Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1856
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[677]
Der Taubenthurm.
Eine Novelle aus der Criminalpraxis.

In einem Dorfe, nahe bei einer Provinzialhauptstadt, liegt ein Landhaus von auffallend hübschem und behaglichem Aussehen.

Es wurde zur Zeit, wo unsere Erzählung spielt, von einem alten, würdigen Ehepaare, dem invaliden Hauptmann von Moorhagen und seiner Gattin bewohnt. Eine Pflegetochter, Theodore Stillke genannt, theilte diese Einsamkeit, und die Gemüthsart dieser drei Menschen war von der Beschaffenheit, daß sie mit einander eine Art Himmelsruhe zu genießen im Stande schienen.

Die Erde mit ihren Leiden und Plagen duldet nur dergleichen Himmelsfreuden nicht immer. Besonders Theodore, ein äußerlich ruhiges, aber innerlich leicht bewegtes und tief fühlendes Mädchen, wurde mannigfach vom Schicksale heimgesucht, um die Geisteskraft zu bethätigen, die nothwendig zum Kampfe mit irdischen Heimsuchungen ist. Ihre Pflegeeltern waren schon in das Stadium des Alters getreten, wo des Lebens Harm die Menschenbrust nur oberflächlich berührt, und sie saßen Beide an einem Juniabende, im Glanze der untergehenden Sonne, mit so behäbigem, zufriedenem Wesen unter den schützenden Marquisen eines Gartenzeltes, daß sie ein richtiges Bild des glückseligsten Alters abgaben.

Vor ihnen stand ein Tischchen mit einem feinen Abendbrote servirt, seitwärts sah man ein zweites Tischchen mit dem vollständigen Comfort eines Theetisches, woran Theodore beschäftigt war den Thee zu bereiten.

Aber noch eine vierte Gestalt müssen wir in’s Auge fassen, die nur von Zeit zu Zeit sichtbar wurde, wenn sie aus einem der schönen Bosquetwege nach dem andern hinüber wandelte. Es war Leopoldine von Moorhagen, die Gattin eines Neffen, die seit zwei Tagen, zum Erstaunen der Landhausbewohner, zum Besuche hier weilte. Jetzt hatte sie die friedliche Gesellschaft nach der ersten Tasse Thee verlassen, und ging mit einem Buche in der Hand in dem duftigen Abendgolde des sinkenden Tages spazieren. Dem alten Hauptmann schien die lesend spazierende Dame wenig Sympathie einzuflößen. Jedesmal, wenn sie sichtbar wurde, streifte ein spöttischer Blick ihre Gestalt und das Lächeln, womit er dann der Gattin Augen suchte, verrieth das Einverständniß mit dieser.

„Was lieset sie denn?“ fragte die alte Dame ihre Pflegetochter, die ihr eben die letzte Tasse reichte und die Zuckerdose näher rückte.

„Gallerie berühmter Frauen,“ entgegnete Theodore lachend.

„A–h! Sie rechnet sich sicherlich zu dieser Sorte!“ spottete der alte Herr.

In diesem Momente erschien Frau Poldine, wie man sie zu nennen pflegte, am Eingange des Bosquets, schauete einige Minuten auf die Gruppe und rief, als das Theegeschäft beendet zu sein schien, mit ziemlich heftigem Tone den Namen des jungen Mädchens. Theodore wandte sich zu ihr, blieb aber stehen. Frau Poldine winkte.

„Kommen Sie her, Dora!“ sprach sie im Herrschertone.

