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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1859
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 51. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Aus dem Gedenkbuche der Gartenlaube.

Das Bewußtsein von der hohen Aufgabe, welche der deutschen Nation noch vorbehalten ist, diese Gewißheit, von der wir durchdrungen sind, daß sie deshalb auch die Einheit erringen werde, auf unsere deutschen Brüder überzutragen, möchten wir in unsern Blättern versuchen. Bannen möchten wir jenen finsteren Geist, der aus Verzweiflung sich selbst verachtet, – bannen möchten wir jene trübe Anschauung, welche aus Zweifel an der Thatkraft der Nation das eigene Fleisch zerwühlt, – bannen jene ungerechte Vergötterung des Auslandes auf Kosten Deutschlands, – bannen jene Zerknirschung und Selbsterniedrigung, aus der nur Schwäche und Ohnmacht entspringen kann. Erfüllen möchten wir vielmehr die ganze Nation mit der freudigen Zuversicht von der Herrlichkeit ihrer Zukunft, welche gleichmäßig vor verzweifelnder Schwäche, wie vor unbesonnenen voreiligen Thaten bewahrt, – daß ein Jeder, gedenkend des Sprüchleins: „Schmückt sich die Rose, so schmückt sie den Garten“ – frohen Muthes an sein Tagewerk gehe, zufrieden, wenn er auch nur ein kleines Scherflein zur großen Sache beitragen kann, – auf daß ein Jeder, und sei sein Tagewerk noch so klein – und sei er nur der Holzhauer, der den Baum fällt, welcher Schwellen für eine Eisenbahn liefern soll, die bestimmt ist, Deutsche zu verbinden, und wenn er nur der Schmied ist, der den Draht für deutsche Telegraphen hämmert, und wenn er nur der Bergmann ist, der deutsches Eisen zu Tage fördert. – an seine Arbeit gehe mit der Ueberzeugung, einem Volke anzugehören, dessen politische Einheit und Größe unaufhaltsam herannaht; – und wenn dieses Bewußtsein das ganze Volk durchdringt, – und wenn es Nichts gibt als dieses heilige Bewußtsein, so kann es allein im entscheidenden Moment die Einheit schaffen! M. W.




Der verwandelte Schmuck.

Novelle von Ernst Willkomm.
(Fortsetzung.)

„Hat der Herr Graf von Weckhausen nicht neulich bei seiner Abreise einen neuen Bedienten engagirt?“ warf der Obergerichtsrath ein.

„Es ward ihm schwer, einen tauglichen Mann aufzufinden, seit sein früherer sehr erfahrener Bediente, weil er das hiesige Klima nicht vertragen konnte, um die Erlaubniß bat, in seine schöne Heimath zurückkehren zu dürfen.“

„Der neue Bediente spricht gut Spanisch, nicht wahr?“

„Er ist ein geborner Catalonier.“

„Schade, daß Sie den Mann nicht schärfer in’s Auge gefaßt haben,“ sagte Bornstein; „Sie würden dann gefunden haben, daß er dem Marchese Oruna ungemein ähnlich sieht, fast so ähnlich, als seien Beide nur eine einzige Person.“

„Herr Obergerichtsrath,“ erwiderte jetzt der Domcapitular sehr ernst, „ich will nicht hoffen, daß Sie sich einen Scherz gegen mich erlauben; eben so wenig kann ich glauben, daß allen diesen Mittheilungen eine geheime Absicht zu Grunde liegt! Der Gatte meiner Nichte ist ein Mann von Ehre, den Sie ja selbst für den Staatsdienst zu gewinnen suchten. Sein Charakter steht tadellos da. Ein solcher Mann umgibt sich nicht mit zweideutigen Subjekten.“

„Tadellose Charaktere sind oft am leichtesten zu täuschen,“ versetzte Bornstein. „Ich bin fest überzeugt, daß Graf von Weckhausen eben so wenig wie Sie selbst eine Ahnung hat, wer eigentlich die Person ist, die sich als Bedienter von ihm hat engagiren lassen.“

„Wenn Sie Ihrer Sache so gewiß sind, weshalb eröffneten Sie sich nicht dem Grafen?“

„Gewichtige Gründe ließen dies nicht zu,“ sprach Bornstein. „Der Marchese Oruna oder wer sich sonst hinter demselben verbergen mag, ist im besten Falle ein Abenteurer, ich glaube sogar, daß er eine noch gefährlichere Persönlichkeit ist. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß die Smaragden, welche der vorgebliche Marchese dem Juwelier Simonides zum Kaufe anbot, dem Diademe entnommen sind, das den regierenden Fürsten von O* gehört und das man nebst einer Menge anderer Kleinodien zuerst bei der Vermählung der Prinzessin vermißte. Auch die Diamanten gehören zu jenem verschwundenen Familienschmuck. Sie bildeten eine Rosette, die als Broche getragen ward.“

„Diese Mittheilungen versetzen mich in die größte Unruhe,“ sagte der Domcapitular. „Sie müssen, wenn man in dem Bedienten des Grafen von Weckhausen einen Verbrecher entdecken sollte, diesen selbst höchlichst compromittiren.“

„Diese Besorgniß vermag ich nicht zu theilen,“ erwiderte der Obergerichtsrath, „für mich liegen augenblicklich die Dinge weit einfacher, als es auf den ersten Anblick scheinen mag. Der Marchese – wir wollen ihn einstweilen so nennen – ist entweder ein ganz gewöhnlicher Betrüger, der nur durch größere Geschicklichkeit und durch die Gabe, sich in den besten Cirkeln leicht und sicher zu bewegen, Fremde für sich einzunehmen versteht, oder er ist wirklich jener illegitime Erbe, welcher Ansprüche auf das Fürstenthum zu erheben ein Recht zu haben glaubt. Es mag ihm gelungen sein, [742] sich durch Bestechung oder auf sonst eine Weise in den Besitz der so wichtigen Schätze zu setzen; weil ihm aber zugleich auch Alles daran gelegen sein mußte, unentdeckt zu bleiben, hat er Zuflucht im Auslande gesucht und ist nun hier darauf bedacht, vorerst einen Theil der entführten Kleinodien zum Schein zu veräußern, um, ist sein Streich gelungen, sie später wieder an sich zu bringen. Ich vermuthe ferner, daß er sich hier nicht mehr für sicher hielt und daß er deshalb die sich ihm darbietende Gelegenheit, in sein Vaterland unerkannt zurückkehren zu können, mit beiden Händen ergriff. In dem Bedienten des Grafen Aurelio von Weckhausen vermuthet Niemand einen Marchese, vielweniger einen Prinzen, der sich mit dem Gedanken trägt, dereinst die Stufen eines Thrones zu besteigen!“

„Man muß den Grafen unter der Hand doch benachrichtigen, wer sein Begleiter ist,“ sagte der Domcapitular.

„Allzu große Eile dürfte dies nicht haben,“ meinte Bornstein. „Je länger wir schweigen, desto leichter wiegt sich der angebliche Marchese in Sicherheit, und das ist, was wir wünschen müssen. Höchst wahrscheinlich tauchen nach einiger Zeit andere Juwelen auf, die, wofür man Sorge getragen hat, alle an Simonides ausgeliefert werden. Das Verzeichniß und die Beschreibung der verschwundenen Schätze befindet sich ja in den Händen aller Juweliere. Es kann also, da man bereits einige Juwelen bestimmt ermittelt hat, nicht schwer fallen, noch andere dazu gehörige ebenfalls zu sammeln. Um den Grafen drücken mich andere Sorgen!“

„Ich bitte, sich offen gegen mich auszusprechen, meiner Nichte wegen!“

„Graf von Weckhausen ist reich, freigebig, ein Freund des Glanzes und Luxus. Er hat seiner jungen Gemahlin zu wiederholten Malen Versprechungen gemacht, die er eines Tages sicherlich hält. Wenn es ihm nun einfallen sollte, von dem Marchese einige jener Juwelen, die dem fürstlichen Schmucke entnommen sind, zu kaufen …“

„Von seinem Bedienten?“ unterbrach der Domcapitular den Gerichtsrath. „Ein Bedienter, der seinem Herrn Juwelen zum Kauf anbietet, würde sich selbst zum Diebe stempeln!“

„Der Tabuletkrämer ist kein Bedienter mehr, es wäre ja aber auch möglich, daß der Tabuletkrämer zum Landmanne, zum reichen Pachter oder zum Chef eines renommirten Handlungshauses würde, das außer andern Gegenständen auch Edelsteine zu verkaufen hätte.“

„Sollte diese Bemerkung eine tiefere Bedeutung haben?“ fragte der Domcapitular.

„Der Herr Graf hat es mir selbst mehr als einmal gestanden, daß Juwelen, überhaupt Kostbarkeiten seltener Art eine ungewöhnliche Anziehungskraft für ihn besitzen, und daß vorzugsweise diese Liebhabereie ihn veranlaßt habe, von einem großen genuesischen Handlungshause ältere Schätze dieser Art an Zahlungsstatt anzunehmen.“

„Jenes Haus ist durch Erbschaft in den Besitz der erwähnten Schätze gekommen.“

„So sagt man, neuerdings jedoch haben sich Zweifel erhoben.“

„Gegen den rechtmäßigen Erwerb der Kleinodien des erwähnten Hauses?“

„Man weiß nur, daß der Chef desselben flüchtig geworden ist.“

„Das Haus stand lange schon auf schwachen Füßen, und gerade dies veranlaßte den Gemahl meiner Nichte, auf den ihm gemachten Vorschlag so bereitwillig einzugehen.“

„Der Herr Graf hätte doch vorsichtiger sein sollen,“ sagte der Obergerichtsrath. „Aber freilich, wie konnte der vornehme, vertrauensvolle Mann wissen, daß man ihn betrog!“

„Betrog? Der Genuese betrog den Grafen?“

„Ich bitte, Herr Domcapitular, erfüllen Sie mir eine Bitte!“ sprach Bornstein mit größerem Ernste. „Es ist ein Freund, der zu Ihnen spricht!“

„Wenn ich es vermag, haben Sie über mich zu gebieten!“

„Sie haben ein Kästchen in Verwahrung, das die Gräfin von ihrem Gatten während seiner ersten Reise nach der Vermählung zum Geschenk erhielt. Das Kästchen ist von Ebenholz, trägt eine goldene Krone mit Brillanten verziert und enthält einen uralten, kostbaren Schmuck … Ich bitte, vertrauen Sie mir dieses Kästchen an! …“

„Halten Sie es in meiner Behausung für weniger sicher, als in der Ihrigen?“

„Ich würde es Dritten in Verwahrung geben.“

„Dem Juwelier Simonides? Er kennt es bereits.“

„Unter Verschluß des Gerichtes, glaub’ ich, wäre es noch besser aufbewahrt!“

Der Domcapitular fuhr entsetzt von seinem Stuhle auf, und die Bestürzung raubte ihm fast die Sprache.

„Was … soll das … bedeuten?“ stammelte er.

„Nichtswürdige, schlaue Betrüger haben den arglosen Grafen auf eine empörende Weise hintergangen und zu seinem größten Nachtheile dupirt,“ versetzte der Obergerichtsrath. „Zum Glück läßt sich aber Alles noch rechtzeitig wieder in Ordnung bringen. Der Graf ist reich, er wird also gern eine Summe opfern, um unnöthiges Aufsehen zu vermeiden. Jenes Kästchen ist geraubt, von ganz gemeinen Straßenräubern einer reisenden Herrscherfamilie gewaltsam entrissen worden. Simonides machte zuerst diese Entdeckung und setzte mich davon in Kenntniß, um Sie, Ihre Nichte und den Grafen in jeder Hinsicht zu schonen. Ich überzeugte mich von der Schuldlosigkeit des Letzteren und beschloß deshalb, eine schickliche Gelegenheit abzuwarten, um ihn einer höchst fatalen Lage zu entreißen. Die Zeit, zu sprechen, ist jetzt gekommen. Darum wiederhole ich meine Bitte. Man wird keine weiteren Nachforschungen anstellen, wenn das geraubte Kästchen der Familie wieder ausgeliefert wird und der Herr Graf durch einen Eid bekräftigt, daß er dasselbe von jenem genuesischen Hause an Zahlungsstatt erhalten, dessen Chef, betrügerischer Handlungen überführt, sich auf flüchtigen Fuß gesetzt hat, vielleicht aber auch in diesem Augenblicke schon in den Händen der Gerechtigkeit sich befindet.“

Der Ernst des Obergerichtsrathes, die Wärme, mit welcher er sprach, mußten dem Domcapitular die Ueberzeugung beibringen, daß der Fall ernst sei und allzulanges Besinnen unberechenbare Nachtheile haben könne.

„Sie haben mir noch nicht Alles mitgetheilt,“ sprach Rütersen, sich nach Kräften fassend. „Jener Betrüger ist entdeckt – der Graf selbst compromittirt … Lieber Himmel, was soll aus meiner armen, nichts ahnenden Nichte werden!“

„Man verfolgt die Spur des wahrscheinlichen Verbrechern, der Viele in großes Leid bringen dürfte,“ erwiderte Bornstein. „Graf von Weckhausen ist bis jetzt noch frei von jedem Verdacht; nur das Kästchen mit den Juwelen könnte, entdeckte man es im Besitz des Grafen, ihn wenigstens in Unannehmlichkeiten verwickeln.“

„Und wenn ich es Ihnen ausliefere … ohne des Grafen, ohne meiner Nichte Wissen, von wem hat es dann das Gericht erhalten?“

„Ein Juwelendieb, der auf der That ertappt wird und bei dem man eine Menge anderer derselben Familie angehörende Kostbarkeiten entdeckt, dürfte unschwer zu überführen sein, daß gerade dieser werthvollste Raub ihm ebenfalls zugehört. Sollte er aber leugnen, nun, so glaubt man ihm nicht.“

Noch zögerte der Domcapitular, unschlüssig, ob er das verhängnißvolle Kästchen, die erste werthvolle Liebesgabe Aurelio’s an Rosaura, dem Obergerichtsrath einhändigen sollte. Während er nachdenkend das Zimmer durchwandelte, klang die Glocke an der Thür des Corridor’s. Der Domcapitular blieb stehen und horchte mit angehaltenem Athem.

„Es ist mein Diener, den ich bestellt habe,“ sagte Bornstein.

„Er soll das Kästchen in Empfang nehmen. Bitte, zögern Sie nicht länger!“

Rütersen schloß seufzend seinen Secretär und reichte dem Obergerichtsrath den alterthümlichen Familienschmuck. Dankend nahm ihn dieser entgegen.

„Sie versprechen, den Grafen in keiner Weise zu compromittiren?“ fragte der Domcapitular.

„In keiner Weise, wenn er selbst nicht durch unzeitiges Prahlen die Gerichte herausfordert.“

Die Glocke klang abermals, und ein Bedienter trat ein. Er trug einen Teller, auf dem ein Brief lag. Der Domcapitular winkte, den Teller auf ein Tabouret zu stellen, was der Bediente that, worauf er sich wieder entfernte.

„Ich werde Ihnen diesen Freundschaftsdienst nie vergessen,“ sprach der Domcapitular zu Bornstein, „und damit der Graf nicht etwa zufällig von dem hier während seiner Abwesenheit Vorgefallenen durch Zeitungsmittheilungen Kunde erhält, werde ich ihn noch heute davon unterrichten.“

Der Obergerichtsrath, dessen Diener noch nicht angekommen [743] war, billigte diese Vorsicht und empfahl sich, das Kästchen mit dem Geschmeide fest im Arme haltend, von dem höchlichst beunruhigten alten Herrn.



7. Beunruhigende Nachricht.

Nach Verlauf einiger Minuten erst gedachte der Domcapitular wieder des Briefes. Er nahm ihn auf, um ihn zu öffnen, und erkannte die Schriftzüge des Grafen. Eine trübe Ahnung bemächtigte sich seiner, als er das Couvert erbrach. Das Schreiben war aus Frankreich ohne nähere Ortsangabe datirt und meldete dem Domcapitular zuerst die in sehr kurzer Zeit erfolgende Rückkehr Aurelio’s und als Neuigkeit, die wahrscheinlich ihren Weg noch nicht zu dem verehrten Oheim gefunden haben werde, einen zweiten Besuch der unsichtbaren Kobolde in der Schatzkammer der Fürsten von O*. Am Schlusse des Briefes, den Rütersen mit schwimmenden Augen durchflog, war sogar ein Verzeichniß der Kostbarkeiten aufgeführt, welche bei diesem zweiten, so rätselhaften Eingriff in den Schatz verschwunden sein sollten. Scherzend fügte der Graf diesem Verzeichniß die Worte bei:

„Nun bitte ich Sie inständigst, verehrter Herr Oheim, lassen Sie sich um Himmels willen nicht bereden, irgend etwas von seltenen Werthsachen zu kaufen! Kein Juwelier kann augenblicklich dafür einstehen, daß nicht irgend ein tückischer, schadenfroher Kobold ihn zum Besten hat und ihm Sachen zum Kauf anbietet, an denen ein Stückchen seines guten Namens hängen bleibt. Mir aber zahlen Sie Ihre verlorene Wette! Behändigen Sie unmittelbar nach Empfang dieser Zeilen das bewußte Kästchen dem Herrn Simonides und tauschen Sie für den Inhalt desselben ein Geschmeide ein, an welchem meine geliebte Rosaura Freude hat, so lange sie lebt. Simonides ist der einzige Juwelier, dem Sie vertrauen dürfen. Ich selbst habe ihn eines Tages absichtlich auf die Probe gestellt, und er hat sie merkwürdig gut bestanden. Auf baldiges Widersehen!“

Diesem Briefe war ein duftendes Billet an Rosaura beigeschlossen.

