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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1869
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[593]

No. 38.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Verlassen und Verloren.

Historische Erzählung aus dem Spessart.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Eine kühle Nachtluft wehte draußen vom Main her unsern einsamen nächtlichen Reiter an. Er knöpfte seine Uniform dicht zu und trieb sein Pferd zu raschem Schritte an – der Weg war zu schlecht, die Dunkelheit zu groß, als daß es anders als im Schritt hätte vorankommen können – es ließen sich kaum die Gegenstände zur Rechten und Linken des Weges unterscheiden, da der Himmel mit Wolken bedeckt war und nur im Süden ein breiter, kalter Streifen am Horizont dämmerte. Wilderich konnte kaum so viel von dem Wege vor ihm sehen, um sein Pferd um die schlimmsten ausgefahrenen Wegstellen herumführen zu können.

Doch hatte er ein paar Mal den Eindruck, als ob er den Weg nicht allein mache. Sich umblickend hatte er etwas wie einen gleitenden Schatten bemerkt, der sich im Dunkel einer Reihe Weiden, die auf einem Anger zur Seite des Weges standen, fortbewegte – er hielt an, um zu sehen, ob das dunkle Etwas aus dem Schatten der Weiden, da wo diese aufhörten auf die freie Fläche herauskommen würde, aber er mußte sich getäuscht haben, es erschien nichts. Zehn Minuten weiter, den Bergen sich nähernd, lief der Weg durch ein Tannicht; in den schlanken Wipfeln und Aesten der noch jungen Bäume pfiff wie mit leisen Klagetönen und langgezogenem Aechzen der Nachtwind … ein unheimliches Lied, als ob die Nacht den Gefallenen den Todtensang halte … aber es war Wilderich auch, als ob unter den Bäumen Schritte von Zeit zu Zeit dürres Reisig zerträten … es knisterte, als ob ein Wild scheu durch den Tann bräche.

Ein Wild – das konnte es ja auch sein – obwohl es seltsam gewesen wäre, wenn ein Wild nach all’ dem Lärm und Schießen der Menschenjagd sich schon jetzt wieder in diese Wegschluchten des beginnenden Waldgebirgs gewagt hätte!

Er zog eines der Pistolen aus seiner Satteltasche hervor und lockerte den Säbel, der von Zeit zu Zeit klirrend an seine Sporen schlug, in der Scheide.

Das Geräusch aber erstarb; Wilderich begann an andere Dinge zu denken, an die Erlebnisse, die so mächtig seine Gedanken gefangen hielten; er berechnete die Zeit, die er zu seiner Reise bedurfte, er dachte über die Möglichkeit nach, sich ein anderes Pferd zu verschaffen, wenn das seine den Dienst in völliger Erschöpfung versagte – so war er an eine Stelle des Weges gekommen, wo er sich zwischen zwei Ufern befand, die, oben mit Bäumen bestanden, über seinen Pfad unten tiefe Schatten völliger Finsterniß legten. Er warf seinem Thiere den Zügel auf den Nacken und ließ es seinen Weg sich selber suchen, was es, von Zeit zu Zeit gebückten Halses den Boden mit seinen Nüstern anschnaubend, that.

Plötzlich stand es still, stierte vorgestreckten Halses in die Dunkelheit hinein und wieherte wie in Angst und Schrecken laut auf – gegen Wilderich’s Schenkeldruck in seinen keuchenden Flanken sträubte es sich mit einem heftigen Rückwärtsprallen.

Wilderich schimmerte etwas Helles, ein Gegenstand etwa von Menschenlänge entgegen, das quer auf seinem Wege lag … aber er sah es nur mit einem halben, einem Viertelsblick – im nächsten Augenblick fuhr von dem hohen Ufer her ein anderer Gegenstand, eine wie rasend sich auf ihn werfende Gestalt im Sprunge herab, saß auf der Kruppe seines Pferdes, umklammerte seine linke Schulter und vor den Augen des überraschten Reiters blitzte etwas wie eine Klinge. …

Die Klinge war zum Stoß gezückte aber sie konnte den Stoß nicht ausführen in demselben Augenblick, in welchem das Pferd die neue Last auf sich niederkommen gefühlt, hatte es sich steilrecht gebäumt, und statt eines Stoßes in die Seite fühlte Wilderich nur die schwere Faust sich krampfhafter in seine Schulter krallen, um sich festzuhalten.

Er selbst hatte durch die Bewegung des Pferdes sich irren lassen in seinem blitzschnellen Griff nach dem Pistol – er faßte es am Lauf und führte mit dem Kolben einen rasenden Schlag um sich – der Schlag traf mit einem lauten Krach; die Faust an seiner Schulter ließ los – rechts von Wilderich fiel das Messer hin und hinterwärts glitt die Gestalt von der Kruppe des Pferdes nieder – mit einem Aufschreie einem Stöhnen fiel sie zu Boden … plump und schwer … Wilderich athmete ein paar Mal aus tiefster Brust auf; er hatte Mühe sich zu fassen und seine Gedanken so weit zu sammeln, um sich Rechenschaft darüber zu geben, was in dem kurzen Augenblick Alles geschehen – dann glitt er aus dem Sattel zur Erde nieder, beugte sich über den hinter dem schnaubenden Pferde liegenden dunklen Körper, der mit den Armen und Beinen Zuckungen machte, röchelte, dann unbeweglich dalag … neben ihm, einen Schritt weiter, lag ein dreieckiger Hut … so dunkel es war, Wilderich glaubte diese starke untersetzte Gestalt zu erkennen … trotz der schwarzen Fluth, die über das breite Gesicht strömte … der schwarzen Fluth, über deren Toben in seinen Schläfen der Mann vor so kurzer Zeit noch geklagt … es war der pockennarbige Mann aus dem Wirthshause zu Aschaffenburg, der „Gaishof-Stoffel“ – der „Franzosenjäger“, [594] dem ein schicksalschwerer Irrthum hier den Hieb einer deutschen Faust zugezogen, einen Hieb, der ihm an der Schläfe den Schädel gespaltet!

So viel war gewiß, der Mann athmete nicht mehr, er rührte sich nicht mehr, er war todt.

Wilderich blickte eine Weile starr auf ihn nieder – dann ermannte er sich – er machte ein paar Schritte vorwärts, beugte sich dann noch einmal über den helleren Gegenstand, der vor seinem Pferde quer über den Weg lag … es war eine geplünderte Leiche, gewiß die eines Franzosen … der Gaishof-Stoffel mußte, als das Pferd davor scheute und stehen blieb, in der tiefen Wegschlucht, grade den Augenblick gekommen geglaubt haben, um sich auf den vermeintlichen Feind zu stürzen, dem er aus dem Wirthshause bis hierher gefolgt war, um an dem einsamen Reiter einen Act seiner Wiedervergeltungswuth mehr zu üben! –

Wilderich konnte nichts thun, als das Grausen von sich abschütteln, das ihn zwischen den zwei Leichen, bei denen er in dunkler Nacht so allein dastand, und deren eine von seiner Hand gefällt war, gefaßt hatte. Wären auch noch Zeichen des Lebens in dem von ihm Erschlagenen gewesen – er war außer Stande ihm beizuspringen … er beschränkte sich deshalb darauf, den Körper bei Seite zu ziehen, ihn mit der Brust aufrecht gegen das hohe Wegufer zu lehnen … dann nahm er sein Pferd am Zügel, führte es an der andern Leiche vorüber und sprang jenseits derselben wieder in den Sattel, um dem Schauplatz der grauenhaften Begegnung so schnell wie möglich zu entkommen.

Je weiter Wilderich kam, desto häufiger wurden die Spuren der in diesen Thälern, durch die ihn sein Weg führte, stattgefundenen Kämpfe. Vor den Leichen scheute sein Pferd bald nicht mehr zurück, es bog nur schnuppernd und schnaufend zur Seite aus; zuweilen stieß es mit den Hufen klirrend an weggeworfene Waffen, oder bog vor abgespannten, stehen gebliebenen Fuhrwerken aus. Auf Truppen stieß er nicht mehr; der Paß, den ihm Sztarrai gegeben, war überflüssig, die Hauptstärke der Oesterreicher und mit ihnen der bewaffneten Bauern verfolgte die Franzosen auf den Straßen über Hamelburg und Brückenau nach der Lahn hin; der Erzherzog Karl, der auf Frankfurt marschirt war. um es zu occupiren und die Besatzung von Mainz, das seine Siege von der französischen Umschließung befreien mußten, an sich zu ziehen, bivouakirte mit seinen Truppen auf den Straßen, die rechts von Wilderich’s Wege am Mainufer entlang liefen, und in der Umgegend von Aschaffenburg, durch das Wilderich, wie wir sahen, ohne Aufenthalt gekommen war. – –

Es war am Nachmittage, als Wilderich an seinem Ziele, seinem einsamen Forsthause, ankam. Schon als er bei einer Wendung der Mühlenschlucht das Haus erblickte, sah er sich über eine Sorge, welche er in sich getragen, beruhigt. Er fürchtete, daß die Gräuelscenen des Kampfes und der Verfolgung, welche an den vorigen Tagen hier stattgefunden haben müßten, die alte Margarethe mit dem Knaben auf und davon getrieben haben könnten, daß sie sich in einer noch einsamer liegenden Gegend des Waldes ein Asyl gesucht und darin verborgen habe – zum guten Glück sah er sie auf der Treppe vor dem Hause sitzen, den Knaben zwischen ihren Knieen – wie sie immer dasaß, wenn Wilderich Abends heimkam – heute nur nicht beschäftigt wie immer, denn ihr Spinnrad stand nicht neben ihr, sie hatte die Hände gefaltet auf der Schulter des Knaben liegen und sah nachdenklich zu Boden.

Leopold schrie auf, als er den Reiter erblickte und Wilderich erkannte – er stürzte ihm entgegen mit dem lauten Freudenausruf:

„Bruder Wilderich! Da bist Du!“

„Da bin ich, mein Junge … Gott sei gedankt, daß Du zur Stelle bist!“ antwortete Wilderich aus dem Sattel gleitend.

„Heb’ mich auf Dein Pferd, Bruder Wilderich,“ sagte der Kleine, den Steigbügel erfassend.

„Nicht gleich – Du wirst schon hinaufkommen, mein Kind, und länger als Dir lieb sein wird!“ erwiderte Wilderich und gab der alten Margarethe, die dem Knaben nachgeeilt kam die Hand.

„Wie geht’s, Margareth – Ihr lebt also noch und seid nicht gestorben vor Schrecken?“

„Vor Schrecken nicht,“ antwortete die Alte, „aber beinahe aus Angst, daß es Euch an’s Leben gegangen, daß Ihr unter irgend einer Buche und Tanne im Weggraben lägt, und daß ich nun dasäße mit dem verlassenen Jungen da …“

„Für den Jungen ist gesorgt, Muhme Margareth,“ erwiderte Wilderich, „er wird Dir von nun an nicht die geringste Sorge mehr machen!“

„Das Kind … der Leopold?“ rief Margarethe erschrocken aus.

„Der Leopold … ich komme, ihn seinen Eltern zu bringen.“

„Ah … Ihr scherzt wohl … Ihr werdet das Kind nicht fortbringen wollen … das arme Kind …“

„Es ist nicht arm, Margareth – seine Eltern …“

„Seine Eltern haben es verlassen,“ fiel sie hitzig ein, „nun gehört das Kind uns, und Ihr sollt es nicht fortbringen … ich laß’ es nicht, was fingen wir an ohne das Kind in der todtenstillen Försterei!“

„Hast Du nicht oft genug geseufzt über die Sorge um das Kind, Margarethe?“ antwortete Wilderich, indem er bewegt den Knaben an sich zog. „Und glaubst Du, es würde mir leicht, mich von meinem kleinen Bruder zu trennen, dem lieben armen Burschen?“

Er hob das Kind in seine Arme empor und drückte es gerührt an sich.

„Aber so erzählt mir doch, was Ihr erlebt habt, wo Ihr gewesen, was Ihr vorhabt mit dem Leopold, wohin …“

„Das Alles wollen wir ruhig später durchsprechen, alte Margarethe, für jetzt ist nicht Zeit dazu. Ich gehe das Pferd in den Stall zu ziehen und mich umzukleiden. Dann geh’ ich zum Müller hinüber … er lebt doch noch, der Wölfle? … um zu sehen, ob er mir ein andres frisches Pferd verschaffen kann – unterdeß sorgst Du für ein Abendessen für den Leopold und mich und kleidest mir das Kind warm und vorsorglich für die Reise an.“ …

„Heilige Muttergottes, Ihr wollt doch nicht sogleich und durch die Nacht …“

„Sogleich und durch die Nacht, sobald ich ein andres Pferd habe.“ …

Wilderich entzog sich den weiteren Ausrufungen der alten Margarethe, indem er sein müdes Roß um das Haus herum zum Stalle führte. Dann ging er, seine Franzosen-Montur abzuwerfen und seine beste Förster-Uniform anzuziehen, den Hirschfänger anzuschnallen und die alte Büchse überzuwerfen, die ihm geblieben, nachdem er seine beste und sicherste Waffe damals, als er sich im Walde in einen französischen Chasseur verwandelt hatte, zurücklassen müssen, und endlich eilte er zum Müller drüben.

Der Müller war noch nicht heimgekehrt; die Mühlräder standen still, und ebenso still war es im Hause – nur die Frauen waren da, des Müllers Weib und die Schwiegermutter mit den Kindern – sie bestürmten Wilderich mit Fragen nach dem Mann, der noch mit den Andern auf der Franzosenjagd war, und nach allen den Andern aus der Nachbarschaft – Wilderich hatte Mühe, ihnen begreiflich zu machen, wie wenig er davon wisse und daß er nur gekommen des Müllers Rath zu verlangen, wie er zu einem Pferde komme. Darin konnten ihm die Frauen auch ohne den Müller helfen, sie wußten, daß drei gute Beutepferde, welche die Bauern sich, wenn sie zurückgekommen, theilen wollten, auf einem nicht fernen Hofe eingestallt seien – Wilderich hatte nur eine Viertelstunde zu gehen, um ihn zu erreichen. – Trotz seiner Ermüdung trat er sofort den Weg an, das Gehen war ihm nach dem langen Reiten eine Wohlthat – auf dem Hofe fand er ebenfalls nur Frauen und den alten halbblinden Sauhirten, auf dessen Protestationen er nicht achtete – er nahm das beste der drei Pferde und führte es am Zügel mit sich.

Als er heimkam, hatte die alte Margarethe für Alles gesorgt, ihre Vorräthe waren zwar arg von der Einquartierung mitgenommen, aber sie hatte ja die verschüchtert in den Wald gelaufenen Hühner wieder zusammengebracht und ihre Ziegen hatten ebenfalls die Katastrophe überlebt – Wilderich konnte erquickt und gestärkt beim Dunkelwerden sein frisches Roß besteigen, den in ein warmes Umschlagetuch Margarethens gehüllten Knaben vor sich auf den Sattel nehmen und dann, während die Alte ihre bitteren Thränen über den Abschied von ihrem oft gescholtenen „Prinzen“ weinte, davonreiten.




14.

Es war am anderen Abend, als er Frankfurt erreichte; in Hanau war er jetzt auf kaiserliche Truppen gestoßen; er hörte dort, daß sie am folgenden Tage den Marsch auf Frankfurt antreten sollten, während von der anderen Seite, von Höchst her, das bereits [595] besetzt war, ein anderes Corps zur Vertreibung der Franzosen aus der alten Kaiserstadt anrücken würde. Um so eiliger suchte Wilderich vorwärts zu kommen, in der Angst, daß der französische Commandant, dem klar werden mußte, wie kurz seines Bleibens in der von ihm tyrannisirten Stadt nur noch sein könne, desto grausamer und rücksichtsloser über das Schicksal des armen gefangenen Schultheißen entschieden und das Aergste vollführt habe.

An dem Allerheiligenthor – Frankfurt hatte damals noch von seinen alten Befestigungen einen bastionirten Wall mit zerfallener Brustwehr und einem breiten Wassergraben und seine sämmtlichen Thore – am Allerheiligenthor wurde er von der französischen Wache angehalten. Er mußte Auskunft über sich geben – als man Schwierigkeiten machte, ihn durchzulassen, verlangte er lebhaft zum Capitain Lesaillier geführt zu werden … „zum General Duvignot, zum Commandanten …“ rief er endlich aus, als er sah, daß die Mannschaft auf der Wache den Capitain Lesaillier nicht kannte.

„Das kann geschehen,“ versetzte der wachhabende Officier, rief einen Unterofficier vor und befahl diesem, ihn vor den Commandanten zu führen.

Der Unterofficier winkte ihm und schritt neben seinem Pferde her, der Zeil zu.

Wilderich sagte, als sie die erste Straße hinter sich hatten: „Mein Freund, Sie begreifen, daß ich nicht mit dem Pferde und mit diesem vor Ermüdung halb todten Kinde vor dem Commandanten erscheinen kann.“

„Das ist wahr,“ antwortete der Mann; „wir müssen Beide unterbringen.“

„Ist es Ihnen Eins, in welchem Wirthshause?“

„Wenn es nicht vom Wege abliegt – sicherlich.“

„So kommen Sie!“

Wilderich lenkte sein Pferd dem nahen „Grauen Falken“ zu. Als er auf den Hof ritt, fand er die Pulverwagen abgefahren und seinen Sachsenhäuser an die Stallthüre gelehnt, mit Behagen aus einer kurzen Pfeife rauchend und den Genuß nachholend, den er sich während der Anwesenheit der bedrohlichen Fracht auf dem Hof hatte versagen müssen.

„Wie, seid Ihr das?“ sagte der Mann, als er den Reiter erkannt hatte. „Zum Teufel, Ihr steckt ja täglich in einer neuen Uniform … diese da steht Euch besser!“

Wilderich ließ den Knaben, der ermattet und schlaftrunken in seinen Armen hing, dem Sachsenhäuser in die Hände gleiten und sprang dann selbst zur Erde.

„Da nehmt – nehmt mir auch das Pferd ab,“ rief er aus … „und sagt mir – ist Nichts geschehen in der Stadt, ist Niemand gerichtet, erschossen …?“

„Erschossen … nun freilich!“ rief der Sachsenhäuser. „Ohne Blut thun’s ja … Gott, steh’ mir bei! Euer Franzose da wird doch kein Deutsch verstehn?“

„Sprecht, sprecht, wer ist erschossen – der Schultheiß …?“

„Der Vollrath? … bewahre … der sitzt auf dem Eschenheimer Thurm, aber erschossen ist er nicht …“

„Gott sei gedankt!“ rief Wilderich aus tiefster Brust.

