Die Gartenlaube (1881)/Heft 28
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No. 28. | 1881. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
Mutter und Sohn.
Von dem weiten Quadrat des inneren Hofes aus gesehen,
boten die großartigen Verhältnisse des Schlosses stets einen fürstlichen,
heut einen festlichen Eindruck. Die auf massivem, von uraltem
Epheu umgittertem Gefüge des Unterbaues ruhenden Gallerien,
welche sich in gothischen Bogen kühn und luftig um das erste und
zweite Stockwerk zogen, waren mit schweren Laubgewinden umkränzt.
Der Springbrunnen inmitten des Hofraumes warf seinen
glitzernden Strahl aus einer Fülle blühender Gewächse empor,
womit der Marmorrand schon in erster Morgenfrühe umzogen
worden. Einige Dienstleute waren am Flügel der Einfahrt beschäftigt,
letzte Hand an einen Triumphbogen zu legen, der aus
Laubgewinden, Fähnchen und alterthümlichen Waffen zusammengefügt
worden.
Das Grafenkind trat mit kurzem Nicken gegen die Beschäftigten hinaus auf den umwaldeten Plan, der sich westwärts weit hindehnte, während der Fels, auf welchem das Schloß vom Thale aus wie auf spitzer Nadel stehend erschien, sich nach Osten zu steil niedersenkte. Durch den Wald wand sich in weiten Krümmungen ein wohlgehaltener Fahrweg, während, dem Schlosse ziemlich nahe, ein gleichfalls geschlängelter, trotzdem mitunter jäher Fußpfad sich zwischen einem wohlgepflegten Hain von Kastanien und Wallnußbäumen niederzog. Ganz nahe unterhalb des Schlosses erhob sich eine starke Esche, deren weitaus gespannte Zweige eine Bank mit rundem Tische davor beschatteten.
Dies war Ottiliens Lieblingsplatz, und dorthin wandte sie sich jetzt. Den Arm leicht aufgestützt, saß sie müßig und folgte mit den Augen dem Spiel des Sonnenlichtes, das mit jedem Windhauche die Schatten des Laubes neugestaltig tanzen ließ. Die schlanke, lichte Gestalt erschien ganz in Uebereinstimmung mit dem hellen Tage; mit tiefem, freiem Athemzuge genoß das Kind Einsamkeit und Schweigen; es blieb aber nicht lange ungestört.
Eine stattliche Dame, überaus genau, fast pedantisch in schwarze Seide gekleidet, näherte sich vom Schlosse her.
„Mademoiselle – Sie wünschen?“ fragte Ottilie und richtete sich auf.
„Wie ich eben erfuhr, werden wir nicht ausfahren, Comtesse,“ antwortete Jene mit großer Artigkeit, die eine leise Färbung geheimen Verdrusses nicht ganz verdecken wollte oder konnte. „Ich erinnere deshalb an die englische Stunde. Es ist zehn Uhr.“
Das Mädchen nahm den vorigen Platz wieder ein.
„Sprechstunden – heute? Sie vergessen den Feiertag.“
„Von einem heutigen Festtage ist mir nichts bekannt, Comtesse.“
Ottilie sah staunend auf.
„Wir erwarten meinen Vater,“ sagte sie langsam und sah ihre Gouvernante mit eigenthümlich bestimmtem Ausdruck an; „das wäre Ihnen nicht bekannt, Mademoiselle?“
„Nachmittags.“
„Und Morgens und in jedem Augenblick! Glauben Sie wirklich, daß ich heute Sinn für Vocabeln hätte?“
„Excellenz wird unzufrieden sein.“
„So fragen Sie an!“ rief Ottilie unmuthig. „Freiwillig setze ich mich nicht in das Schulzimmer.“
Ohne zu antworten, verneigte sich das Fräulein vorschriftsmäßig, wie zuvor, und kehrte nach dem Schlosse zurück. Ottilie sah ihr einen Moment nach; zwischen ihren dichten Brauen stieg eine Linie gegen die helle Stirn auf und nahm derselben alles jugendliche Licht – freilich nur für eine Secunde; dann schlug sie die Arme übereinander und spann sich wie zuvor in ihre Gedanken ein. Es waren zukunftsfrohe, hoffnungsreiche Gedanken – von der Heimkehr des Vaters erwartete das Kind eine neue Phase der eigenen bisher in enge Schranken gebannten Existenz. Sich von diesen Schranken ganz eigentlich frei zu wünschen, kam Ottilie allerdings nicht in den Sinn; denn der in ihrem Hause gültige Begriff des noblesse oblige war ihr zu sehr in’s Blut übergegangen, als daß sie sich gegen irgend eine Einschränkung hätte auflehnen mögen, welche mit solcher Anschauung zusammenhing. Eines aber wußte sie: der kühle Hauch, welcher sie seit so langer Zeit umgeben, daß sie sich bereits an solches Klima gewöhnt hatte, würde von dem Augenblick an sonnendurchwärmt sein, in welchem der lang Entfernte wiederkehrte. Und doch hatte sie den Vater weit weniger lebhaft entbehrt, als sie sich nun auf ihn freute! Erst als seine Heimkehr in naher Aussicht stand, war ihr sein mildes, angenehmes Gesicht aus schlummernder Erinnerung wieder lebendig in’s Gedächtniß gestiegen. Als er schied, war sie ein Kind gewesen, das Alles als selbstverständlich hinnahm, was das Leben gab. Heute war sie noch eine Schülerin, aber kein Kind mehr. Die kühlen Lehren der Weltweisheit, vom Großvater dem jungen Ohre allmählich eingeträufelt, eine in Kenntnissen mancher Art bereits vorgeschrittene Bildung, wie sie der alte Graf an den Frauen geschätzt, mit denen er auf der Höhenstufe seiner eigenen Generation verkehrt hatte, und die er bei den heutigen Damen alter Geschlechter oft mit scharfem Urtheil zu vermissen pflegte, hatten Ottiliens Geist zu einer für ihre Jahre fast zu großen Reife geführt. Doch läßt sich die Jugend zwar Alles [458] geben, aber nicht Alles nehmen. Was in dem fünfzehnjährigen Herzen an Kindlichkeit, Feuer und Glücksbedürfniß nur immer unzerstört geblieben, das wallte heute auf und strömte, blühte der idealen Gestalt entgegen, als welche des Vaters Bild im Innersten dieses Herzens geborgen war.
Die Uhr auf dem westlichen Thürmchen des Schlosses schlug Elf. Noch war der letzte Ton nicht verhallt, als mit jener Pünktlichkeit, mit der jeder Anordnung des alten Grafen Folge geleistet wurde, der zur Einholung des Erwarteten bestimmte Wagen durch das Portal rollte und bald auf dem Fahrwege zwischen den Föhren verschwand, welche sich auf dem Kamm des Schloßberges entlang zogen.
Ottilie sah dem Gefährte mit leuchtendem Blicke nach. Flüchtig hob sie den schlanken Zeigefinger an die Lippen und warf einen Kuß in die Lüfte. Als sie aber nun den Kopf wandte und ihr Auge achtlos den niederwärts schlängelnden Fußpfad streifte, entschlüpfte ihr plötzlich ein lebhafter Ausruf. Das Blut schoß ihr bis in die Stirn. Dort unten, wo der Weg sich um die Felswand bog und nur für eine kurze Strecke von hier oben erschaut werden konnte, hatte sie eine Gestalt erblickt – nur eine Secunde lang; denn der Wanderer verschwand eben, als ihr Auge ihn traf, zwischen den Bäumen – dennoch deutlich genug für das Falkenauge, für das wache, bereits in die Ferne lauschende Herz. Wie von Schwingen getragen flog sie abwärts, um nach wenigen Minuten glühend, athemlos, fast taumelnd an der Brust des Vaters zu liegen, der sie fest in die Arme schloß, durch ihr Erscheinen in diesem Moment nicht minder überrascht, als sie durch das seine.
Dicht an der Stelle, wo Beiden dieses Wiedersehen vom Himmel gefallen, stand eine der zahlreichen Bänke, die im Wäldchen zur Rast luden. Wie auf Verabredung wandten Vater und Kind sich derselben zu, sobald sie einander aus den Armen gelassen, und jetzt erst schaute Eines das Andere mit jenem Blicke an, der nur beim Scheiden und beim Wiedersehen so aus dem Herzen in die Augen steigt – jenem Blicke, der beim Abschied uns selbst fragt: „Wirst Du auch jeden Zug festhalten? Schaue! schaue! Du siehst Dein Liebstes lange nicht, vielleicht niemals wieder“ – der beim Wiederfinden den Andern fragt: „Bist Du es auch noch?“
Meinhard Riedegg hatte sich gesetzt und hielt nun die beiden Hände seiner Tochter, die vor ihm stand, in den seinen. Sein Auge schien in der That zu fragen: „Bist Du es noch?“ Selbst in diesem Momente, wo Glück und Freude sie mit lichtem Schimmer übergossen, glich das schlanke hohe Mädchen gar wenig dem Kinde, von dem er vor zwei Jahren geschieden. Weit mehr glich sie den Briefen, welche er, namentlich neuerdings, von ihr erhalten, deren Ausdruck ihn oft ebenso frappirt hatte, wie ihn heute die bereits jungfräuliche Erscheinung überraschte.
„Wie groß Du geworden bist, Tila!“
„Und Du,“ flüsterte sie, erröthend vor Freude über den Schmeichelnamen, welcher ihr nie von anderen Lippen erklungen. „Wie siehst Du jung aus! Gar nicht wie ein Vater. Und jetzt – nicht wahr – jetzt bleibst Du bei uns? Jetzt gehörst Du mir – ganz allein?“
Er wich dem dringenden Blicke des Kindes aus, indem er sich erhob, ihren Arm unter den seinen zog und auswärts zu wandern begann. Erst nach einigen Augenblicken sagte er lächelnd:
„Ganz allein? Dem Großpapa wirst Du doch wohl ein Besitztheilchen abtreten müssen.“
„Das meine ich nicht – Du verstehst mich schon. Mir war so bange vor –“
„Wovor bange, Tila?“
„Vor Deiner zweiten Frau!“ Scheu und heftig kam das Wort heraus.
Er stand plötzlich still und sah sie an, blaß und stumm. „Meiner zweiten Frau?“ wiederholte er betroffen.
„Die es ja nicht giebt, die es hoffentlich niemals geben wird. Großpapa spricht ewig davon, Du würdest mir eine Mutter zuführen – wozu bedarf ich einer Mutter, jetzt, nun ich erwachsen bin? O, wie lieb’ ich Dich dafür, daß Du denkst wie ich! Wir Beide wollen zusammenhalten; Alles, was Du verlangst, kann ich thun und Dir sein.“
Meinhard strich ihr das lockige Haar aus der Stirn. „Laß das ruhen, Tila!“ sagte er weich. „Ja, Kind, wir wollen zusammenhalten – zunächst uns wieder kennen lernen; denn über das Maß, was ich von meinem Töchterchen in mir trug, bist Du weit hinausgewachsen. Finde ich noch mehr Veränderungen hier in Riedegg? Wie geht es meinem Vater?“
„Gut!“ sagte Ottilie. „Der Großpapa verändert sich nie – das weißt Du. Was könnte hier auf Riedegg anders geworden sein? Alles geht regelmäßig auf und nieder, wie die Sonne – nein, das paßt nicht; die Sonne verbirgt sich zuweilen, und dann sehnt man sich nach ihr – die Sonne warst Du. Großpapa und Mademoiselle sind immer sichtbar, immer an der gleichen Stelle und bezeichnen die Stunden durch das ewige Gleichmaß ihres Thuns.“
„Du liebst Deine Erzieherin nicht, Ottilie?“
Sie warf einen staunenden Blick aus den Vater.
„Lieben? Was sollte sie damit anfangen? Mademoiselle ist ein Born der Weisheit; daraus schöpft und trinkt man – und ich habe viel Durst. Der Bronnen selbst aber lockt nicht zum Weilen. Nein, Papa, wir lieben uns nicht. Was würde auch Großpapa dazu sagen, wäre es anders?“
Meinhard schüttelte leise den Kopf. Ein nachdenklicher Zug legte sich, fast wie Trauer, um den feinen Mund.
„Armes Kind!“ murmelte er kaum hörbar; „ich blieb zu lange fern.“ Er drückte den Arm, der in dem seinen lag, fester an sich und sagte mit heiterer Ironie: „Mir scheint, Du bist selbst ein Born der Weisheit, Tila. Sprichst Du immer in Gleichnissen?“
Sie wurde roth und lachte. „Nicht immer, Papa! Warum sprechen wir überhaupt von den Anderen, während ich dürste, von Dir zu hören? Wie viel hast Du geschaut, erlebt in fremden Ländern? – Davon wirst Du mir nun erzählen – nicht wahr? Und später nimmst Du mich mit Dir hinaus in die weite Welt.“
„Die doch nicht um ein Haar weiter ist, als unser schönes Heim.“
Sie hatten das Plateau erreicht. Im hellen Morgenglanze schimmerte dem Grafen der fürstliche Sitz seines alten Geschlechtes entgegen, auf dessen östlichem Thurme soeben eine roth-weiße Flagge aufgezogen ward. Sein Kind am Arme trat Meinhard elastischen Schrittes durch das geschmückte Portal in den Schloßhof, auf dem er sich kaum gezeigt hatte, als das dort noch mit festlichen Vorbereitungen beschäftigte Gesinde ihn mit lauten Rufen des Staunens und der Freude umringte. Blitzschnell drang die überraschende Kunde in das Innere des Schlosses. Noch hatte der Ankömmling dessen Eingangsworte nicht erreicht, als zwischen einem Bogen der Gallerie die Hünengestalt des alten Grafen für einen Moment sichtbar wurde. Er hob den Arm zum Gruße und trat dann sogleich zurück. Das Familienoberhaupt erwartete den Sohn im eigenen Gemache.
Als Meinhard die Schwelle des Königinzimmers überschritt und seinem Vater in sichtlicher Bewegung entgegeneilte, sprühten gleichsam Funken aus dem Erz, aus welchem des Greises Züge gegossen schienen. Ein rascher Freudenstrahl brach aus dem kalten Auge, das die ganze Erscheinung des Heimgekehrten wie ein Blitz überflog. Das Adlerauge des scharfen Menschenkenners hatte in dem Gesichte, das er durchspäht, einen neuen Zug erfaßt – dieser Zug sprach von Kraft.
„Willkommen auf Riedegg, Meinhard! Du siehst gut aus! Wir sind überrascht – Dein Reiseplan ließ Dich frühestens zum Abend erwarten.“
„Ich traf schon gestern in Brixen ein, wenn auch spät, und nahm heute frühzeitig Extrapost. Wagen und Gepäck folgen; es lockte mich, unten im Dorfe auszusteigen und in Einsamkeit unsere alten Kastanien wiederzugrüßen.“
Die tiefe Falte , welche seit langen Jahren zwischen den Brauen des alten Grafen hauste, grub sich schärfer. Er wandte sich seitwärts und murmelte: „Immer noch der alte Phantast!“
Es giebt wenig Einflüsse, die mächtiger wirken als eine Autorität, welche aus der Stellung und der Individualität ihres Trägers zugleich herangewachsen ist. Das galt im vollen Umfange für den Grafen Raimund Riedegg. Er hatte lebenslang starke Empfindungen hervorgerufen, war viel gefürchtet, nachhaltig und ernsthaft geliebt worden; denn seine Kraft trat so energisch zu Tage, daß man ihr volle Berechtigung zugestand und ihm jedes Böse, das er unterließ, nicht weniger hoch anrechnete, als das Gute, welches er that. Er besaß einen scharfen Verstand; dennoch [459] wurzelte seine Festigkeit nicht hierin, sondern im Willen, während sein durchdringender Geist den Menschen und Dingen bis auf den Grund blickte und ihm so eine verborgene, selten versagende Macht über dieselben gab. Vollendeter Weltmann, hatte er in seiner Jugend am Wiener Hofe geglänzt, im frühen Mannesalter schon bedeutende Erfolge als Diplomat errungen. Daß sich der Greis in die Einsamkeit seines Schlosses zurückgezogen, war nicht die Folge nachlassender Kraft, sondern die Wirkung des einzigen Schicksalsschlages gewesen, dem sein Bewußtsein nicht gewachsen war. Für jeden Menschen giebt es ein Wesen, dem gegenüber er schwach ist – Graf Raimund war es für seinen ältesten Sohn, in welchem ihm ein Ebenbild erwuchs, mit dem ihn jene starke Liebe gleichgestimmter Individualitäten verband, welche selbst dann, wenn sie zusammenstoßen wie Stahl und Stein, nur den im Kiesel verschlossenen Funken weckt. Jede Kraft, die er selbst besaß, entfaltete sich auch im Stammhalter: Scharfblick, Menschenkenntniß, die Gabe zu regieren. Auf Jahrhunderte hinaus dachte er sich so die nachfolgenden Generationen seines Geschlechtes, einer Eiche gleich, die auf freier Höhe steht, mit den Wurzeln tief in den Boden hinabsteigt, die Schatten der mächtigen Krone weithin breitet. Solche Kronen aber trifft mitunter der Blitz.
