Die Gartenlaube (1870)/Heft 48
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No. 48. | 1870. |
(Fortsetzung.)
„Es ist die neue Erzieherin von Curt’s Töchtern,“ warf die
Präsidentin kalt hin. „Sie soll ziemlich unterrichtet und brauchbar
sein, und die Kinder haben sich in der kurzen Zeit mit wahrer
Leidenschaft an sie geschlossen. Ich hege eine gewisse Antipathie
gegen sie, denn ich fürchte, daß sich unter dieser immer gleichen
Ruhe und Höflichkeit etwas wie Hochmuth verbirgt, was bei einer
Person in so untergeordneter Stellung doch keinesfalls zu dulden
wäre.“
Hermann schwieg, er hatte Proben davon, daß der Scharfblick der Präsidentin sie auch diesmal nicht täuschte.
„Um also wieder auf unser Gespräch zurückzukommen –“
Der Graf erhob sich plötzlich. „Verzeih’, Großmutter, wenn ich Dich bitte, es für heute abzubrechen. Die Nachtreise hat mich doch etwas ermüdet, ich fühle dringend das Bedürfniß nach Ruhe. Du erlaubst, daß ich jetzt, nachdem ich Dich gesehen und gesprochen, mein Zimmer aufsuche.“
Er küßte die dargereichte Hand und verließ das Gemach. Die Präsidentin lehnte sich in ihren Armstuhl zurück, um noch einmal all’ die Pläne und Hoffnungen zu überdenken, die sie an die Vermählung dieses Enkels knüpfte, den sie von jeher am meisten geliebt, und der all’ ihren Erwartungen so glänzend entsprochen hatte. Einige Verwunderung würde es ihr aber doch erregt haben, hätte sie gesehen, wie Graf Hermann, obwohl er so dringend das Bedürfniß nach Ruhe empfand, doch nicht daran dachte, sein Zimmer aufzusuchen, sondern sofort von einer anderen Seite in den Park ging und denselben, trotz der beginnenden Mittagshitze, nach allen Richtungen hin durchstreifte. –
Auf einem der großen Rasenplätze unter dem Schatten eines mächtigen Ahornbaumes saß Gertrud mit ihren beiden Zöglingen und erzählte den Kindern ein Märchen. Das älteste der kleinen Mädchen hatte sich dicht an die Erzieherin geschmiegt und blickte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit in ihr Gesicht, als wollte es jedes Wort von ihren Lippen ablesen; das jüngste, auf dem Rasen knieend und beide Aermchen auf Gertrud’s Schooß gelegt, lauschte ebenso athemlos. Es war eine reizende Gruppe; aber das war auch nicht mehr die kalte, ernste Gouvernante, die sich vorhin so förmlich verneigt und so abgemessen geantwortet hatte. Warm wie das goldene Sonnenlicht, das durch das Laubdach des Baumes hindurch auf ihr Antlitz fiel, war jetzt der Ausdruck desselben und es lag etwas unendlich Weiches und Liebliches in ihrer Haltung und ihrem Tone, als sie so zu den Kindern herabgebeugt ihnen mit halblauter Stimme von den Feen und Elfen erzählte, etwas, das freilich weder die Präsidentin, noch die Baronin von Sternfeld jemals zu sehen bekamen.
Aber Graf Arnau sah es, der unbemerkt hinter einem Bosquet stand und sie von dort aus beobachtete. Ja, diese Züge hatten in der That gehalten, was sie vor sieben Jahren versprochen. Aus dem zarten, blassen und kindlichen Wesen war jetzt eine vollendete Schönheit geworden, und Hermann konnte sich beim Anblick dieser hohen, prachtvollen Gestalt, dieses classisch reinen Profils und dieser reichen goldblonden Flechten des Gedankens nicht erwehren, daß es im Grunde doch sehr unvernünftig von seiner Tante sei, eine solche Erscheinung in’s Haus zu nehmen, neben der sie und jede andere Frau nothwendig verschwinden mußte.
Es blieb ihm aber nicht viel Zeit zu seinen Beobachtungen, denn eins der Kinder bemerkte ihn plötzlich und zeigte nach der Richtung, wo er stand. Gertrud erhob sich sofort und machte sich von den beiden Kleinen los. Es ging wie ein Eishauch über ihr Antlitz, unter dem all das Leben und all die Wärme, die soeben dort gestrahlt, zu erstarren schienen; kalt, ernst und völlig bewegungslos erwartete sie die Annäherung des Grafen.
Er stand ihr jetzt gegenüber und blickte sie an. Das waren noch die räthselhaften dunkelblauen Augen, die ihm von damals her noch so deutlich in der Erinnerung standen, und auch der alte Schatten lag noch darin, nur schwerer, tiefer war er geworden. Es zuckte etwas auf in diesen Augen unter seinem forschenden Blicke; war es der alte, ihm unerklärliche Haß, war es noch eine andere Empfindung – Hermann, der sonst Alles so klar durchschaute, wußte es nicht zu deuten; er fühlte nur, daß diese Regung ihm feindselig, und daß das seltsame Mädchen ihm gegenüber sich gleich geblieben war.
„Ich weiß nicht, mein Fräulein,“ begann er, „ob Sie mir gestatten wollen, eine frühere Bekanntschaft zu erneuern. Ich hoffe es kaum nach der Art, wie Sie meine Begrüßung erwiderten.“
„Sie würden mich verbinden, Herr Graf, wenn Sie diese Bekanntschaft vergessen wollten.“
Auf eine so unverhüllte Abweisung war Hermann doch nicht gefaßt gewesen, sie reizte ihn unwillkürlich, und hatte er vorhin geschwankt, ob er sich überhaupt ihr nahen sollte, so bekam er jetzt Lust, das Gespräch trotz alledem fortzusetzen.
„Wie Sie befehlen; doch bevor wir einander völlig ignoriren, erlauben Sie mir, Ihnen Kenntniß von einer Sache zu geben, die [794] Sie schwerlich wissen und die unvorbereitet zu erfahren Ihnen peinlich sein dürfte. Herr und Frau von Reinert werden morgen hier erwartet.“
„Ich weiß es!“
„Sie wissen es, und –?“ Die Augen Hermann’s vollendeten die Frage, die sein Mund nicht aussprach – „und Sie bleiben?“
Gertrud’s Antlitz war um einen Schein bleicher geworden, aber es blieb unbeweglich. „Sie vergessen, Herr Graf, daß ich mich in einer abhängigen Stellung befinde. Ich bat die Frau Baronin bereits um einen Urlaub von einigen Wochen; sie glaubte aber, daß die Kinder meiner Aufsicht bedürften, und schlug meine Bitte ab. Ich werde also bleiben.“
„Wenn Sie meine Verwendung annehmen wollen,“ sagte Hermann rasch, „ich gehe sofort zu meiner Tante und bürge Ihnen für die Bewilligung Ihres Wunsches.“
„Ich danke, Herr Graf. Ich wünsche Ihre Einmischung am wenigsten,“
Das wär deutlich genug; Hermann biß sich auf die Lippen und trat zurück. „Es scheint, mein Fräulein, daß Sie einen entschiedenen Widerwillen gegen meine Persönlichkeit hegen; Sie beleidigten mich schon einmal, ebenso absichtlich. Ich bedaure, Ihnen durch meine Annäherung Anlaß dazu gegeben zu haben. Beruhigen Sie sich, es wird in Zukunft nicht mehr geschehen.“
Gertrud’s Lippen bebten, aber sie gab keine Antwort; der Graf grüßte kurz und ging.
„Nun, das übersteigt doch wirklich alle Begriffe. Solch ein Air vermag sich meine Großmutter, vermag sich Toni nicht zu geben, und keine von Beiden hätte gewagt, mir das zu bieten. ‚Ich wünsche Ihre Einmischung am wenigstens.‘ Sie geruhte, wie es scheint, mich in Ungnaden zu entlassen, und ich –“
Der ruhige besonnene Graf Arnau vergaß sich so weit, daß er mit dem Fuße stampfte. Was ihn, ohne daß er es sich gestehen wollte, am meisten ärgerte, war, daß die Art, in der Gertrud ihn verabschiedet, so auf ein Haar der seinigen bei ähnlichen Gelegenheiten glich. Das war genau der kalte, stolze und abweisende Ton, den er sich ohne Rücksicht der Person erlaubte, wenn Jemand ihm gegenüber nicht in den gehörigen Schranken blieb. Es geschah ihm freilich zum ersten Male, daß dieser Ton gegen ihn angewendet ward, und wer wagte das? Eine „Mademoiselle Walter“, die Gouvernante seiner kleinen Basen! Ja, die Großmutter hatte Recht, es war ein unerträglicher Hochmuth, der sich in diesem Mädchen verbarg, und er empfand denselben um so tiefer, als er in seiner jetzigen Stellung und Bedeutung durch allseitiges Entgegenkommen, zumal von den Frauen, im höchsten Grade verwöhnt war. Er hatte stets ziemlich verächtlich auf alle die Bestrebungen, ihm zu gefallen, herabgesehen, und hier begegnete er auf einmal dem ganz offenen Bestreben, ihm zu mißfallen, ja ihn geradezu zu verletzen. Graf Hermann hatte schon einmal vergebens nach einem Grunde für diese seltsame Feindschaft gesucht und damals so wenig die Lösung gefunden wie jetzt; das ganze Wesen Gertrud’s war und blieb ihm räthselhaft und vollends ihr Hiersein. Weshalb ging sie nicht ohne Erlaubniß und gab lieber ihre Stellung preis, ehe sie sich einer solchen Demüthigung wie der Begegnung mit Eugen aussetzte? Ließ ihr Stolz die Flucht vor dem einstigen Verlobten nicht zu? Oder liebte sie ihn noch und konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn noch einmal zu sehen? Der letzte Gedanke schien dem Grafen sehr überraschend zu kommen, denn er blieb plötzlich stehen und runzelte die Stirn. „Nun, das werde ich denn doch zu erfahren wissen! Morgen müssen sie jedenfalls zusammentreffen; ich will doch sehen, ob dies trotzige, siebenfach verschlossene Geheimniß sich dann nicht endlich verrathen wird!“ –
Es war am Nachmittag des nächsten Tages. Herr und Frau von Reinert waren etwas früher, als man erwartete, eingetroffen und von Hermann empfangen worden, der seine Großmutter in ihrer gewohnten Mittagsruhe nicht stören lassen wollte. Antonie hatte sich deshalb nach der ersten Begrüßung auf ihr Zimmer zurückgezogen um die Reisekleider abzulegen, und ihr Gemahl befand sich mit dem Grafen Arnau in einem kleinen, neben dem Gartensaal liegenden Cabinet.
Die beiden Freunde hatten sich seit fünf Jahren, seit der Vermählung Eugen’s nicht wieder gesehen, und diese fünf Jahre waren an ihm nicht so spurlos vorübergegangen wie an Hermann. Er konnte noch immer für einen schönen, interessanten Mann gelten; aber der Ausdruck des Gesichtes, die Stimme, die ganze Haltung war eine andere geworden. Ermüdung, Uebersättigung und Langeweile sprachen nur zu deutlich daraus. Die einst so lebensprühenden Züge erschienen schlaff, das einst so schwärmerisch leuchtende Auge matt, durch das ganze Wesen des kaum dreißigjährigen Mannes ging ein halb bitterer, halb schmerzlicher Zug der tiefsten innersten Unbefriedigung, der sich auch in seinem Tone verrieth, als er nach den ersten gleichgültigen Fragen und Erkundigungen sagte: „Von Dir habe ich trotz Deiner lakonischen Briefe auch in der Ferne genug vernommen. Du bist ja inzwischen eine Berühmtheit geworden und wirst, wie man sagt, nächstens als Stern erster Größe in unserem Staate glänzen!“
„Sagt man das? Von mir ist allerdings nie eine Berühmtheit erwartet oder vorausgesetzt worden.“
Eugen verstand den Vorwurf. „Aber bei mir, meinst Du? Ja, ich versprach Dir damals, ein größeres Werk zu beginnen. Es sind auch Pläne und Skizzen genug entworfen; aber – unser Leben ist ein so zerstreuendes, wechselndes – mir fehlte bisher immer noch die nöthige Ruhe und Stimmung zur Ausführung.“
„Und die nöthige Lust.“
„Meinetwegen – auch die Lust. Die ideale Jugendschwärmerei, mit der man das Alles umfaßt, nimmt doch schließlich ein Ende. Es ist im Grunde nicht so viel an der Kunst, an dem Glücke, an dem ganzen Leben überhaupt!“
Er lehnte sich mit dem Ausdrucke grenzenloser Ermüdung in seinen Sitz zurück; Hermann gab keine Antwort; aber Eugen fühlte wohl, was in dem ernsten forschenden Blicke lag, mit dem er ihn betrachtete.
„Du findest meine Aeußerung seltsam?“
„In Deinem Munde, ja. Jemand, dem das Leben nur Enttäuschungen gab, mag so sprechen; Du, den es mit all seinen Gütern überschüttete, hast kein Recht dazu.“
„Und wenn ich finde, daß diese gerühmten Güter, dies geträumte Glück Illusionen sind, so bleibt sich die Enttäuschung am Ende gleich.“
Hermann stand auf und machte einen Gang durch das Zimmer. „Ich hoffte, daß wenigstens Deine Ehe mit Antonie eine glückliche sei,“ sagte er nach einer Pause.
Eugen schwieg.
„Ihr seid also nicht glücklich!“
Reinert machte eine ungeduldige Bewegung. „Ich weiß nicht! Sie quält mich oft ganz entsetzlich mit ihren Launen, ihrer Eifersucht und dann – ich muß es oft genug hören, was ich ihr alles verdanke, was sie um meinetwillen geopfert hat.“
Ein Ausdruck unendlicher Verachtung kräuselte die Lippen Hermann’s. „Ah, so weit seid Ihr also schon miteinander gekommen! Sie wirft es Dir vor und Du erträgst das?“
„Habe ich eine Waffe dagegen?“
„Es lag in Deiner Hand, Dich unabhängig zu machen. Ich glaubte, gerade der Rang und Reichthum Deines Weibes würden Dir ein Sporn sein, Dich durch eigene Kraft auf eine gleiche Höhe zu schwingen.“
Eugen ließ einen Seufzer der Resignation hören. „Mein Gott, Hermann, Du setzest bei mir immer Deine eigene Eisennatur voraus, die nie des Ausruhens, der Erholung bedarf, die ruhelos immer vorwärts drängt und im Sturme Alles erringt und erreicht. Ich bin nun einmal anders geartet.“
„Ich weiß es!“ sagte Hermann mit ruhiger Bitterkeit, „und glaube mir, Eugen, ich habe oft genug bereut, Deinem Leben diese Richtung gegeben zu haben. Du solltest frei werden von den Sorgen und Beschränkungen des Alltagslebens, solltest die Bahn Deiner Zukunft offen finden, deshalb begünstigte ich Deine Heirath. Du hast Recht, es war ein verhängnißvoller Irrthum, Dich nach mir zu beurtheilen. Du bist eine von den Naturen, die unaufhörlich gespornt und getrieben werden müssen; mit der Nothwendigkeit zu arbeiten entzog ich Deinem Talente auch die Nahrung; hätte ich Dich in jenen Verhältnissen gelassen, wo Du ringen und schaffen mußtest, um zu leben – es wäre besser gewesen!“
„Du sprichst,“ sagte Eugen empfindlich, „als hätte ich während der ganzen Zeit unserer Trennung gar Nichts geschaffen, und doch werden meine Portraits geschätzt und bewundert –“
„Weil Du der Mann Deiner Frau bist. Seit jenem großen Bilde Antoniens, in dem Du Deine Genialität erschöpft zu haben [795] scheinst, hat keines Deiner Werke die Grenze der Mittelmäßigkeit überschritten.“
Eugen biß sich auf die Lippen. „Du bist in der That sehr – aufrichtig.“
„Und Du hast es verlernt, die Wahrheit zu hören. Ich kann damit nicht zurückhalten.“
Reinert erhob sich verletzt, seine Eitelkeit ertrug einen Vorwurf nicht, dessen Gerechtigkeit er gleichwohl empfand; er war im Begriff, eine heftige Antwort zu geben, aber Hermann wendete sich plötzlich von ihm ab, und blickte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit nach der Thür, die sich in diesem Augenblick öffnete. Ein triumphirendes Lächeln zuckte um seinen Mund, er hatte Eugen nicht umsonst gerade in dies Cabinet geführt, er wußte sehr wohl, wer es durchschreiten mußte, um die Kinder, die sich um diese Zeit bei ihrer Mutter befanden, zur Unterrichtsstunde zu holen – dies erste Wiedersehen sollte und mußte beobachtet werden.
Auch Eugen hatte den Kopf gewandt, aber auf einmal fuhr er zurück und todtenbleich, die Arme wie gegen eine Erscheinung abwehrend ausgestreckt, stieß er einen Schrei des Schreckens aus.
„Gertrud!“
Es war in der That Gertrud, die auf der Schwelle stand. Sie wußte freilich, welche Begegnung ihrer heut noch wartete, aber dies Zusammentreffen jetzt und hier fand sie doch unvorbereitet. Auch sie erbleichte und machte eine Bewegung wie zur Flucht, als ihr Auge dem Hermann’s begegnete, das mit einem Ausdruck auf ihrem Gesicht ruhte, als wolle er durch dasselbe hindurch ihr tief bis in’s innerste Herz hineinsehen. Der Fuß des Mädchens schien plötzlich am Boden zu wurzeln, sie richtete sich hoch auf und gab ihm fest und stolz den Blick zurück. Es lag etwas in dieser Bewegung, das edler war als Trotz und mächtiger als Haß; er sah es, wie eine tiefe dunkle Röthe langsam in ihrem Antlitz aufstieg, während sie sein unverwandtes Anschauen aushielt, aber die Wimpern senkten sich nicht. So standen sie einige Secunden lang, Auge in Auge, dann wendete der Graf sich plötzlich ab, Gertrud schloß die Thür hinter sich, ging festen Schrittes, mit völlig fremdem Gruße, an den beiden Herren vorüber und verschwand in dem anstoßenden Gemache.
Hermann ballte in verhaltenem Ingrimm die Hand. „Unbeugsam! Ich wußte es! Dies Mädchen ist nicht zu demüthigen; zwang sie nicht beinahe mich, das Auge vor ihr niederzuschlagen?“
Eugen, der während der ganzen Scene wie angewurzelt dagestanden hatte, kam erst jetzt wieder zur Besinnung.
