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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1867
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[65] No. 5.
1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.




Die Brautschau.
Ein Bild aus den oberbairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


3. Christmette.

„Tausend, tausend! Ist das eine Kälte, das Holz im Ofen könnt’ gefrieren! Es schneidet Einem fast das Gesicht auseinander und die Haut bleibt schier hängen, wenn man das Thürschloß anfaßt! Ich mein’, ich höre die Füchse bellen, dort drüben am Waxenstein!“

Es war die Hauserin vom Brunnhofe, welche auf diese Weise mit sich selbst plauderte; sie stand unter der Thür des Hauses, hauchte sich in die erstarrenden Hände und blickte nach allen Richtungen umher in der schneebedeckten, dämmerverhüllten Wintergegend. Das Bild war, wie es vor Wochen gewesen, voll einfacher schweigender Erhabenheit, nur die Farbengebung war eine andere – das Grün der Matten und Hänge war zum hellen eintönigen Weiß geworden, von welchem nur strichweise die graubraunen laublosen Buchenstämme sich abhoben oder die Tannenwälder mit ihrem schwarzdunkelnden Grün, oder die blauen Schatten, mit welchen die Häupter und Schluchten der Berge sich selbst abzeichneten auf dem lichten gleichgespannten Grunde. Wieder verriethen nur noch die fernen Rauchsäulen, wo das Leben des Dorfes um Heerd und Ofen zusammengeflüchtet war; nichts ließ sich vernehmen, als manchmal ein dumpfer Knall, wenn droben im Bergwald ein Stamm unter der Schneelast brach oder der See den Eispanzer zu sprengen suchte, in den er eingezwängt war – über all’ dem ein frischer klarer Himmel, an dessen Saum ein winterliches Abendroth erkaltete.

„Schaust Dich nach dem Wetter um, Hauserin?“ fragte es von unten nach der Schauenden herauf, die eben kopfschüttelnd in’s Haus zurückkehren wollte. „Das giebt einmal kalte Feiertage – ich weiß schier seit meiner Jugend nimmer, daß wir solche Weihnachten gehabt haben …“

„Wer bist?“ fragte die Hauserin entgegen und machte einige Schritte gegen das Geländer; der an der Oberfläche gefrorene Schnee trug sie nicht und brach unter ihren Schritten ein. „Die Boten-Lisel!“ sagte sie dann, als sie der Redenden ansichtig geworden; es war ein altes Mütterchen, über und über und doch nur dürftig verhüllt, das Gewand war bereift und auf dem Tuch vor dem Munde lag eine Eiskruste vom Athem gebildet. In der einen Hand trug die Alte einen starken Stock mit Eisenspitze, mit der andern hielt sie einen Strick, an den ein kleiner Schlitten gebunden war, bepackt mit allerlei Bündeln, Körben und kleinem Geräth, daß es eine ziemliche Beschwer sein mochte, die Last so fortzuschleifen durch den tiefen Schnee und auf all’ den holperigen Wegen. Wohl hatte die Frau sich dabei Hülfe und Unterstützung zu schaffen gewußt, denn neben ihr war ein Hund vor den Schlitten gespannt, ein schwarzes zottiges und unscheinbares Thier, aber was es ihr ersparte, mochte auch nicht viel bedeuten, denn der Hund war als solcher nicht viel jünger als seine Herrin; er schien müde und hatte den Augenblick des Stillstands sofort benutzt, sich ausruhend in den Schnee zu legen.

„Bist auch noch unterwegs?“ fuhr die Hauserin fort. „Du arme Haut! Und in dem dünnen Gewande da! Komm’ doch morgen zu mir – ich hab’ einen alten Mantel liegen und eine warme Hauben – die kannst haben …“

„Vergelt’s Gott!“ erwiderte die Botin, „ich kann’s wohl brauchen. Die inwendige Wärm’, die fangt halt an, so völlig auszugeh’n in mir und da friert’s Eins bis in die Knochen hinein! Hab’ mich in Miesbach verhalten drinnen, weil ich der Wirthin ihr neues Camisol hab’ mitbringen sollen, da hab’ ich warten müssen, bis es fertig geworden ist. Wir kommen alle Tag ein bissel langsamer vom Fleck … ich und mein Bläß da! Gelt, Alter?“ sagte sie und wandte sich nach ihm; der Hund kroch ihr näher, als ob er Wort und Blick verstünde, und leckte der Herrin die magere froststarre Hand. „Ja, ja – das machen die Jahr’ – aber es thät Alles nicht so viel, wenn das arge Wehthun und das Reißen nit wär’ im linken Fuß! Den hab’ ich mir einmal verstaucht und seitdem – auf Lichtmeß jährt sich’s wieder, da sind’s volle sieben Jahr – seitdem spür’ ich das Wetter daran und könnt’ einen Kalendermacher abgeben alle Stund’ … Heut’ ist’s wieder recht bös und drum mein’ ich schier, die Kält’ dauert nimmer lang … Ich will machen, daß ich noch über den See hinüber komm’ …“

„O, damit hat’s keine Gefahr!“ erwiderte die Hauserin. „Der See ist fest zu – sie sind gestern noch drüber gefahren mit einem vierspännigen Holzwagen!“

„Ja, ja,“ sagte die Alte mit bedenklichem Kopfschütteln, „gestern und heut’! Was kann nicht Alles gescheh’n zwischen gestern und heut’! Das Eis kann weich werden über Nacht und es ist mir schon ein paarmal gewesen, als wenn mich so ein warmer flauderischer Wind anblasen thät, und das Reißen, das Reißen! Aber ich muß mich tummeln, daß ich noch in’s Dorf hinüber komm’ … morgen will ich mich schon einstellen, will gute Feiertag wünschen und den Mantel holen und die warme Hauben … Gute Nacht derweil, Hauserin! Gehst doch auch in die Metten hinüber?“

[66] „Das versteht sich!“ erwiderte die Hauserin und ging. „B’hüt Gott derweil, Lisel – komm’ gut heim!“

Sie machte einige Schritte gegen das Haus und gewahrte jetzt erst, daß der früher frostharte Schnee unter ihr einsank. „Schau,“ dachte sie, „der Schnee will ableinen (schmelzen) – könnt’ die Alte am End’ doch Recht haben, daß sich die Kälten brechen will … Wenn nur der Schwager heim käm’! Wo er sich wieder verplauscht haben wird! Ich will nur das Essen vom Feuer stellen, sonst brat’ Alles ein! Der Vestl hat sich auch noch nicht seh’n lassen – aber der rührt eh’ nichts an, bevor der Vetter daheim ist …“

Kopfschüttelnd und wie suchend ging sie um das Haus herum, die Gräd’ entlang, welche gegen den Grasgarten und dessen Obstbäume hinlief, durch das vorspringende Dach vor Wind geschützt und vom Schnee frei gehalten. Sie spähte unter den dunklen Baumgruppen durch die Dämmerung herum und ihr vorsichtiges Stillstehen zeigte bald, daß sie gefunden, wonach sie gesucht.

Unter den Bäumen, an einer von Hecken eingeschlossenen Stelle, stand Sylvester und streute Brodkrumen und allerlei Sämereien auf den Schnee.

„Da bist Du ja!“ sagte sie, „hab’ mir doch gar nit einbilden können, wo Du steckst. Thust heut’ noch den Vögeln aufstreuen, wo sie doch alle schon lange schlafen …“

„Sie werden doch früher wach, als Unsereins,“ erwiderte Sylvester, ohne sich umzuwenden, und fuhr in seiner Beschäftigung fort[WS 1], „es ist, daß sie morgen ihr Futter schon bereit finden …“

„Ich muß mich nur über Dich wundern,“ begann die Base, „was Du davon hast! Ist Dir doch sonst nicht eing’fallen, darum zu sorgen, ob die Finken und die Meisen und die Gimpeln was zu fressen haben im Winter – unser Herrgott hat ihnen die große Tafel gedeckt, wo sie alleweil ein paar Bröseln finden, und es fällt kein Vogel vom Baum, ohne sein’ Willen – Sonst hast doch wenigstens ein halb Dutzend Schlaghäuseln aufg’stellt und hast sie gefangen; hat’s doch oft in der Stuben und in Deiner Kammer ausgeschaut, wie bei einem Vogelhändler …“

Sylvester wandte sich mit rasch abwehrender Geberde, er schien etwas erwidern zu wollen und doch im Augenblick sich anders zu bedenken. „Ich habe mir’s überlegt,“ sagte er, langsam dem Hause zuschreitend, „warum soll ich den Thierl’n ihre Freiheit nehmen, in der sie so lustig sind? Ich kann mir’s einbilden, wie das thut, wenn man eingesperrt ist und kann nimmer hinaus, wie man’s gewohnt gewesen ist …“

Die Frau schritt bedächtig hinter ihm. „So, so?“ murmelte sie. „Hast Dir’s anders überlegt?“ Und unwillkürlich mußte sie des Wortes der alten Lise gedenken, wie das Eis weich werden könne über Nacht, wenn es der warme flauderische Wind anweht. „Was hab’ ich Dir nur sagen wollen?“ fuhr sie, wie ablenkend, fort. „Ja – richtig! Schon zwei Tag’ hab’ ich den Mader gespürt … man sieht die Spur ganz deutlich über den Zaun nach dem Hühnerstall zu – Du solltest aufpassen und ihn zusammenschießen, eh’ er uns ein Dutzend Hendeln abkragelt …“

„Ich will’s dem Hies sagen,“ erwiderte Sylvester bedächtig, „er soll sich auf die Pass’ legen …“

„Der Hies? Warum thust Du’s nit selbst?“

„Weil …“ rief er und hielt inne; die Antwort schien ihm Ueberwindung zu kosten. „Weil ich nicht kann … meine Büchs’ ist nicht im Stand … es ist ’was zerbrochen dran!“

Während des Gesprächs waren sie im Hause angekommen; der Bursche trat, als wollte er einer Fortsetzung ausweichen, in die Küche, wo auf dem Heerde ein erlöschendes Feuer glomm; er setzte sich in die Ecke, nahm ein Scheit und den mächtigen Schnitzer dazu und begann so emsig Spähne zu schneiden, als thue es noth, noch eilig sein Tagewerk fertig zu bringen. Die Base machte sich am Heerde zu schaffen, blinzelte aber immer nach ihm hin und konnte sich wieder nicht enthalten, vor sich hinzubrummen oder nach dem landüblichen Ausdruck „ein bissel laut zu denken“! „Ja, ja,“ meinte sie, „zerbrochen kann was sein – aber nit am Gewehr …“

Einige Secunden war es still – dann trat sie sachte hinter ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter „Laß ein gescheidtes Wort mit Dir reden, Vestl,“ sagte sie. „Du gefallst mir gar nit mehr …“

„Warum?“ fragte er kurz und ohne aufzublicken. „Thu’ ich ’was Unrecht’s?“

„Unrecht’s! Was nit gar! Du bist ein braver Bursch’, Du halt’st den Vetter in Ehren, denn Du thust, was er verlangt hat! Du hast keine Büchs’ mehr angerührt seit der Sichelhenk, bist bei keinem Jagen mehr gewesen, bei keinem Schiesset … Du hast kein Wirthshaus mehr g’seh’n, kein’ Kegelstatt und kein’ Tanz … Du arbeit’st den ganzen Tag und arbeit’st für ihrer Drei …“

Sylvester hielt mit Schnitzen inne und sah sie an. „Also bin ein ordentlicher Mensch, ein richtiger Bauer? Red’ Basel, ich möcht’s von Dir hören, daß ich ein richtiger Bauer bin.“

„Das bist, Vestl,“ bestätigte sie eifrig. „Das müßt’ Dir Dein Feind nachsagen … Du bist überall Der Erste, wo’s Zugreifen heißt, und der Letzte, der die Händ’ in Schooß legt … und doch bist der alte Vestl nimmer! Der Bub’, der den Kopf sonst so hoch ’tragen hat und daher’gangen ist, als wenn ihn der Boden brennen thät! Du bist stat und red’st nix und deut’st nix und wann’s Feierabend ist, kannst im Zwielicht dasitzen und vor Dich hinschau’n, ganze halbe Stunden lang … Was hast, Vestl? Darf die alte Basel, die Mutterstell’ vertreten hat an Dir, nit wissen, was Dich druckt?“

„Mich?“ fragte er abgewandt und scheu wie zuvor. „Wüßt’ nit, was mich drucken sollt’.“

„Red’ nit die Unwahrheit!“ fuhr die Frau wieder fort, „es nützt Dich doch nichts. Wenn Du Dich aber so anstellst, dann will ich, wenn ich auch nur eine alte Frau bin, Dir sagen, was vorgeht in Dein’ jungen Gemüth! Du bist harb (unwillig) auf Dich selbst und bist zu stolz, es Dir selber einzugestehen …“

Er stieß ein kurzes Lachen aus, das ziemlich gezwungen klang.

„Dein hölzernes Gelachter macht mich nit irr’, Vestl! Ich weiß doch, was ich weiß, harb bist auf Dich selber und das von wegen nichts Andrem, als von wegen der Brautschau …“

Sylvester lachte nicht mehr.

„Ich hab’ Dir’s gleich im Anfang gesagt, es ist ein Frevel, was Du Dir von dem Musikanten hast aufschwatzen lassen. Aber Du in Dein’ leichten Sinn hast es nit für möglich gehalten, daß Dein übermüthig’s Herz sich auch rühren kann … Drum hat Dir unser Herrgott gezeigt, daß er kein’ Spaß mit sich treiben laßt; er hat Dir gezeigt, was er kann – er hat Dir gezeigt, was er für Dich bestimmt hat gehabt und aufgehoben, und hat Dir’s wieder genommen. Du hättest können einen Schatz heben, aber Du hast ihn beschrieen und nichts ist Dir übrig ’blieben, als der Verdruß über dich selber …“

„Es ist nit wahr, Basl … es ist nit das, was mich aus einander bringt – wenn ich es doch eingesteh’n muß … es ist das Gered’, das dumme Gered’, das überall herumgeht. Der Muckl, die Schwatz-Mirl, hat Alles ausgeplauscht; Jedes weiß davon und ich kann mich nirgends mehr seh’n lassen. Ich fürcht’, es thät mich wer fragen oder spötteln oder gar Trutzliedeln singen auf mich und das gäb’ ein Unglück … denn ich thät’s nit leiden!“

„Ja, ja,“ sagte die Hauserin nickend, „es ist schon was an dem, was Du sagst, aber das Wahre, die Hauptsach’ ist’s doch nit. Es nutzt Dich nichts, wenn Du vor mir Verstecken spielst, ich seh’ Dir in’s Herz, als wenn Du ein Fensterl unterm Brustfleck hätt’st … Nit, daß die Leut’ davon reden; daß das Dirn’l Dich abgetrumpft hat, das ist, was Du nit verwinden kannst. Spreiz’ Dich, so viel Du willst, ich weiß doch, die Clar’l hat Dir’s angethan und wenn sie Ja gesagt hätte, Du thät’st die Leute wohl reden lassen, mein’ ich alleweil …“

„Nein, Basel,“ rief der Bursche, der immer erregter zugehört, und warf den Schnitzer weg, „Du bist doch auf dem Holzweg … Ja, sie hat mir gefallen, ich will’s nit leugnen, das Herz ist mir auf’gangen und ich hab’ gemeint, ich seh’ einen Engel stehen, vorn an der Evangeliseiten, aber das ist lang vorbei, verbissen und verwunden und verscherzt, sie hat mir die Leviten gelesen, daß mir die Augen auf’gangen sind sperrangelweit! Du sagst, ich wär’ übermüthig? Sie ist’s, Basel, Niemand als sie, wenn sie glaubt, sie darf einem richtigen Burschen und Bauern sein ehrlich’s Wort vor die Füß’ werfen, wie man kein’ Bettelmann einen Pfennig hinwirft! Und Du sagst selber, ich bin ein richtiger Bauernbursch!“

„Alles wahr, aber verdenken kann ich’s dem Madel doch nit,“ erwiderte die Frau, „g’rad viel kann sich ein Madel nit darauf einbilden, wann ihr ein Mannsbild einen Antrag macht, [67] nit weil sie ihm gefallt und weil er sie gern hat, sondern weil sie das Loos ’troffen hat … aber wer weiß, ob der erste Unwillen ihr nit lang vergangen ist? Ob es ihr nit auch geht wie Dir und ob sie nit anders reden thät, wenn Du ihr jetzt ein Wort vergönnen thät’st …“

„Ich?“ rief Sylvester aufspringend. „Ich sollt’ noch einmal hinsteh’n vor die trutzige Dingin und ihr wohl gar ein gutes Wort geben? Eher sterben! Ja, ich hab’ sie gern gehabt, zu tiefst von Herzensgrund gern, aber sie glaubt’s ja nit, daß ich ein Herz hab’! Sie glaubt, daß ich gar nit weiß, daß ich keine Ahnung davon hab’, was das heißt, Jemand gern haben … und sie soll Recht haben in ihrer Gescheidtheit! Sie soll sehen, daß ich wirklich kein Herz hab’, daß ich sie und die ganze Narrethei vergessen kann, als wie …“

„Red’ nit so daher,“ unterbrach ihn die Alte, „wenn Du Dich im Spiegel anschau’n könntest, dann würd’st sehen, daß Dein Geschau’ zu denen Reden nit stimmt! Du hast die Narrethei nit vergessen … aber wenn Du mit dem Madel nit reden willst, was meinst dazu, wann ich’s probiren thät und thät’ anklopfen – weißt, so ganz fein und von der Fern?“

„Basel,“ rief der Bursche noch erregter, „um Alles in der Welt, thu’ das nit! Wenn Du mich nur ein bissel gern hast, thu’s nit! Schau, wenn ich wüßt’, daß Du das thät’st, heut noch ging’ ich aus dem Haus und morgen aus dem Dorf!“