Der Domcapitular wußte nicht, sollte er sich über diese Nachrichten Aurelio’s freuen oder betrüben. Daß er alsbald zurückkommen werde, war ihm lieb, was er ihm aber von dem räthselhaften Verschwinden werthvoller Kleinodien aus dem Schatze der Fürsten von O* mittheilte, erfüllte ihn mit ernsten Besorgnissen. Glaubte er doch in den Worten des Grafen selbst die Befürchtung zu lesen, die angeblichen Kobolde möchten sich eines Tages unerwartet in sehr greifbare Wesen verwandeln. Nur so konnte er sich die allerdings scherzhaft gehaltene Warnung Aurelio’s erklären, Was aber sollte er dem Grafen sagen, wenn dieser bei seiner Rückkunft das Geschmeide für Rosaura zu sehen wünschte? Es war anzunehmen, daß Aurelio von Weckhausen aufbrausen, in der ersten Aufregung vielleicht den Obergerichtsrath zur Rede setzen werde und damit gerade das, was durch Entfernung des offenbar geraubten Kästchens verhindert werden sollte, herbeiführen könne.

Gern hätte sich der geängstigte Rütersen seiner Nichte vertraut. Damit ward aber auch nichts gebessert, denn wer konnte wissen, ob Rosaura nicht aus Angst das Vorgefallene ihren Freundinnen ausplauderte? Er beschloß also vorläufig die Mittheilungen des, wie es schien, sehr heiter gestimmten Grafen geheim zu halten. Einigen Zeilen an seine Nichte legte er das Billet Aurelio’s bei, indem er Rosaura ihn zu besuchen bat. Er schützte Unwohlsein vor, sonst – schrieb er – würde er lieber aufs Land kommen, als sie zu sich in die geräuschvolle Stadt einladen.

Rosaura ließ nicht lange auf sich warten. Freudiger als je begrüßte sie ihren Oheim, dem sie mittheilte, Aurelio wünsche Tags nach seiner Ankunft einige Freunde bei sich zu sehen. Sie schlug zur Bequemlichkeit des Oheim vor, diese kleine Gesellschaft wie früher im Hause des Domcapitulars zu empfangen.

Rütersen schien von dieser Mitteilung nicht sehr erfreut zu sein, was er Rosaura gegenüber durch sein Unwohlsein entschuldigte. Die fröhliche Nichte mußte ihn, sodann die Namen der von Aurelio Bezeichneten nennen, unter denen der Obergerichtsrath Bornstein gleich obenan stand. Den Schluß der Verzeichneten machte Simonides.

„Der Juwelier?“ sagte Rütersen. „Wie kommt der Graf dazu, diesen Mann unter seinen Gästen sehen zu wollen?“

„Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet, meint Aurelio,“ lautete Rosaura’s Antwort. „Weshalb, kann ich auch nicht errathen.“

„Wirst Du Aurelio’s Weisung folgen?“

„Ohne Frage, gütigster Oheim! Die Freude wäre ja nur eine halbe, wenn er Einen der ausdrücklich Genannten vermißte.“

„Wahrscheinlich will er Dir eine Ueberraschung durch Simonides bereiten lassen,“ sprach der Domcapitular. „Ich weiß, daß er zu verschiedenen Malen mit dem Juwelier verkehrte.“

„In der ersten Zeit unserer Ehe, später nicht mehr,“ versetzte Rosaura. „Er war unzufrieden, weil Simonides bei jedem Geschäft eine kleinliche Pedanterie an den Tag legte. Aurelio hat mir wiederholt versichert, er halte jeden Edelstein für unecht oder für entwendet –“

„Entwendet?“ unterbrach Rütersen seine Nichte. „Wie kann ein Geschäfts- und Handelsmann gegen einen Grafen solch’ beleidigende Aeußerung zu thun wagen!“

„Ich wunderte mich auch darüber,“ sagte Rosaura, „Aurelio aber macht wenig Aufhebens davon. Die Juweliere seien ohne Ausnahme mißtrauische Leute, meinte er, nur gingen Andere nicht so überaus vorsichtig zu Werke wie Simonides. Ich vermuthe, daß gerade diese übertriebene Vorsicht die Veranlassung geworden ist, weshalb Aurelio den Mann eingeladen hat. Er wird ein Geschäft, einen Tausch vielleicht mit ihm abschließen wollen, denn ohne Juwelen kömmt Aurelio von keiner Reise zurück. Als Gast nun, von seinem Wirthe mit Aufmerksamkeit behandelt, kann Simonides die scharfen Ecken seines mißtrauischen Wesens, ohne beleidigend zu werden, nicht in so schroffer Weise herauskehren.“

Rütersen fand, daß die Gräfin Recht haben könne, und Rosaura traf Anstalten, Einladungskarten herumzusenden. Alle Geladenen nahmen an.

Der Domcapitular erholte sich von der Erschütterung, die ihm theils die Eröffnung Bornstein’s, theils der Brief des Grafen verursacht hatte, und sah Aurelio’s Rückkunft mit ziemlicher Ruhe entgegen. Da inzwischen nichts geschah, was ihm auffällig hätte erscheinen können, so glaubte er, mit der Auslieferung des verfänglichen Schmuckkästchens sei eine drohende Gefahr, die unter allen Umständen viel von sich würde reden gemacht haben, wäre sie bekannt geworden, von seinen nächsten Verwandten glücklich abgewendet. Ihm blieb nur noch übrig, einen günstigen Moment abzuwarten, um dem aufbrausenden Grafen die Nothwendigkeit seines Handelns klar zu machen.

So vergingen noch etwa acht Tage. Ein zweiter, direct an Rosaura gerichteter Brief Aurelio’s war ebenfalls in munterer Laune geschrieben und enthielt am Schlusse die lakonische Frage: „Hat der gütige Oheim Wort gehalten?“

Rosaura verstand diese Frage nicht und legte sie deshalb dem Domcapitular vor, der doch darum wissen mußte.

Lächelnd erwiderte Rütersen darauf: „Es ist Alles auf’s Beste besorgt. Beruhige Dich nur!“

Sich selbst sagte er, daß Graf von Weckhausen mit dieser Frage nur den Umtausch des alten Schmuckes in ein neues brillantes Geschmeide für Rosaura gemeint haben könne.




8. Eine entscheidende Unterredung.

Zur festgesetzten Stunde umarmte Aurelio seine von Glück und Jugend strahlende Gattin, um sich dann in Rosaura’s Gesellschaft zum Domcapitular zu verfügen. Dieser empfing den Grafen ernster als sonst, erkundigte sich aber mit Theilnahme nach dessen Erlebnissen.

„Im Allgemeinen,“ gab Aurelio zur Antwort, „hat das Glück mich begünstigt. Die Ausbeute meiner Gruben hat sich sogar noch ergiebiger als in früheren Jahren erwiesen. Wenn die Personen, mit denen man nun einmal zu thun hat, nur etwas zu verlässiger und weniger arrogant wären! Ein paar Menschen, denen ich vorzugsweise mein Vertrauen schenkte, haben mich leider recht hämisch hintergangen, und so schwer es mir fiel, sie zu entfernen, mußte ich mich doch für immer von ihnen trennen.“

„Hatten sie das ihnen geschenkte Vertrauen gemißbraucht?“ fragte der Domcapitular.

„Auf die schmählichste Weise,“ fuhr der Graf fort. „Sie kennen mein langjähriges Verhältniß mit dem genuesischen Hause –“

[744] „Das niemals zahlte?“

„Dasselbe! Mit Noth und Mühe glaubte ich endlich zu dem Meinigen gekommen zu sein –“

„Indem Sie Edelsteine, Gold und Silber an Zahlungsstatt annahmen.“

„Alles, was werthvoll und verwerthbar war, gütigster Herr Oheim. Ich hatte natürlich Verluste dabei, nicht eigentlich, was den Werth der mir gelieferten alten und schadhaften Kostbarkeiten betraf, sondern weil deren Verwerthung stets mit Schwierigkeiten verbunden war. Der Eine wollte silberne Geräthe, wenn ich ihm nur goldene bieten konnte; der Andere mäkelte an den besten Steinen, ein Dritter zog deren Echtheit in Zweifel, ein Vierter endlich hatte gar Bedenken noch schlimmerer Art. Genug, ich war fest entschlossen, nach glücklich erfolgter Abwickelung mit dem mir unbequemen genuesischen Hause alle Verbindungen abzubrechen. Statt nun aber meinen Weisungen, die in diesem Falle doch als von mir ausgehende Befehle zu respectiren waren, pünktlich sich zu fügen, gewährt der eigensinnige Mensch dem Genuesen auf’s Neue einen bedeutenden Credit, eine Eigenmächtigkeit, die mich in empfindliche Verluste bringen kann.“

„Hat das Haus fallirt?“

„Das nicht, aber der Chef desselben ist heimlich entwichen, und nun bringe ich zu meinem größten Erstaunen in Erfahrung, daß überhaupt schon seit Jahren Unredlichkeiten mancherlei Art vorgekommen sind. Darüber erbittert, habe ich den Mann, der mir diese ärgerlichen Erfahrungen durch pünktlichen Gehorsam so leicht hätte ersparen können, abgelohnt und fortgeschickt.“

(Schluß folgt.)




In einem türkischen Laden.

Von Dr. K. Rbch.

Während meines Aufenthaltes in Smyrna besuchte ich natürlich oft die Bazars aller der verschiedenen Völker, die dort sich finden, um auf diese Weise durch unmittelbare Anschauung ihre Art und Sitte kennen zu lernen. Dabei ergeben sich wesentliche Unterschiede. Am besten ist der türkische Kaufmann. Er plaudert nicht, wie der Perser, er prahlt nicht, wie der Grieche, und spielt nicht den Nachlässigen oder Vornehmen, wie der Armenier. Er sitzt in olympischer Ruhe auf seiner Matte beim Schibuk und spielt keinerlei Rolle, thut sich keine Gewalt an, trägt keine Maske, sondern gibt sich unverhüllt, wie er ist. Er betrügt nicht und wird nicht verdrießlich, wenn der Käufer ihm stundenlang vergebliche Mühe macht und schließlich geht, ohne für einen Piaster zu kaufen.

Daher zog ich es vor, alle meine Einkäufe, so weit dies möglich war, bei den Türken zu machen. Es betraf meistens Gegenstände, die ich nur des Vergnügens halber mitnahm, um sie später als Erinnerungen an die Ferne aufzubewahren. So in Smyrna unter Anderem einen Teppich, wie man sie eben dort in Anatoli verfertigt, und jetzt in Europa, z. B. in Schmiedeberg in Schlesien nachmacht. Zu dem Ende erkundigte ich mich bei meinem Freunde, einem Kaufmann, nach einem Laden, wo ich solche Teppiche finden würde, und zwar echte kleinasiatische, nicht etwa englische oder deutsche Nachahmungen. Denn auch diese gibt es dort in Fülle, weil sie billiger sind, als die an Ort und Stelle verfertigten. Jene, die eingeführten, werden natürlich mit der Maschine gemacht, diese aber, die einheimischen, völlig aus freier Hand. Mein Freund wies mich an einen Türken und dieser gab mir einen jungen Mann aus seinem Geschäft mit, einen Griechen, der sowohl türkisch als italienisch sprach und der also meinen Dolmetscher abgeben sollte, indem ich mich der letztern Sprache bediente.

Wir durchwandelten nur einige von den unzähligen kleinen engen Kreuz- und Quergäßchen und standen bald unweit der großen Moschee vor einem offenen Laden, wie sie im Orient gewöhnlich sind. Man tritt nämlich durch eine niedrige Pforte in eine nach vorn ganz offene, kleine cubische Halle, deren Boden etwa drei bis vier Fuß höher liegt, als die Straße, und welche während der Nacht durch große Läden von oben und unten geschlossen wird. Die obere Hälfte wird, in ihren Angeln sich bewegend, durch Eisenstäbe auf der Seite in die Höhe gestützt und bildet so ein schützendes Vordach gegen Regen und Sonne; die untere fällt in ihren Angeln als Bedeckung der Hausmauer vertical hinab. An den Wänden der kleinen Hallen entlang liegen in allerlei offenen Fächern die Waaren; der Mittelraum ist leer. Hier liegt eine große Matte aus Dattelpalmblättern, und auf derselben sitzt, wenn nicht Käufer kommen, von Morgens bis Abends der Kaufherr und raucht seinen Schibuk (lange Pfeife) oder seine Argille (Wasserpfeife) und trinkt zeitweilig vielleicht zehn oder zwölf Mal des Tages seinen Kaffee. So fand ich auch meinen Türken. Er war ein alter Mann von etwa siebzig bis fünfundsiebzig Jahren mit langem silberweißen Barte und etwas blassem, sehr schönen Antlitz. Ein tiefer Ernst und eine sanfte Ruhe lag über die Züge ausgebreitet. Unter der hohen und breiten Stirn leuchteten ein Paar große hellgraue Augen mit durchdringender Schärfe hervor, und die lange sanft gebogene Nase sprang kühn zwischen ihnen mit scharfen, Rücken heraus und hinab auf die weichen Wellen der Lippen, die von dem glänzenden Silberbarte umschattet wurden. Ein hellrother Kaftan verhüllte ihn. In Mekka war er nie gewesen, denn er trug keinen grünen Turban, sondern einen weißen von untadeliger Reinheit. Das Unterkleid war von buntem Stoff aus gelber und blauer Seide, die Beinkleider von hellblauer Baumwolle, die Socken aus gelbem Leder. Er saß und rauchte seine Pfeife, und als wir vor den Laden traten, und mein Begleiter frug, ob er schöne Teppiche vorräthig habe, sagte er: „Ja wohl! Tretet nur herein!“ Er verbeugte sich sitzend und deutete mir mit der Hand einladend auf einen kleinen Stuhl mit Strohsitz, das einzige derartige Geräth, das der Raum zeigte. Ich ließ mich dann nieder, und mein Gefährte setzte sich halb, und halb lehnte er sich auf den erhöhten Boden des Ladens. Dieser ist nämlich nur eine Reihe von Bretern, welche auf untergestellten Böcken ruhen, indessen der eigentliche Fußboden aus festgestampftem Lehm besteht, wie der offne Streif desselben von der Thür geradeaus bis zur Hinterwand genugsam zeigt. Man steht also da auf der lieben ursprünglichen Erde, und nur selten ist sie mit Fliesen bedeckt.

Der Türke saß oben auf seiner Matte, ich unten auf dem Stuhl, und kaum war ich seiner Einladung gefolgt, als er auch schon die Pfeife aus dem Munde nahm und mir darbot. Das ist die erste Höflichkeit, welche der gute Ton gegen einen geehrten Gast vorschreibt. Ich nahm sie an, und er rief seinen Knaben. Ein kleiner Negerbube von etwa zwölf Jahren erschien, und ich konnte genug Türkisch, um die beiden Worte zu verstehen: Pfeife und Kaffee.

Das schien mir ein weitläufiger Handel zu werden, und ich dachte unwillkürlich an Europa und dann gar an Amerika, wie weit wohl dort die Leute kommen möchten, wenn sie jeden Käufer erst zum Sitzen nöthigen und mit Pfeife und Kaffee tractiren wollten, „Time is money,“ sagen die Amerikaner und zahlen lieber 45 Dollars auf einem Missisippi-Dampfer, der in vier Tagen von New-Orleans nach Louisville fährt, als 25 auf einem, der fünf Tage gebraucht. Denn die 20 Dollars lassen sich vielleicht zwei Mal in dem gewonnenen Tage verdienen.

Nach einiger Zeit bot ich dem Türken die Pfeife wieder zurück und wiederholte meine Frage nach den Teppichen. Er bat mich, den Schibuk zu behalten, sein Knabe werde gleich mehrere bringen, und wegen der Teppiche könne ich sorglos sein, die seien vorhanden. Indessen kam der Bursche zurück und überreichte seinem Herrn zwei andere Pfeifen, die dieser nun aus dem im Gürtel befindlichen Tabaksbeutel füllte, indessen der Knabe ging, Feuer zu holen. Der Herr hatte ihm zu dem Ende die einen Fuß lange Feuerzange oder Pincette mit goldenem Griff gereicht, die in eben solcher Scheide mit schöner erhabener Arbeit im Gürtel steckte. Diese Feuerzange, mehr oder weniger prächtig gearbeitet, ist neben Tabaks- und Geldbeutel das dritte Hauptstück im Gürtel des anständigen Türken und fehlt nie.

Die Pfeifen waren fertig gestopft; der Knabe mit glühender Kohle in der Zange stand vor dem erhöhten Boden und hielt das

[745]

Mein Teppichhändler in Smyrna.

Feuer tupfend auf den Tabak, bis dieser ganz in Brand war; dann überreichte mir der Alte die Pfeife mit der Bitte, die andere zurückzugeben, was ich auch, wenn ich ihn nicht beleidigen wollte, thun mußte. Denn eine frische Pfeife gehört zu den orientalischen Leckerbissen, weil sie rein und wohlschmeckend ist. Während der Italiener sagt: „rein wie die heilige Jungfrau,“ sagt der Türke: „rein wie eine Pfeife“, um den Inbegriff alles Süßen und Schönen in ein Wort zusammenzupressen, es sei nun von körperlicher oder seelischer Vollkommenheit die Rede.

Die zweite, ebenfalls angezündete Pfeife erhielt mein Begleiter, und dann bereitete sich unser Wirth selbst die dritte. Indessen war der Knabe abermals gegangen und wiedergekommen, und bot nun Jedem von uns den unentbehrlichen Kaffee. Das war für mich an dem Tage schon der dritte außergewöhnliche, und es war erst elf Uhr Morgens. Die sehr kleinen Obertassen in höchst einfacher, stets gleicher Form fassen einen guten Eßlöffel voll und stehen neben den metallenen Untertassen, die die Form unserer Eierbecher haben. Letztere sind aus Messing, in vornehmen Häusern aus Gold, in reichen mit Diamanten besetzt. Die Obertasse aber bleibt stets aus Porzellan und zwar nicht sehr feinem. Beim Zugreifen setzt der Gast die Obertasse in den daneben stehenden Untersatz und ergreift dann diesen, um ihn gleich auszutrinken, was natürlich keine große Schwierigkeit macht. Dann geht der Diener in derselben Reihe wieder herum und sammelt die Tassen auf dem Präsentirteller wieder ein, die eben so zurückgegeben werden, indem man die Untertasse hinstellt, und dann die Obertasse davon abhebt und daneben setzt. Vom Kaffeetisch und dergleichen ist also keine Rede, daher kann auch der Türke überall Kaffee trinken, weil er dazu nur einer Hand bedarf, und daher enthält ein türkisches Kaffeehaus in Bezug auf Möbel nur einige Matten oder, wenn es vornehm hergeht, Teppiche.