Graf Wolf fiel im Alter von fünfundzwanzig Jahren im Duell, als er eben im Begriff war, sich zu vermählen. Der Rückschlag auf den Vater wirkte zerschmetternd. Er mochte einer Welt nicht mehr genießen, die ihm fortan keinen Ausblick auf die Zukunft bot, und zog sich mit seiner Familie nach Riedegg zurück.
Noch lebte ihm ein Erbe seines Namens und Stammes. Der seinem Bruder um sechs Jahre nachgeborene Meinhard war aber zu spät gekommen; alles, was das kalt-leidenschaftliche Herz des Vaters auszugeben hatte, gehörte bereits dem Andern, dem Stärkeren, Glänzenderen. Der Jüngere blieb seiner Mutter überlassen, einer zartbesaiteten, verschüchterten Natur, deren Seele voll Liebe und Furcht an ihrem Gatten hing, stets bemüht, die Höhe beider Gefühle vor ihm zu verbergen, und der Alleinbesitz des Knaben ward zum schmerzlich süßen Glück ihres entbehrungsreichen Daseins.
Menschen von Graf Raimund’s Schlage sind nur gegen die gerecht, welche sie lieben. Mutter und Sohn standen ihrem ganzen Wesen nach für ihn gleichsam auf einem andern Ufer. Nachdem ihn das Leben so furchtbar beraubt hatte, verwandelte sich diese Gleichgültigkeit in ein Gefühl, das an Abneigung grenzte.
Meinhard, welcher, als sein Bruder starb, aus der Universität weilte, wohin er unter Obhut des Caplans gesendet worden, dem zuvor seine Hauserziehung anvertraut gewesen, ward ein halbes Jahr später vom Vater nach Riedegg berufen. Mit prüfendem Blick forschte der alte Staatsmann nach einem Boden für neue Saat, aber bald sagte er sich in tiefem Mißmut, daß er seinen jüngsten Sohn dennoch zu oberflächlich beurtheilt und daß es heute zu spät sei, das Versäumte einzubringen: Was er als unüberwindlich erkannte, war keineswegs die erwartete Mittelmäßigkeit, sondern ein theils angeborener, theils durch den Einfluß der Mutter in jeden Nerv übertragener Idealismus. Der Vater sah scharf und klar, daß es ihm nie gelingen würde, dem Sohn etwas von seiner eigenen Kraft mitzuteilen. Dies ward ihm zur Richtschnur: der nicht sein Zögling sein konnte, mußte sein Abhängiger bleiben.
Ein Jahr nach Wolf’s Tode führte der Zwanzigjährige auf Befehl des Vaters die verwittwete Braut seines Bruders zum Altar, obgleich er wußte, daß Jene einzig das Bild des Todten im Herzen trug. Der „Träumer“ war nicht dazu geartet, eine hervorragende Rolle auf der Weltbühne zu spielen; deshalb zog das Familienhaupt vor, ihn dort überhaupt nicht auftreten zu lassen. Graf Raimund’s letztes Hoffen richtete sich auf die Zukunft – noch fühlte er Lebenskraft genug in sich, um dem Stammhalter, welchen er von dieser Zukunft erwartete, etwas von seinem Geiste einzuimpfen. Aber auch diese Hoffnung schlug fehl. Die Ehe des jungen Paares blieb lange kinderlos, und nachdem Gräfin Blanka im fünften Jahre ihrer Verbindung mit Meinhard diesem eine Tochter geschenkt, siechte sie hin, ohne sich wieder erholen zu können. Die kleine Ottilie hatte eben ihr zwölftes Jahr angetreten, als der schwache Hauch ihrer Mutter erlosch, fast zu derselben Zeit, als auch Meinhard’s Mutter die müden Augen schloß, und nun überkam diesen eine unsägliche Schwermut, die mit jeder Woche, jedem Monat wuchs, bis sich endlich Alles, was Gesundheit in ihm war, gegen diesen kranken Zustand wehrte.
Eines Tages – es mochte ein halbes Jahr seit den Trauerfällen vergangen sein – sprach er seinem Vater den Entschluß aus, zu reisen, die Welt zu sehen, ein Verlangen, das vom alten Grafen mit Befriedigung vernommen wurde. Endlich doch einmal ein Wille, eine Initiative!
Es war der Wunsch Graf Raimund’s gewesen, den Sohn für eine zweite Ehe zu stimmen; er rüstete ihn mit Empfehlungsbriefen an alle Höfe Europas aus und stellte ihm unbeschrankte Mittel zur Disposition. In der Stunde des Scheidens machte er es ihm nachdrücklich zur Pflicht, nicht heimzukehren, ehe er eine zweite Wahl getroffen.
Zwei Jahre waren vergangen und darüber. Nun kehrte der Erbe des Hauses zurück – aber allein. Mit einer Vorsicht, die weder seinem starrköpfigen Temperament, noch seinen autokratischen Gewohnheiten entsprach, vermied der alle Graf zunächst jede Berührung der für ihn brennenden Frage. Seinem Scharfblicke bestätigte sich, trotz der ersten mißmuthigen Regung über des Sohnes „Phantasterei“, mehr und mehr der Eindruck, daß mit Meinhard etwas vorgegangen sei. Er harrte auf eine Eröffnung. Daß solche bevorstand, lag ihm außer Zweifel, aber welcher Art sie sein würde, ließ sich nicht berechnen. Scharf beobachtend, bedächtig sondirend, wartete er und notirte jeden Widerspruch, der ihm bei den Berichten des Sohnes auffiel, schweigsam im Kopfe.
An solchen Widersprüchen fehlte es nicht. Während Meinhard im Anschlusse an frühere Briefe lebendig und präcis auf die Erlebnisse seines ersten, im Auslande zugebrachten Reisejahres einging, glitt er mit kaum verhehlter Absichtlichkeit rasch über die Gründe hinweg, welche ihn später zur Abkürzung des Wiener Aufenthaltes, zur abermaligen Reise nach Italien veranlaßt hatten. Was er aber auch zurückhalte mochte, Eines ergab sich aus seiner ganzen Art: daß ein Anderer heimgekehrt, als der vor wenigen Jahren in die Fremde gezogen. Mit nie geübter Freimüthigkeit, die während seiner Kindheit durch Furcht, später durch Gewöhnung des Schweigens erstickt worden, ließ er nun seinem ursprünglichen Wesen vollen Lauf.
Echte Liebenswürdigkeit gleicht der Sonne; es geht eine Wärme von ihr aus, die jedes Eis aufthaut Zum ersten Mal regte sich in Graf Raimund etwas wie Vaterstolz dem Sohne gegenüber. Wie in jenem Märchen vom steinernen Reiche alles Lebende aus der Versteinerung erwacht, sobald der Erlöser es betreten und der erste Morgensonnenstrahl es berührt, war ein fröhliches Regen und Treiben über Riedegg gekommen. Heiter thaten alle Diener ihre tägliche Pflicht, der ein freundliches Wort des jungen Gebieters Reiz gab. Nirgends war die Ordnung unterbrochen, aber in die starre Regelmäßigkeit war ein Wohlbehagen gekommen, das ihr gleichsam einen frischeren Pulsschlag verlieh. Selbst Mademoiselle, die personificirte Regel, gab ohne Bemerkung nach, als der Vater sich zunächst volle Ferienfreiheit Ottiliens bedingte.
Die Harmonie dieser Stimmungen warf ihren Glanz vor Allem auf die junge Tochter des Hauses. Ottilie war wie verwandelt. In dieser spröden Kindesnatur machte sich etwas Lauschendes geltend, ihre Augen und Gedanken trennten sich nicht mehr von der lieben Gestalt, die gleichsam als ein Neues in ihr Leben getreten; jeder Strahl von des Vaters anmutiger Intelligenz wurde begierig von ihr aufgesogen. Fühlte sie, daß er voll heimlicher Dringlichkeit um sie warb, daß er sehnsüchtig danach strebte, ihr volles Verständniß seiner eigensten Natur zu wecken, ihr jene große Liebe einzuflößen, welche Alles giebt und vergiebt?
Ungefähr um die gleiche Stunde, wo Ottilie vor acht Tagen ihren Vater zuerst erblickt, saß Meinhard eines Morgens unter der gleichen Esche, wie damals. Ottilie hatte hier mit ihm eine jener. frühen Tagesstunden verplaudert, zu denen der alte Graf noch nicht sichtbar zu sein pflegte, und war eben in’s Schloß gegangen, um sich zu einem verabredeten gemeinschaftlichen Ausritte zu rüsten Meinhard sah ihr nach, bis die schlanke Gestalt im Thore verschwand, und versank tief in Gedanken. Ein Wort seiner Tochter hatte ihn daran erinnert, daß seit seinem Hiersein eine volle Woche verflossen war. Eine Woche – wie wenig Zeit das ist! Und doch kann in solcher kurzen Reihe von Tagen unendlich viel versäumt, unendlich viel gewonnen werden. Wer sich mit Entschlüssen, ja mit Notwendigkeiten trägt, für den bedeutet eine Woche untätigen Zögerns Unberechenbares. Es geht mit der Zeit zuweilen wie mit einem Menschen, dem man begegnet, dem man Wichtiges [460] zu sagen hätte und an dem man doch vorübergeht – man besinnt sich, wendet sich und versucht den Andern einzuholen. Da sieht man betroffen, daß sich dieser inzwischen schon so weit entfernt hat, daß er nicht mehr einzuholen ist.
Ein Augenpaar drang über Berg und Thal und fragte vorwurfsvoll: Worauf wartest du? – Und sein Gedanke antwortete: Wüßtest du nur! Ich kam gerüstet zum Kampfe mit einem Riesen, statt seiner fand ich ein Kind; ich kann es, darf es nicht zu Boden werfen; ich muß es auf meine Arme, an mein Herz heben – nur so wird unser Weg frei!
Des Menschen Seele ist ein wundersames Instrument. Derselbe Ton, der gestern noch als reine Lösung der Dissonanz klang, die unseres Lebens Harmonie untergräbt, läßt morgen vielleicht die straff gespannte Saite springen. Was Meinhard bisher beschwichtigt, was er sich noch eben wiederholt, traf sein eigenes Ohr plötzlich wie leerer Schall. Stärker, gewaltiger klang das Echo der berechtigten Frage: Worauf wartest du? Jähe Gluth stieg ihm bis in die Stirn. Ihm war, als müßte er die Augen niederschlagen vor Allem, was ihm lieb und theuer zugleich, und er schlug sie lebhaft auf, mit dem Blitze des Entschlusses darin.
Als er im Begriffe war, dem Schlosse zuzuschreiten, kam ihm ein Diener mit der Meldung entgegen, die Comtesse sei bereit. Wirklich saß Ottilie schon in Hut und Schleier auf dem ihr zugehörenden Maulthier, während der Reitknecht daneben Meinhard’s Fuchs am Zügel und in der Linken Reitpeitsche und Mütze hielt. Mit jener angeborenen Eleganz, die jede seiner noch durchaus jugendlichen Bewegungen kennzeichnete, schwang sich der Graf in den Sattel. Die Augen der Bediensteten folgten dem Paare mit jener gemütlichen Eigenthumsfreude, die Herrn und Hof als „unsere“ umfaßt.
Schweigend ritten Vater und Kind durch den lichten, zu Anfang des Weges von mancherlei Anlagen unterbrochenen Forst. Der schöne Morgen lachte über ihren Häuptern und strömte sein volles Glänzen über das Thal, welches sich zur Linken des Fahrweges bald dem Blicke öffnete. Der stete Wechsel südlicher und nördlicher Vegetation, wie er der deutsch-italienischen Grenzscheide eigen, verlieh den terrassenartig über einander steigenden Geländen charakteristischen Reiz. Weinbelaubte Hügel, schattige Kastanienhaine strebten zu dunklen Föhrenwäldern aufwärts; fern, als Grenze des Thales, stand der imposante Gebirgszug im Morgendufte.
„Woran denkst Du, Papa?“ fragte Ottilie plötzlich.
Schon wußte sie, daß ihr Auge vom Vater empfunden werde, wenn er auch abgewendet schien, nun aber hatte es seit Minuten an ihm gehangen, ohne ihn der Versunkenheit zu entreißen, welche ihn gefesselt hielt.
Er wandte den Kopf und sah sie mit verlorenem Blick an.
„Woran ich denke? An Dich, Tila. Ich möchte Dir etwas vertrauen, was uns Beide angeht, nahe, sehr nahe angeht.“
Ihr Auge glühte auf.
„Du willst mir vertrauen?“ fragte sie lebhaft. „Ich danke Dir. Was Dich angeht, muß ja auch mich angehen o, mir ahnt, um was es sich handelt. Du denkst künftig nicht auf Riedegg zu bleiben; Du willst in die lebendige Welt hinaus, wirken, schaffen, und nimmst mich mit Dir?“
Meinhard schüttelte leise den Kopf.
„Nicht so, Tila! Von Jüngstvergangenem will ich Dir erzählen, und was sich uns daraus an Zukunft aufbaut. Wir sind hier nahe bei Lichtenwerde. Dort wollen wir absteigen und rasten, dann hörst Du mir zu.“
Ottilie warf einen fragenden Blick aus den Vater und verstummte. Im Tone seiner Stimme, so weich er geklungen, lag etwas, das sie befremdete und mit unbestimmtem Bangen erfüllte. Nachdenklich ritten Beide vorwärts, ohne ein Wort zu tauschen, bis sich aus der weit vorgeschobenen Berglehne eine Lichtung öffnete, auf deren Plan die Trümmer einer längst zerfallenen Burg ausgestreut waren, von Moos und Buschwerk wie in einen Mantel gehüllt. Es war eine Heimstätte tiefster Einsamkeit; selbst in dieser Stunde, wo das goldene Tageslicht sich in jeden Winkel ergoß, breitete sich eine bezaubernde Melancholie über den weltabgeschiedenen Ort. Welche Ruhe hier, welches Schweigen! Dicht am Abhang stand ein verlassenes Kirchlein, über dessen altersgraues, verwittertes Gemäuer wildes Geranke niederhing. Wind und Wetter hatten die Kuppel des Thürmchens halb abgedeckt; die stumme Glocke, welche längst keine Stunde mehr bezeichnete, hing frei zwischen den Sparren. Zur Linken der Pforte breitete eine Kastanie ihren Schatten über Rasen und Moos. Nur mit leisen Athemzügen regte sich das Leben der Natur. Würziger Waldblüthenduft, goldene Sonnentropfen füllten die Stätte.
(Fortsetzung folgt.)
Eine Rheinfahrt.
Unter den Tausenden und aber Tausenden, welche sich alljährlich von den Wellen des deutschen Lieblingsstromes tragen lassen, entschließen sich nur Wenige, die Flußfahrt südlich von Mainz fortzusetzen, und wen es etwa zu den herrlichen Münstern von Worms, Speier und Straßburg zieht, der wählt den Schienenweg – nicht mit Unrecht; denn die Stromufer sind flach und dürftig, Nur durch die fern blauenden Bergketten des Schwarzwaldes und der Vogesen gewinnt die Landschaft einigen Reiz, der aber kann für die Monotonie des Vordergrundes entschädigt. Anders freilich wird es, wenn man den Fluß noch weiter aufwärts, bis in das Land seiner Geburt verfolgt. Aber wer kümmert sich dort um den weiter nördlich so hochgepriesenen Rhein? Gleichgültig eilt an ihm der Reisende vorüber; nur bei Dachsen etwa wird ein Zug übersprungen, um im Fluge den berühmten Schaffhausener Wasserfall zu besuchen. Denn diesen, von dem man weiß, daß er nächst dem Trollhätta und Imatra alle Stromfälle Europas an Majestät übertrifft, muß man doch füglich gesehen haben. Alsdann geht es rastlos weiter, der lockend winkenden Alpenwelt entgegen – der Rhein bleibt unbeachtet zur Seite. Hier aber verdient er solche Zurücksetzung nicht; hier prangen seine Gestade, von Geschichte und Sage verklärt, in so reicher, abwechselnder Schönheitsfülle, wie nur irgendwo auf seinem späteren Laufe.