„Na, na, ist schon wieder Feuer im Dach?“ erwiderte sie lachend. „Wenn Du’s nit haben willst, ich kann die Hand davon halten, ich kann’s bleiben lassen! … Aber wie soll’s nachher mit Dir werden, armer Bub’?“

„Sorg’ nit, Basel,“ entgegnete er sich zusammennehmend mit anscheinender Ruhe. „Ich werd’s wohl zwingen, ich will tüchtig arbeiten, Tag und Nacht arbeiten, daß ich’s bei Tag vergess’ und bei Nacht verschlaf’ vor Müdigkeit … Ich hab’ einmal zug’schaut, wie das wilde Feuer eingeschlagen hat im Wald und wie der Forstner es an’gangen ist, daß er’s überwältigt hat … mit’m Löschen wär’ nichts ausgericht’ gewesen, aber so haben wir weit herum einen Graben ’zogen um die Brandstatt und haben das Holz ausgehau’t rings herum; was drinnen war, das haben wir verloren ’geben und es hat einige Tag’ gedauert, bis Alles niedergebrennt g’wesen ist zu lauter Aschen und Kohlen, aber das Feuer ist nit drüber hinaus gesprungen und d’rum herum ist der Wald steh’n blieben, frisch und grün … So will ich’s auch machen, Basel … aber der Hund rebellt draußen! Der Vetter kommt heim, ich hör’ ihn schon, wann er so schreit, ist er übel aufgelegt, da will ich ihm lieber aus dem Weg gehen …“

Kaum war er durch die Hinterthür aus der Küche geschlüpft, als der Brunnhofer schon die Hausthür aufgerissen hatte und den Schnee von den Füßen stampfend durch den Gang herangepoltert kam. Er trug eine erwürgte, übel zerzauste Henne in der Hand. „Hab’ ich’s nit alleweil gesagt,“ rief er die Hauserin an, „der Mader wird so lang um den Taubenkobel und um den Hühnerschlag herumschleichen, bis er ein Unglück angerichtet hat? Glücklicher Weis’ bin ich just daher gekommen und hab ihn versprengt und hab’ ihm das Hendel da noch abg’jagt! Wo ist der Vestl? Warum hat er dem Mader nit aufgepaßt? Warum hat er ihm keine Fallen aufg’stellt? Warum hat er ihn nit erschossen?“

„Na, sturmt’s wieder?“ entgegnete die Hauserin mit gelassenem Lachen. „Der Bub’ wird bald gar nit mehr wissen, was er thun und lassen soll, daß er’s recht macht! Erst soll er kein’ Stutzen mehr anrühren und nachher soll er wieder auf den Mader Jagd machen!“

„Will mich die Schwagerin trotzen?“ fragte der Bauer und zündete paffend die ausgegangene Pfeife wieder an. „So ist’s nit gemeint, das weiß sie recht gut! Ein richtiger Bauer muß auch umzugehen wissen mit einem Schuß, damit er dem Schelmenvolk und dem Raubzeug Eins auf den Pelz brennen kann, wenn’s noth thut! Darum kann er doch ein Bauer sein und braucht keinen Jäger zu spielen! Aber wo ist der Bub’? Er soll herkommen, gleich auf der Stell’! Ich will meinen Zorn an ihm auslassen!“

„Wie kann ich wissen, wo er steckt?“ sagte die Schwägerin gleichgültig. „Hat lang gewartet auf den Schwager, von wegen dem Essen; dann ist er fort, wird ihm wohl die Zeit lang geworden und der Appetit vergangen sein!“

„Mir ist er auch vergangen,“ brummte der Alte, „der Verdruß bringt mich noch um mit dem Buben, wenn nit ein End’ hergeht!“

„Ich begreif’ den Schwager nit, wie soll er denn ein End’ machen?“

„Ja, wenn ich das selber wüßt’! Glaubt die Schwagerin, ich thät dann lang mit der Stang im Nebel herumfahren? Sternsacra, das ist ja das Kreuz und das Elend! Es ist wahr, er hat mir den Willen gethan mit dem Jagen und Schießen, aber jetzt soll er mir auch mit dem Heirathen den Willen thun und soll nit herumgehen, als wenn ihm die Hennen das Brod genommen hätten! In der ganzen Gegend ist Alles voll von der Geschicht’ mit seiner Brautschau; jetzt soll er’s auch durchfechten und soll zeigen, daß er Schneid’ hat und ein Madel zu kriegen weiß und wenn sie sich noch so harb anstellt und noch so schiech! Ich kenn’ das Madel, sie ist sauber, ist fleißig und ordentlich und wann sie auch nichts hat, als wie sie geht und steht, sie bringt was in’s Haus, was mir abgeht, ein’ guten Humor und ein lachend’s, ein freundlich’s Gesicht …“

„Wann der Schwager mit ihr ist, wie mit uns,“ entgegnete die Hauserin, „dann vergeht ihr das Lachen in den ersten vierzehn Tagen! Wann der Schwager freundliche Gesichter sehen will, muß er nit selber den ganzen Tag herumgeh’n, wie ein verlegen’s Donnerwetter!“

„Na, die Schwagerin wird doch nit empfindlich sein wollen,“ lachte der Bauer, „und wird ihr Gesicht vergleichen mit dem von der Kohlenbrenner-Clar’l? Und kurz und gut, er hat sie sich ausgesucht und soll sie mir in’s Haus bringen, so will ich’s haben! Das ist eine Brunnhoferin, wie ich sie mir ein’bildt und gewünscht hab’, da geht ein ganz anderes Leben an, wann die kommt!“

„Da wird der Schwager schon müssen Geduld haben,“ sagte die Hauserin, nicht ganz ohne Gereiztheit, „da ist nichts zu machen, der Vestl ist in der Sach’ einmal zu bockbeinig und will von der Clar’l nichts mehr wissen und wenn nit vielleicht mit ihr eher ein g’scheidtes Wort zu reden ist …“

„Sternsacra,“ brach er wieder los, „das ist ja eben mein Verdruß und mein Elend, daß das Madel, wenn’s möglich ist, noch bockbeiniger ist, als der Schlingel von einem Buben! Ich will’s der Schwagerin nur eingesteh’n … ich hab’ mir’s auf heut’ verspart gehabt, auf den heiligen Abend, da bin ich hinüber in die Kohlhütten, mit dem Madel zu reden, und g’rad komm’ ich davon her! Ich hab’ Zwiesprach’ mit ihr gehalten und hab’ ihr zugeredt, der Herr Pfarrer könnt’s nit besser machen und nit eindringlicher, aber es hat Alles nix genutzt, sie ist steif und fest dabei ’blieben und hat Nein g’sagt! Es ist mir wohl vorkommen, als wenn sie alleweil die Augen voll Wasser hätt’ dabei, aber sie war nicht zu bewegen! Sie thät’ sich Sünden fürchten, hat sie gesagt, auf eine solche Art und Weis’ in heiligen Eh’stand zu treten! … Sünden fürchten! Wahr ist’s ja, so recht sauber ist die Art und Weis’ nit … wie ihm solches Zeug nur einfallt, dem Kreuzkopf, dem verzwickten! … aber das ist ja doch nix als Spreizerei! Die ganze Welt ist verkehrt, sonst hat man Teufelsnoth g’habt, die jungen Leuteln auseinander zu halten: die Zwei sollten zusammen können und möchten’s heimlich auch, und wenn sie sich noch ärger verstellen, und die wollen nit! Thät Noth, man thät’ sie mit Gewalt zwingen zu einander!“

„Ich denk’ halt,“ sagte die Hauserin, als sie zu Worte kommen konnte, „das muß man den jungen Leuten selber überlassen und der Zeit!“

„Hat sich was zu überlassen!“ rief er wieder ärgerlich. „Als wenn keine Zeit zu verlieren wär’! Das Gered’, und das Gefrag’ und das Geschau’ ist dem Madel schon zuwider worden, die Mutter ist wieder wohlauf, die Clar’l will fort, morgen, in aller Früh; sie will wieder hinein zu ihren Gefreundten in Tirol und will nit eher wieder kommen, als bis kein Mensch mehr daran denkt und bis der Vest’l geheirath’ hat … Aber meinetwegen, ich will mich auch nichts mehr d’rum kümmern … Warum soll ich mir die Feiertag’ verderben lassen! Darnach ist auch wieder eine Zeit und wenn ich mir einmal was in Kopf gesetzt hab’, dann führ’ ich’s doch durch, es wird auch für die Hacken noch ein Stiel zu finden sein! Jetzt aber richt’ sich die Schwagerin zusamm’, ich geschirr’ die Fuchsen ein und schieb’ den Rennschlitten heraus: wir wollen nach Schliers hinüberfahren in die Metten … wir machen den Weg über Westerhof … Der See kracht [68] alle Augenblick’, als wenn eine Kanon’ losg’schossen wurd’, ich denk’, es ist gescheidter, wir bleiben auf dem Land …“

Bald hernach flog klingendes Schellengeläut die Straße nach dem Dorfe hin, in weitem Bogen das Seegestade umkreisend. Es ging auf Mitternacht; blauschwarze Finsterniß senkte sich wie ein undurchdringlicher Vorhang vom Himmel herab, kein Sternlein durchblitzte sie, das Schneelicht allein diente dazu, die Wege etwas zu erhellen; dagegen kamen von allen Seiten, die Höhen nieder und aus den Büschen hervor, helle feurige Punkte aufgetaucht, wie Irrlichter oder riesige Leuchtkäfer, es waren die Kienfackeln und Laternen, die den andächtigen Kirchfahrern leuchteten auf der Wanderung zu dem nächtlichen Gottesdienste. Das ist ein lieber, heilig gehaltener Brauch, und wen nicht Krankheit zu Hause hält oder Alter oder wer nicht die Hauswache hat, der unterläßt kaum denselben zu üben. Das gab manch’ wunderbares Bild, wenn hier und da eine Schaar aus dem Dunkel, aus Gebüsch oder Ebene auftauchte, roth beschienen von dem Fackelschein, der die wankenden Streiflichter über die Schneefläche breitete und an den Stämmen der Bäume hin; dann schritten sie Alle, tief verhüllt, bald ernst und schweigend, bald auch in lautem Wechselgebet vorüber, um nach einigen Augenblicken wieder im Dunkel zu verschwinden. Durch die erhabene Nacht und ihr Feier-Schweigen aber tönte das Glockengeläut wie ferner Gesang von unsichtbaren Lippen: ein Lobgesang voll gewaltiger Melodie, die Geburt dessen verkündend, mit dem das Heil in die Welt gekommen und die versöhnende Liebe.

Die Pfarrkirche vermochte kaum die Schaar der zudrängenden Beter aufzunehmen; wenn die Kirchenthür sich aufthat, flammte das Licht der Altäre hinaus in das doppelt nächtliche Dunkel umher, den Nahenden entgegen, wie das Thor der himmlischen Einigkeit aufspringen mag vor dem, der erwachend angewandelt kommt aus der Grabnacht der Erde.

Auch die schöne Köhlerin fehlte nicht; aber diesmal stand sie nicht wie beim Erntefest an dem kerzenflammenden Altar – unter dem Chore, hinter einer Säule hatte sie das dunkelste Plätzchen ausgesucht, um ihrem Gebete obliegen zu können, ungestört von Blick und Wort der Andern, die nicht immer Schick und Ort beachten, wo es gilt, dem Muthwillen Luft zu machen oder heimlicher Bosheit. In kindlicher Unbefangenheit legte sie sich, all’ ihr Leid und all’ ihre Sorge dem Himmel dar und betete um die Wiederkehr der arglosen Heiterkeit, die noch vor kurzer Zeit ihr so eigen gewesen war, wie dem Vogel der Flug und der Gesang. Es war ihr schwer im Herzen und unruhig im Sinn; der Besuch des alten Brunnhofer und was er ihr gesagt, war doch tiefer gedrungen, als sie zeigen mochte, auch fiel es ihr schwer, daß sie nach kaum ein paar Wochen Aufenthalt wieder fort sollte aus der Heimath, in der es ihr, sie wußte selber nicht warum, so gut zu gefallen anfing, wie noch nie, dann aber konnte sie’s wieder nicht verwinden, daß sie zum Spiel und Gespött gemacht worden; sie grollte dem, der ihr das angethan und sie abermals hinaustrieb in die Fremde, und doch konnte sie auch nicht vergessen, daß es ja nur auf sie ankam, immer zu bleiben, bei ihm zu bleiben und wenn auch der Verstand ihr immer zuflüsterte, daß es nur ein leeres Wort sei, dem sie nicht glauben dürfe … im Herzen klang es doch wieder und wieder nach, wie er vor ihr gestanden und sie so aufrichtig angeschaut und gesagt hatte … „Schau, ich hab’ Dich so viel gern …“

– – – Als das Hochamt mit der dreifachen Messe zu Ende und vom Chore herab das einfache Lied der Hirten verklungen war, wogte die Menge wieder in’s Freie; trotz der Eile aber entging es Manchem nicht, daß der Hirtengesang ist den frühern Jahren anders geklungen habe, als heuer. „Sonst, sagten und fragten sie untereinander, „ist der Muckel dabei gewesen und hat zu dem Gesang und zu der Orgel auf seinem Klankenett geblasen, daß es sich angehört hat, als wär’s eine Hirtenschalmei, und daß man geglaubt hat, man stehe wirklich mit den Hirten an der Krippe! Hat doch noch nie gefehlt, es muß was Besondres dazwischen gekommen sein, daß er heut’ nicht mit geblasen hat, der Muckel!“

Beschleunigten Schrittes wanderten die Leute den Häusern zu, denn nach langer Fastenzeit winkte dort ein reichlicher Imbiß aus Fleisch bestehend, das außerdem nur zu den heiligen Zeiten auf dem Tische des Bauern erscheint. An diesem Tage aber hat jedes Haus, das es nur irgend vermag, seine Schüssel mit Braten oder Mettwurst, in den wohlhabenden wird ein lange für diesen Tag herangemästetes Schwein gestochen und in allen Formen verspeist. Auch im Wirthshause war es gedrängt voll; es gab genug des jungen ledigen Volks, das sich da zusammenfand, und auch mancher Hausvater fühlte sich bewogen einzutreten und sich mit Weib und Hausgenossen durch ein Glas wärmenden Kirschgeist oder kräftig-bittern Enzian zu stärken für die weite Heimwanderung in dem kalt anbrechenden Wintermorgen.

Der Ehren- und Eckplatz in der großen Gaststube war schon von Anfang besetzt. Da saß die Kramer-Waben im höchsten Staat, neben ihr der Vater, zwischen Beiden der Clarinetten-Muckel, und nun wußten die eintretenden Kirchgänger wohl, warum er heute zum ersten Male gefehlt bei dem Hirtengesang. Vor der Gesellschaft standen in unordentlicher Fülle Krüge und Flaschen, Gläser und Schüsseln durcheinander, und das fette Gesicht des Dicken glänzte wie die würfelartig eingeschnittene Schwarte des duftigen Schweinebratens vor ihm. Er ließ es sich weidlich schmecken und schien nichts dawider zu haben, daß seine Nachbarin zur Linken ihm geschäftig die besten und saftigsten Bissen auf den Teller legte, während der Nachbar zur Rechten ihm unermüdlich immer wieder das Glas füllte und, was leer geworden, um neuen Vorrath vertauschen ließ. Dennoch stahl sich in manchen Augenblicken, wo es unbemerkt möglich war, sein forschender Blick seitwärts, wie der eines Gefangenen, der nach einer Gelegenheit zu entwischen umherspäht; hatte er aber die Unmöglichkeit wahrgenommen, so kehrte er zu den Schüsseln zurück und machte sich darüber her mit dem Todesmuthe eines Verurtheilten, dem man zur Henkermahlzeit auftischt, was nur gut und theuer ist. Der alte Krämer, dessen Fröhlichkeit ein unwiderlegliches Zeugniß ablegte für das, was er schon geleistet, war in seinem rosenfarbensten Humor: er wollte offenbar seinen Reichthum zeigen und ergötzte sich an dem stummen Erstaunen der Bauern an den nächsten Tischen, wenn er immer nach dem Allerbesten rief, den gebrachten Wein mit Zunge und Gaumen schlürfend prüfte wie ein gewiegter Kenner, und endlich, um der Zecherei die Krone aufzusetzen, nicht ruhte, bis der Wirth im Kellerwinkel noch ein paar von der letzten Primiz oder Kirchweihe übrig gebliebene Flaschen mit blanken Blechhelmen herbeischleppte und die knallenden Stöpsel den verdutzten Zuschauern um die Köpfe flogen.

(Schluß folgt.)




Der Sänger des Ziska.


Es war im Frühling 1845. Man kann gerade nicht behaupten, daß damals die deutsche Lyrik in ihrer höchsten Blüthe stand, aber es erschienen doch eine Menge Gedichte, von denen mir ein bekannter Sortimentsbuchhändler stets ganze Stöße „zur gefälligen Ansicht und Auswahl“ zusandte. Was hätte ein junges Mädchen, wie ich in jenen Tagen war, auch lieber thun sollen, als neue Gedichtsammlungen zu durchblättern? –

Da fiel mir zwischen all’ den goldbedruckten Ausgaben ein unscheinbares Bändchen in die Hände: „Gedichte von Alfred Meißner“, bei welchem es nicht bei dem Durchblättern blieb. Ich versenkte mich hinein, ich las sie wieder und wieder, ich lernte sie auswendig! Es war, als hätte ich ein Zauberbuch aufgeschlagen, ich konnt’ es nicht wieder schließen, nicht von mir lassen. Der Hauch eines Genius wehte mich daraus an, ein Hauch, der bis in die innersten Tiefen der Seele sympathisch drang und dort die verwandte Saite erklingen ließ. Es war nicht der Wohlklang, der Rhythmus der Verse, die schöne Form allein, was mich so mächtig erregte und anzog: es war die darin flammende Begeisterung für meine eigenen Ideale. Dichter für Freiheit und Menschenrechte waren viele aufgestanden – Meißner war aber auch zugleich ein Dichter für das Frauenrecht. Gedichte wie „An die Frauen“ und „Georges Sand“ mußten in mir ein jubelndes Echo finden. Dergleichen Gefühle manifestiren sich gern in einem Liede. Ich schrieb ein solches, als Erwiderung

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Alfred Meißner.

des ersterwähnten Gedichtes, „An Alfred Meißner“, und da ich damals im Beginn meiner literarischen Laufbahn und Mitarbeiterin an Herloßsohn’s „Komet“ war, so sandte ich es an diesen. Von da hatte es den Dichter gefunden, dem es galt und von dem ich nichts wußte, als was aus seinen Gedichten zu ersehen war.