Mit dem Kaffee war aber nun zwischen dem Wirth und uns das richtige Verhältniß eingetreten, was sich sogleich durch die Anknüpfung eines langen Gesprächs kund that. Er frug nämlich zunächst nach meinem Vaterlande und wie lange ich schon in Smyrna sei? Nachdem er darüber die genügende Auskunft erhalten, ging er auf die persönlichen Verhältnisse ein:

„Wie geht es Deinem Vater?“

„Er ist lange todt,“ war die Antwort.

„Das thut mir leid. Er muß ein tüchtiger Mann gewesen sein, denn den Vater erkennt man an den Kindern.“

Ich dankte ihm für die Höflichkeit, und er fuhr fort:

„Lebte er mit Dir in derselben Stadt?“

„Nein, ich kam schon früh von der Heimath fort.“

[746] „Warst Du bei ihm, als er starb?“

„Leider nicht, denn der Tod trat plötzlich ein.“

„Aber war doch nicht allein damals?“

„Keineswegs, meine Geschwister und meine Mutter waren bei ihm,“ – Als ich meine Mutter nannte, verneigte sich der Alte sehr höflich und frug dann:

„Wie geht es Deinen Brüdern?“

„Es lebt nur noch Einer, und ihm geht es gut.“

„Wohnt Ihr zusammen in derselben Stadt?“

„Ja wohl.“

„Wie beschäftigt er sich?“

„Er ist Künstler.“

„Und Deine Kinder, wie geht es ihnen?“ (Jetzt kam also die dritte Generation zur Sprache.)

„Ich habe keine, ich lebe noch allein.“

„Aber Deines Bruders Kinder, sind sie wohl?“

„Vollkommen, so viel ich weiß.“

„Hast Du kürzlich Briefe von Haus empfangen?“

„Vor vierzehn Tagen in Istambul die letzten.“

Es half mir nichts, daß ich meine Antworten möglichst kurz und trocken gab, der Alte war viel zu höflich, als daß er sich nicht nach Allem, ausgenommen die Frauen, erkundigt hätte. Nur nach der Mutter frug er einmal indirect. Er wollte dadurch zeigen, einen wie innigen Antheil er an mir und meinem Schicksal nähme. Nach den Familien-Angelegenheiten kam meine Reise an die Reihe, und er erkundigte sich auf’s Genaueste nach Constantinopel, wo er vor fünfzig Jahren einmal gewesen war, frug dann, wohin ich später ginge, und als er hörte: Egypten, schwieg er eine Weile still, als erinnere ihn der Name an etwas. Ich erkundigte mich, ob er etwa dort gewesen sei, was er verneinte, und dann, da er hörte, daß ich in Unruhe sei, etwa traurige Erinnerungen in ihm geweckt zu haben, fügte er hinzu, sein ältester Bruder sei dort vor einigen Jahren gestorben. Nun war ich aus Höflichkeit verpflichtet, mich nach seiner Familie zu erkundigen und alle die Fragen, die er vorhin an mich gethan, jetzt in ähnlicher Weise auch an ihn zu richten. So verstrich wohl fast eine Stunde, und ich wurde nachgerade ungeduldig, so sehr ich auch meine Vorrathskammern der Geduld an jedem Morgen anzufüllen pflegte. Ich sah ein, daß ich für die Zukunft dieselben noch erweitern und vergrößern müsse, wenn ich auskommen wollte. Das ist denn auch in Egypten im größten Maßstäbe geschehen. – Ich benutzte also später eine Pause, als eben der Alte geantwortet hatte, um ihn nun zum dritten Male nach den Teppichen zu fragen. „O, das hat ja Zeit, mein Bester!“ erwiderte er. Ich war aber andrer Meinung und äußerte dies dahin, daß ich sie jetzt zu sehen wünschte. Als der Türke dies hörte, sah er mir scharf und forschend in’s Gesicht, als wolle er aus meinen Augen lesen, ob das mein Ernst sei. Seine Beobachtung mochte wohl herausgefunden haben, daß ich nicht länger warten wolle, denn er legte die Pfeife weg, stand auf, schlüpfte im Herabsteigen mit den Füßen in die am Boden stehenden rothen Schuhe und öffnete eine kleine Thür, die in ein Hintergemach führte. Wir folgten. Hier waren die Wände ringsum auch mit Fächern versehen und enthielten, außer an der vierten, nichts als Teppiche von allen Größen, Farben und Arten. Er legte uns zuerst einen vor ohne Plüsch, als ich ihn aber entschieden abwies und sagte, ich wolle einen sogenannten Challie-Teppich, d. h. der auf der einen Seite einen dichten Plüsch hat, lächelte der Alte sehr freundlich und erwiderte: „Ganz, wie Du willst! Ich gebe Dir, was ich irgend habe. Du sollst mit mir zufrieden sein!“

Nun ging er zu der linken Seitenwand, hob einen Packen herab und breitete den Teppich auf dem Boden aus. „Der ist mir zu grob; ich will von den feinsten, die Du hast! Und zwar einen von mittlerer Größe.“ Denn ich sah, daß er eben einen solchen wie ich wünschte, aber nur sehr kleinen auf den schon am Boden liegenden ausbreitete. „Gut, wie Du willst!“ und dabei nahm er aus einem andern Fach einen heraus und ließ ihn auf die frühern fallen.

Dieser war mir in Größe und Feinheit recht, aber Farbe und Muster gefiel mir nicht ganz. Ich ließ dies dem Kaufherren deutlich machen, und er sah mich dann freundlich an und nickte beifällig mit dem Kopfe, indem er sagte: „Du wirst schon einen finden, der Dir gefällt.“ Nun nahm er ein Stück nach dem andern von dem Lager herab und legte es auf das vorhergehende. Er wurde gar nicht ungeduldig, daß ich so lange und sorgsam wählte; es schien, als werde er mit größtem Gleichmuth sein ganzes Lager vor mir ausbreiten. Es lag bereits ein ziemlich hoher Haufen von Teppichen vor mir, was freilich bei der großen Dicke jedes einzelnen kein Wunder war. Doch da man ein solches Stück für Lebenszeit kauft, so hatte ich mir vorgenommen, nicht voreilig zu wählen. Als ich nun einen fand, der mir sehr gut gefiel, und dies dem Alten sagte mit dem Bedeuten, inne zu halten mit den übrigen, erwiderte er: „O nein! Sieh sie doch alle an, vielleicht gefällt Dir ein anderer noch besser!“ Er warf dann noch zwei oder drei darüber, aber ich erneuerte meine Bitte, es lassen, da mir der bezeichnete ausnehmend wohlgefiel. Er zog ihn mit Hülfe des Knaben hervor und legte ihn obenauf.

„Also dieser gefällt Dir?“

„Ja wohl! Ist er nach Deinem Urtheil gut gearbeitet?“

„Das ist er. Er gehört zu meiner besten Sorte.“

„Dieser aber ist doch noch dichter,“ sagte ich und wies ihm einen andern, sonst sehr ähnlichen.

„Wenn Du den vorziehst, so nimm ihn. Er ist gut, aber dieser ist besser und wird länger halten.“

„Warum? Er ist doch weicher und dünner.“

„Eben darum. Jene Wolle ist härter und straffer und nutzt sich schneller ab. Deine erste Wahl war die beste und zeugt für Deine kundigen Augen.“

„Ich bin weder Fabrikant noch Kaufmann, ich zog ihn nur vor, weil die Wolle sanfter war.“

„Du thust ganz recht. Auch ich halte ihn für besser.“

„Wohl, so nehme ich ihn. Was kostet er?“

„Fünfhundert Piaster.“

„Das ist mir viel zu theuer. So viel habe ich für diesen Kauf nicht bestimmt. Willst Du ihn billiger lassen, gut. Sage mir also Deinen genausten Preis!“

Hier muß ich bemerken, daß man im Orient gewöhnt ist, in den Bazars nur die Hälfte von dem zu geben, was gefordert wird. Denn die Händler verlangen dem Fremden oft unverschämte Preise ab. So sah ich z. B. unter Andern in Constantinopel einem Europäer für ein Paar gestickte Schuh 3 Pfd. Sterling (20 Thaler) abfordern, und er war im Begriff 2 Pfd. dafür zu geben, als er zufällig, da ich neben ihm stand, sich meine Meinung ausbat. Ich sagte ihm deutsch: „Die Schuhe sind höchstens 3–4 Thaler werth, denn das Gold an der Stickerei ist sehr dünn und das Andere, was Sie bewundern, sind Fischzähne, also fast werthlos. Bieten Sie höchstens ½ Pfd. Sterling.“ Er that’s, und der Grieche, der den Laden hielt, lachte mit seinen Genossen ihn darüber aus und bemerkte, er verstehe nichts von der Kostbarkeit der Waare. Der Fremde wurde dadurch irre, blieb aber auf mein Zureden bei seinem Gebot, trotzdem er noch verschiedene Male ausgelacht wurde und wollte eben den Händler verlassen, als dieser aufsprang und uns nachrannte mit den Worten:

„Signor, Monsieur, hier sind die Schuhe – da! für ein halbes Pfund, weil Sie doch einmal so viel nur geben wollen!“ Er hatte uns eingeholt und hielt den fraglichen Artikel in der Linken. Dann griff er mit der Rechten gierig nach dem dargebotenen Gold und eilte zurück. – Der Dolmetscher des Fremden stand seitab und scheute meine Augen, da er wohl längst gemerkt hatte, woher der Wind wehte. Dies nur eins der unzähligen Beispiele, wie es im Orient beim Kauf und Verkauf im gewöhnlichen Bazar für die Fremden hergeht. Der Eingeborne natürlich wird weniger betrogen; wer aber einen einheimischen Führer hat, der sehe sich vor.

Nun war mein Dolmetscher mir zwar unbekannt und ein Grieche, aber er hatte edle Züge, wie man sie in Kleinasien, besonders unter den Frauen, noch häufig findet, denn nicht alle Griechen sind entartet; ich habe unter ihnen höchst ehrwürdige, edle Menschen kennen gelernt, hüben wie drüben am Archipelagus. Zudem war er mir von einem Freunde mitgegeben – und mein Kaufmann war ein Türke. Ich hatte also die Sicherheit nicht betrogen zu werden, doch handeln muß man im Orient immer, und wenn auch nicht die Hälfte, so wird doch stets etwas nachgelassen.

Auf die Frage nach seinem genausten Preis antwortete mein Alter: „480 Piaster“ (= 4 Pfd. Sterling oder 5 Napoleonsd’or).

„Das ist mir immer noch zu theuer,“ erwiderte ich.

„Aber der Teppich ist den Preis werth, und Du wirst Dich später freuen, ihn dafür erlangt zu haben.“

„Nein, denn ich werde soviel nicht zahlen.“

„Doch, Du wirst, denn Du wirst einsehen, daß er dies werth [747] ist. Wenn Du mein Bruder wärst, Du. könntest ihn nicht billiger verlangen.“

„Ich glaube Dir, aber soviel will ich nicht ausgeben, da ich ihn blos zum Vergnügen, als Andenken an Smyrna, mitnehmen wollte.“

„Du hast soviel für die Reise bis hierher ausgegeben, und wirst gewiß auch noch 480 Piaster an den Teppich wenden, um an die schöne Stadt zurückzudenken. Und dann denkst Du auch an mich, weiß ich, und lobst mich im Stillen dafür, wie gut ich Dich bedient habe.“

„Ja! das will ich, wenn Du ihn mir zu 4½ Napoleonsd’or gibst.“

„Allah ist mein Zeuge, das kann ich nicht, und wenn Du mein Vater wärst. Sieh, ich habe Dich lieb, Du gefällst mir gar gut, und ich möchte Dir lieber etwas verkaufen, als vielen Andern, aber auch nur darum, weil ich weiß, daß Du viel zu gerecht bist, um zu wollen, daß ich Schaden leide.“

„Das ist auch mein Wille nicht. Höre also: Kannst Du mir den Teppich für 450 Piaster geben? Das ist die höchste Summe, die ich daran wenden will. Kannst Du mir ihn dafür geben, ohne Schaden zu haben, gut! Wo nicht, muß ich den ganzen Kauf lassen, oder einen kleineren Teppich wählen.“

„Du bist sehr genau, gern möchte ich Dir zu Willen sein, aber auch 450 Piaster ist zu wenig. Dann hätte ich keinen Para Verdienst. Doch laß uns noch eine Pfeife rauchen und Kaffee nehmen. Wir werden schon Handels einig werden. Du wirst zufrieden sein.“

Der Alte war die Liebenswürdigkeit selbst. Mit großer Grazie geleitete er uns zurück, bereitete neue Pfeifen, die der Knabe geholt hatte, da der Orientale nicht gern zwei Mal aus derselben Pfeife nacheinander raucht, ohne daß sie zuvor gänzlich gereinigt wird, und auch Kaffee wurde abermals dargeboten. Mir war das nun gar nicht recht, aber mein Begleiter hatte, als ich bei dem Herausgehen aus dem Hintergemach ihm dies sagte und hinzufügte, daß ich gesonnen sei, lieber fortzugehen, zugeflüstert: „Bleiben Sie nur! Er will sich blos die Sache reiflich überlegen und wenn Sie ihm Zeit lassen, geht er auf Ihre letzte Forderung ein.“ – Die letzte Antwort des Türken hatte mir auch so geschienen, als werde er nachgeben, aber daß er dazu erst langen Nachdenkens bei der Pfeife bedürfe, hatte ich nicht geahnt. Doch fügte ich mich, schon aus Theilnahme, wie die Sache zuletzt werden würde. Denn ich war bereits anderthalb Stunden hier, und noch war kein Resultat erreicht.

Wir saßen also abermals auf den alten Plätzen, rauchten in Ruhe und Beschaulichkeit unsern Schibuk, und der Kaufmann erkundigte sich, ob ich nicht nach Manissa (Magnesia) wolle oder nach Sarves. Ich bejahte das, lenkte dann aber gleich wieder auf unsern Handel zurück, um die Sache zu Ende zu führen, jedoch der Alte meinte, das habe ja noch Zeit und er sei überzeugt, er werde den Teppich nicht behalten. Dann schwieg er, und ich auch, bis ich nach etwa fünf Minuten mit meinem Gefährten in ein Gespräch kam über dies und das, indessen der Türke ruhig eine blaue Wolke nach der andern sanft vor sich hin blies. Als unser Thema erschöpft war, und abermals Stille eintrat, äußerte ich meinem Dolmetscher, daß es wohl Zeit sei, den Handel zu beendigen. Er ging darauf ein und sagte also unserm Wirth, ich wolle fort, denn meine Zeit sei gemessen – ein reichliches Maß, denn es war indessen 1 Uhr geworden, also hatten wir bereits zwei Stunden auf den Handel verwendet. Er winkte dem Knaben, den Teppich hereinzuholen, und dieser brachte ihn zusammengelegt herein und legte ihn zwischen mir und seinem Herrn auf die Matte.

„Nun, nicht wahr, Du gibst 480 Piaster dafür?“

„Keineswegs, sondern wie ich sagte, 450 nur.“

„Aber das wäre unter dem Werth verkauft.“

„Mag sein; ich will aber nicht mehr daran wenden.“

Hier hob mein Gefährte das Packet in die Höhe, legte es auf die rechte Hand und streckte diese aus, um den Pack zu wiegen, ließ ihn dann verächtlich auf die Matte fallen, hob ihn abermals auf die andere Hand und warf ihn ebenso wieder hin, indem er sagte: „Ach! geh doch! Ist viel zu leicht! Ist nicht einmal 450 Piaster Werth. Ist ja viel zu leicht für 450 Piaster!“

Der Alte belächelte diesen Vorgang, sah mich mit seinen hellen, scharfen Augen an und sagte: „Meint mein Freund das auch? Sagst Du auch, er sei zu leicht?“

Er hatte also wohl gemerkt, daß der Grieche das nur für sich und aus sich heraus gethan hatte. Nun wartete er ruhig, aber sehr aufmerksam auf meine Antwort, welche natürlich verneinend ausfiel.

„Das wußte ich, daß Du meine Waare nicht verachten würdest, denn sonst würdest Du sie doch nicht kaufen. Ich weiß, Du kommst zu mir, wenn Du wieder irgend etwas von Sachen dieser Art bedarfst.“

Ich glaube, wenn ich vorhin Ja gesagt hätte, er hätte den Teppich behalten, und wenn ich auch 500 Piaster gezahlt hätte, denn sein Ehrgefühl schien größer zu sein, als der Drang nach Erwerb. Und was seine Prophezeiung anlang, so ging sie wirklich in Erfüllung. Denn als ich einige Tage hernach eines Morgens nach Sardes reiten wollte, und schon nach einigen Stunden umkehren mußte, weil das Gepäck auf den Pferden zu schlecht befestigt war, um in Trab und Galopp fest zu halten, so ging ich zu meinem alten Freunde und holte mir dort ein Paar Reisetaschen, wie sie im Orient hinter und unter dem Sattel quer über den Rücken des Pferdes gelegt werden und alles Nöthige fassen. Wie freundlich empfing er mich mit den Worten: „Sagt’ ich Dir nicht, Du würdest wiederkommen? Ich wußte, daß Du mit Deinem alten Freunde Selim zufrieden sein würdest; ich wußte es.“ Und dann dauerte unser Handel um die Taschen auch wieder eine gute Zeit, wenn gleich nicht so lange, als der um den Teppich, da wir uns nun schon kannten. Auch noch jetzt denke ich wirklich mit Freuden an den ehrlichen Alten zurück und noch immer höre ich seinen treuherzigen Ton: „Ich weiß, Du wirst zufrieden sein.“ Er hob, nachdem der Grieche den Teppich hingeworfen hatte, denselben in die Höhe, legte ihn auf seine Kniee und frug: „Nun sage mir, ist er nicht 480 Piaster Werth?“

„Ganz gewiß, aber ich gebe Dir nur 450 dafür.“

„Geben Sie ihm das Geld,“ flüsterte mein Gefährte.