„Hermann, was bedeutet das? – War das meine – war das Gertrud Walter? – Wußtest Du davon? – Um Gotteswillen, sprich – sprich!“
Der Graf lehnte sich mit gekreuzten Armen an den Pfeiler, sein Gesicht trug jetzt völlig jenen abstoßenden Ausdruck, der ihm in Momenten der höchsten Gereiztheit eigen war, und in seinem Tone lag eine wahrhaft erschreckende Herbheit, als er erwiderte:
„Mademoiselle Walter befindet sich gegenwärtig als Erzieherin im Hause meines Oheims Sternfeld, und ist mit dessen Familie hierhergekommen. Ich begreife, daß dies Zusammentreffen Euch Beiden peinlich sein muß, aber Du siehst ja, daß sie Tact genug besitzt, Dich völlig zu ignoriren, und was Dich betrifft, so wirst Du sie leicht vermeiden können, da sie sich ausschließlich den Kindern widmen muß, und wenig oder niemals in der Gesellschaft erscheint.“
Eugen schien die letzten Worte nicht zu hören, sein Auge hing noch immer wie magnetisch gebannt an der wieder geschlossenen Thür. „Gertrud hier!“ wiederholte er noch immer fassungslos, „und ich muß sie jetzt, muß sie so wiedersehen! O, das ist nicht das Kind mehr das ich einst verließ! Wie schön, wie unendlich schön ist sie geworden!“
Mit einer heftigen Bewegung richtete sich Graf Hermann aus seiner nachlässigen Stellung empor. „Ich dächte, es wäre jetzt Zeit, daß wir uns zu Antonie begeben, sie muß längst mit ihrer Toilette fertig sein, und ich führe Euch dann sofort zu der Großmutter. Komm!“
„Nein, nein!“ rief Eugen leidenschaftlich, „jetzt nicht! Nach diesem Wiedersehen, in dieser furchtbaren Aufregung ertrage ich nicht die steife Förmlichkeit einer solchen Vorstellung. Ich kann jetzt nicht!“
„Mein lieber Eugen,“ die Stimme des Grafen klang wieder vollkommen ruhig, aber sie war von einer schneidenden Schärfe, „diese steife Förmlichkeit bedeutet die Anerkennung Deiner Heirath von Seiten der Familie Deiner Frau, und Du wirst dieser Familie die Rücksichten erweisen, die Du ihr schuldig bist. Habe die Güte, Deine Gefühlswogen zu beherrschen, und folge mir. Meine Großmutter, die Präsidentin von Sternfeld, ist nicht gewohnt zu warten.“
Und mit der ganzen gebietenden Autorität, die er einst über den jungen Maler ausgeübt, nahm er auch jetzt den Arm des Herrn von Reinert, und führte den Widerstrebenden mit sich fort.
Die vierzehn Tage, welche zum Aufenthalt der Gäste festgesetzt
waren, nahten sich ihrem Ende. Man hatte sie in einem
förmlichen Wirbel all’ der Vergnügungen und Zerstreuungen hingebracht,
die das Landleben nur zu bieten vermag. Die Präsidentin,
der ihr hohes Alter sonst Ruhe und Zurückgezogenheit zur Pflicht
machte, konnte sich diesmal unmöglich all’ den Besuchen und Einladungen entziehen, die hauptsächlich ihrem Enkel galten. Graf
Arnau war in der That bereits eine Berühmtheit geworden, man
drängte sich aus der ganzen Nachbarschaft herbei, ihn zu sehen,
ihn zu bewundern, und das Gerücht, er beabsichtige, sich in nicht
allzuferner Zeit zu vermählen, trug noch mehr dazu bei, ihn zum
Mittelpunkt von allseitigen Aufmerksamkeiten zu machen, die doch im
Grunde sämmtlich in dem Bestreben wurzelten, diese in jeder
Hinsicht glänzende Partie für irgend eine Tochter, Schwester oder
Anverwandte zu acquiriren. Der Graf nahm das Alles in seiner
kühlen, zurückhaltenden und sarkastischen Weise hin, ohne das
mindeste Gewicht darauf zu legen.
Den geselligen Verpflichtungen unterzog er sich mit jener Resignation, mit der man eine peinliche, aber unabwendbare Nothwendigkeit erträgt, denn er fand in diesen unaufhörlichen Besuchen und Zerstreuungen den wirksamsten Ableiter für den Gährungsstoff, welcher trotz der sogenannten Versöhnung noch überreich im Schooße der Familie verborgen lag. Zwar war die Präsidentin, trotz ihrer aristokratischen Vorurtheile, eine feingebildete Frau und ließ es nicht an der Höflichkeit und Rücksicht fehlen, die sie den von ihr selber eingeladenen Gästen schuldete, aber sie verstand es nichtsdestoweniger, es ihrer Enkelin und deren Gatten fühlbar zu machen, daß sie nur geduldet seien und daß sie selbst diese Duldung nur dem Einflusse Hermann’s verdankten. Diese Erkenntniß diente natürlich nicht dazu, Beiden den Aufenthalt angenehm zu machen; Antonie zeigte sich bei jeder Gelegenheit empfindlich und verstimmt, Eugen fortwährend gereizt und erbittert, oft war es nur Hermann’s Dazwischentreten, das den stets drohenden Bruch verhinderte, und das Zusammenleben wäre ein sehr unerquickliches gewesen, wenn nicht die häufige Gegenwart Fremder allen Theilen einen heilsamen Zwang auferlegt hätte.
Es war am vorletzten Tage des Hierseins der Gäste, gegen Abend. Die Präsidentin hatte die Kinder zu sich holen lassen und Gertrud benutzte eine von den wenigen freien Stunden, die ihre Stellung ihr übrig ließ, um allein in den Park zu gehen. Sie hatte ihn während dieser beiden Wochen so viel als möglich gemieden, ihn wenigstens nur in Begleitung ihrer Zöglinge betreten, um einer etwaigen peinlichen Begegnung auszuweichen, aber heut’ Abend war sie sicher; sie wußte, daß Abschiedsbesuche in der Nachbarschaft gemacht wurden, und gab sich in dieser Gewißheit freier dem lang entbehrten Genusse eines einsamen Spazierganges hin.
Ein Buch in der Hand ging sie langsam zu ihrem Lieblingsplatze, der Bank unter dem großen Ahornbaum. Der Park schien um diese Zeit völlig einsam und verlassen; die Abendsonne lag goldig auf den Gebüschen und Rasenplätzen, von drüben her schimmerte das weiße Gefieder der Schwäne, die im Teich auf und nieder zogen, kein Laut unterbrach die tiefe Stille ringsum. Gertrud setzte sich nieder und stützte den Kopf in die Hand. So waren sie denn nun endlich zu Ende, diese so sehr gefürchteten vierzehn Tage des Beisammenlebens, und waren im Ganzen besser vergangen, als sie gehofft. Von keiner Seite hatte man ihrem sichtbaren Bestreben, sich zurückzuziehen, ein Hinderniß in den Weg gelegt. Die Präsidentin hegte ausgesprochenermaßen eine Antipathie gegen „Mademoiselle Walter“, und Antonie, obgleich sie von deren früheren Beziehungen zu ihrem Gemahl keine Ahnung hatte, liebte durchaus nicht die Gegenwart dieser Gouvernante, welche die Impertinenz besaß, so blendend schön zu sein, daß sie selbst vornehme Frauen durch ihr bloßes Erscheinen in den [796] Schatten stellte. Eugen schien nach der stürmischen Ueberraschung des ersten Augenblicks zur Besinnung zurückgekehrt zu sein, vielleicht fürchtete er auch die Eifersucht seiner Frau, jedenfalls wußte er sich jetzt besser zu beherrschen, als bei jenem plötzlichen Zusammentreffen, und wenn sie einander sahen, was meist nur bei Tische und immer nur in Gegenwart der Gesellschaft geschah, so war die Begegnung seinerseits ebenso fremd, als die ihrige. Und Graf Arnau? – Er hatte Wort gehalten und Gertrud keinen Anlaß gegeben, ihn noch einmal zu beleidigen. Es lag eine eiserne Consequenz in der Art, mit der er sie nach dem letzten Gespräch völlig zu ignoriren schien; nicht ein Wort, nicht ein Gruß ward ihr mehr zu Theil, auch nicht die leiseste, allergewöhnlichste Aufmerksamkeit, die man selbst Personen in so untergeordneter Stellung erweist. Für ihn schien die Erzieherin gar nicht mehr zu existiren und wenn er doch einmal mit einer kalten gezwungenen Verbeugung von ihr Notiz nehmen mußte, so geschah es mit sichtlichem Widerwillen. Freilich, das war es ja auch, was sie von Anfang an gewollt und erstrebt hatte, jetzt war es endlich erreicht, und das Alles, Alles nahm ja ohnedies ein Ende. Uebermorgen kehrte Baron Sternfeld mit Frau und Kindern auf seine Güter zurück, die Uebrigen gingen nach der Residenz, man trennte sich – hoffentlich auf Nimmerwiedersehen!
Gertrud wollte tief, tief aufathmen bei diesem Gedanken, aber es wollte nicht leichter werden auf der Brust, und die gefalteten Hände preßten sich wie im wildesten Schmerz noch fester in einander. Das Mädchen war um so vieles bleicher geworden in diesen beiden Wochen, und auch der alte Schatten lag nicht mehr in ihrem Auge, er war verwischt, tief in den Hintergrund gedrängt von einem andern Ausdruck. Es lag darin jetzt eine drängende Unruhe, eine qualvolle innere Angst, und die festgeschlossenen Lippen schienen gewaltsam ein Geheimniß festzuhalten, das sie nicht einmal sich selber aussprechen durfte. Sie nahm das Buch und versuchte zu lesen, es wollte nicht gehen, sie schlug es in der Mitte, am Ende auf, umsonst! Ihr Blick irrte über die Worte hin, ohne den Sinn zu fassen, die Gedanken ließen sich nicht bannen. Mit einer leidenschaftlichen Bewegung, die den ganzen mühsam verhaltenen Kampf ihres Innern verrieth, warf sie es endlich von sich und verbarg das Gesicht in beiden Händen.
„Gertrud!“
Die Gerufene fuhr mit dem Ausdruck des Schreckens empor. „Herr von Reinert! Sie hier?“
Es war in der That Eugen, der einige Schritte von ihr entfernt am Rande des Gebüsches stand. Auch er erschien bleich, aufgeregt, und seine Stimme bebte, als er mit niedergeschlagenen Augen leise fragte: „Darf ich – darf ich mich nahen?“
„Nein!“ war die feste, ernste Antwort.
Trotz des Verbotes wagte er es dennoch, einen Schritt näher zu treten. „Gertrud, sei nicht so unversöhnlich! Ich weiß es, daß Du mich hassest, daß ich Dich unglücklich gemacht habe –“
Mit einer Geberde unbeschreiblichen Stolzes hob Gertrud das Haupt empor, ihr Auge traf groß und voll das seinige und nicht die leiseste Spur von Erregung zitterte mehr in ihrer Stimme, wohl aber lag ein Hauch mitleidiger Verachtung darin, als sie ruhig entgegnete: „Sie sind im Irrthum, Herr von Reinert; ich hasse Sie nicht, und unglücklich bin ich durch Sie nicht geworden.“
„Nun wohl, so bin ich es jetzt!“ sagte Eugen dumpf. „Seit dem Augenblick, wo ich Dich verließ, habe ich kein Glück gekannt, immer und immer hat mich die Erinnerung verfolgt und jetzt, wo ich Dich wiedersehen mußte, jetzt treibt sie mich zur Verzweiflung!“
Er warf sich mit der alten Leidenschaftlichkeit auf den Platz nieder, wo sie vorhin gesessen, und preßte die Hand gegen die Stirn. Gertrud stand vor ihm; wer Zeuge des stummen, aber furchtbaren Kampfes gewesen wäre, der noch vor wenigen Minuten das ganze Wesen des Mädchens durchtobte, würde die Ruhe und Gelassenheit nicht begriffen haben, mit der sie jetzt auf den einstigen Verlobten niederblickte.
„Eugen!“ Er fuhr auf, sie machte eine ernst zurückweisende Bewegung. „Mißverstehe mich nicht, dies Du gilt dem Jugendgespielen, den ich nie anders genannt. Wenn es das ist, was Dich quält, der Gedanke an mein vermeintliches Unglück, an meine Verlassenheit, so sei ruhig, den Vorwurf kann ich von Dir nehmen. Wenn ich bei unserer Trennung gelitten habe, so war es nur mein Stolz, der sich wand, unter der Demüthigung, verlassen zu werden, das Herz hatte keinen Theil daran, denn ich, Eugen – ich habe Dich nie geliebt!“
„Gertrud!“
„Nie!“ wiederholte sie fest. „Du gabst mich frei, zu Deinem und meinem Heile; vielleicht hätte ich später vor Dich hintreten müssen mit dem Geständniß, daß ich Dein Weib nicht werden könne.“
„Unmöglich!“ rief Eugen aufspringend. „Wenn Du mich nicht liebtest, weshalb –“
„Weshalb ich Dir meine Hand zusagte, meinst Du?“ Ihr Auge sank zu Boden und ein sanfter trauriger Zug legte sich auf ihr Antlitz, während sie leise, aber mit einer Stimme, deren eigenthümlich schmerzlicher Laut ihm bis in’s Innerste drang, fortfuhr: „Ich war kaum der Kindheit entwachsen, ich hatte Nichts kennen gelernt, als das Krankenzimmer meiner Mutter, als Sorge, Kummer und – manches Andere, was noch schwerer zu tragen ist. Dem ersten Sonnenstrahl, der in solch’ eine Jugend fällt, wird selten der Eingang verwehrt. Du kamst damals aus der Residenz zurück, in allem Glanze Deines aufstrebenden Talentes, bewundert von der ganzen kleinen Stadt, Du lagst mir zu Füßen und schwurst mir Liebe, und ich – that, was jedes sechszehnjährige Mädchen thut, dessen Herz noch frei ist; ich träumte mich in eine Neigung hinein, die nur für den Gespielen bestand. Daß dies Gefühl nicht Liebe war, ahnte ich schon bei unserer Trennung, jetzt – jetzt weiß ich es!“
Die letzten Worte kamen fast unhörbar von ihren Lippen, aber es lag ein unendliches Wehgefühl darin. Eugen hätte sich bisher mit sichtbarer Anstrengung beherrscht, nun aber brach er in schmerzliche Bitterkeit aus. „Nein, Gertrud, das ist nicht wahr! das kann nicht sein, Du täuschest Dich und mich! Du willst einen Vorwurf von mir nehmen, und ahnst nicht, daß Du mich noch elender machst, wenn ich nicht mehr an Deine Liebe glauben darf. Wenn Du wüßtest, wie unglücklich ich bin in diesen goldenen Fesseln, in dieser Ehe mit einer Frau, die in mir nur das Spielzeug ihrer Laune sieht, das sie in einem Augenblick vergöttert, um es im andern auf die demüthigendste Weise an seine eigene Nichtigkeit zu erinnern, wenn Du wüßtest, wie tief ich den unseligen Wahn bereue, der mich einst –“
„Laß uns das Gespräch endigen, Eugen,“ unterbrach sie ihn ernst, „es geht über die Grenzen hinaus, die Dir und mir gezogen sind. Du hast die Wahrheit von mir gehört, ich vermag Nichts daran zu ändern, jetzt lebe wohl!“
Sie wollte ihm zum Abschiede die Hand reichen, aber er achtete nicht darauf, sondern fuhr in steigender Aufregung fort: „Zu spät habe ich eingesehen, was ich einst an Dir besessen, was ich in thörichtem Wahn aufgegeben, und was ich dafür eingetauscht. Längst ist jenem Rausche der Leidenschaft die Ernüchterung gefolgt, und jetzt, wo das Schicksal Dich mir wieder entgegenführt, jetzt flammt die alte Liebe mächtig empor und reißt mich auf’s Neue zu Deinen Füßen –“
Auf’s Tiefste empört trat Gertrud einen Schritt zurück. „Sie vergessen sich, Herr von Reinert, und beleidigen mich und Ihre Gattin gleich tief durch solche Worte. Verlassen Sie mich auf der Stelle, ich will Nichts weiter hören!“
Aber selbst diese energische gebietende Sprache, die sonst nicht leicht ihre Wirkung verfehlte, verhallte machtlos einer Leidenschaft gegenüber, die Eugen über alle Grenzen der Vernunft und Besinnung hinwegriß. Er stürzte auf die Kniee nieder und wiederholte das Geständniß, in jener glühenden schwärmerischen Sprache, mit der er einst um das sechszehnjährige Mädchen geworben, die ein Jahr später auch Antonie von seinen Lippen vernommen hatte. Gertrud erwiderte diesmal kein Wort darauf, mit einem Blick unverhohlener Verachtung wendete sie sich schweigend ab und wollte gehen, aber diese Bewegung brachte ihn auf’s Aeußerste. Außer sich, sprang er auf, erfaßte ihren Arm und riß sie mit Gewalt zurück.
Mit einem Schrei der Entrüstung wollte das Mädchen sich frei machen, aber es bedurfte dessen nicht mehr. In demselben Augenblick, wo Eugen es wagte, sie anzurühren, taumelte er, von einem kraftvollen Arme fortgeschleudert, zur Seite – Graf Arnau stand zwischen ihnen.
Eine bitterkalte, schneelose, aber vom klarsten Mondschein zauberisch erhellte Novembernacht hatte ich auf dem baumstarken Geäst einer uralten knorrigen Eiche in einer zu Jagdzwecken da hinauf erbauten Reisigbaracke zugebracht, um von hier aus einem
fast regelmäßig zur Nachtzeit aus dem nahen Wildgarten ausbrechenden, aber immer wieder dorthin zurückkehrenden starken Keiler aufzulauern und diesen vagabundirenden Verwüster der außenliegenden Wiesen und Aecker armer Haidebauern womöglich todtzuschießen. Mit Tagesgrauen, das vor dem noch immer hellstrahlenden Mondlichte jedoch kaum bemerkbar ward, kam leise, nach vorhergegebenem verabredetem Signal mein Freund Pürschjäger des Thiergartens, durch dessen Vergünstigung ich den nächtlichen Anstand ausübte, zu meinem Hüttchen heraufgestiegen, um mich, wenn ich wollte, abzulösen. Denn noch immer galt es ein paar Stunden auszuharren, ehe man mit gutem Jägergewissen abtreten konnte, da vorhergegangenen Beobachtungen zufolge das betreffende Schwein oftmals erst am hellen lichten Tage aus den wenigen übergehaltenen Eichenbeständen der Vorhölzer, unter denen noch viel Mast lag, heimkehrte. Dabei aber zoddelte es gern, je aus welcher Richtung es gerade herkam, erst weite Strecken am Thiergartenzaun hin, ehe es in das von ihm beim Ausbrechen jedesmal zerrissene Loch wieder einwechselte. In Anbetracht dieser Erfahrung [798] beschloß der Pürschjäger, da ich meinen den Hauptwechsel bestreichenden Posten vor völliger Tageshelle nicht aufzugeben gedachte, ein Stück abwärts von mir an den Wildzaun hinzutreten, um den erwarteten Keiler hier schon in’s Feuer zu nehmen, wenn er etwa aus den nach dieser Richtung hin liegenden halb abgelassenen Teichen heraufkäme, wo er mit Vorliebe auf den Fischfang ging. Eben wollte nun zu diesem Zwecke der biedere Grünrock geräuschlos mein Asyl verlassen, als er im offenen Thürchen wie fest gebannt stehen blieb, dabei gespannt nach dem Thiergarten hinüber horchte und leisen Tones rückwärts fragte: ob ich nicht auch den fernen Laut jagender Hunde vernommen? Und allerdings war seinem geübten Ohre keine Täuschung widerfahren, denn auch mir, der ich mich auf mein Gehör ganz besonders verlassen kann, war der charakteristische Schall nicht entgangen.
„Dann sind es die vermaledeiten Köter des wildernden Hallunken, des Fleischers aus dem Niederdorfe, die schon die längste Zeit die ganze Wildbahn unsicher machen und schon manches Stück Wild niedergezogen und zerrissen haben,“ murmelte auf meine Zustimmung der noch immer lauschende Waidmann ergrimmt in den Bart. – Und nun für heute Adieu Saue! Jetzt galt es den Hunden.