Alfred Meißner hatte damals in der That noch nichts als das in Leipzig erschienene Bändchen Gedichte veröffentlicht und sein Name ward damit zuerst genannt – vielleicht war mein Gedicht das erste Lorbeerblatt aus „Deutschland“ zu dem Kranze, der ihm später geworden. Er schrieb darüber an mich u. A. unterm 14. Septbr. 1845 aus St. Wolfgang in Oberösterreich:

„Es giebt wohl keine größere Genugthuung, als sich aus voller Seele verstanden zu wissen und über Fernen hinaus mitklingende Saiten und edle Herzen zu wecken und über Berge hinüber von Gleichgesinnten einen Händedruck zu erhalten, für etwas, das man mit seinem besten Herzblut geschrieben. Diese Freude ist mir durch Sie geworden. Ihr Gedicht hat einen Menschen erhoben, der in seiner Stellung von allen Bewegungen, denen er seiner innern Natur nach angehört, abgeschnitten, nur gar zu oft gänzlichem und schmerzlichstem Verzagen anheimfällt.“

Diese Stelle ist charakteristisch. Alfred Meißner, ein Deutsch-Böhme, mußte die Absperrung Oesterreichs von der reicheren Lebensströmung, die „draußen in Deutschland“ in Literatur und Politik sich kund zu geben begann, auf das Schmerzlichste empfinden und sich in der eigenen Heimath, der doch auch wieder sein Herz angehörte, wie ein Verbannter erscheinen.

Am 15. October 1822 zu Teplitz geboren, der einzige Sohn eines Arztes, welcher seit 1832 in Karlsbad lebte, war Alfred Meißner, der eine namentlich durch seine edle Mutter, eine Schottin, Karoline May von Invermay, geleitete sehr sorgfältige Erziehung erhalten hatte und sich selbst durch die eifrigste Leselust weiter bildete, nach dreijährigem Studium im Schlackenwerther Gymnasium in jenes der Altstadt in Prag übergegangen. Beim Uebertritt in die höheren Gymnasialclassen, die damals in Oesterreich „die philosophischen Jahrgänge“ hießen, erschloß sich für Meißner eine neue Welt. Er lebte hier im Verkehr mit den Böhmen Moritz Hartmann und L. Kompert, den Ungarn Fr. Szarvady und Max Schlesinger u. A. Gewillt in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, hatte er sich 1840 als Hörer der Medicin immatriculiren lassen, aber Geschichte, Politik, Staatswissenschaften und Poesie fesselten ihn mehr, als sein „Brodstudium“, obwohl Chemie und Physiologie ihm viel Anziehendes boten, wie denn auch seine Schriften, sogar seine Gedichte dies Studium durchblicken lassen.

1845 erschien jenes erwähnte Bändchen Gedichte in Leipzig und machte Aufsehen in den verschiedensten Kreisen. In Prag brachte es ihn unter polizeiliche Aufsicht. In Deutschland begrüßte man diese Liederstimme aus Oesterreich theils mit Verwunderung, theils mit Anerkennung, und Viele wußten nicht recht, zu welcher Partei der Dichter zu zählen sei. Die Liberalen trauten einer Freiheitsbegeisterung nicht, die, statt der gewohnten Phrasen, Wärme der Empfindung zeigte, und die Socialisten oder Communisten, [70] deren Periode damals begann, beeilten sich Meißner als Poeten des Socialismus auszurufen. Darüber schrieb er an mich – denn es hatte sich nach jenen ersten Zeilen ein Briefwechsel zwischen uns entsponnen, der viele Jahre währte – ein literarisch-politischer Briefwechsel, wie dergleichen in unserer immer schneller rauschenden, uns abhetzenden Zeit beinahe zu den Seltenheiten gehört:

„Ich bin von den meisten meiner Kritiker auf das Seltsamste mißverstanden worden. Wie ich dazu gekommen bin, ein socialer Poet zu heißen, ist mir unbegreiflich. Weil Einem die Noth der Erde in’s Herz schneidet, die Rechtlosigkeit und Verwahrlosung von Millionen Einem das Herz mit Erbitterung füllt, weil man den Druck der Reichen haßt, die Lügen der Pfaffen verachtet, ein Herz für’s Volk hat und Reformen wünscht: darum ist man noch kein Communist!“ –

1846 ward Meißner zum Doctor der Medicin promovirt, aber der poetische Drang leitete ihn auf eine andere Bahn. Er hatte sein treffliches Epos „Ziska“ ziemlich vollendet, und der Wunsch, es zu veröffentlichen, was unter österreichischer Censur nicht möglich gewesen wäre, führte ihn im Sommer desselben Jahres nach Sachsen. In Leipzig trafen viele österreichische Schriftsteller zusammen: Herloßsohn, Kuranda, Karl Beck, Moritz Hartmann, Johannes Nordmann, Hermann Rollett, Eduard Mautner u. A. Ein Verleger zu dem „Ziska“ und zur zweiten Auflage seiner Gedichte war schnell gefunden.

In dieser Zeit besuchte mich der Dichter in Meißen. Ich war gerade auch damit beschäftigt, meine Gedichte zu sammeln und sie als „Lieder eines deutschen Mädchens“ herauszugeben. Die persönliche Begegnung entsprach der vorhergegangenen in Briefen und Liedern: Meißner war auch nach Erscheinung und Umgangsform ein echter Poet. Mein Entschluß, ihm meine Gedichte zu widmen, ward damals gefaßt und im folgenden Jahre ausgeführt.

Im Hause seines Oheims, des Herrn von Quandt in Dresden, vollendete Meißner seinen Ziska und erwartete das Erscheinen desselben. Der Erfolg war ein vollständiger, und es zeigte sich wieder einmal, wie der Genius ein leuchtender Stern ist, groß genug, am Dichterhimmel erblickt und bewundert zu werden, ohne daß es erst der geschärften Fernröhre der Reclame bedarf, und wie der echte Dichter, der sich ganz an seinen Stoff und seine Kunst dahingegeben, den Ruhm nicht sucht, sondern von ihm gefunden wird. Man konnte in jenen Tagen kein Journal zur Hand nehmen, in dem nicht von „Ziska“ die Rede gewesen wäre. Dieselbe Freiheitsbegeisterung, die damals eine politische Poesie schuf, in der nur zu oft die „Gesinnung“ die Dichtung retten mußte, – hier hatte sie sich am herrlichsten Stoff zu klaren Krystallen gestaltet; der Dichter bot nicht den mit Schlacken gemischten Gährungsproceß der Freiheitssehnsucht, er zeigte nur die aus solcher Gluth gewonnenen Diamanten – vor einer solchen politischen Poesie mußten selbst die Aesthetiker, die sonst den Stab über die ganze Gattung zu brechen pflegten, verstummen, ja sie als berechtigt constatiren, wenn auch nicht um ihres Inhaltes, so doch um ihrer Form willen.

Die spätere Kritik in ihrer engherzigen Nationalitätensucht mäkelte freilich daran, daß Meißner, ein Deutscher, die Kämpfe der Hussiten besungen. Aber die Principien jener Zeit, in der die Dichtung entstand, lebten ja noch in einer idealen Höhe, von der sie erst langsam herabgekommen. Die demokratische Partei, zu welcher der Dichter zählt, glaubte – und glaubt noch! – an die Wiedergeburt der Völker durch die Freiheit und schwärmte für sie. Die Eroberungs- und Unterdrückungskriege sollten aufhören, die Völker gegen einander gerecht werden; der heiligen Allianz der Fürsten wurde eine heiligere Allianz der Völker als Zweck und Ziel gegenübergestellt.

Wie zu erwarten stand, ward das Buch in Oesterreich verboten und die Auslieferung des Verfassers verlangt. Derselben zu entgehen, begab er sich nach Paris und verlebte dort fast das ganze Jahr 1847. Er trat dort zunächst in die freundlichsten Beziehungen zu Heinrich Heine, dem er nach dessen Tode in seinem Buch „Heinrich Heine“ ein so pietätvolles Denkmal gesetzt. Mit vielen Größen kam er in Berührung, hörte die national-ökonomischen Vorträge Michel Chevalier’s, Physiologie bei Magendie, Astronomie bei Arago, verkehrte mit der Rachel und Alboni, mit A. Weill, Gautier, Gerard de Nerval, Dumas, Balzac, Alfred de Vigny u. A. Dabei studirte er die Schriften A. Comte’s, Proudhon’s, Louis Blanc’s.

Aber trotz all’ dieser Anregungen fühlte Meißner Heimweh und kehrte in der Hoffnung, daß die drückenden Verhältnisse in Oesterreich nicht von Dauer sein könnten, im November 1847 in die Heimath zurück. Er schrieb mir von da:

„Sie werden sich wundern zu hören, daß ich wieder in Prag bin. Wieder im schwarzen, klösterlichen Prag nach einem reichen bewegten Leben im bunten Paris. Der Sprung ist gewaltig und auch nicht ohne Gefahr. Ich glaubte der Heimath für eine weit längere Zeit Ade gesagt zu haben, aber es giebt Verhältnisse, die stärker sind als Alles: ich konnte den Bitten meiner Mutter nicht widerstehen! Sie ist krank und hat vielleicht nur wenig Jahre vor sich; alle ihre Wünsche liefen darauf hinaus, mich bei sich zu sehen – und ich ging zurück. Wird mir etwas Erhebliches geschehen? ich weiß es nicht; vor der Hand bin ich ganz in der Stille hier und lebe auf Alles gefaßt.“

Ueber denselben Gegenstand berichtete er im Januar 1848: „Mir und Moritz Hartmann wird nebenher der Proceß gemacht, aber das bringt uns nicht aus der glücklichen Ruhe, in der wir leben. Die Sache scheint sehr milde vorgenommen zu werden; auf ein erstes Verhör ist weiter kein zweites und auch noch kein Urtheil erfolgt. Unsre Aussagen waren gleichlautend und liefen auf das alte ‚Gott helfe mir, ich kann nicht anders!‘ hinaus, und daß man unter österreichischer Censur nicht schreiben könne.“

Und nun brach sie an, die Zeit, welche die Jahreszahl 1848 so groß gemacht hat, die Zeit die man erlebt haben muß, wie wir Alle, die wir damals in Jugend und Begeisterung auf sie gehofft, von ihr gesungen und doch ihre Nähe nicht geglaubt hatten – man muß sie mitgelebt haben, um zu wissen, wie Einem zu Muthe war bei all’ den hereinbrechenden Ereignissen! – Meißner schrieb mir Anfang März:

„Was sagen Sie zu der Zeit, in der wir leben? Was sagen Sie zu Frankreich? Seit acht Tagen komme ich nicht zu mir vor Bewunderung dieses Volks, das eine Revolution gemacht hat, so ideal, so schön, wie sie der beste Poet nicht schöner hätte träumen können. Der wäre ein schlechter Mensch, der jetzt ruhig fortschreiben könnte an Büchern, die der Zeit fern liegen. Seit ich die ersten Nachrichten von Frankreich erhalten, sind mir die Finger wie gelähmt zu aller Arbeit.“

Nur wenige Tage noch und die Revolution hielt ihren Siegeseinzug auch in Deutschland, auch in Oesterreich. – Meißner ward in Prag – wo sein Proceß nun natürlich vergessen war – in den böhmischen Nationalausschuß gewählt, verzichtete jedoch im Mai auf seinen Platz darin, begab sich nach Frankfurt a. M., wo er publicistisch thätig war, und stand in engen persönlichen Beziehungen zur demokratischen Partei, dem Club der sogenannten äußersten Linken, bis das große parlamentarische Gebäude in Trümmer ging und er wieder in die Heimath zurückkehrte.

Tieferschüttert durch alle Ereignisse, zunächst durch die Verurtheilung seines Freundes Trützschler, schrieb er mir aus Karlsbad 1849 mit seinem trefflichen Werke „Revolutionäre Studien aus Paris“, der Frucht seines dortigen Aufenthaltes (er war Weihnacht 1848 zum zweiten Male dahin gegangen): „Knüpft sich wirklich noch ein Werth an das geschriebene Wort und ist nicht alles Eitelkeit und Feigheit, was nicht That und praktischer Versuch ist? Ist es nicht beinah Ironie, das Wesen der Revolution darlegen zu wollen, wenn sie verröchelnd sich am Boden windet?“ –

Das ist die Stimmung, in der wir Alle waren, die wir uns in den Dienst der heiligen Sache der Freiheit gegeben – man mußte den Glauben an sie und an sich selbst retten, so gut man konnte. – Meißner schrieb das satirische Gedicht „Der Sohn des Atta Troll“ in schmerzlichem Verzweifeln. 1850 ging er auf einige Zeit nach London und lebte im Hause des Lord Russell, mit dessen Neffen innig befreundet. Hier sammelte er sich wieder zum objectiven Schaffen. Er schrieb das Drama „Das Weib des Urias“ in Opposition zu der hergebrachten Anschauung dieses Stoffes. Es hatte einen starken Reiz für ihn, den heiligen König David so darzustellen, wie er jedem gesunden Auge erscheint, das sich durch die später aufgetragenen Lasuren der Zusammensteller des alten Testaments nicht beirren läßt. Eben deshalb war das Stück nicht aufführbar. Ein zweites Drama „Reginald Armstrong“ oder „die Welt des Geldes“ ward in [71] Prag mit großem Erfolg aufgeführt, Friedrich Haase spielte den „Glendower“ darin, in Wien gefiel es jedoch nicht. Noch weniger Glück machte sein drittes Drama: „Der Prätendent von York“.

Jetzt begab sich Meißner auf das Gebiet des Romans und es erschienen 1855 „Zwischen Fürst und Volk,“ drei Bände, drei Jahre später „Die Sansara“, 1860 „Neuer Adel“ und „Zur Ehre Gottes“. Nebenher gab er kleinere Arbeiten und Sammlungen heraus, Reiseeindrücke, da jetzt sein Aufenthalt oft wechselte und Thüringen, Tirol, Italien ihm die mannigfachsten Anregungen boten, so: „Am Stein“, „Durch Sardinien“, „Seltsame Geschichten“, „Charaktermenschen“ u. a. Sein großer und neuester Roman „Schwarzgelb“, der die kaum abgelaufene Reactionsepoche seines Vaterlandes in den treuesten Zügen vorführt, ist das umfassendste Gemälde, welches davon gegeben werden konnte. Aber es ist hier nicht der Ort, eine Kritik oder ein Inhaltsresumé dieser Werke zu geben, sie sind in den Händen der deutschen Lesewelt und diese hat es längst festgestellt, daß Alfred Meißner auch als Romanschriftsteller so gut wie als Lyriker zu den Ersten der Gegenwart gehört. Ueberflüssig zumal wäre es hier vor den Lesern der Gartenlaube, zu deren Mitarbeitern er ja zählt, die poetische Schönheit und Klarheit seines Styls, die Tiefe seiner Empfindung, die Lebenswahrheit, die er seinen Gestalten, das durchsichtige und naturgetreue Colorit, welches er seinen landschaftlichen Schilderungen zu geben weiß, noch hervorheben zu wollen.

Was ihn uns aber besonders werth und zu einer Zierde unserer Nation macht, das ist die Ueberzeugungstreue, die durch sein ganzes Leben geht, daneben zugleich dies rastlose Streben und Ringen einer echten Künstlernatur nach der Lösung immer neuer Aufgaben, nach immer größerer Vervollkommnung – der Ernst des Schaffens, den er sich bewahrt, die Höhe des Ideals, zu der er klimmt. Es giebt für ihn kein bequemes Ruhen auf leicht errungenen Lorbeeren, kein Sichgenugthun auf irgend einem Gebiet der Literatur, kein leichtsinniges Produciren, keine eitle Selbstüberschätzung. Er hat im Kampfe dieser Zeit, in den sich die ganze begeisterungsfähige Jugend opferfreudig stürzte, redlich mitgekämpft und wo Andere unterlagen, die einstigen Ideale verleugneten, verriethen, sich selbst und ihrem Volke untreu wurden –, da ist Alfred Meißner auf der Bahn geblieben, welche vorwärts führt. Aber es ist ein Vorwärts, das nicht mehr im unklaren Drange auf die gewaltsame Umgestaltung aller Verhältnisse gerichtet ist – es ist ein Vorwärts, das er sich selbst zuruft, indem er immer gediegenere vollendetere Werke schafft, welche der Nation einen Spiegel vorhalten und sie unmerklich an der Hand der poetischen Unterhaltung zwingen sich selbst zu betrachten und selbst muthig vorwärts zu schreiten, trotz aller Hemmnisse der Gegenwart, in eine bessere Zukunft. Für diese zu leben und zu wirken ist unser Aller Aufgabe, aber würdig gelöst wird sie nur von Denen, die nicht müde werden an sich selbst zu arbeiten, ob sie auch noch so begabt sind – Alfred Meißner ist solch’ ein Reichbegabter, allein auch solch’ ein Unermüdlicher!