Als Dora dessen ungeachtet zögerte, und die Bedienung ihrer Pflegeeltern für wichtiger zu halten schien, da sagte die alte Dame beschwichtigend: „Geh’ nur, mein Kind – wir sind fertig. Geh’, damit wir keine Scene erleben.“

„Wie kann man sich so lange mit dem elenden Geschäft des Theetrinkens aufhalten!“ rief Frau Poldine entschieden verächtlich dem sich schnell nähernden Mädchen zu. „Ich habe mit Ihnen zu sprechen, Dora!“

Dora’s Schweigen, denn sie hatte jedenfalls eine neugierige und theilnehmende Frage erwartet, verstimmte und reizte die junge Dame. Ihre Mißlaune klang herbe wieder in dem Tone, womit sie fortfuhr: „Euch hier, in dem Paradiese des Eises und des Schnees, scheint nichts in Verwunderung und Erstaunen bringen zu können. Es ist Euch wohl kaum eingefallen, darüber nachzudenken, was mich zu einer Zeit, wo sich unsere verwandtschaftlichen Bande zu lösen und zu zerreißen schienen, hierher geführt hat?“

Diese Frage verdiente eine Antwort. Dora maß die junge Frau, welche so übermüthig ihr Urtheil herausforderte, mit lächelnden Blicken, ehe sie antwortete: „Sie irren, Frau Poldine! Wir haben uns schon den Kopf darüber zerbrochen, und haben täglich irgend einer Explosion Ihrer extravaganten Laune entgegengesehen.“ Das lebhafte Mienenspiel Dora’s zeigte momentan eine große Neigung zu einem Spottlächeln, allein sie verbarg es schnell.

„Aber Sie haben nichts errathen?“ fragte Frau Poldine.

„Ich habe mir keine Mühe gegeben – die Lösungen Ihrer Launen kommen von selbst und früh genug.“

„Viel Geduld und wenig Neugier!“ warf Frau Poldine ein. „Die Lösung wird Sie diesmal nicht erfreuen.“ – Das Mädchen dachte daran, daß zu einer solchen Voraussetzung gar kein Anlaß vorläge. – „Sie haben meiner Verbindung mit Richard von Moorhagen niemals das Wort geredet –“

„Nein, Gnädige! Nein!“ unterbrach Dora sie mit tiefem Ernste. „Niemals, gottlob niemals, habe ich zu dieser Ehe gerathen!“

„Weil Sie selbst Richard liebten. Ich weiß –“

[678] „Sie wissen gar nichts, Frau Poldine!“ warf Dora barsch und trocken hin. „Was wollen Sie jetzt von mir?“

Die Kälte und Entschlossenheit Theodorens, welche in solchen Momenten an Grobheit grenzten, hatten für die Weltdame Poldine immer etwas Imponirendes. Das war leider von dem Mädchen oft genug erprobt.

„Was ich von Ihnen will?“ wiederholte sie, ebenfalls wieder etwas eingeschüchtert. „Ich will Ihnen gestehen, daß ich Hoffnung, ganz fest begründete Hoffnung auf eine Versöhnung mit Richard habe,“ – Theodore zuckte heftig zusammen und ihre Wangen rötheten sich – „daß ich deshalb meinen Aufenthalt hier genommen habe, um hier, wo ich vor vier Jahren das erste Geständniß seiner Liebe empfing, von Neuem glücklich zu werden,“ schloß Frau Poldine triumphirend.

Theodore war sichtlich überrascht, ja unzweifelhaft erschrocken über diese Berichterstattung. Ihre Fassung hatte einen argen Stoß erlitten, und sie stammelte verwirrt: „Ich verstehe das nicht! Ich weiß nicht, wie ich Ihre Erzählung deuten soll! So viel mir bekannt ist, kann Ihre Ehe mit Richard so gut als getrennt betrachtet werden – die gerichtlichen Erkenntnisse –“

„Sind nicht mehr nöthig,“ fiel Frau Poldine hastig ein, und fügte mit Pathos hinzu: „Richard wird kommen – wir werden die trüben Tage versenken in das Meer der Vergessenheit, mein Gatte wird an keine Trennung mehr denken, wenn er wieder in meinen Armen ruhet – Richard wird hierher kommen, um mich zurück in sein Haus zu führen.“

„Richard – hierher kommen?“ fragte Dora, nun aus ihrer Betäubung erwachend. „Ihretwegen hierher kommen – Sie abholen? Es ist nicht wahr!“

„Sehen Sie dort hin!“ rief triumphirend Frau Poldine. „Erkennen Sie, wer dort auf den Flügeln der Eile, von heißer Liebe getrieben, daherjagt?“

Dora sah hin. Sie standen nahe der Gatterthür, die seitwärts auf die Landstraße führte. Ein Reiter kam wirklich angesprengt; ihr scharfes Auge erkannte Richard von Moorhagen. Kalt und entschlossen hob sie stolz den Nacken.