„Ich werde vortreten an die Lache beim ‚Todten Jäger‘. Sie aber springen schleunigst hinüber bis jenseits des Schnepfenbruches an die alte Buche, welche vor’m Jahre der Blitz zersplitterte, und stellen sich da, wo der Zaun die scharfe Ecke bildet, an, von wo aus Sie nach allen Seiten den dort gezwungenen Wechsel beschießen können. Sicherlich bringen die Bestien ihr angejagtes Wild dort herum, sollten die Rackers nicht vorher schon mir vor’s Rohr kommen. Also nun rasch zu und brav hingehalten!“
Schnellen Laufes, wobei ich das „Kiff, Kiff“, wie den unterschiedlichen groben Laut „Hau, Hau“ zweier Hunde vernahm, erreichte ich gerade noch rechtzeitig Ort und Stelle. Denn nur kurze Zeit währte es, so hörte ich es auch schon in der vor mir liegenden Dickung brechen und unzweifelhaft flüchtiges Wild auf mich zukommen. Und richtig! Kaum vernommen, da flogen auch alsbald in wildester Flucht drei stattliche Hirsche hervor, dicht hinter ihnen her aber ein großer getigerter Hatzhund, dem ein etwas geringerer, schäferhundartiger Köter auf dem Fuße folgte. Noch konnte ich wegen zu weiter Entfernung, wie vor den Hirschen selbst nicht schießen; doch als diese sich in plötzlicher Wendung nach dem Zaun herumwarfen, weil lockerer, gefährlicher Sumpf und tiefe Wasserlöcher ihnen den geraden Weg verlegten, kam in wenigen Augenblicken die ganze tolle Jagd bis auf Schußweite an mich heran. Schon hatte ich den schwächeren der beiden raublechzenden Cumpane, der, um Vorsprung zu gewinnen, den Weg direct über das wogende Ried genommen und mir so frei und schußgerecht anlief, mit dem Schrotlauf meines Doppelzeuges „angepackt“, als mir mein Ziel für einen Augenblick hinter einer Schilfkaupe verschwand. Beim Dahinter-Wiederauftauchen aber bekam der Bursche sofort die volle Ladung, daß er getroffen im Feuer zusammenbrach und, nachdem er sich noch einmal emporgerafft, lautlos verendete. Durch diesen Schuß aber, der den andern Hund nicht im mindesten zu bekümmern schien, da er auch nicht einen Augenblick von der Verfolgung seiner von ihm schon fast erreichten Beute abstand, geriethen die ohnedies schon höchst erregten Hirsche in wirreste Angst. Dieselbe wurde durch den zweiten Schuß mit der Kugel, den ich nun auch der andern Bestie, leider erfolglos, nachsandte, so gesteigert, daß der vorderste von den jetzt dicht am Zaune Hinfliehenden plötzlich kerzengerade daran emporsteigend durch die geräumige Lücke der etwas weit auseinander liegenden obersten und zweiten Stange der Vermachung mehr durchkletterte als sprang. Dabei aber versah er es derart, daß er mit den Hinterläuften einen Moment lang hängen blieb und prasselnd kopfüber nach außen hin in dort liegendes sturmgebrochenes Geäst stürzte, während über ihn hin die beiden Cameraden folgten. Nun gewannen diese mit gewaltigerem Sprunge die volle Höhe der Verhegung, der Eine aber auch nur so, daß er mit der vollen Wucht des Leibes auf die oberste Stange auffiel, diese krachend zertrümmerte und hierbei, rückwärts sich überschlagend, wieder zurück in den Thiergarten stürzte. Nachdem er sich dort augenblicklich wieder emporgerafft, setzte der Angstbeflügelte rücksichtslos durch Bruch und Wasser, daß letzteres schlammvermischt hoch über ihm zusammenschlug, während der nach außen hin Gefallene, den ich schon verloren gegeben, da er eine Weile wie todt am Boden liegen geblieben war, sich ebenfalls wieder erhob, um dann pfeilschnell in einer Dickung des vor ihm liegenden Waldes zu verschwinden.
Der zuletzt Uebergefallene hingegen, der stärkste von Allen, ein Zwölfer, war der einzige, der ohne jedweden Unfall das Hinderniß hoch genug überschoß und zwar noch in demselben Momente, in welchem seine zwei Genossen in verzweifeltster Lage zwischen und auf dem Zaune hingen. Gewaltigen Sprunges, gleich einem von der Sehne geschnellten Bolzen, flog der Stattliche über die hohe Planke dahin, drüben aber, den gewonnenen Boden mit den gestählten Läuften kaum berührend, stürmte er in rasender Flucht, noch auf freier ebener Haidebahn in gewaltigen Bogensätzen die Lust durchmessend, unaufhaltsam weiter, und bald entschwand auch dieser jenseits des weiten, öden Gehaues, das er beflügelten Laufes übereilte, im duftigen Wald den nachgesandten Blicken.
Leider war mir während dieser Scene, die mich ganz und gar in Anspruch genommen, der von mir gefehlte Hund völlig und spurlos aus dem Auge gekommen, und blieb mir daher zuvörderst, nachdem ich wieder geladen hatte, nichts weiter übrig, als meinen Freund Pürschjäger aufzusuchen, um so mehr als ich jetzt, von ihm herübertönend, einen Schuß und gleich hinterher seinen Hupphuppruf vernahm. Mit beschleunigter Eile erreichte ich alsbald mein Ziel, und hier traf mein erster Blick auf die zu Füßen meines Freundes hingestreckte mächtige Gestalt des vor wenigen Minuten noch vor meinen Augen so beutegierig dahinjagenden Hatzhundes. Jener hatte den nun vor ihm liegenden Teufelsbraten, ein kleines Weilchen nach meinem zweiten Schuß, in kurzem Trabe hart am Zaun herkommen sehen, dabei Herrn Urian, wie er etwa sechszig Schritt vor ihm durch die Vergatterung hinausgewollt, auf’s Korn genommen und, wie Figura zeigte, glücklich niedergestreckt.
Natürlich theilte ich meinem Gönner mein Erlebniß und Ergebniß mit, was dessen jägerliches Herz in nicht geringe Erregung versetzte. Noch ehe wir aber mitsammen nach dem Wahlplatz schritten, dort Todten- und Umschau zu halten, wandte der an und für sich sehr hundefreundliche Waidmann die von ihm erlegte, wirklich prächtige Rüde mit dem plumpbestiefelten Fuße um und murmelte dabei: „Bei Gott, ein vortrefflicher Hund! Schade um ihn, hätte ein besseres Loos verdient.“ – Und auch nachher, da wir an Ort und Stelle angekommen und ich meine Beute aus dem schwanken Moor herübergeholt hatte, knüpfte er an diese seine Betrachtungen an und verrieth sie in dem lauten Selbstgespräch: „Schade, schade um’s brave Thier! ’s wäre besser, dessen Herr, diese nichtsnutzige Fleischercanaille, läge hier vor mir auf der Strecke.“
Nun war es aber heller lichter Tag geworden, und zwar ohne das belauerte Wildschwein nur gesehen, geschweige denn erbeutet zu haben. Dennoch waren wir mit unserem Erfolge gar wohl zufrieden, hatten wir doch die beiden Störenfriede, denen man schon lange, aber immer vergeblich nachgetrachtet hatte, endlich unschädlich gemacht. Wohlgemuth zogen wir deshalb fürbaß, doch nicht ohne erst noch den fraglichen Sauwechsel gemustert zu haben und zu der Ueberzeugung gekommen zu sein, daß der Schwarzrock vergangene Nacht zu Hause geblieben sein mußte, denn weder frische Fährte noch sonst eine Spur war von ihm zu entdecken.
So wandelten wir denn ein Jeder, hier von einander scheidend, unseres Weges; der Jägersmann nach seinem einsam inmitten des Forstes gelegenen Häuschen, ich – leider! – zurück in die gewühlreiche, kohlendunstige Stadt.
Als ich im jüngsten Herbste wieder einmal das Unterinnthal durchzog, kam ich eines Nachmittags auch in den schönen Flecken Schwaz, zu Herrn Franz Rainer, dem Postmeister. Ueber seinen Trinkgemächern lag um diese Zeit eine tiefe Stille – nur an einem Tische des Herrenstübels saßen in leisem Gespräch bei seiner Schwester zwei schwarzgekleidete Gestalten. Die eine war blond, die andre dunkelhaarig – wohlgestaltet waren sie beide –, welche [799] mehr, welche weniger, wäre schwer zu entscheiden und gefährlich zu sagen.
Ich setzte mich auch zu der kleinen Gesellschaft und wurde freundlich aufgenommen. Aus dem Gespräch ergab sich bald, daß die beiden Damen – Frauen, Fräulein, Mädchen, noch wußte ich nicht, wie sie eigentlich zu nennen wären – von einem nahen Dorfe hereingekommen und Abends wieder dahin zurückfahren würden. Das Dorf aber heiße Margreten.
„Margreten!“ wiederholte ich, „da waren einmal vor fünfundzwanzig Jahren zwei schöne Wirthstöchter, von denen damals viel gesprochen wurde.“
„Ja, ja,“ sagte die dunkelhaarige Gestalt, „sie waren sehr hübsch; auch Doctor Steub hat ihre Schönheit rühmend erwähnt.“
„Was mag aus ihnen geworden sein?“ fragte ich. „Wissen Sie etwas von ihnen?“
„O ja,“ antwortete die blonde Gestalt, „wir sind da sehr gut unterrichtet; es waren nämlich unsere ältesten Schwestern. Die eine lebt jetzt als Wittwe zu Trient, die andre reist als Directrice einer Tiroler Sängergesellschaft in Rußland.“
„In Rußland!“ sagte ich, „das ist weit weg!“
„Nicht so weit, als es scheint,“ entgegnete die Dunkelhaarige, „wenigstens nicht für uns. Wir waren Beide schon zehn Jahre dort.“
„Um Gotteswillen,“ sagte ich, „was hatten Sie denn da zu thun?“
„Wir haben gesungen,“ erwiderten beide Gestalten.
Jetzt war mir Manches klar. Ich ließ in meinen Forschungen eine Pause eintreten, welche die Dunkelhaarige benutzte um zu fragen:
„Aber mit wem haben wir die Ehre?“
„Sie haben mich soeben einer Erwähnung gewürdigt.“
„Ach so,“ sagte sie überrascht, „also Doctor Steub! Das wird unseren Schwager freuen; er wird gleich wieder da sein. Er kennt Sie ja auch von alten Zeiten her.“
Nun gut – soweit waren denn beide Theile entlarvt. Aus dem ferneren Gespräche aber will ich zur Ergänzung noch Folgendes nachtragen.
Die beiden Mädchen waren also jüngere Töchter aus dem Wirthshause zu Margreten, wo einst vierzehn Kinder rumorten, alle schön gestaltet und gut begabt, von denen jetzt noch ihrer sieben am Leben sind. Die dunkelhaarige Schwester nennt sich Therese, die blonde – Isabella. Die schwarzseidenen Kleider deuteten auf den Tod des Vaters, des Herrn Jacob Prantl, welcher vor wenigen Wochen in Margreten verschieden war, nachdem ihm die Mutter um drei Jahre vorausgegangen. Der Schwager aber, den sie erwähnt hatten, ist Ludwig Rainer, der mit ihrer älteren Schwester Anna vermählt ist. Alle jene, welche etwa mein Buch „Drei Sommer in Tirol“ auf ihrem Bücherrahmen haben, werden ihn Seite 543 geschildert finden (die beiden Wirthstöchter von Margreten stehen auf der vorhergehenden Seite), wie er damals vor sechsundzwanzig Jahren als schmucker Zillerthäler die Posaune blies, während die Söhne des Erzherzogs Franz Karl, darunter auch der jetzige Kaiser, zu Fügen ihren festlichen Einzug hielten.
Ludwig Rainer repräsentirt jetzt eigentlich als reisender Sänger einzig und allein die zweite Generation seiner berühmten Familie, denn Franz Rainer zum Beispiel, auf der Post zu Schwaz, auch ein Epigone, ist zwar ein guter Postmeister, reist auch mitunter, singt aber nicht. Die jüngeren Vettern zu Fügen dagegen singen zwar mitunter, reisen aber nicht. Andere Rainer, welche noch jodelnd in der Welt herumziehen, sind Pusterthaler und aus einem andern Stamm. Ludwig Rainer brachte die Liebe zum Gesang, den Unternehmungsgeist, die Thatenlust auch in die Wirthsfamilie zu Margreten und legte sich dort eine blühende Pflanzschule an, so daß er immer drei oder vier Kinder des Hauses in seinem musikalischen Gefolge mit sich führen konnte. So kamen auch Anna, Therese, Isabella und der Bruder Alois mit ihm nach Rußland, wo sie sich Jahre lang in Petersburg und Moskau aufhielten ja sogar bis Nischnei Nowgorod streiften. Das feine Leben in Rußland, die freundliche Aufnahme, die schönen Diners, den ewig knallenden Champagner daselbst, das wußten die beiden Fräulein auch nach Gebühr zu loben. Selbst der Kaiser von Rußland zeigte sich als begeisterten Liebhaber der Almenlieder; ja er sang oft selber mit und jodelte um die Wette mit den Zillerthalern.
Unter diesen Gesprächen trat endlich auch Ludwig Rainer ein, welcher von einem Besuche zurückkam. Seit jenem Tage in Fügen haben wir uns zwar nicht mehr gesehen, aber immer in Gedanken behalten, so daß wir uns damals in Schwaz mit vollem Rechte als alte Bekannte begrüßen durften. Ludwig Rainer, weltgewandt, unverzagt und schlagfertig, ist auch äußerlich ein wohlgebauter, starker Mann. Namentlich in der Tirolertracht, wenn er als Zillerthaler Schütze auftritt, stellen sich seine Formen imponirend dar. Sein Auge ist lebhaft, ebenso sein Gespräch. Sein Wesen und sein Charakter wird aus dem biographischen Denkmal hervorgehen, welches wir aus seinen eigenen Bausteinen ihm hier zu setzen gedenken.
Damals fragte ich nämlich Herrn Ludwig Rainer, ob er mir keine Materialien zur Geschichte seiner Familie mittheilen könne – es sei eine zweite Auflage der „Drei Sommer“ im Anzug und mein Wunsch wäre, die in der ersten vorkommenden dürftigen Notizen über die Rainer etwas erweitern und ergänzen zu können.
„Da kann ich Ihnen schon behülflich sein,“ entgegnete er. „Ich habe Einiges niedergeschrieben, was ich Ihnen gern zur Benutzung überlasse. Uebrigens sollten Sie jetzt mitkommen nach Margreten. Dort ist unser Familienmuseum – dort haben wir alles zusammengestellt, was wir von unseren Reisen als Erinnerungen und Andenken mitgebracht: Bilder, Photographien, Pokale, Kränze, Bänder, Fahnen und allerlei mitunter sehr werthvolle Geschenke. Das würde Sie gewiß interessiren!“
Leider war es schon Nacht geworden, und da ich am andern Morgen auswärts gegen Innsbruck zu fahren gedachte, so war Margreten, das abwärts liegt, mit meiner Richtung nicht zu vereinigen. Ich lehnte daher dankend ab und versparte mir den Besuch auf ein ander Mal, habe ihn aber bisher noch nicht ausgeführt.
Ludwig Rainer sandte mir bald darauf zwei handschriftliche Foliobände, deren einer die Geschichte seiner Jugend, der andre aber das Tagebuch enthält, welches er auf der Reise von Tirol nach Amerika in den Jahren 1839 bis 1843 geführt. In dem ersteren dieser Foliobände findet sich nun Mancherlei, was der Mittheilung nicht unwerth scheint. Ludwig Rainer’s Jugendgeschichte ist ein farbenreiches Lebensbild aus dem Almlande und wird hoffentlich alle Leser ansprechen, welche den frischen, kecken, liederlustigen, nur etwas leichtblütigen Zillerthalern freundlich zugethan sind. Sollte sich hin und wieder ein Bestandtheil zeigen, der etwas unwahrscheinlich klingt, so wollen wir die Ehre, für die Wahrheit, falls sie bestritten würde, einzutreten, gern Herrn Rainer selbst überlassen.
In dem schönen Zillerthale, beginnt die Erzählung, im lieblich gelegenen Pfarrdorfe Fügen, lebte einst unter Anderen ein Metzgermeister mit Namen Joseph Rainer. Er war ein braver alter Deutscher und hauste auch mit seiner Gattin ganz glücklich, obgleich er sich, da er acht Kinder, sechs Knaben und zwei Mädchen, zu ernähren hatte, nicht ohne Mühe durch’s Leben schlug. – Vater Rainer war einer der ersten Tenoristen seiner Zeit, wußte seine weltlichen Liedlein sehr angenehm vorzutragen, hatte aber auch jährlich einen geringen Gehalt von der Pfarrkirche, weil er an Sonn- und Feiertagen auf dem Chore mitsang. Auch fünf seiner Kinder waren mit musikalischen Anlagen gut ausgestattet, den drei übrigen aber fehlte das Talent. Unter diesen letzteren war übrigens ein Mädchen, Helene mit Namen, von so großer Schönheit, daß sie in der ganzen Gegend zu Berg und Thal die schöne Lene genannt wurde. Auch ihr ältester Bruder, Johann, war ein Musterbild von einem Zillerthaler Burschen, und wenn die schöne Lene mit diesem im Feiertagsstaat durch die Straßen von Fügen ging, blieben die Leute gern stehen, um das Geschwisterpaar zu bewundern.
Nun folgt eine Episode von Marie Rainer, der schönen Lene Schwester, die minder hübsch, aber sehr gutmüthig und fleißig war und in ihren jungen Jahren eine Liebschaft mit einem andern Rainer einging, welcher eines Baders Sohn, übrigens nicht mit ihr verwandt gewesen ist, wie es denn überhaupt im Zillerthale mehrere Geschlechter giebt, die jenen Namen führen, ohne einen gemeinschaftlichen Stammvater anzuerkennen. Marie also und der Baderssohn liebten sich, aber gegen den Willen ihrer Eltern. Nichtsdestoweniger war ihre Liebe so heiß, daß Marie sich vergaß [800] und am 18. Juli 1821 eines Knäbleins genas, welches sofort auf den Namen Ludwig getauft, später aber in beiden Hemisphären als Natursänger viel genannt und berühmt wurde – derselbe Ludwig Rainer nämlich, von dem wir vorher gesprochen. Seinen Vater schickte damals der alte Cuiorg (Chirurg) zur Strafe nach Wien; doch werden wir bald wieder von ihm hören.
Nachdem hierauf etwa dreiviertel Jahr vergangen waren, begab sich ein Ereigniß, welches für die ganze Familie eine neue Aera begründete. Es kam nämlich einer der Brüder, Namens Felix, aus der Schweiz zurück, wo er sich einige Jahre in den Diensten eines Pferdehändlers aufgehalten und einiges Geld erspart hatte. Er wurde von Allen mit Freuden begrüßt. Am ersten Abend versammelte sich auch das ganze Hauswesen in der großen Stube, um der Erzählung seiner Abenteuer zu lauschen. Bei dieser Gelegenheit nun läßt ihn Ludwig Rainer folgende Ansprache halten:
„Seitdem ich Euch, meine Lieben, verlassen, habe ich meinem Herrn und Freunde in der Schweiz als ‚Kuppelknecht‘ treue Dienste geleistet. Wir kamen weit in der Welt herum und betrieben unser Geschäft mit Glanz. Wenn wir nun unterwegs waren, wurde ich auf allen Stationen ersucht zu singen, und da mir Gott eine gute Stimme verliehen, so ließ ich mich auch nie lange bitten. Ich ward also der Liebling meiner Herren und überall, wo ich hinkam, als lustiger Tiroler Sänger gesucht und geehrt. So sah ich bald ein, daß ich durch dieses Geschäft nicht nur mich allein, sondern auch meine anderen Geschwister glücklich machen und auf leichtere Art mehr verdienen könnte, denn als Kuppelknecht. Mein Herr, dem dieser Plan ganz gut gefiel, stellte sich meinem Vorhaben nicht entgegen und obwohl er mich sehr ungern entließ, so wünschte er mir dennoch alles Glück. Und so trat ich denn meine Rückreise an und bin jetzt hier, um Euch mit meinen kleinen Ersparnissen als Sänger in die weite Welt zu führen.“
Als Felix seine Ansprache geschlossen, jubelten Alle vor Freude über die neuen Aussichten, welche er ihnen eröffnet hatte. Sie waren Alle schnell überzeugt, daß ihre Zukunft und ihr Glück auf den Almenjodler gegründet werden müßte.