L. O.




Rom am Rhein.
II.
Die Bischofswahl. – Papst und Staat. – Klöster und Orden. – Die Väter Jesu. – Die Erbschleicherei der Klöster. – Werbungen für das Kloster. – Klosterpensionate. – Menschenraub der Klöster. – Kirchliche Brüderschaften, Sodalitäten und Congregationen. – Denunciationssystem in den geistlichen Seminarien. – Katholische Gesellenvereine. – Katholische Clubs. – Die katholischen Vereine und ihre Generalversammlung in Trier. – Protest gegen den Schulzwang. – Die freie deutsche katholische Universität. – Der Bonifaciusverein.


Ein Hauptgegenstand des Conflicts zwischen Staat und Kirche betrifft die Differenzen über die Bischofswahl.

Einer Kirche gegenüber, welche grundsätzlich ihrem obersten Träger die geistliche und weltliche Herrschaft über die ganze Erde vindicirt, so daß er Könige ein- und absetzen, Völker ihres Eides entbinden kann, – welche Jahrhunderte hindurch bestandene Thatsachen, wie den westphälischen Frieden, nur so lange factisch bestehen läßt, bis sich Gelegenheit und Macht ergiebt, den anfänglich erhobenen schlummernden Protest zu wecken und sie umzustürzen, einer solchen Kirche gegenüber kann auch der Kampf der weltlichen Herrschaft nur schlummern und es bedarf fortwährender Compromisse.

Insbesondere wird ein protestantischer Fürst bei der tiefen, immerfort bestehenden Wechselwirkung zwischen Staat und Kirche vorzusehen haben, daß dem von ihm regierten Staate ein Einfluß gesichert bleibe. Um so nöthiger ist dieses in Preußen, nachdem durch den Art. 15 der Verfassung der römisch-katholischen Kirche die selbstständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten zugesichert ist. Hiernach ist solcher Einfluß hauptsächlich zu suchen in der vertragsmäßig festgestellten Einwirkung auf die Anstellung der Bischöfe, in deren Hand unter päpstlicher Oberhoheit die gesammte Leitung der kirchlichen Angelegenheiten im Staate, namentlich die Ernennung sämmtlicher Curat-Geistlichen ruht. In welche böse Conflicte ein widerwilliger Bischof den Staat bringen kann, haben wir oben an dem Beispiele des Erzbischofs Clemens August gesehen.

Als im Jahre 1839 der bischöfliche Stuhl zu Trier in Folge seiner Erledigung wieder besetzt werden sollte, hatte die Staatsregierung mit unbegreiflicher Sorglosigkeit es versäumt, eine bestimmte Person für den Bischofssitz zu bezeichnen. Es waren in den Vorverhandlungen mehrere Namen im Allgemeinen genannt worden, welche gleich annehmbar erscheinen mochten. Die feierliche Wahl fiel aber auf den Pfarrer Arnoldi, von welchem der Staatscommissär in den Vorbesprechungen wenig oder gar nichts gehört zu haben vermeinte, um sich auch für diesen die Ermächtigung zu erbitten. Letztere wurde daher versagt und die Publication im Dome unterblieb. Das Capitel bestand auf seiner Wahl und Rom, wohin die Angelegenheit gebracht wurde, entschied, nachdem die Staatsregierung, sich auf ein für sie schwaches Compromiß einlassend, erklärt hatte, sich der Wahl nicht widersetzen zu wollen, weil sie dieselbe nur grundsätzlich in Ermangelung einer vorgängigen Einigung nicht anerkannt habe: daß die Wahl erneuert werden solle. So wurde nun unter Bestellung eines andern Staatscommissärs der p. Arnoldi gewählt und bestätigt und die Regierung hatte zwar in der Form gesiegt, in der Sache aber eine Niederlage erlitten.

Wie läßt es sich nun mit der Treue gegen die von Niebuhr geleiteten Verhandlungen zwischen dem Staate und der römischen Curie vereinigen, wenn im Jahre 1865 nach dem Tode des Cardinal-Erzbischofes v. Geissel das Domcapitel zu Köln auf dem sogenannten Listenverfahren bestand, wonach das Capitel in einer Vorwahl eine Candidatenliste aufstellen und der Regierung zur Genehmigung vorlegen sollte, so daß die Krone auf ein bloßes Negiren beschränkt bleibt; wenn es behauptete, auf der nach eigenem Belieben aufgestellten Liste müßten mindestens drei Namen zurückbleiben, welche der Regierung vielleicht am mindesten schlimm dünkten; wenn es auf die Liste, selbst der Bulle de salute animarum zuwider, Nichtpreußen wie den eifrigen Jesuitenfreund, den Bischof v. Ketteler zu Mainz, brachte; wenn es zwei- und dreimal die gestrichenen Namen reproducirte; wenn es sich deshalb sogar an den in München accreditirten päpstlichen Nuntius wandte; wenn seine Vertheidiger sich auf die jenen positiven Zugeständnissen gegenüber unzutreffende Analogie des positiv anders geregelten Verfahrens in der oberrheinischen Kirchenprovinz und im Königreiche Hannover beriefen; wenn sie endlich, wie es in den Kölnischen Blättern geschah, die Beurtheilung, ob der Vorgeschlagene dem Könige genehm sein müsse, lediglich dem Domcapitel vindicirten?

Ja, was soll man dazu sagen, wenn im Widerspruch mit den nach dem Breve vom 16. Juli 1821 vorher gewechselten Noten und gemachten Zugeständnissen der Cardinal Lambruschini im Namen des Papstes in einem Schreiben vom 15. März 1837 dreien Domherren zu Trier mittheilt, sie hätten nach dem Sinn jenes Breve sich durch öffentliche Nachrichten, durch Privat- oder vorsichtig und klug beim königl. Ministerium angestellte Erkundigungen oder durch Handlungen der Regierung selbst zu vergewissern, ob die Person dem Könige genehm sei, – und wenn Papst Gregor [72] der Sechzehnte in einem an die Capitel zu Gnesen und Posen gerichteten Breve vom 10. April 1844 sagt: die Capitel hätten in Preußen zu wählen, und zwar nicht aus der Zahl derjenigen, welche die königliche Regierung zu wählen gestatte, sondern aus den Geistlichen, welche sie als dem Könige nicht weniger genehm erachten, sei es wegen des Charakters und der Verhältnisse dieser Personen, sei es wegen vorangegangener Handlungen der Regierung, sei es durch Anwendung anderer Mittel, welche zur Erlangung dieser Einsicht geeignet seien.

Also nicht einmal das Listenverfahren! Ist das Treue?

Das Alles ist in langwierigen ärgerlichen Verhandlungen geschehen und dem Staate ist es schließlich nicht gelungen, den Candidaten, auf welchen er den meisten Werth legte und dem kein canonisches Hinderniß entgegenstand, den Prinzen Hohenlohe, auf den erzbischöflichen Stuhl zu bringen, vielmehr ist es endlich wieder zu einem für den Staat schwachen Compromisse gekommen und der Streit schließlich dadurch entschieden, daß der Papst, unter Verschweigung der mit dem Könige getroffenen Einigung, kraft apostolischer Autorität und Gewalt, den zwei Mal auf die durch das Capitel präsentirte Liste gebrachten Bischof Melchers von Osnabrück auch einen Nichtpreußen, zum Erzbischof von Köln ernannt hat. Gebe Gott, daß diese Ernennung zum Frieden zwischen Staat und Kirche führe!

Aber in dem päpstlichen Ernennungs-Breve vom 21. December 1865 spendet der Papst dem Domcapitel das höchste Lob über die Sorgfalt und den Eifer, womit dasselbe (im offenen Widerspruche mit den der Bulle de salute animarum vorhergegangenen Verhandlungen) die Freiheit der Capitelswahl zu schützen und zu vertheidigen nicht abgelassen und womit es sich deshalb sowohl an den Cardinal Antonelli als an den Nuntius zu München gewandt habe. Er erklärt, daß er dieses Recht nicht nur von Allen in Zukunft unverletzt bewahrt wissen, sondern auch mit dem Könige von Preußen neue Vereinbarungen vornehmen wolle, damit das Capitel um so leichter und sicherer ein so bedeutendes Recht ausüben könne. – Ist das Treue gegen die vertragsmäßig festgestellten Bestimmungen? Und welche Antwort wird man an maßgebender Stelle in Preußen darauf geben?

Die vertragsmäßig festgestellte Mitwirkung des Staates bei Besetzung der Bischofsstühle ist, nachdem durch den Artikel 15 der Verfassung das bisherige Band zwischen Staat und Kirche, der landesherrliche Einfluß auf die Kirchenverwaltung in Personen und Sachen zerrissen ist, die einzige Bürgschaft dafür, daß die Kirche sich nicht anmaße, dem Staate über den Kopf zu wachsen, daß vielmehr Beide Hand in Hand dem Ziele entgegengehen, welches ihre eigentliche Aufgabe ist, der Veredlung der Menschheit.

Der stärkste endlich und der gefährlichste Hebel des Ultramontanismus liegt in den Klöstern und Orden, insbesondere dem Jesuitenorden. Diese Institute des Mittelalters, in welchem sie manches, jedoch vielfach überschätztes Gute geleistet, hatten aufgehört zu sein, in Frankreich in Folge der Revolution, in Deutschland durch den Reichsdeputationshauptschluß, abgesehen von dem schon früher aufgehobenen Jesuitenorden, worauf wir zurückkommen werden. – Mit guten Gründen hat man ihnen das Recht zu sein abgesprochen, und wenn es auch für diese Blätter zu weit führen wurde, die Rechtsgeschichte ihrer Aufhebung und ihrer Unterdrückung für die Zukunft auszuführen, so wollen wir doch hier kurz bemerken, daß in Frankreich eine während der ersten Republik abgeschlossene Convention mit dem Papste, welche die Errichtung von Kathedral-Capiteln und Seminarien freistellte, verfügte: Les autres établissements ecclésiastiques sont suprimés. Frauenklöster wurden später ausgenommen. – Auf der rechten Rheinseite bestimmte aber Paragraph 42 des Reichs-Deputations-Hauptschlusses, daß zwar Frauenklöster nur im Einverständnisse mit dem Diöcesan-Bischofe zu säcularisiren seien, daß aber die Mannsklöster, deren Güter durch Paragraph 35 säcularisirt worden waren, der Verfügung der Landesherren unterworfen würden und daß beiderlei Gattungen nur mit deren Einwilligung Novizen aufnehmen dürften. Dieser Bestimmung wurde Folge gegeben.

Gesetzlich ist daran nie etwas geändert und vergebens beruft man sich auf die stillschweigende Aufhebung durch den Artikel 15 der preußischen Verfassung, welcher der Kirche die Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten selbstständig überläßt, denn die Klöster sind nicht die Kirche, sind kein integrirender Theil derselben, – vergebens auf den Artikel 13, welcher bestimmt, daß geistliche Gesellschaften Corporationsrechte nur durch besondere Gesetze erlangen können, woraus man deduciren will, daß die Grenze der rechtlichen Existenz nur in dem Mangel der Corporationsrechte zu finden sei, welche man nicht in Anspruch nimmt, sondern durch scheinbare Uebertragung des Eigenthums auf Privatnamen zu umgehen sucht, – denn jene Bestimmung enthält keineswegs die Aufhebung der früheren gesetzlichen Verbote; – vergebens endlich auf das durch Artikel 30 gestattete Vereinsrecht, denn der Begriff, den dieser Artikel mit einem Vereine verbindet, ist von Grund aus verschieden von dem eines Klosters und Ordens, welche, durch kirchliche Autorität geregelt, zu dauernden Zwecken und mittelst ewigen Gelübdes die ganze Persönlichkeit ihrer Angehörigen absorbiren, und durch ihre Verbindung mit meist sogar im Auslande liegenden Mutter- und Schwesteranstalten, oft unter einem ausländischen General stehend, gegen das Verbot des Paragraph 8 lit. 6 des Gesetzes vom 11. März 1850 verstoßen, wonach Vereine nicht mit anderen Vereinen gleicher Art zu gemeinsamen Zwecken in Verbindung treten dürfen.

Fast fünfzig Jahre nach der durch die französische Regierung standhaft gehandhabten Untersagung der Klöster und Orden hatte die katholische Kirche ohne solche in den Rheinlanden bestanden und gewirkt, da fingen sie an sich einzunisten und brachten es in kurzer Zeit zu einer Schrecken erregenden Verbreitung. Franciscaner, Capuziner, Dominicaner, Redemptoristen und Jesuiten, mit ihrem Anhange, den Schulbrüdern (frères ignorantins) und Schulschwestern, welchen beiden unter Zulassung des Staates öffentlicher Unterricht anvertraut wird, grauen Schwestern, Ursulinerinnen, Schwestern vom Herzen Jesu, Franciscanerinnen, Clarissen, Carmelitessen u. s. w. haben sich in Stadt und Land angesiedelt und theilweise gewaltige Gebäude gegründet. So ragen, um nur ein Beispiel anzuführen, in und um Münster ihre Paläste in die Höhe, deren Kosten man auf Millionen veranschlagen kann. Woher das Geld? Sie wollen alle existiren und da werden denn die Herzen mit der Furcht vor dem höllischen Feuer weich gemacht, daß sie unter Lebenden und von Todeswegen ihre Gaben spenden. Uns ist ein Fall vorgekommen, daß ein armes Mädchen, welches ihren wohlhabenden Oheim zu Tode gepflegt hatte, durch dessen Testament ein Vermögen von vierzehntausend Thalern erbte. Ihr Vater lebte als dürftiger Ackersmann mit vielen unversorgten Kindern. Aber es wurde dafür gesorgt, daß zu solchen weltlichen Zwecken nichts vergeudet würde. Bald nachher ging sie als Novize in ein Kloster und schenkte diesem die Hälfte ihres Vermögens; um sie jedem verwandtschaftlichen Einflusse zu entziehen, wurde sie dann in ein Schwesterkloster nach Paris spedirt, und nach Jahresfrist war auch die andere Hälfte ihres Vermögens weg. Solcher Fälle könnten wir noch manche anführen, während die meisten sich der Oeffentlichkeit entziehen, mit dem Schenkgeber eingesargt werden und nur in ihren Wirkungen, in den großartigen Klostergebäuden, deren Kosten bezahlt sind – wovon? weiß man sonst nicht –, an das Licht treten.

Nur in einzelnen Fällen, wie in dem berüchtigten de Buck’schen Processe in Belgien, wo ein junger Mensch planmäßig von den Jesuiten corrumpirt, ruinirt und criminell verfolgt wurde, um ihm die Gunst seines reichen Oheims zu entziehen und dessen großes Vermögen, mittelst eines untergeschobenen Testamentserben, dem Orden zuzuwenden, treten sie an das Tageslicht.

In und außer dem Beichtstuhl wird in solcher Weise gewirkt, und die weiblichen Orden, welche sich dem Unterrichte widmen, wissen sich und ihren Verbündeten zu helfen, indem sie die Töchter wohlhabender Eltern von der Herrlichkeit des Klosterlebens zu durchdringen und sie für sich zu gewinnen wissen. Freilich wird den Eltern vorhergesagt: man wolle die Neigung zum Klosterleben nicht in den Kindern wecken, wenn aber der Beruf im Innern entstehe, so dürfe man ihm nicht widerstreben. Da giebt es denn aber tausend Mittel, die Entstehung dieses Berufes zu befördern.

Einem wohlhabenden Manne, der uns bitter seinen Schmerz klagte, hatte man das auch vorhergesagt, als er seine Tochter einem klösterlichen Pensionat anvertraute. Als sie aber ins Vaterhaus zurückkehrte, bestürmte sie ihn mit Bitten um die Erlaubniß, den Schleier zu nehmen. – Das widerstrebte ihm und er weigerte sich standhaft. Da, an dem Tage, wo sie mit dem einundzwanzigsten Jahre die Großjährigkeit erreicht hatte, verschwand sie und schrieb ihrem Vater: er möge nicht um sie sorgen, sie fühle [73] sich unaussprechlich glücklich. Umsonst verfolgte der Vater ihre Spur; um sie seinen Nachforschungen zu entziehen, wurde sie von einem Schwesterkloster in das andere gebracht. Endlich wurde ihr Aufenthalt ermittelt und die Bestürmungen erneuerten sich, da sie wirklich kindlich an dem Vater hing. Um zu sehen, worauf es abgesehen sei, erklärte er zuletzt der Oberin: er wolle einwilligen, wenn auf alles Vermögen der Tochter verzichtet werde. Da hieß es aber: von Vermögen sei ja keine Rede, das wolle man Gott und der Zukunft überlassen. Hinterher fand sich versteckt in dem Zimmer des Mädchens eine Correspondenz mit einem Ordensgeistlichen, welche ihr immer heimlich durch dritte Hand zugesteckt war und worin er ihr wiederholt sagte: sie möge ihren Vater um die Einwilligung bitten, wenn er aber durchaus nicht wolle, so möge sie warten, bis sie mit einundzwanzig Jahren ihre eigene Herrin würde. – Durch ihn und seine Helfershelfer war sie aus dem väterlichen Hause in’s Kloster befördert worden.