Mutwillig kommt der junge Strom, seine künftige Größe noch nicht ahnen lassend, aus seiner kühlen Gletscherwiege hoch von den nebeligen Höhen des Gotthard herabgebraust; mit jugendlichem Ungestüm bricht er sich seinen Pfad durch die wildromantischen Schluchten Graubündens, bevor er in den Canton St. Gallen tritt. Auch hier noch ist die Landschaft herrlich. In kühnen Zacken, scheinbar nur dem Fluge des Adlers zugänglich, starren überall grandiose Massen kahlen zerrissenen Gesteins empor, und an ihren Klippen und Vorsprüngen kleben graue, zerfallene Felsennester, die Stammburgen uralter, noch heute hochangesehener Geschlechter. Die breite Thalsohle schmückt eine üppige, fast südliche Vegetation; frischgrüne Triften begleiten den rasch und ungestüm bergab eilenden Fluß. Noch trägt dieser keine Lasten – kaum wagt sich ein leichtgebauter Fischernachen ungestraft in den tosenden Strudel – noch weilt er im sonnigen Zauberlande der Kindheit, wo es nur heitere Spiele, keine ernsten Pflichten giebt. Aber der Bodensee ist ihm eine strenge Schule, aus der das undurchsichtige, weißlichgraue Gletscherwasser geläutert und smaragdklar hervorgeht. Nun tritt der Ernst des Lebens an den stattlich Emporgewachsenen heran; dem Verkehr und der Gewerbthätigkeit muß er fortan dienstbar sein. Aber noch immer eilt er raschen, übermütigen Laufes zwischen seinen grünen Waldbergen vorwärts, ein leichtlebiger Jüngling, dem die lustigen Knabenspiele noch nicht allzufern liegen. Noch einmal scheint die Erinnerung an dieselben mit überwältigender Macht in ihm zu erwachen – da macht er seinen letzten tollen Jugendstreich. Von hoher Felswand herab stürzt er sich lautaufjauchzend in’s Thal; alle ihm aufgedrungenen Lasten abschüttelnd, braust er mit ausgelassenem Jubel dahin, bis sich allmählich sein stürmischer Uebermuth legt und er gesetzteren Schrittes weiterwallt. Und nun lenkt er als wolle er gänzlich mit der stürmischen Vergangenheit brechen,
[461][462] seinen bisher westlichen Lauf mit scharfer Biegung gen Norden. Langsam und breiter sich ausdehnend, strömt er aus den Bergen hinaus in’s Flachland: aus dem poetischen, heiteren Jugendtraum in die verstandesnüchterne Periode des Mannesalters – ein Bild des Menschenlebens.
Solcher Art ist der Weg unseres Rheines durch das schöne Schweizerland, ein Weg, den der große Fremdenstrom nur an wenigen Punkten kreuzt oder berührt. Selbst dort, wo der wilde Alpensohn, zu scheinbarer Reise gediehen, den Reisenden im bequemen Dampfer auf seinem Rücken dahin trägt, wird er verhältnißmäßig nur wenig aufgesucht. Dort aber wollen wir ihn heute betrachten.
Entweder auf dem von den ernsten Tannenbergen des Schwarzwaldes herabsteigenden Schienenwege oder im schnellen Dampfboote die heitere, blaublitzende Fläche des Schwabenmeeres kreuzend, nähern wir uns der altehrwürdigen Bischofsstadt Constanz, die mit ihrem hochragenden Dome stolz über die weiten Gewässer schaut. Wie stattlich sie sich auch heutigen Tages noch darstellt, wie herrlich auch ihre Lage ist, so wurzelt doch das Interesse, welches sie dem Wanderer einflößt, fast ausschließlich in der Vergangenheit.
Wer sich die Geschichte der Stadt in ihren bedeutsamsten Momenten vor Augen geführt sehen will, der richte seine ersten Schritte nach dem hart am Seegestade sich erhebenden Kaufhause, einem massiven düsteren Bau des vierzehnten Jahrhunderts, in dem das berühmteste Concil auf deutschem Boden seine Sitzungen abhielt. Der große, wohlerhaltene Conciliumssaal ist neuerdings durch die Maler Pecht und Schwörer mit interessanten Fresken ausgeschmückt, die uns in chronologischer Folge die wechselnden Geschicke der alten, einst so mächtigen Stadt zeigen. In den Straßen der Stadt begrüßt uns noch manch stattliches Giebelhaus aus früheren Jahrhunderten, vor allen aber fesselt uns das unscheinbare Gebäude, in welchem einst Kaiser Sigismund den Burggrafen Friedrich von Nürnberg mit der Mark Brandenburg belehnte. Jener 18. April des Jahres 1417 war wohl der wichtigste und folgenschwerste Tag in der Geschichte des Hohenzollernhauses, ein Tag, ohne welchen es jetzt vielleicht kein neues deutsches Reich gäbe. Weiter schreitend, gelangen wir zu dem stattlichen Dom, dessen ursprüngliche, dem zehnten Jahrhundert entstammende Anlage im Laufe der Zeiten vielfach durchgreifenden Veränderungen unterworfen wurde. Heute prangt er im Innern mit plastischem und malerischem Schmuck aus der gothischen Periode. Ihn schmückte Wessenberg's Andenken. (Vergl. „Gartenlaube“ 1863, Nr. 3.)
Man trennt sich schwer von der alten, interessanten Stadt. Aber das Dampfboot, das an den breiten Quadern des Hafendamms landet, pfeift bereits zum letzten Male. Vom Sonnenglanz übergossen, dehnt sich der Bodensee unabsehbar vor unseren Blicken; jenseits schimmert, in blauem Duft verloren, die lange Kette der Vorarlberger und Appenzeller Alpen, aus deren Mitte die kühne Gestalt des Säntis gewaltig hervorragt. Sehnsuchtsvolle Gedanken schweifen hinüber nach jenen Schluchten oder auch nach dem reizenden, in stiller Seebucht sich sonnenden Eilande Mainau, dem Buen-Retiro des Großherzogs von Baden, in dessen wellenumrauschten Blüthengärten Kaiser Wilhelm oft und gern verweilt.
Unser Dampfer jedoch verfolgt andere Ziele. Langsam rauscht er aus dem Hafen, vorbei an dem kleinen weißen Leuchtturme, vorbei auch an den grauen Mauern des alten Dominikanerklosters, in dessen Kreuzgängen sich jetzt eine bunte internationale Menschenmenge tummelt; denn das ehrwürdige, von reizenden Anlagen und Terrassen umgebene Stift ist zum eleganten Hotel umgewandelt. Dann eine scharfe Wendung nach links, und unter einer stattlichen mit steinernen Standbildern geschmückten Brücke hindurch gelangen wir in ein engeres Fahrwasser, in den dem weiten See in prächtigen Wogen entströmenden Rhein. Die Ufer des Flusses sind hier flach und sumpfig; noch lange begrenzt Constanz mit seinen schlanken Thürmen den Blick; dahinter liegt als schmaler Silberstreifen der Bodensee. Bald erscheint zur Linken ein altertümliches Castell mit massigen Thürmen, Es ist Schloß Gottlieben, Anno 1250 vom Constanzer Bischof Eberhard von Waldburg erbaut und jetzt dem gräflichen Geschlechte von Beroldingen gehörig. Die düstere, altersgraue Wasserveste hat durch Huß, der lange in ihrem Banne gefangen saß, eine traurige Berühmtheit erlangt; gleichzeitig mit ihm ward auch der lasterhafte Papst Johann der Dreiundzwanzigste hier in Gewahrsam gehalten, und dreißig Jahre später mußte Felix Hämmerlin, der unglückliche Züricher Chorherr, seine kühnen Strafpredigten gegen die Sittenlosigkeit des Clerus mit langer peinvoller Einkerkerung in Gottliebens Mauern büßen.
Kurz nachdem der Rhein an dieser so traurige Erinnerungen weckenden Veste vorbei geströmt ist, erweitert er sich zu einem stattlichen Wasserbecken. Das ist der krystallklare Untersee, der seine Wellen bis zu den fernen Hegauer Bergen schickt. Lactus venetus heißt er in den Chroniken des Mittelalters, und in seinen blauen Fluten findet sich ein seltener Fischreichthum, Gegenstand eines ausgebreiteten Handels. Hauptartikel desselben ist der Gangfisch, wie der Blaufelchen, einer der schmackhaftesten Fische des Sees, in seiner unerwachsenen Jugend genannt wird. Marinirt und geräuchert werden die „Gangfischli“, im Geschmacke eine Art Mittelding zwischen Bückling und Sardelle, in Tönnchen verpackt und weithin versendet. Früher wurden sie wohl noch in größerer Menge gefangen, als heutzutage; denn wie in der schwäbischen Chronik des Martin Crusius (Ende des sechszehnten Jahrhunderts) zu lesen ist, gewann man damals mit einem Zuge oft an 40,000 Stück der kleinen Fische, welche der Chronist folgendermaßen beschreibt „Sie sehen weiß aus, sind etwas kleiner denn die Häringe und lassen sich wohl essen, wenn sie eingesalzen und gedörrt sind.“
Der Untersee gewährt einen höchst anmuthigen Anblick. Seine Ufer erheben sich zu sanften Hügeln, die mit Reben bepflanzt und oft von malerische Schlössern gekrönt sind. Unten am Strande aber schimmern aus Fruchtbaumwäldern freundliche Fischerdörfchen hervor. Was Gustav Schwab vom Bodensee singt, das gilt auch von dessen kleinerem Nachbar:
„Der Hauch des Herrn treibt deine Boote;
Dein Netz soll voll von Fischen sein:
Dein Volk nährt sich vom eig’nen Brode
Und trinkt den selbstgezog’nen Wein.“
Das nördliche Ufer des Unterstes ist badisch, das südliche aber gehört zum Canton Thurgau. Hier landet das Dampfboot zuerst in Ermatingen, einem idyllischen Fischerdorfe, das von einem Kranze herrlich gelegener Villen und Schlösser umgeben ist. Von hohem Hügel winkt das stattliche, zinnengeschmückte Schloß Salenstein herab, und von einer tieferen Terrasse desselben Hügels das weißschimmernde Arenenberg, das vor allen Schlössern der Umgegend unser Interesse fesselt; denn seine Besitzerin ist jene merkwürdige Frau, die aus dem Dunkel eines verarmten spanischen Grandenhauses auf den damals glänzendsten Thron der Welt gehoben ward, bis sie ein hartes, aber selbst heraufbeschworenes Geschick abermals in die Vergessenheit hinabriß. In der Geschichte der Napoleoniden spielt Schloß Arenenberg eine wichtige Rolle. Hier verlebte die Exkönigin Hortense als Herzogin von St. Leu manches Jahr; hier wuchs ihr Sohn, der nachmalige Kaiser Napoleon der Dritte, auf; hier versammelte sich eine Zeitlang Alles, was mit Anhänglichkeit und Treue an dem gestürzten Herrscherhaus hing. Die ganze Gegend konnte damals eine bonapartistische Colonie genannt werben. Das nahe Schloß Eugensberg bewohnte Hortensens Bruder, der Herzog von Leuchtenberg, und auch Stephanie Beauharnais, die Großherzogin von Baden, weilte oft in der Nähe ihrer Verwandten aus einer kleinen ihr zugehörigen Besitzung. Nach dem im Jahre 1837 erfolgten Tode der Königin Hortense änderten sich die Verhältnisse. Ihr Sohn, der damals zur Verwirklichung seiner hochstiegenden Pläne flüssiger Geldmittel bedurfte, veräußert das Schlößchen, kauft es aber als Kaiser der Franzosen zurück, um es seiner Gemahlin zum Geschenk zu machen. Letztere hat hier, namentlich als Wittwe, wiederholt die Sommermonate verbracht. Und einen reizenderen Sommersitz kann sich auch die kühnste Phantasie nicht ausmalen. Der prächtige Park mit seinen herrlichen Baumgruppen, schattigen Laubgängen und plätschernden Fontainen steigt bis zu den klaren grünen Fluthen des Sees hinab; überall, namentlich von der obersten Terrasse, bieten sich herrliche Fernsichten über den schimmernden Wasserspiegel die langgestreckte Insel Reichenau und darüber hinweg, weit in’s deutsche Land hinein bis zu des Schwarzwaldes bläulichen Felsenhöhen. Vor einigen Jahren erging das Gerücht, der Arenenberger Park, ja das Schloß selbst, seien durch einen Erdrutsch gefährdet; man fürchtete schon, die ganze reizende Schöpfung könne eines Tages den Hügel hinabgleiten und im See versinken; aber diese Befürchtungen scheinen grundlos oder doch übertrieben gewesen zu sein.
Was nun das Innere des äußerlich sehr schmucklosen Schlößchens anlangt, so verdient dasselbe in Wahrheit, ein Napoleoniden-Museum [463] genannt zu werden. Kaum noch irgendwo anders mögen sich so viele Erinnerungen an dieses berühmte Haus angehäuft finden. Eine fast unübersehbare Menge von Portraits und Büsten, Glieder der Geschlechter Bonaparte und Beaunharnais darstellend, findet sich in den Salons von Arenenberg aufgespeichert, Reminiszenzen aber an die eigene Familie der Besitzerin scheinen mit Consequenz vermieden. Das untere Geschoß ist mit prunkloser Eleganz eingerichtet, wie sie für einen Landaufenthalt paßt, überall aber fällt der Blick auf herrliche Kunstwerke, die man nach der Flucht der kaiserlichen Familie aus den Tuilerien hierher geschafft hat. Unter den Gemälden glänzen Werke von Calame und Horace Vernet, vor Allem aber Winterhalter’s bekanntes poesievolles Portrait der Kaiserin Eugenie. In der greisen gebeugten Frau, die jetzt von der Todesstätte des einzigen Sohnes im heißen Afrika zurückgekehrt ist, würde wohl schwerlich ein Uneingeweihter das Original dieses jugendlich anmuthigen Kopfes wieder erkennen. Zahlreich sind natürlich die Erinnerungen an den unglücklichen jungen Prinzen, aber die meiste Aufmerksamkeit erregt seine lebensgroße Statue in weißem Marmor, die ihn als elfjährigen Knaben, mit dem Lieblingshunde des Kaisers spielend, darstellt.
Im ersten Stock des Hauses finden sich vornehmlich Reliquien der Königin Hortense, darunter ihr Sterbebett, in einem Nebengebäude aber werden die höchst bescheidenen Gemächer gezeigt, welche Napoleon der Dritte als Knabe bewohnte. Zuletzt wird man in die gothische Schloßcapelle geführt, vor Bartolini’s marmornes Grabdenkmal der Hortense Beauharnais. Dieses kostbare Monument, welches auf hohem Sockel die Mutter des Kaisers betend in knieender, etwas vornüber gebeugter Stellung zeigt, erhob sich früher über der Gruft der Fürstin auf französischem Boden und wurde erst nach dem Wiederankauf Arenenbergs hierher versetzt.
Zu Füßen des Schlosses dehnt sich das Dörfchen Mannenbach aus, sowohl Dampfschiff- wie Eisenbahnstation; denn auch ein Schienenstrang, die Bahn voll Constanz nach Winterthur, läuft am südlichen Ufer des Untersees entlang.
Ein leichter Fischernachen trägt uns von Mannenbach nach der Insel Reichenau hinüber. Das ist ein von der Welt und vom Verkehr gemiedenes Fleckchen Erde, zu dem sich nur selten der Fuß eines fremden Wanderers verirrt. Anders im frühen Mittelalter. Da war Reichenau nebst St. Gallen die geistige Metropole dieser Gaue, die Pflanzstätte christlicher Cultur, eine Oase in der Wald- und Bergwüste des allemannischen Landes, bei welcher alles anhielt, was hier des Weges zog. Die Geschichte des Klosters reicht weit zurück. Als im Jahre 724 der Bischof Pirminius unter dem mächtigen Schutze des fränkischen Majordomus Karl Martell ein Kloster nach der Regel des heiligen Benedictus auf diesem Eilande anlegte, das er der Sage nach erst durch einen mächtigen Exorcismus von den hier in Menge nistenden Schlangen und Drachen säubern mußte, da zählte das Heidenthum noch viele Anhänger im Lande. Aber siegreich sandte fortan das christliche Kreuz seine Strahlen über die Fluthen des Untersees bis tief in die Nacht der allemannischen Wälder. „Die reiche Au“ ward die Insel um ihres Reichthums und der üppigen Fruchtbarkeit willen genannt, die sie noch heute auszeichnet. Auch das Kloster ward bald wegen seiner Wohlhabenheit berühmt. Die Sage meldet, daß, wenn ein Reichenauer Abt nach Rom reiste, er auf dem ganzen langen Wege auf eigenem Grund und Boden, das heißt auf seinem Kloster zugehörigen Besitzungen, Nachtlager halten konnte.