Sofort stellte Jener auch sein Quartett zusammen und begann die Uebungen. Marie und Franz übernahmen die oberen, Felix und Joseph die unteren Stimmen.
Die schöne Lene und Bruder Johann mußten, weil ihnen Gott keine Stimme verliehen, zu ihrem großen Verdruß zu Hause bleiben. Auch Ludwig Rainer blieb in der Heimath und wurde einer alten Färbermeisterin zu Zell in Wart und Pflege gegeben.
Als nun Alles geordnet und die vier Geschwister tüchtig „zusammengelernt“ waren, traten sie muthig ihre erste Reise an. Rührend war ihr Abschied von dem heimatlichen Fügen. Eine unzählige Menge von Freunden und Freundinnen begleitete sie bis zum Dorfe Straß, welches am Eingange des Zillerthals liegt. Von allen Fenstern und von den Feldern herein wurden ihnen Glückwünsche zugerufen. Zu Straß beim Neuwirth erwartete sie ein Abschiedsmahl. Noch einmal sangen sie dem fröhlich aufgeregten Gefolge ihre schönsten Lieder vor. Zum Schlusse erfreute die Scheidenden noch ein weithin hallendes Lebehoch und dann stiegen sie unter Thränen in den Wagen und fuhren gedankenvoll dem Flachlande zu.[1]
Und so vergingen die Tage, und Ludwig Rainer hatte gehen und reden gelernt und war ein paar Jahre alt geworden, und spielte eines Abends im neugewaschenen Wämschen und Höschen vor dem Hause seiner Pflegemutter, als ein junger Mann daherkam, der ihn fragte, wie er hieße und wer seine Mutter sei. Darauf gab er seinen Namen an und sagte, wie man ihn gelehrt hatte, seine Mutter sei eine große Frau, welche jetzt noch in der Welt draußen singen müsse, aber bald mit vielem Gelde nach Hause kommen werde. In diesen Worten erkannte der junge Mann sein Söhnlein, wollte es aufheben und küssen, allein dieses schrie so fürchterlich, daß alsbald die Pflegemutter herbeieilte, welche es begütigte und, da sie den jungen Mann erkannt hatte, freundlich fragte, ob es denn dem Vater kein Bussel geben wolle. Dadurch ermuthigt, sträubte sich das Kind nicht länger, und so wechselten denn Vater und Sohn die ersten Küsse. Die alte Frau bewirthete hierauf den jungen Mann und während er einige Erfrischungen einnahm, wurde auch das Söhnlein immer zutraulicher. Nachher begaben sie sich mit einander vor die Hausthüre, wo sich ein Graben befand, etwa klafterweit und zwei Schuh tief, in welchen der Unrath aus der Färberei hinausgeleitet wurde.
Am Rande desselben fragte der Vater scherzend den Kleinen, ob er auch springen könne. Dieser sah in der Frage eine Aufforderung, wollte die Probe sogleich ablegen, riß sich aus der Hand des Vaters los, versuchte einen Sprung über den Graben, erreichte aber das andere Ufer nicht, sondern fiel mit dem neugewaschenen Wämschen und Höschen mitten in den Unrath hinein, so daß die schwarze Jauche über seinen Kopf zusammenschlug.
„Mein Vater,“ erzahlt Ludwig Rainer, „der mich eiligst herauszog, mußte zwar über meine Figur gar herzlich lachen, war aber doch in großer Verlegenheit, weil er selbst mich zu dem Wagstück angereizt hatte. Ich sah aus, als hätte ich mich in eitlem Tintensafte gebadet. Meine Pflegemutter kam auch herbei und erhob einen schrecklichen Jammer über die verdorbene Wäsche, während ich meinen Vater stolz anblickte und ihn frug, ob ich nicht ein frischer Bua sei.“
Des anderen Tages hatte der junge Mann eine lange Unterredung mit der Pflegemutter und klagte ihr mit Thränen, daß er nicht länger bleiben dürfe, daß er auf dem Wege nach Pinzgau sei, um dort eine reiche Bauerntochter zu heirathen, welche ihm sein Vater, der alte Bader, ausgesucht. Des andern Morgens drückte er sein Söhnlein noch einmal an sein Herz, und vierzehn Tage darauf wurde er in Pinzgau mit der reichen Bauerntochter getraut.
Später zog er mit seinem Hauswesen nach Fügen, wo er unter den Fittigen des alten Cuiorgen sich als dessen Nachfolger aufthat, als solcher sehr beliebt wurde und später in guten Verhältnissen das Zeitliche segnete.
Allmählich waren drei Jahre verstrichen, seitdem die Mutter in die weite Welt gegangen war. Eines Morgens nun war Ludwig Rainer mit seiner Pflegerin eben auf dem Wege nach der Kirche, als ein schöner zweispänniger Wagen über die Brücke bei Zell hereinwollte. Darin saß in städtischer Kleidung eine Frau mit drei wohlgestalteten jungen Burschen. Der Wagen fuhr vor dem Wirthhause „Zum Wälschen“ an, allwo sich alsbald eine große Menschenmenge versammelte, um den Ankömmlingen, den Rainern, die Hand zum Gruße zu bieten. Die Brüder gingen ohne Verzug in’s Wirthshaus, um mit ihren Freunden das Wiedersehen zu feiern; die Frau aber eilte zum Färberhause, um ihr Kind aufzusuchen. Sie kam jedoch nicht weit, denn die Pflegemutter trat ihr bald mit dem Zöglinge entgegen, der sich aber anfangs vor ihr fürchtete.
„Schmerzlich weinte meine Mutter, als sie mich an’s Herz drückte; noch mehr weinte sie aber, als ich ihr erzählte, daß vor kurzer Zeit auch mein Vater hier gewesen sei, um mich zu besuchen, und mich herzlich geküßt habe. Und als er mich geküßt hat, sagte ich ihr, hat er fürchterlich geweint und gesagt: ‚Wenn nur Deine Mutter hier wäre!‘ Bei dieser meiner unschuldigen Erzählung brach meine Mutter in lautes Schluchzen aus; meine Pflegerin gebot mir hastig zu schweigen, und wir gingen darauf alle Drei in die Kirche hinein, damit es den Leuten nicht auffallen sollte. Hier betete ich das erste Mal mit meiner lieben Mutter.“
Nachdem sich diese etwas erholt, gingen sie zu den Anderen im Wirthshause, zu den Oheimen, welche den kleinen Neffen alle mit Geld beschenkten. Auch die Mutter gab ihm ein seidenes Beutelchen, das etwa zwanzig Gulden enthielt.
Das Knäblein war ganz außer sich vor Freude; aber als es befragt wurde, ob es nicht mit der Mutter nach Fügen gehen und bei ihr bleiben wolle, stellte es gleichwohl die Bitte, es bei seiner bisherigen Pflegerin zu belassen, welche ihm so theuer geworden war, daß es sich von ihr nicht trennen mochte.
Die Sänger aber, die von ihrem ersten Wallgange zurückgekommen, wurden jetzt im ganzen Zillerthale geliebt und verehrt. Unbeschreiblich war auch der Eltern Freude. Der Vater zog sich nunmehr leicht aus seiner bedrängten Lage und konnte sein Geschäft viel vortheilhafter und schwungvoller betreiben als zuvor.
Aber die weltgewohnten Sänger mochten die müßige Ruhe in dem stillen Fügen nicht lange ertragen. Nach zwei Monaten schon gingen sie auf eine zweite Reise, und dieses Mal zog auch Anton Rainer, ein anderer Bruder, mit, welcher eine herrliche [801] Baßstimme besaß. Er hatte bisher das Schneiderhandwerk betrieben; aber als ihm die Geschwister, die eben zurückgekommen von dem herrlichen Leben in der großen Welt erzählt, da schien es ihm auch angenehmer und rühmlicher, im schönen Alpencostüme auf decorirter Bühne zu stehen und der erstaunten Menschheit liebliche Lieder vorzusingen, als zeitlebens bucklig auf der Schneiderbude zu sitzen und eine Nadel nach der andern einzufädeln.
Auf dieser zweiten Reise kamen die Zillerthaler Sänger zum ersten Male nach England, wo sie an dem österreichischen Gesandten, Fürsten Esterhazy, einen mächtigen Gönner fanden. Georg der Vierte, sonst eben kein liebenswürdiger Patron, kehrte doch gegen die Tiroler seine angenehmsten Seiten heraus, beherbergte sie längere Zeit zu Windsor, ließ ihnen ihre ganze Tracht von Kopf zu Fuß vom feinsten Tuch und Seidenzeug neu machen, auch goldene Knöpfe mit dem großbritannischen Wappen daraufsetzen und schenkte ihnen neue Gürtel oder „Ranzen“, auf welchen silberne Schilde mit demselben Wappen. So wurden sie fashionable, fanden allenthalben in dem vereinigten Königreiche die freundlichste Aufnahme und ersangen sich ganz ungeahnte Summen.
Und eines Tages wurde dem alten Joseph Rainer zu Fügen ein Schreiben seiner Kinder überreicht, welches ihm kundgab, wie glücklich es ihnen bis dahin gegangen, und ihn einlud, „zu einem fröhlichen und feierlichen Wiedersehen“ nach Frankfurt am Main zu kommen. Dahin solle er auch die Mädchen bringen, mit denen sich die Brüder vor ihrer Abreise versprochen hatten, und Marie gab den Auftrag, dem Cassian Wildauer, Hausknecht beim Eigner Wirth in Fügen, freundlichst zu vermelden, daß sie ihn, da sie doch auf ihre erste Liebe verzichten müsse, zu ihrem Gemahl erkoren habe, wenn er damit einverstanden sei.
Dieser Cassian oder Cassel und sein Zwillingsbruder Anton galten übrigens zu derselben Zeit in der ganzen Gegend als große Meister und Helden im Raufen, „was damals im Zillerthale das schönste Geschäft war.“ Sie standen in gleichem Alter mit den jungen Rainern und wuchsen nachbarlich mit diesen auf. Vater Cassel erzählte später noch oft, daß sie in früheren Jahren viele Hundert Male mit einander gerauft hätten; nichtsdestoweniger waren die Zwillinge und die jungen Rainer in der Hauptsache immer die besten Freunde, und darum wurde auch die bevorstehende Heirath der Schwester mit dem Cassel von den Eltern und den Brüdern nicht ungern gesehen.
Nach wenigen Wochen hielten nun die sämmtlichen Geschwister, die also wieder hereingekommen, fröhliche Hochzeit zu Fügen in dem Dorfe. Die vier Jungen hatten sich sehr hübsche und, was noch besser, sehr brave Mädchen auserwählt. Vermögen hatte jedoch nur Eine, nämlich Bruder Anton’s Braut, welcher ihr Vater am Hochzeitstage eine ziemliche Mitgift auf den Tisch legte.
Etwa acht Tage vorher waren übrigens Marie Rainer mit ihrem Bräutigam in Zell erschienen, um ihr Söhnlein zur Hochzeit einzuladen und ihm seinen künftigen Vater vorzustellen. Sie brachte ihm viele hübsche Sachen mit und bezeigte ihm große Zufriedenheit, weil er in der Schule so brav gelernt hatte.
Bald darauf trat die Sängergesellschaft ihren dritten, in dieser Zusammensetzung letzten Wallgang an. Sie verbrachte die meiste Zeit abermals in England und blieb im Ganzen drei Jahre aus. Währenddessen ging Ludwig Rainer mit Ehren durch die Zeller Dorfschule. Er stand sich vortrefflich mit seinem Lehrer, der zu ihm und seiner Pflegemutter gar gerne in den Heimgarten kam, und von dieser und ihren beiden ledigen Schwestern welche bei ihr wohnten, immer freundlich aufgenommen und bewirthet wurde. Er erzählte dann den drei Frauenzimmern, die in Liebe zu ihrem Zögling wetteiferten, wie fleißig dieser lerne, ja er malte ihnen das Bild oft schöner aus, als es wirklich war. Deshalb ging er auch nie weg, ohne etwas im Kopfe oder in der Tasche davonzutragen und kam darum nur immer lieber wieder.
In diesen Tagen geschah es auch, daß die Großeltern zu Fügen ihre Fleischhackerei dem ältesten Sohne Johann übergaben, welcher dann sofort eine Wirthstochter aus dem nahen Hard zum Weibe nahm. So war die schöne Lene allein noch übrig. „Sie konnte sich aber keinen Edelmann erwarten“ und mußte sich zuletzt mit einem Fabrikarbeiter, der ein kleines Häuschen besaß, zufrieden geben.
Der Stiefvater, der überhaupt als etwas rauh und kalt geschildert wird, scheint sich übrigens um den jungen Ludwig sehr wenig gekümmert zu haben. Nur einmal während der dreijährigen Abwesenheit der Mutter kam er ihn zu besuchen nach Zell und machte ihm eine Tabakspfeife zum Präsent, die Mutter aber nahm ihm später das Geschenk wieder ab, da sie nicht haben wollte, daß ein so kleiner Spreizer schon rauchen solle.
Nach drei Jahren also kamen die Geschwister Rainer wieder nach Hause, legten ihren Wanderstab nieder, kauften sich schöne Anwesen und fingen ein häusliches Leben an. Frau Marie Wildauer fuhr dann auch wieder mit ihrem Gatten nach Zell, um den kleinen jetzt zehnjährigen Ludwig abzuholen, der sich von der Färberin und ihren Schwestern, die er unendlich liebgewonnen, nur schluchzend und jammernd trennte. Diese seine Zieheltern hatten sein Herz dermaßen eingenommen, daß er sich in unbefriedigter Sehnsucht lange abhärmte und im Vaterhause nur langsam eingewöhnte.
Aus den Tagen der Napoleonshöhe.
Das neuerdings als der goldene Kerker des kaiserlichen
Gefangenen von Sedan so viel genannte Lustschloß Wilhelmshöhe
bei Kassel, einer der herrlichsten Fürstensitze unseres fürstenreichen
Deutschlands, war bekanntlich während der Napoleonischen
Epoche der Liebes- und Freudenhof des kleinen „luschtiken“ Königs
Jérôme von Westphalen und erlebte unter diesem jüngsten
Bruder des corsischen Imperators als Napoleonshöhe seine
glänzendsten und festlichsten Tage.
Die Literatur über dieses pikante Carnevalskönigthum und seinen Regenten ist eine sehr umfassende; Briefe, Memoiren, Pamphlete, Geschichtswerke, Romane haben uns nach und nach mit den kleinsten Details jenes wundersamen Stück Frankreichs mitten in Deutschland vertraut gemacht, dennoch kommen noch immer ab und zu einzelne Enthüllungen als Nachlese aus der uns heute wie ein Märchen oder ein phantastisches Traumgebilde erscheinenden „westphälischen Zeit“, die im gegenwärtigen Augenblicke, wo die Wilhelmshöhe wiederum in Aller Munde ist, sicher auf ein besonderes Interesse rechnen dürfen.
Eine solche Ergänzung der Jérôme-Literatur bringt uns eine soeben veröffentlichte kleine Flugschrift unter dem Titel „La Cour du Roi Jérôme“, angeblich in London, wahrscheinlich aber in der Schweiz gedruckt. Die darin mitgetheilten „Actenstücke“ scheinen uns echt zu sein, und die erzählte Periode charakterisirt das Verhältniß des Königs von Westphalen zu seinem allmächtigen Bruder und Schöpfer an der Seine so schlagend, daß wir unseren Lesern gern davon Kenntniß geben.
Als Bibliothekar und Vorleser des neugebackenen Monarchen war Pigault-Lebrun, der fruchtbare Verfasser seiner Zeit viel gelesener frivoler Romane, mit nach Hessen gekommen; „ein Bibliothekar ohne Bibliothek und der Vorleser eines Fürsten, welcher die Bücher nicht liebt,“ scherzte er selbst über seine neue Würde. „Ich lese nicht vor,“ setzte er hinzu, „ich erzähle vielmehr gleich der Sultane Scheherazade, von der der Sultan jede Nacht eine jener Geschichten hören wollte, welche sie so gut zu erzählen verstand.“ Pigault-Lebrun’s Hauptgeschäft gehörte aber einem andern Gebiete an: er mußte als „Fünfter“, wie er selbst sagt, den zahllosen Liebschaften seines Herrn zum Deckmantel dienen. In einem an seinen Freund Réal gerichteten Briefe entwirft er nun ein sehr lebendiges Bild von dem Leben, das er selbst an dem westphälischen Hofe führte, und von dem Thun und Treiben seines galanten Königs.
Es war dies ein Leben ganz nach seinem Geschmacke, voller leichten Geplauders, voller Orgien und Ergötzlichkeiten, das sich größtentheils auf der Napoleonshöhe abspielte, wo ihm die sogenannte Löwenburg zur Wohnung angewiesen war. „Der König,“ schreibt er seinem Correspondenten, „hat augenblicklich fünf Geliebte, aber Alles ist mit ebensoviel Kunst wie Anstand eingerichtet. Keine ist dem Namen nach Favorite, vielmehr gilt die Erste als die Freundin des einen Adjutanten, die Andere scheint die Gattin unseres Hofarztes zu sein; die dritte ist gar als Kammerzofe bei der Frau des Justizministers untergebracht, und auch die Anderen lassen sich an dem Scheine ähnlicher geringer Rollen mit einer Zuvorkommenheit genügen, welche nur die Liebe eingeben kann.“
Wie bekannt, war Jérôme nur ein Scheinkönig, der eigentliche Regent von Westphalen war Napoleon, dem der ehemalige französische Schiffslieutenant Ordre zu pariren hatte wie der Schulknabe einem gestrengen Lehrer oder der Soldat seinem Officier. Von Paris kamen die Befehle und Verhaltungsmaßregeln nicht nur für alle politischen und militärischen Organisationen und Acte, sondern auch für Hof und Haus und selbst für die Privatverhältnisse des leichtlebigen Fürsten. Auch strenge Rügen und heftige Strafpredigten blieben der westphälischen Majestät nicht erspart.