Der wohlfeile Preis dieser Pensionate ist eine Lockspeise für die Eltern. Das benachbarte Belgien hat eine Menge Kloster-Pensionate für Jünglinge und Jungfrauen, wo Kost und Unterricht nur 300 Francs = 80 Thlr. kosten. Es wäre nicht möglich beides davon zu bestreiten, wenn es nicht andere Hülfsmittel gäbe. Freilich wird da nicht viel gelernt, aber die jungen Herzen werden für die Kirche bearbeitet und die Goldfische bleiben im Netze. –

Alle diese Orden arbeiten den Männer-Orden, insbesondere den Dominicanern, Redemptoristen und Jesuiten, worunter sie ihre Beichtväter haben und unter deren Leitung sie ihre geistlichen Exercitien machen, in die Hand. – Dazu wirken auch die zahlreichen kirchlichen Brüderschaften, Sodalitäten und Congregationen, die sich tief in das Volk, in die geistlichen und Lehrer-Seminare und in die Schulen erstrecken, wo, wie wir es an verschiedenen Orten erlebt haben, Denunciationssysteme gegen Lehrer und Schüler organisirt werden. Dazu wirken ferner die zahlreichen katholischen Gesellen-Vereine, die zwar das Gute haben, daß ihre Mitglieder durch Zusammenkünfte und Lustfahrten mit Gesang, Declamation und dramatischen Aufführungen von manchem Schlimmeren abgehalten werden, deren hierarchische Gliederung in der Leitung und Oberleitung durch Geistliche bis zum Erzbischofe hinauf aber andeutet, daß ihr Hauptzweck auf die Kirche berechnet ist, in deren Dienste sie denn auch zu Demonstrationen, Aufzügen, Processionen und bei politischen Wahlen verwendet werden. –

Ebenso wird die confessionelle Trennung in das gesellige Leben der mittleren und höheren Stände hinein getragen. Da giebt es in größeren Städten, beispielsweise in Aachen und Köln, geschlossene katholische Clubs, worin nur Katholiken aufgenommen werden. Wenn auch darin nicht katholisch Billard gespielt und katholischer Wein getrunken wird, so werden doch die Besucher dieser Clubs vor dem Gifte unrömischer Bücher und Journale bewahrt und ihnen nur gut katholische Zeitschriften, wie das Mainzer Journal, welches sich zur Devise das Calumniare audacter (nur keck verleumdet) genommen zu haben scheint, in die Hände gegeben, dieselben vor dem Umgange mit Protestanten behütet und bei städtischen und politischen Wahlen auf die compacte Masse der Mitglieder gewirkt.

In gleicher Weise wirken die durch ganz Deutschland verbreiteten katholischen Vereine. Diese hielten im September 1865 ihre General-Versammlung in Trier, die stärkste bisherige kirchliche Wander-Versammlung. Sie zählte 1364 Mitglieder, einschließlich 240 aus Trier selbst. Es wurde der heilige Rock zu Trier als das Symbol der katholischen Einheit dargestellt, gegen die schlechte Presse geeifert und die Einsetzung eines Preß-Bureau in Antrag gestellt, die Encyclica als eine große That des Papstes Pius des Neunten, besonders den gottlosen modernen Wissenschaften gegenüber, gepriesen. Der Pater Theodosius wurde als ausgezeichneter katholischer Volkswirth gerühmt und Görres als der größte Deutsche gefeiert, dem man in Coblenz ein Denkmal errichten müsse. Auch gegen die unmittelbaren Sphären des Staates wurde zu Felde gezogen. Für die Gefangenenhäuser wollte man geistliche Ordensbrüder als Gefängnißwärter. Namentlich galt der Angriff den staatlichen Schulen, bei denen doch die confessionellen Verhältnisse durch confessionelle Seminaristen, Lehrer und Schulpfleger so viel als möglich berücksichtigt werden. Das Unterrichts-Monopol des Staats, heißt es, sei ein Product des absolutistischen Polizeistaats und unverträglich mit den Rechten und der Selbständigkeit der Kirche. Man raube durch den Schulzwang die Kinder ihren Eltern, um sie dem Glauben zu entfremden. Der Schulzwang führe zur Afterweisheit und befördere den Zwiespalt zwischen Gebildeten und Ungebildeten! Der Staat handle wie Pilatus, indem er sich zur religiösen Wahrheit in der Schule gleichgültig stelle, und die Eltern, welche ihre Kinder in unchristliche Schulen schickten, wie der umgekehrte Mortara, welcher sein Kind, das er in den besten Händen wußte, zurück haben wollte, während sie ihre Kinder theilnahmlos dem Moloch hingäben. Die Eltern sollten daher ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken, sondern sich ruhig (von den Gerichten) wegen Schulversäumniß strafen lassen. Beharrten sie dabei, so würde das Strafen bald aufhören. Schließlich wurde gegen den Schulzwang feierlichst Protest erhoben und die Verwendung der katholischen Fonds und der Steuern der Katholiken zur Bezahlung nichtkatholischer Lehrer und Professoren und zur Verbreitung nichtkatholischer Lehren für eine schwere Rechtsverletzung erklärt, gegen welche und gegen den Staatsschulzwang man die Hülfe der Gerichte in Anspruch zu nehmen habe.

Daß eine solche directe Aufforderung zum Ungehorsam und zum Widerstande gegen die staatlichen Gesetze, wobei man einerseits den Gerichten trotzen, andererseits ihre Hülfe in Anspruch

Die Glanquelle am Untersberg.
Nach der Natur aufgenommen von R. Püttner.
(S. S. 79.)

[74] nehmen soll, nur darauf berechnet ist, den Volksunterricht den Jesuiten und anderen Ordensbrüdern in die Hände zu spielen und das Volk zu einer für den ultramontanen Obscurantismus förderlichen Verdummung zu führen, bedarf keines Beweises. Daran schloß sich ferner ein Bericht über die Bemühungen zur Gründung einer freien deutschen katholischen Universität, wofür Sammelvereine in allen deutschen Diöcesen errichtet seien und wofür sich ein Frauenverein unter dem Protectorate einer österreichischen Erzherzogin gebildet habe.

Auch ein Bericht über den Bonifacius-Verein wurde erstattet, woraus sich ergiebt, daß derselbe seine missionirende Thätigkeit besonders in Norddeutschland, in Schleswig-Holstein, Rügen, Pommern, in den Diöcesen Köln und Paderborn ausübt und im Jahre 1864 bei 60,000 Thlr. Einnahme 212 Missionsstellen, und zwar zur Hälfte geistliche und zur anderen Hälfte Lehrstellen, unterhalten hat.

Der Nimbus der Heiligkeit, womit sich die Männerorden zu umgeben wissen, zieht viele Personen, namentlich Frauen, von ihrer in dem Pfarr-Amte geordneten Seelsorge ab und jenen zu, und da wird denn jedes Mittel benutzt, die Gemüther zu erforschen und durch Einwirkung auf den beschränkten Verstand möglichen Schaden von der Kirche abzuwenden. So examinirte ein Ordens-Geistlicher eine bei einer protestantischen Familie in Dienst stehende katholische Magd: ob im Hause auch von religiösen Dingen mit ihr gesprochen werde? Anfänglich verneinte sie dieses, doch schließlich da fiel ihr ein, daß vor einiger Zeit der dreizehnjährige Sohn ihrer Herrschaft ihre Behauptung, daß die heiligen drei Könige katholisch gewesen, bestritten habe. Sie theilte es mit – der gelehrte Herr schüttelte den Kopf und meinte: wenn dergleichen Dinge öfters vorkämen, dann thäte sie doch besser, den Dienst zu kündigen. – So wird das Mißtrauen auch in das Innere der Familie gesäet und auch hier eine confessionelle Scheidewand gezogen.




Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege.
Nr. 7. Hercules.

Der König von Hannover hatte während seines achttägigen Aufenthaltes in Langensalza sein Absteigequartier in dem höchst geschmackvoll eingerichteten Schießhause am Mühlhäuser Thore genommen. Zwischen diesem und der Stadtmauer befindet sich in geringer Vertiefung der ehemalige, jetzt ziemlich aufgefüllte Stadtgraben, während des Sommers und bei trockener Witterung von der Garnison als Reitbahn und Exercirplatz benutzt. An dieser sogenannten Reitbahn läuft in einer Höhe von etwa acht bis zehn Fuß ein Fuß- und ein Fahrweg. Der erstere ist als Promenade in seiner ganzen Länge an beiden Seiten mit Lindenbäumen bepflanzt.

Obwohl es im schönsten Sommermonat, im Juni, war, wo Alles grünt und blüht, so bot die lange Baumreihe dennoch einen gar traurigen Anblick. Die unteren Zweige der stattlichen Linden hingen blätterlos und zerknickt herab, der Luftzug schlug sie ächzend, wie klagende Arme, zusammen, die Stämme selbst hatten ihr gesundes Grüngrau verloren und ein schmutziges Braunroth angenommen. Wie geschah das? Es sei in Nachstehendem erklärt.

Die stolzen Sieger in der Schlacht bei Langensalza waren nach kurzer Spanne Zeit nur noch eine ungeordnete Schaar, welche mit Quersack, Mütze und Stock in die Heimath zurückkehrte. Die Capitulation des 29. Juni zwang sie, mit Ausnahme der Officiere, Pferde, Wehr und Waffen in den Händen ihrer Feinde zu lassen und ohne kriegerische Ehren abzuziehen. Viele der Heimkehrenden, darunter besonders die Familienväter, zeigten freudige Gesichter, andere gingen mit tiefbetrübter Seele von dannen. Dieses war besonders mit den meisten Cavaleristen der Fall. Ihr Unmuth war nicht ohne Grund und Entschuldigung.

Als ich an dem genannten Tage nach Langensalza kam, fand ich auf Straßen und Plätzen ein ungewöhnliches Menschengewühl. Ich brauchte nicht lange nach der Ursache zu forschen. Die hannöversche Cavalerie erschien von nah und fern, um ihre Pferde in die Hände der preußischen Commissäre abzuliefern. Vor dem Mühlhäuser Thore, in der Nähe des königlichen Hoflagers, geschah die Uebergabe und hier war das Gedränge von Mensch und Thier am stärksten. In langen, unübersehbaren Reihen, auf Promenade und Fahrweg, standen Roß und Reiter, aber wo war der kecke, übersprudelnde Lebensmuth des Letzteren geblieben und was hatte sein feuriges Roß so still und traurig gemacht? Matt und gleichgültig blickte es in das Gewühl oder nagte, wie unbewußt, an Blatt und Schale des Baumes, unter welchem es gegen den strömenden Gewitterregen nur einen schwachen Schutz fand. Mager, abgefallen und verkommen, im Schmutze starrend – also das sonst so schmucke, glänzende Thier.

Gleich in der ersten Reihe erblickte ich einen Schimmel, welcher mir sehr bekannt vorkam. Ich trat näher, richtig: Mann und Pferd gehörten am Tage vor der Schlacht zu meiner Einquartierung; das schöne Thier hatte schon damals meine Aufmerksamkeit erregt, in seiner jetzigen Abgetriebenheit und Lähmung erkannte ich es nur als Schimmel und an seinem Herrn wieder. Bei meiner Annäherung erinnerte sich der Hannoveraner auch meiner Person, streckte mir die Hand entgegen und rief: „Ah, sind Sie nicht mein freundlicher Wirth aus dem Dorfe –“

„N …,“ ergänzte ich, als ihm der Name unseres Ortes nicht gleich beifallen wollte.

„Richtig, N …,“ wiederholte er. „Ich erzählte Ihnen, daß mein Vater ebenfalls ein Bauer sei, ein Ostfriese, was Sie sehr interessirte. Lassen wir das jetzt, aber eine herzliche Bitte: hier ist ein Thaler; hätten Sie wohl die Güte, dafür in dem nächsten Bäckerladen ein Brod, vielleicht auch ein Glas Branntwein zu kaufen? Nicht wahr, du armer Hercules,“ wandte er sich an sein Roß, „hast gestern Abend die letzte Ration bekommen und seitdem nicht ein Körnchen Hafer gesehen. Wir armen Schelme haben keine Fourage mehr und die Preußen geben noch nichts her; so muß ich selbst mich deiner erbarmen. Dein Knappern an der Baumrinde sagt mir zur Genüge, wie es mit dir steht.“

Mit größter Bereitwilligkeit sprang ich nach dem Bäcker und brachte das Verlangte, auch holte ich noch aus dem nahen Gasthofe einen Eimer frischen Wassers. „Dank, tausend Dank,“ rief er, als ich mit dem kühlen Trunke ankam. „Sie sind ein braver Mann und haben auch ein Herz für die unvernünftige Creatur. Was doch das arme Thier so begierig frißt und dabei seine dankbaren Blicke auf uns richtet! O, es ist ein kluges Pferd und weiß so genau, wie ein Mensch, wer es mit ihm gut meint!“ Und in der That, bei jedem Bissen, welchen sein Herr darreichte, bog und bewegte es nach Pferdeart die Ohren, blickte ihn freundlich an, stieß ihn mit dem Kopfe, gleichsam als wollte es Scherz und Kurzweil mit ihm treiben, wieherte, hob die Augen nach seinen vierbeinigen Gefährten mit dem bedeutungsvollen Blicke: Wer von euch hat einen solch’ guten Herrn, der den Bissen des Mundes theilt?

„Sie haben wohl Ihr Pferd recht lieb?“ frug ich den Dragoner, als ich die gegenseitige Zärtlichkeit des Rosses und seines Reiters sah. „Trifft man solche Zuneigung auch bei Ihren Cameraden?“

„Ja,“ antwortete er, „der hannoversche Cavalerist liebt sein Pferd; kann es anders sein? Wer die Einrichtung und Geschichte unserer Cavalerie kennt, den wird das nicht befremden. Cavalerist und Pferd sind zwei Wesen zwar, aber fast wird man versucht, mit dem Dichter[WS 2] zu sprechen: ‚Zwei Seelen und ein Gedanke, zwei Herzen und ein Schlag!‘ Lache man immerhin, aber es ist so. Der Reiter hat nur Sinn für sein Pferd und dieses kennt und liebt nur ihn; auch sieht er es völlig als sein Eigenthum an, denn es ist nicht selten auf seiner väterlichen Besitzung geboren, groß geworden, mit dem Stammerben in’s Regiment getreten. Zwar hat es der Staat käuflich übernommen und seinem zeitherigen Besitzer nur klüglich zum Gebrauch überlassen, denn in dessen Hand scheint es ihm am besten aufgehoben; aber daran denkt der sogenannte ‚Bauernjunge‘ nicht mehr, ihm ist sein Pferd immer noch sein Eigenthum, sein bester Freund. In dieser glücklichen Täuschung erhält ihn der Staat selbst, indem er ihm das Thier, wenn es gehörig dressirt ist, mit auf die väterliche Besitzung [75] giebt, um es dort zu pflegen und täglich ein Stündchen auszureiten. Diese Dienstleistung und Pflege wird zwar vom Regiment aus überwacht, aber man hätte das kaum nöthig, denn eine Vernachlässigung des Rosses ist fast beispiellos. Nach Ablauf einer gewissen Frist wird der Cavalerist mit seinem Rosse zu einer Uebung im Regimente zurückgerufen und erntet gewöhnlich wegen der vorzüglichen Pflege und des guten Zustandes seines Thieres Lob und Anerkennung. Nach dem Regimentsexerciren kehrt er mit ihm in die Heimath zurück.

Sie können sich, mein lieber Herr, denken, daß der Cavalerist sich nicht blos die gute Pflege und Dressur seines Pferdes zur Aufgabe macht, nein, seine Muße und die Liebe zu demselben treiben ihn nicht selten zu einer wahrhaft künstlerischen Ausbildung. Viele unserer Cavaleristen mit ihren Pferden könnten jeden Augenblick vor einem gewählten, kunsterfahrenen Publicum mit den seltensten Kunstreiterstücken zur Schau auftreten. Auch mein Schimmel ist wohldressirt. Erlauben Sie mir als Beispiel nur einen kleinen Scherz. „Hercules,“ rief er diesem zu, „gieb mir einen Fuß!“ Das Pferd hob den rechten Vorderfuß. „Einen Kuß!“ Es spitzte und reichte die Lippen. „Mache ein Compliment!“ Es kniete mit beiden Vorderfüßen nieder und bog den Kopf. „Wie spricht das Pferd?“ Laut begann es zu wiehern. „Hast Du Deinen Herrn lieb?“ Es nickte, legte mit sichtbarem Verständniß seinen Kopf auf dessen Schulter und strich mit demselben seine Wangen. „Was machst Du mit dem Feinde?“ Bei dieser Frage richtete es sich, trotz des verwundeten Hinterfußes, stolz in die Höhe, spitzte die Ohren, blies die Nüstern weit auf, blickte wild um sich und endlich stieg es kerzengerade zur Luft hinein, biß, hieb und schlug wild um sich. „Bravo, mein treues Thier, aber was ist das Ende von Reiter und Pferd?“ Bei diesen Worten begann er das bekannte Lied zu singen: „Morgenroth, leuchtest mir zum frühen Tod.“ Kaum hatte das Roß seine Anfänge vernommen, als alle seine Wildheit verschwand; es sank zusammen, fiel auf die Kniee, reckte und streckte sich und lag nun scheinbar ohne Leben völlig todt. Der Reiter sang weiter, aber nicht mehr allein, die umstehende Jugend begleitete theilnehmend den ernsten, schönen Gesang, und Alte und Junge weihten dem Reiter und seinem Pferde eine Thräne des Mitleids.

„Erhebe Dich, mein treues Roß,“ gebot der Dragoner, als er sich wieder gesammelt hatte, „es kommt jetzt die gefürchtete Stunde der Trennung!“ Er deutete auf die sich nähernden preußischen Commissäre, welche den hannöverischen Cavaleristen ihre Pferde abnahmen. Mühsam erhob sich das Pferd; seine, wenn auch leichte, aber vernachlässigte Wunde machte ihm sichtbar große Schmerzen.

Je mehr sich die preußischen Officiere näherten, desto größer wurde die Aufregung des Dragoners. Der Mann that mir herzlich leid; er war ein ziemlich junges Blut, dazu der Sohn eines Landmannes; ich selbst war ein solcher und besaß auch einen Sohn, über dessen Schicksal ich jetzt in großer Sorge lebte; denn er kämpfte in der preußischen Armee gegen Oesterreich. Das Alles bewegte mein Herz nur noch mehr zum Mitleid und ich beschloß, den Armen nicht zu verlassen.