Rasch legte ich dem Alten 41/2 Napoleonsd’or und 1 Medjidie (türkischen Thaler zu 22 Piaster) in die Hand und er zählte sie neben einander auf seine ausgestreckte Linke, strich sie zusammen, zählte sie abermals auf, sah sie lange an, dann mich, strich sie zusammen und faßte sie zwischen Daumen und Zeigefinger der Rechten, zeigte sie mir, schüttelte leise das schöne Haupt und sagte dann: „Es ist sehr wenig!“ Dann legte er mit der Linken den Teppich vor mich hin und sagte: „Wohl, nimm ihn!“ zog dann seine Börse aus dem Gürtel, that das Geld hinein, und gab mir die überschüssigen 4 Piaster pünktlich zurück, die ich dann gleich seinem Knaben einhändigte, der bereits die Last auf den Kopf genommen hatte, um sie mir in’s Haus nachzutragen. Sein Herr sah das und dankte mir mit freundlicher Miene: „Du bist mein Freund, und ich freue mich Deiner! Bleibe noch, wenn Du kannst!“

Ich entschuldigte mich mit einem Besuch, den ich zu machen hatte, und ging. Der Alte stand auf, reichte mir die Hand und nahm vor der Thür nochmals zärtlichen Abschied. Dann sah ich, wie er sich in das Hintergemach begab, wahrscheinlich um dort wieder Alles in Ordnung zu bringen.

Nach meiner Rückkehr aus Magnesia kam ich nur noch einmal an seinem Laden vorbei und grüßte ihn. Er war erfreut, wie ein Kind, als er mich gesund aus dem Innern des Landes zurück sah. Ich hatte ihm noch einen längeren Besuch zugedacht, kam aber leider nicht dazu. Aber noch jetzt sehe ich ihn im Geiste vor mir, mit seinem Silberbarte und den schönen klaren Augen, und höre noch deutlich sein zuversichtliches: „Du wirst zufrieden sein.“ Und das bin ich denn auch wirklich.




In der ersten Stunde des neunzehnten Jahrhunderts.

Von Ludwig Storch.
(Schluß.)

Auf diese von Adam gesprochenen Worte sagte Anders: „Die deutsche Philosophie ist nicht hinter der deutschen Poesie zurückgeblieben.“

„Auch Fichte hat vor wenigen Monaten ein neues Werk in die Welt geschickt, „Bestimmung des Menschen“ betitelt, in welchem [748] der große Philosoph einen neuen Flug seines Idealismus beginnt,“ erwiderte Adam. „War schon sein vor zwei Jahren erschienenes „System der Sittenlehre“ ein großer Wurf in der Erweiterung der Kant’schen Lehre, so sehen wir den deutschen Denker in dem neuesten Buche dem scheidenden Jahrhundert einen prächtigen Schlußstein setzen. Kant und Fichte haben im Laufe der letzten Decennien große Würfe gethan.“

„Es ist ein köstliches Zusammentreffen,“ sprach nun Hans, nach seiner Art anmuthig lächelnd, „und es wäre ein Frevel an der Weltvernunft, die sich uns immer erhabner kund geben will, es einen Zufall zu nennen, daß ich, da ihr so prächtige Würfe in Poesie und Philosophie zum Schluß des Jahrhunderts beizubringen im Stande seid, meinerseits in den Naturwissenschaften ein Gleiches vermag. Vor wenigen Monaten ist auf meinem Felde ein großer, ein gewaltiger Wurf geschehen, welcher der Zukunft Früchte bringen wird, deren Herrlichkeit wir kaum zu ahnen vermögen. Der berühmte italienische Physiker Alessandro Volta hat in diesem Jahre einen aus verschiedenen Metallen zusammengesetzten Apparat, eine Säule, erfunden, welche die von Galvani entdeckte Modalität der Elektricität auf überraschende Weise zur Erscheinung bringt. Ich vermuthe mit gutem Grunde, daß diese Säule der gewaltigste Denkstein des scheidenden und der großartigste geistige Sonnenzeiger des neuen Jahrhunderts werden wird. Wie die Pyramide des Cheops wird sie, der Verbindungsstein zweier großen Jahrhunderte, ihren geheimnißvollen Schatten über die kommenden Jahrhunderte hin dehnen, zugleich Sonnenuhr und Meilenzeiger des strebenden Menschengeistes.“

„Also allen Söhnen dieses Jahrhunderts, denen ein großer Wurf gelungen! Zuerst denen, die schon von der Lebensbühne abgetreten sind!“

„Und denen, die mit uns in das neue Jahrhundert hinübertreten: Goethe und Schiller!“

„Kant, der ehrwürdige Greis, und Fichte!“

„Volta, Brown, der kühnstrebende Mediciner!“

„Es ist gleich Mitternacht!“ rief Sophie.

Die Jünglinge erhoben sich.

„Es ist ein hochernster heiliger Augenblick!“ rief Adam glühend. „Das alte Jahrhundert versinkt, das neue steigt herauf!“

In diesem Augenblick begann die Schloßuhr die zwölfte Stunde zu schlagen. Vom königlichen Residenzschlosse in Kopenhagen blitzte ein Feuerschein herüber. Donnerhall folgte. Das neue Jahrhundert wurde mit hundert Kanonenschüssen begrüßt. Alle Glocken der Hauptstadt begannen ihr weit hallendes Läuten. Die vier Versammelten blickten in feierlicher Stille nach der Königsstadt. Die Uhr hatte ausgeschlagen.

„Sei uns willkommen! sei uns gegrüßt, Genius des neunzehnten Jahrhunderts, Genius der Neuzeit!“ rief Adam in hoher Begeisterung. „Segne uns und alle Strebenden! Stürze den Aberglauben, erhelle die Nacht der Geister! Bekämpfe die Selbstsucht und breite den Morgenrothglanz der Liebe über deine Geschlechter! Ueberwache die Welt mit dem sänftigenden verklärenden Hauche der Poesie!“

„Entzünde die Geister, daß sie denken!“ fuhr Anders fort. „Setze die Vernunft auf den ihr gebührenden Thron! Der entfesselte Gedanke befreie die noch in Banden liegende Welt! Lernt denken und euere Vernunft gebrauchen, ihr Geschlechter des neuen Jahrhunderts, und ihr werdet frei und glücklich sein!“

„Eure Wünsche und Acclamationen sind schön und gerecht,“ sagte Hans. „Aber vor Allem ist zu wünschen, daß die Menschen des neunzehnten Jahrhunderts eine richtige Einsicht in das Wesen der Natur gewinnen und ihre Kräfte und Gesetze mit treuem redlichen Eifer erforschen und zu ihrem Heil benutzen. Ihr wünschet, daß Poesie und Philosophie sich mehr und mehr ausbreiten auf der Erde, d. h. daß Gefühl und Verstand, die beiden Pole des Menschengeistes, mehr cultivirt werden. Aus ihnen hat sich seit den ältesten Zeiten die Religion entwickelt. Unvollkommene Cultur des Gefühls und des Verstandes führte zu jenen Religionen voll Fabeln und Wundern, die zwar poetisch, wie alle kindlichen Anschauungen, aber dem reifer gewordenen Geist ungenügend sind. Die wahre Bildung des Gefühls und des Verstandes kann nur durch die Erleuchtung der Vernunft als der höchsten Geisteskraft gewonnen werden, und das Licht dieser Erleuchtung kann allein durch Erforschung der Natur entzündet und genährt werden. Je weiter wir in die Tiefe und Höhe der Natur forschend und erkennend vordringen, desto mehr wird jene Poesie des Aberglaubens verschwinden, die leider noch von unzähligen Herzen als ein höchstes Gut festgehalten wird, desto logischer werden wir denken lernen, die Gesetze des Denkens erkennen und festhalten und uns von jenen Schwankungen und Trugschlüssen befreien, die noch in so vielen Köpfen spuken, desto reiner, erhabener und der aus der Natur als dem ewigen Vernunftreich erkannten Gottheit würdiger wird also unsere Religion sein. Das ist die Aufgabe des neuen Jahrhunderts, daß es die Natur erforsche und ihre Kräfte und Gesetze erkenne, daß es dann auf dieses Wissen eine richtige Philosophie baue, und daß sich endlich als drittes und letztes Glied der neuen Dreieinigkeit eine würdige Poesie entwickle, die wie der Glanz und Duft einer schönen Abendbeleuchtung verklärend über der Welt leuchte. Nicht Fabeln und Märchen auszuschmücken kann ferner die Aufgabe der Poesie sein, nicht in dialektischen Kunststückchen und sophistischen Grübeleien seiltänzerisch herumspringen, die Aufgabe der Philosophie. Vielmehr soll sie die Resultate der Naturforschung mit den Denkgesetzen des Geistes in Einklang bringen und die Poesie dann die also gewonnene Wahrheit mit ihren prächtigen Tinten übergießen. Und aus der innigen Verschmelzung dieser Drei steige die Religion als das Liebesband zwischen Gott und der Welt empor!“

„Und nun seht, meine Lieben, wie wir hier so überraschend schön und charakteristisch versammelt sind! Ich als der Aeltere vertrete, wenn auch herzlich schwach, die Naturwissenschaften, Anders als der ein Jahr Jüngere die Philosophie, und Adam als der wiederum ein Jahr Jüngere die Poesie. Und so laßt uns in brüderlicher Umarmung das neue Jahrhundert mit dem Zurufe begrüßen: Gib uns Kraft! Gib uns Wahrheit! Gib uns Schönheit! Und aus diesen Dreien laß uns Gottbegeisterung erblühen!“

„Amen!“ riefen die Andern und umschlangen und küßten sich, und Sophie flüsterte ein stilles Gebet über sie hin.

„So laßt uns den Rest unserer Bowle auf das Gedeihen derer leeren,“ nahm Adam wieder die Rede auf, „die im neuen Jahrhundert große Würfe in der Naturerkenntniß, in der Philosophie und Poesie zu thun vom Schicksal berufen sind! Mögen sie die Menschheit von den Fesseln des Wahns und Trugs befreien und Wahrheit und Schönheit durch sie zum vollsten Sieg gelangen, daß man heute über hundert Jahre beim Antritt des zwanzigsten Jahrhunderts ihre Namen als Sterne hochpreise, wie wir heute die Glanznamen des achtzehnten Jahrhunderts hochgepriesen haben. Segen auf die kommenden Arbeiter im Weinberge des Herrn, denen ein großer Wurf gelingen wird!“

„Es wäre doch gar schön, wenn Einem von uns oder allen Dreien so etwas gelänge,“ sagte Anders. Aber fast erschrocken über die Kühnheit dieses Gedankens, setzte er hinzu: „Ich bin freilich nur ein schwacher Schüler Kant’s und Fichte’s; ich suche jetzt Staatsdienst und werde als Justizbeamter meine Pflicht thun, aber damit gelingt kein großer Wurf. Dazu gehören andere Kräfte, als die meinigen.“

„Und ich werde ein fleißiger Advocat werden, der dem Rechte redlich dient und zu seinem Vergnügen ein paar Verse macht,“ fuhr Adam kleinlaut fort. „Damit thut man auch keinen Wurf, der Erwähnung verdiente.“

„Wird es mir besser ergehen?“ lachte Hans. „Ich werde ein Apotheker bleiben, der ich schon bin. Ich werde Arzneien bereiten und dispensiren und in meinen Mußestunden etwas Physik, Astronomie und natürliche Religion treiben. Dabei wird freilich auch kein großer Wurf herauskommen. Wir wollen uns aber darum keine grauen Haare wachsen lassen, sondern uns den regen Antheil an allem Fortschritt bewahren und selber nach dem Maß unserer Kräfte mitwirken.“

„Und den Muth in der Brust wollen wir stählen, damit die rechte Stunde uns zur That für die erkannte Wahrheit bereit finde!“ sagte Adam wieder hochaufathmend.

„Und mit Liebe wollen wir uns und Andern das Leben schmücken,“ sagte Anders mild. „Nach der heißen Arbeit des Tags erquicke uns ihr süßer Thau!“

Sophie, die hinter seinem Stuhe stand, beugte sich leise hervor und küßte ihn, von den Andern ungesehen, auf die hohe Stirn.

„Wohlan denn, das Leben ruft uns in die Rennbahn des neuen Jahrhunderts!“ rief Adam. „Beginnen wir zu des Vaterlands Ehre den Wettlauf mit denen, die Kraft und Muth das Ziel zu erstreben anfeuern!“ Und nun las er Scenen aus Wallenstein vor.

[749] Wenige Monate später stand Adam als Fahnenjunker im Studentencorps unter den Vaterlandsvertheidigern gegen die Engländer, welche Kopenhagen angriffen; Anders wurde um dieselbe Zeit Assessor des Hof- und Stadtgerichts in Kopenhagen und führte seine Sophie heim; und Hans trat eine zweijährige wissenschaftliche Reise nach Deutschland, Paris, Brüssel, Harlem und Amsterdam an, die ihn zu einer großen Anzahl strebsamer Geister in persönliche Beziehung brachte. Wir nennen nur die Deutschen Schelling, die Gebrüder Schlegel, Fichte, Schleiermacher, Ludwig Tieck, Zacharias Werner, Franz Baader, Erman, Kielmeiler, Rumford, die Mineralogen Hausmann und Weiß und vor Allen den ihm so theuer gewordenen Chemiker Ritter. Wenn auf der einen Seite sein lebendiger Geist und seine ungewöhnliche Gelehrsamkeit imponirten, so gewannen ihm seine jugendliche Frische und seine anspruchslose Kindlichkeit Aller Herzen. Ihm selbst brachte die Reise großen geistigen Gewinn. – –

Im Jahre 1809 kehrte Adam von einer fast fünfjährigen Reise nach Deutschland, Frankreich und Italien, die er zumeist mit einem Reisestipendium des Kronprinzen gemacht, in die Heimath zu seiner Braut, zu seiner Schwester, zu seinen Freunden in Kopenhagen zurück. Auch er hatte die Liebe der bedeutendsten Menschen in diesen Ländern gewonnen. Goethe war ihm väterlicher Freund geworden.

Adam war kein Advocat geworden, sondern ein Dichter, und zwischen seinen Jugendfreunden und Schwägern Hans und Anders an der Festtafel sitzend, die zu seinem Empfang geschmückt war, legte er ihnen drei in der Zeit seiner Abwesenheit gedichtete, aber schon berühmt gewordene Dramen, „Aladdins Wunderlampe“, „Hakon Jarl“ und „Correggio“ mit den Worten auf den Tisch: „Ich glaube, es ist mir doch ein guter Wurf gelungen.“ Sie stießen jubelnd auf den gelungenen Wurf an.

Adam wurde Professor der Aesthetik an der Kopenhagner Universität und glänzt für ewige Zeit als der größte dänische Dichter der Neuzeit, aber auch als einer der vorzüglichem deutschen Dichter; denn er gehört beiden Nationen an.

Die Leser wissen nun schon, daß unser glücklicher Werfer Adam Oehlenschläger war.




Am 21. December 1819 hatte der königlich dänische erste Deputirte der Staatskanzlei und Generalprocurator Anders Sandöe Oersted[WS 1] seinen Bruder, den Professor der Physik, Hans Christian Oersted[WS 2], und seinen Schwager, den Professor der Aesthetik, Adam Georg Oehlenschläger, mit ihren Frauen zur Feier seines einundvierzigsten Geburtstags eingeladen. Die Herren standen sich noch eben so nah, wie in ihrer Jugend, ja man hätte glauben können, ihr Freundschafts- und Herzensbund habe an Wärme und Innigkeit zugenommen. Sie waren eben wie drei sich zärtlich liebende Brüder. Mit dem Dessert wurde Champagner aufgesetzt und die Unterhaltung muntrer und lebendiger. Die Herren riefen Erinnerungen wach. So kam denn auch die Rede auf die zusammenverlebte erste Stunde des Jahrhunderts und wie damals Jeder im Stillen gewünscht habe, einen großen Wurf in der fördernden Geistesarbeit zu thun und seinen Namen zu den glänzenden Namen des vorigen Jahrhunderts zu stellen. – Auf einen Wink des schelmisch lächelnden Gatten verließ Frau Sophie das Zimmer und kehrte gleich darauf mit einer verdeckten Schüssel zurück, die sie, ihrem Bruder und Schwager bedeutungsvoll zunickend, auf den Tisch setzte. Alle Augen hingen neugierig an der Schüssel.

„Du hast Deinen großen Wurf schon vor zehn Jahren gethan, Adam,“ sagte Anders; „Sophie hat da etwas aufgetragen, das ich ohne Selbstüberschätzung auch einen guten Wurf nennen kann, und ich hatte mir vorgenommen, Euch heute damit zu erfreuen.“

Er nahm das Tuch von der Schüssel und nahm das darin liegende dickleibige Manuscript heraus. Es war sein vor wenigen Tagen vollendetes „Handbuch der dänischen und norwegischen Rechtswissenschaft“, das wichtigste und ausgezeichnetste, von einem tiefen philosophischen Geiste durchdrungene Werk der nordischen Rechtskunde, das auf die höhere Entwickelung des Rechtslebens in Dänemark den größten Einfluß gehabt hat. Dieses Buch war ein bedeutender Wurf.

Schwager und Bruder umarmten glückwünschend den glücklichen Werfer und stießen auf den zweiten gelungenen Wurf an.

„Da einmal vom Werfen die Rede ist,“ nahm Hans in seiner alten kindlich-anmuthigen, anspruchslos lächelnden Weise das Wort, „so kann ich heute auch mit etwas aufwarten, das vielleicht wie ein guter Wurf aussieht. Ihr wißt, daß ich diesen Winter ein Privatissimum für einige Provectiores lese. Gestern nun in der Vorlesung, als ich eben von der von mir schon seit Jahren geahneten nahen Verwandtschaft der elektrischen, galvanischen und magnetischen Strömungen sprach, drängte sich mir plötzlich die Ueberzeugung von dieser Verbindung auf. Die Entscheidung blitzte in meine Seele herein, wie die erfüllte Hoffnung eines Adepten, wie die Empfängniß der Idee eines Dichters. Ich unterbrach die Vorlesung und stellte zu meiner Ueberzeugung sogleich die praktische Prüfung an, die mir die Gewißheit gab, daß eine bestimmte Wechselwirkung zwischen elektrisirten Körpern und dem Magnet stattfindet. Schon heute habe ich die Ueberzeugung, daß die durch diese Wechselwirkung zur Erscheinung gekommene neue Kraft eine allgemeine Naturkraft ist, die sich in allen Körpern zu offenbaren vermag, und ich lade Euch ein, mir in mein Laboratorium zu folgen, damit Ihr Euch selbst von meiner Behauptung überzeugen könnt.“

Die beiden Andern erhoben glückwünschend die Gläser und wollten auf den dritten gelungenen Wurf anstoßen, aber Hans wehrte mit den Worten ab: „Erst abwarten, ob sich die Sache als ein Wurf bewährt!“

Der freundliche bescheidene Apotheker! Er hatte einen jener ungeheuern Geisteswürfe gethan, die, wie bald darauf ein deutscher Physiker sich ausdrückte, „kaum alle tausend Jahre in das Loos eines Sterblichen fallen“, einen Wurf, der ihn zu Guttenberg und Franklin stellt und ihn zu einem der größten Wohlthäter der Menschheit macht. Er hatte den Elektro-Magnetismus erfunden.