„Nur die Bauern sind heut’ erschossen, die armen Teufel … drei Bauern, die sie sich eingefangen haben … das war heut’ Morgen … gestern ist’s zwei Klingenberger Bauern, zwei ganz unschuldigen Burschen, nicht besser gegangen …“

„Nun, sorgt für das Kind und das Pferd,“ fiel Wilderich ihm in die Rede. „Bringt das Kind auf Euer Bett in Eurer Kammer – laßt es keinen Augenblick aus den Augen – hört Ihr – Ihr sollt reich belohnt werden – reicher als Ihr denkt, wollt Ihr?“

„Weshalb nicht? – Es soll schon für das Jüngelchen gesorgt werden – wenn Ihr nicht zurückkommt, ihn mir vom Halse zu schaffen, nehm’ ich als Trinkgeld Euren Gaul.“

„Das mögt Ihr!“ erwiderte Wilderich, indem er hastig den Knaben an sich drückte und ihn zu beschwichtigen suchte, da er plötzlich in lautes Weinen ausgebrochen war, als er sah, daß Wilderich ihn allein bei dem fremden Mann lassen wollte.

„Sei ruhig, sei ruhig, mein Kind,“ sagte er, „ich komme zurück, sogleich, sogleich – Du sollst schlafen, und wenn Du wieder erwachst, steh’ ich an Deinem Bettchen …“

„Margareth, Mutter Margareth – ich will zu Mutter Margareth!“ schrie der Kleine wie in Verzweiflung auf, als ob er, empört darüber, daß Wilderich ihn verlassen wolle, nur noch auf die alte Margareth in der Welt zähle.

„Na, so komm’, Du Zappelfisch, wir wollen sehen, ob die Margareth oben in meiner Kammer ist,“ sagte der Sachsenhäuser, während Wilderich sich hastig wendete und mit seinem Franzosen davon ging.

Es war stiller auf den Straßen Frankfurts als das erste Mal, da Wilderich in die Stadt eingeritten – die Verwundeten, die Marodeurs, die in Auflösung gerathenen Truppen waren fort und dem Heere in nördlicher Richtung nachgesandt – man sah nur Mannschaften von in Ordnung gehaltenen Corps – wenn auch eine starke Patrouille, welche Wilderich begegnete, in der Haltung und in ihrem ganzen Aufzuge verrieth, daß sie im Felde gewesen und von starken Strapazen heruntergebracht war. Als Wilderich im Hause des Schultheißen angekommen, fand er den Flur nicht mehr von Menschen erfüllt wie das erste Mal – nur einige Ordonnanzen waren da, die jetzt Raum genug gefunden, einen Tisch aufzustellen und mit jenen republikanischen Karten zu spielen, auf denen der König durch „La France“ und der „Valet“ durch die Freiheitsgöttin ersetzt war.

Ein Adjutant trat eben aus dem Nebenzimmer, in welchem Wilderich die Unterredung mit Lesaillier gehabt, und der Unterofficier rapportirte; der Adjutant sandte den letzteren fort, zu seiner Wache zurück, und winkte Wilderich, ihn zum Commandanten zu begleiten. Wilderich folgte ihm die Treppe hinauf und trat hinter dem Adjutanten in das Zimmer Duvignot’s; er sah diesen an seinem Tisch sitzend, den Rücken der Thür zukehrend, den Kopf auf den linken Arm gestützt, während die rechte Hand auf einem vor ihm liegenden Papier Figuren kritzelte.

„Citoyen General!“ meldete der Adjutant. „Die Wache am Allerheiligenthor schickt einen Mann, der sich nicht ausweisen kann, und darauf bestanden hat, vor den Commandanten …“

Duvignot hatte unterdeß langsam den Kopf gehoben und gewendet – im Augenblick, wo er Wilderich’s ansichtig wurde, verzog sich seine Stirn in Falten, er schloß halb die Augen, wie um schärfer zu sehen und ihn zu erkennen – dann sprang er plötzlich auf, mit dem Ausruf:

„Was – Sie sind’s? Diesmal in einer anderen Maske! Zum Teufel, was bringt Sie zurück – in die Höhle des Löwen, Unglücksmensch!“ setzte er mit aufflammendem Zorn hinzu, indem er Wilderich einen Schritt entgegentrat.

„Ich gab mein Ehrenwort, daß ich zurückkommen würde … und hier bin ich!“

„Unglaublich! Sind Sie so dumm, daß Sie mir in die Hände rennen, sich von mir in die Hölle schicken zu lassen?“

„Ich bin klug genug zu wissen, daß Sie mir kein Haar krümmen werden, General!“ antwortete Wilderich ruhig.

„Wir werden sehen!“

„Es war,“ fuhr Wilderich fort, „freilich nicht mein Wille, just zu Ihnen zu kommen – man hat mich vor Sie geführt – nun bitte ich Sie, mich zu der Frau dieses Hauses zu führen!“

„Ich … Sie?“

„Ich bitte darum … ich habe mein Lesaillier gegebenes Ehrenwort auf eine Weise gehalten, die Ihnen beweisen muß, daß man auf mein Wort bauen kann!“

„Das ist wahr!“

„Nun wohl, ich gebe es Ihnen noch einmal, daß ich die Frau dieses Hauses sprechen muß, um ihr das Wichtigste mitzutheilen, was ihr ein Mensch auf Erden mittheilen kann …“

„Und was ist das?“

„Ich werde es ihr sagen!“

„Heraus mit der Sprache… ich will wissen, was …“

„Ich habe gesprochen, was ich Ihnen zu sagen hatte … führen Sie mich zu ihr!“

Wilderich’s ruhige Entschlossenheit imponirte Duvignot. Er warf einen zornig forschenden Blick auf ihn, dann wandte er sich zu gehen.

„Kommen Sie!“ sagte er dabei.

Er führte Wilderich über den Corridor in das Wohngemach Marcellinens; sie war nicht darin, aber sie trat, als sie die Schritte der Männer hörte, aus der halbgeöffneten Thür des Nebenzimmers.

„Der Mensch hier hat Ihnen eine Mittheilung zu machen, Madame, wie er vorgiebt,“ sagte der General.

[596] „Mir?“ fragte Marcelline, forschend zu dem jungen Mann hinüberblickend.

„So ist es, Madame,“ antwortete dieser, „Ihnen, der Mutter des kleinen Leopold …“

Marcelline wurde bleich, ihre ganze Gestalt schrak zusammen – sie sah starr den fremden jungen Mann an und öffnete die Lippen, ohne daß sie ein Wort hervorbrachte.

„Ich komme, Ihnen Ihren Sohn zurückzubringen.“

„O – um Gott – Leopold – das Kind ist …“

„In meinen Händen – seit langer, langer Zeit – ich habe es treulich gepflegt, ich habe es wie einen jüngeren mir anvertrauten Bruder betrachtet, ich habe es von Herzen lieb gewonnen, so lieb, daß ich mich schwer von ihm trenne …“

„Aber wie ist es möglich,“ rief hier Duvignot aus, „daß dies Kind in Ihren Händen sein kann? Ihre Behauptung ist Wahnsinn – ist eine Lüge, und …“

„Wie das möglich ist? Ich denke, Sie, mein Herr General, können wohl ebenso viel zur Erklärung dessen beitragen, als ich …“

„O mein Gott, mein Gott, sprechen Sie weiter – sagen Sie, wo ist das Kind, wo ist es?!“

Marcelline, die dies ausrief, hob dabei wie flehend die gefalteten Hände empor.

„Es ist in Ihrer Nähe,“ erwiderte Wilderich, „und ich sage Ihnen, ich komme es in Ihre Arme zu führen – ich werde dies aber erst dann thun, wenn Sie sofort Demoiselle Benedicte rufen lassen und ihr das furchtbare Unrecht abbitten, welches Sie ihr angethan – das ist meine erste Bedingung, und die zweite, daß dieser Mann hier seinen abscheulichen Vorsatz fallen läßt, mich und den Schultheiß wegen des Briefes des Erzherzogs verfolgen lassen zu wollen!“

„Wie können Sie reden von Bedingungen!“ rief Marcelline aus, „geben Sie mir das Kind zurück, und ich will Benedicte den Saum des Kleides küssen!“

„Habe ich Ihr Wort?“ fragte Wilderich den General.

„So reden Sie doch erst, wie es möglich ist, daß Sie der Hüter dieses Knaben sind …“

„Ich verlange, daß Sie mir glauben,“ entgegnete Wilderich gebieterisch, „ich werde keine Silbe reden, bis Benedicte hier ist, nur vor ihr!“

„So lassen Sie das Mädchen holen!“ rief Duvignot.

Marcelline flog, wie von Stahlfedern geschnellt, davon.

Wilderich ließ sich müde in einen Armsessel nieder; Duvignot wandte sich schweigend zum Fenster – wie um den Ausdruck furchtbarer Bewegung und Spannung zu verbergen, der auf seinen harten gebräunten Zügen lag.

So verrannen die Minuten, bis das Rauschen von Frauenkleidern hörbar wurde; Marcelline trat mit Benedicte, sie an der Hand führend, durch die offene Thür des Nebenzimmers herein – Benedictens bleiches Gesicht hatte eine leise Röthe überflogen, als ihr Blick auf Wilderich fiel – ihre blauen Augen wurden feucht, sie streckte ihm die Hände entgegen, sie eilte mit dem Impuls des Herzens, der mächtiger war, als jede Rücksicht auf die Anwesenden, auf ihn zu, sie warf sich an seine Brust, um sich dann sofort wieder loszureißen, und dabei rief sie aus der schweraufathmenden Brust:

„Sie … Sie kommen zurück … Sie … hierher?“

„In die Höhle der Löwen,“ antwortete lächelnd Wilderich, ihre beiden Hände festhaltend, um sie in tiefer Rührung an seine Brust zu drücken – „der Löwen,“ fügte er hinzu, „die uns nun nichts mehr anhaben werden …“

„So reden Sie, reden Sie jetzt!“ fuhr Duvignot, sich wendend, stürmisch dazwischen.

„Das will ich,“ antwortete Wilderich – „Sie sollen hören, wie ungerecht, wie abscheulich an diesem jungen Mädchen gefrevelt ist! Sie haben sie beschuldigt, das Kind geraubt zu haben …“

„Wie konnte ich anders!“ rief Marcelline mit fliegendem Athem aus. „Wissen Sie denn etwas von Allem dem, was hier geschehen ist, als man mir das Kind entführte?“

„Was ich weiß, das stehe ich ja eben im Begriff zu sagen,“ entgegnete Wilderich, „Alles, was ich weiß – hören Sie nur zu.“

Wilderich begann zu erzählen – er gab über die Art, wie er der Pflegevater des kleinen Leopold geworden, denselben Bericht, den wir ihn früher der Muhme Margareth geben hörten.

„Dieser abscheuliche Bube, diese Schlange, dieser Grand de Bateillère!“ fuhr bei dieser Erzählung mehrmals Duvignot dazwischen, in furchtbarem Zorn hin und her rennend, „ich werde ihn erwürgen, ich werde ihn tödten!“

„Also Er – also Du, Ihr wart es?“ stammelte kaum hörbar und in ihren Sessel zusammensinkend, wie entsetzt und verzweifelt, Frau Marcelline – sie barg das Gesicht in ihren Händen und brach in furchtbares Schluchzen aus.

„O, so bringen Sie mir das Kind – bringen Sie mir es!“ rief sie dann, das mit Thränen überströmte Gesicht zu Wilderich emporhebend.

„Ich will es,“ versetzte Wilderich – „ich denke ja, meine Bedingungen sind bewilligt, mein Herr General und Commandant …“

„Zum Teufel, so gehen Sie doch, statt all’ dieser überflüssigen Worte!“ schrie Duvignot in Wuth.

„Lassen Sie mich, mich, die es geraubt haben sollte, es in dieses Haus zurückbringen!“ bat leise Benedicte.

„Ja, Sie, Sie sollen es,“ antwortete Wilderich bewegt, die Hand des jungen Mädchens ergreifend, „um Ihretwillen geschah ja Alles, wären Sie nicht gewesen, ich wäre nie hierher gekommen – Sie sollen das Kind in den Arm dieser Frau legen, Ihnen, der man seinen Tod schuld gab, Ihnen allein verdankt sie es – o kommen Sie!“

Benedicte eilte in’s Nebenzimmer, nach irgend einem Tuch, einem Hut zu greifen, dann kam sie zurück, legte ihren Arm in den Wilderich’s und Beide gingen.

Duvignot war noch in seinem wüthenden Auf- und Ablaufen begriffen … Marcelline lag still weinend in ihrem Sessel, endlich stand er vor ihr still und sagte:

„Höre, Marcelline … höre mich an … Du wirst mich dann weniger schuldig sprechen … ich hatte meine Gründe, meine guten Gründe, als ich im Einverständniß mit Grand handelte…“

„Was sollen mir Deine Gründe?“ versetzte Marcelline, ohne ihr Gesicht zu erheben „was sollen sie mir?“

„Sieh,“ fuhr er fort, „Benedicte war lange, lange Deines Mannes Erbin, die einzige Erbin … ihr gehörte einst Alles … der ganze Reichthum der Vollraths … da wurde Leopold geboren und Benedicte war nun arm, es mußte Alles dem männlichen Erben zufallen … wir hatten meinem Vetter Grand Benedicte verlobt … er murrte darüber … über diesen Knaben, über das furchtbare Unrecht, das seiner Braut dadurch zugefügt werde … ich sagte ihm endlich: ‚nimm den Knaben, nimm ihn, laß ihn verschwinden, bring ihn in unsere Heimath, in die Bretagne und sorge dort für ihn, bis ich komme, mich meines Kindes anzunehmen … mir ist der Gedanke unerträglich, daß er hier bleiben und dieses alten Schöffen Erbe werden soll‘ – und, um aufrichtig zu sein, Marcelline, um Dir Alles zu gestehen … ich sah ja ein, daß meines Bleibens nicht für immer hier sein könne, ich sah bei Deinem Charakter die Stürme voraus, die wir gestern und heute richtig erlebt haben … es war mir willkommen, Leopold in die Heimath voraus senden zu können, nicht allein mir das Kind zu sichern, sondern dadurch auch ein unfehlbares Mittel zu haben, Dich zu zwingen …“

Marcelline machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

„Es ist entsetzlich!“ sagte sie leise, sich aufrichtend, die Hände im Schooße haltend und den Boden anstarrend.

Er fuhr fort:

„So geschah’s. Die Ausführung war so leicht … ich selber holte das Kind aus der Kammer seiner schlafenden Wärterin und brachte es die Hintertreppe hinab, auf die Straße hinaus, wo Grand es mir abnahm. Er nahm es unter seinen Mantel und ging damit zum Gallusthore, wo er es seinem Diener übergab, der das Kind bis zu einem Orte jenseits Mainz brachte, wo er auf Grand warten sollte. Dieser kehrte in sein Quartier zurück.

Was am andern Morgen geschah, weißt Du: Gedrängt, Grand, dessen Abreise bevorstand, das Jawort zu geben, hatte sich Benedicte entschlossen, in dieser selben Nacht das Vaterhaus zu verlassen und sich vor der Verbindung, die sie eingehen sollte, durch die Flucht zu retten. Sie war verschwunden, ein Brief, den sie auf ihrem Tische zurückgelassen, war Deinem Manne gebracht worden – und zugleich durcheilte heulend die Wärterin des Kindes das Haus, das Kind war verschwunden – wer anders konnte es geraubt haben, geraubt um sich zu rächen, geraubt vielleicht, um es verschwinden

[597] 

Fang eines Potwals.
Nach einem amerikanischen Originalbilde.

[598] zu machen und so wieder die unbestrittene Erbin zu werden, als Benedicte? Ein Zweifel an ihrer Schuld stieg in keines Menschen Seele auf – und ich, sollte ich sie rechtfertigen? Wahrhaftig, es war mir nicht zuzumuthen. Mir konnte diese Deutung nur willkommen sein. Was stand in dem Briefe, den sie ihrem Vater hinterlassen? Eine Erklärung ihres Schrittes, Klagen über die Gewalt, welche man ihrem freien Willen anthun wollen … das gewiß! Aber nicht auch mehr? Rächte sie sich nicht, indem sie uns anklagte? indem sie Deinem Manne das Geheimniß unserer Liebe verrieth? indem sie ihm alles aufdeckte, was sie beobachtet, durchschaut hatte? Ich zweifelte keinen Augenblick daran. Und was kam nun mehr im richtigen Momente, was entscheidender uns zu Hülfe, als dieser Verdacht, diese Ueberzeugung von der nichtswürdigen Handlung Benedictens – Dein Mann konnte, es mochte nun in dem Briefe stehen, was da wollte, nicht das mindeste Gewicht auf die Anklagen Benedictens wider ihre Stiefmutter mehr legen – die Anklagen eines Geschöpfes, das so zu handeln fähig!“

„Gewiß, gewiß, es war sehr politisch, sehr edel, daß Du schwiegst, und auch mich in dem Wahne ließest,“ sagte Marcelline bitter und ohne Duvignot anzusehen.

„Aber dieser Elende, dieser Grand, der mich so betrog!“ knirschte Duvignot ingrimmig zwischen den Zähnen. „Er ist mir unbegreiflich …“

„Mir nicht,“ sagte Marcelline mit leisem, aber fast höhnischem Tone. „Er entledigte sich des Kindes, das ihm eine Last war. Hätte sich seine Hoffnung erfüllt, wäre er der Mann Benedictens und der Eigenthümer ihres Erbes geworden, so war es für ihn viel beruhigender, Leopold ganz beseitigt als in Deinen Händen zu wissen. Du konntest später jeden Augenblick den Knaben wieder auftauchen lassen, um für ihn sein Recht zu fordern; Grand war in Deine Hände gegeben, so lange Leopold in Deinen Händen war – darum ließ er Leopold verschwinden!“

„Ich glaube, Du hast Recht, Marcelline,“ erwiderte offenbar überrascht Duvignot. „Wie Ihr Weiber solche Canaillerien stets schneller durchschaut als wir!“ –

Eine stumme Pause folgte. Marcelline begann in Spannung und Ungeduld auf jedes Geräusch, das im Hause laut wurde, zu horchen.

Dann wie mit einem plötzlichen sich Besinnen auffahrend sagte sie:

„Weshalb[WS 1] gehst Du, weshalb sendest Du nicht, meinem Manne die Freiheit geben zu lassen?“

Duvignot blickte sie an, ohne zu antworten.

„Der fremde Mensch hat es Dir zur Bedingung gemacht …“

„Hat er?“ fragte Duvignot wie zerstreut.

„Mein Gott,“ rief Marcelline auffahrend aus, „Du wirst das doch nicht leugnen wollen, Du wirst …“

„Ich werde Bedingungen, welche ich angenommen habe, auch erfüllen. Aber zuerst möchte ich doch sehn, daß dieser Fremde, der sie mir vorschreibt, auch die seinigen erfüllt! Ich sehe bis jetzt nicht viel davon und so lange … so lange ich Leopold nicht sehe, bin ich nicht geneigt, irgend Schritte zu thun, die wider mein Interesse sind, die mir die Waffen aus den Händen reißen …“

„Waffen? O mein Gott, wozu bedarfst Du noch der Waffen … was willst, was sinnst Du?“

Duvignot zuckte die Achseln.