In der Regel nahm Jérôme alle diese Demüthigungen als selbstverständlich geduldig hin; gelegentlich hatte er indessen doch kleine Anwandlungen von Selbstständigkeit, die freilich meist zu einem sehr kläglichen Ende gediehen. So war unter Anderm eine seiner Geliebten, die Frau eines Banquiers, durch Ordre Napoleon’s plötzlich aus Kassel ausgewiesen und dabei ihm ein äußerst kategorisches Schreiben des Letzteren überreicht worden. Darin hieß es: „Mein Bruder Jérôme Napoleon, König von Westphalen – Alles, was ich von Ihnen höre, beweist mir, daß meine Rathschläge, meine Instructionen, meine Befehle kaum einen Eindruck auf Sie machen. Die Geschäfte langweilen, die Repräsentation ermüdet Sie. Wissen Sie, daß der Königsstand ein Handwerk ist, welches man erlernen muß, und daß ohne Repräsentation es keinen Souverain giebt! – Sie lieben die Tafel und die Weiber; die erstere wird Sie verdummen, und die letzteren werden Sie compromittiren. Machen Sie es wie ich; bleiben Sie eine halbe Stunde bei Tische, und haben Sie nur kleine ‚Passaden‘. – Der Fürst von Paderborn, welchen ich Ihnen zum Almosenier gegeben habe, schreibt meinem Cultusminister, daß Sie sich niemals mit ihm von geistlichen Dingen unterhalten. Das ist schlimm; man muß sich mit Allem beschäftigen, selbst mit der Religion. – Sie haben Ihren Kammerherrn Merfeldt nach Hannover verwiesen, weil, so haben Sie ihm gesagt, seine beständigen Predigten über die Etiquette Ihnen lästig wären. Ei nun, wie sind Sie denn im Stande, Ihre Königsrolle zu spielen, wenn Niemand Sie darin unterrichtet? Rufen Sie Merfeldt zurück, als ginge dies von Ihnen aus. Sie vernachlässigen die Königin. Ei, Sie Unart, ist sie denn nicht für Sie große Dame genug? Ihre Lebensweise ist nicht der Weg, um legitime Kinder zu haben. Sie haben der Königin einen üblen Auftritt bereitet, als Sie sich stellten, als wären Sie auf den Baron Seckendorff eifersüchtig. Meine weiteren Instructionen lasse ich Ihrem Minister Siméon mittheilen; er wird Sie davon in Kenntniß setzen …“
Diesen Brief empfand Jérôme sehr übel und ließ sich beifallen, durch Pigault’s Feder darauf in empfindlichem und hochfahrendem Tone zu antworten. „Ich hatte dem Könige,“ erzählt der ‚Bibliothekar ohne Bibliothek‘, „den Brief seines Bruders entziffern helfen, da er dessen Handschrift nicht gut lesen kann. ‚Pigault,‘ sagte er alsdann zu mir, ‚Du bist ein literarischer Proteus, sei so gut und antworte auf diesen Brief, ahme dabei aber den Styl des Kaisers nach. Ich werde abschreiben, was Du concipirt hast, und auf mein Königswort Dich nicht verrathen.‘ Ach, ich kannte die Könige, zumal die Bonapartes, noch nicht! Ich verfaßte also sofort den gewünschten Brief, der mir so verhängnißvoll werden sollte, und der König copirte ihn wörtlich so, wie er aus meiner Feder hervorgegangen war. Das fatale Schreiben lautete folgendermaßen: ‚Mein erhabener Bruder Napoleon, Kaiser der Franzosen – ich habe die Rathschläge Ihrer Majestät empfangen und ehre sie. Was Ihre Befehle anlangt, so bin ich König, ich gebe Befehle, empfange aber keine. Ihre Majestät wirft mir vor, daß ich die Tafelfreuden liebe. Ich bekenne, daß ich, da ich keine Lust verspüre, mich am eiteln Dampfe des Ruhmes zu letzen, eine substantiellere Nahrung suche; ich bin Gourmand, ohne deshalb Schlemmer zu sein; mehr kann man von einem Könige nicht verlangen.[2] … Ihre Majestät beschwert sich über mein Verhalten gegen die Königin, Sie haben mich wohl zwingen können, sie zu heirathen, mich sie lieben zu machen liegt nicht in Ihrer Macht. Ist sie nicht große Dame genug für mich? sagen Sie. Für den Bruder Napoleon’s ist nichts groß genug, so haben Sie mir tausend Male wiederholt … ich selbst wollte ja keine große Dame, das wissen Sie recht gut. Sie tadeln mich, daß ich die Repräsentation nicht liebe; allerdings liebe ich sie nicht, sie langweilt mich, und wenn ich sie auch lieben wollte, so paßte sie ja doch nicht zu meiner Figur und meiner Tournure, zwei Dinge, welche in unserer Familie nicht eben imposant sind. Uebrigens habe ich meinen Hof nach dem Ihrigen eingerichtet; ich kleide mich wie Sie, was können Sie mehr verlangen? … Ich habe Merfeldt zum Präfecten von Hannover ernannt, weil er ein besserer Verwaltungsbeamter als angenehmer Kammerherr ist. In meinem persönlichen Dienst mag ich keine
Fremden … etc.Die Wuth Napoleon’s über einen solchen Brief läßt sich denken. Der eigentliche Verfasser des Actenstückes blieb trotz der königlichen Versprechungen nicht lange verborgen; bei den vertraulichen kleinen Soupers auf Napoleonshöhe gab es keine Geheimnisse. Die Strafe des Kaisers ließ denn auch nicht lange auf sich warten. „Diesmal war es Rapp, welcher auf seiner Reise nach Danzig, wo er wieder das Gouvernement übernehmen sollte, [803] als der Blitzstrahl des Jupiter in den Tuilerien erschien,“ schreibt Pigault. „Seit der Absendung des Briefes waren wir nicht ohne Besorgniß gewesen, allein auf das, was kommen sollte, doch nicht im Geringsten vorbereitet. Rapp kommt an, überrascht uns mitten in einem kleinen Souper, an welchem die Favorite des Tages, ferner Fürstenberg und Winzingerode und ich, der unglückliche Autor der Epistel, theilnahmen. Rapp tritt mit seiner Ihnen bekannten Familiarität ein, in Begleitung eines königlichen Gardeofficiers. ‚Sire,‘ beginnt er, ‚ich bin mit einem unangenehmen Auftrage betraut, den ich von Ihrem Bruder erhalten habe, welcher sich in einem Zustande unbeschreiblicher Wuth und Aufregung befand, als ich mich bei ihm beurlaubte.‘ Der König erbleicht, kaum kann er Rapp noch sagen, daß er Platz nehmen solle, und anstatt ihm ein Glas Wein anzubieten, ergreift er selber eines und stürzt es auf einen Zug hinunter … ich war stumm und verwirrt wie ein ertappter Missethäter. Rapp liest uns das entsetzliche Decret vor, welches in nachstehenden Worten gefaßt war: ‚Eigenhändige Ordre des Kaisers. Unser Adjutant, der General Rapp, wird auf der Stelle nach Kassel abgehen, wird den Major Müller von den westphälischen Husaren zu sich berufen und sich mit ihm zum Könige begeben und diesen verhaften. Der König hat achtundvierzig Stunden Zimmerarrest, Pigault aber, als der Verfasser des Uns von Unserem Bruder geschriebenen unverschämten Briefes, kommt auf zwei Monate in’s Gefängniß und wird dann unter sicherem Geleite nach Frankreich zurückgeschickt. Wir ertheilen dem General Vollmacht, die strengsten Maßregeln zu ergreifen, falls man so verblendet sein sollte, sich der Ausführung Unserer Befehle zu widersetzen. Napoleon.‘ “
Und Jérôme? Er war nicht so verblendet, dem gestrengen Bruder Widerstand zu leisten. Ruhig fügte er sich in die ihm angesonnene Rolle und trat in seinem eigenen Palaste, unter der Ueberwachung seines eigenen Gardeofficiers seine Haft an. Ein König auf den Befehl eines fremden Souveräns Gefangener in seinem eigenen Schlosse – das war noch nicht dagewesen in der Geschichte und dürfte kaum jemals wieder erlebt werden. Es charakterisirt aber jenes Eintagskönigthum von Westphalen und die Tage der Napoleonshöhe, und darum mochten wir uns nicht versagen, nach Pigault’s Schreiben die seltsame Episode zu erzählen.
So ist mithin Louis Napoleon nicht der erste Bonaparte, welcher auf Wilhelmshöhe gefangen sitzt. S.
Auf Vorposten in Dorf und Schloß.
Montfermeil, Anfang November 1870.
Den ganzen deutschen Siegesmonat October habe ich an diesem reizenden Orte zugebracht, und nun erfreut mich hier noch die Ueberraschung der vom hohen Obercommando der Maas-Armee mir ausgestellten Erlaubniß, mich „innerhalb der Grenzen der Maas-Armee, behufs Aufnahme von Zeichnungen für die Gartenlaube, bewegen zu dürfen.“ Ich werde nun meine Schritte über den beschränkten Kreis hinaus setzen können, in welchem die kriegerischen Aufgaben meiner sächsischen Feldzugsgenossen mir bisher allein die Bahn frei hielten; aber wie weit auch der neue Kreis sich ausdehnen möge, immer werde ich mit Dankbarkeit und Treue an die ereignißreichen Tage zurückdenken, welche ich mit meinen tapferen Landsleuten von den dreizehner Jägern verlebt habe.
Schon zu Anfang des October, wo unser Bataillon noch nicht auf Vorposten kam, sondern täglich zum Schanzenbau auszog, glaubte man, daß in kurzer Zeit ein befestigtes deutsches Lager rings um Paris fertig sein werde. Bei diesen Erd- und Holzbauten geht es natürlich mit Terrain und Material überall ohne Erbarmen zu. Ob der Park noch so herrlich, die Rasen- oder Blumenfläche noch so reizend, einerlei, die Laufgräben werden mitten durch geschnitten, die Brustwehren aufgeworfen, und in ihnen verschwinden unzählige der feinsten Obstbäume und Zierwäldchen, ja ganze Weinberge, kaum vom Segen der Früchte befreit, werden umgelegt, daß man, wenn einst der Friede schaudernd in diese Fluren zurückkehrt, ihre Spur wird suchen müssen. Uns hier an Ort und Stelle, die wir Tag und Nacht unter der Musik der Kanonen der Forts und Schanzen leben, ficht natürlich keine Sentimentalität solcher Betrachtungen an: unser gehetztes Leben läßt uns keine Zeit dazu.
Alle Vorposten hatten damals den Befehl, sich in kein Gefecht einzulassen, sondern sich entweder zu decken oder zurückzuziehen. Wie mir die patrouillirenden Jäger erzählten, ist es 1hnen das allerunheimlichste Gefühl, wenn sie auf ihren nächtlichen Streifereien plötzlich aus der Finsterniß durch das elektrische Licht in Tageshelle versetzt werden; diese überraschende schöne Aussicht hat stets ihre Gefahren, da zu gleicher Zeit „die feurigen Bomben zu erschallen“ pflegen, die, wenn sie auch selten für uns persönlichen Schaden anrichten, doch alle Mannschaft in recht munterer Aufregung erhalten.
Trotz alledem gehört unser Lagerleben zum interessantesten der Welt; um keinen Preis möchte ich einst die Erinnerung daran hergeben.
Unsern Aufenthaltsort, die, ehe sie von den Ihrigen in unbeschreiblich kopfloser Hast verlassen worden war, wunderschöne Villa des Architekten Depardon, haben wir nach einwöchentlicher Arbeit aus einer Stätte der abscheulichsten Verwüstung wenigstens wieder in ein wohnliches und behagliches Quartier umgewandelt. Freilich gebührt uns das Verdienst dieser Localveredelung nicht allein, unsere Feldgensd’armerie beansprucht auch einen Theil davon, denn ihr verdankt man die strenge Durchführung des Befehls an die Truppen, die von ihnen bewohnten Straßen und Häuser täglich zu reinigen. Das ist keine geringe Wohlthat für die Gesundheit im Heerlager.
Ein neues Jägerstückchen muß ich Ihnen erzählen. Am Nachmittag des Siebenten dieses Monats patrouilliren etliche Jäger vom ersten Bataillon Nr. 12 auf das Dorf Villemomble los. Wie sie in die Nähe kommen, sehen sie mehrere bespannte Wagen, welche soeben französische Soldaten aus den Häusern mit Lebensmitteln beladen. Als ausgelernte Jungen verstecken sich unsere Füchse und verhalten sich mäuschenstill, bis der harmlose Feind die Wagen sämmtlich hübsch voll geladen hat; dann aber brechen sie mit einem fürchterlichen Hurrah hervor und stürmen so wild auf die Franzosen ein, daß diese nicht erst die Waffen, sondern gleich die Flucht ergreifen. Ein junges hübsches Kerlchen mit fein gedrehtem Schnurrbart und nagelneuer Uniform wird dabei gefangen, und am Abend kehren die Jäger mit der Beute stolz in’s Quartier zurück.
Gleich am folgenden Tag, Sonnabend den Achten, kam die Ordre, daß unsere Compagnie am Zehnten die Feldwache zu beziehen habe. Die beiden Tage, Sonnabend und Sonntag, herrschte das schaurigste Wetter, kalt und regnerisch, so daß mich ein Grauen vor dem Nachtlager draußen ankam. Denn in unserm Montfermeil fühlten wir uns nicht blos wohlig, sondern auch ganz sicher, seitdem wir es in vollständigen Vertheidigungszustand gebracht, jedes Gartenhaus mit Schießscharten, jedes Fenster mit starken Brustwehren versehen, hinter allen Umfassungsmauern und Zäunen Schützengräben gezogen hatten, während links auf den Anhöhen von Maison-Guyot die Läufe unserer Artillerie hervorlugten und hinter jedem Häuschen ein Posten aufgestellt war.
Der Montag begrüßte uns jedoch mit dem schönsten Herbstwetter. Mittags rückten wir aus und kamen durch verschiedene Feldbefestigungen und an dem prächtigen Schlößchen Maison-rouge vorüber nach Gagny.
Am Ende dieses Dorfes blieb die Hälfte der Compagnie unter unserm Hauptmann Walde als Soutien (Unterstützung) zurück, die andere Hälfte bezog in der Richtung nach Raincy hinter einem Kalkofen die Feldwache, für welche dort die Pionniere einen Schutz in Dachform angebracht hatten. Durch das Regenwetter war das Feld vor uns in einen furchtbaren Morast verwandelt. Der Infanterieposten vom ersten Bataillon des hundertsechsten Regiments wurde abgelöst, und einige Schleichpatrouillen traten ihren allezeit gefährlichen Gang an.
Sie müssen es sich, verehrter Herr Keil, sammt Ihren Lesern gefallen lassen, einmal in diese kleinen Züge des großen Krieges mit hineingeführt zu werden; wenn ihnen auch der Reiz überraschender Erfolge abgeht, so vervollständigen sie doch das Bild [804] der außerordentlichen Kriegsmühen, welche Tausenden auferlegt sind und die schließlich doch den endlichen Sieg vorbereiten und schon darum auch ihr Theil Anerkennung von Seiten der Daheimgebliebenen verdienen.
Es war drei Uhr geworden, als es vor uns in den Wäldern leise zu knallen und zu donnern anfing. Ich stand gerade auf der Anhöhe, von wo ich aus dem Fort Rosny die Dampfwolken in die Höhe steigen sah, denen bald darauf der Knall und dann das uns allen nunmehr sehr bekannte Sausen in der Luft folgte, welches den Lauf der Kugel merklich anzeigte. Die Kugeln schlugen seitwärts hinter den Vorposten ein. Eine halbe Stunde später mußte das Gefecht mindestens von einigen Bataillonen aufgenommen sein. Unsere Lage wurde höchst unbehaglich. Vergeblich spähten unsere Posten nach allen Richtungen aus, der Wald verdeckte alle Fernsicht, und so befanden unsere Soldaten sich in unmittelbarer Nähe eines Feuerns, das sie ruhig geschehen lassen mußten. Lieutenant Kaurisch ließ die Feldwache unter Gewehr treten, Regimenter, welche links von uns ihre Posten hatten, schickten Ordonnanzen zu uns herüber, um sich nach dem Stand des Gefechts zu erkundigen, sogar drei württembergische Dragoner langten zu demselben Zwecke an, Alles vergeblich. Mit der einbrechenden Nacht hörte jedoch das Gefecht auf und mit der Zurückkunft unserer Schleichpatrouillen auch die Ungewißheit über das Vorgefallene.
Der Sergeant Engelmann kam nämlich mit seinen zwei Jägern und dazu noch zwei gefangenen Franzosen auf der Feldwache an und rapportirte Folgendes: Als das Feuern immer lebhafter wurde, war er mit seinen paar Leuten durch den Wald tapfer drauflosgegangen und kommt plötzlich jenseits an den Waldsaum. Aber gleich beim ersten Schritt in’s Freie sausen ihnen die Kugeln um den Kopf, denn kaum zweihundert Schritt davon steht der Feind, jedoch in geringer Anzahl. Sofort decken die Jäger sich, legen an und feuern. Ein Franzose stürzt. Schnell geladen und wieder gefeuert; da ergreifen die Gegner die Flucht und unterwegs stürzt noch einer zu Boden. Jetzt, nachdem vor ihm die [805] Luft rein, beschreitet der Sergeant sein Schlachtfeld, um zu sehen, was er geleistet hat. Und siehe da, zwei unverwundete Franzosen, davon einer ein Corporal, liegen, flehend um ihr Leben, im Grase, und der Eine will vor lauter Angst sogar seine Uhr verschenken. Der großmüthige Sieger nahm ihnen jedoch nur Gewehr und Munition ab und überlieferte dann seine Gefangenen der Brigade. Nach ihrer Aussage gehörten beide zum fünfundneunzigsten Regiment der Linie; an ihrem Ausfall aus Paris hätten vier Regimenter theilnehmen sollen, aber nur zwei Bataillone hätten gehorcht, die anderen den Ausmarsch verweigert. Sie müßten, bei ihren geringen Portionen von Fleisch und Gemüse, täglich vor den Forts exerciren und dabei den Vorpostendienst gleich praktisch üben. Daher also das Trommeln und Signalblasen, das die Unseren beständig von dort zu hören haben. Diese Aufklärungen erschienen uns als ein nicht unwichtiger Gewinn des Tages.
Noch muß ich erwähnen, daß die erbeuteten französischen Gewehre nebst Munition jetzt stets an die besten Schützen unserer Vorposten abgegeben werden, weil man deren Vorzüglichkeit und Ueberlegenheit über unsere Schießwaffe nunmehr vollauf zu schätzen gelernt hat.
Der Abend wurde recht kalt, der Mond zog in vollem Glanz herauf; überall tiefe nächtliche Ruhe, wie in einem Lande des Friedens, nur bisweilen unterbrochen durch das Bellen einiger von der allgemeinen Flucht zurückgebliebener Hunde und von aufsteigenden Leuchtkugeln. – Gegen zehn Uhr machte Hauptmann Walde, die Runde bei sämmtlichen Posten; ich begleitete ihn. Unsere Soldaten waren alle „auf dem Zeug“, zu keinem derselben konnten wir hinankommen, ohne angerufen und nach Feldgeschrei und Losung gefragt zu werden. Das Vorwärtskommen auf den schmalen, lehmigen, nassen Feldwegen war sehr ermüdend, die Nacht verlief ruhig.
Der nächste Tag führte sich mit einem dichten Morgennebel ein. Ich benutzte ihn in Begleitung eines mir befreundeten Arztes [806] zur Aufsuchung eines detachirten Infanteriepostens auf einer Anhöhe seitwärts von Gagny. Die Aussicht war zwar auch hier von der Nebelwand geschlossen; desto mehr erfreute mich hier ein Anblick in nächster Nähe: am Stamme einer Ulme hatten die Soldaten eine richtige Schwarzwälder Uhr aufgehangen, die hier ihren Pendel so gemüthlich schwang wie in der glücklichsten schwäbischen Bauernstube.