Es sind noch nicht volle vierzig Jahre seit jener Erfindung, der größten und wichtigsten für die Entwickelung des Geisteslebens seit der Erfindung der Buchdruckerkunst, verflossen, und schon läuft der verkörperte Gedanke mit Blitzesschnelle an den Drähten durch alle Länder und durch die Meere, die Menschen aller Himmelsstriche mehr und mehr zu einer großen Familie verbindend. Diese Kupferdrähte sind die Nerven des Riesenleibes der Menschheit geworden an welchen der Geist hinzuckt, sein Licht in die entferntesten Gegenden tragend. Erst seit dieser Erfindung darf man mit Zuversicht behaupten, daß auch die letzten Verschanzungen des Aberglaubens und selbstsüchtiger Anmaßung fallen müssen. Der elektromagnetische Apparat wird und muß die Welt erobern, wie es kein Weihwedel und keine Kanone vermocht hat. Mit seinen mächtigen Verbündeten, der Dampfmaschine und der Buchdruckerpresse, wird er der aus der Naturerforschung gewonnenen Wahrheit den Sieg auf dem ganzen Erdboden über allen Wahn, über alle Künste des Lugs und Trugs, über alle trotzige und patzige Dummheit verschaffen und die Menschheit zu jener Sonnenhöhe des Geistes erheben, die ihr allein ein wahres würdiges Glück gewähren kann.

Wenn die dichterische Vorstellung Adam Oehlenschlägers in jener feierlichen Stunde von einem jungen Genius des neunzehnten Jahrhunderts eine reale Wahrheit gewesen wäre, so hätte dieser Genius dem Jüngling Adam einen Lorbeerkranz gewunden; denn er wird in Dänemark und Deutschland noch lange als Dichter gefeiert werden, – aber ein urschöpferischer Dichtergeist war er nicht, und sein Wurf, wenn auch ein schöner, so doch kein großer. Der Genius hätte dem Jüngling Anders einen Eichenkranz aus den Wäldern des Nordens gewunden; denn er wird in der Geschichte der Rechtsphilosophie und der vernünftigen Gesetzgebung lange als einer der tiefsten und schärfsten Denker glänzen, wie er denn auch zum Premierminister des Königreichs Dänemark emporstieg, aber auch er ist keiner der urschöpferischen Geister, die da neue Bahnen brechen; sein Wurf war ein guter und segensreicher, aber ein großer war er nicht. Dem bescheidenen Apotheker Hans, dem kindlichen Dichter der kleinen, die Naturkräfte behandelnden Gedichte, würde der Genius des neunzehnten Jahrhunderts einen Sternenkranz gewunden haben; denn sein Wurf ist einer der größten in der Weltgeschichte, und alle Zeiten und alle Völker werden seinen Namen mit staunender Dankbarkeit aussprechen.

[750]

Ein Ritt in die Niederungswälder des Dniepr.

Von Dr. Wilhelm Hamm.
(Schluß.)
Ein Seelenverkäufer. – Biographie des Schatzgräbers. – Wie der Schatzgräber zu seiner Frau kam. – Allein im Urwald. – Theater in der Steppe.

Der kleine Fluß bildete einen Bogen, und eine Stelle in dessen Bezirk war von Schilf und Gestrüpp geklärt. Hier stand eine kegelförmige Hütte aus in die Erde gesteckten, oben verbundenen Baumschößlingen, mit Rasen bedeckt, das getreue Abbild eines indianischen Wigwam. Weiches Heu bildete das ganze Mobiliar derselben. Hier wohnte Lehmann, der Schatzgräber, während der Zeit des Heuwerbens. Er hatte diese Arbeit in einem District der Plawni zu beaufsichtigen; eigentlich war er Prikaschtschik oder Schäfereiverwalter auf einem der Vorwerke jenseits des Dniepr. Nachdem er uns Allen die Hände geschüttelt und mich besonders als speciellen Landsmann mit ausgesucht sächsischer Höflichkeit begrüßt hatte, eilte er zu seiner Kochstelle in einem nahen, hohlen Weidenbaum; hier entfachte er ein prasselndes Feuer und hing darüber den halbkugelförmigen Kessel aus Gußeisen auf, welcher das unentbehrlichste Geräth jeder russischen Haushaltung ist; er füllte ihn mit Wasser und wies den Reitknecht an, des Kochamtes zu walten. Er selber rief: „Ich hole die Krebse; wollen sich’s die Herrschaften nicht bequem machen?“ und stieg in einen winzig kleinen Kahn, den er mit einer langen Stange flußabwärts stieß bis zu dem tiefern Tümpel, wo sein Krebskasten verwahrt lag. „Betrachten Sie jenes Fahrzeug,“ sprach mich der Onkel, auf das Schifflein deutend, an. „Da haben Sie wieder ein Stück, das zum Urwald paßt. Der Kahn ist aus einem Weidenstamm ausgehauen, er faßt nur einen einzigen Menschen und es gehört Geschicklichkeit dazu, sich darin im Gleichgewicht zu erhalten. Daher stammt auch sein Name. Sie wissen vielleicht, daß man draußen in Europa (in Rußland spricht man nicht vom Ausland, sondern von Europa!), am Rhein, die kleinste Art der Kähne „„Seelenverkäufer““ nennt? Nun, gerade so heißen sie auch hierzuland, nämlich „Duschakupka“, wörtlich übersetzt, und ich möchte nur wissen, wo die Bezeichnung zuerst entstanden oder ob sie von beiden Völkern gleichzeitig erfunden worden ist!“

Wir hatten uns mittlerweile auf ein schattiges Plätzchen gelagert; angelegentlich fragte ich nach der Lebensgeschichte des sonderbaren Landsmannes, den ich hier in der Wildniß gefunden. Sie war ziemlich einfach. Lehmann stammt aus Mittweida oder dessen Nähe, und kam vor beinahe vierzig Jahren als Schäfer nach Rußland; dreiunddreißig Jahre lang verwaltet er seinen gegenwärtigen Posten. Er hält sich für einen sehr gebildeten Mann, ja für einen Gelehrten, verachtet daher gründlich seine Collegen und „das Volk“; er besitzt eine Bibliothek und studirt viel; aber sein Studium erstreckt sich nur auf „die höhere Welt“; Dr. Faust’s Höllenzwang, der Clavis Salomonis, Traumbücher und Prophezeihungen füllen alle seine Mußestunden, und seine Hauptleidenschaft, ja das Dichten und Trachten, der Angelstern seines ganzen Lebens ist das Schatzgraben. Dieses hat er zu einer wahren Wissenschaft gemacht und betreibt es mit aller Umsicht eines bewährten Adepten. Kein verrufener Ort, keine Ruine, kein altes Tatarengrab ist sicher vor seinem Spaten; wenn ein altes Weib ein Lichtlein hat tanzen sehen am sumpfigen Busch, gleich ist er hinterher und wühlt sich ein, wie ein Maulwurf; und er hat dabei Glück gehabt, denn er fand mehrere hübsche Stücke Bernstein, welcher längs des Dnieprs nicht selten ist. Vielleicht ist das seltsame Treiben des alten Mannes durch die Oertlichkeit erweckt worden, in der er lebt, denn hier auf den Dnieprinseln waren die geheimnißvollen festen Lager der Saporoger, jener kühnen Freibeuter, welche bald die Polen, bald die Tataren auf eigene Faust bekriegten, keinem Scepter, nicht einmal dem des Czaren, unterthan, unermeßliche Schätze zusammenschleppten und vergeudeten. Und dazu noch der Kranz der zahllosen „Mogilen“ oder Hünengräber rings auf der Steppe, von welchen einige, geöffnet, Gerippe, Waffen und goldenen Schmuck in Fülle zu Tage boten – Veranlassung genug, aus dem träumerischen Schäfer einen fanatischen Schatzgräber zu machen. So hieß er auch, der Kladokopatelj, bei Alt und Jung, Russen und Deutschen, weit und breit. Mancherlei Scherze wurden mit ihm getrieben. Der Onkel hatte vor mehreren Jahren bei allen Bekannten alte Münzen, Silber und Kupfer, gesammelt; letzteres bildete die Mehrzahl, aber er selbst hatte ein abgegriffenes Goldstück dazugeopfert, und das Ganze, in einen antiken Scherben gepackt, auf dem alten Saporoger Kirchhof bei Pawkrosk kunstvoll vergraben. Der Schatzgräber erhielt Nachricht von einer bläulichen Flamme – es war ein Spiritusfeuer! – die sich daselbst zeige, und in der Nacht darauf hob er wirklich muthig den Schatz. „Sie hätten das Gesicht sehen sollen, mit dem er zu uns kam!“ fuhr der Onkel, in der Erinnerung lachend, fort. „Stolzer war noch kein Kaiser, sicherer kein Weltweiser! Zwar ward er sehr verblüfft, als ihm später der gespielte Streich entdeckt und ein Verzeichniß der Münzen und ihrer Geber vorgelegt ward, allein gar bald gewann er seine Siegesfreude wieder, denn unglücklicherweise war gerade ein silbernes Hauptstück des Fundes darin anzuführen vergessen worden! Und so ist und bleibt er denn der „Schatzgräber“, und wenn Sie wollen, können Sie ihn heute Nacht an jeden beliebigen Ort sprengen; ohne den Spaten in der Hand geht er nie aus.“ –

Eben kam der Schatzgräber wieder zurück in der Duschakupka und brachte ein Netz voll der größten Krebse, die er unbarmherzig in das brodelnde Wasser des Kessels warf. Dann deckte er eine Grube hinter deiner Hütte auf und holte einen Ständer voll Quaß hervor, der mit allerlei Kräutern und Baumblättern gewürzt war. Das säuerliche Getränk schmeckte köstlich in der sonnigen Schwüle, nicht minder die Krebse, wenn sie gleich das stauende Element verriethen, dem sie entnommen waren. Lehmann wartete auf mit einer Würde, welche hoch ergötzlich war; besonders machte er sich um die schöne Soninka zu schaffen, suchte ihr die besten der Panzerthiere aus und war in einer Weise verbindlich und civilisirt artig, die im grellsten Widerspruch zu seinem barocken Costüm und Aussehen stand. Unter Scherzen und Neckereien ging das improvisirte Mahl vorüber. „Schatzgräber,“ sagte der Onkel, „Du hast uns königlich bewirthet und verdienst königlichen Dank. Ich weiß etwas für Dich, aber ich sage Dir’s nicht eher, als bis Du diesem fremden Herrn erzählt hast, wie Du zu Deiner Frau gekommen bist.“ – „Ach, Herr Onkel, Sie wollen wieder über mich lachen,“ entgegnete der Alte. – „Nein, gewiß nicht!“ betheuerte der Spötter. „Die Geschichte ist viel zu ernst und interessant dazu.“ – „Aber Sie haben sie ja schon oft gehört.“ – „Einerlei, so etwas kann man nie genug hören.“ – „Bitte, lieber Herr Lehmann, erzählen Sie!“ schmeichelte auch Fräulein Soninka, da konnte er nicht widerstehen. Mit gekreuzten Beinen setzte er sich uns gegenüber, wie ein kirgisischer Schamane, und begann mit verschämtem Lächeln:

„Es ist jetzt schon ziemlich lange her, die Ueberschwemmung war gerade sehr groß, stärker als gewöhnlich, da machte ich mich eines Morgens in der Duschakupka auf, um nach einigen Skirden (Heuschobern) zu sehen, die ich gefährdet glaubte. Lustig und guter Dinge fuhr ich dahin, bald mußt’ ich mich durch dichtes Schilf arbeiten, bald durch Baumäste, aber ich kannte so ziemlich die Richtung, wenn auch zu Wasser Alles ganz anders aussieht, wie zu Land. Endlich kam ich in’s Freie, wie ein weiter See lag es vor mir, ich strebte quer hinüber nach einer Waldspitze, der Marke meiner Fahrt. Aber auf einmal fand ich mit der Stange keinen Grund mehr und eine heftige Strömung riß mich fort, gerade nach der entgegengesetzten Seite. Aergerlich stieß ich fortwährend rechts und links um mich, den Boden zu suchen, plötzlich fand ich ihn auch, hatte aber so tief und kräftig eingestoßen, daß mir die Stange entfuhr und ich nun hülflos dahin schwamm. Eine schöne Geschichte! dacht’ ich, war aber keineswegs verzagt, denn schon befand ich mich wieder zwischen den Bäumen. Ich versuchte einen Ast abzureißen, um mich seiner als Ruder zu bedienen, aber auf einem solchen kleinen Seelenverkäufer, der bei jeder Verletzung des Gleichgewichts umkippt, und bei der heftigen Strömung ging das durchaus nicht. Ich ergab mich daher in mein Schicksal, kauerte nieder, damit mich die Zweige nicht aus dem Schifflein schleudern konnten, trank einen Schluck Branntwein, den ich glücklicherweise bei mir führte, und trieb dahin. Nur vor Einem hatte ich Angst, nämlich, daß die Fluth mich dem großen Strom zuführe, dann wär’ ich in meiner Nußschale verloren gewesen. Allein so weit kam es glücklicherweise nicht. Als ich nach langen, bangen Stunden endlich wieder in ein ruhigeres Fahrwasser gekommen war, [751] beschloß ich, mich in Sicherheit zu bringen, ehe die Nacht hereinbreche. Mein guter oder böser Stern führte mich zu einem gewaltigen Weidenbaum, dessen Krone eben über dem Wasserspiegel hervorragte; ich hielt mich an den Aesten fest, und nach vielen vergeblichen Versuchen glückte es mir, einen derselben durch den Ring meines Fahrzeugs zu ziehen und so vor Anker zu gehen. Nachdem ich dasselbe nach Kräften befestigt, schwang ich mich in die Baumwipfel und richtete mich da häuslich ein. Ich muß sagen, ich habe schon besseres Nachtquartier gehabt, meine armen Glieder thaten mir am Morgen so weh, daß das Stehen auf den Aesten, wie ein Kranich, eine wahre Erleichterung war. Neuer Schrecken – das Tageslicht zeigte mir meine Duschakupka verschwunden, das Wasser war um mehrere Arschinen gestiegen, und ich saß auf dem Baume. Herunter konnte ich nicht, denn ich schwimme wie eine bleierne Ente, auf Erlösung durfte ich in dieser Wildniß nicht rechnen, nur im Verlaufen des Wassers war Rettung. Also abwarten! Aber das war schwer. Was soll ich’s weiter ausmalen? Drei Nächte und zwei Tage hatte ich schon auf dem verfluchten Baume – ich habe ihn mittlerweile abgehackt! – zugebracht, der Hunger quälte mich furchtbar, der Schnaps war alle, es begannen vor meinen Augen rothe Feuerringe zu kreisen, ein unüberwindlicher Schwindel befiel mich, es war, als flüstere mir ein heißer Athem in’s Ohr: Wirf Dich hinab, dann ist’s vorbei! Da auf einmal klang es, wie eine ferne Menschenstimme – gewaltsam riß ich mich empor – ja, ja, ein helles Lied scholl über’s Wasser. Hülfe, hierher, Hülfe! brüllte ich, wie ein geschundener Wolf – das Liedlein schwieg, ein Ruf gab Antwort, und gleich darauf trat eine breite Lodka (Boot) voll Heu zwischen die Bäume, gerudert von einer strammen Dirne, die verwundert nach dem Vogel umschaute, der so laut sich kundgethan hatte. Als sie mich sah, fing sie an zu lachen, daß sie auf’s Heu fiel, aber in demselben Augenblick lag ich auch neben ihr und regte mich nicht mehr. Erschrocken fuhr sie hurtig davon, – sie hielt mich für todt und gestand später, daß sie unterwegs nicht übel Lust gehabt habe, den ungebetenen Gast auszuladen; allein der Himmel gab ihr bessere Gedanken ein und so brachte sie mich glücklich nach Kaprilowka vor und in das Haus ihrer Mutter. Hier lag ich ein paar Tage im Fieber – ich konnte gar nicht von dem verwünschten Baum herunter kommen! – die guten Seelen pflegten mich liebreich – und so hat sich’s gemacht!“

„Aber, Lehmann,“ fragte der Gutsherr, „habt Ihr es denn niemals bereut? Ihr, ein gebildeter Mann, ein Ausländer, ein Schriftgelehrter, und ein kleinrussisches Bauermädel? Wie klappte denn das zusammen?“

„Es ging!“ erwiderte der Schatzgräber, „was das Eine zu wenig hatte, hatte das Andere genugsam, das gibt die besten Ehen. Meine Warinka war ein hübsches, gutes Kind; sie braute ihren Quaß und kochte ihren Borscht, trotz Einer, und dann“ – fügte er heimlich hinzu – „sie war ein Sonntagskind. Geboren Schlag zwölf Uhr Mittags am heiligen Lichtmeßtag. Sie sah mehr, wie die Andern. Aber ich darf’s nicht sagen. Und die Mutter, die alte Mariwan, das war eine kluge Frau, konnte das Feuer besprechen, Menschen und Vieh curiren, und sonst noch Vieles. Ich habe Manches von ihr gelernt. Nein, nein, bereut hab’ ich’s niemals!“

„Nun, dann ist der Weidenbaum doch dein Glück gewesen, Schatzgräber,“ sagte der Onkel.