Die Glanzperiode des Klosters fällt in das zehnte und elfte Jahrhundert, in die Zeit, da hier Heriman der Lahme, Graf von Beringen, der berühmteste Mönch von Reichenau, seine für jene Zeit so wichtige Chronik schrieb. In späterer Zeit gewannen hier wie überall die in Blüthe kommenden Reichsstädte an Macht und Ansehen auf Kosten der geistlichen Stifter. Auch Reichenau verarmte. Als Kaiser Sigismund mit der Kaiserin Barbara während des Constanzer Concils dem Kloster einen Besuch abstattete, trug es, zu Ehren des Tages, noch einmal einen wahrhaft fürstlichen Glanz zur Schau, aber schon im folgenden Jahrhundert ward es dem Bisthum Constanz einverleibt und 1799 aufgehoben.
Oede und still ist es jetzt auf der kleinen Insel, um deren Gestade die Erinnerung an die alte große Zeit einen eigenen Zauber webt. An Ueberresten der glanzvollen Vergangenheit ist jedoch nur wenig vorhanden. Die ehemalige Klosterkirche ist jetzt Pfarrkirche des Ortes Mittelzell; sie zeigt in einzelnen Theilen noch den ursprünglichen karolingischen Bau: eine Säulenbasilika mit horizontalem Gebälk und einem vorliegenden viereckigen Thurm. Bis zum Jahre 1844 befand sich hier das Grab Karl’s des Dicken.
Die Naturreize der nur im Osten durch einen langen Damm mit dem badischen Festlande zusammenhängenden Insel sind von der in der Mitte sich erhebenden Friedrichshöhe in ihrem ganzen Umfange zu übersehen. Noch mancherlei alte Gebräuche haben sich bei den Inselbewohnern erhalten; so unternehmen sie z. B. am Pfingstdienstag alle im festlichen Putze eine Kahnfahrt um das ganze Eiland und am Tage des heiliger Pirminius opfern sie auf dem Altar der Hauptkirche Gaben an Getreide, Obst und Wein.
Von der sagenumrauschten Klosterstille Reichenaus trägt uns das Dampfboot raschen Fluges hinweg, dem unteren See-Ende entgegen. Immer deutlichere Gestalt gewinnen im Nordwesten die spitzigen Kegel des Hegaues, unter ihnen der Hohentwiel. So geht es an den zwischen Weinbergen idyllisch gelegenen Ortschaften Berlingen und Steckborn vorbei.
Schon lange winkte uns von hohem Bergrücken eine stattliche Burg entgegen, die sich im Näherkommen als Hauptelement eines reizenden Landschaftsbildes erweist. Den Mittelpunkt desselben bildet das Städtchen Stein, das mit spitzem Kirchthurme, alten Ringmauern und fester Rheinbrücke gar zu einladend aussieht, als daß wir hier nicht kurze Rast hielten. Stein ist ein uralter Ort, schon vom Allemannenherzog Burkard, dem Gemahl der stolzen und gelehrten Hadwig, zum Schutz gegen die ungarischen Einfälle ummauert. Kurz darauf wurde das bisher auf dem Hohentwiel befindliche Kloster hierher verlegt, und nachmals kam das Städtchen an die Herren von Klingenberg, von welchen sich die Bewohner im Jahre 1421 durch eine große Summe Geldes loskauften.
Noch heute zeigt das kleine Nest einen gemütlichen, mittelalterlichen Charakter. Vom malerischen, mit einem alten Brunnen geschmückten Marktplatze blickt man die Hauptstraße hinunter bis zum Schlusse derselben, dem alterthümlichen Stadttore. Die Giebelseiten mancher Häuser sind al fresco bemalt, und unter ihnen zeichnet sich namentlich das Haus „Zum weißen Adler“ mit originellen Costümbildern aus dem sechszehnten Jahrhundert aus. Ein steiler Pfad führt durch Weinberge zu dem 593 Meter über dem Meere thronenden Schloß Hohenklingen empor, das schon im neunten Jahrhundert angelegt wurde. Der jetzige Bau ist natürlich jüngern Ursprungs und mit seinen mächtigen Thürmen und festen Mauern, die enge, düstere Höfe umschließen, wohlerhalten; im Innern freilich liegen die meisten Gemächer in Trümmern; denn schon längst ist das Schloß seiner ritterlichen Bestimmung entzogen. Jetzt haust hier oben ein Pächter, der guten Markgräfler verzapft, bei dem man sich’s wohl sein läßt und aus dessen Fenstern man die entzückendste Aussicht genießt. Zu unseren Füßen lugt enggesammelt das Städtchen Stein mit seinen rothen Dächern freundlich aus Weinbergen hervor. In vielfachen Windungen schlingt sich das Silberband des Rheines, im Westen zwischen dunkelgrünen Waldbergen verschwindend, durch das weite, reizende Thal, das sich östlich gegen den Untersee öffnet, während die gezackte Alpenkette bei klarem Wetter den schönsten Hintergrund abgiebt. Wahrlich, ein herrliches Bild, großartiger als eines an den gepriesenen Ufern des Mittelrheins! An Besuchern scheint es darum auch der Burg Hohenklingen nicht zu fehlen; ihr Fremdenbuch weist manchen berühmten Namen auf.
Von Stein ab wird die Flußreise einförmiger, ohne jedoch an landschaftlicher Schönheit zu verlieren. Der von Bergen eingeengte Strom stießt auf langer Strecke durch einsame Wälder, unter einer kühnen Eisenbahnbrücke hindurch, an malerischen Felspartien und einsamen Fischerhütten vorbei. Dann erscheint das Städtchen Diessenhofen, ein hübscher Ort, dessen Geschichte uns das merkwürdige Beispiel liefert, daß eine einst freie Stadt freiwillig unter die Herrschaft Habsburgs zurückkehrte.
Durch ein etwas breiteres Thal, an stattlichen Klöstern vorüber, trägt uns der Strom weiter. Von fern winkt der dicke, runde Thurm des Schlosses Munoth, an seinem Fuße die Stadt Schaffhausen. Der Rhein fließt schneller, seinem Falle zu – wir aber sind am Ende unserer Flußreise; denn zwischen hier und Basel ist der Rhein für die Schifffahrt viel zu ungestüm.
Schaffhausen, obwohl schon lange zur Schweiz gehörig, hat äußerlich den Charakter der alten schwäbischen Reichsstadt noch treu bewahrt. Lange Reihen hübsch verzierter Eckhäuser, hier und da mit kunstvollen Fresken geschmückt – selbst von der Hand des berühmten Tobias Stimmer – führen zu stattlichen Plätzen mit [464] rauschenden, von originellen Statuen gekrönten Brunnen. Das frühromanische Münster ist ziemlich schmucklos; in seinem Thurme hängt jene Klangspenderin, deren Inschrift: „vivos voco, mortuos plango, fulgura frango“ unsern Schiller zu seinem herrlichen „Lied von der Glocke“ anregte. Das Schloß Munoth, auf steilen Treppenwegen rasch erreichbar, ist fränkischen Ursprungs und besteht nur aus einem mächtigen, von Gräben umgebenen Thurme mit achtzehn Fuß dicken Mauern. Sowohl von hier wie von der hochgelegenen Promenade Fäsenstaub bieten sich reizende Ausblicke auf den smaragdgrünen, raschströmenden Rhein mit seinen großartigen Wasserwerken, auf die malerische Stadt und die ferne Alpenwelt. Alles dieses ist aber nicht im Stande, den Wanderer lange aufzuhalten; denn seine vom Donnern und Brausen des Stromes genährte Sehnsucht zieht ihn rastlos weiter nach dem etwa drei viertel Stunden entfernten Schloß Laufen, von dessen Terrasse sich dem Blicke ein Naturwunder erschließt, das sich in seiner erhabenen Größe kaum begreifen, geschweige denn beschreiben läßt.
Aus den Papieren eines Asiaten.[1]
Sir John Redcliffe erzählt in einem seiner Romane von einem Frauen-, respective Amazonendorfe, welches von den Russen in der Türkei besetzt wurde. Aber es wäre umsonst, wollte ein moderner Abenteurer die interessante Ansiedelung aufsuchen, und durchforschte er auch die ganze Türkei; denn dieses Amazonendorf existirte nur in der Phantasie des Dichters. Keine Fabel ist es dagegen, daß es in der Welt eine Stadt giebt, die bei 3000 Einwohnern nur Männer in ihren Mauern birgt. Ihr Name wird übrigens Allen, die im praktischen Leben noch mit asiatischer Geographie zu thun haben, bekannt sein.
Diese reine Männerstadt ist Mai-ma-tschin (Handelsstadt) im äußersten Norden der Mongolei; sie liegt an der russischen Grenze, 100 Schritt vom bekannten Kiachta, und darf kein Weib in ihren Mauern beherbergen; denn die chinesischen Landesgesetze verbieten den Frauen des himmlischen Reiches der Mitte den Aufenthalt in diesem nördlich von der großen chinesischen Mauer gelegenen und den Fremden leicht zugänglichen Orte. Schon der Name charakterisirt die Stadt als Handelsplatz und es wird hier allerdings noch ein eifriger Tauschhandel betrieben, doch tritt im Falle von Mangel an Tauschobjecten auch oft Geld (russische Banknoten, alle Gold- und Silbermünzen, von letzteren vorzüglich mexicanische Dollars und chinesisches Silber) als Gegengabe in Cours.
Eintönig ist der Weg durch die Steppe, den wir, um nach Mai-ma-tschin zu gelangen, zurücklegen müssen. Wir begegnen auf demselben nur der russisch-chinesischen Post, sei es, daß der kleine Train an uns vorüberziehe und wir einen flüchtigen Gruß tauschen mit den spitzbehuteten Führern derselben, sei es, daß diese auf dem Wüstenboden gerade Rast halten, während wir des Weges kommen. Solche Chinesenpost in der Wüste macht trotz des unwirthlichen Terrains, auf dem sie abgehalten wird, einen gewissen häuslichen Eindruck. Die wackeren Herren Postofficianten (vergl. Abbildung S. 465) kochen sich gemüthlich ihren Thee, bekanntlich das Lieblingsgetränk der Nordasiaten, und schicken sich an, auf dem improvisirten Tische, wenn wir die aus der Erde ausgebreitete Decke also nennen dürfen, ihre Mahlzeit einzunehmen. Wir fahren an ihnen vorüber und eilen rasch vorwärts – es eilt sich gut; denn die Steppe bildet den schönsten Fahrweg, da ihr fetter Boden keine Geleisespuren in sich aufnimmt und durch seinen Lehmgehalt wie eine dicke Gummidecke federt. Nach Ueberwindung der letzten Hügelkette leuchten uns zwei blendende Sterne entgegen, die auf einer grauen Masse sich erheben; es sind dies zwei blank geputzte Metallkugeln, welche, auf sieben Meter hohe Stangen gesteckt, vor dem Palais des Gouverneurs von Mai-ma-tschin prangen; etwas nach rechts ragt ein schöner schlanker Thurm einer russischen Kirche in die Lüfte. Die Kirche steht bereits auf russischem Boden, nämlich in Kiachta, doch sehen diese Grenzstädte der beiden Kaiserreiche aus der Entfernung wie eine Stadt aus, da zwischen ihnen nur ein Grenzraum von etwa 100 Schritt neutralen Bodens liegt. Kommen wir näher, so sehen wir allerdings, daß die russische Stadt zur Grenze hin von einem sehr primitiven grauen Holzzaun umgeben ist, während die chinesische nach der landesüblichen Bauart uns nur fensterlose Außenwände der Häuser und durch Schirme verdeckte Eingangsthore zeigt. Grenzformalitäten giebt es hier nicht; denn das russische Zollgebiet beginnt erst am Baikal, und da Thorwächter nicht den Eingang wehren, so können wir sofort die Stadt betreten.
Die Straßen sind so holprig und eng, daß zwei breitere Equipagen nicht an einander vorüber fahren können; am schlimmsten ist’s an den Kreuzungspunkten der Straße, die von den vielstöckigen, zierlichen chinesischen Thürmchen, mit den bekannten Glöckchen, noch mehr verengt werden. Auch nach der Straße zeigen uns die chinesischen Häuser keine Fenster, sondern nur große Hofthore, auf und über denen die Schilder und Inschriften prangen, und die grauen nackten Wände aus Ziegel, Lehm und Stroh, die von den gerippten, malerischen Dächern überwölbt sind; auf das Geräusch unserer Equipage stürzen aus allen Hofpforten kläffende Hunde chinesischer Rasse, die mit ihren kurzen Nasen äußerst putzig aussehen. Straßenleben existirt hier nicht – überall eine tödtliche Monotonie! In der Mitte der Stadt liegt die Citadelle, ein Quadrat, dessen Seiten etwa neunzig Meter lang sind, von einer vier Meter hohen, rothen Ziegelmauer umgeben, deren Krone weiß getüncht ist; das Thor ist verschlossen und keine Wache zu sehen. Halten wir an unseren europäischen Merkmalen fest, so werden wir überhaupt keinen Soldaten zu Gesicht bekommen; denn erst später wird es uns klar, daß die halbnackten mongolischen Reiter mit Bändern am Hute und dem Messer im Gürtel (aber ein solches führt jeder Mongole bei sich) eben die chinesischen Soldaten sind. Sechs wohlgezielte Granaten schmettern die Citadelle zu einem Schutthaufen zusammen, und ein Piquet russischer Soldaten mit Hinterladern bewaffnet kann schon einige hundert der mongolischen Reiter in die Flucht treiben.
Vor dem Palais des Gouverneurs Dsargutschei befindet sich der Tempel des Confucius und in dessen Vorhof – das Theater. Zu den großen Festen, wie am Neujahr, welches bei den Chinesen gewöhnlich in den Februar fällt, am Himmelfahrtstag aller Seelen der im Jahre Verstorbenen (im Sommer) etc., werden dort Vorstellungen gegeben, die sich durch viele Tage hinziehen. Entrée wird hier nicht gezahlt, um so billiger können wir uns das Vergnügen gönnen, dieses Theater zu besuchen. Die Bühne ist offen und auch die Zuschauer stehen unter freiem Himmel. Im Sommer geht es noch, aber im Winter bei dreißig bis achtunddreißig Grad Kälte! Heiliger Confucius, wie mögen da die Schauspieler und Zuschauer frieren!
Im Hintergrund der Scene sitzt das in der Regel fünf Mann starke Orchester. Zweisaitige Streichinstrumente, bei denen die Bogenhaare zwischen den Saiten liegen, klingen uns nicht recht melodisch; hölzerne und steinerne Platten, auf einem Dreifuße ruhend, dienen als Trommel; ein Gong (beckenartiges Instrument aus Metall) vervollständigt dieses gräßliche Ensemble. Die Damenrollen werden von Herren gegeben. Mit pathetischen Gesten und dramatischem Schritt bewegen sich die Darsteller; die Lieder werden in den höchsten Fisteltönen ohne Melodie vorgetragen, so, daß der angereiste Fremde, der zum ersten Male das Theater besucht, sich ängstlich umsieht, wer denn einer armen Katze so roh und consequent auf den Schwanz tritt, wenn ein beliebter Sänger plötzlich ein chinesisches Liebeslied intonirt.
Der Tempel ist nur an hohen Festtagen geöffnet. In der Mitte des Allerheiligsten prangt eine Kolossalstatue des Confucius; Beleibtheit gilt bei den Chinesen für Schönheit; darum ist auch dieser große Weise übermäßig dick, ebenso die beiden rechts und links neben ihm stehenden Göttergestalten; den Confucius ziert ein riesiger Schnurrbart, der natürlich schwarz ist, da bei den Chinesen keine andere Haarfarbe vorzukommen pflegt. Die Länge des Bartes bezeugt den göttlichen Ursprung; denn bei den Chinesen [465] ist der Bartwuchs ungemein spärlich; – Backenbärte sieht man kaum und einen Schnurrbart darf der Chinese erst von seinen dreißigsten Jahre an tragen, aber auch der wird nie starke so sehr ihn sein Inhaber auch als schönsten Schmuck pflegt. Vor den eben erwähnten Göttern stehen Opfertische, die zu den Festen mit reichen Gaben bestellt und durch hunderte von Kerzen geschmückt werden. Diese Opfergaben, welche nicht berührt werden dürfen, bestehen meistens – es ist fast komisch zu sagen – aus abgezogenen Hammeln.
Betreten wir den Vorhof des Palais, so bietet sich uns ein trauriger Anblick – unser Auge fällt auf einen Haufen bestrafter Verbrecher; der eine trägt um seinen Hals ein Viereck aus schweren Bohlen von einem halben Fuß Dicke, welche der Verurtheilte oft einen Monat lang Tag und Nacht tragen muß; ein anderer Verbrecher liegt am Boden; denn seine Füße stecken im spanischen Bock; ein dritter ruht ebenfalls. weil die eben erhaltene Bastonade ihm ein Auftreten auf die Fußsohlen unmöglich machst.
