe der Zeit denn auch einen Weg in die Städte bahnen, wo es, besonders im südlichen Baiern, mit großer Vorliebe cultivirt wird, in München, Landshut, Regensburg etc. zählen die „Bureaumenschen“ zu den eifrigsten Verehrern dieser ursprünglich rein ländlichen Belustigung, die sicher immer weitere Verbreitung finden wird.

B. Rauchenegger.





Ueber Blumendünger. In neuerer Zeit haben sich verschiedene chemische Fabriken und Handelsgärtnereien auf die Herstellung von Blumendünger verlegt. Die Bestandteile aller dieser Düngemittel sind der Hauptsache nach Salpetersalze. Unter mehreren seit einigen Jahren bekannt gewordenen Düngemitteln für Blumen hat man mit zweien besonders gute Erfolge erzielt: mit dem Pflanzen-Nährsalz der chemischen Fabrik von L. Bertram Söhne in Hameln an der Weser und mit dem Anadolin genannten Pulver des Apotheker Brockmann in Arnstadt. Man kann übrigens im Allgemeinen sicher sein, daß auch die von Handelsgärtnern angebotenen Stoffe gut sind. Dagegen warnen wir vor der Anwendung solcher Stoffe, die einen scharfen, wenn auch nicht schlechten Geruch haben. Jeder Blumendünger darf nur angewendet werden, wenn die Pflanze im Wachsthume ist. Zur Ruhezeit im Winter (mit Ausnahme von im Winter blühenden Pflanzen) zu düngen, schadet den Pflanzen. Grundsatz ist: wenig und oft! Eine zu starke Gabe kann Pflanzen sofort tödten. Die bequemste Anwendung ist, daß man das Pulver wöchentlich einmal dünn auf die Erde des Topfes streut. Man kann aber auch eine Lösung machen und davon wenig unter das tägliche Gießwasser mischen, was jedoch weniger sparsam ist. Wir bemerken noch, daß man diese Düngesalze in Gläsern oder Büchsen gut verschlossen aufheben muß, weil sie sonst naß werden. Das Salz verliert zwar nicht an Kraft, ist aber alsdann unbequemer anzuwenden. Man versuche nicht, naß gewordenes Salz auf dem Ofen zu trocknen, denn es wird durch das freiwerdende Krystallisationswasser flüssig.





Kleiner Briefkasten.


J. M. in Bayreuth. Das „Sehr gern!“ im Briefkasten von Nr. 46 vorigen Jahres war an einen anderen J. M., nicht an Sie, gerichtet. Auf Einsendung von Gedichten erfolgt der Regel nach keine Antwort.

Adele B-f. Ungeeignet! Verfügen Sie gütigst über das Manuscript!

A. A. Der „Zopfschulz“ ist „Gartenlaube“ 1859, S. 202 zu finden.

Ch. D. in Gr. B. Ja.



  1. Veröffentlicht von Professor E. Schering in der Festrede zur Säcularfeier von Gauß in der königlichen Gesellschaft der Wissenschaft zu Göttingen.