„Was ich will, was ich sinne? Brauche ich Dir das zu sagen? Zum hundertsten, zum tausendsten Male? Glaubst Du etwa, ich hätte das zerknirschende Gefühl eines demüthigen Sünders in mir und zöge nun kleinlaut ab, mit einem ‚Verzeihung, Madame!‘ und ‚Seien Sie glücklich – weihen Sie mir Unglücklichem eine Thräne, wenn ich Ihnen anders derselben noch würdig scheine!‘?“

Duvignot lachte nach diesen Worten bitter und höhnisch auf.

„Nein,“ sagte er dann zornig, ingrimmig, die Stirn in Falten ziehend, die Arme auf der Brust verschlingend, „Du und Dein Kind, Ihr seid mein, mir gehört Ihr, und eher laß ich die ganze Stadt niederbrennen, eher spreng’ ich Eure Thürme in die Luft, eher laß ich den Main sich vor Leichenhaufen stauen, ehe ich meinen Willen beuge, ehe ich Dich lasse, ehe ich …“

Marcelline hatte sich langsam wie in furchtbarem Erschrecken vor diesem Ausbruch unbändiger Leidenschaft erhoben – sie hielt sich, geisterbleich, mit großen vor Angst starrenden Augen, zitternd an der Lehne ihres Sessels aufrecht … sie streckte die andre Hand gegen ihn aus und wie kaum mehr fähig zu reden und doch Herrin noch ihrer ganzen Willenskraft, sagte sie leise, aber feierlich:

„Und ich, ich schwöre Dir, daß ich mich eher unter diesen in die Luft gesprengten Thürmen begraben, eher zu den Leichen, die das Flußbett ausfüllen werden, werfen lasse, als daß ich jetzt, jetzt noch Dir folgte!“

Duvignot blickte sie mit wuthflammenden Augen an – dann wandte er sich ab, zuckte die Achseln und ging.

Marcelline lauschte seinen Schritten; als sie verhallt waren, sank sie in ihren Sessel zurück und athmete tief, tief auf. Und dann … dann fuhr sie wieder empor … lauschte … Schritte von Kommenden wurden hörbar auf der Treppe … sie stieß einen Schrei aus … sie flog zur Thür … diese öffnete sich eben und Benedicte trat herein, auf ihrem Arme den Knaben, dessen Haupt im nächsten Augenblick an der Brust seiner Mutter ruhte, überströmt von ihren Thränen. –

(Schluß folgt.)




Fang eines Potwals.

Aus meinem Tagebuche, von M. E. P.
(Mit Abbildung.)

Vor einigen Wochen hatten wir die Linie passirt und segelten jetzt nach Cap Horn und dem Stillen Ocean; das Wetter war trübe und eine scharfe Südost-Brise trieb die Wellen mit zunehmender Heftigkeit vor sich her. Die Hälfte der Mannschaft, durch unsere Wache vom Dienste abgelöst, verschlief den Nachmittag unter Deck; brummend schlenderte der Capitän umher, bald Segel und Masten mit prüfendem Auge überlaufend, bald dem Mann am Steuer ein grollendes Wort zuwerfend – da plötzlich erschallen von dem Mast herab die wohlbekannten, langgezogenen Töne: „Bläst! Er blä – – st! Bläst!“ Der Capitän springt nach vorn: „Wo hinaus?“ hallt es zum Ausguck hinauf. „Bläst! Bläst!“ antwortet ein jubelnder Chor von Deck aus; „dort sind sie!“ Und so ist es, nicht weit vom Schiff tauchen wohl ein Dutzend dunkle, glänzende Riesenleiber auf.

Ein kurzer Blick genügt dem Capitän. „Ruft alle Mann!“ kommt das Commando klar und ruhig. „Fertig zum Beidrehen!“ Wir springen nach den Brassen; ein gedehntes „Alle Mann auf! Zu den Booten!“ erweckt die Schläfer im Logis. Schon stürzen sie an Deck, Viele nur halb bekleidet nach ihren Plätzen eilend und im tollen Eifer das Nothwendigste in den Händen tragend. Eine scheinbare Verwirrung herrscht überall; die vorderen Segel schwingen zugleich herum und der Wind, sie voll von vorn treffend, bringt das Schiff zum Stillstehen. „Hißt und schwingt die Boote!“ Schon sind sie klar gemacht, kaum wird das Wort gegeben, so verschwinden sie über die Seite; Officier und Harpunier stehen im Stern und Bug derselben, die übrigen vier Mann klettern wie die Katzen an den Schiffswänden hinab und springen und fallen an ihre Plätze in den schaukelnden Fahrzeugen; wer fühlt jetzt wohl Püffe und Stöße! Ein kurzes Klappern von Rudern, ein paar kurze Worte – und im tollsten Wetteifer fliegen die Boote hinaus über die schäumenden Wellen. Während nun die Schiffshüter die Verwirrung an Deck ordnen, steigt der Capitän mit umgeschlungenem Fernrohr zur Mastspitze hinauf. –

Es ist vielleicht dienlich, eine kurze Beschreibung der zur Walfischjagd gebrauchten Boote einzuschalten. Dieselben sind ungefähr dreißig Fuß lang und sechs Fuß breit, an beiden Enden gleich scharf gebaut, vom leichtesten Cedernholz und ohne Kiel, an dessen Stelle ein bewegliches Brett tritt. Sie führen Mast und Segel zum Niederlegen eingerichtet, fünf lange Ruder an den Seiten und ein eben solches am Stern; dieses letztere, gerade nach hinten hinausragend, dient dem Officier während des Kampfes zum schnellen Herumwerfen des Bootes. Die Ausrüstung besteht aus vier bis sechs Harpunen, mehreren dünnen, bis sechs Fuß im Eisen langen Handlanzen mit kleiner blattförmiger Schneide, aus [599] einem kleinen Beil, Speckspaten, Compaß, einem Fäßchen mit Wasser und einem anderen, die Laterne und etwas Schiffsbrod enthaltend; häufig führt man auch jetzt eine sehr schwere, kanonengleiche Büchse mit eisernem Sprenggeschoß geladen.

Die Leine, ungefähr einen Zoll stark und vom besten Manila-Hanf gedreht, durchschnittlich dreihundertfünfzig Faden lang, ist mit der gewissenhaftesten Sorgfalt in zwei flache, zwischen den Ruderbänken befestigte Zuber eingerollt; von diesen aus ist sie nach hinten gelegt, schlingt sich im Stern um einen Kopf von hartem Holz und läuft von dort, zwischen der Bemannung hindurch, über die ganze Länge des Bootes nach vorn und vermittelst einer kleinen führenden Rolle im Bug hinaus in die Tiefe. An diesem Ende der Leine sind nun die beiden Harpunen befestigt, welche ein geübter Harpunier, der Sicherheit wegen, schnell hintereinander dem angegriffenen Thiere „giebt“. In jedem Boot befinden sich ein Steuermann, ein Harpunier und vier Ruderer, erlesene Leute, welche stets ihren bestimmten Platz haben, um ein erfolgreiches Zusammenwirken zu ermöglichen, und welche auf die Leistungen ihres Fahrzeugs äußerst eifersüchtig sind. –

Nun beginnt die wilde Jagd; mit ermunterndem Zuruf feuern wir uns gegenseitig an und die schweren Ruder biegen sich in langem, gleichmäßigem Zuge. Mit weitem Auge überblickt der Officier die unruhige See und mit kräftigem Schwung seines Steuerruders wirft er das Boot schnell in jede günstige Richtung. So nähern wir uns den Walen, die vereinzelt auf und nieder tauchen. Soeben ist einer derselben an die Oberfläche des Wassers gekommen, nicht weit von uns zeigt sich sein „Spant“ (Athemstrahl); wie das Boot fliegt! „Streicht, Jungen! Streicht! Der Officier spricht mehr durch Geberden als durch Worte; geräuschlos zieht der Harpunier sein Ruder ein, sich im Bug aufrichtend, prüft er nochmals vorsichtig die Leinen und, den linken Schenkel fest angestemmt, wiegt er den schweren Schaft der Harpune in den Händen. Pfeilschnell nahen wir der runden, schwarzglänzenden Masse, schon strafft sich der Arm zum tödtlichen Wurf – da versinkt der wachsame Wal und wir schießen im nächsten Augenblick über die leere, strudelnde Stelle.

Die Beute ist entkommen, athemlos und enttäuscht haben wir das Nachsehen. Zum größten Aerger wird unser Boot auch noch zum Schiff zurückgerufen, da wir, bei dem zum Abend heftiger werdenden Wind, helfen sollen, die Segel zu kürzen. Dies gethan, stehen wir verdrießlich an Deck und beobachten mit sehnsüchtigen Blicken die anderen Fahrzeuge.

Die Jagd zieht sich mehr und mehr windwärts; das eine Boot hat es möglich gemacht, den kleinen Mast aufzurichten, jetzt fliegt es unter gerefftem Segel vor dem Winde her, wie ein Raubvogel auf einen träge in den Wellen liegenden Wal zuschießend. Unsere Spannung steigt auf’s Höchste – noch eine Minute – noch eine einzige halbe Minute und sie werden in Wurfweite sein – da! – der Wal hat den nahenden Feind bemerkt, er hebt sich zum Hinabtauchen – zu spät, alter Bursche – heran braust das brave Boot, im Bug steht der Harpunier wie ein Neptun, ausholend mit mächtigem Wurf entsendet er das Eisen und mit wuchtigem Fall begräbt es sich in dem Riesenleibe des verschwindenden Thieres.

Ein Moment peinlicher Ungewißheit – der Wal ist untergetaucht, er hat nur eine Harpune bekommen – das Boot schwankt auf den quirlenden Wassern, sein kleines Segel flattert im Winde – aber jetzt! – dort geht es hin, von einer unsichtbaren Macht fortgerissen über und durch die Wellen. „Fest! fest!“ schreit und jubelt Alles, die wilde Lust kennt keine Grenzen. Die Flagge entfaltet sich an der Gaffel und die wehenden Sterne und Streifen verkünden den anderen Booten das glückliche Ereigniß und sie eilen mit Aufbietung aller Kräfte zu Hülfe. Unterdessen hat sich der harpunirte Wal dem Schiffe genähert, er taucht auf und verschwindet wieder; doch nun eilt auch das festgemachte Boot herbei, jetzt erst den eigentlichen Kampf zu beginnen; aber wo ist die Beute? – da! seht! Im Nu ist die Nußschale emporgehoben und überworfen, der ungeschlachte Kopf des Wals erscheint einen Augenblick über Wasser, und dann senden die gewaltigen Schläge des Schwanzes die Trümmer nach allen Seiten. Wassergarben werden emporgeworfen, Schaum und Gischt bezeichnen die Unglücksstätte, wo sich das bösartige Thier zwischen den Ueberresten umherwälzt, wüthend nach den Stücken beißend.

Der Capitän auf der Mastspitze tobt. „Bringt mir diesen Fisch, Jungen! Bringt mir diesen …“ Mehr hören wir nicht; nach unserm Boote stürzend sind wir schnell hinunter auf das Wasser und legen uns in die Ruder; die Anderen mögen unsere umherschwimmenden Cameraden retten, an uns ist es, sie zu rächen.

Im Fluge nehmen wir die Richtung, in welcher der Wal verschwunden ist; hoch empor heben uns die Wellen, dann wieder sinken wir hinab zwischen flüssige Berge und das Spritzwasser kühlt unsere heißen Stirnen, rastlos arbeiten die Ruder – der Wind braust, es fängt an dunkel zu werden, wir beachten es nicht, wir rudern, eifrig, entschlossen. – Auf dem Rücken einer Woge reitend, sichten wir plötzlich eine unförmliche Masse, rings von einem weißen Kranze brechenden Wassers umgeben. Das ist er, der Unheilstifter! Gemächlich schwimmend steuert er quer über unserm Curs, die lange Leine des zerschlagenen Bootes nach sich ziehend. Jetzt eine letzte Anstrengung! Wir nähern uns pfeilschnell; der Harpunier ist fertig – noch einen Ruderschlag und noch einen – und: „Gieb es ihm!“ preßt der Officier durch die zusammengebissenen Zähne. Mächtig geschwungen saust das Eisen und mit dumpfem „Tschug“ sitzt es fest, fast gleichzeitig läuft das Boot gegen den Wal, im vollen Schuß hinaufgleitend auf den breiten, schlüpfrigen Rücken und mit wüthendem Stoße wird die zweite Harpune „gesetzt“. „Stern! Stern!“ schreit Alles, das Wasser dampft und rauscht, die dünnen Bretter beben und biegen sich zwischen uns und sicherem Tode. „Stern! Um Gotteswillen, Stern!“ In wilder Aufregung schieben und rudern wir rückwärts – umsonst – die Wellen waschen in das Boot, es fängt an sich zu füllen – dem hintersten Mann wird das Ruder in den Händen zerschlagen, der Wal taucht hinab – noch ein heftiger Stoß, Wassermassen überschütten uns – und jetzt endlich sind wir frei; schwerfällig rollt und schwankt unser halbvolles Fahrzeug in der strudelnden Fluth.

„Habt Acht! Die Leine!“ Schon strafft sie sich an, schneller und schneller entrollt sich ihre geschmeidige Länge dem flachen Zuber; das Vordertheil des Fahrzeugs wird tief in das Wasser gedrückt – beinahe dreihundert Faden sind schon hinaus – da stockt die Bewegung und das Boot richtet sich auf.

Endlich Ruhe! Achtzehnhundert Fuß Leine sind beinahe im Nu abgelaufen! Wir sind allein in der Dunkelheit auf weiter See, mit einem gebrechlichen Boote, festgekettet an das Ungeheuer unter uns; tief aufathmend wechseln wir einige Worte, Freude und Muth belebt uns Alle. Das Trinkwasser geht von Hand zu Hand, wir schöpfen unser Fahrzeug aus und zünden die Laterne an, um dem Capitän und unseren Cameraden in den anderen Booten die Orientirung zu ermöglichen – und nun zum Werke, zum letzten Kampfe! Officier und Harpunier vertauschen ihre Plätze; wir prüfen die Leine, sie „steht“, der Wal liegt unter uns wie ein Stein. Die Lanzen werden handrecht gelegt; jetzt vereinen wir alle Kräfte, um die Beute heraufzuholen. „Zieht, Jungen! Zieht! Der alte Bursche kann ja da unten nicht vor Anker liegen!“ Siebenzig Faden heben wir ihn herauf mit „ho!“ und „hub!“ – „Halt! – Achtung, losgelassen!“ – Er geht wieder hinab. Von Neuem versuchen wir, das mühsam Errungene wird uns oft gewaltsam wieder entrissen, der Wal läßt nicht mit sich spielen – wir ziehen – er zieht – so geht es hin und her; einige seemännische Kraftausdrücke werden laut und plötzlich arbeiten wir spielend, Hand über Hand holen wir die Leine ein, der Wal kommt an die Oberfläche.

Blur–r–rff! Huff–f! Hört ihr ihn, seht ihr ihn, dort wo das weiße schäumende Wasser ist? Sein unförmlicher Kopf ragt wie ein Felsen hervor, doppelt groß erscheint er in den phosphorescirenden Wellen. „Leise, leise rudern!“ Jetzt sind wir an ihm, tief unten im Wasser setzt der Officier die Lanze an und kräftig nachschiebend stößt er sie tief in die zitternde Masse. „Stern! Streicht!“ Ein Glück, daß wir dem gefährlichen Schwanze nicht zu nahe sind; dort geht das Thier hin in verzweifelter Flucht, wenig Leine nur geben wir und hinter ihm her fliegt das Boot in wilder Jagd. Windab geht’s in der Richtung des Schiffes – dort sind die Lichter, die Masten – unheimlich schwankt der dunkle Rumpf durch die Nacht – unser jubelndes Hurrah verhallt im Brausen des Windes – vorbei schon – Alles ist verschwunden, um uns wieder weite, wogende See. Jetzt ändert sich der Curs, wir laufen wieder gerade in den Wind. Der Officier hält sich im Bug trotz Sturm und dem gegen ihn prasselnden Wasser, mit eiserner Faust drückt er die Leine auf die Führung nieder, damit erstere nicht bei der heftigen Bewegung herausspringe, über die [600] Seite des Bootes komme und uns dem sichern Verderben überliefere.

Endlich, plötzlich liegen wir still und vor uns rollt der Wal in den brandenden Wellen; jetzt rasch das Boot heran zum letzten Angriff! Wir halten uns dicht am Ungethüm, das ermattend bald auf der Seite, bald auf dem Rücken liegt, und nahe hinter der Finne begräbt der Mann (Moment unserer Abbildung) seine Lanze vier bis fünf Fuß tief, wieder und wieder wird sie hineingesenkt in den bebenden Riesenleib, und jetzt entsteigen dunkle Strahlen dem Blasloche: Blut. Der Wal ist zum Tode getroffen. „Stern Alle! Stern!“ Vorsichtig fliehen wir die gefährliche Nähe.

Welch furchtbare Convulsionen! Welch ungeheure Kraft! Nach und nach tobt sich der Wal aus, eine kurze Ruhe tritt ein; er versucht zu tauchen, erscheint aber gleich darauf wieder an der Oberfläche und eilt nochmals in rasender Flucht gegen Wind und Wellen davon. Vergebens! Wir folgen ihm wie das böse Verhängniß. Noch kurze Zeit und die Kräfte schwinden ihm, die Schnelligkeit läßt mehr und mehr nach; als wir endlich herankommen, rollt er auf die Seite – das Leben ist entflohen, eine tode unbehülfliche Masse liegt das gewaltige Thier in der wogenden See.

Die Aufregung der Jagd ist vorüber und wir haben Zeit uns nach dem Schiffe umzuschaun; die Dunkelheit läßt nichts erkennen. Zerrissene Wolken jagen über uns entlang und lassen einzelne Sterne niederblinken, geisterhaft leuchten die Schaumkronen der See; der Wind trifft uns arme Durchnäßte mit empfindlicher Kälte, das Rauschen der Wogen ist schaurig monoton. Mit seemännischer Leichtigkeit fügen wir uns in das Unvermeidliche, eine solche Nacht, allein und festgeankert am todten Wal, zuzubringen; wie wenig brauchen wir doch, um uns beinahe behaglich zu fühlen; wie, wenn das Boot zertrümmert worden wäre? Nach der Wetterseite zu das kleine Segel über uns ziehend, hocken wir im Stern beisammen; Hunger und Durst werden beschwichtigt, es findet sich auch noch ein wenig trockener Tabak, und nun wandert eine kärgliche Friedenspfeife als willkommenes Labsal von Hand zu Hand, von Mund zu Mund. Die Laterne erleuchtet noch unsre kleine Welt und durch den einsamen Lichtkreis flattern und huschen zahllose Vögel; wie schön, wie natürlich erscheint uns doch jetzt der Glaube, daß sie die Geister sind der Todten im Meere!