„Sind Sie krank?“ frug ich theilnehmend, als ich sein öfteres Erröthen und Erblassen bemerkte; „haben Sie selbst vielleicht eine Wunde?“ Bei diesen Worten sah er nach dem linken Arm und sprach: „Allerdings habe ich einen Streifschuß in den linken Arm bekommen und das Bivouac bei Tag und Nacht im strömenden Gewitterregen hat die Wunde verschlimmert. Das Alles möchte sein, wenn ich nur Pferd und Waffe behielt und nicht wie ein Lump abziehen müßte. Das Bitterste dabei ist: Ich selbst muß hier stehen und das treue Thier abgeben. Nicht wahr, Hercules, Du glaubst es nicht, wenn man Dir erzählt, daß Dein Herr allein und ohne Dich nach Hause ziehen will? Hast ihm so treu gedient, ihn aus dem starren Bajonnetwalde durch die Tausende der Geschosse des Feindes getragen; hast Dich ihm dadurch mit Leib und Leben verdient und erkauft; auf seiner Scholle denkst Du nun zu leben und dereinst zu sterben. – Und wenn Du nun erfährst, daß all’ Dein Hoffen und Wünschen Traum und Schaum war, fremde Hände Dich zu eigen nehmen und Dir statt zärtlicher Liebkosung Fußtritte geben: o, wie wirst Du dann über menschliche Undankbarkeit klagen und selbst Deinen Herrn nicht verschonen! Und doch, Hercules, bin ich unschuldig, behielte Dich so gern und darf doch nicht.“ –

„Camerad,“ rief ich besorgt, „Sie sind krank. Entschlagen Sie sich solch’ trüber Gedanken. Ihr und des Pferdes Schicksal ist nicht zu ändern; fügen Sie sich in’s Unabänderliche. Nehmen Sie Abschied von Ihrem Rosse, schnell, die preußischen Herren treten heran!“

Da faßte der wahrhaft unglückliche Mann das Pferd um den Hals, flüsterte: „Kuß, Hercules!“ und gab ihm noch unzähliche Küsse, die zärtlichsten Namen und Liebkosungen, wandte sich endlich, hielt die strömenden Augen zu und eilte ohne Umsehen zum Thore hinein. Ich folgte ihm, nahm ihn auf meinen Wagen und führte ihn mit nach Hause. Die Erlaubniß, einen kranken und verwundeten Soldaten in Privatpflege zu nehmen, erhielt ich sehr leicht. Beides, verwundet und krank, war mein Dragoner. Der untersuchende Arzt sagte: „Die an sich ungefährliche Schußwunde im Arm hat sich durch Erkältung und Vernachlässigung sehr entzündet und muß fleißig gekühlt werden; außerdem fiebert der Mann stark; man lasse ihn nicht aus den Augen, Arzenei ist für jetzt nicht nöthig.“ –

Schon am Abend desselben Tages wurde das Fieber sehr heftig und in der Nacht lag der Patient in wilden Phantasien. Ich zog am andern Tage den Arzt des nahen Marktfleckens zu Rathe; denn ich fühlte für den jungen Mann das innigste Mitleiden und mochte ihn gern dem Leben und seiner Familie erhalten. Meine Gattin und die andern Hausgenossen übernahmen am Tage seine Pflege, ich selbst und ein zuverlässiger Knecht bewachten ihn in der Nacht.

An einem der folgenden Tage rief mich die in öffentlichen Blättern angekündigte Auction dienstuntauglicher Cavaleriepferde wieder zur Stadt. Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich bei der Durchmusterung der zu Verkauf stehenden Rosse den Schimmel Hercules erblickte! Um mich jeden Zweifels zu entledigen, trat ich zu dem Thiere und rief den Namen Hercules! Es spitzte die Ohren und wieherte leise, als frage es schüchtern: „Wer kennt meinen Namen und bekümmert sich noch um mich?“ Da faßte ich einen raschen Entschluß; ich dachte: „Wo acht Pferdemäuler satt werden, findet auch noch ein neuntes Raum und Futter,“ und beschloß, das Pferd zu kaufen. Es war das keine leichte Sache, nicht des Geldes, nein, des Spottes wegen, der von Seite meiner Bekannten und Gutsnachbarn nicht ausbleiben konnte.

Und so geschah es. Als die Reihe an den klapperdürren, lahmen Schimmel kam und der Auctionator das Angebot mit drei Thaler that, mit den Worten: „Ein Schimmelpferd, Schuß durch den linken Hinterfuß!“ folgte in der ganzen großen Versammlung kein Nachgebot. Da faßte ich mir ein Herz, legte einen Thaler zu und rief: „Vier Thaler!“ Um es kurz zu machen, ich erhielt das Roß unter allgemeinem Gelächter und Spott. Das wurmte mich doch ein wenig und schier mochte ich es dem armen Thiere auf dem Heimwege entgelten lassen; aber je weiter ich mich von den Spöttern entfernte, desto friedlicher wurde meine Stimmung. Zuletzt konnte ich ein förmliches Zwiegespräch mit ihm halten; freilich hatte sein Trübsinn nie eine Antwort, ich mußte sie mir immer selbst geben. Am glücklichsten fühlte ich mich, wenn ich an den Herrn des Pferdes dachte. „Was wird der Dragoner sagen,“ sprach ich zu mir selbst, „wenn er sein Roß erkennt und wieder erhält!“

Mit dem Kranken stand es übel; er sah und hörte nicht, ein heftiges Nervenfieber hatte ihn ergriffen, und so mußte ich vorerst auf die Hoffnung, durch den Kauf und Anblick seines Pferdes beruhigend auf sein Gemüth zu wirken, Verzicht leisten.

Auch von Seite meiner Angehörigen und Dienstleute wurde mir bei der Einführung des lahmen Schimmels ein spöttischer Willkomm und selbst die Hausfrau verschonte ihren Eheherrn nicht; ich aber blieb ruhig und gelassen, denn ich wußte, was ich that. Zunächst ließ ich das beschmutzte Thier und seine stark entzündete Wunde gründlich reinigen, die letztere fleißig kühlen und bot dem Rosse mit eigener Hand sein Futter. Es schnoberte an dem Hafer, zog auch einige Hälmchen Heu von der Raufe, aber dabei blieb es. Ein Fressen zum Sattwerden war das nicht. Was war zu thun? Wie ein Blitz kam mir ein Gedanke in die Seele. Ich rief den Kleinknecht, gebot ihm, die Uniform des Dragoners und einen der umherliegenden Caraleriesäbel anzulegen, und in solcher Gestalt, aber ohne jedes laute Wort, den Schimmel zu füttern. Bei diesem Aufzuge gab es unter den Dienstleuten, welche meine Absicht nicht begriffen, wieder ein lautes [76] Gelächter, die beabsichtigte Wirkung jedoch erreichte ich völlig. Der Schimmel, getäuscht durch die Uniform und das Klirren des Säbels auf dem Steinpflaster, wieherte freudig auf, drehte und wandte sich bei jedem Tritt und Schritt seines vermeintlichen Herrn und erzeigte ihm alle die zärtlichen Liebkosungen, welche wir bereits kennen, ähnlich einem Kinde mit der heimkehrenden Mutter. Nur zuweilen schien eine Ahnung der Wahrheit das treue Thier zu beschleichen. Es war auch an zärtliche Worte gewöhnt und sein jetziger Pfleger blieb immer stumm, obwohl er es wie sein wirklicher Herr streichelte und liebkoste. Von Stund’ an nahm das Roß etwas mehr Nahrung zu sich und nach wenig Tagen schon trat es kräftiger auf, glättete sich und lähmte immer weniger.

Wie ging es aber mit seinem jungen Herrn? Nun, ein Gewittersturm biegt den jungen kräftigen Baum, bricht ihn aber nicht gleich. So geschah es mit unserem Kriegsmann. Das Fieber tobte gewaltig in seinen Adern und fast schien es uns, als solle er, statt auf dem Bette der Ehre, hier auf ruhmlosem Krankenlager enden. Die rüstige Jugendkraft siegte endlich, das Fieber schwand, die Besinnung kehrte zurück, doch nicht der fröhliche Jugendmuth, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Selbst Gedächtniß und Interesse für das treue Roß schienen dem Armen erloschen. Nie sprach er von demselben, nie nannte er seinen Namen; auch für alles Andere war er theilnahmlos und verbrachte die Tage in einem stillen, traurigen Dahinbrüten. Dieser Zustand ging mir zu Herzen und ich sann auf ein Heilmittel. Es lag dieses so nahe und so entging es mir nicht lange.

An einem der nächsten Tage, als ich den Gemüthskranken wieder in diesem melancholischen Hinbrüten fand, redete ich ihn an und sprach: „Camerad, wenn Sie sich wieder kräftig fühlen, sollen Sie mich gelegentlich in den Pferdestall begleiten, um Ihr Urtheil über ein angekauftes Pferd abzugeben. Sie sind Pferdekenner und werden seinen Werth richtig taxiren!“ Bei diesen Worten erröthete und erblaßte der Angeredete abwechselnd und über seinen ganzen Leib ging ein heftiges Zittern. Schon sah ich in den Zornblitzen seiner Augen einer abschlägigen Antwort entgegen, er kämpfte die Regung des Unwillens nieder und erwiderte mit trauriger Stimme: „Morgen, lieber Herr, nicht heute, ich muß mich erst an den Anblick eines Pferdes gewöhnen!“ Er hielt den Kopf nieder, verdeckte die Augen und weinte. Ich versuchte keine Tröstung; Thränen lindern den Schmerz, auch hoffte ich von meinem Heilmittel das Beste.

Am nächsten Morgen legte er das bequeme Hauskleid ab und zog die Uniform wieder an, und so begaben wir uns nach den Pferdeställen. Hercules hatte ganz am Ende seinen Stand und war jetzt mit dem zweiten Frühstück in angenehmer Beschäftigung. Auf dem kurzen Wege sprach ich vorbereitend zu meinem Begleiter: „Das angekaufte Pferd ist auch ein Schimmel. Sie werden sich über seine große Aehnlichkeit mit dem Hercules wundern, selbst die Schußwunde am Hinterfuß hat das Thier!“ Bei dieser Mittheilung blieb der Dragoner einen Augenblick stehen und sah mich forschend an. In seiner Seele schien eine Ahnung aufzusteigen, dann schritt er hastig auf den Stall los, öffnete und that einen raschen Blick hinein. Nur der Schimmel war darin, die Gespanne befanden sich auf dem Felde.

Dieser eine Blick genügte, um den Liebling wieder zu erkennen. „Hercules, mein Hercules, Du lebst noch, ich habe Dich wieder!“ rief der Dragoner mit zitternder Stimme. In fliegender Eile stürzte er nach dem Rosse, welches bei dem Klange seiner Stimme die Ohren spitzte und mit einem freudigen Wiehern antwortete. Aber die Gefühle des Schwergeprüften waren zu stark, die Ueberraschung allzu gewaltig; er sank in die Kniee und es dauerte lange, ehe die Schwäche verging. Während das geschah, zeigte sich auch Hercules sehr aufgeregt; er riß an den Ketten, drehte sich bald rechts, bald links und hieb und schlug um sich. Langsam führte ich meinen Mann nach dem unruhigen Rosse, indem ich lächelnd sprach: „Erkennen Sie den Schimmel? Habe ich es Ihnen zu Danke gemacht? Na, nun sind Reiter und Roß wieder beisammen. Erzählt einander, wie es Euch ergangen.“ Der Dragoner umschlang das treue Thier und herzte es viele Male. Die Freude und Ueberraschung ließen ihn nicht zu Worte kommen; ich aber verließ ihn aus Schonung seiner Gefühle.

Was war die Folge dieses Besuches? Hercules gebehrdete sich sehr unartig, als sein Herr ihn wieder verlassen wollte, und dieser war genöthigt, sein Nachtlager, wie damals im Bivouac, neben ihm aufzuschlagen. Bei meiner Besorgniß sprach der junge Mann: „Tragen Sie um meinetwillen keine Sorge, Hercules thut seinem Herrn nichts zu Leid und die milde Sommernacht kann mir unmöglich schaden. Ich werde einige Tage neben dem verwöhnten Burschen campiren, bis er seine Unart und Heftigkeit wieder abgelegt hat.“ Am späten Abend ließ ich Reiter und Roß neben einander betten und verließ Beide in sehr zufriedener Stimmung. Jetzt nun begriffen auch die Dienstleute meine Passion für den Schimmel und lachten nicht mehr.

Ich brauche wohl kaum zu erzählen, daß der junge Reitersmann mit seinem Pferde in stündlicher Gemeinschaft, in wahrhaft cameradschaftlichem Umgange lebte und Beide von Tage zu Tage an Kräftigung und Wohlgefallen zunahmen. Der junge Mann besorgte jetzt die Wartung und Pflege seines Rosses mit eigener Hand, führte es auf der nahen Wiese spazieren und übte und stärkte dessen lahmen Fuß. Durch diese Beschäftigung vergaß er seines Leides, schöpfte neuen Lebensmuth und gewann die alte Spannkraft zurück.

Endlich waren Reiter und Roß völlig genesen. Das letztere warf den schönen Hals stolz in die Höhe, streckte den Schweif weit von sich und stieg keck und kerzengerade in die Luft. Sein schlanker Leib hatte sich mit glänzendem Haar bedeckt, die Haut ließ jede Ader und Muskel durchschimmern, die Füße tanzten in Lust und Leben. Wie gafften und neideten bei diesem Anblick die damaligen Lacher und Spötter!

Eines Tages kam Besuch auf das Gehöft, Besuch von weit her. Der langgestreckte Korbwagen und das eigenthümliche Pferdegeschirr verwiesen aus Hannover. Errathet ihr die Namen der fremden Gäste? Es waren Vater und Bruder unseres Dragoners, aus weiter Ferne gekommen, den Schmerzlichentbehrten heimzuführen.

Groß war die Freude des Wiedersehens! Auch das treue Roß erhielt davon seinen gebührenden Antheil. Der Abend war nicht lang genug, all’ die Erlebnisse von Reiter und Pferd zu erzählen; die Nacht noch fand uns in tiefen Gesprächen. Die Lage des Vaterlandes machte Allen großen Kummer. Es gelang mir auch hier, lindernden Balsam zu bringen.

An einem der folgenden Morgen fuhr der Korbwagen wieder vor, an dessen Seite Hercules, lose angebunden, die Rückreise machen sollte. Als sein Herr das Thier herbeiführte, rief er ihm zu: „Hercules, bedanke Dich bei den Stallleuten!“ Diese hatten sich allesammt am Wohnhause aufgestellt. Hercules verbeugte sich mit dem Kopfe und hielt ihnen mit seinen Zähnen ein kleines Päckchen entgegen. Es war ein werthvolles Geschenk für seine Pfleger. Dann drehte der junge Mann das Thier und rief ein zweites Mal: „Nun, Hercules, bringe auch unserem guten Hausherrn deinen Dank!“ Bei diesem Befehl kniete es nieder und berührte mit den Lippen meine Hände und Kleider, gleichsam um sie zu küssen. Dann sprang das kluge Thier auf und wieherte laut, als ahne es den Heimzug. – Sein Herr selbst hatte bei der Tiefe seiner Gefühle kein lautes Wort. Er drückte uns fest an sein lautschlagendes Herz und sprang dann hastig zu den Seinigen in den Wagen. – „Ade, Ade, Ihr guten Thüringer! Lebt wohl, lebt Alle wohl!“ – Ein lauter Peitschenknall – und dahin sauste der Wagen. Lange sahen wir die weißen Tücher wehen und hörten den muthigen Schimmel wiehern, endlich verschwanden die lieben Gäste unseren Blicken, aber des Reiters und seines Rosses werden wir nie vergessen.




Romantik und Industrie am Kyffhäuser der Alpen.


Die Sehnsucht nach einem deutschen Kaiser, als nach dem Oberhaupte eines einigen, freien und mächtigen Deutschlands, liegt tief im Herzen des ganzen Volkes. Das beweisen die Kaisersagen, mit denen es im deutschen Norden wie im Süden thronende Bergeshäupter geweiht hat. Denn in seinem Lied und seiner Sage spricht das Volk sein innerstes Herz aus, seine Liebe, sein Leiden und Hoffen, seinen Lohn und seine Strafe. Ueber die goldne Aue Thüringens, wo die sächsischen Herzoge und Kaiser

[77]

Die Marmelmühlen an dem Untersberg.
Nach der Natur aufgenommen von R. Püttner.

[78] einst ihr Banner entfaltet ragt der Kyffhäuser auf; aber nicht ein sächsischer, wie der große Finkler oder sein ebenbürtiger Sohn, Otto, sondern ein schwäbischer Kaiser, der Hohenstaufe Friedrich Barbarossa,

– hat mit hinab genommen
Des Reiches Herrlichkeit
Und wird einst wiederkommen
Mit ihr zu seiner Zeit.

Eine noch großartigere Halle bietet die Sage im Alpenbereiche, ihrem Kaiser: der Untersberg, zwischen Salzburg und Berchtesgaden, Reichenhall und Hallein, wölbt seinen marmornen Riesendom über seine Schlummerstätte! Und wieder ist es kein habsburgischer oder österreichischer Kaiser, den das Volk dort einst erstehen läßt, sondern Karl der Große ist es, und die Sage verbindet mit seinem Erwachen nicht die Rettung des Reichs, sondern das Ende der Welt.