Weiterhin steht unter einer Veranda ein mit einem Tigerfelle
bedeckter Stuhl, und hier thront der Machthaber, wenn er ein Urtheil
fällt. Der Gouverneur zeigt sich selten; einmal im Jahre ladet
er alle russischen Beamten zu einem officiellen Diner, das aber
ärmlich ist im Vergleich zu den Mahlzeiten, die Einem der chinesische
Kaufmann auftischt. Doch nehmen mir Abschied von den hohen
Behörden Mai-ma-tschins, um auch das Leben gewöhnlicher Sterblicher
in der eigentümlichen Stadt kennen zu lernen.
Ein angenehmes Bild fesselt unser Auge, wenn wir den Hof eines chinesischen Kaufmannshauses betreten. Die Wände aller Wohnräume, die auf den Hof hinausgehen, haben Fenster; der reinlich gehaltener Raum prangt in prächtigem Blumenschmuck, und hell grüßt uns der Gesang der chinesischen Nachtigall und vieler anderer bunter Vögel. Freudig empfangt uns der Wirth, und seinem Beispiele folgen alle seine Commis; sofort werden wir zum Thee eingeladen und treten in’s Haus; aus einem kleinen Entrée führen nach rechts und links durch Holzgeflecht verhängte Thüren in die Paradegemächer, deren Hinterwand eine zwei Fuß hohe Estrade schmückt; vor dieser steht ein Tisch mit einem Messingbecken voll glühender Kohlen, neben Welchem aus Papier zusammengerollte Stäbchen liegen. Wirth und Gast nehmen nun die Ehrenplätze rechts und links vom Kohlenbecken ein. und es beginnt alsbald das leckere Mahl, welches sich aus Thee, getrockneten Früchten und chinesischen Confituren zusammensetzt. Gar kunstgerecht versteht der Wirth die Stäbchen, nachdem er sie an den Kohlen zum glimmen gebracht, zu entflammen; nun bietet er seinen Gästen das Feuer zur Cigarette, und schmunzelt vergnügt, wenn auch wir, seinem Beispiele folgend, das glimmende Stäbchen bis zur Flamme anzublasen versuchen und es uns natürlich nicht gelingt. Nach einer Weile kramt er seine Schätze an Seidenstoffen und anderen chinesischen Waaren aus und freut sich, wenn sie Gefallen erregen. Als wir uns aber zum Scheiden rüsten, entläßt uns unser liebenswürdiger Wirth nur gegen das Versprechen, ihn am andern Tage zu Mittag zu besuchen, und packt noch Süßigkeiten für die etwa zu Hause wartenden Kinder ein.
Am andern Tage verfehlen wir natürlich nicht, uns zur bestimmten Stunde in dem gastlichen Hause unseres neuen Freundes einzufinden. Welch ein geschäftiges Treiben empfängt uns dort. Der Tisch ist gedeckt, und statt der Teller stehen kleine Schälchen halb so groß wie eine Untertasse, da und statt der Weingläser Näpfchen von einhalb Zoll Tiefe und ein Zoll Durchmesser; dazu kommen kleine Zinnkessel, die auf Kuhlen gewärmt werden. Der Wirth gießt aus dem Kesselchen eine helle warme Flüssigkeit in die Näpfchen; es ist Maigolo, der chinesische Reisschnaps. der warm getrunken wird. Nun folgen in rascher Reihe fünfzig bis hundert Gerichte: Mollusken, Seetang, allerlei Ungeziefer, närrische Pflanzen. Fleisch, in ganz schmale Striemchen geschnitten, Nudelsuppe etc. und Alles wird von demselben Schälchen mit chinesischem Essig (einer dunklen aromatischen Flüssigkeit, die keine Aehnlichkeit mit unserem Essig hat) genossen. Endlich erscheint ein Gefäß, wie eine Theemaschine, nur viel niedriger und bauchiger; wieder wird gegessen; zum Schluß wird ein unzerstückelt gebratener Hammel präsentirt und natürlich verspeist. Der Wirth und seine Commis sitzen nicht mit am Tische, sondern bedienen die Gäste. die nach vergeblichen Versuch, die Speisen auf chinesische Art mit zwei Stäbchen in den Mund zu bringen, endlich zu Messer und Gabel greifen. [466] Am besten ist’s, man fragt nicht, was man ißt oder gegessen hat; denn Viele haben solche Neugierde sofort gebüßt und hinfort kein chinesisches Gericht mehr angerührt. Wein würzt das Mahl; Thee schließt es. –
Die Chinesen sind liebenswürdig, gastfrei und, so lange sie nicht mit Europäern zusammenkommen, auch ehrlich und vertrauensvoll; wie naiv sie übrigens trotz der russischen Cultur sind, dafür nur ein Beispiel: Vor Kurzem schwatzte ein Russe einem Chinesen ein Handelsbillet sub Nr. 15,896, das schon längst abgelaufen war, als russischen Staatsschein auf obige Summe für 15,000 Rubel auf; der Gauner machte sich natürlich dann schnell aus dem Staube. Der arme Betrogene, Scha-lan-dhai, bat mich aber bei meiner Abreise, ich möchte doch dem russischen Kaiser sagen, daß er sein Geld noch immer nicht bekommen habe. O, du liebe, heilige Unschuld! – Bei den Handelsgeschäften mit den Russen auf Credit nimmt keine Partei eine Handschrift, sondern es genügt, daß Jeder sich in seinem Buche das Credit oder Debet notirt. Den Tag über geht der Kaufmann seinem Geschäfte nach, besucht die Comptoirs in Kiachta und fragt an, wie die Preise stehen; zu Mittag tauscht dann das ganze Personal eines Magazins (das sich wohl auf zwanzig Personen beläuft) das Erhorchte aus und sucht es zu verwerthen. Naiv ist der Chinese auch in der Art, wie er die dort lebenden Europäer mit seinen Besuchen beehrt. Er besucht eben jeden Europäer, ob bekannt oder fremd, und thut, als ob er bei ihm zu Hause wäre. Wird Einer mit Punsch regalirt, so hast du ihn als täglichen Gast im Hause. Findet er Niemand daheim, und hat er Zeit, so legt er sich zu einem Schläfchen im fremden Hause hin. Im Plaudern wird er oft lästig durch seine Wißbegierde, deren Fragen kein Ende haben, und doch ist der Refrain nach allen Mittheilungen: „In Peking haben Sie das Alles noch viel besser und schöner.“
Seinen Zopf hält der Chinese über Alles werth; denn am Zopfe ihn fassend schleudert ihn der liebe Gott in den Himmel, also: Zopf verloren – Himmel verloren. Am bereits erwähnten Himmelfahrtstage der Seelen werden die papiergeschnitzten Conterfeis der Verstorbenen verbrannt, geschmückt mit ebenfalls papiernen Emblemen ihres irdisches Berufes.
Die Gegend bei der Stadt Mai-ma-tschin ist öde und trostlos – kein Baum, kein Wasser! Die Wälder sind auf achtzehn bis zwanzig Werst ausgehauen und die Bäche in Folge dessen versiegt. Die Bodenbeschaffenheit fördert die Ziegelbrennerei, die recht schwunghaft betrieben wird, sodaß die russischen Nachbarstädte Kiachta und Troitzkosawsk aus Mai-ma-tschin ihren Ziegelbedarf beziehen, und an Handwerkern findet man in der Stadt viele Tischler und Schneider, die äußerst accurate Arbeit liefern; so gab ein Kaufmann dem chinesischen Schneider einen alten geflickten Rock als Modell zu einem neuen, war aber wenig erfreut, als dieser letztere auch alle sorgfältig aufgesuchten Löcher, offen und geflickt, genau wie der alte Rock, aufwies.
Der Dsargutschei wird auf drei Jahre nach Mai-ma-tschin geschickt und geht von dort wohl nie ohne Vermögen weg; denn von jedem Kauf und Verkauf erhebt er seinen Antheil, der gern gegeben wird, damit man größeren Erpressungen entgeht. Um neun Uhr Abends ertönt ein Kanonenschuß, das Zeichen, daß der Herr schlafen geht; dann werden die Thore der Stadt geschlossen, und Alles muß sich zur Ruhe begeben.
Genügsam und arbeitsam, verdient sich der Chinese hier im Norden ein kleines Capital, um dann endlich zu seiner Familie in die sonnige Heimath zurückzukehren; die Bevölkerung wechselt also ziemlich oft, manch’ Einer kehrt aber nicht zu den Seinen zurück; denn die nächtlichen Raufereien kosten manchem das Leben, die Mörder werden aber nie gefunden, und da den Getödteten meist Goldschmuggelei nachgesagt wird und diese streng verboten ist, so lassen die Chinesen denn auch die Todten sanft ruhen. Der Dsargutschei kommt wohl mit großer Escorte in seinem Galawagen auf das russische Polizei-Amt, allein der Mörder findet sich eben nicht; es werden ihm viele Complimente gemacht – aber es hilft nichts.
Still und eintönig verläuft das Leben in der Männerstadt; nur das neue Jahr bringt Bewegung und Festjubel. Eine Woche vor Anbruch desselben verschwindet der Stadtgott, um droben seinen Jahresbericht abzustatten, und am Sylvesterabend zieht die Bevölkerung aus, um den Gott zu suchen, der ungesucht nicht zurückkehrt. Anspruchsvoll ist er übrigens nicht; denn oft findet man ihn in einem Düngerhaufen versteckt; in vollem Jubel wird er nun heimgeholt, und die ganze Stadt wirft sich in das schönste Festkleid. Eine unzählige Menge Laternen und papierne Fähnchen schmücken Häuser und Straßen; überall prasselt Feuerwerk, und endlich setzt sich der Festzug in Bewegung. Die ganze Bevölkerung, voran die Schauspieler, geführt vom Dsargutschei, zieht in alle vornehmen Häuser zur Gratulation, die natürlich beim Champagner entgegengenommen wird. Das ist das große Laternenfest, auf welches man sich das ganze Jahr lang freut; eine fürchterliche Musik von vielleicht sechszehn Instrumenten wüthet während dieser Tage in jedem Hause, bis nach Ablauf des Jubels wieder die alte Monotonie beginnt. Ich fragte meine chinesischen Freunde einmal, warum es bei ihnen stets so still und langweilig sei: „Chosajuschki netu!“ war die Antwort in gebrochenem Russisch; also auch die Chinesen meinen: „Ohne Damen kein Vergnügen!“
Friedrich von Raumer.
Als vor acht Jahren die Nachricht in die Oeffentlichkeit drang,
Friedrich von Raumer sei gestorben, fragte sich gar Mancher
verwundert: „Wie? Der weilte noch unter uns Lebenden? Wir
hielten ihn für längst gestorben.“ Der einst gefeierte, vielgenannte
Geschichtsschreiber der Hohenstaufen, der mit dem Eintritt in sein
zehntes Jahrzehnt das gewöhnliche Maß eines Menschenlebens weit
überschritt, hatte sich selbst überlebt; er, der Historiker, war schon
zu Lebzeiten zur Historie geworden. Nun sind vor wenig Wochen
hundert Jahre seit seinem Eintritt in die Welt verflossen – Raumer
wurde den 14. Mai 1781 zu Wörlitz bei Dessau geboren – und
damit kommt ein alter schöner literarischer Brauch zu seinem Rechte,
der an diesen Säculartagen einen frischen Immortellenkranz auf
die Gräber unserer großen Todten zu legen gebietet und ihre
Schatten noch einmal lichtvoll zur Erde zurückführt. Und auch
Raumer gehört zu den Großen unserer Nation. Hätte sein Leben
auch weiter keinen Inhalt gehabt, als daß er darin seine Hohenstaufen
geschrieben, so würde er sich schon damit allein den ewigen
Dank der Nation verdient haben. Sie markirten nicht blos eine
ganz neue Phase der Geschichtsschreibung, sie waren eine große
patriotische That, welche in den Zeiten des tiefen Niedergangs
unseres nationalen Lebens die Liebe zum Vaterlande, den verlorenen
Glauben an seine Macht und Größe und den Drang
nach ihrer Erneuerung wieder in’s Wachen rief. Aber der Thaten
und Vorzüge des Mannes sind auch noch viele andere.
Raumer’s Leben war von vornherein nicht darauf angelegt, in der stillen Stube eines gelehrten Forschers auszulaufen. Der praktische Sinn seines Vaters, eines thatkräftigen Landwirths, wies dasselbe in die gemessenen Bahnen des praktischen Staatsdienstes, aber die universelle Natur des jungen Raumer zeigte sich schon auf der Universität, wo er, in Halle und Göttingen, neben der Jurisprudenz auch noch Mathematik, Physik, Chemie, Botanik, Leibniz-Wolf’sche Philosophie, mit besonderer Vorliebe aber Geschichte trieb und auch den Musen der Tonkunst seine Neigung zuwandte. Doch bestand er nach Ablauf seiner drei akademischen Lehrjahre und nach einem weiteren im Dienste der Landwirthschaft verbrachten Halbjahre sein juristisches Examen mit Auszeichnung.
Bald nach seinem Eintritte in den Staatsdienst nahm er als Protocollführer des Kriegsraths von Bassewitz an einer wichtigen staatsrechtlichen Expedition Theil; es war dies die amtliche Besitzergreifung des zur Entschädigung für abgetretene Gebietstheile am linken Rheinufer an Preußen gefallenen Eichsfelds. Er gewann auf diesem durch eine festgehaltene Eigenart seiner Bewohner ausgezeichneten Landstriche interessante Einblicke in allerlei Verhältnisse, die er in seinen erst in spätem Alter (1861) geschriebenen [467] Lebenserinnerungen mit humoristischer Frische reproducirte. Besonders fand er in den dortigen Klöstern Zustände, welche ihm später die historischen Ueberlieferungen der Hohenstaufengeschichte glaubhafter erscheinen ließen. Die angeordnete Aufhebung dieser Institute förderte allerlei Indiscretionen zu Tage, bald in Form eines in der Klosterbibliothek befindlichen Exemplars von Boccaccio’s „Decameron“, das unter der Firma eines „Gebetbuches für alle Tage der Woche“ figurirte, bald in einer geheimen Nonnencorrespondenz.
Nach seiner Rückkunft nach Berlin trieb Raumer eine Zeit lang, wie einst der junge Kammerassessor Goethe, das Geschäft der Militäraushebung; aber schon im Jahre 1804 faßte er den Entschluß, nicht blos Geschichte mit machen zu helfen, sondern sie selbst zu schreiben, wozu er durch seine Bekanntschaft mit dem berühmten Historiker Johannes von Müller noch besondere Anregung erhielt. Schon da wandte er nach seinem eigenen Geständnisse Kopf und Herz den Hohenstaufen zu, und er ließ sich durch das schwere scholastische Latein nicht abschrecken, sich durch die Sentenzen Peter’s des Lombarden durchzuarbeiten. Johannes von Müller förderte auch seine erste Schrift („Gespräche über Krieg und Handel“) zum Druck. Nachdem er eine Stelle in Posen abgelehnt, folgte seine Anstellung als Domänenrath in Königs-Wusterhausen. Der in diese Zeit fallende Einzug Napoleon’s in Berlin nach der verhängnißvollen Schlacht bei Jena hatte bei aller Misere für Raumer den Vortheil, daß er durch den „außerordentlich abgekürzten Geschäftsgang“ große Muße für seine geschichtlichen Studien fand.
Das nahe gelegene Berlin ermöglichte ihm den Umgang mit gleichstrebenden Genossen, wie mit dem Aesthetiker Solger, mit Steffens, Krause, Schleiermacher und besonders mit dem trotz des Kammerdienstes schon damals „minnesingernden und nibelungenden“ von der Hagen. Das Jahr 1810 führte ihn wieder nach Berlin zurück in das Departement des Herrn von Altenstein, wo er den gelehrten und unpraktischen Niebuhr corrigiren sollte. Das staatswirthschaftliche Feld, das er dort zu bebauen hatte, war die Regulirung der durch die Lasten des Krieges zu einer immensen Höhe aufgelaufenen Staatsschulden. Die Finanzpläne, die Steuerprojecte schwirrten damals gerade so in der Luft herum wie heutzutage. Consumtions- und Luxussteuern, Patentsteuern, Stempel und Accisen aller Art, sogar das ominöse Tabaksmonopol kamen in Sicht. Aus allen Ständen im Lande flogen die Vorschläge, oft von der abenteuerlichsten Art, in die Staatskanzlei.