Auf und ab, auf und ab schwingt das Boot Stunde für Stunde in den steigenden, fallenden Wogen; stetig ostwärts rollt die Erde und endlich verkündet ein grauer Dämmerschein den kommenden Tag. Wie hoffnungsvoll begrüßen wir den sich immer vergrößernden Halbkreis des wiederkehrenden Lichts! Von dem herrlichen Grün der Wellen heben sich endlich blendende Schaumflocken wie duftiges Gewebe ab, goldiges Licht überfluthet Alles und jetzt trifft uns mit zauberischem Glanz die Sonne. Groß und ruhig steigt sie empor, jeden verirrten Wassertropfen belebend, Freude und Erquickung bringend zu Allem. –

Weit von uns im Lee schwankt das Schiff, Masten und Tauwerk zeichnen sich klar am Horizont ab, ehe es sich aber zu uns heraufarbeiten kann, mögen noch Stunden vergehen; doch sind wir bemerkt und einige Boote kommen zum Beistand herüber.

Mit jauchzendem Zuruf begrüßen uns unsere Cameraden, haben wir doch nun wenigstens einmal Erfolg gehabt; im wirren Durcheinander wird gefragt und erzählt; eine traurige Nachricht trübt unsere Freude: der Tod hat zwei unserer Cameraden ereilt. Der eine wurde vom Schwanz des Wals erschlagen, er liegt, eine Leiche, im Schiffe; der Andere, von den Leinen erfaßt, ist verschwunden auf Nimmerwiedersehen. Die Leute arbeiten nur scheu und schweigend, als endlich das Schiff zur Stelle ist; der Wal, an dasselbe herangezogen, wird um die Schwanzwurzel mit starker Kette und dann am Bug befestigt, so daß der ganze Leib längs der Seite des Fahrzeugs schwimmt, mit dem Kopf nach dem Stern zu liegend. So drehen wir bei, bis eine ruhigere See das Abspecken erlaubt.

Am nächsten Morgen beginnt die fröhliche Arbeit. Ein breiter Rahmen wird an der Seite des Schiffes niedergelassen und schwebt horizontal über dem Riesenleibe; die festen Planken, mit einem leichten Geländer versehen, dienen den Officieren zum Gangweg, von welchem aus sie mit kunstgerechten Stößen der langgestielten scharfen Spaten dem Lostrennen der dicken Speckumhüllung vorarbeiten. Am Hauptmaste sind zwei ungeheure Flaschenzüge befestigt und die dreizölligen, laufenden Taue derselben sind mit den Enden um die Ankerwinde gelegt. Die Hauptluke ist weit geöffnet, zum Aufnehmen der emporgewundenen Speckstreifen. Die den ganzen Leib des Potwals einhüllende Fettlage ist sechs bis zwölf Zoll dick, manchmal auch noch stärker. Einer der Flaschenzüge wird nun an der Finne befestigt und dieselbe so abgetrennt, daß ihr ein vier bis fünf Fuß breiter Streifen „Blubber“ folgt, der Zoll für Zoll zum Mast aufgewunden wird. Das Gewicht des riesigen Körpers und die Gewalt des Zuges zwingen, mit einiger Nachhülfe des Spatens, das zähe Speckband sich vom Fleische abzulösen; der Wal muß sich dabei natürlich um seine Längsachse drehen. Im günstigen Augenblick läßt sich dann ein Mann, durch eine Leine gesichert, auf den Rumpf hinab und trennt die lange schmale Unterkinnlade mittelst einer Axt los; dieselbe wird an Bord genommen, um die großen und schönen Zähne auszubrechen, da sie wie das Elfenbein verarbeitet werden. Dann wird der eigentliche ungeheure Kopf in zwei Stücke zerlegt; das eine derselben besteht aus einem schräg nach vorn zu abgelösten Fettpolster, – dasselbe Polster, welches den Wal befähigt, gleich einem Widderschiff gegen seinen Feind anzurennen, – das andere Stück ist der eigentliche Schädelknochen. Beide werden durch Taue einstweilen im Wasser gesichert.

Das vorher schon theilweise aufgewundene Speckband wird nun bis zum sogenannten Mastkorb aufgezogen, dann wird in gleicher Höhe mit dem Deck der zweite Flaschenzug daran befestigt und über diesem Punkte das Band abgeschnitten. Während nun dieses zweite Stück wieder aufgewunden wird, läßt man das am ersten Flaschenzug hängende durch die Luke in das Zwischendeck hinab, in den sogenannten „Speckraum“, in welchem die Zuschneider es in ungefähr zwei Fuß lange und sechs Zoll breite Kuchen zerlegen. Der ganze Blubber des Wals wird in einem einzigen langen Stück ungefähr so abgewunden, wie man das Deckblatt von einer Cigarre abwickelt. Der Schwanz wird nicht gebraucht, man löst die Kette und der alles Werthvollen beraubte Cadaver treibt langsam vom Schiff hinweg, ein willkommener Schmaus für die vielartigen Reinigungscommissare der See. Nach vier- bis achtstündiger Arbeit, je nachdem das Wetter günstig ist oder nicht, ist alle Arbeit gethan und das Auskochen beginnt. Dicht hinter dem Fockmast ist ein Feuerplatz, der zwei große Kessel enthält, aufgemauert; an den vorderen Ecken desselben stehen noch zwei andere Reservekessel. Auf der einen Seite steht noch ein Kühler von dünnem Kupfer, in welchem der kochende Thran erkalten muß, ehe er in die an Deck befestigten Fässer gefüllt wird; auf der andern Seite befindet sich die Schneidemaschine, durch welche die aus dem Speckraum heraufgereichten Kuchen laufen, mit scharfem Messer eingekerbt werden und dann in die Kessel wandern. Sind sie ausgekocht und schön braun gebraten, „Schraps“, so läßt man sie abtropfen und gebraucht sie sofort als Heizungsmaterial; ein Punkt von größter Wichtigkeit auf hoher See.

Die Zeit des Auskochens, je nach Quantität und Qualität des gewonnenen Speckes zwei bis vier Tage betragend, ist ein großes Fest für die „Speckjäger“, – denn im selben Maße, wie sich die Fässer mit Thran füllen, füllen sich auch bei der Abrechnung im Hafen die Taschen der Leute mit Geld – und da während solch fröhlicher Beschäftigung sich die strenge Disciplin etwas lockert, so überschreitet der Uebermuth des wilden Volkes oft alle Grenzen. Ist der Thran aber einmal unter Deck gebracht, so kommt alles wieder in die frühere Ordnung; das Schiff wird gewaschen und gescheuert, die Leute thun mit sich dasselbe, – alles mit Ausnahme der schwarzgeräucherten Segel erscheint bald wieder ziemlich schmuck und sauber. Jedoch nicht lange, neue erfolgreiche Jagden bringen auch neuen Schmutz, der sich endlich gar nicht mehr wegscheuern läßt; er wird aber gern geduldet, weil die seltsam schmierige und verwetterte Erscheinung eines nach langen Jahren zurückkehrenden Walfischfängers immer eine glückliche Kreuzfahrt verräth. –

Die ungefähren Maße des gefangenen Wals waren: Länge dreiundsechszig Fuß, Schwanzbreite neunzehn Fuß, das abgehauene Stück der unteren Kinnlade, welche allein die großen Zähne enthält, acht Fuß bei einer Breite von dreizehn Zoll; in ihr fanden wir, außer mehreren verkümmerten, fünfundvierzig gute bis sieben Zoll lange Zähne. Es war ein alter magerer Bulle, wir gewannen aus ihm ungefähr zehntausendfünfhundert Quart Thran; Ambra, die bekannte krankhafte, fettwachsartige Absonderung des Potwals, wurde nicht bei ihm gefunden.



[601]
Alexandrine Tinne.

„Eine schöne blendend weiße Tochter des Sultans der Sultane, der Großherrlichkeit von Stambul, durchzog jüngsthin Jahre lang, mit vollen Händen spendend und dadurch überall die Herzen gewinnend, die unwirthlichen fernen Gegenden seines weiten Herrschergebietes in Afrika.“ – So glaubten wenigstens in ihrer Naivetät die wilden Naturvölker im Innern des großen Wunderlandes, das jetzt allmählich unserer Kenntniß erschlossen wird. Wie konnten sie wohl fassen, was in Europa selbst befremdlich erscheint, daß eine junge schöne Dame von zartem Körperbau bei einer reichen Ausstattung mit allen Glücksgütern dieser Welt, getrieben von einem in ihrem Geschlecht so seltenen Wissensdrang, beitragen wollte, das uralte Problem von der Entstehung des Nilstromes, dem schon so viele kühne Männer zum Opfer gefallen sind, seiner Lösung zuzuführen? Der Telegraph meldete kürzlich die Trauerkunde, daß Alexandrine Tinne, die fabelhafte Prinzessin und Tochter des Nachkommen der Khalifen, von den Tuaregs ermordet sei, jener wildesten und berüchtigtsten Bevölkerung der pfadlosen Sahara, die, um immer unkenntlich zu sein, gleich den ägyptischen Frauen ihr räuberisches Antlitz stets gänzlich verhüllt tragen.

Fräulein Tinne war auf dem Wege von Murzuk nach Ghat begriffen, als eines Morgens die Kameeltreiber beim Aufladen unter sich zu streiten begannen, worauf Fräulein Tinne’s beide holländische Diener aus dem Zelte gingen sie zu trennen, leider ohne Waffen. In diesem Augenblick stand Fräulein Tinne in der Thür des Zeltes mit dem Chef der Tuaregs, denen sie früher schon merkwürdiger Weise Vertrauen genug geschenkt hatte, um sie zur Besichtigung ihres Lagers einzuladen. Sie trat dann vor, um nach der Ursache des Streits zu fragen, wurde aber im selben Augenblick von hinten mit dem Schwerte niedergeschlagen. Auf ihr Schreien kamen die beiden christlichen Diener hergelaufen, um zu den Waffen zu greifen, wurden aber auf der Stelle getödtet. Die Tuaregs stürzten nun auf die eisernen Wasserkisten, glaubend, daß diese die Schätze enthielten, und dies muß als Grund der Ermordung angesehen werden. Fräulein Tinne’s tragischer Tod ist ein großer Verlust für die wissenschaftliche Durchforschung Afrika’s. Die größere Expedition, die sie zum Sultan von Bornu im Herbst zu unternehmen gedachte, bis wohin sie in der Nähe von Ghat unter Zelten leben und ihre geschwächte Gesundheit stärken wollte, würde uns unzweifelhaft viel des Interessanten gebracht haben, dessen wir jetzt durch die Goldgier und schreckliche Grausamkeit jenes afrikanischen Räubervolkes für immer beraubt sind. Mit der schönen Alexandrine ist einer unserer kühnsten afrikanischen Pioniere begraben.

Die Mutter des Fräuleins Tinne war eine Hofdame der Königin von Holland und stammte von der ihrer Kunstliebe wegen bekannten freiherrlichen Familie von Steengracht-Kapellen ab; der Vater, ein Engländer, war Kaufmann; ihn verlor die Tochter schon in ihrem fünften Lebensjahre. Als Erbin eines Millionärs ward es der jungen, auch durch Schönheit und lebhaften Geist brillirenden Dame leicht, einer Leidenschaft sich ganz hinzugeben, welche sie ihr ganzes Leben hindurch gefesselt hat, – der, die Welt kennen zu lernen und sie nach allen Seiten zu durchstreifen. Die geistvolle Königin von Holland liebte die junge Dame und öffnete ihr den Zugang zu verschiedenen Höfen Europa’s. Als schöne gewandte Amazone, welche mit außerordentlicher Sicherheit und Geschicklichkeit die wildesten Pferde tummelte, zog sie eben so wie durch die Anmuth ihrer Erscheinung und den Ruf ihres Reichthums die Aufmerksamkeit vieler Cavaliere auf sich, die aber vergeblich um Herz und Hand der Schönen warben; zwei Barone sollen ihr selbst bis Khartum gefolgt sein. Die Liebe der Dame schien ausschließlich der wild-grandiosen Natur zugewendet zu sein; ihre schroff ausgeprägte Eigenart erschien der großen Masse unbegreiflich, und es war daher natürlich, daß die wunderlichsten Gerüchte über ihre Abneigung gegen die Rosenketten der Ehe im Umlauf waren. Man wollte sogar wissen, daß die Liebe zu einem Prinzen sie in die Wildniß getrieben habe. Aber von allen Behauptungen ist mir diese besonders unwahrscheinlich, da Fräulein Tinne in der Unterhaltung stets eine äußerst freisinnige sociale und politische Anschauung bekundete.

Ihre erste größere Reise galt dem Nordcap, wo sie mit dem norwegischen Maler Saal, der durch seine nordischen, in der Dämmerung heller Nächte ruhenden Landschaften einen Namen erworben, bekannt wurde. Von diesem wurde mir manche interessante Anekdote über das Reiseleben in den hohen nördlichen Regionen mitgeteilt.

Schon im achtzehnten Lebensjahre machte die Dame eine Tour durch Kleinasien, Syrien und Aegypten, und seit jener Zeit hat sie die Liebe zu dem Wüstenleben und das Interesse an allen Entdeckungen des uns immer noch so unbekannten und räthselhaften Afrika nicht aufgegeben. Sie hatte in ihrer Vorliebe für den Orient die ägyptische Tracht adoptirt, welche der hohen blonden Gestalt sehr wohl stand; sie duldete nur afrikanische Diener und Dienerinnen, was ihr die Kenntniß der Sprache ermöglichte. Sogar einen Eunuchen engagirte sie zu ihrem Schutze oder vielmehr – weil es bei vornehmen türkischen Damen der Anstand erheischt, von einem Haremswächter geführt zu sein, wie bei uns Damen nicht allein, ohne von einem Diener begleitet zu sein, auszugehen pflegen.

Als ich eines Tages aus der Schubrahallee, wo die Equipagen des Harems des Khedive und der Paschas vorüberrollten, lustwandelte, begrüßte mich durch freundliche Hand- und Kopfbewegung eine verschleierte, in schillernde Seide gehüllte Frauengestalt. Das Erstaunen meines Begleiters, der durch langjährigen Aufenthalt die strengen Sitten der orientalischen Frauen kannte, war größer, als das meinige; ich dachte zuerst an eine scherzhafte Mystification, bis ich an den begleitenden Sclaven erkannte, daß der Gruß von Fräulein Tinne ausging. Ich war mit derselben nach ihrer Rückkehr von der großen Expedition in’s Gazellenstromgebiet durch Herrn Th. v. Heuglin bekannt geworden; zugleich hatte ich den englischen Consul für Central-Afrika Herrn Peterick kennen gelernt, welcher auch in Begleitung seiner Frau (gleich dem Nilquellenforscher Samuel Baker) in jenen Regionen des Gazellenstromes im Auftrage der englischen Regierung der Entdeckungsexpedition von Speke und Grant entgegengereist war. Nach jahrelangen Mühsalen waren sie jetzt wieder in eine civilisirte Gegend gekommen, und ich war der erste Europäer, der sie wegen ihrer Ueberwindung so furchtbarer Schwierigkeiten beglückwünschen konnte.

Fräulein Tinne war damals in ihrer Stimmung sehr herabgedrückt; sie hatte auf der Reise in Folge des mörderischen Klima’s ihre Tante und ihre Mutter, die ihr gefolgt waren, und von denen sie abgöttisch geliebt war, verloren. Außerdem war ihr Leibarzt, der Botaniker Dr. Steudner, welcher mit Heuglin zugleich von ihr zur Expedition engagirt war, ebenso wir ihre europäischen Kammerjungfern klimatischen Epidemien erlegen. Gleichwohl sprach mir die Dame wiederholt die Absicht aus, nie wieder nach Europa zurückzukehren, und wiederholentlich bekräftigte sie ihre Absicht, obgleich auf die Kunde von ihrer Ankunft in Aegypten ihr Stiefbruder aus England herbeigeeilt war, sie dem Schauplatz so mörderischer Unternehmungen zu entführen. Sie blieb allen Verlockungen gegenüber standhaft und verfolgte vielmehr den Plan, sich bei Kairo oder auf der Nilinsel Rhoda, wo sich die von einer südlichen Vegetation strotzenden Gärten Ibrahim Pascha’s befinden, ein Schloß zu bauen. Zu diesem Zweck ließ sie von dem Baumeister des Vicekönigs Herrn Franz-Bey (aus Wiesbaden), dem Erbauer des königlichen Schlosses von Ghesirah, Pläne entwerfen; auch mit dem berühmten Architekten in maurischem Styl, Herrn von Diebitsch, meinem langjährigen Freunde, der leider vor Kurzem seinem großen Wirkungskreis als ein Opfer der Blattern-Epidemie entrissen wurde, verhandelte sie über architektonische Entwürfe.

Bei ihren Bauplänen huldigte Fräulein Tinne einer sehr excentrischen Geistesrichtung, nichts war ihr phantastisch, nichts labyrinthvoll genug. Die arabische Architectur mit ihren sich verschlingenden Arabesken, mit der Unregelmäßigkeit in der Höhe der aneinanderstoßenden Räume, mit ihren Erkern und Säulenstellungen, war dieser Neigung äußerst günstig. Der Vicekönig von Aegypten, dem die Ansässigkeit der holländischen Dame unbequem war, verhinderte indeß mit Hülfe der Verwandten ihre architektonischen Entwürfe. Fräulein Tinne führte beim Khedive gegen den Pascha von Khartum einen Proceß wegen einer ihr von diesem widerfahrenen Unbill. Der Vicekönig wollte aber die verlangte Absetzung des Pascha nicht gewähren, obgleich das Unrecht desselben offenbar war. Hierin lag das Interesse, die dauernde Niederlassung des [602] Fräuleins Tinne in Aegypten zum Scheitern zu bringen. Da fast zwei Drittel des Landes Privateigenthum des Vicekönigs sind, während fast ein drittel Moscheenbesitz ist, so gelang es ohne Schwierigkeit, auf die Eigenthümer eine Pression auszuüben, von denen das zum Bau nöthige Terrain erworben werden sollte. So verließ denn Fräulein Tinne das Nilland, um auf eigenem Dampfschiff die afrikanischen Küsten des Mittelmeeres zu befahren. Auf einige Zeit kam sie auch nach Civita Vecchia, von wo sie oft Rom besuchte. Es war natürlich, daß ihr Erscheinen hier in der Umgebung der schwarzen Söhne Afrika’s ein großes Aufsehen erregen mußte. In der Absicht, von Tripolis nach Timbuktu zu gehen, wendete sie sich an den eben erst von seiner kühnen Wanderung durch die unermeßliche Sahara von Marokko nach Tripolis zurückgekehrten Gerhard Rohlfs, um ihn zu ihrer Begleitung einzuladen. Leider hatte dieser junge mannhafte Reisende von dem König von Preußen den Auftrag erhalten, die abyssinische Expedition der Engländer zu begleiten, dem folgend er die Tinne’sche Einladung ablehnen mußte.