Dieses düstere Sagenbild darf man nicht mit irgendwelcher politischen Klage und Trauer des Volks in Beziehung bringen; wir begreifen seinen Ursprung beim ersten Blick, den wir – namentlich von Salzburg aus – auf den Untersberg werfen. Nicht durch Vorberge und Hügel läßt derselbe sich von seinem Hochthron, wo seine Krone in den Himmel ragt, zu der in tausend Reizen prangenden Ebene des Thals herab, sondern in ewig dunkler ungeheuerer Masse richtet er steil sich auf, der Einzige rings umher von so finsterer Majestät. Wenn das Licht des hellen Tags alle Höhen um Salzburg verklärt, wenn der hohe Göll seine kühnen Formen entfaltet, wenn die fernen Tännen in unmalbaren Farben schimmern, bleibt der Untersberg grau und schattendunkel. Und selbst wenn die Strahlen der Abendsonne sich über das Thal von Salzburg hinlegen und die Blätter des Hochwalds vergolden, die riesige Schlucht am Fuße des Hochthrons hüllt sich in tiefe Schatten, wie zuvor. Soll vor diesem ewig trotzenden Ernst eine hoffnungsfrohe Sage aufblühen? Wie Barbarossa im Kyffhäuser, sitzt der Kaiser Karl der Große mit seinem langen Bart an einem Tisch; der Bart ist schon mehr als zwei Mal um den Tisch herumgewachsen. Wenn er zum dritten Mal herumgewachsen ist, so erscheint der Antichrist, auf den Walser Feldern zwischen Salzburg und dem Untersberg kommt es zum Kampf und der jüngste Tag bricht an. – Wie viel froh- und treumüthiger ist die Sage, die noch heute unter den Landleuten Böhmens und Oesterreichs leben soll: ihr Glaube, daß Kaiser Joseph nicht todt sei, sondern wieder erwachen werde, um seine Völker glücklich zu machen! Das große Herz, wie würde es bluten über das Unglück seines Reichs!

Und in den schönsten Garten dieses Reichs schaut der finstere Untersberg hernieder, wo er sein Haupt zum Thale von Salzburg neigt; er selbst aber birgt, wie ein echter Riese der Sage, zu seinen Füßen eine kleine Märchenwelt, wo die Zwerglein, die Menschenkinder, gleichsam in den Falten seines Mantels ihr Wesen treiben, wieder zur Freude der Kinder der Menschen. Und zu diesen kleinen Herrlichkeiten, die uns zu dem Lieblichsten wie dem Großartigsten des Berges selbst führen, wollen wir nun vordringen.

Wir verließen das stattliche Salzburg an einem Morgen in vollster Sommerpracht. Zum „Neuen Thore“ hinaus, an den Wänden des Ofenlochbergs hin, dann uns links wendend, gelangten wir zunächst in den Park des Schlosses Leopoldskron, einen Luxusbau jenes Erzbischofs Leopold Firmian, welcher durch die Vertreibung der Salzburger Protestanten in der Geschichte gebrandmarkt ist. Von da bis zu einem Hügel am Untersberg, auf welchem das Schlößchen Glaneck einen reizenden Rundblick bietet, erstreckt sich das sogenannter Leopoldskroner Moos, durch welches eine schnurgerade Dammstraße von anderthalb Stunden Länge führt. Die einzige Abwechselung auf dieser sehr einförmigen Obstbaumallee bieten die sie begrenzenden Häuser der Mooscolonie und Marienbads. Jeder Schritt näher an den immer höher aufragenden Wälderthron machte uns jedoch zufriedener mit unserem Gange, und von Zeit zu Zeit ein Blick in die Runde, wo jede Seite des Thals stets neue bezaubernde Bilder aufrollte, ließ uns „die lange Eins“ vergessen, deren Pünktchen, dem Schlosse Glaneck, wir immer näher kamen.

Endlich bricht die lange Linie sich an den hochstämmigen Buchen des Waldhügels, die das Schloß wie ein Kranz bis an die Mauern umrahmen. Die Sonne warf nur einzelne Lichtstrahlen durch das dichte Blätterdach auf den Moosgrund, und Duft und Kühle waren erquickend. Schloß Glaneck bietet von allen Seiten ein so anmuthiges Bild, daß es im Laufe der Jahrhunderte auch von allen Seiten begehrt wurde. Als die Stammherren von Glaneck ausstarben, erinnerte sich ein frommer Erzbischof, daß noch eine über sie verhängte Strafe unbezahlt geblieben sei, und darum that er seine milde Hand auf und nahm Schloß und Güter für das Erzbisthum in Besitz. Jetzt ist hier ein Privatmann Hausherr. Wir bereuten das Ersteigen des Schloßhügels nicht, weil seine gesammte Umgebung mit den Wegen an stillen Wiesen und den wohlgepflegten jungen schlanken Waldbäumen uns später als ein passender Vorhof erschien zu den uralten Waldhallen, zu denen wir etwa eine halbe Stunde später gelangten. Es war der hohe Gebirgswald an dem Marmorfuße des Untersbergs, der uns umschloß; Blätterrauschen und Waldbachbrausen erzeugten hier jene wunderbare Waldmusik, die bald wie ferner Gesang, bald wie Kichern und Lachen fröhlicher Mädchenstimmen lautet, und die wohlige Luft erquickte uns doppelt, durch ihre Frische und durch die Düfte der Blumen und Kräuter, die sie uns zutrug. Endlich standen wir vor der Ansiedlung der „Kugelmüller“, an welcher „Rupertus Steiner“ ein Wirthsschild angeschlagen hat. Wir stärkten uns rechtschaffen bei dem fröhlichen Mann und drangen nun mit frischen Kräften in die Schlucht ein, aus welcher die Glan als unbändiges Bergkind uns in ihrem Marmorbette entgegenbraust und der steil ansteigende Hochwald uns in das Halbdunkel seines säulenreichen Tempels aufnimmt.

Hier ist’s, wo bei einer Windung des Pfades und Bergstromes plötzlich ein Menschenwerk vor uns steht, das uns auf den ersten Blick wie Gnomenarbeit in den Falten des Riesenmantels erscheint. Mitten im stärksten Wasserschwall sehen wir ein kleines Räderwerk sich schwingen, rasch, sausend und so ergötzlich anzuschauen, wie ein harmloses Spiel kindlicher Berggeister. Man glaubt, dem ganzen Getriebe mit den Händen Einhalt thun zu können, so leicht scheint es zu gehen, und doch übt es eine Kraft aus, stark genug, um harte Marmorstückchen in Kugelform zu bringen. Das sind die Marmel- oder Schussermühlen in ihrer ursprünglichsten Gestalt. Bekanntlich sind die Schusser oder Marmeln (Marmorkugeln) mit ihrem blinkenden blauen, rothen, grauen, grünen und weißgelben Farbengemisch ein gar beliebtes universelles Spielzeug, denn es erfreuen sich dies- und jenseits des Oceans die kleinen Händchen daran, und um so überraschender ist’s, daß unter dem Schutz des finstern Geisterbergs für den heiteren Geist der Kindheit so Liebliches geschaffen wird und auf so einfache Weise. Da verschiedene dieser Mühlchen in Gang waren, so konnten wir die Thätigkeit derselben ziemlich genau beobachten. Die für bestimmte Größen vorbereiteten Marmorstückchen wurden in die kreisrunde und halbkreisförmige Vertiefung eines feststehenden Mühlsteins gelegt, der an eine starke Achse befestigt ist (bekanntlich der Bodenstein); auf ihn kommt ein beweglicher Mühlstein (hier und da auch Holzscheibe, der Läufer) mit einer der des Bodensteins genau entsprechenden Vertiefung, so daß die Marmorstückchen von derselben bedeckt werden. Nach dieser Vorrichtung übernimmt es das Gerinne, welches die Kraft des Gefälls durch die nach einem Punkte geleitete Wassermasse vermehrt, mittels des Rädchens den Läufer in Eifer zu bringen, und dies geschieht mit solchem Erfolg, daß die gehetzten Wasserstrahlen fortwährend im Kreise spritzen, der wuthknirschende Marmor erst zum holperigen, dann zum immer geläufigeren Laufen und endlich zum Kollern und Rollen gebracht wird; aber der Läufer rastet nicht, bis er die Marmorstückchen unter sich nicht nur hübsch kugelrund, sondern auch alle von gleicher Größe gedreht und gewalzt hat, erst dann begiebt er sich zur Ruhe, d. h. er steht von selbst still, wenn er nicht mehr auf den Marmorkugeln herumtanzt, sondern mit seinem Unterthanen, dem Bodenstein, zusammenstößt. Der Müller aber weiß, was das zu bedeuten hat. Er befreit den Läufer vom Rädchen oder bringt dieses aus dem Wasserstrahl des Gerinnes, hebt den Läufer, nimmt seinen Schatz von bunten Kugeln aus und legt neue Marmorstückchen an deren Stelle, und von Neuem beginnt der alte lustige Läufertanz erst mit Hindernissen, aber bald wieder mit sausendem Vergnügen. Jene concentrischen und congruenten Vertiefungen in Bodenstein und Läufer werden dadurch hervorgebracht, daß man eiserne Kugeln den Kreislauf zwischen beiden Steinen so lange machen läßt, bis der Läufer stehen bleibt. Dann ist die Vertiefung ebenso gewiß fertig, als später die Marmeln es bei demselben [79] Zeichen sind. Es kommen wohl Zeiten, wo dem Waldbach ungewöhnlich viel wilde Gebirgscameradschaft zufließt und wo er die Mühlchen, die wie moosige Nestchen zwischen das graue Felsgestein geklemmt sind, ganz überfluthet; allein das schadet diesen Dingerchen nichts, sie halten etwas aus.

Der Leser geht nun mit uns an den Mühlchen vorüber, deren es in der Glanschlucht wohl an fünfzig giebt, und den steilen Waldweg, den unsere Illustration so verlockend andeutet, hinauf. Hier brachte in der That jeder Schritt uns neues Entzücken. Der Widerhall des Liedes „Du schöner Wald!“[WS 3] kam mir nicht aus dem Herzen. Immer neue Bilder zwischen den alten Stämmen, und immer näher die geheimnißvolle Welt der Sage, denn immer schwerer wird es den Sonnenstrahlen, durch den Blätterdom, den sie von außen schmückt, so daß man die goldgrüne Pracht über sich im Waldesdunkel sieht, bis hinunter zu dringen zu Fels und Moos. Wenn aber dennoch einmal das blaue Auge des Himmels groß hereinsieht, so begrüßt es um so freudiger Jubel. Der Weg an den donnernden Wasserfällen der Glan empor ist manchmal nicht unbedenklich und Vorsicht hier nicht zu verachten. Man thut wohl daran, sich nicht im Steigen zu laut zu freuen, sondern zum Genuß und Bejauchzen der Herrlichkeiten stille zu stehen. So standen auch wir plötzlich in beschauendem Schweigen. Unweit von uns schlich eine der weißen Frauen vorüber; oder war es ein schönes Moosfräulein? Wir sahen ihren blüthenweißen, wallenden Schleier mit goldenem Saume zwischen dem dunkeln Grün dahinwehen. Unser prosaischer Führer meinte zwar, das seien Dünste des zerstäubten Wassers, auf die ein siegreich durch das Blätterdach brechender Lichtstrahl gefallen sei. Aber der Mann hatte offenbar den rechten Glauben an Naturgeister nicht.

Jetzt standen wir vor einer Grotte und sahen tief unten die Wiege der Glan, da wird das Riesenkind ewig neu geboren. Natürliche Marmorstufen führen hinab. Lassen wir die Blicke zwischen den dunkelgrünen Wänden dahin schweifen bis zu der Stelle, wo das Wasser wie ein mattschimmernder Goldstrom in oft fabelhafter Menge hervorbricht, so klingt uns immer deutlicher und volltönender Gesang und Musik in’s Ohr, oft wild unterbrochen oder vermischt mit Seufzen und Kosen, Weinen und Lachen. Und doch liegt der Spiegel der gesammelten Wasser so ruhig da vor unseren Augen. Endlich steigen wir hinab zu ihm, und erst jetzt wird uns der wilde Chor klar, denn je näher wir kommen, desto lauter donnert uns das Brausen großer unsichtbarer Wasserstürze entgegen.

Das Wasser selbst ist ein unbeschreibliches Labsal. Sogar dem verwöhnten Gaumen der geistlichen Gebieter des Landes mundete es, denn reitende Boten mußten einst täglich von diesem Quell den Trunk für die erzbischöfliche Tafel holen, und das blöde Volk glaubte deshalb der erhabenen Geistergrotte eine Ehre anzuthun, daß es sie den „Fürstenbrunn“ nannte.

Farben und Töne spielen eine gewaltige Rolle in diesen Felsen- und Waldeshallen. Wie hoch oben hell und golden die Kuppel erglänzt und tief unten am Riesenfuß finster der Marmor starrt und dunkel Strauch und Moos ihn überschleichen, so klingt das Wald- und Wassergetön hoch oben leise und klagend, oder laut jubelnd und jauchzend, während, je tiefer hinab der Pfad steigt, je mehr die Felsen sich verengen, in desto dumpferes Donnern sich die Musik der Bergromantik verwandelt. Und haben wir[WS 4] endlich den Fuß des Riesen wieder erreicht und treten aus dem Walddunkel heraus in die lichte Ebene – wie still und öde ist’s da plötzlich um uns, wie verwundert blicken wir zum waldgeschmückten Marmorkoloß zurück, der sich in seiner erhabenen und finstern Majestät nach allen Seiten unübersehbar ausdehnt! Wir staunen, wie es möglich ist, daß derselbe Berg so nahe, kaum verdeckt vom grünen Faltenmantel, so großartige und ergreifende Bilder entrollen konnte.

Die meisten Naturfreunde verbinden mit dem Besuche der Marmelmühlen und der Glanquellgrotte gleich eine Besteigung des Untersbergs. Wir übergeben den reiselustigen Leser der Führung Adolph Schaubach’s, des gediegensten Kundigen in den deutschen Alpen, und werfen mit ihm zum Abschied nur einen Blick von dem höchsten, dem Berchtesgadener Hochthron des Untersbergs in die Fernen. Denn der Untersberg scheint ihm recht absichtlich hingestellt als ein Schaugerüste jener Alpenwelt; in alle Hauptthäler dringt der Blick, in das Wimbach- und Hinterseethal wie in den Felsensaal des Königssees. Die Bergriesen stehen wie sichere Wächter in einem Halbkreise umher, während im Norden die blassen blauen und gelben Linien des Flachlandes endlos sich verlaufen und endlich mit dem Himmel da verfließen, wo jetzt Straßen, Canäle und eiserne Wege die deutschen Länder verbinden, für welche der Kanonendonner des Jahres 1866 die Raben von den Kaiserbergen vertrieben hat, und wo Völker und Fürsten ihre Boten aussenden zur Neubegründung eines großen und einigen deutschen Reichs. So wollen die Kaisersagen des Nordens und Südens zur Wahrheit werden: um den Kyffhäuser blüht ein neues Deutschland auf, und vom Untersberg fällt der Blick in die Zukunft zwar nicht auf die untergehende Welt, aber auf einen zerbröckelnden Staat.




Blätter und Blüthen.


Für alle Chignons tragenden Damen. In der zweiten Nummer des hundertundeinundvierzigsten Jahrganges der St. Petersburger Zeitung vom 2. (14.) Januar machen wir die Bekanntschaft eines unsichtbaren Ungeheuers, das aber durch seine Massenhaftigkeit wohl noch furchtbarer ist, als das bekannte ähnliche Monstrum, die Trichine. Die St. Petersburger Zeitung gründet ihre Mittheilung auf medicinisch-wissenschaftliche Autorität und Untersuchung, welche in dem zu Petersburg erscheinenden „Archiv der gerichtlichen Medicin und öffentlichen Hygieine“ (Gesundheitspflege) zum ersten Male bekannt gemacht worden ist und zwar von dem deutschen Naturforscher Herrn Lindemann. Er sagt im Wesentlichen Folgendes: daß er ein neues mikroskopisches Schmarotzerthierchen, genannt Gregarine (d. h. in Heerden auftretendes Infusorium), näher beobachtet habe; es sei ein protocoisches Thierchen, ein auf der niedrigsten Stufe der Entwickelung des thierischen Organismus befindliches, komme nur parasitisch vor, nur als Schmarotzerthierchen, und zwar fast in allen Theilen des thierischen und menschlichen Körpers, also auch im Blute. Mit ihm schwimmt es im Körper auf und ab und nimmt, durch das Blut genährt, so zu, daß es nicht mehr seiner Neigung, in die inneren Röhrchen der Haare zu steigen, folgen kann und endlich im Körper oder in den Haaren selbst sitzen bleibt. Hier vermehrt sich die Gregarine dermaßen, daß sie bald ganze Colonien bildet, die Blutgefäße verstopft und dadurch eine ganze Reihe von Krankheiten erzeugt, wie Wassersucht, Engbrüstigkeit, die sogenannte Bright’sche Krankheit u. s. w. Sie kommt am auffallendsten in den menschlichen Haaren vor; aber das mit Gregarinen erfüllte Haar unterscheidet sich nur unter bewaffnetem oder sehr scharfem Auge von dem gesunden und zwar durch dunkelbraune Knötchen, die sich meist an den freien Enden des Haares befinden, Diese Knötchen sind ganze Colonien von Gregarinen. Herr Lindemann ließ sich von einem Friseur in Nishni-Nowgorod dreißig verschiedene Haarproben geben, von denen er zwanzig gregarinös fand. Er forschte nun nach den Orten, aus welchen diese Haare vorzugsweise bezogen werden; so erfuhr er, daß sie meist von den ärmsten Leuten, besonders von den Frauen und Mädchen der Mordwinen und Burlaken an der Wolga stammen. Wenn der Burlake im Frühlinge zur Arbeit auszieht, legt er vielleicht ein reines Hemd an, zieht es aber bestimmt nicht eher aus, als bis er im Herbste zurückkehrt. Daß sich bei dieser Lebensweise Strafthiere der Unreinlichkeit auf seinem Körper einfinden und entsetzlich vermehren, ist natürlich genug. Durch seine letzten Versuche hat Herr Lindemann entdeckt, daß fast jedes solche Strafthier (besonders die Laus, deren Nennung wir wenigstens in Parenthese nicht vermeiden können) in ihrem Darmcanale eine ungeheuere Menge Gregarinen enthält, und er überzeugte sich durch weitere Experimente auf’s Vollständigste, daß die Gregarinen der Menschenhaare von diesem Ungeziefer herstammen.