Nach einem herzlichen Abschied von dem sonderbaren Einsiedler ritten wir weiter durch Wiesen und Wald. Ein paar Mal ward noch die Jagd versucht, aber ohne andere Ausbeute, als einen hübschen Sperber, den ich erlegte, um nur etwas geschossen zu haben. Allmählich neigte sich die Sonne zum Untergang, wir trabten auf dem Heimweg. Plötzlich gab unsere Amazone ihrem Tscherkessen die Peitsche und stob vor uns dahin, wie eine Windsbraut; in wenigen Augenblicken war sie uns aus dem Gesicht. In der Erwartung, sie werde ihr Pferd nur eine Strecke weit ausgreifen lassen, beeilten wir uns nicht besonders, sie einzuholen. Allein sie war und blieb verschwunden, wie weiter und schneller wir auch ritten. Es begann schon zu dunkeln, unsere lauten Rufe hallten durch die Waldung – keine Antwort! Eine eigenthümliche Unruhe überkam uns Alle.

„Sie hat sich verirrt!“ rief der Onkel, „die vielen Flüsse – die Nacht – es muß etwas geschehen!“

„Ganz recht,“ entgegnete sein Neffe, „reite Du im Galopp gerade aus, Sie aber“ – zu mir gewendet – „schlagen diesen Pfad links ein, er führt direct zur Fähre und nach Gruschewka, ich mit dem Reitknecht wende mich rechts, um ihn draußen in die Dörfer zu senden – auf der Steppe treffen wir uns wieder; wer sie findet, feuert die Flinte ab!“ Und dahin sprengten Alle nach verschiedenen Richtungen, ich war allein in der doppelten Nacht des Urwalds.

Unvergeßlich wird mir dieser Ritt sein. Mein Pferd überließ ich ganz sich selbst, es wußte jedenfalls besseren Bescheid, als ich. In dem falben Zwielicht, das der aufgehende Vollmond durch die Wipfel warf, zeichneten sich die seltsamen Stämme der Bäume in den phantastischsten Gestalten viel schroffer, als bei Tageslicht, unheimlich rauschte der Nachtwind im Laub, Fledermäuse schwirrten dicht umher, und schauerlich klang der tiefe Schrei der Uhus durch den Wald. Da und dort flimmerte faulendes Holz mit bläulichem Schein, große Nachtfalter flogen mir in’s Gesicht, zwischen dem Röhricht blinkten mondbeschienene Lagunen hervor, wie Riesengespenster standen die grauen Weiden darin. Und plötzlich stieg ein Irrwisch vor mir auf. Ich hatte noch keinen gesehen, glaubte nicht einmal an die Existenz dieser Sumpfphantome – aber dort, vor mir, tanzte wahrhaftig ein helles Lichtlein. Unwillkürlich zog ich die Zügel an. In demselben Augenblick bellte ein Hund und eine laute barsche Stimme rief gut deutsch: „Wer da?“ „Gut Freund!“ gab ich reglementsmäßig zur Antwort; sogleich erschien ein weiter heller Kreis auf dem Pfad und in dessen Mittelpunkt die auffallende Gestalt des Schatzgräbers mit seinem Spaten und seinem Hund. „Wie kommen Sie hierher?“ fuhr er mich ganz verdrießlich an. Mit wenigen Worten erklärte ich ihm die Sache; er schien sehr unwirsch. „Nur gerade aus! Sie sind auf dem rechten Wege!“ rief er und drehte sich um; als hätte ihn die Erde verschluckt, war er sammt seiner Laterne verschwunden. Nach einem Paar hundert Schritten gelangte ich auch auf die freie Steppe. Gleich darauf fiel ein Schuß, dann noch einer, ich gab dieselbe Antwort, und ein Reiter sprengte gegen mich an. „Gefunden?“ fragte ich. „Gefunden!“ antwortete der Gastfreund, „Soninka ist längst zu Hause, jetzt waren Sie es, der uns Sorge machte. Aber nunmehr lassen Sie Ihren Klepper die Eisen fühlen!“

Wie wohl that der helle Glanz des Speisesaals und der Anblick der langen, gedeckten Tafel den ermüdeten Urwaldpionieren! Alle Magenfreuden der Steppe und des Südens standen in reicher Fülle aufgetischt, Haselhühner und Wachteln, Trauben und Arbusen, kühlende Badwinia (Fischsuppe) und dampfender Borscht, Boklaschani und Sterlet, und wie die Herrlichkeiten alle heißen mögen, nicht zu vergessen den feurigen Zarski Riesling der Krim in Eis. „Es ist recht romantisch draußen in den Plawni,“ sagte der Onkel, „aber ich lobe mir doch die Civilisation!“

Die rasche Flucht unserer holden Amazone, über welche sie bei der Tafel manch’ anzügliches Wörtchen hatte hören müssen, ohne viel darauf zu antworten, wurde erst nach derselben erklärt. Denn da wurden wir Alle hinausgedrängt aus dem Saale in ein Nebenzimmer, es galt eine Ueberraschung. Und die war es. Als wir wiederum herein gelassen worden, hatte sich der Salon zur Hälfte in ein Theater verwandelt; eine vierhändig gespielte Ouvertüre empfing uns, dann rauschte der Vorhang auseinander. Körners Nachtwächter wurde gegeben, und zwar so gegeben, wie man ihn schwerlich je gesehen hat oder sehen wird. Denn die Schauspieler waren lauter Mädchen, und zwar schöne, holde, und sie spielten natürlich zum Entzücken. Soninka als Tobias Schwalbe hätte des reizenden Röschens Abneigung gegen den ehrlichen Nachtwächter unbegreiflich erscheinen lassen, wenn die beiden Studenten, Herr Ernst Wachtel (Lysinka) und Herr Karl Zeisig (Lotti) nicht gar so allerliebst gewesen wären mit ihren zierlichen Schnurrbärtchen, und dabei so ernst, so tief im Geist ihrer geistreichen Rollen! Und als zuletzt der liebenswürdige Nachtwächter hoch auf dem mächtigen Ofen saß, der das Brunnenhäuschen vorstellte, und verzweifelnd herunter tutete, und die schönere Hälfte der Zuschauer sich plötzlich in das Chor der Nachbarn verwandelte – wer hätte da nicht lachen müssen bis zu Thränen? Prächtig war der Abend oder vielmehr die Nacht, die dem schönen Tage folgte; alle Müdigkeit war vergessen, nach dem Schlusse des Schauspiels wurde noch lustig getanzt zu dem Piano, schon zehnmal hatte die würdige Mutter gesagt: „Kinder, nun ist’s genug!“ Aber endlich hat Alles ein Ende. – Man weiß auch in der Steppe zu leben, besonders die Deutschen!

[752]

Der Letzte der Hohenstaufen.

Wir hatten Neapel gesehen und seine Herrlichkeiten, sein reiches Museum, seinen rauchenden Berg und seinen prächtigen Golf. Wir hatten uns erbaut und belehrt an den Denkmälern vergangener Größe und verblichenen Glanzes in Pompeji und Herculanum, wir hatten den Zaubergarten von Sorrent, die Sireneninsel Capri und die griechischen Tempelruinen von Pästum besucht, und waren voll des Entzückens über all’ den Reichthum, den Kunst und Natur hier auf diesem kleinen Fleck Erde zusammengehäuft. Ein reicher Gottesgarten, unmittelbar aus der Höhe des Himmels hierher niedergelassen, ein classischer Boden, darauf jeder Schritt uns die stolzen Zeiten römischer Blüthe und Herrschaft ins Gedächtniß ruft, eine große azurüberwölbte Kunsthalle, darin wir allenthalben die Werke der Schönheit erblicken, unser Herz zu erfreuen und unsern Geist zu bilden.

Es blieb uns noch Eins übrig. Der Geschichte des Landes, soweit sie der jetzigen Culturperiode angehört, hatten wir noch wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Und in der That, Neapel und seine Umgebung bieten darin mehr, als man beim ersten Anblick vermuthen sollte. In einer Zeit, wo wieder deutsches Blut die italische Erde genetzt hat, wo wieder auf’s Neue der unselige Kampf entbrannt war zwischen dem deutschen Adler und dem französischen Geier, – da gerade mehr als je geziemt es wohl, sich auch die Denkmäler früherer Kämpfe, die Spuren des kostbaren deutschen Blutes aufzusuchen und als theuere Reliquien zu verehren.

Wir gingen nach der Kirche Maria del Carmine, um dort das Grab des unglücklichen Heldenjünglings Conradin, des Letzten der gewaltigen Hohenstaufen, zu besuchen. Nicht anders wie die Ruinen des Schlosses zu Heidelberg und die Trümmer der Kaisergräber im Dome zu Speyer, nicht anders wie Andreas Hofer in Mantua und die Schill’schen Officiere in Wesel am Rhein, so steht sein Marmorbild hier am Fuße des Vesuv, eine Schandsäule französischer Grausamkeit und französischen Uebermuthes.

Heinrich VI. von Hohenstaufen, Sohn Friedrich Barbarossa’s, hatte 1194 die Tochter Rogers, des Königs von Neapel und Sicilien, geehlicht und dadurch nach dessen Tode dieses Reich auf gesetzmäßige und rechtliche Weise mit der deutschen Kaiserkrone vereinigt. Unmittelbar war es deren rechtmäßiges Eigenthum geblieben, bis Conrad, der zweite Sohn des durch sein kräftiges Auftreten gegen den Uebermuth der Päpste so ausgezeichneten Friedrich II., starb. Sein Sohn, von den Italiänern Conradino, der kleine Conrad genannt, war noch minderjährig. Für ihn führte Manfred, Fürst von Tarent, ein natürlicher Sohn Friedrichs II., die Regierung. Im Jahre 1261 nun bestieg Urban IV. den päpstlichen Stuhl. Sein Hauptbestreben war, die alten Streitigkeiten mit den deutschen Kaisern wieder aufzunehmen, was um so leichter thunlich war, als der Bannspruch noch auf ihnen lastete. Die alten furchtbaren Parteikämpfe der Guelfen und Ghibellinen wurden wieder angefacht, und um das Maß voll zu machen, rief man den Bruder des Königs von Frankreich, Karl von Anjou, Grafen der Provence, herbei und versprach ihm die Herrschaft Unteritaliens, wenn es ihm gelingen sollte, die Kirche und das Land von der angeblich verruchten Herrschaft der Hohenstaufen zu befreien.

Und wirklich, die herbeigerufene Hülfe war würdig des gemeinen Unternehmens. Denken wir uns sämmtliche Barbarei des Mittelalters in einem Manne vereinigt und personificirt, so haben wir ein nur umschriebenes aber klares Bild dieses Befreiers von Italien. So schildern ihn die Schriftsteller seiner Partei und seine eigenen Thaten. Mit vollen Händen griff er, getrieben von seiner ehrgeizigen Gemahlin Beatrix, nach den Bedingungen, die ihm durch eine eigene Gesandtschaft Urban’s vorgelegt wurden, zog im Juni 1265 über die Bergpässe nach Piemont, drang durch Oberitalien und den Kirchenstaat und besiegte 1266 in der Schlacht von Benevento im südlichen Italien mit Hülfe italienischen Verrathes den ritterlichen Manfred. Dieser selbst hatte würdig seiner selbst und seiner großen Vorfahren im Getümmel der Schlacht seinen Tod gesucht und gefunden, als er sich von seinen italienischen Freunden feige und treulos verrathen sah. Sie waren, Richard von Caserta an ihrer Spitze, während des Kampfes zu Karl übergegangen. Nicht lange darnach hielt der Franzose Anjou seinen feierlichen Einzug in die Hauptstadt Neapel und begann von dort aus im Lande umher derart zu morden, zu brennen und zu plündern, daß selbst sein Schutzherr, der Papst, ihm die wiederholtesten und bittersten Vorwürfe machte über „so unerhörte Habsucht, Wollust und Blutdurst.“ Italien war befreit! –

Aber noch war ein kräftiger Zweig des markigen Stammes übrig. Im Herbste des Jahres 1267 zog der 16jährige Conradin mit 10000 Mann über die Alpen, um sein verlorenes Erbtheil wieder zu erobern. Die Ghibellinen Italiens empfingen ihn mit offnen Armen. Alles jubelte in der frohen Hoffnung, nun bald den päpstlichen und französischen Einfluß los zu werden. Leider jedoch blieb es nicht so. Noth und Geldmangel stellte sich ein unter den Söldnern des jungen deutschen Königs. Nicht weniger als 7000 davon verließen ihn und kehrten nach Deutschland zurück, und die Ghibellinen wurden mißtrauisch in den Erfolg der Hohenstaufen’schen Waffen. Conradin ließ sich nicht irre machen in dem, was er als gut und recht erkannt und durchzuführen sich vorgenommen hatte. Unter mannichfachen Schwierigkeiten drang er bis Rom vor. Hier wurde er von seiner großen und mächtigen Partei im Triumphe eingeholt und nach dem Capitol geführt. Er entzündete Alles durch die Schönheit und Heiterkeit seiner Gestalt und die Liebenswürdigkeit seines Wesens. Papst Clemens – Urban war mittlerweile gestorben – war geflohen. Von Rom ging der Zug bald weiter gegen Süden bis zur palentinischen Ebene, wo Karl von Anjou seiner wartete. Bei Scurcola (Tagliacozzo) kam es zur Schlacht. Die Deutschen schienen bereits so vollständig gesiegt zu haben, daß sie sich schon rücksichtslos ihrer Freude überließen, die Beute vertheilten, sich entwaffneten und sogar theilweise in den kühlen Fluthen des Salto badeten, um sich von den harten und blutigen Anstrengungen des heißen Sommertages – es war der 24. August 1268 – zu erholen. Da brach Erard von Valerz[WS 3] mit 700 französischen Reitern, die bis dahin in einem verborgenen Hinterhalte aufgestellt waren, auf die sorglosen Schaaren Conradins ein. Jede Bemühung sie zu sammeln und zu ordnen war vergebens, die Schlacht, welche nach Karls Bericht an den Papst härter und blutiger war, als die bei Benevent, war verloren. Conradin, sein jugendlicher Freund Friedrich von Oesterreich und einige andere Getreue entkamen nach Astura am Meere, von wo sie nach dem befreundeten Sicilien überzusegeln gedachten, wurden aber hier von Johannes Frangipani, einem Manne, der den Hohenstaufen sein ganzes Glück verdankte, verrathen und an Karl von Anjou ausgeliefert. Gemeinen Verbrechern gleich wurden sie nach Neapel gebracht und vor Karl’s Richterstuhl gestellt.

„Auf unparteiischem, leidenschaftslosem, rechtlichem Wege“ – so erzählt Raumer, dessen classische Darstellung wir unverkürzt wiedergeben wollen – „solle über das Schicksal der Gefangenen entschieden werden: deshalb ließ der König Richter und Rechtsgelehrte aus mehreren Theilen des Reiches nach Neapel kommen, welche untersuchen und das Urtheil sprechen sollten. Jeder von ihnen, das hoffte er, werde der Anklage beistimmen: „Conradin sei ein Frevler gegen die Kirche, ein Empörer und Hochverräther an seinem rechtmäßigen Könige und gleich allen seinen Freunden und Mitgefangenen des Todes schuldig.“ Als die Richter diese Anklage vernommen, erschraken sie sehr, wagten aber, der wilden Grausamkeit Karls eingedenk, lange nicht, ihre entgegengesetzte Ansicht unverhohlen darzulegen. Da endlich trat der edle Guido von Sujara hervor und sagte mit lauter, fester Stimme: „Conradin ist nicht gekommen als ein Räuber und Empörer, sondern im Glauben und Vertrauen auf sein gutes Recht. Er frevelte nicht, indem er versuchte, sein angestammtes väterliches Reich durch offenen Krieg wiederzugewinnen; er ist nicht einmal im Angriff, sondern auf der Flucht gefangen, und Gefangene schonend zu behandeln gebietet göttliches wie menschliches Recht.“ Erstaunt über diese unerwartete Erklärung, wandte König Karl, – das niedrige Geschäft eines Anklägers selbst übernehmend und seine eigene Behandlung Benevents vergessend –, hiergegen ein, daß Conradins Leute sogar Klöster angezündet hätten; – worauf aber Guido ungeschreckt erwiderte: „Wer kann beweisen, daß Conradin und seine Freunde das befohlen haben? Ist nicht Aehnliches von andern Herren geschehen? Und steht es nicht allein der Kirche zu, über Vergehen wider die Kirche zu urtheilen?“ – Alle Richter bis auf einen, den unbedeutenden, knechtisch gesinnten Robert von Bari, sprachen jetzt Conradin und seine Gefährten frei; welches preiswürdige Benehmen den König indeß so wenig [753] zur Mäßigung und Besonnenheit zurückbrachte, daß er vielmehr, in verdoppelter Leidenschaft, jeden Schein von Form und Recht selbst zerstörte und frech, jener einzelnen Knechtsstimme folgend, aus eigener Macht das Todesurtheil über alle Gefangene aussprach.

Als Conradin diese Nachricht beim Schachspiel erhielt, verlor er die Fassung nicht, sondern benutzte gleich seinen Unglücksgefährten die wenige ihnen gelassene Zeit, um sein Testament zu machen und sich mit Gott durch Gebet und Beichte auszusöhnen.

Unterdeß errichtete man in aller Stille das Blutgerüst dicht vor der Stadt, nahe bei dem später sogenannten neuen Markte und der Kirche der Karmeliter. Es schien, als sei dieser Ort boshaft ausgewählt morden, um Conradin alle Herrlichkeiten seines Reiches noch einmal zu zeigen. Die Wogen des hier so schönen als friedlichen Meeres dringen nämlich bis dahin, und der diesen herrlichsten aller Meerbusen einschließende Zauberkreis von Portici, Castellamare, Sorrento und Massa stellt sich, durch den blendenden Glanz südlich reiner Lüfte noch verklärt, dem erstaunten Beobachter dar. Auf furchtbare Mächte der Natur deutet jedoch das zur Linken sich erhebende schwarze Haupt des Vesuv, und rechts begrenzen den Gesichtskreis die schroffen, zackigen Felsen der Insel Capri, wo einst Tiberius, ein würdiger Genosse Karls von Anjou, frevelte.