Das labyrinthische Durcheinander großer orientalischer Städte ist einem Europäer, der letztere nicht gesehen, schwer vorzustellen. Ich selbst, der ich viele Städte des Orients kennen gelernt und Jahre lang in ihnen gelebt habe, vermochte nicht, die Wohnung des Fräuleins Tinne in Massr antika (der alten Stadt von Kairo) wiederzufinden, obgleich mich Herr von Heuglin zum ersten Mal dorthin geführt hatte. Die Intelligenz der Kairiner Eseljungen, welche als die Droschkenkutscher Kairo’s mit den Eseln als Droschken gelten können, half mir über die entstandene Schwierigkeit weg. Als ich nämlich in Massr antika herumsuchte und jeden Winkel durchstöberte, um irgend ein Kennzeichen der Tinne’schen Wohnung zu erspähen, sagte mir der Fellahknabe mit seinen großen Sphinxaugen: „Effendi, Ihr wollt gewiß zu Contessa hollandese?“ Unter diesem Namen hatte sich die freigebige Dame unter dem eseltreibenden Proletariat der Khalifenstadt einen Namen erworben. Bewogen durch ihr weiches Herz hatte sie einmal ein Paar geschundener Esel – die Aegypter sind die geborenen Thierquäler – zu sich genommen, verpflegen und curiren lassen. Das ward bald kund, und so geschah es, daß von allen Seiten kranke Esel und anderes räudiges Gethier zur Contessa in die Cur gebracht wurde, und ihr Hôtel in ein Eselhospital verwandelt wäre, hätte nicht die Noth dem Mitleide gegen die Thiere Schranken gesetzt.

Das Haus des Fräuleins Tinne glich von außen ganz einer zerfallenen Ruine. Durch die dunklen Gänge des unteren fensterlosen Stockwerks, welche unsere am Nil nicht gekannten Kellerräume vertreten, gelangte ich, durch den kleinen Aegypter geleitet, auf einen freien Vorhof, wo ich wieder aufathmen konnte; der dunkel azurblaue Himmel, die goldig von heißer Sonne beschienenen Kronenhäupter dreier großer Palmen verliehen den ruinenartigen Baulichkeiten das Pittoreske, welches Maler mit Recht so gerne aussuchen. Auf freistehenden steinernen Treppen, die auf zerfallene Hintergebäude führten, sonnten sich Affen; kleine Negersclaven, Knaben und Mädchen, lagen im warmen Sonnenschein auf der Erde, größere Sudaneserinnen steckten neugierig aus zerbrochenen Fensterscheiben ihre wolligen Köpfe mit den glänzenden Augen und Zähnen; langhaarige nubische Windhunde, die zur Falkenjagd auf Gazellen dressirt waren, sprangen mir entgegen; ein alter weißbärtiger Berberiner, wie sie gewöhnlich zu Thürwächtern ägyptischer Häuser bestellt werden, empfängt meine Karte, um mich dem Fräulein auzumelden. Bald zurückgekehrt führt mich derselbe in einen zweiten Hof, wo ich an großen offenen Zimmern vorbeipassirte, in denen die ungeordneten ethnographischen Sammlungen sich befanden, welche von fünfzig Kameelen aus dem Innern Afrika’s hierhergeführt waren. Seltsame Waffen, ausgestopfte Vögel, Geweihe aller Art von Antilopen und Rhinocerossen, Geräthschaften sudanesischer Völkerschaften liegen da aneinander gehäuft.

Fräulein Tinne kommt mir entgegen; sie trägt ein orientalisches Tuch um den Kopf gewunden und ein ägyptisches Gewand mit langen weiten Aermeln von changirender grauseidener Farbe über ein schwarzes Trauerkleid geworfen; ihre Füße stecken nach arabischer Sitte in maroquinledernen Stiefeln. Die große, schöne, bleiche, durch Gram und Krankheit angegriffene Gestalt mit prononcirten geistreichen Zügen, mit dem freien und feinen Benehmen mußte auf Jeden einen angenehmen Eindruck machen. Ihr Salon, in den ich geführt wurde, war ein altes Harem, dessen eine Wand lauter Fenster bildeten; von draußen aber war es nicht möglich, durch diese Fenster zu sehen, weil vor ihnen sich fein geschnitzte, gegitterte Erkerchen, welche Muscharabien heißen, befanden; dadurch war ein mattes Zwielicht in dem Raum verbreitet, welches einen recht mystischen Reiz gewährte. Den Fußboden bildete ein buntes Marmorparquet. Die Decke bestand aus Holzgetäfel welches mit türkischem Geschnörkel verziert war. Rings um die Wände liefen die gewöhnlichen Divans, deren Gestell aus Palmenstäben fabricirt war. In der Mitte standen einige originelle niedrige Sessel, dreibeinig, phantastisch geschnitzt, aus dem Lande der Njam-Njam. Von europäischem Geräth entdeckte ich nur einen bescheidenen Holztisch, auf dem eine große arabische Laterne stand, welche heutzutage selbst noch bei den Paschas in Gebrauch ist. Daneben lagen Bücher und Zeichnungen Heuglin’s ausgebreitet.

Für mich als Maler waren die Besuche bei Fräulein Tinne insofern von großem Interesse, als ich dort Gelegenheit fand, die vielen Sclaven jeglicher Art aus so schwer erreichbaren Gegenden zu zeichnen. Fräulein Tinne kam meinen desfallsigen Absichten mit größter Liebenswürdigkeit entgegen. Unter den Mädchen zeichnete sich besonders ein junges Geschöpf von etwa vierzehn Jahren aus, welches dem durch seine Schönheit berühmten Stamme der Gallas entsprossen war. Sie hätte für eine Königin Candaces als Modell dienen können. Die Kinder beeilten sich, mir Arme und Brust zu entblößen, um die Skorpionen, Schlangen und Krokodile, die in sehr primitiv-phantastischen heraldischen Formen darauf tättowirt waren, zu bewundern. Die achtzehn ethnographisch merkwürdigen schwarzen und braunen Menschenexemplare waren, so erzählte mir Fräulein Tinne, ihr freiwillig gefolgt, weil sie in ihren heimischen wilden Ländern durch die nie aufhörende Sclaverei fortwährender Grausamkeit ausgesetzt waren. Von einem Missionär, der dort im Innern Afrika’s die Tinne gesehen, ward mir erzählt, daß sie manchmal einen schwer verwundeten Sclaven auf ihr Reisethier genommen und selbst stundenlang zu Fuß im tiefsten Sumpfe gewatet hätte. Fräulein Tinne war sehr mittheilsam. Während ich zeichnete, saß sie nach arabischer Sitte auf der Erde zuschauend, und ward nicht müde, mir ihre Erlebnisse mitzutheilen. Die großen Sumpfstrecken der Nilqullengebiete hatten ihre Erinnerung an ihre holländische Heimath wachgerufen; die endlosen grünen Triften, auf denen ihr Kindesauge geruht, traten lebhaft wieder vor ihre Seele. Des Grünen wurde ihr selbst manchmal zu viel, so daß sie sehnsüchtig wiederum der gelben ausgedörrten Saharawüste gedachte.

Der mit einem Beigeschmack von Romantik vielgenannte Name von Alexandrine Tinne wird unter den kühnen Personen unvergessen sein, denen wir eine Erweiterung unserer geographischen Anschauungen schulden. Die Expedition des Fräulein Tinne in die Sumpfregionen des Ghasal (Gazellenstromes) war eine Bereicherung der geographischen Wissenschaft gewesen, zumal da der bekannte abyssinische Reisende Theodor von Heuglin von Fräulein Tinne für dieselbe in Khartum gewonnen wurde. Zwar war der Gazellenfluß bis zu seinem Quellsee, der Meschra el Reg, zuerst durch Lejean aufgenommenn und bekannt gemacht, indeß wurde durch die Heuglin-Tinne’sche Expedition die Position der Meschra zuerst astronomisch festgestellt. Trotz mannigfacher Hindernisse gelang es den Reisenden, zwei große Ströme, die sich durch eine meilenweite Sumpfregion in den Ghasal ergießen, den Djur und Kosanga, zu überschreiten und die Wasserscheide zwischen den westlichen oberen Nil und zwei sehr beträchtlichen, dem Benne oder Schari zueilenden Gewässern Makna und Sena genannt, zu bestimmen. Ebenso hat diese Expedition Kunde von einem weitern central-afrikanischen Binnensee erhalten, der vielleicht den Ryanza an Größe übertrifft und ungefähr unter dem dritten Grad nördlicher Breite gelegen ist.

Jetzt nun bleichen die Gebeine der kühnen Reisenden in den sonnenverbrannten Einöden, deren Reize ihre Phantasie so lebhaft fesselten, und dienen mit den anderen Ueberresten von Menschen und Thieren, die hier Durst und Hunger oder Mord überraschte, dazu, in den pfadlosen Bahnen der Sahara dem Wanderer die Straße zu zeigen.

Wilhelm Gentz.
[603]

Die Stunden der Andacht und die großen Kirchenversammlungen.

Aus einem Briefwechsel.
Von E. Zsch.

Wir gedenken hier zweier Männer, welche in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts zu den muthigsten Vorkämpfern für Licht und Wahrheit in den deutschen Landen gehörten. Ihre Namen sind Heinrich Zschokke von Aarau und Heinrich von Wessenberg, bischöflicher Generalvicar in Constanz. Des Einen Ziel und Wahlspruch war: „Volksbildung ist Volksbefreiung“; des Andern Streben ging nach Unabhängigkeit der deutschen Kirche von Rom. Beide streuten durch ihr Wirken, zumal durch ihre Schriftwerke, eine reiche Lichtsaat neuer Ideen aus und gaben dadurch ohne Zweifel zu manchem Fortschritte, dessen wir uns heute freuen, mächtigen Impuls. Sie wurden Beide von Gegnern vielfach verkannt und verlästert; aber die Edelsten der Nation tragen sie noch fort und fort in dankbarem Gedächtniß, trotzdem Beide von ihrer Lebensarbeit schon längst im Grabe ruhen. (Zschokke starb den 28. Juni 1848, Wessenberg den 13. August 1860.)

Es soll sich hier nicht um eine neue Darlegung ihrer Verdienste handeln. Sie sind bekannt, zumal durch Dr. Beck in Heidelberg in seiner Biographie Wessenberg’s nun auch diesem Letztern ein so würdiges Denkmal gesetzt wurde. Aber weniger allgemein weiß man, daß zwischen jenen beiden Männern eine langjährige Freundschaft bestand, die an Reinheit und Stärke zu den gefeierten Freundschaftsidealen des Alterthums hinanreicht. Das beste Zeugniß davon giebt ihr Briefwechsel, welcher im Original heute vor mir liegt. Die Sammlung besteht aus achtundvierzig Briefen Zschokke’s und siebenundachtzig Wessenberg’s; der älteste datirt vom 7. Juli 1813, der jüngste vom 8. October 1842. Leider bestehen bedeutende Lücken, wie denn aus dem Zeitraume von 1820 bis 1830, in welchem doch ein sehr lebhafter Schriftverkehr zwischen den Freunden bestand, kein einziger Brief mehr vorhanden ist.

Es wäre nun von hohem Interesse, wenn dieser Briefwechsel in seinem vollen Umfange veröffentlicht werden dürfte. Es spiegelt sich in ihm jene ganze inhaltsschwere Zeitepoche ab; kein irgendwie bedeutendes Ereigniß in Staat, Kirche und Literatur blieb unbesprochen. Auch geben sich die Schreibendem einander mit der allergrößten Offenheit hin, so daß man auf den innersten Grund ihrer Seele blicken kann. Aber gerade diese intime Vertraulichkeit hindert die Veröffentlichung ihrer Briefe. Sie würden dagegen, wenn sie es noch könnten, selbst ihr entschiedenes Veto einlegen. Ferne sei es von mir, ein solches Heiligthum pietätslos profaniren zu wollen!

Indessen ist mir doch gestattet, eine kleine Auswahl davon, gegen die jene Bedenken nicht stattfinden können, dem Drucke zu übergeben. Ich wähle zu diesem Behufe einige Briefe, die hier zwar nur im Auszuge mitgetheilt werden können, welche aber besonders geeignet sind, die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen, weil sie einerseits eine Thatsache beleuchten, die noch jetzt bei Einzelnen nicht ganz im Klaren liegt – nämlich die Autorschaft der „Stunden der Andacht“, – andererseits ein Werk Wessenbergs in Erinnerung bringen – „Die großen Kirchenversammlungen des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Constanz 1840. Vier Bände.“ –, auf welches gerade in diesem Augenblick, wo ein neues Concil der römischen Kirche vor Allem die Ruhe des glaubensgetheiltesten, deutschen Volkes bedroht, die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen wieder hingeleitet werden sollte. Bekanntlich bestehen über jene Autorschaft, trotzdem daß Zschokke schon im Jahre 1842 bei Herausgabe seiner „Selbstschau“ auf’s Bestimmteste erklärte, daß Er und kein Anderer der Verfasser sei, dennoch bis in die neueste Zeit noch Zweifel und Muthmaßungen oft der abenteuerlichsten Art. So ist es geradezu eine Lächerlichkeit, wenn Richard Gosche in seinem „Jahrbuche für Literatur“ (Berlin. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung. I. Band S. 391) schreibt: „Das einträchtige Zusammenwirken der verschiedenen Confessionen zeigen die „Stunden der Andacht“, welche man mit Unrecht gewöhnlich Zschokke allein beilegte, und für welche vielleicht außer Protestanten und Katholiken noch ein jüdischer und muhamedanischer Theilnehmer gefunden werden kann.“ – Namentlich wurde Freiherr von Wessenberg öfter als Mitarbeiter bezeichnet, und man wollte sogar die einzelnen Capitel herausgefunden haben, die von ihm herrühren sollten. Wir wollen nun sehen, was er selbst darüber schreibt! – Ueber den hohen Werth des Wessenberg’schen Werks spricht ebenso klar als warm Zschokke hier selbst.

Zum Verständnisse der ersten Briefe nur noch die Vorbemerkung, daß die beiden Freunde sich jedes Jahr besuchten oder sich an einem dritten Orte ein Stelldichein zu persönlicher Besprechung gaben, und daß bei einer solchen Zusammenkunft in Eglisau (am Rhein im Canton Zürich) im April 1837 Zschokke seinem Wessenberg zuerst das viele Jahre treu bewahrte Geheimniß seiner Autorschaft der „Stunden der Andacht“ mittheilte. In’s weitere Publicum gelangte die Nachricht. wie schon gesagt, erst 1842.

Wessenberg an Zschokke.
Constanz am 2. Mai 1837.     

 – – Für Ihre vertraulichen Mittheilungen nochmals meinen innigsten Dank! Einen bestimmten Rath in Dingen solcher Art zu geben, hält allerdings schwer. Was den Eindruck der Enthüllung vor dem ehrsamen Publicum betrifft, so dünkt es mich zwar, sie hätte schon vor fünfzehn oder auch mehrern Jahren ganz unbedenklich geschehen können und sollen. Jetzt geschieht sie allerdings am schicklichsten in Verbindung mit der Bildungsgeschichte Ihrer innern Welt (d. h. in der von Zschokke damals bearbeiteten „Selbstschau“). Indessen möchte es doch vielleicht in Hinsicht des Eindruckes wohlthuend sein, wenn vor der Bekanntmachung dieser höchst interessanten Bildungsgeschichte das Publicum zum voraus, wenn auch nur unter der Hand, durch größere Verbreitung der Kenntniß des wahren Verfassers des anonymen Werkes vorbereitet würde. Dafür wird wohl der Verleger das Beste thun können. Wie mein Name in’s Spiel gekommen, weiß ich wahrlich nicht, und eben so wenig, warum mein Ableugnen und Widersprechen das grundlose Gerücht nicht beseitigt, hin und wieder sogar, wie es scheint, bekräftigt hat.

Ihre freundlichen Winke in Hinsicht meiner ‚Concilien‘ werde ich bestens zu benutzen suchen. Die Gestaltung des Ganzen hat seine Schwierigkeiten. Zur Vollendung des Ganzem werde ich mir Zeit lassen. – –

Zschokke an Wessenberg
(nachdem ihm der Letztere sein Werk über die „großen Kirchen- Versammlungen“ als Geschenk gesandt hatte).
Aarau, 3. April 1840.     

Es ist Ihr größtes, ich behaupte, Ihr bestes, weil zeitgemäßestes Werk: ein Werk des schönsten Märtyrerkranzes würdig. Eben bin ich mit Lesung des ersten Theils zu Ende. Ich bewundere Ihren Fleiß; ich ehre Ihren Muth! Rom und der ganze Clerical-Troß muß Sie nothwendig verdammen; mehr als ein Jahrhundert wird Sie segnen. – Ich gestehe ehrlich: das wagt’ ich nicht zu hoffen, als wir in Eglisau beisammen saßen und wir uns einander vorlasen. Sie erinnern sich wohl, was ich Ihnen damals ermunternd zurief: Sie haben mehr gethan; auch ich stehe tief unter Ihnen! Auch ich habe meine Arbeit (die Selbstschau) fast vollendet; aber ob sie während meines Lebens gedruckt wird, weiß ich selbst noch nicht. Es sind Stunden der Andacht anderer Art geworden, nämlich für Denker, aber sie werden nicht so weit wirken als Jene.

Noch bin ich nicht zu den großen Concilien gekommen. Ich erwarte Großartiges, denn der erste Theil ist eine prächtige Vorhalle, eine Philosophie der Kirchengeschichte, durchweht vom Liebesodem der Christusreligion. – Ich erwartete bei Bezeichnung des eigenthümlichen Charakters vom Christenthum auch Ihren Gegensatz von Christus und Moses, den Christus selbst so ungemein scharf und mit wenigen Worten (Matth. 5, 17.) bestimmte und dann (das. Vers 21–48.) deutlich auseinandersetzte. Ein Jehovah-Glaube und Jehovah-Dienst konnte keine Weltreligion werden, sondern nur die, welche Christus brachte, die mit der göttlichen Gesetzgebung in der Geisterwelt, der Vernunft (Röm. 2, 14–15.), in reinstem Einklang steht. Darum wird und kann auch keine der christlichen Kirchparteien mit ihren besondern Dogmen und mannigfachem Cultus Weltreligion werden, sondern nur das in [604] ihnen, was übrig bleibt, wenn wir Alles das verwerfen, was die Kirchparteien sich gegenseitig als Irrthum und Ketzerei selber seit dem ersten Jahrhundert vorgeworfen haben. Ich bin aber darum nichts weniger, als wider alle jene Dogmen und Cultusarten. Nein, lassen wir der kindlich-sinnlichen Menschheit ihr naturnothwendiges Bedürfniß, das Uebersinnliche in ein schönes Gewand einzukleiden, wenn auch mit Farben und Flittern des Juden- und Heidenthums versehen. Darum habe ich auch Nichts gegen den Werth der kirchlichen Tradition einzuwenden, wenn nur in ihrer Schale die heilige Perle dem Auge nicht ganz verdeckt wird und die Schale zuletzt nicht selbst für das Heiligthum gilt.