Auch zu einem andern gemüthlichen Anblicke und zugleich zu einem Bilde verhalf mir der Nebel dadurch, daß er uns vom Berge vertrieb und dann als Regen niederfiel. Im Dorfe Gagny hatte auf einem freien Platze die zweite Compagnie des Infanterieregiments Nr. 106 ihre Feldwache unter ihrem Hauptmann von Brzeski. Mein erstes, diesen Brief begleitendes Bild stellt denselben nebst Dr. Larras und einem Officier in der lustigen Behausung dar, welche der Bausinn ihrer Leute ihnen an einer Gartenmauer errichtet hatte. Offenbar ist das Baumaterial dazu nicht weiter her, als der Baustyl. Fensterläden und Fenster, Thüren und Bettstatttheile, Fässer und Bretter hatten genügt, um eine Bude herzustellen die gegen Wind und Regen wenigstens auf einigen Seiten schützte. Desto glänzender war die Ausmöblirung: prächtige Sammetsessel, ein Tisch mit stattlicher Decke, feines Geschirr und selbst die Bretterwand nicht ohne den Schmuck der bildenden Kunst. Außer der Mannschaft, deren Gewehrpyramiden vor der Officierswohnung paradirten, belebten den Platz unzählige Katzen und Spatzen, welche sich bei der feindlichen Einquartierung furchtlos zu Gaste luden, nach den hingeworfenen Brodbröckchen haschten und den brachgelegten Fleischgeruch an den Feldflaschen und Tornistern übten.
Bei der Rückkehr zu unseren Jägern erfreute mich die Nachricht, daß unser Hauptmann ein unter Beeten verborgenes Weinlager entdeckt habe; es wurde von dem trefflichen Funde der Mannschaft redlich mitgetheilt, und halb zwei Uhr marschirten wir aus dieser unserer ersten Feldwache nach Montfermeil zurück.
Am Dreizehnten, einem Donnerstag, zog unser Jägerbataillon zum ersten Male im Ganzen auf Vorposten, und dies sollte nun bis auf Weiteres in Abwechselung mit den drei Bataillonen des 106. Regiments alle vier Tage an uns kommen. Diesmal kam unsere erste Compagnie in Reserve nach Maison-rouge, dem wirklich allerliebsten Besitzthum des Herzogs von Orleans, wie man mir sagte. Ich war so oft an dem reizenden Ding vorübergekommen, hatte mich ganz in dasselbe verliebt und war nun sehr befriedigt von der schönen Gelegenheit, es endlich innen und außen mit größter Gemüthsruhe durchforschen zu können.
Beim Eintritt in das Portal empfängt uns ein hoher mächtiger Vorsaal, dessen Wände und Decke mosaikartig mit Eichenholz ausgelegt sind. Im Hintergrund dieses Vorsaals führt eine breite Treppe, ebenfalls von Eichenholz, nach oben. Ueberall am rechten Ort sind in diesem Raume Vasen und Gemälde zum Schmuck der Wände und der Treppe geschmackvoll vertheilt. – Im Parterre öffnet sich uns zuerst das Zimmer zur Linken: hier ist jetzt das Officiersquartier, und ich theile dasselbe in meiner zweiten Illustration hier mit und zwar zugleich mit den Portraits der damaligen Insassen, des Herrn Major v. Götz, des Herrn Hauptmann Walde und des Adjutanten Herrn Premierlieutenant v. Haußen. Auch in diesem Zimmer tragen Wände und Decke Eichenholztäfelung mit feinsten Holzschnitzereien; ferner schmücken den fürstlichen Raum ein Kamin von Marmor und mit großem Spiegel, seidene Sessel, Divans, ein Pianino, Tisch mit ausgelegter Arbeit und sonstige Erforderniß des Geschmacks der vornehmsten Welt. Auch der große helle Saal vom Eingang rechts, ehemals der Speisesaal, widerspricht in seiner Verzierung dem nicht, was das Aeußere des Schlößchens verspricht, und nur die dermalige Bestimmung als Aufenthaltsort unserer Compagnie ist beim Bau schwerlich mit in den Plan gebracht gewesen. Im ersten Stock waren die Schlafgemächer mit hohen breiten Himmelbetten, Spiegeln und Gemälden an allen Wänden; von den Bildern sind freilich viele jetzt nicht mehr vorhanden. – An das Schlößchen stieß ein der Größe desselben entsprechender Park, geziert mit schönen und üppigen Statuen. Wahrlich, wenn irgend ein heimlicher Winkel, so war dieser dazu gemacht, glückliche Menschen zu beherbergen.
Das wird für lange Zeit wohl ein Wunsch bleiben; der neue Friede hat erst andere Menschen für solch ein Glück zu erziehen, und das wird länger dauern, als die Wegräumung der Bollwerke und Schützengräben, die jetzt auch dieses kleine Paradies theilweise zur Einöde gemacht haben.
Soweit für heute. In meinem nächsten Briefe werden wir die schöne Aussicht vor Chelles auf das Thal und die Ferne bei Fort Nogent, um die uns diesmal der Nebel gebracht, um so klarer auch im Bilde genießen. Bis dahin die besten Wünsche und Grüße!
(Fortsetzung.)
Am andern Morgen ward Feldheim in die Erde gesenkt. Ihm wurden alle die letzten Ehren erwiesen, die einem Helden gebühren. Aber ein neuer Held war aus seinem Grabe erstanden – Alfred! Er hatte Alles überwunden, was den aufstrebenden Mannesgeist in ihm niedergehalten, er fürchtete nichts mehr. Die Fäden, welche ihn an das Leben fesselten, waren einer um den andern zerrissen, er hatte nichts mehr zu verlieren. Und von Stund’ an war es, als sei er hieb- und kugelfest, als hätten die Schrecken des gestrigen Tages die Nerven getödtet, die ihm oft so schlimm mitspielten, daß sie nicht mehr jenes Angstgefühl von früher erzeugen konnten. Er errichtete von nun an seine Verbandplätze dicht hinter der Gefechtslinie. Kalten Blutes führte er seine Leute, wo es nöthig war, selbst in die Schlacht und sein Blick drang weiter als der aller Andern, er bahnte sich durch das wildeste Gedräng einen Weg und legte Verbände an. Keine Thräne kam mehr in sein Auge, kein Lächeln über seine Lippen, er hatte abgeschlossen mit dem Leben, er gehörte nur noch denen, die seine Hülfe brauchten, sein Theil waren die Armen und Elenden und wer ist wohl elender als der Gefallene, der mit zerrissenem, verstümmeltem Leib oft tagelang daliegt und weder leben noch sterben kann? Für diese Unglücklichen sich zu opfern, war für Alfred eine göttlich schöne Pflicht, und starb er in ihrer Erfüllung, so hatte er nicht umsonst gelebt. Der Ruf seiner Leistungen ging durch alle Zeitungen, ohne daß er es wußte. Er hatte vielen hochbedeutenden Personen beigestanden, manches kostbare Heldenleben erhalten und die Dankbarkeit der Geretteten umgab ihn mit einem Nimbus, der ihn für die ganze Armee zu einem Gegenstand fast abergläubischer Verehrung machte. Aber wie bei jedem Genie, war es nicht allein sein rastloses Wirken, seine gelungenen Curen, welche ihm diese Erfolge sicherten – es war der Eindruck seiner ganzen Persönlichkeit. Denn mehr und mehr hatte dieser wunderbare Geist dem zarten Körper sein Gepräge aufgedrückt, die feinen Linien des bleichen Gesichts waren wie seine Schriftzüge, die ein gewaltiges Wort ausdrücken, und wer dies Wort zu entziffern vermochte, der beugte sich vor dem unscheinbaren Manne, denn es hieß: Geistessiege.
„Alfred, Du beschämst mich tief,“ sagte eines Tages ein schwer Verwundeter, den er mit seinen Gehülfen aus der Schlacht getragen und verbunden hatte. Es war Victor. „Ich verdiene es nicht um Dich,“ fuhr der Kranke fort, „daß Du mir so treulich beistehst, denn ich habe schlecht an Dir gehandelt von Kind auf, habe Dich verhöhnt und geschmäht in’s Gesicht und hinter dem Rücken! Das war nicht soldatisch gehandelt. Aber sieh, man ist erst ein rechter Soldat, wenn man dem Tode in’s Antlitz geschaut hat, und nun ich das gethan, nun läßt’s mir auch keine Ruhe, bis ich gut gemacht, was ich wider Dich und Soldatenbrauch gefehlt. Verzeih’ mir, Vetter, wenn Du kannst!“
„Wer könnte nicht verzeihen einer so freimüthigen Reue gegenüber?“ rief Alfred und sein Blick glänzte in stiller Zufriedenheit. „Du giebst Dir selbst mit diesen Worten ein so schönes Zeugniß wie mir und nimmst mir eine schwere Sorge vom Herzen!“
[807] Victor sah ihn fragend an.
„Ja, Victor,“ wiederholte Alfred bewegt, „eine schwere Sorge, denn nun erst sehe ich Dich Anna’s würdig und hoffe, daß sie mit Dir glücklich werde!“
Es war das erste Mal, daß Anna’s Name zwischen den beiden Männern erwähnt wurde, denn sie hatten sich während des Feldzugs geflissentlich vermieden. Eine dunkle Röthe bedeckte plötzlich das bleiche Gesicht Victor’s und er faßte Alfred’s Hand wie bittend: „Vetter, ich habe Dir noch ein schweres Geständniß abzulegen. Aber ich will ja Alles gut machen und so darf ich mir auch das nicht ersparen. Ich stehe Dir zu Dienst, wenn Du Satisfaction verlangst, sobald ich wieder heil bin, – aber ich denke, Du wirst mich nicht erschießen wollen, nachdem Du mich erst mit der größten Mühe zusammengeflickt! – Höre denn! Ich habe Dich belogen: als ich von Euch fortging, war ich schon mit Anna entzweit.“
Alfred zuckte leicht zusammen, aber er faßte sich sogleich wieder.
„Ich habe es Dir verschwiegen,“ fuhr Victor fort, „weil ich hoffte, sie würde sich wieder gewinnen lassen, und fürchtete, Du könntest, wenn Du’s wüßtest, die Bresche benützen und zwischen unsere Versöhnung treten. Da hast Du’s, nun ist’s herunter von der Seele!“ Er that einen tiefen Athemzug. „Schau, jetzt ist mir wohl, trotz meiner Schmerzen. Es thut kein Gut, wenn ein Soldat etwas auf dem Herzen hat, es ist, wie wenn man mit einem Tornister auf dem Rücken schwimmen soll! Wo man die ganze Kraft des Leibes und der Seele braucht, da muß Alles leicht sein, besonders das Gewissen!“
Alfred bog sich teilnehmend zu dem Kranken nieder: „Armer Victor!“
„O, gräme Dich nicht auch noch um mich,“ sagte Victor ruhig. „Es that mir weh, denn Anna war mir sehr lieb, aber sie ist doch ein störrisches Wesen, mit dem ich nicht fertig geworden wäre. Sie hätte sich so wenig in meine Verhältnisse gefunden als ich mich in die ihren. Es ist besser so, lieber Alfred, und nachdem ich nun gesehen habe, welch’ ein Mann Du bist, – meine ich, wenn Du wolltest, könntest Du sie noch bekommen!“
Alfred preßte die Hände auf die Brust. „Nein, Victor,“ sagte er mit mühsam unterdrücktem Schmerz, „sie ist mir nicht mehr, was sie mir war – und kann es nie wieder werden, als Deine getrennte Braut so wenig, wie als Deine Verlobte. Ein Weib, das so leicht lieben und so leicht erkalten kann, ist kein Weib für mich. – Das ist vorbei!“ Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und wandte sich ab. Victor sah mit ehrlicher Betrübniß, wie schwer Alfred litt; er stützte den verbundenen Kopf in die Hand und versank in ein stilles, ihm ganz ungewohntes Brüten. – Von diesem Tage an wurden Alfred und Victor treue Freunde, denn Victor war ein anderer Mensch, seit er die Feuertaufe empfangen hatte. Er war und blieb zwar eine gewöhnliche einfache Natur, wie er sich selbst in richtiger Erkenntniß nannte, militärisches Talent besaß er wenig und sein ganzer Ruhm war seine athletische Persönlichkeit, mit Hülfe deren er die ungeheuersten Strapazen ausgehalten und sich tüchtig geschlagen hatte, bis er einen Schuß am Kopf erhielt. Aber wer einmal im Feuer gestanden und den furchtbaren Ernst des militärischen Berufs im Kampf um Leben, Ehre und Vaterland kennen gelernt hat, dem ist auch ein männlicher Ernst in die Seele gebrannt, er fühlt die Weihe seines Berufs und sie erhebt ihn über sich selbst. Das machte sich auch in dem oberflächlichen Victor geltend, und als er mit einem Transport Verwundeter aus dem Feldlazareth fortgebracht wurde, fiel ihm der Abschied von Alfred so schwer, als scheide er von einem Bruder. Er hatte das Gute und Große in Alfred verstehen gelernt, weil er selbst besser geworden war.
„Du sollst sehen, ich bin dankbar!“ rief er Alfred noch aus dem Wagen zu. – – –
Der Krieg war zu Ende. Alfred kehrte mit den Truppen nach B. zurück, denn dort gab es noch harte Arbeit zu thun; bis alle die Wunden geschlossen waren, die der Kampf geschlagen. Alfred blieb als Hülfsarzt an einem der großen dortigen Spitäler. Nun erst sollte er erfahren, wer und was er war. Kaum war sein Name genannt, als er der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit wurde. Sowie er in einen Krankensaal trat, wendeten sich alle Blicke nach ihm. Man grüßte ihn, wo er vorüberschritt, mit neugieriger Zuvorkommenheit, man drängte sich an ihn unter allen erdenklichen Vorwänden. Er fühlte, mußte fühlen bei aller Bescheidenheit, daß er ein berühmter und mehr als das, ein beliebter Mann geworden. Die Soldaten und Officiere, die er behandelt, hatten den Ruf seiner Aufopferung in allen Schichten der Bevölkerung verbreitet, und ein edles berechtigtes Selbstbewußtsein gab seinem ganzen Wesen etwas Gehobenes. Er liebte die Menschen; wie sollte es ihn nicht beglücken, wenn er sah, daß sie ihn wieder liebten, wie sollte es ihn nicht stolz machen, ihnen etwas sein zu können? Es war, als sei er um einen Kopf gewachsen in den wenigen Tagen, so hoch und stolz schritt er einher, und selbst der etwas schleppende Gang des einen Fußes fiel bei dieser sichern Haltung nicht mehr auf. Die Damen, welche im Lazareth als Krankenpflegerinnen wirkten, fanden ihn anziehend und interessant, viele sogar schön. – Manch’ tiefes ernstes Auge einer jungen schmerz- und geduldgeprüften Diaconissin hing schwermüthig an ihm, als wolle es sagen: „Du bist auch Einer von denen, die nur noch für Andere leben, weil sie für sich nicht mehr leben mögen! Ich weiß, wie Dir zu Muthe ist!“
Wenige Tage nach seinem Eintreffen mit der Armee fanden die Ordensverleihungen statt und Alfred erhielt den Orden, welcher eigens für die Verdienste im Kriege gestiftet war. Er, der als Knabe nicht den Knall einer Pistole ertrug, nicht bei feuchtem Wetter im Garten sein, kein Spiel gesunder Knaben mitmachen konnte, – er hatte es soweit gebracht, daß Helden ihre Auszeichnungen mit ihm theilten. Lächelnd sah er auf das kleine Ehrenzeichen nieder, – es war ihm wie ein Traum, daß er es errungen, und es war ihm werth, weil er es so mühevoll verdient hatte.
Er hatte nicht an den Hof gehen, sondern seinen Pflichten leben wollen. Nun aber mußte er dem Könige persönlich danken und schon am folgenden Tage ward ihm Audienz gewährt. Man schien höchsten Ortes ungeduldig zu sein, ihn kennen zu lernen. Auf zehn Uhr war Alfred befohlen und mit dem Glockenschlage trat der König aus seinem Arbeitszimmer, aber Alfred war noch nicht da. Es wurde viertel, halb, dreiviertel auf Elf – der König mußte warten. Die gute Laune des Monarchen umwölkte sich: „Der junge Herr hat keine große Eile, wie es scheint,“ sagte er zu dem dienstthuenden Adjutanten und sah auf die Uhr. „Bestellen Sie den Wagen, ich bin von nun an nicht mehr für Herrn von Salten zu sprechen.“
In diesem Augenblick öffneten sich die Portieren, Herr von Salten ward gemeldet. Der König zögerte unschlüssig, ob er ihn abweisen lassen sollte, indessen „der Mann hat doch große Verdienste, man muß ihm etwas nachsehen! Ein paar Minuten will ich noch drangeben. Er mag kommen.“
Mit Spannung sah der König nach der Thür. Wieder öffneten sich die Portieren, der Gemeldete trat ein und verneigte sich mit würdevoller Bescheidenheit. Zum ersten Male in seinem Leben stand er vor der Majestät des Herrschers. Nicht durch die Rechte seiner Geburt, die er niemals geltend machte; durch sein eigenes Verdienst kam er in die Nähe dessen, der seine Umgebung aus den Bevorzugtesten der Menschheit wählen kann. Es lag eine schöne Mischung von edlem Selbstgefühl und schuldiger Ehrfurcht in seinem Wesen, denn der König war ihm mehr, als ein gesalbtes Haupt, er war ihm die verkörperte Volkseinheit. Er blieb an der Thür stehen und harrte der Anrede des Königs. Dieser winkte ihm etwas ungnädig näher zu kommen.
„Ich bedaure, Herr von Salten, daß man Ihnen die Stunde der Audienz, wie es scheint, unrichtig bestellt hat – meine Zeit ist fast abgelaufen.“
Alfred hob den Kopf und sah dem König mit seinen schönen melancholischen Augen offen in das umdüsterte Gesicht: „Ich muß sehr um Verzeihung bitten, Majestät, man hat mir die Stunde richtig gesagt, aber ich hatte diesen Morgen eine Operation zu machen, die sich nicht aufschieben ließ und länger dauerte, als ich glaubte. Es handelte sich um ein Menschenleben, Majestät.“
Des Königs Antlitz begann sich zu erheitern: „Hm, wer war der Glückliche, der sich dieser Sorgfalt erfreute?“
„Ein Gemeiner aus dem fünften Infanterieregiment.“
Der König war eine große redliche Natur, die Wahrheit und Männlichkeit zu schätze wußte. Er reichte Alfred rasch die Hand, [808] eine herzgewinnende Freundlichkeit verbreitete sich über sein edles Gesicht. „Man hat mir nicht zu viel von Ihnen gesagt!“
Alfred fühlte die ehrlich gemeinte Schmeichelei in diesen Worten und verneigte sich erröthend.