Standbild Conradin’s
in der Kirche Maria del Carmina in Neapel.

Am 29. October 1268, zwei Monate nach der Schlacht bei Scurcola, wurden die Verurtheilten zum Richtplatz geführt, wo der Henker mit bloßen Füßen und aufgestreiften Aermeln schon ihrer wartete. Nachdem König Karl in dem Fenster einer benachbarten Burg einen angeblichen Ehrenplatz eingenommen hatte, sprach Robert von Bari, jener ungerechte Richter, auf dessen Befehl: „Versammelte Männer! Dieser Conradin, Conrads Sohn, kam aus Deutschland, um als ein Verführer seines Volkes fremde Staaten zu ernten und mit Unrecht rechtmäßige Herrscher anzugreifen. Anfangs siegte er durch Zufall; dann aber wurde durch des Königs Tüchtigkeit der Sieger zum Besiegten, und der, welcher sich durch kein Gesetz für gebunden hielt, wird jetzt gebunden vor das Gericht des Königs geführt, welches er zu vernichten trachtete. Dafür wird, mit Erlaubniß der Geistlichen und nach dem Rathe der Weisen und Gesetzverständigen, über ihn und seine Mitschuldigen als Räuber, Empörer, Aufwiegler, Verräther, das Todesurtheil gesprochen und, damit keine weitere Gefahr entstehe, auch sogleich vor Aller Augen vollzogen.“

Als die Gegenwärtigen dies sie größtentheils überraschende Urtheil hörten, entstand ein dumpfes Gemurmel, welches die lebhafte Bewegung der Gemüther verkündete; aber Alle beherrschte die Furcht, und nur Robert Graf von Flandern, des Königs eigener Schwiegersohn, ein so schöner als edler Mann, sprang, seinem gerechten Zorn freien Lauf lassend, hervor und sprach zu Robert von Bari: „wie darfst Du frecher, ungerechter Schurke einen so großen und herrlichen Ritter zum Tode verurtheilen?“ – und zu gleicher Zeit traf er ihn mit seinem Schwerte dergestalt, daß er für todt hinweggetragen wurde. Der König verbiß seinen Zorn, als er sah, daß die französischen Ritter des Grafen That billigten; – das Urtheil aber blieb ungeändert. Hierauf bat Conradin, daß man ihn noch einmal das Wort verstatte, und sprach mit großer Fassung: „Vor Gott habe ich als Sünder den Tod verdient, hier aber werde ich ungerecht verdammt. Ich frage alle die Getreuen, für welche meine Vorfahren hier väterlich sorgten, ich frage alle Häupter und Fürsten dieser Erde: ob der des Todes schuldig ist, welcher seine und seiner Völker Rechte vertheidigt? Und wenn auch ich schuldig wäre, wie darf man die Unschuldigen grausam strafen, welche, keinem Andern verpflichtet, in löblicher Treue mir anhingen?“ – Diese Worte erzeugten Rührung, aber keine That; und der, besten Rührung allein hätte in Thaten übergehen können, blieb nicht blos versteinert gegen die Gründe des Rechts, sondern auch gegen die Eindrücke, die Stand, Jugend und Schönheit der Verurtheilten auf Jeden machten. Da nun, aller Hoffnung einer Aenderung des ungerechten Spruches beraubt, umarmte Conradin seine Todesgenossen, besonders Friedrich von Oesterreich, zog dann sein Oberkleid aus und sagte, Arme und Augen gen Himmel hebend: „Jesus Christus, Herr aller Creaturen, König der Ehren! Wenn dieser Kelch nicht an mir vorübergehen soll, so befehle ich meinen Geist in Deine Hände!“ Jetzt kniete er nieder, rief aber dann noch einmal, sich empor richtend, aus: „o Mutter, welches Leiden bereite ich Dir!“ Nach diesen Worten empfing er den Todesstreich. – Als Friedrich von Oesterreich das Haupt seines Freundes fallen sah, schrie er in unermeßlichem Schmerze so laut auf, daß Alle anfingen zu weinen. Aber auch sein Haupt fiel. Nach diesen mordete man noch Mehrere. Die Leichen der Hingerichteten wurden nicht in geweihter Erde begraben, sondern am Strande des Meeres verscharrt.

Zu all diesen Herzzerreißenden Thatsachen, die man nach genauester Prüfung als geschichtlich betrachten muß, hat Sage und Dichtung noch Manches hinzugefügt, was den schönen Sinn Theilnehmender bekundet, aber mehr oder weniger der vollen Beglaubigung ermangelt. Ein Adler, so heißt es, schoß nach Conradins Hinrichtung aus den Lüften berab zog seinen rechten Flügel durch das Blut und erhob sich dann aufs Neue. Der Henker ward, damit er sich nicht rühmen könne, solche Fürsten enthauptet zu haben, von einem Andern niedergestoßen. Die Stelle des Richtplatzes ist, ein ewiges Andenken der thränenwerthen Ereignisse, seitdem immer feucht geblieben. Conradins Mutter eilte nach Neapel, ihren Sohn zu lösen, kam aber zu spät und erhielt blos die Erlaubniß, eine Kapelle über seinem Grabe zu bauen; mit welcher Erzählung unvereinbar Andere jedoch wiederum berichten, daß die Karmeliter aus Mitleid oder für Lohn den Leichnam Conradins nach Deutschland gebracht hätten u. s. w.

Soviel ist gewiß, daß eine starke Säule von rothem Porphyr und eine darüber erbaute Kapelle, – mögen sie nun später von reuigen Königen, oder theilnehmenden Bürgern, oder auf Kosten Elisabeths aufgerichtet worden sein, – Jahrhunderte lang die Blutstelle bezeichneten, bis in unsern gegen Lehren und Warnungen der Vorzeit nur zu gleichgültigen Tagen die Säule weggebracht, die Kapelle zerstört und an ihrer Stelle ein Schenkhaus angelegt wurde!“

Soweit über Conradin und dessen Begräbnißstätte der große, deutsche Historiker. An Ort und Stelle erfuhren wir, daß Kirche und Kloster Maria del Carmine von Conradins Mutter, Elisabeth von Baiern, mit dem Gelde gegründet worden sei, das sie zu seiner Loskaufung mitgebracht hatte, eine Angabe, die durch den Baustyl der Kirche, welcher unzweifelhaft dem Beginn der Zopfperiode angehört, mehr als unwahrscheinlich gemacht wird. Ihr Aeußeres entspricht ganz dem traurigen, nichtssagenden Geschmacke des 16. und 17. Jahrhunderts, das Innere ist reich mit Marmor, Gold, Schnörkeleien und Posaunenengeln überladen. Hinter dem Hochaltar befindet sich das gemeinschaftliche Grab der beiden ritterlichen Freunde, Conradin und Friedrich. Einer der Mönche des Klosters führte uns dorthin und zeigte uns beim Schein einer Wachskerze zwei seitlich angebrachte Tafeln, eine alte, die uns mittheilt, daß hier die sterblichen Ueberreste der beiden Helden Ruhe gefunden, und eine neuere mit der Inschrift, daß die irdische Hülle Conradins am 14. Mai 1847 von hier weggebracht und unter seinem Standbilde beigesetzt sei. Ein schwerer, marmorner Sarkophag in Rococo deckt die Grabstätte. Es scheint ganz unzweifelhaft, [754] daß zur Zeit der Herrschaft des Hauses Oesterreich, welches zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Krone Neapels gewann, dem Grabe diese Decoration gegeben wurde. Würdiger wußte der jetzt regierende König von Baiern das Andenken seines erhabenen Verwandten zu ehren. In der Mitte der Kirche, der Kanzel gegenüber, steht auf mächtigem Piedestal das überlebensgroße Standbild Conradins, nach Thorwaldsen’s Modell von Schöpf aus München kunstvoll in carrarischem Marmor gemeißelt. Das jugendfrische Haupt mit feinen klaren Augen, kräftigen Zügen und langwallenden Locken ziert die Königskrone, ein faltenreicher Mantel deckt den mit einer kurzgeschürzten Tunika bekleideten schlanken Körper, die eine Hand hält das breite Schwert, die andere ist mit energischem, aber doch anmuthigem Ausdruck in die Seite gestemmt. Eine tiefe Rührung überkommt uns, wenn wir bewundernd dastehen vor dieser Bildsäule voll Leben und Wahrheit. Wir denken wieder an alle Kraft und Herrlichkeit des gewaltigen Hohenstauffen’schen Geschlechtes, wir denken an sein Ringen mit der Macht des römischen Stuhles, wir denken an den freien Flug seiner Geister, wir denken endlich an seinen traurigen, aber nichtsdestoweniger stolzen und erhabenen Untergang. Wie ein Mann, so faßte der Knabe Conradin den Plan, seine angestammten Rechte in Italien geltend zu machen, so kämpfte er dafür in der heißen Schlacht von Scurcola und so stieg er ruhig und gefaßt auf das Schaffot – würdig in Allem seiner großen und gewaltigen Ahnherrn. Gleich einem lebendigen Drama wirkt das Beschauen seines Bildnisses auf uns ein. Es ist das Schicksal eines Titanengeschlechtes verkörpert in einer Person, seine welterschütternde Größe und sein tragischer Fall, seine männliche Tugend und seine unheilvolle Schuld ... ja seine Schuld – denn warum trugen die großen Kaiser unablässig, wie von einem bösen Fatum getrieben, ihre besten Kräfte nach Italien, während es daheim im deutschen Lande genug zu wirken gab für den Kriegsherrn wie für den Fürsten? – „Und jede Schuld rächt sich auf Erden.“ Das Piedestal trägt folgende Inschrift in gothischen Lettern:

Maximilian Kronprinz
von Bayern
errichtet dieses Denkmal
dem Verwandten seines Hauses,
dem König Conradin,
dem Letzten der Hohenstaufen,
im Jahre 1847, den 14. Mai.

Zu beiden Seiten befinden sich vortreffliche Reliefs, das eine der Abschied Conradins von seiner Mutter, das andere das schmerzliche und letzte Umarmen Conradins und Friedrichs vor dem Henker. Sie erhöhen das Ergreifende und Tragische der Wirkung in sinnentsprechender Weise. Die von Raumer erwähnte Säule wird gegenwärtig in der nahegelegenen Kirche Santa Croce al Mercato aufbewahrt. Sie trägt folgende Inschrift:

Asturis ungue leo pullum rapiens aquilinum
Hic deplumavit, acephalumque dedit.

(Zu Astura ergriff der Löwe den jungen Adler mit seiner Klaue, hier zerraufte und tödtete er ihn.) In der Nähe steht ein kleines, unbedeutendes Kaffeehaus. Hier soll die Stelle sein, wo man das Schaffot errichtet hatte.

Und so sehen wir den jungen Königsadler fallen, der, eben erst dem Neste entflohen, seinen kühnen Flug wendet nach den Gipfeln der Apenninen und des Aetna, um dort zu siegen und zu herrschen. Er war treu geblieben der Kraft und dem Gedanken seiner Väter, und darum mußte auch er ihr Schicksal theilen, Großes zu wollen und zu erstreben, aber in dem Ringen darnach zu erliegen. Und ist es nicht ein ergreifendes Moment, zu sehen, wie das sich ewig rächende Geschick gerade den Unschuldigsten und Jungfräulichsten des geistesmächtigen Geschlechtes ausgewählt, um daran in letzter Entscheidung das bittere Vergelten zu üben und zum letzten Male die alten Fehler zu sühnen? Ist es nicht ein erhabenes Schauspiel, zu gewahren, wie gerade in dem Jüngsten und Letzten des Heldengeschlechtes sich alle Größe und alle Mannestugend vereinigt, die mit starker Hand zweihundert Jahre lang Deutschland regierte und die fortgeerbte Gewalt Gregor’s VII. erschüttern machte, um dann zu sinken, groß und gewaltig wie sie gelebt? Aber nur dem Verrath konnte es gelingen, einen Manfred zu besiegen, und nur der schnödesten Verhöhnung alles göttlichen und menschlichen Rechtes, einen Conradin zum Richtplatz zu schleppen. Jedoch auch diese Schuld mußte sich rächen, noch ehe das Jahrhundert zu Ende gegangen. Dem blutigen Schauspiele in Neapel folgte bald das noch blutigere in Sicilien, bekannt unter dem Namen der sicilianischen Vesper, wo die Befreier Italiens bis auf den letzten Mann aus dem apulischen Reiche vertrieben wurden. –




Wunderdoctoren und Magnetiseure.

(Fortsetzung.)


Mesmer heilt mit Handauflegen. – Mesmer’s Salon und seine magnetische Operation. – Schöne junge Männer als Magnetiseure. – Mesmer’s Schwindel der Wissenschaft gegenüber. – Schilderung des Zustandes der Magnetisirten. – Wüstlinge als Magnetiseure.

Mesmer behauptete vor Allen, die ihn anhören wollten, die magnetische Materie oder das magnetische Fluidum durchdringe das ganze Weltall – jeder menschliche Körper enthalte es und könne den Ueberfluß davon durch Aufbietung der Willenskraft einem Andern mittheilen. In einem Briefe an einen Freund in Wien sagte er: „Ich habe bemerkt, daß das magnetische Fluidum beinahe dasselbe ist, wie das elektrische, und daß es auf dieselbe Weise mit Hülfe vermittelnder Körper übergetragen werden kann. Stahl ist nicht die einzige Substanz, welche zu diesem Zwecke taugt. Ich habe Papier, Brod, Wolle, Seide, Steine, Leder, Glas, Holz, Menschen und Hunde – kurz alles, was ich berührte, in solchem Grade magnetisch gemacht, daß diese Substanzen auf kranke Personen dieselben Wirkungen hervorbrachten, wie die Elektricität.“

Mesmer fand seinen Aufenthalt in Wien nicht lange so angenehm, als er wünschte. Seine Behauptungen fanden nur Gleichgültigkeit oder Verachtung und er beschloß daher, sich einen andern Wirkungskreis zu suchen. Er reiste demgemäß nach Schwaben und nach der Schweiz. In dem letztern Lande lernte er den berühmten Pater Gaßner kennen, der zu seinem Vergnügen Teufel austrieb und die Kranken dadurch heilte, daß er blos die Hände auf sie legte. Bei seiner Annäherung fielen zarte Mädchen in Convulsionen und Hypochonder glaubten sich geheilt. Sein Haus ward täglich von Lahmen, Blinden und Leidenden aller Art belagert.

Mesmer erkannte sofort die Wirksamkeit dieser Curen an und erklärte, daß sie das unzweifelhafte Resultat seiner neuentdeckten Kraft des Magnetismus seien. Einige Patienten des Paters wurden sofort Mesmer’s Manipulationen unterzogen und an ihnen dieselben Resultate erzielt. Hierauf versuchte er seine Hand an einigen Kranken in den Hospitälern zu Bern und Zürich, und es gelang ihm, nach seiner eigenen Versicherung – obschon diese von keiner Seite bestätigt oder unterstützt ward – Blinde und Gichtbrüchige zu heilen. Mit dieser Versicherung kehrte er nach Wien zurück, in der Hoffnung, seine Feinde zum Schweigen zu bringen oder sie wenigstens zu zwingen, seinen neuerlangten Ruf zu respectiren und sein System aufmerksamer zu prüfen.

Sein zweites Erscheinen in dieser Hauptstadt war jedoch kein glücklicheres, als das erste. Er unternahm es, die damals berühmte Sängerin Paradis zu heilen, welche stockblind war und an epileptischen Zufällen litt. Er magnetisirte sie mehrmals und erklärte dann, sie sei geheilt – wenigstens sei, wenn sie es nicht sei, dies ihre eigene Schuld, aber nicht die seinige. Ein ausgezeichneter Augenarzt jener Zeit, Namens Barth, besuchte sie und erklärte, sie sei noch eben so blind, als vorher, während ihre Familie sagte, daß sie auch den epileptischen Zufällen noch eben so unterworfen sei, wie früher. Mesmer behauptete dennoch, sie sei geheilt. Er erklärte, man habe sich gegen ihn verschworen und Fräulein Paradis stelle sich blos blind, um seinem Rufe zu schaden (!). Die Folgen dieser vorgeblichen Cur bewiesen Mesmer, daß Wien nicht der rechte Platz für ihn sei. Paris, die Stadt des Müßiggangs, der Ausschweifung, der Vergnügungssucht und des Haschens nach Neuigkeiten, war der Schauplatz für einen Mann wie er, und demgemäß begab er sich dorthin.

[755] Im Jahr 1778 kam er in Paris an. Anfangs fand er nur geringe Ermuthigung und er sah, daß die Leute geneigter waren, über ihn zu lachen, als ihn in Schutz zu nehmen. Er war jedoch ein Mann, der großes Selbstvertrauen und eine Ausdauer besaß, die durch keinerlei Schwierigkeiten besiegt werden konnte. Demgemäß miethete er eine prachtvolle Wohnung und gestattete den Zutritt in dieselbe Allen, welche mit der neuen Naturkraft einen Versuch zu machen wünschten. Herr d’Eslon, ein sehr berühmter Arzt, erkannte Mesmer’s Theorie als richtig an, und von dieser Zeit an ward der thierische Magnetismus oder, wie Manche ihn nannten, der Mesmerismus in Paris Mode. Die Frauen namentlich schwärmten dafür und verbreiteten den Ruf der neuen Entdeckung in allen Kreisen der Gesellschaft. Mesmer ward der Löwe des Tages, und Vornehm und Gering, Reich und Arm, Leichtgläubige und Zweifler – alle eilten, sich von der Macht dieses gewaltigen Zauberers zu überzeugen.

Mesmer, der so gut als irgend Jemand den Einfluß der Phantasie kannte, beschloß, daß in dieser Beziehung es an nichts fehlen sollte, was die Wirkung des magnetischen Zaubers erhöhen könnte. In ganz Paris gab es kein Haus, welches so wunderschön eingerichtet und ausgestattet war wie das Mesmer’s. Kostbare Glasmalereien ließen ein gedämpftes, geheimnißvolles Licht in die geräumigen Salons fallen, die mit Spiegeln beinahe bedeckt waren. Orangeblüthen erfüllten die Corridors mit Wohlgeruch, Weihrauch dampfte in antiken Vasen auf den Kaminsimsen, Aeolsharfen seufzten melodische Musik aus fernen Zimmern, während zuweilen eine sanfte weibliche Stimme von oben oder von unten leise das geheimnißvolle Schweigen unterbrach, welches in dem Hause herrschte und Allen, die es besuchten, zur strengen Pflicht gemacht ward. Die magnetische Operation selbst fand in folgender Weise statt.