Den mir überzeugendsten Beweis für die göttliche Sendung Jesu hat mir eigentlich nicht der Name „Sohn Gottes“ gegeben, den er sich beilegt, oder daß Er Gott seinen Vater im Himmel nennt, der ihn gesandt, sondern die große Weltverwandlung, welche sogleich nach seiner Erscheinung eintrat und die bis heute fortdauert. Roms Fall, Völkerwanderungen, Kreuzzüge, Mengung des Nordens und Südens, ein von der Zeit vor Christus ganz verschiedenes politisches, moralisches, ästhetisches Wesen, dann, als die äußere Regeneration beendet war, Pulver, Buchdruckerpresse, Weltumseglung – Alles zur Vermenschlichung der Barbaren, zur Erleuchtung und Heiligung und engern Vereinigung der Menschheit! Im Laufe der Sterne und ebenso im wunderbaren Gang der Weltschicksale waltet der Finger Gottes. Nicht Christus, nicht seine Lehre allein hatte jene ungeheuren Ereignisse in’s Dasein gerufen, sondern die weltordnende Vorsehung, die sich auch im Leben des einzelnen Sterblichen offenbart. Nicht Christus stellte sich an die Grenze zweier ganz gegensätzlicher Zeitalter, nicht er sich in die Mitte eines unbedeutenden Volkes, das aber schon die Lehre von der Unicität des unsichtbaren Gottes besaß – sondern er ward dahin gestellt und gesandt von Gott.

Heute Nichts von Politik. Bei uns ist Alles ruhig, obgleich die Loyoliten nicht ruhen werden. – –


Wessenberg an Zsckokke.

Constanz, den 11. April 1840.     
Ihr begeisterter Herzenserguß über mein Werk, wenn ich auch Viel davon auf Rechnung Ihrer freundlichen Zuneigung für den Verfasser schreibe, hat mich doch nicht wenig gefreut. Niemand kann so stark als ich selbst dessen Unvollkommenheiten fühlen. Ihr Urtheil wird mich aber anspornen, an Verbesserung seiner Mängel unausgesetzt zu arbeiten. Schon während der Zeit des Abdruckes habe ich Vieles dafür gesammelt. Bei solchen Arbeiten ist Ausdauer das erste Gesetz. – –

– – Meine Kunst ist nicht weit her. Sie sowohl als meine Gelehrsamkeit stehen tief unter meinem guten Willen. Mein Hauptbestreben war immer auf Reinheit der Gesinnung gerichtet, und bei diesem Bestreben kann ich mir nicht bergen, daß ich Manches, was bei größerem Talent sehr wohl damit vereinbarlich gewesen wäre, versäumt habe.

Vielleicht hätte ich am besten gethan, Nichts zu schreiben als Hirtenbriefe oder Briefe an Freunde, und wenigstens Nichts drucken zu lassen. Sokrates schrieb Nichts. Unser Heiland schrieb Nichts. So Manche, die Großes wirkten, schrieben Nichts. In unserem schreibe- und leselustigen Zeitalter wäre es vielleicht gerade das größte Verdienst, zu handeln, zu wirken, ohne sich in das Gewühl und Getrieb der Schriftstellerei einzulassen. Diese war nicht mein Beruf. Meine Kräfte, meine Neigung und Thätigkeit war ganz dem Eingreifen in’s Leben zugewendet; ich kannte keinen Ehrgeiz, als den, etwas Rein-Gutes zu wirken. Aber in der Laufbahn wurden mir die Fersen durchschnitten. Denn die Baumeister hatten mich als einen ungefügigen Stein verworfen. Ferne sei es von mir, darob zu zürnen! Wie Gott es fügt, ist es recht. Mein Geist blieb frei, und dies ist nichts Kleines. Das Bewußtsein, nur Gottes Diener zu sein, wird mich an die Grenze des Diesseits begleiten. Wer könnte besser, stärker den Werth dieses Bewußtseins fühlen als Sie, mein Freund, der Sie so vielen, so schönen Einfluß auf Ihre Zeitgenossen geübt! (Besonders durch die Stunden der Andacht.)


Zschokke an Wessenberg.

Aarau, den 21. Januar 1842.     
Es geht mir fast wie dem guten Liestaler General Buser, der seine Zeitungsartikel gewöhnlich mit den Worten anfängt: „Ich muß auch wieder einmal Etwas in die Zeitung rücken.“ Und ich muß Ihnen auch wieder einmal Etwas schreiben, obgleich ich so wenig zu sagen habe wie Jener. Aber ich will plaudern, weil ich Schnupfen und Husten habe und eingenommenen Kopf, daher auch nichts Ernstes treiben mag.

– – Auch ich bin überzeugt, daß der ganze ultramontane Spectakel nicht bis zum Jahre 1850 dauern wird. Rom und Nuntiatur werden es in der Schweiz zum Aeußersten treiben und dann wieder von der Schweiz das Aeußerste erfahren,[1] wie es die meuterischen, wühlenden Klöster bei uns erfahren haben. Das wird auch Wirkung Ihres Geistes sein. Sie haben schon mehr Licht entzündet, als Sie in Ihrer Bescheidenheit glauben mögen.

Unter den Briefen, die vor mir liegen, ist auch noch Einer des Regierungsraths Fetscher in Bern vom 6. Jänner. Darin steht folgende Stelle: „Ich lese eben Ihres geistreichen Freundes v. Wessenberg treffliches Werk – ‚Die großen Kirchen-Versammlungen‘ –. Danken Sie ihm in meinem Namen für das herrliche Buch. Wär’ ich reich, am wenigsten müßten 1000 Exemplare von dieser Schrift unter Katholiken und Protestanten vertheilt sein. Das ist ein Meisterwerk! Wäre Wessenberg unser Metropolitan, so hätten wir eine schweizerische Nationalkirche, edlere Zustände in der Schweiz verwirklicht und anderwärts angebahnt.“

Ich bin seit Kurzem wieder einmal Gegenstand des Zeitungsgeschwätzes, das bald vorüber gehen wird und mich, wenn es auch fortdauern sollte, wenig kümmert. Daß ich nun als Verfasser der „Stunden der Andacht“ bekannt geworden, ist nicht meine, sondern des württemberg’schen Gesetzes über den Nachdruck Schuld, gegen den man einem Verleger kein Privilegium giebt, wenn der Verfasser eines Werkes nicht mehr lebt. Außer meiner Frau, Ihnen und Monnard, meinem Uebersetzer (Méditations relig.) wußte Niemand darum, selbst keiner meiner Söhne. Nun wollte ich doch nicht, daß meine vertrautesten Freunde es früher durch Zeitungen, als von ihrem Freunde vernehmen sollten.

Um Verzeihung, mein Theurer, wenn Sie diesem Briefe den Schnupfen zu sehr anmerken sollten. Ich bin müde und mein Kopf ist arm an Gedanken; doch brauch’ ich den Kopf nicht, sondern nur das Herz, um Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe.


Wessenberg an Zschokke.

Constanz, den 31. Jänner 1842.     
- - Für Viele war doch wohl die Nachricht, die Sie als den Verfasser der „Stunden der Andacht“ bezeichnete, nicht neu oder unerwartet. Sie sagen mir aber Nichts von der Fortsetzung Ihrer Selbstbiographie. Hoffentlich beschäftigen Sie sich noch immer damit und werden darin auch manches Interessante über Ihre Zeit und Mitwelt mittheilen. Solche Denkwürdigkeiten sind gleichsam ein Testament, das man der Nachkommenschaft hinterläßt; ein Schärflein zur Aufhellung des Stroms der Zeitgeschichte. – –


Zschokke an Wessenberg.

Aarau 3. März 1842.     
Ich schreibe Ihnen, mein Lieber, mit einigem Unmuthe. Allerdings war mir’s sehr gleichgültig, daß endlich noch das Geheimniß an’s Licht mußte und man mich nun als Verfasser der Stunden der Andacht nennt. Auch das Zeitungsgeschwätz darüber laßt mich gleichgültig. Ich habe dabei nicht Viel zu gewinnen und zu verlieren und verlange auch Beides nicht. – Aber seit gestern Abend bin ich deßhalb unruhig, weil ich aus zwei Zeitungen ersah, daß man auch Sie verdächtigt, an den St. d. A. Ihren Antheil gehabt zu haben. Vielleicht könnte es wieder einen Verfasser des „Werk des Satans“[2]verleiten, Ihren Namen wenigstens [605] in der ultramontanen Welt besudeln zu wollen. Aber fürchten Sie Nichts; lange soll das nicht dauern. Im nächsten Heft von Malten’s Bibliothek wird aus meiner Selbstschau das Capitel von den St. d. A. und wie sie entstanden, eingerückt stehen. Sie und die Welt werden daraus erkennen, wie sehr ich Sie liebe und wie unschuldig Sie verlästert worden sind. – – – –


Wessenberg an Zschokke.

Constanz d. 8. März 1842.     

Ich freue mich, mein theurer Freund, auf Ihre Selbstschau, deren Erscheinen mir Ihr Wertestes vom 3. dies ankündigt. Diese Schrift wird dann auch dem Fraubasengeschwätz in öffentlichen Blättern ein Ende machen. – – Ich finde es unsinnig, daß man früheres Gerede von andern Verfassern der St. d. A. wieder aufwärmen konnte, nachdem Sie sich als den Verfasser öffentlich erklärt haben. Ich selbst war früher geneigt gewesen, an einen Antheil daran von Seite unseres gemeinsamen Freundes Victor Keller zu glauben. Dies fällt aber für Jeden weg, der Ihre Erklärung kennt.

Der Frühling fängt an seine Fittige zu regen, aber die launigen Winde und Wolken verderben ihm noch das Spiel. Doch hoffe ich, daß wir bald die Verjüngung der Natur werden feiern können. Wir wollen dabei auch der Verjüngung der Menschheit gedenken, welche im Grunde Jeder von Zeit zu Zeit in sich selber vornehmen kann und soll. Leider aber haben jetzt Viele eine sonderbare Idee von Verjüngung, indem sie uns bereden möchten, wieder die Nebelkappe über die Ohren zu ziehen. Das sei ferne! Vielmehr wollen wir mit Lichtgedanken dem Osterfeste entgegen gehen.   Ihr Freund von Herzen etc.




Aus Auerbach’s „Barfüßele“.[3]

Ein strenger Trotz lag auf dem Gesicht des schlafenden Kindes. Es hatte die eine Hand auf die Brust gelegt und die schwarze Marann’ hob sie ihm leise weg und halblaut sagte sie vor sich hin:

„Wenn nur immer ein Auge über Dich wacht, und eine Hand, die Dir helfen will, Dir so wie jetzt im Schlafe, ohne daß Du es weißt, die Schwere vom Herzen nehmen könnte! Das kann aber kein Mensch, das kann nur Er … Thu Du meinem Kinde in der Fremde, was ich diesem da thue.“ (S. 21.)



[606]

Das Leben der Blumen

„Keine Pflanze ohne Seele“. – Blumenschlaf. – Die Blumengesichter der Dämmerung. - Verschiedene Schlafweisen. – Schlaf der Blumenglieder. – „Nun ruhen alle Wälder“. – Die Tagblumen. – Die Nachtblumen. – Die Königin der Nacht. – Die Nachtigall der Blumenwelt. – Die Blumenuhr.

Die Blumen verstehen uns nicht. Der Ausspruch des Aristoteles: „nulla planta sine anima“, „keine Pflanze ohne eine Seele“, hält nicht aus vor der besonnenen Untersuchung. Unser idealster Dichter selber, der „die Kinder der verjüngten Sonne“ preist, weil die Natur sie geliebt und „sie geschmücket mit der Farben Götterpracht“, weiß ihnen zum Schlusse doch nur zuzurufen:

Holde Frühlingskinder, klaget!
Seele hat sie euch versaget.

Indessen Züge lebendigen und nahezu seelischen Daseins sind doch unverkennbar an ihnen. Ja ihr Leben gleicht in mancher Beziehung dem unsrigen. An die Erde gebunden ringen sie doch dem Lichte nach, ganz wie das Menschenleben zwischen den Idealen und den dunklen Gebieten des materiellen Bedürfnisses schwankt. Sie haben gleich uns eine knospende Kindheit, entfalten sich zu jugendlicher Pracht und Kraft, bringen ihre Frucht zu ihrer Zeit und welken hin. Und wie ihr Leben zwischen dem ersten leisen Werden und ihrem Ende steigt und wieder sinkt, so wechselt ihre Lebensenergie auch periodisch an jedem einzelnen Tage. Wenn die Morgensonne aufgeht, erwachen sie wie wir; sie blühen dann lustig den Tag über, aber ihre Blumenaugen schließen sich traumhaft wieder zusammen, wenn die Dunkelheit hereinbricht.

Dieser mit dem periodischen Ebben und Fluthen des menschlichen Blut- und Nervenlebens übereinstimmende Zug ist der so genannte Blumenschlaf. Es ist das die Lebenserscheinung an ihnen, welche über ein blos mechanisches Geschehen hinauszudeuten und die Pflanze auf eine dem animalischen Leben gänzlich nahe stehende Stufe zu stellen scheint, so daß wir wirklich zustimmen möchten: „Keine Pflanze ohne eine Seele“. Es ist daher der Blumenschlaf, an dem sinnige Naturfreunde immer ihre Freude gehabt haben, auch eine für jeden Deutenden überaus interessante Seite des Pflanzenlebens.

Schon ein gedankenreicheres Bild wird uns bei dieser Beachtung der hereinbrechende Abend. In den Garten und auf die Wiese, die hinten an unsern Garten stößt, gehen wir hinaus, wenn die Schatten länger werden und die Luft des Tages sich abkühlt. Die ewige Mutter hat ihren weichen Dämmerschleier über alle ihre Kinder gebreitet, nachdem sie ihnen die Schale der Erquickung gereicht. Und nun schlafen sie Alle auf den Zweigen und im hohen Wiesengrase, in ihren Bauen und Nestern und Wohnungen mancherlei, – Alle, welche mit Gesang und Gesumme und tausendfältigem Leben, mit ihrer Unruhe und Leidenschaft den Tag erfüllten. Und auch über das Pflanzenreich hat weit und breit der Abend die erquickende Schale ausgegossen. Verschwunden sind die lachenden, schäkernden, aufgeschlossenen Blumengesichter, die in buntem Chore den Tag über durcheinander spielten und mit hellen Augen der Sonne, an der ihr Leben hing, zugekehrt waren. Hie und da nur lugt halboffen oder offen eine Blume noch in die braune Dämmerung hinaus. Aber die meisten schlafen schon, ehe die volle Nacht kommt. Hie und da ist auch ein müdes Insect, geschützt gegen den Thau der Nacht, in ihrem Blüthenkelche mit eingeschlossen.

Jede Pflanze hat dabei, was so seltsam, ihre eigene Weise.

Die farbige „Blume“ selbst begiebt sich zur inneren Ruhe; sie fällt in eine Art Schlaf, indem sie ihre bunten Fühlblätter einzieht und damit gegen die Außenwelt sich abschließt. Der Vorgang ist der, daß sie durch Einfaltung in den Knospenzustand zurückgeht, – ganz wie oft der Mensch im Traume in die Kindheit zurückkehrt.

Wie ferner sich das Haupt des Müden neigt, so giebt es wieder andere Blumen, die eine andere Weise belieben, indem sie ihr Blüthenköpfchen abendlich niedersenken. So das „Frühlingshungerblümchen,“ das im März und April alle Felder und Triften mit seinen kleinen weißblühenden Stengelchen überschleimt; eine Königskerzenart; Wolfsmilcharten; eine „Ranunkel“; die schlanken Rispen des hohen „Wald-Labkrautes“ hängen ruthenförmig übergebogen. Wieder bei anderen, z. B. bei dem gelben „Rühr-mich-nicht-an“, dieser bei uns wilden Balsamine, verstecken und schmiegen sich die zarten Blumen zur Nachtzeit unter die Blätter, wie sich die Kinder unter den trauten Schutz einer Mutter begeben.

Der Schlaf der Pflanze reicht aber über die Blumen hinaus und macht sich vielfach an allen ihren Gliedern geltend. Den Blüthen, die sich schließen oder neigen, folgt darin oft auch das Laubgeblätter. Die Blätter legen sich im Allgemeinen enger an den Stengel an. Oder auch, sie falten sich zusammen. Oder sich deckend legen sie sich über einander, ganz wie im Schlaf die Spannung unserer Muskeln aufhört und die Glieder malt sich strecken.

So legen sich, Jedermann bekannt, an einander die Fiederblättchen der Mimosen, Acacien und Cassien und aller denen ähnlichen Sträucher und Bäume aus der Familie der Leguminosen oder Schmetterlingsblüthler. Ihre Familienverwandten, unsere Wicken und Ginster und Erven und anderes Leguminosenkraut, thun mehr oder minder auf gleiche Weise, legen, wie wir es jeden Abend sehen können, ihre paarigen oder fiedrigen Blättchen an einander. Ebenso die dreizähligen Blätter des Klee und noch mehr des Sauerklee biegen sich zu einander auf, berühren sich mit ihren Rändern und verharren in dieser Ruhelage die Nacht über.

„Nun ruhen alle Wälder“, wie das christliche Abendlied sagt. Und diese dem Auge wirklich sichtbare Waldesruhe gilt besonders von den tropischen Ländern, wo die Mimosen mit ihren zartgefiederten Blättern, welche die Himmelsbläue effectvoll am Tage durchschimmern lassen, ganze ausgedehnte herrliche Waldungen ausmachen. Diese schönen Sensitiven folgen der Sonne in ihrem scheinbaren täglichen Laufe, wie kein anderes Wesen der Erde.