Raumer’s geschäftliche Tüchtigkeit gewann ihm die Gunst und das Vertrauen des Staatskanzlers von Hardenberg in so hohem Maße, daß dieser ihn in seine unmittelbare persönliche Nähe zog, wodurch in der Meinung des Volks Raumer’s Einfluß auf diesen Staatsmann weit vergrößert wurde; man nannte ihn wohl mit scherzender Ironie den „kleinen Staatskanzler“. Um diese Zeit wollte der Kanzler ihn auch beim Könige zur Verleihung des rothen Adlerordens dritter Classe vorschlagen. Raumer bat ihn aber dringend und mit Erfolg, dies nicht zu thun, „da gewiß sehr Viele ihn dessen unwürdig hielten und verbreiten würden, er hätte sich den Orden bei ihm aus Anmaßung und Eitelkeit erbettelt“. Raumer erhielt denn auch dreißig Jahre später den Adlerorden vierter Classe.
Bald aber stellte sich für ihn doch die Unverträglichkeit des königlichen Dienstes mit seinen geschichtlichen Forschungen heraus, und der Conflict, in welchen er dabei gerieth, war kein geringer. Die Aussichten, welche der Staatsdienst ihm bot, waren glänzende; auch der pecuniäre Vortheil war in jedem Falle auf Seiten des Staatsdieners, aber der Drang des Genius wurde immer mächtiger und ging zuletzt siegreich aus dem Kampfe hervor. Hardenberg vermittelte dem nun einmal fest Entschlossenen 1811 die Uebertragung der Professur der Geschichte an der Universität Breslau.
In das friedliche Heim des Gelehrten fand nun auch die verbannte Liebe endlich den Weg, und Raumer heirathete eine Landsmännin, Luise von Görschen, Tochter des Obersten von Görschen in Dessau. Auch Freund Hagen, der Nibelunge, war ihm schon nach Breslau vorangegangen, und es bildete sich um ihn ein höchst angenehmer Gesellschaftskreis, während auch das Theater eine von ihm mit Vorliebe gesuchte Unterhaltung bot. Da fiel in diese akademische Idylle hinein die Kunde vom Untergange der französischen Armee auf den Eisfeldern Rußlands, der Aufruf zur Rettung des Vaterlandes an Alle, die „den Flamberg führen konnten“. Sollte er mit zu Felde ziehen? Lange erwog Raumer die Frage, bis er sich zuletzt doch für den „Officierdienst der Wissenschaft“ entschied, der ihm als erfolgreicher galt.
Aeußerst förderlich für sein Hohenstaufen-Werk erwies sich ein königliches Reisestipendium von 1500 Thaler. Jenseits der Alpen durchforschte er die italienischen Archive und drang sogar bis in die den deutschen protestantischen Gelehrten seither verschlossene Bibliothek des Vaticans vor. Schätzebeladen kehrte er heim, und die stille Ereignißlosigkeit der nächsten Jahre fesselte ihn ungehemmt an den Studirtisch. Erst die Ermordung Kotzebue’s brachte die stagnirende Fluth des akademischen Lebens in Fluß und gab ihm in seiner Eigenschaft als Universitätsrector Gelegenheit, das durch jene That sittlich verwirrte Urtheil auf das besonnene Maß zurückzuführen. Mit Entschiedenheit verurtheilte er aber das spätere Vorgehen der Regierung, die nicht darauf ausging, „das Gute vom Irrigen zu scheiden und auf eine vernünftige Mitte hinzuarbeiten, sondern mit ungenügend begründetem Argwohn und thörichter Furchtsamkeit in’s Extreme verfiel und durch Anklagen und Verhaftungen das Unrecht und die Thorheit der Gegner überbot“; so bekämpfte er denn „die Demagogen- und Demokratenriecherei, welche leider als ein Beweis echter Vaterlandsliebe angesehen wurde“.
Dieses Hinarbeiten auf eine vernünftige Mitte enthält gewissermaßen das politische Glaubensbekenntniß Raumer’s. Alles Revolutionäre war ihm verhaßt, möchte es von oben oder von unten kommen; er war der Mann der Reform, des besonnenen Fortschritts. Jene wilden Mittel multipliciren die Uebel nur, meinte er, statt sie zu vertilgen. Freilich sagte er sich auch, daß eine solche Mittelstellung ihren Träger leicht der Verkennung anheim giebt, und so mußte er sich gefallen lassen, von den Einen Obscurant und Tyrannenknecht, von den Andern wieder Jakobiner und Revolutionär gescholten zu werden. Schon seine Pflicht als Geschichtsforscher schien es ihm aber zu gebieten, über den Parteien zu stehen. Er hielt an Allem, was er für wahr und recht erkannt hatte, mit charaktervollem Freimuthe fest und scheute sich selbst auf Kosten äußerer Vortheile nicht, seiner Ueberzeugung mannhaft Ausdruck zu geben.
Er war seinem Wunsche entsprechend noch im Jahre 1819 an die erledigte Professur für Staatswissenschaft und Geschichte in Berlin berufen worden. Dort, in unmittelbarer Nähe des tonangebenden Bureaukratismus, hatte er wiederholt Gelegenheit, seine Charakterfestigkeit zu erproben, so zunächst in dem Falle, als er im Jahre 1822 zur Feier der fünfundwanzigjährigen Regierung des Königs die Festrede zu halten hatte und sich dabei weigerte, die seither bei akademischen Acten allein gebräuchliche lateinische Sprache zu brauchen, vielmehr es der Sache für angemessen hielt, deutsch zu reden. Der Senat beharrte dabei, daß „der Mund der Universität“ nur lateinisch sprechen könne. Raumer beharrte bei seiner Ansicht, und das Ministerium entschied sich schließlich auch für ihn. Fortan bildete der Gebrauch der deutschen Sprache die Regel.
In einer seiner vermischten Schriften, welche sich über die preußische Städte-Ordnung verbreitete, hatte er gerügt, daß viele Schulen zu wenig Rücksicht nähmen auf den künftigen Lebensberuf, daß oft dort mit großem Zeitaufwande Dinge gelehrt würden, welche unbrauchbar blieben und die man schnell wieder vergesse. Das Ministerium erklärte über dieses Urtheil seine Mißbilligung, und als Raumer in freimüthig unbefangener Weise dagegen sich vertheidigte, zog ihm diese eine Ordnungsstrafe von zehn Thalern zu.
Auch mit dem Obercensurcollegium, zu dessen Mitglied er berufen worden war, gerieth er sehr bald in Differenzen, und als man dann seine obenerwähnte Jubiläumsrede, in welcher er die Einführung einer Verfassung und mancherlei andere Reformen für nothwendig erklärt hatte, wie ein „Quintanerexercitium“ bis zur Unmöglichkeit des Drucks „durchcorrigirt“ hatte, hielt er es für angezeigt, die Sitzungen des Collegs nicht mehr zu besuchen und, als man dies nicht gestatten wollte, seine Entlassung als Mitglied zu fordern.
In einen ähnlichen Conflict mit den herrschenden Anschauungen gerieth Raumer noch in späteren Jahren, bei Gelegenheit einer von ihm zur Gedächtnißfeier Friedrich’s des Zweiten in der Akademie der Wissenschaften am 20. Januar 1847 gehaltenen freisinnigen Rede, in welcher er den großen König gegen die Verketzerung der Berliner Theologen in Schutz nahm, von denen Einer sich nicht entblödet hatte, zu behaupten, Friedrich habe seinem Volke die [468] schrecklichsten Gefahren bereitet, wie sie herrschender Unglaube, leichtsinnige Zweifelsucht und frevelnde Verachtung des Heiligen herbeiführten; er habe durch den Mangel an Glauben sogar Schlachten verloren, und was dergl. m., während ein Anderer sich gegen das bekannte Wort des Königs: „In meinem Reiche muß Jeder nach seiner Façon selig werden,“ so weit ereiferte, daß er Friedrich mit Kain zusammenstellte. Man erblickte in diesem Grundsatze eine besondere Gefahr für die in jener Zeit besonders vertheidigte Lehre von einer Landeskirche. Raumer führte dem entgegen in seiner Rede aus, daß, sobald sich ein Volk aus dumpfem Hinleben, aus knechtischer Unterwürfigkeit zu persönlicher Selbstständigkeit erhebt, sobald es denkt, fühlt und handelt, nothwendig auch verschiedene Ergebnisse des Denkens, Fühlens und Handelns auf religiösem und kirchlichem Boden entstehen müßten und es zur Thorheit würde, Alle für alle Zeiten an dasselbe dürre Latten- und Gitterwerk unbedingter menschlicher Vorschriften festbinden zu wollen. Die Freiheit erzeuge nothwendig Verschiedenheiten und Gegensätze. Gerade diese Duldsamkeit des Königs in religiösen Dingen habe seine Popularität wesentlich begründet.
Diese Aeußerungen Raumer’s zogen ihm das Mißfallen hoher und höchster Kreise zu, und da die Akademie bei der wider ihn erhobenen Anklage ihr Mitglied nicht in Schutz nahm, so legte er sein Amt als deren Secretär nieder und schied auch aus dem Institute aus.
Raumer war dabei nichts weniger als irreligiös. Sein Glaube ruhte auf der Basis des Gemüths und der forschenden Erkenntniß. Es war die Religion der Liebe und Toleranz, die er überall in seinen Schriften predigte, der Liebe, von der er einmal in einem Briefe an seine Schwester Agnes so schön sagt: „wer recht lieben kann, ist reich, auch wenn ihn Niemand wieder liebt.“ „Ist es wohl,“ schreibt er an einer anderen Stelle, „religiös, Jemand daraus ein Verbrechen zu machen, daß er Dies oder Das von den Dogmen nicht glaubt? Ich werde mich hüten, diejenigen Zeiten zu loben, wo man verbrannt wurde, wenn man nicht an die Brodwandlung und an ein wohl arrangirtes Fegefeuer glaubte.“
Trotz aller dieser Mißhelligkeiten hing Raumer mit treuer Liebe an dem ihm zur zweiten Heimath gewordenen Berlin und an dem preußischen Staate. Deshalb lehnte er eine 1826 an ihn ergehende Berufung nach München, trotz der günstigeren pecuniären Stellung, ab.
Inzwischen war nun auch das Werk seines Lebens, seine „Geschichte der Hohenstaufen“ in sechs Bänden, längst zur Vollendung gediehen. Es erfuhr, wie Raumer selbst sagt, die verschiedenartigste Beurtheilung vom übermäßigen Lob bis zum herbsten Tadel. Der letztere ging besonders von den Ultrakatholiken und Ultraprotestanten aus. In beiden extremen Lagern konnte man die schonungslose Wahrheit nicht vertragen, mit welcher Raumer die Schäden des hierarchischen Regiments und die Sünden der mittelalterlichen Geistlichkeit aufdeckte. Um so mehr konnte er sich an den Urtheilen seines literarischen Freundes Ludwig Tieck und seines Collegen Heeren in Göttingen erfreuen. „Das Interesse,“ schreibt der Letztere ihm unterm 24. Mai 1826 aus Göttingen, „welches Ihr Werk mir einflößt, war vielfach. Der Gegenstand ist von solcher Wichtigkeit, daß in der ganzen Geschichte des Mittelalters kein anderer damit verglichen werden kann. Sind es doch aus diesem Zeitraume die größten Charaktere, die hier auftreten, und was ist die Geschichte ohne diese? Es war eine schwere Aufgabe, hier diejenige Unparteilichkeit zu beobachten, welche bei der Darstellung des Kampfes so entgegengesetzter Gewalten so schwierig ist. Auch diese Aufgabe ist von Ihnen glücklich gelöst. Was aber Ihrem Werke eigentlich sein Leben einflößt, ihm seine Dauer sichert, ist Ihre lebendige Theilnahme an dem Gegenstande. Es giebt keinen großen Geschichtsschreiber ohne jene eigene Theilnahme, die aus dem Gemüthe des Historikers hervorgehen muß.“
Die Wirkung des Werkes auf das Publicum war eine starke und nachhaltige; dazu trugen jene Lebendigkeit der Auffassung, die Gefälligkeit der Darstellung und der Hauch der Romantik, der das Ganze durchzog, wohl das Meiste mit bei. Es war auch nicht eine bloße chronologische Geschichte der Hohenstaufen-Kaiser; es war eine Geschichte des ganzen Zeitalters nach all seinen Lebensrichtungen hin, welche hier Raumer im Gegensatz zu der früheren Art der Geschichtsschreibung gab. Die Auffassung war eine durchaus unbefangene, bei welcher das eigene Ich des Forschenden parteilos zurücktrat. Wenn auch die etwas mangelhafte Kritik der benutzten Quellen den wissenschaftlichen Werth besonders gegenüber den späteren Forschungen eines Ranke und Anderer etwas beeinträchtigt, der nationale und literarische Werth des Werkes bleibt immerhin noch ein bedeutender.
Auch nach Vollendung dieser großen Lebensaufgabe legte Raumer die Hände nicht in den Schooß. Die Arbeit war ihm Bedürfniß. „Ich arbeite täglich und unermüdet darauf los – das ist meine Natur und Pflicht; ich werde dabei heiter und guten Muthes verharren.“
So schrieb er noch eine „Geschichte Europas seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts“ in acht Bänden, welche mit den Vorzügen der Hohenstaufen doch nicht deren Erfolg verband. Es fehlt hier vor Allem der fesselnde Zug des Nationalen.
Eine Frucht seiner in den zwanziger und dreißiger Jahren unternommenen Reisen, die sich bis nach Nordamerika ausdehnten, waren die „Briefe aus Paris“’ (1831), „England“ (1835 und 1841) und die „Beiträge zur neuen Geschichte aus dem britischen Museum und Reichsarchiv“ (1835 bis 1839), ferner sein „Italien“ und „die Vereinigten Staaten von Nordamerika“.
Durch das seit 1830 fortlaufend herausgegebene historische Taschenbuch wußte er das Interesse für Geschichte zu verallgemeinern und es dem Banne akademischer Abschließung zu entrücken.
Das Jahr Achtundvierzig rief Raumer um seiner Freisinnigkeit willen in die politische Arena. Er wurde zum Mitgliede des deutschen Parlaments gewählt und dabei unter Anderem ausersehen, den Pariser Gesandtschaftsposten zu vertreten. In dieser Stellung leistete Raumer wohl nicht ganz das, was man etwa von ihm erwartet hatte. War er schon auf dem Katheder kein glücklicher Redner, so war er es noch weniger auf der Tribüne. Ohnedies schien dem Apostel des besonnenen Fortschritts, der bereits über die letzten Stufen männlicher Thatkraft hinaus war, der revolutionäre Zug, der die Verhältnisse damals vielfach beherrschte, nicht zu behagen. Gewisse radikale Rauhheiten verletzten sein feineres Empfinden, und die betretenen Wege schienen ihm nicht überall die rechten zu sein. Später wurde er noch Mitglied der ersten Kammer in Berlin, und als er 1855 als Professor emeritirt wurde, setzte er gleichwohl seine Vorlesungen noch bis 1865 fort. Noch immer legte er nicht die Feder aus der Hand. So erschien 1869 von ihm ein Handbuch der Geschichte der Literatur. Erst am 14. Mai 1873 schloß der Zweiundneunzigjährige für immer die Augen.
Es war, als ob ihm, dem Einzelnen, die Vorsehung zum Entgelt für die Rastlosigkeit und Redlichkeit seines Strebens die Marksteine des Lebens weiter hinausschieben wollte, als sie es sonst uns Sterblichen zu verhängen pflegt; erfahren sollte er noch, daß auch unsere Zeit die Kraft besitze, große Charaktere erzeugen, wie sie einst jene Zeit der Staufen gesehen, daß sie die Schaffenskraft hege, nach dem großen Kaiser Rothbart einen Kaiser Weißbart erstehen zu lassen, der uns der Repräsentant des wieder aufgerichteten deutschen Reiches ist.
Ungleiche Seelen.
Es war Abend geworden, und der Marcus-Platz, dieser „schönste Ballsaal der Welt“, dessen Decke das Sternen-Firmament bildet, strahlte in feenhafter Beleuchtung. Ueberall waren vielarmige Gascandelaber aufgestellt, und in der Mitte goß eine rasch aus der Erde gezauberte Fontaine elektrisch-leuchtende Wasserfluthen in ein weites Becken; ringsumher wogten im taghellen Lichtglanze Massen von Menschen auf und ab, und alle Köpfe waren den Fenstern des königlichen Palastes zugewandt; denn dort mußten sich die Monarchen zeigen, wenn die Tafel zu Ende war.