Der König sah es. „Und dabei noch so bescheiden!“ lächelte er. Wissen Sie, daß ich Ihnen sehr böse bin wegen Ihrer beharrlichen Entfernung vom Hofe? Sie sind schon vor Ausbruch des Krieges, wie ich höre, mehrere Wochen hier gewesen und haben sich nicht melden lassen – Sie, der Sohn unseres treuen Salten!“
„Majestät, ich wagte es nicht – welches Recht hätte ich gehabt, mich den allerhöchsten Herrschaften zu nahen? Wer in den auserlesensten Kreis der menschlichen Gesellschaft eintreten will, muß entweder durch Verdienste oder durch persönliche Vorzüge dazu berechtigt sein, bei mir war aber weder das Eine noch das Andere der Fall.“
„Nun, ich dächte, der alte ehrwürdige Name Salten hätte Ihnen in jedem Fall Recht genug gegeben!“
„Verzeihen Eure Majestät – dies wäre kein Recht – nur ein Vorrecht, und um letzteres geltend zu machen – bin ich zu stolz.“
Der König schaute den jungen Mann befremdet an: „Wie so?“
„Ich möchte die Gnade Eurer Majestät mir selbst – nicht der Zufälligkeit meiner Geburt zu danken haben; – sie ist zu kostbar, um so wohlfeilen Kaufes errungen werden zu dürfen.“
Der König drohte scherzhaft mit dem Finger: „Ein Feind des Adels?“
„Nein, Majestät, nicht des Adels, nur seiner Vorrechte. Denn unter ihrem Schutz spreizt sich auch die Unfähigkeit und nimmt dem Verdienst den Platz weg. Wer die Kraft in sich fühlt, sich einen ehrenvollen Platz selbst zu erringen, der wird zu stolz sein von einem Vorrecht Gebrauch zu machen; kann er dies nicht, dann soll er verzichten und nicht mehr beanspruchen, als ihm gebührt.“
„Das ist sehr groß gedacht!“
„Nur gerecht, Majestät.“
„Sie können aber nicht von Jedem eine Gerechtigkeit verlangen, die er auf Kosten seiner selbst üben muß. Es ist sehr schwer, alt angestammten Privilegien zu entsagen.“
„Ich habe das nicht gefunden, Majestät. Ich that es und erlitt dabei nicht die geringste Einbuße, ich fand eine innere
Genugthuung darin, mich in die Reihen derer zu stellen, die sich ihr Brod und ihren Ruhm erringen müssen ohne die Stütze einer Protection oder eines Privilegiums, und ihnen zu sagen: ‚Seht, ich will nichts vor Euch voraus haben, will arbeiten wie Ihr und keinen andern Weg zu meinen Zielen einschlagen, als den, der auch Euch offen steht, den dornenvollen Pfad der Mühe.‘
Euer Majestät gaben mir mit diesem Ehrenzeichen den schönsten
Beweis dafür, daß dieser Weg mich nicht zur Tiefe geführt. Ich habe mir die bevorzugte Stellung im Schweiße meines Angesichts
erworben, welche mir meine Geburt mühelos angewiesen hätte, und deshalb werden selbst Diejenigen sie mir gönnen, die ich in
dem gemeinschaftlichen Wettlauf überholte. Das, Majestät, ist mein ganzer Stolz und diesen Stolz fordere ich auch von meinen
Standesgenossen.“
„Das können Sie von denen verlangen, welche Ihnen an Talent und Kraft ebenbürtig sind, aber die, welche nichts zu leisten vermögen, sind um so mehr auf die Vorrechte ihres Standes angewiesen.“
„Und verdienen sie um so weniger.“
„Ihre Vorfahren haben dieselben für sie verdient,“ sagte der König.
„Majestät, ich bin das Kind einer Zeit, die kein Recht gelten läßt, als das des eigenen Verdienstes.“
„Sie sind Demokrat,“ sagte der König.
„Im Gegentheil, Majestät, ich bin Aristokrat durch und durch; aber ich bekenne mich nur zu einer Aristokratie, es ist die des Geistes. Soweit an ihr der Adel Theil nimmt, soweit reicht auch sein Recht als bevorzugter Stand. Aber dies darf kein ausschließliches sein, es gebührt Jedem in gleichem Maße, der die gleichen Verdienste hat.“
„Und was verstehen Sie hauptsächlich unter dem Rechte bevorzugter Stände?“ fragte der König.
„Das schönste, das heiligste, Majestät, das, zwischen Fürst und Volk zu vermitteln.“
Der König blickte lächelnd vor sich hin. „Kommen Sie als moderner Posa zu mir?“
[809] „Nein, Majestät, denn Gott sei gedankt, Euer Majestät sind kein Philipp der Zweite, – aber Euer Majestät halten die Wage in der Hand, in der die Rechte der Menschen gewogen werden, und da konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, ein wenn auch noch so kleines Gewicht in die Schale Derer zu werfen, welche, aller Vorrechte entbehrend, lediglich auf die eigene Kraft angewiesen sind, denn sie wiegen in der Wage am leichtesten und haben doch das schwerste Theil.“
„Sie meinen es gut und ehrlich, Herr von Salten,“ sagte der König wohlwollend. „Sie gehören nicht zu den professionsmäßigen Volksbeglückern, die unter dem Deckmantel ihrer Liebe für das Volk nur ihren Haß und Neid gegen die Höher- und Bessergestellten verbergen. Sie gehören der bevorrechteten Classe an und haben freiwillig auf alle Vorrechte verzichtet, die Ihnen daraus erwachsen, um Ihren Ideen zu genügen. Mögen es die Ideen eines schwärmerischen Jünglings sein – Sie haben sie mit der Festigkeit eines Mannes zur That gemacht. Ich liebe solche Menschen mit weichen Herzen und harten Köpfen! Bleiben Sie bei mir, ich denke Ihnen den Wirkungskreis schaffen zu können, der Ihren philanthropischen Plänen am meisten entspricht.“
Alfred verneigte sich tief, seine Augen, die seit Feldheim’s Tod, von den langen Wimpern umschleiert, nur matt und trübe geblickt hatten, flammten auf in voller Begeisterung.
„O Majestät! Sie sind gnädig, wie nur ein König es sein kann. Aber nicht für mich darf ich die allerhöchste Gnade annehmen. Meine nächste Pflicht ruft mich auf meine Güter, dort habe ich ein schweres Werk zu vollenden, bevor ich an meine eigene Zukunft denken kann.“
„Ist das so wichtig?“ fragte der König.
„Ja, Majestät! Meine Güter liegen, wie Euer Majestät wissen werden, in einer Gegend, wo ein so grenzenlos verkommener Volksschlag lebt, daß es die erste Aufgabe eines Gutsbesitzers sein muß, für dessen sittliche und materielle Hebung zu wirken.“
„Und da wollen Sie sich in das trübselige Saltenau verbannen und diese Halbmenschen civilisiren?“
„Ja, Majestät.“
„Nun, das sieht Ihnen wieder ganz ähnlich. Wie lange wird denn dieses freiwillige Exil dauern?“ fragte der König lachend.
„Vielleicht ein Jahr, Majestät. Ich begann vor einigen Monaten den Bau einer Fabrik, um Handel und Wandel etwas zu heben, und werde demnächst eine Brauerei errichten, um dem demoralisirenden Branntweingenuß erfolgreicher zu steuern. Das Alles erfordert meine persönliche Gegenwart.“
„Ein ganzer Mann!“ sagte der König. „Unverrückt immer das eine Ziel vor Augen! Nun, ist’s jetzt nicht, so ist’s später, Sie werden und dürfen sich einem Amt in meiner Nähe nicht dauernd entziehen. Kann ich einstweilen sonst etwas für Sie thun? Haben Sie Freunde, Bekannte, die Sie aus dem Dunkel gedrückter Verhältnisse ziehen möchten, so nennen Sie dieselben, Ihre Empfehlung genügt mir vollkommen.“
„Ich kann Eurer Majestät im Augenblick leider keine Namen nennen. Meine Freunde sind Alle die, welche redlich das Gute und Schöne fördern, ihnen redete ich das Wort, persönliche Bekannte habe ich wenige. Ich hatte von Kindheit auf viel Unglück und erlebte an geliebten Personen traurige Enttäuschungen. Das machte mich scheu und zurückhaltend gegen den Einzelnen, und ich gewöhnte mich daran, die ganze Menschheit zu lieben und über den Einzelnen wegzusehen. Freilich stehe ich auch nun als Menschenfreund so einsam und auf mich allein angewiesen da, wie ein Misanthrop. Ich hatte nur einen Freund, der ganz für mich lebte, und der ist todt.“
„Das war der Prediger Feldheim. Ich habe gehört, auf welche Weise Sie ihn verloren und wie heldenmüthig Sie ihn noch retten wollten.“
„O Majestät,“ rief er, „hier ist ein wunder Fleck in meinem Herzen berührt, den nur ein König heilen kann!“
„Und was wäre das?“ fragte der König theilnehmend.
[810] „Mein Freund, Majestät, war einer der Tausende, die vielleicht gerettet werden konnten, wäre die genügende Hülfe zur Stelle gewesen!“
„Nun, und warum war sie es nicht?“ fragte der König.
„Das eben ist es: sie war nicht vorhanden. Wir haben zu wenig Hülfspersonal, unsere Sanitätscorps reichen, den Wirkungen unserer vervollkommneten Waffen gegenüber, nicht aus, und die freiwillige Pflege ist allein in den Händen der Johanniter. Auch hier selbst, wo es sich um die Pflichten der Humanität und Christlichkeit handelt, begegne ich wieder einem Standesvorurtheil. Die vornehmen Johanniter sind die einzigen Nichtsoldaten, denen höchsten Orts das Recht zuerkannt ist, sich am Sanitätsdienst im Kriege zu betheiligen! Ich bin weit entfernt, die Verdienste dieser aufopfernden Männer schmälern zu wollen. Allein was bedeutet eine Schaar von Helfern, die nach Hunderten zählt, während die Hülfsbedürftigen nach Tausenden zählen? Ich selbst verdankte nur dem Umstande, daß ich von Adel bin, die Erlaubniß, eine kleine Truppe von Trägern zu organisiren und mich den Johannitern anzuschließen, und auch dies war natürlich nur ein Tropfen im Meer. Warum – Eure Majestät werden mir diese Frage gestatten – warum besitzt der Adel das Monopol einer Aufgabe der Barmherzigkeit, die er nicht allein vollbringen kann, da dieselbe zehnmal mehr Hände fordert, als ihm zu Gebot stehen?“
„Aha, ich begreife!“ sagte der König, dessen freundliche Stirn sich verdüsterte. „Sie wollen der allgemeinen Freiwilligenhülfe im Sanitätsdienst das Wort reden, Sie sind ein Anhänger jenes Genfers Dunant, von dem in neuester Zeit so viel gesprochen wird?“
„Ja, Majestät, das bin ich, und den Ideen jenes genialen und echten Menschenfreundes darf – kann sich das Ohr eines Monarchen nicht verschließen in dessen Hand das Wohl von Millionen gelegt ist.“
Der König machte eine ungeduldige Bewegung. „O, es wäre schlimm, wenn es eines Herrn Dunant bedürfte, um uns zu lehren, was Noth thut!“ fuhr der König auf. „Auch ich sehe ein, daß das Sanitätswesen eine Reform erfahren muß, aber dies kann nur auf militärischem Wege geschehen!“
„Nicht vollkommen, Majestät, sicher nicht vollkommen. Der Staat könnte ohne unverhältnißmäßige Opfer keine Sanitätsmannschaft errichten, die den Anforderungen eines modernen Krieges gewachsen wäre. Dunant weist dies mit Zahlen nach. Die Privathülfe würde dem Staate alle diese Opfer abnehmen, sie würde –“
„Die Privathülfe!“ unterbrach ihn der König. „Ich bitte Sie, das sind ja lauter gut gemeinte, aber von Grund aus unpraktische Sachen. In die eiserne Maschinerie unserer heutigen Kriegsführung gehören keine nichtmilitärischen Elemente, sie würden von dem fest ineinander greifenden Räderwerk zermalmt werden oder Unordnung und Störungen herbeiführen“
Alfred sah den Köuig an, ernst, ehrlich, unerschrocken. „Die Johanniter sind auch keine Soldaten, Majestät, und dennoch durften sie hiervon eine Ausnahme machen.“
„Doch, doch,“ sagte der König rasch, „die Johanniter sind halbe Soldaten. Ihr Stand bringt es mit sich, daß sie sich früh in allen ritterlichen Künsten übten, das militärische Wesen steckt ihnen, wie jedem Adeligen, so zu sagen im Blute!“
„In diesem Sinne, Majestät, ist jeder Ihrer Unterthanen Soldat, denn Jeder diente ja sein Jahr ab und lernte sich in die Anforderungen der Disciplin und militärischen Ordnung schicken.“
„Zugegeben“ sagte der König, „aber wo bleibt bei solchen Massen aus dem Volke die Controle? Können sie mir die Garantie bieten, welche mir die bewährte Gesinnung der Johanniter bietet? Kann nicht mit dem gepriesenen Freiwilligencorps meinem Heer eine Schaar von Spionen oder verderblichen Einflüssen aller Art einverleibt werden – wer sondert unter solchen Massen und im Drange eines Krieges die Spreu vom Weizen?“
„O Majestät, ich kenne das Volk und stehe ein für seine Treue und Ehrenhaftigkeit, es wird keine Elemente unter sich dulden, die der Sache schaden könnten, für die seine Söhne und Brüder kämpfen; jeder Tropfen Blutes, den diese verlieren, ist ihm kostbar, es will ihn nicht vergebens fließen sehen, und würde auch nichts dadurch gewonnen, als die Ehre des Siegs. O nein, Majestät, von dem Volke ist kein Verrath zu fürchten, und bei unserem Reichthum an organisatorischen Talenten wäre es wohl ein Leichtes, eine Verwaltung zu schaffen, welche gegen das Einschleichen von Spionen schützte. Eine Controle, welche die strengste Ordnung in einem Heerkörper von einer halben Million Seelen aufrecht erhält, sollte doch wohl auch ausreichen, um einige Tausend braver Bürger zu überwachen!“
„Sie wären ein guter Advocat geworden,“ sagte der König.
„Majestät, was Henri Dunant fordert – Sie können es geben: Neutralität des Sanitätspersonals und Zulassung der freiwilligen Hülfe im Kriege. Das ist so wenig und so viel: so wenig für Eure Majestät und so viel für Ihr Volk! Ihre Unterthanen dürfen ihre Vertreter selbst wählen, dürfen als Deputirte die Angelegenheiten des Staates selbst ordnen, als Geschworene ihre Verbrecher selbst richten. – Warum zögern Eure Majestät, ihm das natürlichste Recht zu gewähren, das, seinen Brüdern, Vätern, Söhnen in Gefahr und Noth selbst beizustehen oder wenigstens seine Todten selbst zu begraben, um sicher zu sein, daß beim Aufräumen des Schlachtfeldes nicht der Eine oder Andere mit dem großen Leichenhaufen aus Versehen noch lebend in die Kalkgrube geworfen wird?“
Der König wandte sich ab.
Wer hat die Correspondenzkarten erfunden? Mehrere Fachzeitschriften, unter anderen die in Wien erscheinende „Post“, stellten schon zu wiederholten Malen die Frage: „Welcher Postbeamte mag wohl die Correspondenzkarten erfunden haben?“
In jüngster Zeit brachte eine Originalcorrespondenz der „Neuen freien Presse“ (Nr. 2187 vom 29. September 1870 Seite 9) aus Kassel über die Anwendung der Correspondenzkarten folgende Zeilen:
„Die Zahl der seit der Mobilmachung an die Truppen und deren Angehörige in der Heimath ausgegebenen Feldpost-Correspondenzkarten beläuft sich allein auf mehr als fünfzehn Millionen, nachdem schon am 22. August, laut eines diesfalls veröffentlichten Erlasses des General-Postdirectors, Herrn Stefan, zehn Millionen davon zugestellt worden waren. – Die erst vor Kurzem von Wien ausgegangene Erfindung der Correspondenzkarte, einfach wie das Ei des Columbus, aber darum nicht weniger schätzbar und seit Jahrhunderten fast unbegreiflich auf sich warten lassend, ist gerade zur rechten Zeit gekommen. Nicht der zehnte Theil der zwischen den deutschen Truppen und ihren Lieben zu Hause seit Ausbruch der Feindseligkeiten gewechselten Mittheilungen wäre wahrscheinlich erfolgt, wenn diese unter allen Umständen bequeme Handhabe gefehlt hätte, seine Gedanken ohne Feder und Tinte, ohne Briefumnschlag und Siegellack, unter dem Zelte oder im offenen Bivouac, auf einem Baumstrunke oder an die Kanone gelehnt, augenblicklich zu Papier bringen zu können. Jetzt erst wird die ganze wohlthätige Bedeutung der neu aufgetauchten Maßregel klar. Man sollte Demjenigen, in dessen Kopfe diese glückliche Idee zuerst entsprang, in der That eine Nationalbelohnung votiren, wie dem Tonsetzer der ‚Wacht am Rhein‘.“
Der Erfinder der Correspondenzkarten ist kein Postbeamter. Er ist Nationalökonom und Professor dieses Faches an der kaiserlich österreichischen Militärakademie zu Wiener-Neustadt. Einige Jahre vor seiner Berufung nach Neustadt wirkte er als Privatdocent an der Universität und als Professor an der Handelsakademie zu Graz, und organisirte unter Anderem in dieser Stadt auf ganz originelle Weise die Versorgung der Bevölkerung mit Kohlen und Holz. Er heißt Dr. Emanuel Herrmann und ist gegenwärtig einunddreißig Jahre alt. Sein Geburtsort ist Klagenfurt in Kärnten, welche Stadt er auch als Abgeordneter im Kärntner Landtage vertritt.‚‘
Dr. Herrmann gelangte zu dieser Erfindung durch die consequente Verfolgung der Grundsätze der Wirthschaft, welche er gerade damals in neuer und origineller Art in dem 1870 in Graz erschienenen „Leitfaden der Wirthschaftslehre“ niederlegte. Er arbeitete eben an der Darstellung des Gesetzes der Specialisirung und forschte nach Belegen. Da fiel ihm auf, daß so viele Briefe geschrieben werden, welche ihrem Inhalte nach weder eines Siegels, noch eines Couverts, noch der vielen Titulaturen und anderer Förmlichkeiten bedürfen, und daß dennoch für diese Specialität von Briefen noch nicht die eigenthümliche einfachere bequemere Form gefunden sei. Wie ein Blitz durchfuhr ihn der Gedanke an Postkarten, welche schon mit der Marke versehen ausgegeben werden und nur mit Tinte oder Bleistift beschrieben zu werden brauchen. Er theilte diesen Gedanken seiner jungen Frau mit, und diese zeigte sich von der Idee und deren praktischer Tragweite lebhaft ergriffen. Nun verfaßte er einen Artikel für die „Neue freie Presse“ mit der Aufschrift: „Ueber eine neue Art der Correspondenz.“ Der Aufsatz erschien einige Tage nachher (am 27. Januar 1869) auf der Rückseite des Abendblattes der „Neuen freien Presse“. –
Zehn Tage später begab sich Dr. Herrmann nach Wien zum General-Postdirector, Freiherrn von Maly, um diesen zur praktischen Verwirklichung der Idee der Postkarten zu vermögen. Nach langen Verhandlungen, [811] deren Einzelaufstellung uns zu weit führen würde, gelang dies in der uns allbekannten Weise. Bewundernswerth ist es aber, daß diese Idee bereits als ein Bedürfniß der Zeit in der Luft geschwebt zu haben scheint, denn schon 1867 stellte der Bevollmächtigte Preußens auf der Karlsruher Postconferenz, der gegenwärtige General-Postdirector des norddeutschen Bundes, Stefan, eine ähnliche Idee auf. Sein Wunsch ging dahin, daß offene Karten oder Zettel mit dem ermäßigten Porto von einem Silbergroschen durch die Post in ganz Deutschland beförderbar sein sollten. In den Berichten über jene Postconferenz ist jedoch über Stefan’s Antrag nichts zu finden, derselbe scheint eben nur ganz privatim gemacht worden zu sein.
Die Correspondenzkarten wurden in Oesterreich-Ungarn am 1. October 1869 eingeführt. Sie fanden seither aber auch schon im Gebiete des norddeutschen Bundes, in Baiern und Würtemberg, in Belgien, England und Nordamerika Eingang. Auch die Schweiz soll deren Einführung beabsichtigen.