Aber nicht nur in und über allen Wipfeln ist Ruh, wie auch der Dichter es spürte. Nicht minder unten auf blumigem Grunde ist Alles in Schlaf versunken. Wir gehen, den Wald verlassend, den engen Pfad über die Wiese. Die ausgelassenen Ranunkeln, die schlichten Kreuzblüthler haben ihre Blumenkronen zur Knospenfaltung zusammengelegt. Das Gänseblümchen hat seine weißen Zungenstrahlen über die gelbe Blüthenscheibe gebogen, und ebenso hat die großblüthige Wucherblume, der Löwenzahn, die himmelblaue Cichorie, das ganz zahllose Völkchen der Vereins- oder Korbblüthler gethan. Nur die behelmten rothen und weißen Taubnesseln und Löwenschnäuzchen und Vergißmeinnicht, Schwarzwurz und Glockenblume bleiben offen Tag und Nacht, kurz alle die, deren Blumenkrone aus einem einzigen Stück besteht. Wir kommen einen Feldweg entlang. Alle die neckischen Feldgeistchen sammt der betäubenden Roggentrud, die, wie die Sage geht, am Tage zum Schrecken der Kinder über die Getreidefelder wacht, - alle die guten und bösen Geister des Blumenreiches sind in Schlaf verfallen. Die Kornblume hat ihre blaue Krone zugezogen, die lilae Rade steht geschlossen, die Winde hat ihren Silberbecker leise eingefaltet, die weißen Strahlen der Kamille umstehen aufrecht ihre gelbe Scheibe. Nur die schwellenden Roggenähren wogen unverzagt in die Nacht hinaus. Und wie auf Wiese und Feld und im Walde, so ist’s im Garten. Selbst auf dem Wasser taucht die schwimmende gelbe und weiße Seerose unter mit geschlossener Krone, um sich am Tage mehrere Zoll wieder über den Spiegel zu erheben und neu zu erschließen.

Der Morgen kommt und die Sonne geht auf. Und wenn die Strahlen aus der Höhe die Schlafenden treffen, dann wachen sie allmählich wieder auf. Sie erwachen nach der zeitlichen Ordnung, wie sie schlafen gingen, die einen früher, die anderen später. Und nun blühen die meisten den ganzen Tag über, wofern nicht die Sonne sich anhaltend verzieht und aus dem Gewölke ein derber Regen droht. In dem Falle halten freilich manche leicht den Tag schon wieder für anbrechende Nacht und machen sich leise zum Schlummer fertig. So habe ich eine Tulpe beobachtet, die sich an einem Tage mit recht unbeständigem Wetter fünf Mal schloß und fünf Mal durch die aus dem Gewölk hervortretende Sonne sich zum Oeffnen bringen ließ. Vom Lichte leben und am Lichte hängen die zarten Elfenwesen nun einmal und flüchten sich in sich selbst zurück, sobald diese Lebensquelle ihnen schwindet.

Man hat diese insgemein die Tagblumen genannt.

Es giebt unter diesen Tagblumen aber auch ephemere, deren Leben mit einem einzigen sich Oeffnen und sich Schließen abgelaufen ist. Gehen wir früh um die sechste oder siebente Morgenstunde über ein blaublühendes Flachsfeld, so lacht unser Herz vor [607] Freude, wie die tausend himmelblauen Krönchen geöffnet sind. Aber alle diese Herrlichkeit ist hin zur Mittagszeit und die nun geschlossenen Blümchen welken ohne Wiederkehr. Dasselbe gilt von allen den prächtigen Leinkräutern, die mit großen blauen, violetten, rothen Blumen als Zierpflanzen in unsern Gärten prangen. Ein gleiches kurzlebiges Schönheitsloos haben die Lichtrosen, ja es giebt solche Tagblumen die nur wenige Stunden, aber mitten am Tage, die Augen aufschlagen. Aber sie wiederholen dieses kurze Wachen mehrere Tage hindurch. So die als Siebenschläfer bekannte doldenblüthige Vogelmilch, die in Wäldern und auf Wiesen im Frühling blüht; früh um elf Uhr etwa blühen die perlenweißen Blumensterne auf, um etwa schon um drei Uhr sich wieder zu schließen. Viele Eiskräuter öffnen sich nur in den sonnigsten Mittagsstunden, andere schließen sich, wie die prächtige Tigerlilie, vor dem intensiven Licht der höher steigenden Sonne schon am Vormittage wieder.

Ein allzu gesteigertes Maß von Wärme bewirkt übrigens das Einschlafen bei einer jeden Blume. So hatte ich eine halbgeöffnete Eiskrautblume in einem dunkeln dreißig Grad warmen Raume zum vollen Aufblühen gebracht; bei sechsunddreißig Grad begann die Blume sich alsbald wieder einzuziehen. Das erklärt, weshalb manche sehr reizbare Blumen schon unter der Mittagsstunde sich wieder schließen. Ihr ganzes Sensorium ist eben zu zart für die Macht der senkrechten Strahlen.

Daß Blumen am Tage blühen, nimmt uns nun allerdings nicht Wunder. Es ist uns ja so selbstverständlich, daß mit dem Sonnenlichte die Blumenherrlichkeit zusammengehe. Und wenn wir alle Erscheinungen des Erdenlebens aus einem Gesetze begreifen, so finden wir es nur ganz natürlich, daß die Blumen sensitiv zur Nacht sich schließen. Entgegen den Tagblumen giebt es nun aber doch auch Nachtblumen, Aequinoctialblumen, welche den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tage machen. So das „nachtblühende Eiskraut“, dessen Blüthe fast eine Woche währt, aber immer erst Abends etwa um sieben Uhr sich öffnet und die ambrosische Nacht hindurch, bis die Morgensonne sie wieder schließt, ihre großen Blumen entfaltet hält.

Die meisten Nachtblumen aber sind nur von kurzer Dauer, eintägig oder richtiger einnächtig. Nach dem berauschten Blühen eine Sommernacht hindurch welken sie für immer hin. Das gilt zum Theil von der „Wunderblume“, der bekannten weißen, gelben, rothen oder geflammtem Jalappa mirabilis und manchen andern, die in der Nacht aufblühen und, von den Strahlen der Morgensonne getroffen, bald hinwelken. Es gilt aber im höchsten Maße von der hehren „Königin der Nacht“, deren große, schneeweiße Blumenkrone Abends sich öffnet und ihren Vanilleduft ausströmt. Nun prangt sie in stiller Majestät, eine Schönheit ohne Gleichen, umfangen von allem köstlichsten Geheimniß der Natur. In einem aus neunzig gelben Schuppen bestehenden Kelche legen sich dreißig Blumenblätter auseinander; in zwei innere Kreise geordnet hängen vierhundert Staubgefäße heraus. Und das Alles bricht leise auf aus einem dickem blätterlosen Stamme. der wie eine mathematische Säule emporsteigt.

Nur gezählt sind die Stunden der überirdischen nächtlichen Königin: die Mitternacht ist eben heraufgekommen und schon beginnt sie zu welken und der Morgen sieht von ihr nur einem eingefallenen Blumenblätterklumpen.

Diese feierlichste Schönheit der Pflanzenwelt stammt aus Jamaica, und wenn sie auch häufig in unseren Gewächshäusern gezogen wird, so kommt sie bei uns doch nur sehr selten zur Blüthe. Um so unvergeßlicher aber ist Jedem, der ihr Blühen einmal erlebte, der feierliche Eindruck, den er empfand in schwüler Sommernacht bei ihrem Aufblühen, dem leisen und immer reicheren Ausströmen köstlichen Duftes, mit dem sich bald das Zimmer erfüllt, und dem nach kurzer Weile eintretenden Hinschwinden all’ der kaum aufgegangenen Pracht und Herrlichkeit.

Die Nachtblumen erblühen aber nicht blos unter dem Hauche der Nacht. Aehnlich der Nachtigall, die von dem Dämmer, der in die laue Nacht übergeht, berauscht wird und dann am ergreifendsten singt, so strömen jene da ihre reichsten betäubendsten Düfte aus. Sie sind die Nachtigallen der Blumenwelt. „Düfte aber sind,“ wie H. Heine bemerkt, „die Gefühle der Blumen, und wie das Menschenherz in der Nacht, wo es sich einsam und unbelauscht glaubt, stärker fühlt, so scheinen auch die Blumen sinnig verschämt erst die einhüllende Dunkelheit zu erwarten, um sich gänzlich ihren Gefühlen hinzugeben und sie auszuhauchen in süßen Düften.“ Bekannterweise übt aber das Dunkel etwas von der Gewalt auch über die Tagblumen aus. Ganz anders wehen Abends die blühenden Fliedergebüsche ihren süßen Geruch uns zu, und ganz anders muthet Abends die Jasminlaube uns an, wo ihr narkotischer Geruch uns viel stärker berührt. Selbst gebrochen und in’s Zimmer gestellt nehmen die Blumen durch ihre zur Nachtzeit ausströmenden Arome und Narkosen noch Rache an der Jungfrau, welche sie brach, wenn dieselbe schlafergossen und machtlos ruht und den Geistern nicht entfliehen kann.

Die Beobachtung, daß verschiedene Blumen zu verschiedenen Tagstunden sich öffnen und schließen, brachte schon Linné auf die Idee einer Blumenuhr. Den ganzen Tag über blühen Blumen auf und schließen sich zu. Ein blühender Stundenzeiger wandelt so auf einem Beete, wo die bestimmten Arten zusammengestellt sind, an uns vorüber und noch bis tief in die Nacht hinein. Nur für die ersten Mittagsstunden fehlen solche Blumen. Praktisch ist die sinnige Entdeckung freilich nicht, und ganz genau geht diese Uhr auch nicht. Aber liebenswürdig ist sie mindestens. Der Naturforscher fragt nun allerdings nicht sowohl nach der Liebenswürdigkeit. Ihn interessirt ganz anders die Frage, wie es denn zugehe, daß die Blumen sich öffnen und schließen und wieder öffnen; wie es wiederum zugehe, daß das bei verschiedenen Arten zu so ganz verschiedener Zeit geschehe. Viel Mühe und Zeit ist von der Forschung auf eine klare Beantwortung dieser Frage verwandt; aber so ziemlich ist die Sache nun auch in’s Klare gebracht.

Eine naturnothwendige Erscheinung, ganz wie der Schlaf von Mensch und Thier, ist der Blumenschlaf, nur daß er auf anderen physikalischen Ursachen beruht. Und es ist auch gut, daß die Blumen sich zum nächtlichen Schlummer schließen. Die Zeit der Blüthe ist ja auch die Zeit der Befruchtung, und gegen alle Nässe und so auch gegen allen Thau der Nacht hat sich da die Blume zu wahren, damit der zarte Vorgang im Blütheninnern nicht beeinträchtigt werde. Glockenförmig hängen daher manche Blumen, andere sind durch Helm- oder Flügel- oder Schnauzen- oder Baldachinform ihrer Bildung gegen den Regen von oben und gegen den fallenden Thau geschützt.

Die unmittelbare Ursache, daß manche Blumen in Schlaf verfallen, liegt an ihnen selber, liegt in der allen Körpern mehr oder minder theilhaftigen Eigenschaft der Elasticität. Es ist die Pflanzenfaser elastisch, besonders die an den Gelenktheilen der zarten Blumenblätter. Die elastische Faser verkürzt sich bei kalter Temperatur und verlängert sich und streckt sich, wenn sie erwärmt wird. In der Wärme ist eben der Stoffwechsel reger, die Thätigkeit der vegetabilischen Zellen steigert sich, es strömt die Flüssigkeit rascher zu, weil sie rascher verdunstet, und so sind die Gelenktheile dann immer strotzend von Safte erfüllt. In diesem lebenskräftigen Zustande sind daher die Zellen elastisch gespannt, und es strecken sich die Laub- und Blumenblätter mutig auseinander – die Blumen erwachen. Bei minderer Lebensthätigkeit vermindert sich die Elasticität der Gelenkfasern, die Blättchen ziehen sich ein, falten sich zusammen – die Blumen sind eingeschlafen.

Aber die anregende Ursache kommt von außen. Man hat dabei an die Feuchtigkeit gedacht, welche der hereinbrechende Abend mit sich bringt. Doch in den Gewächshäusern, wo die Luft eine unveränderte Feuchtigkeit hat, falten und öffnen die Schlafblumen sich in gleicher Weise. Landpflanzen, die man unter Wasser gesetzt hatte, blieben durch das nasse Element unbeirrt: sie folgten genau nur dem Tageslichte. Und wenn immerhin viele Blumen, die sogenannten „meteorologischen“ (besonders die Ringel- oder Todtenblume) vor oder bei Regenwetter sich schließen, so daß man dieselben sogar als Wetterpropheten betrachten kann, so ist das auch eine ganz besondere Eigenthümlichkeit bestimmter Pflanzen. Mit dem periodischen Blumenschlaf hat das nichts zu thun.

So scheint denn einzig der Einfluß des Lichtes das Phänomen des Pflanzenschlafes erklären zu dürfen. Folgen doch die Blätter und Blumen der Sonne wunderbar, und manche Blattspitze beschreibt den Tag über einen Bogen von hundert Grad. Schon Decandolle hatte die gelungensten Versuche selbst mit künstlichem Licht gemacht und gezeigt, daß eine Anzahl Argand’scher Lampen zur Nachtzeit die Sinnpflanzen zu erwecken vermag. Und dasselbe ist vielfach auch an anderen Pflanzen constatirt. Ebenso läßt sich in kühlen Räumen das Einschlafen auch am Tage durch künstliche Verdunkelung der Zimmer, in denen die Pflanzen stehen, hervorrufen. [608] Nur in warmen Zimmern gelingt es nicht. Ebenso ist das Einschlafen bei Gelegenheit von Sonnenfinsternissen beobachtet. Ob der Wegfall des Lichtes die Ursache war? Eine andere Art von Versuch bestand darin, daß man mehrere sensitive Pflanzen in einen warmen dunklen Keller stellte. Das Spiel der periodischen Bewegungen blieb unverändert, doch wurde es mit der Zeit etwas schwächer. In die Kühle gebracht hörte es sogleich auf.

Aus diesen und anderen Erfahrungen zu schließen, ist das ganze Licht, wie es auf die Augen wirkt und nach dem die Blätter und Blumen sich hinwenden, zum Oeffnen der sensitiven Grünblätter allerdings nöthig. Durchaus aber nicht auch zum Erwachen der Blumen. Diese sind noch feinfühliger. Sie brauchen nicht einmal den Reiz des ganzen ungetheilten Lichtes. Ist doch das Licht aus vielartigen Strahlen zusammengesetzt, aus chemisch wirkenden und wärmenden vor Allem. Es können ja die Wärmestrahlen auch künstlich isolirt werden, und bei Unterdrückung der anderen Strahlengarben wirken sie in der That im Dunkel so energisch, daß man Pulver mit ihnen anzünden kann. Diese sind es nach allen Betrachtungen allein, welche die traumhafte Faltung und das Oeffnen der Blumenkronen veranlassen. An die Wärmeschwankungen zwischen Tag und Abend und Nacht ist das Wachen und Schlafen gebunden, und das Licht von oben ist nur in soweit dabei betheiligt, als eben auch wärmende Strahlen von ihm ausgehen. Jede Blume entfaltet sich, gesetzt, daß die bestimmte Feuchtigkeit – diese ist der andere gleichzeitige Factor – vorhanden ist, bei einer gewissen Summe von Thermometergraden und ist somit allerdings von der Sonne, als der ausschließlichen Wärmespenderin unserer Erde, abhängig. Der Zustand der Sättigung findet bei den meisten Pflanzen des Morgens statt. Da blühen sie auf; nur an kühlen Tagen findet die Entfaltung nicht oder wenig statt. Wenn sie aber einmal entfaltet oder geschlossen sind, so beharren sie eine längere oder kürzere Zeit in diesem Zustande.

Jede Pflanze hat aber ihren eigenthümlichen Stoffwechsel, die Fasern jeder Art haben ihre eigene Elasticität. Dadurch löst sich auch das Räthsel, daß manche Blumen ihre eigene Weise und ihre besonderen Stunden des Wachens und des Schlafens haben. Dagegen wird der Satz aufgestellt: „Jene Pflanzen, welche ihre Blüthe dann erschließen, wenn bei uns der Abend zur ruhigen Verschlossenheit mahnt, sind alle dort heimisch, wo zu dieser Zeit erst der Tag beginnt. Auch sie folgen also dem allgemeinen Gesetze, daß sich dem Lichte alle Daseinsformen entgegendrängen; daß aber ihrem Zuge zum Licht die Heimath fehlt, und daß sie deswegen als Störer des Gesetzes auf einem Boden erscheinen, der ihnen doch nicht ursprünglich angehört – dafür können doch die armen Blumen gar nichts.“ Es läge hinter solcher auch unter anderen Längengraden der Erde fortbestehenden und sich fortvererbenden Heimathsnatur ein über alles Begreifen und Verstehen gehendes Geheimniß, wobei alle Naturwissenschaft aufzuhören hätte, welche ja durchgehends zeigt, daß alle Erscheinung von den äußeren Verhältnissen bedingt ist. P. K.     




Ein gutes Volks-, Familien- und Prachtbuch von Berthold Auerbach.

„Der Krappenzacher, der einen Stelzfuß hatte, war der sogenannte Heirathsmacher in der Gegend.“ (Barfüßele Seite 23.)

Dem von Berthold Auerbach geschaffenen neuen Zweige der Volkspoesie hat das deutsche Volk und die gesammte gebildete Welt durch die außergewöhnlich glänzende Aufnahme der „Dorfgeschichten“ die höchste Anerkennung erwiesen.

Eine Perle dieser Dichtungen ist sein „Barfüßele“: ein Werk, wie aus dem Urquell des Volksgemüthes entsprungen, vom Hauche unserer heutigen Empfindung, unseres gegenwärtigen Lebens bewegt; ein Werk rein in der Gestaltung, anziehend und beruhigend zugleich, erquickend für Jung und Alt, für die Eltern und die Kinder, die offengelegte Entwicklung einer starken Menschenseele,

[609] die sich im Kampfe mit Armuth und Noth selbst ihr Loos schafft. Welcher Leser des „Barfüßele“ hat sich nicht sein Bild gemacht von dem seltsamen Kinde, „das die Seele hat von einem alten Einsiedel“. Wir haben es in dem Buche mit so wenigen Personen zu thun, alle gehören der Verkehrsclasse an, in welcher die Poeten von ehedem nur Figuren für derbe Komik suchten oder sie als Masse zum Hintergrund für die im Vordergrund handelnde vornehme Welt gebrauchten; und dennoch geht ein reiches Herzensleben an uns vorüber von der harten Sorge des armen Kindes bis zum köstlichen vom Dufte der Poesie umzogenen Ritt der Liebesleute. Auch das Barfüßele verdient, wie Immermann’s Lisbeth, den Ehrentitel einer „Prinzessin der Unschuld“, während um sie der Bauer sich bewegt, wie er leibt und lebt, von der unerbittlichen Härte seiner Vorurtheile und Selbstsucht bis zum Ergötzlichen seiner Pfiffigkeit und Gutherzigkeit.