In die Mitte des Salons ward ein ovales Gefäß gesetzt, dessen längster Diameter ungefähr vier Fuß und dessen Tiefe einen Fuß betrug. In dieses Gefäß wurden eine Anzahl mir magnetisirtem Wasser gefüllte, gut mit Korken verschlossene Flaschen strahlenförmig und so gelegt, daß die Hälfe nach außen gerichtet waren. Hierauf ward Wasser in das Gefäß gegossen, sodaß es die Flaschen eben nur bedeckte, und dann und wann Eisenfeilspäne hineingeworfen, um die magnetische Wirkung zu erhöhen. Sodann ward das Gefäß mit einem eisernen Deckel verschlossen, in welchem eine Menge Löcher angebracht waren. Aus jedem dieser Löcher ragte ein langer beweglicher eiserner Stab hervor, mit dem die Patienten den kranken Theil ihres Körpers berühren sollten. Um diesen Apparat herum saßen die Patienten, hielten einander bei der Hand und drückten ihre Kniee so fest als möglich an einander an, um das Ueberströmen des magnetischen Fluidums von Einem zu dem Andern zu erleichtern. Dann traten die Magnetiseurgehülfen ein, meistens starke, schöne junge Männer, um aus ihren Fingerspitzen neue Ströme des wunderbaren Fluidums in die Patienten zu ergießen. Sie faßten den Patienten zwischen die Kniee, rieben ihm sanft das Rückgrat und stierten ihn unverwandt an, um ihn durch das Auge zu magnetisiren. Während dieser ganzen Zeit herrschte unverbrüchliches Schweigen, mit Ausnahme einiger raschen undeutlichen Gänge auf einem fernen Piano oder der melodischen Stimme einer verborgenen Sängerin, die sich in langen Zwischenräumen hören ließ. Allmählich begannen die Wangen der Damen zu glühen, ihre Phantasie erhitzte sich immer mehr und eine nach der andern verfiel in Convulsionen. Einige schluchzten und zerrauften sich das Haar, andere lachten, bis ihnen die Thränen aus den Augen flossen, während noch andere schrieen, heulten und kreischten, bis sie die Besinnung ganz verloren.

Dies war die Krisis des Deliriums. Mitten in derselben erschien die Hauptperson – Mesmer selbst. Wie Prospero schwang er seinen Stab, um neue Wunder zu wirken. In ein langes Gewand von violetter, reich mit goldenen Blumen gestickter Seide gehüllt, trug er in seiner Hand einen weißen magnetischen Stab und kam mit würdevollem Blick wie ein morgenländischer Kalif feierlich in das Zimmer hereingeschritten. Die, welche noch nicht ganz ihrer Besinnung beraubt waren, bezwang er durch sein Auge, und ihre Convulsionen wurden minder heftig. Den Besinnungslosen strich er mit den Händen über die Augenbrauen und das Rückgrat herab, beschrieb mit feinem langen weißen Stabe allerhand Figuren auf ihrer Brust, und sie kamen wieder zur Besinnung. Sie wurden ruhig, erkannten seine Macht an und sagten, sie fühlten Ströme von kaltem oder brennendem Dunste durch ihren Körper gehen, je nachdem er seinen Stab oder seine Finger vor ihnen bewegte.

Die Sensation, welche Mesmer’s Experimente in Paris hervorriefen, war ungeheuer. Kein theologischer Streit ward in den früheren Jahrhunderten der katholischen Kirche je mit größerer Erbitterung geführt. Seine Gegner leugneten die Entdeckung einer bis dahin unbekannten Naturkraft. Einige nannten ihn einen Charlatan, Andere einen Narren und wieder Andere, wie z. B. der Abbé Fiard, einen Menschen, der sich dem Teufel verkauft habe.

Seine Freunde waren in ihrem Lobe eben so ungestüm, als seine Feinde in ihrem Tadel. Paris ward mit Flugschriften über dieses Thema überschwemmt, von welchen eben so viele die neue Lehre angriffen als vertheidigten. Bei Hofe sprach die Königin selbst sich zu Gunsten derselben aus, und in der Gesellschaft war von nichts Anderem die Rede.

Auf d’Eslon’s Rath beantragte Mesmer eine Prüfung seiner Theorie durch die medicinische Facultät. Er schlug vor, man solle vierundzwanzig Patienten auswählen, von welchen er zwölf magnetisch behandeln wollte, während die andern zwölf von der Facultät nach den alten sanctionirten Methoden behandelt werden sollten. Ebenso verlangte er, daß die Regierung, um Streitigkeiten vorzubeugen, gewisse Personen bestimmen solle, die nicht Aerzte wären und den Experimenten beizuwohnen hätten, und daß der Zweck der Untersuchung nicht sei, zu erfahren, wie diese Wirkungen hervorgebracht würden, sondern ob sie wirklich die Heilung irgend einer Krankheit zu Stande brächten. Die Facultät erhob jedoch gegen die Beschränkung der Untersuchung auf diese Weise Einspruch, und der Vorschlag fiel somit zu Boden.

Mesmer schrieb nun an die Königin Marie Antoinette, um durch ihren Einfluß den Schutz der Regierung zu erlangen. Er wünschte, daß man ihm ein Schloß mit dazu gehörigen Ländereien schenke und ein reichliches jährliches Einkommen aussetze, damit es ihm dadurch möglich gemacht würde, seine Experimente mit Muße und unbehelligt durch die Verfolgung seiner Feinde fortzusetzen. Dabei deutete er darauf hin, daß es die Pflicht der Regierung sei, Männer der Wissenschaft zu unterstützen, und gab die Befürchtung zu erkennen, daß er, wenn er keine weitere Ermuthigung fände, genöthigt sein würde, seine große Entdeckung in ein anderes Land zu tragen, welches bereitwilliger sei, ihn nach Verdienst zu würdigen.

Die Regierung bot ihm eine Pension von zwanzig tausend Francs und den St. Michaelsorden, wenn er wirklich eine neue Entdeckung in der Heilkunde gemacht hätte und sie den vom König hierzu bestimmten Aerzten mittheilte. Dieser letztere Theil des Vorschlags war Mesmer nicht angenehm. Er fürchtete den ungünstigen Bericht der königlichen Aerzte und erklärte, indem er die Unterhandlung abbrach, daß es ihm nicht auf’s Geld, sondern blos darauf ankomme, seine Entdeckung sofort von der Regierung anerkannt zu sehen. Hierauf zog er sich mißmuthig und unzufrieden nach Spaa zurück, unter dem Vorwande, zur Wiederherstellung seiner Gesundheit den dortigen Brunnen trinken zu wollen.

Nachdem er Paris verlassen, forderte die medicinische Facultät den Dr. d’Eslon zum dritten und letzten Mal auf, der Theorie vom animalischen Magnetismus zu entsagen, oder gewärtig zu sein, aus dieser Corporation ausgestoßen zu werden. Weit entfernt, diesem Verlangen nachzukommen, erklärte d’Eslon vielmehr, er habe neue Geheimnisse entdeckt und verlange genauere Untersuchung. Demgemäß ward am 12. März 1784 eine königliche Commission der medicinischen Facultät bestimmt und ihr eine zweite Commission der Akademie der Wissenschaften beigegeben, um die betreffenden Phänomene zu erforschen und darüber Bericht zu erstatten.

Die erste Commission war aus den berühmtesten Aerzten von Paris zusammengesetzt, während unter den die zweite Commission bildenden ausgezeichneten Männern Benjamin Franklin, Lavoisier und Bailly, der Geschichtsschreiber der Astronomie, sich befanden. Mesmer ward in aller Form eingeladen, vor dieser Corporation zu erscheinen, verschob aber seine Ankunft bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande von einem Tage zum andern. D’Eslon war ehrlicher, denn er glaubte wirklich an den thierischen Magnetismus, was bei Mesmer wahrscheinlich gar nicht der Fall war, wohnte auch den Sitzungen regelmäßig bei und machte Experimente.

Bailly hat die Scenen, deren Augenzeuge er im Laufe dieser Untersuchung war, auf folgende Weise beschrieben: „Die in [756] großer Zahl und in mehreren Reihen um den baquet oder die Wanne sitzenden Kranken empfangen den Magnetismus nicht blos durch die aus dem baquet hervorragenden eisernen Stäbe, sondern auch durch die um ihren Körper gewundenen Schnuren, durch die Berührung des Daumens, der ihnen den Magnetismus ihres Nachbars übermittelt, und durch den Klang eines Pianoforte oder einer angenehmen Stimme, welche die Luft mit Magnetismus erfüllt. Die Patienten werden jedoch auch direct dadurch magnetisirt, daß der Magnetiseur seinen Zeigefinger oder Stab langsam vor ihren Gesichtern, über oder hinter ihren Köpfen und auf den krankhaften Theilen bewegt. Der Magnetiseur wirkt auch dadurch, daß er seine Augen auf sie heftet. Vor allen Dingen aber werden die Kranken durch Auflegen der Hände und den Druck der Finger auf die weichen Theile unter den Rippen magnetisirt – eine Manipulation, die oft sehr lange, zuweilen mehrere Stunden, dauert. Mitterweile bieten die Patienten in ihren verschiedenen Zuständen ein sehr mannichfaltiges Schauspiel dar. Manche verhalten sich ganz still und ruhig und verspüren gar keine Wirkung. Andere husten, spucken, fühlen leichte Schmerzen, örtliche oder allgemeine Hitze und brechen in Schweiß aus. Andere dagegen werden durch heftige Convulsionen gequält. Diese Convulsionen sind in Bezug auf die Menge der davon befallenen Patienten, so wie hinsichtlich ihrer Dauer und Kraft sehr merkwürdig. Sobald als einer der Patienten in Zuckungen zu fallen beginnt, werden auch mehrere Andere davon angesteckt. Die Commissare haben einige dieser Convulsionen beobachtet, die über drei Stunden dauerten. Gewöhnlich sind sie von Auswerfung eines schmutzigen, klebrigen Wassers begleitet, welches durch heftige Anstrengungen zu Tage gefördert wird. Zuweilen hat man Streifen Blut in dieser Flüssigkeit bemerkt. Diese Convulsionen charakterisiren sich durch die plötzliche unwillkürliche Bewegung aller Glieder und des ganzen Körpers, durch das Zusammenziehen der Kehle, durch die hüpfenden Bewegungen des Unterleibes, durch Umschleierung und Rollen der Augen, durch gellendes Geschrei, Thränen, Schluchzen und unmäßiges Gelächter. Vorher sowohl, als nachher, tritt ein Zustand von Ermattung oder Träumerei, eine Art Niedergeschlagenheit und zuweilen Schläfrigkeit ein. Das geringste plötzliche Geräusch verursacht ein Schaudern, und man bemerkte, daß ein Wechsel des Taktes in den auf dem Pianoforte gespielten Melodien einen großen Einfluß auf die Patienten hatte. Ein rascheres Tempo, eine munterere Melodie regte sie mehr auf und erneuete die Lebhaftigkeit ihrer Convulsionen.

Nichts ist erstaunlicher als der Anblick dieser Zuckungen. Wer sie nicht gesehen hat, kann sich keinen Begriff davon machen. Der Zuschauer erstaunt ebenso sehr über die tiefe Ruhe eines Theils der Patienten als über die Aufregung der andern – über die verschiedenen sich wiederholenden Zufälle und die dabei zu Tage tretenden Sympathien. Einige der Patienten widmen sich wechselseitig die größte Aufmerksamkeit, indem sie mit offenen Armen auf einander zustürzen, lächeln und ihre Zuneigung und Anhänglichkeit auf alle nur mögliche Weise zu erkennen geben. Alle aber stehen unter der Macht des Magnetiseurs. Es kommt nichts darauf an, in welchem Zustand von Schlafsucht sie sich befinden. Der Klang seiner Stimme, ein Blick, eine Bewegung seiner Hand erweckt sie. Unter den Patienten, welche von Zuckungen befallen werden, bemerkt man stets sehr viele Frauen, aber nur sehr wenig Männer.“

Diese Experimente dauerten ungefähr fünf Monate. Kaum hatten sie begonnen, so beschloß Mesmer, erschrocken über den drohenden Verlust sowohl an Ruhm als an Gewinn, nach Paris zurückzukehren. Einige Patienten von Rang und Vermögen und enthusiastische Anhänger seiner Theorie waren ihm nach Spaa gefolgt. Einer von ihnen, Namens Bergasse, schlug vor, für ihn eine Subscription von hundert Antheilen, jede zu hundert Louisd’or, unter der Bedingung zu eröffnen, daß er sein Geheimniß den Subscribenten enthüllte, welchen es dann freistehen sollte, beliebigen Gebrauch davon zu machen. Mesmer ging auf diesen Vorschlag bereitwillig ein, und die Verblendung seiner Anhänger war so groß, daß die bestimmte Summe nicht blos in wenigen Tagen gezeichnet, sondern auch um nicht weniger als einhunderundvierzig tausend Francs überschritten ward.

Mit diesem Vermögen kehrte er nach Paris zurück und begann wieder seine Experimente, während die königliche Commission die ihren fortsetzte. Seine bewundernden Schüler, dir ihn für seinen Unterricht so freigebig bezahlt hatten, breiteten seinen Ruf im ganzen Lande aus und gründeten in allen größern Städten Frankreichs „Harmoniegesellschaften“ zur Anstellung von Experimenten und Heilung aller Krankheiten vermittelst des Magnetismus. Einige dieser Gesellschaften waren ein Scandal für die Moralität, denn es schlossen sich ihnen Lüstlinge an, die ein unnatürliches widerliches Vergnügen daran fanden, junge Mädchen in Convulsionen zu sehen. Viele der angeblichen Magnetiseure waren notorische Wollüstlinge, welche diese Gelegenheit benutzten, um ihre Leidenschaften zu befriedigen.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Zur Erwiderung.[1] Was Herr Frommann mit den „Insinuationen“, die er mir insinuirt, will, ist mir nicht recht klar. In meinem Aufsatz habe ich ja selbst alles das, was er mir in scheinbar berichtigender Weise entgegenhält, hinreichend deutlich ausgesprochen. Daß Günther bei den Anordnungen zu Schiller’s Beerdigung „Standesrücksichten“ genommen hat, ist gar keine Frage, denn er ließ Schillern „mit der ganzen Schule erster Classe“ in dem für vernehme Leichen bestimmten Cassengewölbe beisetzen. Ich sehe jedoch darin durchaus keinen Vorwurf gegen G., der ja unter den vorliegenden, von mir ausführlich dargestellten Verhältnissen nicht mehr thun konnte. Günther’s sehr ehrenwerther Charakter ist mir aus den Mittheilungen meiner Eltern, die viele Jahre in freundlichem Verhältniß zu G. standen, recht wohl bekannt. Doch muß ich wiederholen, daß mein Vater nur mit sehr großer Mühe von G. die Erlaubniß auswirkte, an Stelle der Handwerke, mit seinen Freunden die Leiche Schiller’s zu Grabe tragen zu dürfen.

Wenn Herr F. sagt: das ganze „Gerede“ (über die Beisetzung Schiller’s in das Cassengewölbe?) taucht nicht zum ersten Male auf, so mache ich ihm bemerklich, daß der Ausdruck „Gerede“ sich wohl eignet, wenn man damit ein vermuthungsweises Hin- und Hersprechen über nicht gehörig festgestellte Thatsachen bezeichnen will. Meine Darstellung der Vorgänge bei Schiller’s Beerdigung etc. ist aber eine historisch durchaus getreue, von deren Richtigkeit ich mir kein Jota abstreiten lasse, Herr F. müßte mir denn eine mit gehörigen Beweisen unterstützte Widerlegung bringen, was ihm wohl nicht möglich sein durfte. Das Compliment „Gerede“ gebe ich daher höflichst zurück.

Zur Ausführung der Idee, Schiller’s Ueberreste in dem zu schaffenden „Schillershain“ in einer Familiengruft dereinst beizusetzen, ist nie, sei es auch aus den triftigsten Gründen, das Mindeste geschehen. Fest steht aber die Thatsache, daß die „heiligen Reste“, wie sie Goethe voll Pietät nennt, einundzwanzig Jahre lang in dem wilden Durcheinander verwesender Sargtrümmer und menschlicher Gebeine lagen, und der spurlosen Vernichtung entgegen gingen, ohne daß sich (bis zum März 1826) ein Mensch um sie bekümmert hätte.

Schließlich bitte ich Herrn F., zu berücksichtigen, daß bei der Darstellung von Vorgängen, welche der Geschichte angehören, die Wahrheit, und zwar die volle, ungeschminkte Wahrheit, allen andern Rücksichten voransteht.

Dr. Schwabe.




Auch eine Propaganda. Nach einer Mittheilung, die uns aus authentischer Quelle zugeht, hat die Brittische Bibelgesellschaft im Laufe dieses Jahres an 60,000, sage sechszigtausend protestantische Bibeln mehr als gewöhnlich in Böhmen, Mähren, Ungarn und den übrigen österreichisch-katholischen Ländern zu vertreiben gewußt. Wie hoch mag sich da die Summe der sämmtlichen Versendungen belaufen? Wie wir hören, benutzte sie besonders die Zeit des italienischen Krieges, um diese fabelhafte Massen nach den verschiedenen Provinzen zu werfen.




Friedrich Gerstäcker hat sein von uns bereits beim vorigen Weihnachtsfest angezeigtes Bildungswerk: „Die Welt im Kleinen für die kleine Welt“ fortgesetzt und vor einigen Wochen wieder zwei Bändchen erscheinen lassen, wovon das eine „Südamerika“, das andere „Polynesien und Australien“ umfaßt. Die Vorzüge Gerstäckers, das Instructive mit dem Angenehmen und Unterhaltenden zu vereinen, finden wir auch in diesen beiden Bändchen wieder.




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Anmerkungen (Wikisource)