[469]
Jetzt hob der eiserne Riese auf dem Uhrthurm langsam den Hammer zum Schlage aus, und in demselben Augenblicke widerhallte der Platz von betäubenden Evvivarufen; an erleuchteten Fenstern standen die Majestäten, und Franz Joseph grüßte wieder und wieder dankend, während das versammelte Publicum ihm zujubelte. Wie abgeschnitten verstummte aber der Applaus, als die ausgestellte Musikbande die österreichische Nationalhymne intonirte, und auch nach den letzten Accorden bewegte sich keine Hand; die schlicht-rührenden Töne Vater Haydn’s klangen den Venetianern offenbar immer noch wie Dissonanzen; es war zu kurze Zeit her, da§ sie dabei ingrimmig die Fäuste geballt hatten.
Aber wie ein Sturm brach es los, als unmittelbar darauf [470] die höchst trivialen Fanfaren des italienischen „Königsmarsches“ ertönten: der Platz erzitterte von Neuem unter dem Rufen und Händeklatschen, und wieder verneigten sich die Herrscher oben am Fenster. Es war ein bewegtes, buntes Menschengewoge auf dem Marcus-Platze.
Schöne Frauen in Balltoilette sahen von den teppichbehangenen Brüstungen herunter; es war als seien die alten Glanzzeiten der Stadt mit ihrer ganzen Poesie wiedergekehrt.
Mitten in dem Gedränge lehnte ein junger Mann regungslos an einem der Bogenfenster, die Augen unverwandt nach dem Stockweck emporgerichtet, in welchem sich das elegante französische Restaurant befindet. Die hohen Fenster des Speisesaals waren geöffnet, und eine Gruppe von Herren und Damen zeichnete sich scharf von dem hellerleuchteten Hintergrunde ab. Erich – denn er war der stumme Beobachter – sah deutlich, wie sich die lange Figur seines Rivalen wiederholt verbindlich zu derjenigen Dame neigte, welche er unter Tausenden am Schlage seines Herzens erkannt hätte – und er biß sich grimmig auf die Lippen.
Man bereitete sich offenbar zum Aufbruch; die Gruppe löste sich auf, und dienstbeflissene Kellner brachten die Umhüllungen der Damen. Erich sah eben noch, wie Nordstetter den wohlbekannten weichen grauen Mantel um Leontinens Schultern legte und sie das schwarze Spitzentuch über den Kopf warf; dann zog er sich hinter den Treppenvorsprung zurück und wartete.
Es hätte des großen dunklen Hutes gar nicht bedurft, den er in die Augen gedrückt hatte, um sich unkenntlich zu machen; denn er sah blaß und verändert genug aus in seiner Aufregung.
Jetzt traten sie heraus in die laue Abendluft, Zwei um Zwei, die Fürstin am Arme des Barons, der Fürst voraus, dann der Prinz mit einigen jungen Damen, zuletzt Nordstetter mit Leontine. Erich ließ sie passiren; dann wand er sich in der gleichen Richtung, aber auf kürzerem Wege rasch durch das Gedränge und war ihnen bald ein gutes Stück voraus.
Sein Herz schlug gewaltig – was er vorhatte, war ein kühnes Rechnen mit dem Augenblick; es konnte ebenso leicht glücken, wie mißlingen. Daß es still und ohne Aufsehen abgehen müsse, war die Bedingung Antonio’s, mit welchem er heute Mittag zwei Stunden in der kleinen Kneipe zur „Margarita“ gesessen hatte, um ihn durch alle Mittel der Bitte und Bestechung für seinen Plan zu gewinnen
Da stand er nun am Quai; er blickte auf das unabsehbare Barkengewimmel hinab, welches in dem Netze von zitternden Lichtstrahlen über den schwarzen Wellen wogte. Antonio mußte darunter sein, und in der That wollte es der Zufall, daß Erich’s scharfe Augen den Alten bald aus dem flackernden Halbdunkel herausgefunden hatten. Leicht und gewandt schwang er sich über zwei, drei zunächstliegende Schiffe und glitt wie ein Schatten in die gedeckte Gondel neben Antonius offener Barke.
„Alles in Ordnung?“ flüsterte er zu diesem hinüber.
„Still!“ war die Antwort. „Haltet Euch drinnen so ruhig wie die Maus in ihrem Loche! Gasparino weiß, was er zu thun hat. Und sorgt mir nur, daß die Signora nicht schreit, wenn sie Euch ansichtig wird!“
Erich schlüpfte in den kleinen dunklen Raum und ließ die Vorhänge nieder. Sarg von außen, verschwiegene Liebesstätte von innen – auf Erden giebt es kein besseres Asyl für ein glückliches Paar, als die venetianische Gondel.
Erich spähte aufmerksam durch die Fenster – noch war von der Gesellschaft drüben am Ufer nichts sichtbar. Eine Wolkenwand bedeckte den Mond; Dogenpalast und Marcus-Säule ragten dunkel und gewaltig über den Lichtglanz der Piazetta empor; in den Schiffen rings schwankten tausend Laternen auf und ab, wie ihre Spiegelbilder drunten in den nächtlichen Wellen. Weiter hinaus leuchteten die Umrisse der großen Oceanfahrer in Feuerschnüren von zahllosen an einander gereihten Flämmchen, und in einiger Entfernung lag dunkel und unbeweglich das Feuerwartschiff.
Lachen und Rufen der Tausende, die schon in den vollgepackten Backen saßen, und Derer, die noch vom Quai herunter strömten, helles Aufschreien der Weiber und Scherzreden der Männer mischten sich mit den Klängen der Musik vom Marcus-Platze her – es war eine echte „venetianische Nacht“.
Jetzt sah man den Baron vom Ufer aus winken; die Schiffe machten sich mühsam Bahn, die offene Barke voraus, welche rasch von dem ersten Theile der Gesellschaft, der Fürstin und ihren Zunächststehenden gefüllt wurde.
„Es reicht nicht,“ rief Nordstetter, der nebst dem Baron und Leontine übrig war, mit gut gespielter Verlegenheit, „was thun?“
Der Fürst wollte wieder aussteigen; zugleich wies Antonio auf seinen neben ihm haltenden Genossen, der eifrig die Mütze herabriß.
„Bleiben Sie!“ rief Baron Willek, „da ist noch Einer. – Hierher, mein Junge!“
Der schmale Schiffsschnabel schob sich in den kleinen Raum zwischen die anderen herein, und Leontine überschritt leicht an der ausgestreckten Hand des Gondoliers die schwankende Spitze.
„Weiche doch zurück, Du Dummkopf!“ rief in diesem Momente Antonio, „ich kann ja nicht hinaus kommen, wenn Du mir nicht Platz machst.“
Bereitwillig gehorchte der Junge und trieb, wie für einen Augenblick, die Gondel aus dem Gedränge rückwärts. Währenddem sagte Nordstetter leise und rasch zu dem Baron:
„Wollen Sie mir die große Gunst erweisen, Fräulein Leontine die nächste halbe Stunde unter meinen Schutz zu stellen? Ich möchte ihr Vieles sagen; es war heute ein so schöner Tag –“
Baron Willek ließ sich nicht dazu herab, den Erstaunten zu spielen.
„Wenn es Leontine recht ist,“ sagte er gleichmütig, „ich finde überall meinen Platz.“
„Ich danke Ihnen,“ erwiderte mit einem raschen Händedrucke der Banquier, „wo werden wir uns wieder treffen nach dem Feuerwerke?“
„Im Hotel, denke ich; wir werden dann wohl des Spectakels für heute genug haben.“
„Auf Wiedersehen denn!“
Und Nordstetter drehte sich rasch nach der andern Seite. Aber wie vom Blitze getroffen blieb er stehen – die Gondel war fort. Aus seinen Ruf war der Baron mit zwei Schritten wieder zur Stelle, und beide strengten während der nächsten Minuten Auge und Lunge ganz erfolglos an; es war unmöglich, in dem grellen Durcheinander von Licht und Schatten etwas Anderes als die nächsten Schiffe und ihre Insassen zu unterscheiden.
„Rufen Sie doch des Schiffers Namen!“
„Ich weiß ihn ja nicht.“
„Und Fräulein Leontine – sie muß ihm doch befehlen, wieder hierher zu kommen.“
„Sie spricht ja kein Italienisch – Gott weiß, was der Mensch aus ihren Zeichen versteht! Das Gedränge ist ja so furchtbar, daß er vielleicht hier nicht wieder anlanden kann.“
Dem Baron war gar nicht wohl bei der Sache; der Gedanke, daß Leontine die Absicht ebenfalls durchschaut und den günstigen Umstand benutzt habe, das Feuerwerk allein zu genießen, ging ihm mit großer Wahrscheinlichkeit auf. Aehnlich genug sah es ihr ja. Er bemühte sich indessen ruhig zu erscheinen und eine andere Barke aufzutreiben indem er seinen Schwiegersohn in spe zu überzeugen suchte, wie bald sie durch ein rasches Hin- und Herkreuzen dem ungeschickten Schiffer wieder begegnen müßten.
Jetzt fuhr auch die erste Rakete mit langem Kometenschweif in den dunklen Nachthimmel, und ihr nach rauschte eine Feuergarbe, als bräche Vesuv oder Aetna los, für einen Augenblick das ganze Firmament bedeckend. Es schien sich in ein endloses Meer von Glanz aufgelöst zu haben – dichte Feuerschwärme, voll farbigen Leuchtkugeln tausendfach durchwirbelt, breiteten sich über die Himmelsfläche aus und fielen dann als Millionen feuriger Pfeile wieder zur Erde nieder, sodaß es dem aufwärts gerichteten Blicke wirklich schien als senke sich der Himmel mit allen seinen Sternen langsam herab.
Kaum war der letzte Leuchtkörper in den schwarzen Fluthen versunken, so schleuderte der unermüdliche Krater unter Zischen und Knattern neue Feuerströme empor, die auf weitem Umkreise die Lagunen taghell erleuchtetem und ein Ah! der Bewunderung um’s andere erklang ringsum von unzähligen Lippen. Dazu glühten Dogenpalast und Marcus-Thurm in bald rothem, bald grünem bengalischem Lichte, und die dunklen Schiffe zogen schwarze Furchen in die wiederspiegelnden Feuerfluthen – es war wie ein Blick in die Wunder der Tausend und Einen Nacht.
Und während dieser rauschenden Herrlichkeiten wiegte sich weit draußen eine einsame Gondel auf den stilleren Wassern … Der aufblitzende Feuerschein spiegelte sich in den dunklen Augen des Gondoliers, der unverwandt das Angesicht darnach gerichtet [471] die höchst trivialen Fanfaren des italienischen „Königsmarsches“ hatte, während er mit leisen Ruderschlägen das Boot auf derselben Stelle hielt.
Drinnen aber, von dem niederen Dache vor jedem Auge geborgen, kniete ein seliger Mann zu den Füßen der Geliebten; ihre Hände an seine glühenden Lippen gepreßt, gab er mit leidenschaftlichen Worten seiner Liebe Ausdruck.
„O, rede nicht so traut, Erich!“ sagte sie. „Ich habe Dich lieb, viel lieber als ich sagen kann, aber es ist umsonst, wir können uns nicht angehören
Erich führ erschrocken auf: „Hast Du ihm Dein Wort gegeben?“
„Nein!“
Mit stürmischer Zärtlichkeit umfaßte er sie und legte ihr Haupt an seine Brust:
„Dann wirst Du mein, und sollte ich mein Leben daran setzen. Wir gehören einander, und keine Macht der Welt soll uns trennen. Fühlst Du es jetzt, was ich gestern meinte, als wir so weise über das Glücke philosophirten? Weißt Du jetzt, ob es ein Glück auf Erden giebt, und wirst Du mir nun Deine schlimmen, kalten Reden abbitten?“
„Ich würde sie jetzt nicht wiederholen – und doch, wer weiß, ob ich nicht Recht hatte!“
In der siegreichen Stärke seiner Empfindung schloß Erich die Arme fest um die Geliebte, und Leontine fühlte seinen heißen Kuß auf ihren Lippen.
Zum ersten Male in ihrem Leben sah sie sich von einer übermächtigen Empfindung erfaßt und unwiderstehlich beherrscht; sie wußte, diese Stunde müsse enden, aber um so süßer erschien sie ihr.
„Wenigstens einmal im Leben Glück gekostet!“ – sie dachte es ohne jeden inneren Vorwurf und mit einer Art von Genugthuung.
Erich hob ihr tiefgeneigtes Gesicht in die Höhe und fragte, voll überströmender Zärtlichkeit:
„Willst Du die Meine werden, Leontine?“
„Unmöglich,“ sagte sie, sich emporrichtend, leise aber bestimmt.
„Wir sind Beide arm.“
„Arm und was thut es!“ entgegnete er in glückseligem Uebermuthe. „Laß mich nur mein großes Bild erst vollendet haben! Bald genug soll das geschehen sein.“
„Laß die Träume, laß die Pläne!“ bat sie, indem sie sich erhob. „Der Schiffer soll wenden. Ich muß zurück zu meinem Vater.“
„Nein, Leontine! Wir sind ja erst wenige Minuten beisammen.“
„Länger als Du denkst; sieh, wie das Feuerwerk am Erlöschen ist – ich muß in’s Hotel zurück.“
„Es ist so Vieles noch, was ich Dich fragen, Dir sagen wollte, Leontine. Du mußt mir auf morgen ein Wiedersehen versprechen wenn ich mich jetzt von Dir trennen soll.“
„Komm’ morgen früh, ehe wir ausfahren!“
„Das kann ich jetzt nicht. Dich sehen vor den Augen Anderer – o, sie sind so kalt, und ich würde ihn erschlagen, diesen Nordstetter, wenn er sich noch einmal unterstände, Dir den Arm zu bieten.“
„Dann müssen wir wohl auf ein Wiedersehen verzichten,“ meinte sie mit dem ersten Anklang an ihre gewohnte Sprechweise, indem sie den Mantel um die Schultern zog und die Agraffe befestigte. Die Gondel näherte sich rasch dem Ufer; schon sah man die nach allen Richtungen aus einander ziehenden anderen Fahrzeuge in nächster Nähe.
„Kein Verzicht!“ rief Erich leidenschaftlich. „Höre mich, Leontine: dies waren nur Minuten, und Du hast Recht, wir müssen Dich jetzt so rasch und sicher wie möglich nach Hause bringen. Ich verschwinde in das nächste Schiff, das uns begegnet, und Du landest allein am Hotel. Aber ich muß Dich wiedersehen, ich muß,“ wiederholte er tieferregt, „es sind ja nur noch drei Tage bis zu unserem Abschied.“
„Zwei sogar nur noch“
„Du darfst mir nicht so entschwinden. Mein ganzes Leben, meine Zukunft, Alles liegt fortan in Deiner Hand; ich will und darf Dich heute noch nicht mit einem äußeren Bande an mich binden; innerlich sind wir ja verbunden. Aber ich muß noch einmal in Deine Augen sehen, muß die Gewißheit haben, daß Du mein sein willst, wenn ich die Trennung ertragen und auf die Zukunft hoffen soll.“
„Erich!“ flüsterte sie unschlüssig. Das Herz zog sie; der Verstand warnte sie. „Ich habe morgen den ganzen Tag keine Stunde für dich. Und Du mußt jetzt fort,“ drängte sie, „wir sind schon nahe beim Ufer eile!“
Erich rief eine leere Barke an. Dann wandte er sich.
„Liebst Du mich?“ fragte er, und es lag ein Ton der Verzweiflung in dem Klange seiner Stimme.
Sie nickte stumm.
„Dann habe den Muth, mir zu vertrauen!“ Er faßte ihre Hand und preßte sie in der seinigen. Schon streifte der Rand der fremden Gondel die ihrige.
„Ich schicke Antonio morgen Abend, wenn Alles still ist,“ fuhr er heftig flüsternd fort; „er bringt Dich sicher zu mir; wir sind in dem kleinen Garten – Du kennst ihn – völlig ungestört, oder, wenn Du das nicht willst, fahren wir, wie heute, eine Stunde auf’s Meer hinaus –“
„Nein, nein!“ wehrte sie heftig ab.
„Um elf Uhr!“ fuhr er dicht an ihrem Ohre fort: „Antonio wartet in dem dunklen Canälchen seitwärts von Eurem Hotel; merke Dir’s, vergiß es nicht – von der Terrasse führen ein paar Stufen herunter … wir haben keine andere Wahl. Niemand ahnt Dein Fortsein. Muß ich Dir noch schwören, daß Dein Friede mir theurer ist als mein eigenes Leben? Kommst Du?“
„Sei es denn!“ erwiderte sie, von seiner siegenden Hast gedrängt. „Aber –“
Er hob den Vorhang und war verschwunden.