Es war gewiß ein guter Gedanke, gerade dieses Werk Auerbach’s von einem der ersten Künstler der Gegenwart, von dem berühmten Vautier in Düsseldorf, in sorgfältigster Ausführung mit 65 Bildern illustriren zu lassen, von welchem wir hier einige Proben mittheilen. Das deutsche Volk ist dadurch um ein schönes und stattliches Familienbuch, wie es in besserer Ausstattung zu diesem Preise niemals erschienen, reicher geworden und wird mit Freuden die prachtvolle Gabe begrüßen.

„Und noch als Dami auf dem Wagen saß und sie ihm zum letzten Mal die Hand reichte, die sie nicht lassen wollte, bis er endlich davon fuhr, da rief sie ihm noch mit heller Stimme nach: ‚Sack und Axt! Vergiß das nicht.‘ Er schaute zurück und winkte, und verschwunden war er.“ (Barfüßele Seite 112.)

Um derselben nun eine möglichst weite Verbreitung zu sichern, wendet sich, im Einverständniß mit dem Dichter, die Cotta’sche Verlagshandlung durch uns an die Abonnenten der Gartenlaube und zwar

ausschließlich nur an diese allein

und bietet ihnen folgende ganz außerordentlich günstige Bezugsbedingungen:

Jeder Abonnent unserer Zeitschrift, welcher seine Bestellung vom Erscheinen dieses Anfrufs bis spätestens Mitte März nächsten Jahres einsendet, empfängt die sechs Lieferungen des Prachtwerkes, welche in dreiwöchentlicher Frist erscheinen, zu

je 10 Ngr. oder 35 Kr. rhein.,

das ganze Werk also zu 2 Thaler. Spätere Bestellungen können zu diesem Preise nicht mehr berücksichtigt werden.

Ausdrücklich bemerken wir noch, daß Barfüßele in dieser Prachtausgabe erst in der zweiten Hälfte des Monats März 1870 im Buchhandel erscheinen und von Nichtabonnenten der Gartenlaube erst von da an um

Vier Thaler

zu beziehen sein wird.

Abonnenten, welche die Gartenlaube durch Buchhandlungen beziehen, haben bei diesen, die Postabonnenten bei der zunächstliegenden Sortiments- oder direct bei der Verlagshandlung der Gartenlaube zu bestellen.



[610]
Blätter und Blüthen.

Eine Begegnung. Es regnete in Strömen. – Im Amthause zu R…, einem schwäbischen Städtlein, hatte sich eine fröhliche Gesellschaft eingefunden, um den fünfzigsten Geburtstag des Amtmanns zu feiern.

Selbst aus der entfernteren Umgegend waren die Freunde gekommen, an dem Feste theilzunehmen.

In der großen Erkerstube des Erdgeschosses hatten sich die Gäste in verschiedenen Gruppen behaglich niedergelassen, Politik und Kinderpflege, philosophische Probleme, Küchenrecepte und Moden wurden besprochen; die Blüthen der neuesten Poesie und die chronique scandaleuse des Städtchens kamen dazwischen abwechselnd an die Reihe. – Während es nun drinnen so laut und lustig herging, waren noch zwei Fremde in die Hausflur getreten. Der Eine, welchen Mantel und Mütze als höheren Officier kennzeichneten, war ein stattlicher, wohlbeleibter Fünfziger; der Andere ein Mann von kaum mittlerer Größe und höchst unscheinbarem Aeußeren. Der aufgestülpte Kragen eines altmodischen Oberrockes verdeckte zur Hälfte sein Gesicht.

„Hundewetter das, wahrhaftig, selbst für einen alten Soldaten zu schlecht!“ brummte der Oberst, indem er seinen Mantel abnahm und sich Bart und Haare trocknete.

„Seid Ihr vom Hause?“ fuhr er dann, gegen seinen Gefährten gewendet, fort, der noch immer neben ihm stand und ihm schweigend zusah.

„Nein.“

„So könnt Ihr mir nicht sagen, ob der Amtsrichter zu sprechen ist?“

„Nein.“

Der Oberst hatte sich inzwischen vergeblich bemüht, die wassertriefenden Ueberschuhe von seinen Füßen loszumachen. „He, guter Freund,“ rief er endlich seinen schweigsamen Zuschauer an, „wollt Ihr nicht so gut sein, mir die Schuhe da auszuziehen?“

Der Angeredete stutzte einen Augenblick.

Ein drittes „Nein“ schien auf seinen Lippen zu schweben; dann aber bückte er sich, zog dem Obersten die Schuhe von den Füßen und wendete sich um, ohne von dem kurzen „Danke“ desselben Notiz zu nehmen.

„Sauertöpfischer Mensch,“ sprach der Oberst vor sich hin und schritt auf gut Glück der nächsten Thür zu.

Mit voller Herzlichkeit begrüßte der Amtmann den alten Freund und Kriegscameraden. Sie hatten einst, am 18. October, neben einander vor Leipzig gestanden und waren seitdem, wenn auch getrennt durch Zeit und Raum, warme Freunde geblieben. Ein abermaliges Klopfen zog alsbald die Blicke der Gesellschaft nach der Thür. Mit Befremden erkannte der Oberst in dem Eintretenden den „Sauertöpfigen“ von vorhin. Seine Ueberraschung stieg aber bis zum Schrecken, als plötzlich bei dessen Anblick Alt und Jung sich erhob und mit dem Rufe: „Uhland, Uhland!“ sich an ihn herandrängte.

„Uhland?“ wiederholte fast tonlos der Oberst, gegen den Amtmann gewendet.

„Gewiß, Oberst, mein alter Freund Uhland. – Aber weshalb erschreckt Dich das? Du siehst ja aus, Alterchen, als hättest Du eine Schlacht verloren!“

Der Oberst kratzte sich in den Haaren.

„Ist mir auch fast so zu Muthe,“ sagte er kleinlaut, und erzählte nun sein erstes Zusammentreffen mit dem Dichter. „Jetzt aber,“ fügte er hinzu, „da man doch einmal Geschehenes nicht ungeschehen machen kann, bleibt mir nichts übrig, als mich auf Gnade und Ungnade zu ergeben.“

Entschlossen ging er auf den Dichter zu, ergriff seine beiden Hände, und indem er sie herzlich schüttelte, bat er:

„Hier stehe ich, Herr Professor, ein reuiger Sünder, dictiren Sie die Strafe.“

„Gut,“ erwiderte Uhland in seiner gewohnten trocknen Weise, aber lächelnd. „Ich pardonnire Sie! Sie können wenigstens nicht mehr behaupten, daß ich nicht werth wäre, Ihnen die Schuhriemen aufzulösen.“




Die Carolina 1848. Der Strafgesetzentwurf des Norddeutschen Bundes hat leider mit bewundernswerther Hartnäckigkeit auf der Beibehaltung der Todesstrafe bestanden, und zwar, „weil das Rechtsbewußtsein des Volkes die Abschaffung der Todesstrafe gegenwärtig noch nicht zulasse.“ Ohne mich indeß über dies in der Gartenlaube vom humanen Gesichtspunkt schon öfter und eingehender behandelte Thema weiter zu verbreiten, will ich nur eine wohlverbürgte Anekdote mittheilen, welche dazu beitragen kann, die Vorstellungen, welche sich Juristen bisweilen von dem Rechtsbewußtsein im Volke machen, als nicht selten irrthümliche darzulegen und zu zeigen, daß der im Volke lebende gesunde Menschenverstand den verknöcherten Rechtsanschauungen einer grausamen Justiz widerstrebt.

Im Oldenburgischen liegt eine bis vor Kurzem reichsunmittelbare Enclave, berühmt geworden durch den viele Jahre um sie geführten Erbschaftsstreit. Als Strafgesetzbuch galt dort noch in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts die Carolina, die peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karl’s des Fünften. Diese setzt nun auf den Bruch der Urfehde als Strafe den Verlust der rechten Hand, mittelst welcher der Eid geleistet war. Ein harmloser Handwerksbursch, respective Bummler, betrat bettelnd die reichsunmittelbare Herrschaft nicht lange vor dem Jahre 1848. Er wurde dabei abgefaßt, zu einigen Tagen Gefängniß verurtheilt und ihm die Urfehdeerklärung abgefordert, sich innerhalb einer so und so langen Frist auf dem verpönten Gebiet nicht wieder betreffen zu lassen. Bruder Liederlich kam aber dessenungeachtet bald wieder, wurde abermals handfest gemacht und ihm wegen des Urfehdebruches die rechte Hand abgesprochen, welche ihm durch den Nachrichter, wie das Gesetz besagte, abgehauen werden sollte.

Der Instanzenzug jenes Diminutivländchens war folgender: die drei Richter hatten verschiedene Sitzungszimmer und tagten in jedem als eine besondere Instanz, ein Unding, welches man nicht für möglich halten sollte, wenn nicht gegenwärtig noch Augen- und Ohrenzeugen dieser classischen Rechtseinrichtung lebten. Unser armer Reisender also, dem die Wohlthat eines officiellen Rechtsbeistandes, wie üblich, zu Theil geworden, wurde in sämmtlichen Instanzen zu der erwähnten grausamen Verstümmelung durch Henkershand verurtheilt. Wie es nun jetzt auch in einzelnen Ländern, wir sagen Gottlob! geht, so war es damals in der reichsunmittelbaren Herrschaft: es war kein Henker da, und man war dort noch nicht auf den vor der Moral schwer zu rechtfertigenden Gedanken gekommen, sich, wie solches in Braunschweig z. B. behufs Vollstreckung der Todesstrafe vorgekommen ist, für Geld einen solchen von Auswärts kommen zu lassen. Der hohe Gerichtshof war demnach in Verlegenheit, wie das einmal gesprochene Urtheil zu vollstrecken sei. Nach längerer geheimer Berathung kam einer der alten Herren auf den Gedanken, dem langgedienten Gerichtspedellen und Gefängnißwärter die Sache officiell zu übertragen.

Der betreffende im Vorzimmer pflichtmäßig befindliche Kerkermeister, Muster eines Solchen an Originalität etwa nach Shakespeare’s Art, wurde vorcitirt und ihm der weise Beschluß seiner hohen Vorgesetzten mitgetheilt. Das Factotum der Executivgewalt stand ein Weilchen sinnend, blinzelte mit den grauen Augen über der feurigen Nase weg, kratzte sich hinter dem Ohr und brach endlich in die halb zweifelnd, halb warnend gesprochenen Worte aus: „Ja, mine Herren, schöll’n wi denn dat wol duhn dörben? Mi döcht, wi laaten dat sien.“ (Ja, meine Herren, sollten wir das wohl thun dürfen? Mir däucht, wir lassen das sein.) Ob dieser, wie wir dankbar anerkennen müssen, weisen Rede zog sich der Gerichtshof zu einer abermaligen Berathung zurück, deren Resultat war, der Cerberus des Gefängnisses – solle die Kerkerthür nicht so fest schließen, daß der Delinquent nothwendig darin bleiben müsse. Dieser verstand alsbald den ihm gegebenen Wink und hielt es für Schuldigkeit, den Herren Richtern keine weitern Verlegenheiten zu bereiten, indem er sich schleunigst über die nicht schwer zu erreichende Grenze entfernte.

Der Reichstag, von welchem wir wohl anzunehmen berechtigt sind, daß er das Rechtsbewußtsein des Volkes vertritt, wird hoffentlich im Sinne des humanen, reichsunmittelbaren Kerkermeisters den Rechtsanschauungen des neuen Strafgesetzentwurfes entgegen die Todesstrafe zu den übrigen längst verschwundenen grausamen Strafarten der Carolina gesellen. Oldenburg, jetzt Inhaber des Schauplatzes unserer Anekdote, ist darin mit rühmlichem Beispiel vorangegangen. L. S.     



Für die Hinterbliebenen der verunglückten Bergleute des Plauenschen Grundes

gingen ferner ein: aus Crimmitschau 2 Thlr.; N. N. zu N. 2 Thlr.; N. B. Pyritz 1 Thlr.; aus der Sparcasse eines Schülers H. A. 15 Ngr.; L. S. u. C. G. 5 Thlr. 14 Ngr. 5 Pf. (10 fl. ö. W.); von elf zukünftigen einjährigen Freiwilligen auf dem Bahnhofe zu Erfurt gesammelt 2 Thlr. 15 Ngr.; W. H. u. Th. C. in Teichwolframsdorf 6 Thlr.; Dr. Fischer in Schwelm 5 Thlr.: aus Goldap 1 Thlr.; Carl Weber, Lehrer am Conservatorium in Moskau 5 Thlr.; Reinertrag eines Concerts des Gesangvereins in Königsee in Th. 17 Thlr.; aus Schönbaum 4 Thlr.; mehrere siebenbürger Sachsen aus Mediasch 8 Thlr. 23 Ngr. 2. Pf. (16 fl. ö. W.); Sammlung in der Dorfschule zu Blankensee (Pommern) 2 Thlr.: Pf–n in Blankenburg in Th. 1 Thlr; St. H. in Mewe 1 Thlr.; A. A. v. M. in Düsseldorf 1 Thlr.; ein alter Abonnent in Ottersoos 17 Ngr (1 fl rh.); C. Fr. in Frankenberg 1 Thlr.; Friedel 2 Thlr. 25 Ngr. (5 fl. rh.); F. Hübner, Privatier in Prag 2 Thlr. 22 Ngr. 2 Pf. (5 fl. ö. W); Ertrag einer Production des Liederkranzes und milde Gaben mehrerer Menschenfreunde in Bamberg 134 Thlr.; die einjährigen Freiwilligen des k. bair. 14. Infant.-Reg. „Hartmann“ in Nürnberg 41 Thlr. 20 Ngr.; C. Hildebrand in Wernigerode, bei einer Hochzeit gesammelt 4 Thlr 18 Ngr.; Cantor Sommer in Schlichtingsheim (Posen) 2 Thlr. 20 Ngr.; gesammelt von A. L. in R. bei Z. 6 Thlr. 25 Ngr. 7 Pf.; gesammelt bei einer musik.-declamat. Abendunterhaltung in Herborn, durch Buchhändler Schellenberg 3 Thlr. lO Ngr.; Bruno Müller in Manchester 5 Thlr.; Kaufmann Theodor Schmidt in London 5 Thlr.; Louis Auler in Bensheim 11 Thlr. 12 Ngr. 2 Pf.; F. H. in N. 1 Thlr.; Reinertrag eines Concerts des Stolper Gesangvereins „Liederkranz“ in Rügenwaldemünde 30 Thlr.; S. Greiner in L. 2 Thlr.; Marie in Bamberg 17 Ngr. (1 fl. rh.); dritte Sammlung der Deutschen in Hâvre 91 Thlr. 7½ Ngr. (337 Fr. 50 C.); E. W. Reis. aus L. 1 Thlr.: M. M. P. Tschau 3 Thlr.; C. S. Heinrichswalde 1 Thlr. 5 Ngr.; aus Krummenweg 5 Thlr.; Fzka u. Fr. Sch. in Bamberg 7 Thlr.; vom Kegelclub des Casino in Lohr a. M. 12 Thlr.; Sammlung der Pfarrei Konkern (Pfalz) 2 Thlr. 15 Ngr.; von einem Bergmannssohn in Garding 1 Thlr.; C. P. in München 3 Thlr.; von einer kleinen Gesellschaft in der Post zu Schotten 2 Thlr. 25 Ngr. (5 fl. rh.); Beitrag der Arbeiter und Angestellten der Baumwollweberei Zöschlingsweiler 44 Thlr.; M. F. in Pöseldorf 1 Thlr.; eine Abonnentin in Dalwigksthal 10 Thlr.; aus Kunsdorf in Schlesien 1 Thlr.; ein Leser in Würzburg 1 Thlr.; J. W. 1 Thlr.; Frau Louise Horack in Wiener-Neustadt 1 Thlr. 2 Ngr. 9 Pf. (2 fl. ö. W.); aus Rendsburg 1 Thlr.; gesammelt in der höhern Bürger- und Töchterschule zu Neidenburg in Ostpreußen 11 Thlr. 10 Ngr.; eine Mutter von zehn Kindern 1 Thlr.; Ertrag einer Sammlung beim neunten südthüringischen Gauturnfest zu Sonneberg 13 Thlr.; Ertrag eines Concerts des Sängervereins Ueberlingen 59 Thlr.; H. Bender in Kirchheimbolanden 1 Thlr.; A. W. Schwerin 1 Thlr.; Adv. Fr. in Schleswig 2 Thlr.; G. M. in Königsberg i. d. Neum. 2 Thlr.; Bertha 1 Thlr.; Ertrag eines Concerts des Männer-Turnvereins in Höxter 35 Thlr.; A. Lange, erster k. Ingenieur in Belgrad 6 Thlr. 13 Ngr (2 Duk.): C. Fk. in Greifenhagen 1 Thlr.; Verein der Taubstummen für gegenseitige Unterstützung zu Leipzig 4 Thlr. 9 Ngr.; aus Coeslin 5 Thlr.; aus K...hausen

bei Erfurt 2 Thlr.; aus Schwarzenbach a. S. 6 Thlr.; J. C. Rademacher in Curslach 3 Thlr. (Summa sämmtlicher Eingänge: 2267 Thlr. 2 Ng. 5 Pf.)
Die Redaction.     

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Zschokke hat richtig prophezeit: auf die heftigen ultramontanen Umtriebe, welche nach der aargauischen Klosteraufhebung im Jahre 1841 entstanden, folgte der Sonderbundskrieg im Jahre 1847, welcher die Jesuiten aus der Schweiz fortfegte.
  2. In der Literatur der jesuitischen Schmähschriften spielte eine besondere Rolle die Schrift: „Die Stunden der Andacht ein Werk des Satans. Sitten und Solothurn 1820“, in drei starken Heften. Wir entheben derselben, um sie zu kennzeichnen, folgendes Gedicht:

    Fürst Satan sah das ihm verhaßte Christenthum
    In seinem Wahne schon durch ihn erschüttert beben.
    Um ihm zum Sturze noch den letzten Tritt zu geben,
    Berief durch Zophiel er sein Synedrium.
    Geflügelt sammelt sich im dumpfen Donnerwetter
    Um Satans Feuerthron die Schaar der Höllengötter:
          Adramelech und Moloch,
          Belieler und Magog,
    So festlich-schauerlich, wie Klopstock sie beschrieben.
    Der Gottesspötter Gopp war einzig ausgeblieben.

    Da brüllt der Höllengott in seinem Grimme:
    Noch fehlt mir Gopp, wo zaudert er?
    Denn seine Lästerstimme
    Kann heut’ entscheidend sein!
    Da sprach ein kleines Teufelein:
    Ich hab’ auf meiner Reise her
    Zu Aarau ihn gefunden:
    Er redigiret dort die Andachtsstunden!

  3. Siehe die Ansprache auf Seite 608.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Weshab