Wie kommen nun aber die Gregarinen in’s Fleisch und Blut der Menschen?

Hierbei sind die Damen die Hauptschuldigen, wirkliche Damen, reizende Geschöpfe in geschmackvollster Balltoilette, die blumengeschmückt, brillantenstrahlend, heiter, geistreich, im Vollgenusse des Lebens auch nur Glück und Leben um sich her zu verbreiten scheinen. Nein, es klingt zu entsetzlich, als daß wir diese Beschuldigung nicht wenigstens beschränken müßten und zwar auf die zusammengeknäulten Zöpfe von eignen und fremden Haaren, welche die Modedamen in mehr oder weniger großen Wulsten unter dem beschönigenden Namen Chignons auf dem Hinterkopfe tragen.

Die Sache geht so zu. Herr Lindemann überzeugte sich durch viele Versuche, daß die Gregarinen vom Austrocknen nicht sterben und auch nicht ausgekocht werden können. (?) Die Mittel, welche sie tödten könnten, wie Säuren, Alkalien, Aether etc., dürfen nicht angewendet werden, da diese die Haare selbst angreifen. Es bleibt den Friseuren also nichts Anderes übrig, als die zusammengekauften Haare, mögen sie noch so gregarinös sein, zu den Chignons und Lockenbauten der Modedamen zu verwenden. Nun überzeugte sich Herr Lindemann ebenfalls, daß sich die Gregarinen selbst bei einer nur schwachen Erhöhung der Temperatur und namentlich beim Zuströmen von Wasserdämpfen beleben, schnell wachsen und in einigen Stunden zu der vollständigen Entwickelung gelangen, welche ihre schnelle Vermehrung zur Folge hat. Wie kommen sie nun in das Innere des menschlichen Organismus?

Unter den glänzendsten Verhältnissen der modernen Gesellschaft. Man stelle sich einen Ballsaal vor. Die strahlenden Kronleuchter, der Tanz, die [80] vielen Menschen steigern die Temperatur und die Ausdünstungen bald so sehr, daß sich die unzähligen unsichtbaren Unholde in den aus fremden Haaren aufgebauschten Zopfwulsten der Damen schnell massenhaft beleben, schnell wachsen und sich schnell vermehren, indem sie, wie alle diese untergeordneten Thierchen, in viele sogenannte Keimkörner zerfallen. Diese fliegen nun im Ballsaale zu Millionen umher, werden eingeathmet, fallen auf die angebotenen Erfrischungen, kurz, gelangen auf hundert Wegen in das Innere der Menschen, durchdringen und vergiften alle Körpertheile und vermehren sich dermaßen, daß sie wie Legionen böser Geister durch alle Haare wieder emporsteigen und neues Unheil nach allen Seiten verbreiten. Ein entsetzliches Gemälde! Mögen die Modedamen zunächst vor den Bündeln und Wulsten des Unheils, das sie mit fremden Haaren auf ihrem sonst reizenden Nacken aufbauschen, erschrecken und sich mit ihrem eigenen schönen Haar begnügen lernen.

Für die Aerzte und Naturforscher ergiebt sich die ernste Aufgabe[WS 5], die Entdeckungen des Herrn Lindemann genauer zu prüfen, damit, wenn sie sich als begründet erweisen, die geeigneten Mittel gegen die Verbreitung dieser Ungeheuer ergriffen werden können. Die Damen aber werden gut thun, sofort mit heroischem Entschluß aufzuhören, sich, wenn auch mit fremden Federn, wenigstens nicht mehr mit fremden Haaren zu schmücken und viel schöner ohne künstliche Buckel im Nacken zu erscheinen.




Amerikanisches Straßenpflaster. Zu den wünschenswerthesten Dingen großer und kleiner Städte gehört unstreitig ein gutes Straßenpflaster. Eine gut angelegte Pflasterung verhütet Unglücksfälle, erspart Zeit in der Fortbewegung, schützt vor Unreinlichkeit, und dies steht wieder im engsten Zusammenhange mit den gesundheitlichen Verhältnissen der Stadt. Es ist nun die Frage: welches Material eignet sich am besten für städtische Straßenpflasterung? Jedenfalls dasjenige, welches die folgenden Vorzüge besitzt und in sich vereint: 1) Haltbarkeit, 2) Reinlichkeit, 3) auf dessen Fläche man sich und alles zu Transportirende am schnellsten, sichersten und ungehindertsten fortbewegen kann, und 4) dessen Fläche das lästige und hirnzertrümmernde Geräusch von Hufschlägen und Räderwerk aller Art beseitigt oder vermindert. Wenden wir uns zu den praktischen Amerikanern, so beantworten sie die Frage thatsächlich mit Hinweisung auf ihre bereits vorhandene Pflasterung der Hauptstraßen mit Holz. Diese Vor- und Herrichtung und die Vorzüge derselben näher zu beschreiben, soll der Zweck dieser Zeilen sein.

Nach einigen Regentagen betrat ich die Market Street in St. Louis, welche bereits halb mit Holzpflaster versehen, während auf dem anderen Theil noch das alte Steinpflaster vorhanden war. Das Steinpflaster bot einen für Fußgänger unzugänglichen Morast, während die Neuerung einen sichtbaren, günstigen Eindruck der Vervollkommnung machte und die Holzpflasterung einen bequemen Uebergang selbst für Damen erlaubte. Den andern Tag sollte der Anfang zur Vollendung der übrigen Strecke gemacht werden, und da ich glaubte, den geehrten Lesern der in meiner früheren Vaterstadt erscheinenden Gartenlaube etwas „friedlich Neues“ bieten zu können, fand ich mich, wenn auch als müßiger Zuschauer, pünktlich ein, um den eigenthümlichen Vorgang dieser Arbeit anzusehen und schildern zu können.

Die Straße wurde bis auf die breiten und für Fußgänger bequemen Seitenwege, welche, beiläufig bemerkt, mit Brickstone (Ziegelstein) gepflastert sind, abgesperrt. Mehr denn dreißig schwarze und weiße Arbeiter waren in getheilter Arbeit gleichzeitig beschäftigt, um so schnell wie möglich die wichtige Verkehrsstraße zu bessern und übergeben zu können. Der ganze Vorgang glich einer großen Werkstatt, wo mit Sand, Feuer, Holz, Axt, Hammer und Ramme gearbeitet wird, und dabei herrschte eine Ordnung wie in einer Fabrik. Hier liegen viele Fässer Theer aufgestapelt, unweit stehen die Siedöfen, um die schwarze Masse in sich aufzunehmen, welche von freigewordenen Menschenhänden durch Schüren des Feuers und Rühren der Masse zum Sieden gelangt, ohne daß man zu fürchten braucht, daß die von Natur schwarze Haut der Arbeiter noch schwärzer werde. Dort liegen wieder große Steinsandhaufen, und Arbeiter sind beschäftigt, Sand und Steine durch Sieben zu sondern. Die gesonderten Steine wandern in eine große auf Eisenrädern ruhende Eisenpfanne, unter welcher ein mächtiges Feuer die Steine röstet. Es ist ein eigner Anblick, einen freien schwarzen Mann mitten in der Pfanne stehen zu sehen, bemüht, mit der Schaufel jedem Steine seinen gehörigen Schlag zukommen zu lassen, während andere schwarze Leute die hochlodernden Flammen unter seinen Füßen nähren.

Unwillkürlich dachte ich bei so heißem Standpunkt an das Fegefeuer und an die Scheiterhaufen und hätte mich gewiß des armen Schwarzen angenommen, wenn ich nicht wußte, „daß er es freiwillig gethan“. Dieses Braten dient, dem Holzpflaster mehr Festigkeit zu geben. Hier sehen wir nun Stöße von Bretern und kleinen Latten, da wieder Haufen von backsteingroßen Holzstücken, Holzwürfel oder das eigentliche Holzpflaster. Alles weiches Holz, Pint oder Fichtenholz. Ein Theil der Arbeiter ist beschäftigt, das alte Straßenpflaster aufzureißen, ein anderer, es zu entfernen. Jetzt geht es an das Planiren und an das Legen eines Breterbodens. Die ganze Straße wird erst gedielt, indem lange, breite Breter der Länge nach nebeneinander befestigt werden. Nun kommt die schwarze, heiße Masse, um diesen Breterboden zu überdecken; dann folgt die Arbeit, den klaren Sand überzustreichen, und jetzt beginnt die Zeit des „Pflasterns“. Die Holzsteine werden ähnlich wie beim Mauern nur einfach, quer mit der Straße, nebeneinander gereiht und festgefügt und mit einer zollstarken Latte am Breterboden festgenagelt. Die Reihen dieser Holzsteine bilden kleine Lücken, so weit voneinander, wie es eben die zollige festgenagelte Latte bedingt.

In diese Zwischenräume und auf die ganze sanftgewölbte Fläche der gelegten Holzwürfel wird in verschwenderischer Menge heißer Theer gegossen und mit kleinen heißen Steinen überschüttet, welche mit einer leichten Vorrichtung in die Fugen des Holzpflasters fest eingerammt werden. Zum Schlusse wird die fertige Straße mit feinem Steinsand versehen, welcher später wieder beseitigt wird, so daß die Straßenfläche einer nach der Mitte zu ein wenig gewölbten, rauhen Holzfläche gleicht. Daß ein solches, wenn auch theures Pflaster, denn das Holz kommt Hunderte von Meilen weit her, die an ein Pflaster zu stellenden Ansprüche erfüllt, lehrt hier bereits die Erfahrung. Auch braucht wohl nicht erst bemerkt zu werden, daß dieses Holzpflaster für Gehen, Reiten und Fahren gleich bequem ist.

Ohne viel Geräusch und mit Leichtigkeit rollen die schwersten Wagen dahin. Nach einem Regen giebt es sehr wenig Schmutz und dieser ist schnell zu beseitigen, wie überhaupt diese Straßen sehr leicht zu reinigen sind. Sie trocknen schnell, vermindern den Staub und werden schnell und leicht bespritzt. Allerdings könnte der Einwurf gemacht werden, daß die Holzpflasterung ein vortreffliches Feuermaterial bietet und namentlich hier, wo täglich mehrere kleine oder große Feuer vorkommen, die Feuersgefahr erhöht erscheint. Nun, dieser Besorgniß überheben uns unsere Dampfspritzen, die uns nicht im Stich lassen. Es wird hier nicht „freiwillig“ gelöscht, sondern aus bezahlter Pflicht, denn der Gemeinsinn würde hier nicht ausreichen und ist hier auch wenig bekannt. Wird Feuer signalisirt, so sind in wenigen Minuten schon mehrere Maschinen thätig, „um das Feuer zu ersäufen“, und eine hat die besondere Aufgabe, das Straßenpflaster tüchtig anzufeuchten.

G.




Für die Verwundeten und Hinterlassen der Gefallenen

gingen noch ein: R. E. in Wien 2 fl. (der dritte Beitrag aus Oesterreich). – Eine Ostfriesin 2 Thlr. – 6 Thlr., gesammelt von Franz Naumann in Serbitz bei Altenburg. – Von einer Vaterlandsfreundin in Aurich 20 Thlr. – E. K. aus W. 2 Thlr. – Von einem treuen Leser der Gartenlaube in Groitzsch 3 Thlr. – 20 Thlr., gesammelt in dem frühern Hebenstreit’schen Institut in Dresden. – 6 Thlr. 23 Ngr., Sammlung des Bürgerschullehrer Bräunlich in Weimar. – 20 Thlr. aus Plauen und zwar: 5 Thlr. von Frau L. F., 1 Thlr. von A. S., 14 Thlr., gesammelt in fröhlicher Frühstücksgesellschaft bei Rud. Bochler. – Ein Ungenannter aus Meerane 1 Thlr. – E. R. in C–ch 1 Thlr. – 4 Thlr. 4 Ngr. 6 Pfg., Sammlung beim Turnerball in Stadtilm, – Gesellschaft Concordia in Sonneberg bei Coburg 34 Thlr. 8 Ngr. (60 fl. rhein.) – F. A. Seyde und dessen Mutter in Ronneburg 4 Thlr. – Schäffer in Frössen 1 Thlr. – 3 Thlr. 6 Ngr. aus Schlettau: „Thue Recht und scheue Niemand“. – 11 Thlr., Sammlung durch C. Doerffer in Eibenstock (für Hinterlassene sächsischer Soldaten). – Der Verein praktischer Turner in Frohburg 11 Thlr. 3 Ngr. – Amalia H. in M. 6 Thlr. – Zwei Schwestern aus Holstein 3 Thlr. – Gesellschaft Frohsinn in Glauchau 5 Thlr. – Dr. G. S. in München 50 Thlr.: „An den Wahlurnen des allgemeinen gleichen Stimmrechts müssen bei uns die Schlachten in Zukunft geschlagen werden, wenn das Wort Civilisation eine Wahrheit werden soll“. – Elise 1 Thlr. – Von den Schulkindern in Bermsgrün bei Schwarzenberg 3 Thlr., und vom Lehrer derselben 1 Thlr. – Ein Ungenannter aus Eisenach 2 Thlr. – 1 Thlr. Weihnachtsgeschenk eines hannöverschen Mädchens (mit einem sehr herzigen Gedicht). – S. T. Glöckner in Purschenstein 4 Thlr. (verloren gegangene Sendung). – 10 fl., Einnahme beim Zahltag eines Arbeiters in Geißlingen bei Ulm. (Wir möchten wohl den Arbeiter etwas näher kennen, der einen so prächtigen, herzigen und durchaus klaren Brief zu schreiben vermag.) – Aus Gotha drei schöne Puppen. (Wer und was bietet die Barmherzigkeit auf diese Gabe?? D. Red.) – 31 Thlr., Ertrag einer von drei Mädchen in Wiesbaden veranstalteten Lotterie als Weihnachtsgeschenk für Waisenkinder. (Ist redlich besorgt worden und namentlich eine Mutter hat unter Thränen tausend Dank nach dem schönen Wiesbaden gesandt.) – Aus der Kränzchencasse von zwei Freundinnen in Eisenach 1 Thlr. 25 Ngr. 9 Pfg. – Bürger-Erholung in Ronneberg 25 Thlr.; statt des im Sommer 1866 ausgesetzt gebliebenen Gesellschaftsvergnügens. – Oekonom Voigt in Grumbach 5 Thlr. – 17 Thlr. 15 Ngr. durch Herrn Turnlehrer Goldner in Hersfeld unter Gymnasiasten gesammelt.

Aus dem Auslande: Kunze in Paris 3 Thlr. – Von den Kindern Baumann in Moskau 3 Thlr. 25 Ngr. (Lotterieertrag). – M. Hofmann in Paris 5 Thlr. 10 Ngr. – M. K. zu O. in B–d 2 Thlr. 20 1/2 Ngr. (3 Rubel). – Deutscher Männergesangverein Teutonia in Paris 26 Thlr. 27 Ngr. (100 Frcs.) – Eine deutsche Frau in Brookfield (Staat Wisconsin) 6 Thlr. – Marie Telosi in Milwaukee (Amerika) 10 Thlr. – Eine deutsche Gouvernante in Kleinrußland 22 Thlr. 4 Ngr. (25 Rubel). – 26 Thlr. 17 Ngr., gesammelt von elf Deutschen zum Jahrmarkt im Dorf Bekoba (Gouvernement Saratow).– 42 Thlr. 1 Ngr. (83 Mk. 8 Sch.), Ertrag einer unter den Deutschen in Abo (Finnland) gemachten Sammlung von C. F. Voß. – Th. Arends in Singapore (Insel Malakka) 33 Thlr. 26 Ngr. (5 Pfd. St.) Wir können Ihnen die angenehme Antwort auf Ihre Frage mittheilen, daß die Gartenlaube bereits seit dem 1. October wieder in Preußen erlaubt ist. – Ein Deutscher in Dewsbury 6 Thlr. 23 Ngr. (1 Pfd. St.): „Aus Dankbarkeit für einen von Gott verliehenen Segen“. (Wenn allgemein interessant, bitten darum). – R. Lamme aus Friedrichsroda, jetzt Hofgärtner in Rußland, 5 Thlr. – Von Herrn W. aus Rouen 1 Thlr. – E. Goldschmidt in London 5 Thlr. – Andreas Kreiß in Baltimore 1 Thlr. 24 Ngr. (2 Doll.) – Der deutsche Männerturnverein in Stockholm 25 Thlr. – Thaliaverein und Harmonie in San Francisco in Californien 1400 Thlr. 11 Ngr., bereits in Nr. 1 quittirt.
Die Redaction.




Inhalt: Die Brautschau. Ein Bild aus den oberbairischen Bergen. Von Herman Schmid. (Fortsetzung.) – Der Sänger des Ziska. Von L. O. Mit Portrait. – Rom am Rhein. II. – Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege. Nr. 7. Hercules. – Romantik und Industrie am Kyffhäuser der Alpen. Mit Illustrationen von R. Püttner. – Blätter und Blüthen: Für alle Chignons tragenden Damen. – Amerikanisches Straßenpflaster. – Quittung.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: fot
  2. Friedrich Halm (eigentlich Eligius Franz Joseph Freiherr von Münch-Bellinghausen), 1806–1871.
  3. von Johann Meyer, 1829–1904.
  4. Vorlage: wird
  5. im Original: Aufggbe