Die Barke, die er bestiegen, steuerte nach dem Eingang des Canals hinüber, während die ihrige den schweigsamen Cours nach der Riva fortsetzte. – –
Eine Viertelstunde später saß Leontine mit ihrem Vater und Nordstetter am Kamin des kleinen Salons vor dem Theetisch. Sie hatte die Herren über die Gründe ihres Verschwindens so wohl unterrichtet gefunden, daß sie nur ihre Voraussetzungen bestätigen durfte. Noch klangen Erich’s leidenschaftliche Worte in ihrem Ohre nach – und nun mußte sie – es war ihr, als wäre sie in einer ihr fremden Welt – die wohlgesetzten Lobeserhebungen des Banquiers über das prächtige nächtliche Schauspiel ruhig anhören. Die untadelhafte correcte Klarheit des großen Gaslüsters überströmte Alles, die vergnügte Miene des Barons, die frühen Falten über Nordstetter’s stets etwas in die Höhe gezogenen Brauen und die zur Auswahl bestellte großen Photographie vom Marcus-Dom und Dogenpalast in den Händen des eifrig redenden Banquiers. Im Halbschatten aber blieb das feine, böse Lächeln welches dann und wann wie ein Blitz die Züge des schönen Mädchens überflog, wenn sie, das Haupt hinter den ihr gereichten Photographie bergend, die ahnungslosen Beiden da vor ihr betrachtete.
Es zogen viel hastige dunkle Gedanken hinter der klaren Mädchenstirn vorüber; eine Trennung fand dort statt zwischen Vergangenheit und Zukunft; der heutige Abend war ein scharfer Wendepunkt in Leontinens Leben. Aber sie fühlte keine Reue.
„Wozu in dieser großen Komödie mehr thun als seine Rolle gut spielen?“ fragte sie sich selbst. „Jeder macht es ja so … Erich? Nein! Er nicht, aber er irrt auch; er ist ein Kind, ein süßes, großes Kind.“
Sie schloß für einen Moment die Augen; noch fühlte sie seinen Kuß auf den Lippen, und es durchrann sie heiß beim Gedanken eines Wiedersehens.
Spät erst verabschiedete sich der Banquier mit einem vielsagenden Handkuß; er wurde beinahe poetisch, als er des schönen eben vergangenen Tages gedachte. Der Baron geleitete ihn hinaus, und als er in das Zimmer zurückkehrte, fand er es leer – das Fräulein war schlafen gegangen.
Blätter und Blüthen.
Das Sommerfest des „Vereins Berliner Künstler“. Die alljährlichen Feste des „Vereins Berliner Künstler“ gehören zu den beliebtesten und gesuchtesten Vereinigungspunkten der gebildeten Bevölkerung der Reichshauptstadt. Insbesondere die Sommerfeste, welche durch die Zulassung des schönen Geschlechts einen noch höheren Reiz erhalten, haben sich in weiten Kreisen eine immer größere Beliebtheit erworben, zumal Kunst und Natur hier wetteifern, um dem vom Alltagsleben ermüdeten Geist neue Spannkraft zu verleihen,
In dem benachbarten Schulzendorf, in dem Schlosse Schönholz, hat der „Verein Berliner Künstler“ Feste von einer Pracht gefeiert,
[472] welche mit ihrem märchenhaften Glanz noch lange Zeit als Sommernachtstraum in der Phantasie der entzückten Festtheilnehmer nachwirkten. Um so mehr durfte man daraus gespannt sein, welche neuen, seltenen Ueberraschungen das Festcomité in diesem Jahre ersinnen werde, da in diesem Sommer zugleich der vierzigjährige Geburtstag des Vereins begangen werden sollte.
Es waren auch in der That größere Vorbereitungen als gewöhnlich getroffen worden; die schimmernden Gärten des großartigen Flora-Etablissements in Charlottenburg sollten die Künstler und ihre Gäste aufnehmen, und staunenswerthe Wunder waren in Aussicht gestellt. Es kann auch kühn als Thatsache hingestellt werden, daß das diesjährige Sommerfest des Berliner Künstlervereins, zu welchem Wochen vorher fast alle Billets vergeben waren, alle seine Vorgänger in Schatten gestellt hätte – wenn nicht Jupiter Pluvius durch einen hartnäckige, drei volle Tage währenden Regen dem „Sommerfeste“ zu dem bereits alle Anstalten getroffen waren, ein vorzeitiges Ziel gesetzt haben würde. Die kolossalen Räumlichkeiten, über welche das Flora-Etablissement verfügt und der zähe Eifer der betheiligten Künstler machten es immerhin möglich, das Fest in Scene zu setzen – wenn auch nicht als „Sommernachtstraum“, wie es ursprünglich gedacht war, so doch, wie der Dichter sinniger Kinderlieder, Rudolf Löwenstein, in seiner herzlichen Begrüßungsrede sich ausdrückte, als „Wintermärchen“. Gegen 1600 Personen, darunter alle bekannten Künstler, waren, ohne durch das unfreundliche Wetter sich abhalten zu lassen, nach Chartottenburg hinausgeströmt, dieser Villenvorstadt der Berliner, um zunächst im ländlichen Stil an langen gedeckten Tafeln den Kaffee gemeinsam einzunehmen. Es fehlte hier freilich der Ausblick auf sonnige, ährengeschmückte Felder und einen heiteren blauen Himmel.
Statt dessen aber durfte das trunkene Auge sich weiden an dem Anblick vieler reizender Frauen und Mädchen, die, in die Trachten früherer Kunstepochen gekleidet, aus den mit großen Orientteppichen und mit Laubgewinden geschmückten Logen auf die ungezwungen tafelnde Gesellschaft herabschauten. Um fünfeinhalb Uhr erschien Rudolf Löwenstein mit der bekannten jovial geistreichen Miene vor dem Vorhang der im Saal aufgestellten Bühne und eröffnete das Fest mit einer kernigen, humorvollen Ansprache. Die erste Nummer des Festprogramms bildete ein voll Otto von Leixner gedichtetes Festspiel „Phantasus“. Vor die Rampe trat Baumeister Fingerling in blausammetner Heroldtracht, mit dem Künstlerwappen geschmückt, und begrüßte die Festversammlung als Prologus. Die Scene bildete das Innere einer Tempelhalle, in welcher die Kunst, eine Idealgestalt in griechischem Gewande, auf hohem Sitze thronte. Nachdem der Herold durch dreimaliges Aufklopfen mit seinem Stabe das Zeichen gegeben, trat ein Magier hervor, der auf die Flammen des vor der „Kunst“ befindlichen Dreifußes Weihrauch streute und die Künstlergeister der Vergangenheit in schwungvoll poetischer Weise zur Oberwelt herauf citirte: „Euch selige Geister entschlafener Meister, euch ruf’ ich her,“ so beschwor er sie unter den feierlich dahin rauschenden Klängen der Musik.
Und die Gerufenen kamen Jeder von einem der lebenden Meister der Kunst wirkungsvoll dargestellt: Phidias, Titian, Ostade, Rubens, Gerhardt von Rile, der Erbauer des Kölner Domes, Albrecht Dürer, Andreas Schlüter.
Wie man es bei diesen Künstlerfesten gewohnt ist, waren es lauter charakteristische Erscheinungen in Tracht und Rede, welche zu den Füßen der Kunst ihre Kränze und das Gelöbniß unwandelbarer Treue niederlegten. Als den Vater und Herrn der Künstler, als Phantasus enthüllt nun die Göttin den Magier, der auf Ostade's Wunsch den erschienenen Geistern gestattet, noch diese Nacht auf der Erde weilen zu dürfen. Phantasus reicht sodann der Kunst die Hand und steigt mit ihr unter Vortritt des Herolds und eines Trompetercorps in rothgeschlitzter Tracht in den Saal hinab; ihm folgt die Schaar der heraufbeschworenen Meister der alten Kunst. Ein Festzug entwickelt sich hierauf, wie er phantastischer, mannigfaltiger, romantischer, prächtiger nicht gedacht werden kann. Die Künstler, Ritter, Patricier, die schönen und stolzen Damen der letzte drei Jahrhunderte waren zum Leben erwacht und wandelten in glänzenden Gewändern durch die nüchterne moderne Alltagswelt. Eine Reihe von entzückenden Bildern rollte sich auf, aus denen einzelne Gestalten noch besonders hervorragten, so Maler Knut Ekwall, der als nordischer Rittersmann in schwarzem Gewande, und der junge Doepler, der in schimmerndem Panzer durch die Gruppen schritt. Das Festspiel mit seinem schwungvoll feierlichen Inhalte verfehlte nicht, einen mächtigen Eindruck auf die Festtheilnehmer hervorzurufen, der noch fortdauerte, als schon die letzten romantischen Figuren des Festzuges unter den Palmen verschwunden waren. Sie kehrten indeß wieder, um sich an dem Balle zu betheiligen, der in einem Theil des Saales sofort improvisirt wurde, während auf der Terrasse des Palmengartens eine „Tombola“ arrangirt war, die bei unseren Künstlerfesten niemals fehlen darf „Angerauchte Teller“, von der Hand unserer besten Meister, waren die beliebtesten Gewinne. Kurze Zeit nach zehn Uhr wurde das Abendbrod eingenommen, bei welchem Rudolf Löwenstein, der schon vor dreißig Jahren die erste Tischkarte erklärt hatte, als Jubilar auftrat und mit stürmischem Jubel gefeiert wurde. In seiner launigen gemüthvollen, niemals trivialen Weise feierte er die Frauen. In geistsprühenden Versen ruft der große Weltmaler seinen Schülern dem Winter, dem Herbst, dem Sommer und dem Lenz, zu:
„Was Ihr gemalt, ist brav und gut,
Und wahren wird es Euren Ruf.
Das Schönste, was ich einst erschuf
Zum Schmuck für den großen Weltenbau,
Ist doch, beim ewigen Licht! die Frau.
Malt denn, Ihr Jünger, in kräftigen Tönen
Noch weiter die Welt zum Preis der Schönen
Und rufet mit mir beim Rebensaft:
Die lieblichsten Bilder, die hier zu schauen,
Es leben die Mädchen, es leben die Frauen“
Dieser Toast wurde mit nicht endenwollendem Jubel aufgenommen Die Festeslaune konnte durch die lebensvolle Darstellung der Festpantomime, die Gustav Heyl mit köstlichem Witz ausgestattet hatte, nur gesteigert werden. Der urkomische Inhalt des Festspiels möge den Lesern der „Gartenlaube“, welche von „dem falschen Rubens“, der für die Nationalgallerie angekauft worden, und von der hier ausgestellten „Leichenphantasie“ des Malers Zichy wohl gehört haben werden, nur angedeutet werden – „Neptun und Amphitrite“ waren eine köstlich durchgeführte Satire auf diese beiden vielbesprochenen „Kunstereignisse“. Weniger gelungen waren die im Palmenhause gestellten lebenden Bilder aus bekannten Volksmärchen, in deren behaglichen Genuß auch die frostige Temperatur störend eingriff. Der Tanz beschloß in später Nacht – oder richtiger: in früher Morgenstunde – das schöne Fest des „Vereins Berliner Künstler“.
Die gute alte Zeit. (Zur Abbildung S. 469.) Ja, es giebt eine gute alte Zeit, und es gab eine solche zu allen Zeiten. Was man gewöhnlich unter jener Bezeichnung versteht, ist für jede Generation eine bestimmte Periode nicht weit zurückliegender Vergangenheit, in welcher, nach dem volkstümlichen Ausdruck „Alles besser als jetzt“ gewesen sein soll. Schon Griechen und Römer hatten ihre verschiedenen „guten alten Zeiten“, ebenso die späteren Völker, und wir Deutschen erst recht. Wollen wir nun diesem standhaften Glauben – denn er hat sich durch alle Jahrhunderte bis heute erhalten – bis auf seinen Ursprung nachgehen, so finden wir ihn ganz nahe: Jeder Mensch hegt ihn im eigenen Kopf und Herzen.
Treten wir nur in’s Leben hinaus, gehen wir nur unter die Menschen, so begegnen wir überall derselben Wahrnehmung, die sich auch überall mit denselben Worten kennzeichnet: „Zu meiner Zeit war das doch anders.“ Der studirte Herr, welche Würde er auch repräsentire, betrachtet die jetzige Studentenwelt gewiß nicht ohne die Bemerkung: „Ja, zu meiner Zeit, da war’s doch anders.“ Unter „anders“ ist natürlich immer „besser“ zu verstehen. Der alte Handwerksmeister hat alle Scherereien der Polizei, die er als Wanderbursche zu erdulden gehabt, die Last seines Felleisens, die Hungertage und wunden Füße vergessen, wenn er den heutigen Handwerks-„Reisenden“ mit seinem schmalen Wanderbündelchen betrachtet, der sogar auf der Eisenbahn fahren kann. „In zu meiner Zeit – wie schön war’s da!“
So hat Jeder, der in den Jahren des beginnenden Alters stehst seine „gute alte Zeit“ gehabt, und sie war für Alle nichts anderes als – das verlorene Paradies der Jugend.
Aber es giebt für Manchen noch eine „gute alte Zeit“ in einem anderen Sinne; das ist vielleicht die einzig wahre „gute alte Zeit“, nämlich die eines sorgenlosen freundlichen Alters. Wenn ein Menschenpaar von den Tagen der Liebe an treu in Freud' und Leid zusammengehalten bis zu der Zeit, wo die Ehe in die innigste Freundschaft sich umgewandelt, wenn das Schicksal es den beiden Menschen verliehen, daß die Schmerzen über alles Verlorene verwunden und alles noch Lebende vom Kranze ihrer Lieben sie mit Zufriedenheit erfüllt, dann hat für solch ein Menschenpaar die wirkliche „gute alte Zeit“. begonnen; man lebt fortan seine guten alten Tage. Dann geschieht es auch wohl, daß die glücklichen Alten am liebsten wieder jene Wege und Plätzchen aufsuchen, die ein gemeinsames Erlebniß ihnen werth, eine ernste Erinnerung vielleicht heilig macht. Auf einem solchen Wege zeigt uns der Künstler die beiden Alten unseres Bildes. Er hat sie, nach der Tracht zu urtheilen, zwar in den Anfang, wenigstens in das zweite Decennium unseres Jahrhunderts gestellt, wohin ja Viele auch die gute alte Zeit verlegen können, wir aber fragen nichts nach jenen geträumten Glückstagen der Vergangenheit, sondern erkennen in dem lustwandelnden Paare unsere Eltern oder Großeltern in ihrer wirklich guten alten Zeit wieder. Wir können unsere Illustration nicht verlassen, ohne manchem Hause, mancher Familie ein Eltern- oder Großelternpaar zu wünschen das uns mit dem Anblicke eines solchen Bildes der „guten alten Zeit“ das Herz erquickt.
Noch einmal die Frage des Handfertigkeits-Unterrichts. Die wichtige Frage des Arbeitsunterrichts in der Schule, welche wir durch unsern Artikel „Die Erziehung zur Arbeit“ (vergl. „Gartenlaube“ 1880, Nr. 4) in den Kreis unserer Betrachtung gezogen haben, geht ihrer endgültigen Lösung in Deutschland langsam aber stetig entgegen. Am 13. Juli wurde auch zu diesem Zwecke in Berlin eine Conferenz abgehalten, an welcher nur sachverständige Freunde der gemeinnützigen Bewegung theilgenommen haben. Von den Beschlüssen, welche dort gefaßt wurden, verdient besonders die Bildung eines Centralcomités mit dem Vororte Bremen hervorgehoben zu werden. An die Spitze dieses Comités wurde Herr Dr. Lammers gewählt, und die von ihm herausgegebene Zeitschrift „Nordwest“ ist als künftiges Organ der Bestrebungen für den Handfertigkeits-Unterricht und häuslichen Gewerbefleiß auf deutschem Boden designirt worden. Am Schlusse der Verhandlungen wurde noch folgende Resolution von dem Stadtrath von Schenkendorff aus Görlitz auf die Tagesordnung gebracht und einstimmig angenommen. „Die Conferenz spricht die Bitte aus, daß die deutschen Regierungen der Sache des Handfertigkeits-Unterrichts ihre wohlwollende Aufmerksamkeit zuwenden wollen.“ Möge diese Nachricht die vielfache Freunde dieser Bewegung unter unsern Lesern ermuntern, in ihrem gemeinnützigen Wirken nicht zu erlahmen!
Abonnent in Altona. Das öfter erwähnte Sachregister der „Gartenlaube“ befindet sich bereits im Druck. Es wird bis zum Jahre 1881 exclusive reichen.
A. in Sch. In jeder Buchhandlung erfahren Sie das Nöthige.
R. W. in St. Petersburg. Nein. Wir gedenken auch diesen Gegenstand nicht zu berühren.
H. R. Wenden Sie sich an den deutschen Consul in Bukarest!