Seltsamer und ganz unbegreiflicher Weise aber wurde gerade im Ressortgebiete des General-Postdirectors Stefan das Porto für die Correspondenzkarten nicht, wie es doch in Oesterreich, England und Amerika geschah, auf einen halben Silbergroschen herabgesetzt, sondern dem Porto der gewöhnlichen Briefe von einem Silbergroschen gleichgehalten. Man entschuldigte diesen offenbaren Verstoß gegen die Idee der Correspondenzkarten damit, daß die Postverwaltung des norddeutschen Bundes, sowie überhaupt die Finanzen desselben gegenwärtig allzugroße Auslagen zu tragen hätten. Entspricht aber eine solche Motivirung den Principien eines Rowland Hill, die doch im Postwesen allgemeingültig geworden sein sollten?
Sei dem, wie ihm wolle, die Correspondenzkarten werden die Runde um die Welt machen, und es würde uns gar nicht Wunder nehmen, wenn wir in einigen Jahren hören würden, daß auch die Japanesen und Chinesen dieselben bei sich eingeführt haben.
„Seht, wir Wilden sind doch bessere Menschen!“ Wie groß die Betheiligung aller deutschen Landsleute in fernen Welttheilen an der Sorge für die Hinterbliebenen unserer wackeren deutschen Krieger ist, davon gehen jetzt die Beweise in Deutschland wohl mit jedem Tage ein.
Auch auf Java haben sich die Deutschen zusamnmengethan, und vor der Hand schon zwölftausend Gulden an das Central-Comité nach Berlin abgesandt.
In Batavia lebt auch ein Afrikaner, der Sohn eines eingeborenen Fürsten aus Ashanty. Von der holländischen Regierung in Europa ausgebildet, versprach er in Java als Ingenieur eine brillante Carrière zu machen. Seiner schwarzen Farbe wegen durfte man ihn aber schließlich nicht zu hoch steigen lassen – das „weiße Blut“ hätte sich dadurch gekränkt gefühlt, und so verschaffte man ihm endlich in der Provinz Madioen eine Kaffeeplantage, wo er sich sehr wohl befindet.
Er sandte dieser Tage einen Beitrag von tausend Gulden mit dem nachstehenden Briefe nach Batavia:
„Socka Radja (Residenz Madioen), 7. September 1870.
Hinterbliebenen der im Kampfe Gefallenen.
Batavia.
Obgleich Afrikaner von Geburt und durch keine Bande des Blutes mit Deutschland verbunden, habe ich dies Land und seine Bewohner durch einen dreijährigen Aufenthalt lieb gewonnen. Sohn des fernen Ashanty betrat ich als Fremder Deutschland, genoß dort eine gastliche Aufnahme, fand warme Herzen, die sich an das meine schlossen, und knüpfte manches Band der Freundschaft. Darum fühlte ich denn auch die lebhafteste Theilnahme, als ich von den ebenso wichtigen als traurigen Ereignissen hörte, welche in der jüngsten Zeit dort stattgefunden. Viele meiner zahlreichen Freunde zogen zur Vertheidigung der Rechte und der Freiheit ihres theuren Vaterlandes in den Streit. Mancher ist gewiß schon in dem heiligen Krieg gefallen, seine Familie im tiefsten Schmerz vielleicht in größter Noth hinterlassend!
Es sei mir vergönnt, etwas zur Linderung der Schmerzen und des Elendes beizutragen, und bitte ich das Comité beifolgende tausend Gulden als ein wehmüthiges Opfer auf dem Altar der Freundschaft und der Liebe anzunehmen und an das Central-Comité in Berlin zu befördern.
Mit dem innigsten Wunsch, daß Deutschland siegreich aus diesem Streit hervorgehen möge, um ungestört seine Einheit zu vollenden,
Aquasi Boachi.“
Aquasi Boachi ist wieder ein schlagender Beweis gegen jene ungesunden Doctrinaire, welche der afrikanischen Race jede Möglichkeit einer Culturfähigkeit absprechen wollen.
Waisen des Kriegs – bieten sich Pflegeeltern an! Wer als
Vormund oder Waisenhausvorsteher oder in sonst einer Beziehung zu solchen unglücklichen Opfern unseres großen Kampfes für die Zukunft derselben mit zu sorgen hat, lasse den von der Gartenlaube gegebenen Wink nicht unbeachtet. Der an bemittelte kinderlose Eheleute ergangene hat bereits Nachachtung gefunden: vier deutsche Waisen des Kriegs sollen von wohlwollenden Eheleuten wie leibliche Kinder gehalten und an Kindesstatt angenommen werden. Möge die Anmeldung solcher Kinder durch die dazu Verpflichteten ebenfalls nicht lange auf sich warten lassen.
Notiz für Museen und Kunstsammler. Wir erhalten aus Batavia die Nachricht, daß dort eine schöne und vollständige Sammlung von Buddah- und Hindugötzen aus Speckstein geschnitten für den geringen Preis von dreihundert Gulden (holländ.) zum Verkauf ausstehe. Auf Anfragen theilen wir gern die Adresse unseres Herrn Correspondenten in Batavia mit.
Ein Wink für Weihnachten. Die Kinder blicken am liebsten immer wieder in ihre eigene Welt, und wer diese am besten zeichnen und malen kann, ist ihr Liebling. Ein solcher Liebling ist den Kindern – und, wollen wir hier gleich beifügen, auch den Erwachsenen – Oscar Pletsch schon lange; deshalb aber ist es um so erfreulicher, daß er sich auch diesmal für Weihnachten mit einem Bilderbuch eingestellt hat, das so recht herzinniglich das Leben und Treiben unserer Kleinen schildert, denen Oscar Pletsch bis in’s Herz sieht, wie nicht leicht Einer. „Auf dem Lande“ heißt das Buch mit seinen prächtigen achtzehn Originalzeichnungen, von denen wir heute zwei als Proben geben, die gewiß viele unserer Leser veranlassen werden, nach dem Ganzen zu greifen. Die Ausstattung ist – Dank der Sorge der Verlagshandlung Alphons Dürr in Leipzig – eine echt künstlerische, der Preis von zwei Thaler ein verhältnißmäßig geringer.
W. R. zu S. im Elsaß. Wie sehr uns auch Ihr Vertrauen auf den Einfluß der Gartenlaube erfreuen kann, so geht derselbe doch nicht so weit, wie Ihr ausgesprochener Wunsch andeutet: auf die Besetzung der Staatsdienststellen in den zurückeroberten Ländern jenseits des Rheins. Uebrigens sind wir überzeugt, daß die deutsche Regierung, welche jetzt über Elsaß-Lothringen zur Herrschaft kommt, alle Staatsdiener, die in ihrem Amt als tüchtig erprobt und redlich gewillt sind, dem deutschen Wesen sich treu anzuschließen, schon im eigenen Interesse gern auf ihren Posten belassen wird.
J. E. in Hamburg. Promotio in absentia, zu Deutsch: die Erwerbung des Titels eines Doctors der Philosophie durch Kauf ohne öffentliche Disputation – das können Sie, soviel wir wissen, bei allen unseren Universitäten genießen. Sie befragen sich eben bei der betreffenden Facultät um die Bedingungen und erfüllen dieselben. Verhehlen können wir Ihnen nicht, daß wir Ihnen das Doctordiplom nicht ausstellen würden, und zwar einfach darum, weil Sie eine solche Anfrage erst nöthig haben.
K. in Schg. Wir können Ihnen für Ihre Wünsche nur die bei J. J. Weber erscheinende „Kriegschronik“ empfehlen, wenn Ihnen die „Illustrirte Zeitung“ zu theuer ist. Außer der Gartenlaube ist sie eine der wenigen Kriegszeitungen, deren Illustrationen nach authentischen, nach der Natur gezeichneten Vorlagen gefertigt sind und deshalb auf die Bezeichnung „wahrer Bilder“ Anspruch machen können.
W. M. Die Quittungen der für die Benedix- und Wilhelm’s-Fonds eingegangenen Beiträge, sowie der Zahlungen für das Krankenhaus in Constantinopel werden in einer der nächsten Nummern veröffentlicht.
[812]
gingen ferner ein: Deutsche Bürger in Wyandotte, einem kleinen Orte in Kansas (Nordamerika) von kaum 3000 Einwohnern, aus Deutschen, Amerikanern, Irländern und einem großen Theile Farbiger bestehend, 724 Thlr. 4 Ngr. (zur Nachahmung empfohlen); Fort Madison in Iowa (Nordamerika) im Auftrage der dort lebenden Deutschen durch C. Doeve, A. Schlepp und Jaeger 623 Thlr. 13 Ngr.; elfte und zwölfte Wochensammlung der Mitglieder der Klinkhardt’schen Druckerei 10 Thlr. 17 Ngr.; C. S. u. A. Z. in Victoria (Texas)) 18 Thlr.; L. Steinerle in Klösterle 1 Thlr.; Dr. Heinrich Laube in Wien 25 Thlr.; aus der Abendunterhaltung des Gewerbevereins in Brandis 5 Thlr.; Liedertafel in Radkersburg, als die letzten Pionniere deutscher Sitte und Cultur an der Grenze unseres Reiches, 40 Thlr.; Apothekergehülfe Rich. Schöneck in Petrosawodsk 5 Rubel; von einer Gesellschaft auf dem Bahnhofe Schlüchtern durch Herrn G. G. für 2 der bedürftigsten Familien 38 Thlr. 1 Ngr.; Julius Stahlkopf in Torgdow 1 Thlr. 1 Ngr.; ein deutsches Mädchen in Villmar 1 Dollar; der Verein „Einklang“ in Oederan 22 Thlr. 10 Ngr. 7 Pf. mit dem Motto:
„Auf deinen Altar leg’ ich diese Gabe,
Geliebtes deutsches Vaterland,
Denn was ich bin und was ich habe,
Das dank’ ich dir mit Herz und Hand!“
Zwei junge Mädchen aus M. 1 Thlr.; Professor Schwenda in Wien 1 Thlr. 15 Ngr.; M. Kastl in Kuopio 10 Thlr.; Ernst Heberle, Ingenieur in Falun 10 Thlr; deutscher Verein in Grasse (Frankreich) 13 Thlr. 10 Ngr. (50 Frcs.); Eug. Reinhardt in Roda 1 Thlr; Ertrag einer Abendunterhaltung in Niederschlema durch Lehrer Rühle 9 Thlr.; dritter monatlicher Beitrag der Deutschen in Bari (Italien) 55 Thlr.; in einem Spielkorbe gefunden von Arthur Prüfer in Gera 1 Thlr.; von einer gemüthlichen Gesellschaft in Zinnwald und Altenberg 3 Thlr.; Steuer-Exped. Blkl. Bhd. Nl. u. Beh. 1 Thlr. 20 Ngr.; Sammlung durch Jordan und Söhne in Tetschen 50 Thlr.; Asch-Neuhausener Bierclub nachträglich 3 Thlr.; Ertrag einer Kinderlotterie 2 Thlr.; Frau Staël in London 2 Thlr.; Emilie Schwürtz in Gleiwitz 2 Thlr.; bei einem Familienfeste in Nienburg gesammelt von A. Hoffmann 2 Thlr.; Lina, Louise und Paul K. in Dresden 10 Thlr., 20 Frcs. u. 1 Ducaten; gesammelt am 3. September in den Gesellschaften „Erholung“ und „Gemüthlichkeit“ in Sebnitz durch J. Schöne 10 Thlr.; einige Norddeutsche in Stepanze (Südrußland) 23 Rubel; aus Freude über den Erfolg vieler Mühen von J. C. R. W. in L. 1 Thlr.; E. Th. W. in Z. 2 Thlr.; Sammlung in O. Spamer’s artist. Institut 10 Thlr.; bei der Vermählung eines Grubenverwaltungs-Beamten in Hermsdorf (Schlesien) 1 Thlr. 6 Pf.; aus der Sparbüchse von Franz, Oscar und Rudolph Ohm in Misdroy 5 Thlr.; M. W. in Göteborg 5 Thlr.; Kroneberg in Gr. Bodungen 2 Thlr. 23 Ngr. 7 Pf.; durch Verauctionirung werthloser Gegenstände im Verein „Phönix“ in Berlin 3 Thlr. 1 Ngr.; ein deutsches Mädchen aus Dresden 2 Thlr.; zweiter und dritter monatlicher Beitrag von A. Wiede 40 Thlr.; Ueberschuß eines Lotteriegewinns in Elbing 19½ Ngr.; von der Hasengesellschaft auf dem Seeberg bei Gotha 1 Thlr. 5 Ngr. 2 Pf.; von einem Ungenannten in Eisenach 15 Thlr.; Ertrag eines Aufrufs an alle Briefmarkenbesitzer durch das Antiquitäten- und Münzengeschäft von Alwin Zschiesche in Leipzig 25 Thlr. 28 Ngr.; dreizehnte, vierzehnte und fünfzehnte Wochensammlung des Personals von Schelter und Giesecke 76 Thlr. 2 Ngr. (den Hut ab vor solchen Arbeitern!); Gust. Drescher in Fort Fettermann, Wyoming Territorium 5 Dollars; dreizehnte Wochensammlung der Drugulin’schen Druckerei 2 Thlr. 7½ Ngr.; Ertrag einer veranstalteten Lotterie durch Karl Herdtmann und Ottilie Sturtzel in Moskau 92 Rubel; Katharina Richter in Moskau 1 Rubel (Ihr Vorschlag unausführbar); von einer in Schutschki bei Moskau lebenden Sachsin 6 Rubel; F. L. in Zürich 10 fl. rh.; Arbeiterpersonal der Brauerei der Gebrüder Schalk in Newark (New-Jersey, Amerika) 50 Thlr.; Sammlung von Theod. Otto Marquardsen in Porto-Alegre (Brasilien) 85 Thlr.; der deutsche Hülfsverein in Osh-Kosh (WIsconsin) durch dessen Secretär A. Metz 278 fl. th. (158 Thlr. 25½ Ngr.).
Aus Oesterreich an weiteren Gaben: E-n in Wien 1 Thlr.; Fritz Rottmayer in Wien 2 Thlr.; Friedr. Schwabe in Herrmannstadt „aus unvergänglicher Heimathsliebe“ 10 fl. und Albert Schwabe daselbst „Gott segne die kleine Gabe!“ 5 fl.; Sammlung einiger deutschen Schützen in Wechel bei Türnitz (Niederösterreich) 11 fl.; Sammlung des Doctor Holland in Kirchberg am Walde 62 fl.; von einer kleinen Gesellschaft in Tiefenbach (Böhmen) 11 fl. 50 kr.; deutscher Turnverein in Prag 22 fl. 60 kr.; ein Frauenkränzchen in Herrmannstadt 20 fl. mit den Worten:
„Wir hatten’s gesammelt nur kreuzerweis
In heitern und fröhlichen Stunden;
So hat nun das kleine Blüthenreis
Die beste Verwendung gefunden.“
Pfarrer S. Philp in Schellenberg (bei Herrmannstadt) 5 fl.; von einer kleinen Gesellschaft im Café Muhme in Asch 10 fl. 50 kr.; kleine Tischgesellschaft in Haida 10 fl. 70 kr.; von einer deutschen Frau im Auslande 10 fl.; Ernst Lüdecke in Herrmannstadt 8 fl.; Karl Schwarz und Emrich Bechtensalwi 20 fl.; gesammelt gelegentlich der Wahl des Gemeindevorstandes der Gemeinden Niederreuth, Wernersreuth, Oberreuth und Nassengrub 31 fl. 10 kr.; Schernich in Baden bei Wien 10 fl.; gesammelt auf Veranlassung des Pfarrers und Ortsrichters in der Gemeinde Heidendorf bei Bistritz (Siebenbürgen) 45 fl. 60 kr.; von mehreren Studirenden des evangelischen Obergymnasiums Augsb. C. in Herrmannstadt 27 fl.; Heinrich, Rudolph, Wilhelm und Adolf wiederum 11 fl. 50 kr.; Reinertrag eines von den Schäßburger Musikfreunden gegebenen Concerts, wozu der Eigenthümer des goldenen Kreuzes den Saal gratis überließ, 60 fl. (die mehrgesandten 29 fl. sind weiter nach Straßburg gesandt); Heinrich Gouvers in Wien 15 fl.; durch den Obmann des Vereins der Deutsch-Nationalen in Marburg a. d. Drau (Steiermark) 50 fl.; Gemeinde St. Georg, Bistritzer District in Siebenbürgen, 70 fl.; Sammlung der Gemeinde Heltau bei Herrmannstadt durch Pfarrer Wittstock 103 fl.; Sammlung in Admont und Umgebung (Steiermark) durch den k. k. Ingenieur Bücher 150 fl. (Den wackeren Landsleuten in Siebenbürgen und den braven Steiermärkern, die ihre treue Anhänglichkeit an das deutsche Vaterland in so wirksamer Weise bethätigen, im Namen unserer Wehrleute den herzlichsten Dank!)
Bechstein, Hof- und Stubenvögel. | 5. Aufl. Mit 79 prachtvollen Vogelportraits in Farbendr. eleg. broch. 2 Thlr. |
Bock, Buch vom gesunden und kranken Menschen. | 8. Aufl. broch. 2 Thlr., geb. 2 Thlr. 8 Ngr. |
Gartenlaube, 1859. 1860. 1862-65. 67-1869. | broch. à 2 Thlr., eleg. geb. in gepr. Decke à 22/3 Thlr. |
Glaßbrenner, Adolf, Neuer Reineke Fuchs. | Vierte, verbesserte Ausgabe. broch. 1 Thlr. |
Marlitt, Gold-Else. | 6. Aufl. ungeb. 1 Thlr., geb. 1 Thlr. 8 Ngr. |
Marlitt, Das Geheimniß der alten Mamsell. | 4. Aufl. broch. 2 Thlr. |
Marlitt, Thüringer Erzählungen. | 2. Auflage. 1 Thlr. 15 Ngr. |
Marlitt, Reichsgräfin Gisela. | 2 Bände. 2. Auflage. 2 Thlr. 20 Ngr. |
Prutz, Rob., Buch der Liebe. | eleg. geb. 1 Thlr. 15 Ngr. |
Schefer, Leopold, Für Haus und Herz. | Hinterl. Gedichte. Herausgeg. von R. Gottschall. geb. 1 Thrl. 27 Ngr. |
Schmid, Herman, Gesammelte Schriften. | 27 Bände. à Band 7½ Ngr. |
Stolle, Ausgewählte Schriften. | Volks- und Familienausgabe. 30 Bände. Zweite Auflage. broch. à Band 7½ Ngr. |
Stolle’s Palmen des Friedens. Gedichte. | Eleg. geb. mit Goldschn. 1 Thlr. 15 Ngr. |
Storch, Gedichte. | eleg. cart. 1 Thlr. 6 Ngr. |
Storch, Ausgewählte Romane und Erzählungen. | Volks- und Familienausgabe. 31 Bde. broch. à Bd. 7½ Ngr. |
Traeger, Gedichte. | Achte, sehr vermehrte Auflage. Prachtvoll geb. mit Goldschnitt 1½ Thlr. |
Weber, Carl Maria von, Ein Lebensbild von Max Maria v. Weber. | 3 Bände. 6 Thlr. 25 Ngr. |
Wislicenus, Gustav Adolph, die Bibel. Für denkende Leser betrachtet. | broch. 2¾ Thlr. |
- ↑ Diese Erzählung vom Anfange der Rainer’schen Unternehmungen läßt sich allerdings mit dem Berichte, den ich einst von Joseph Rainer erhalten (Drei Sommer, S. 540) nicht leicht vereinigen, doch fand ich mich nicht berufen, etwas daran zu ändern.
- ↑ Hier folgt wegen der oben empfohlenen „Passaden“ eine Stelle, die wir in unserem Familienblatte unterdrücken müssen. D. Red.