„Es ist mir unbegreiflich, allein ich muß zugestehen, daß Sie Recht haben,“ sagte sie fest, ihr innerliches Beben bemeisternd. „O, Männerschwäche, Männereitelkeit, Männerwankelmuth und Männereigennutz!“ dachte sie.

Ihrem Geiste rauschten alle die gräulichen Scenen vorüber, welche abgespielt wurden, bevor Richard von Moorhagen sich zur Trennung seiner Ehe entschloß; ihrem Gedächtnisse fielen alle die Worte ein, womit der unglückliche junge Mann seine Ehe mit Leopoldine verflucht und sie eine Hölle genannt hatte. Jetzt war diese Ehe gerichtlich gelöst, täglich mußte die gerichtliche Einwilligung zur Scheidung erwartet werden und jetzt, jetzt kam er zu dieser Gattin, um eine Versöhnung zu feiern?

„Es ist mir unbegreiflich!“ sagte sie nochmals.

„Mag sein,“ erwiederte Frau Poldine, mit schmachtenden Blicken dem schnell näherkommenden Reiter entgegensehend, „aber Sie sehen, es ist wahr! Ich verlange nun weiter nichts von Ihnen, als daß Sie jedes Lauscherohr von meinem Zimmer fern halten, und daß Sie sich selbst auf keine Weise, wie sonst, in unsere Zusammenkunft eindrängen.“

Theodore maß die Dame mit einem stolzen, zornigen Blicke und ging, ohne ein Wort zu erwiedern, dem Zelte zu, wo neugierig ihre Pflegeeltern ihrer harrten. Frau Poldine winkte graziös einen Gruß zu denen herüber, und verschwand im Portale des Hauses. Gleich darauf hielt der Reiter vor dem Landhause an, übergab sein Pferd dem kleinen Hausburschen, der herbeisprang, mit der Weisung, es langsam herumzuführen und schritt eilfertig, mit bewölkter Stirn und zusammengekniffenen Lippen die Treppe hinauf, der Frau Poldine nach, die ihm schweigend winkte.

Theodore mußte den alten Pflegeeltern währenddeß erklären, was die Ankunft Richard’s zu bedeuten habe. Dann neigte sie tief ihr Haupt auf eine Arbeit und grübelte.

Was sollte sie von diesem Schritte des jungen Mannes denken, wie ihn deuten, wie ihn entschuldigen? Schon ein Mal im Leben hatte das Betragen Richard’s Zweifel an Menschenwerth in dieser jungen Brust entzündet, schon ein Mal war ihr Herz in Zwiespalt mit der Vernunft gerathen seinetwegen, und nur das weibliche Erbarmen hatte die Kluft wieder ausgefüllt, die von ihrer innerlichen Verachtung aufgerissen worden war, als dieser Mann, elend und unglücklich durch seine übereilte Wahl, zu der ihn Eitelkeit und Eigennutz getrieben hatte, Trost bei ihr suchte.

Sie selbst hatte ihm, zwar nicht durch Ring und öffentliches Verlöbniß, aber durch jahrelanges stilles Lieben angehört, bevor er Gnade vor den Augen der reichen Goldschmiedstochter, Leopoldine Probst, fand, und von ihr in ihren Goldnetzen gefangen wurde; aber sie hatte sich mit weiblicher Würde so fein und schnell in die Schranken der Schwesterlichkeit zurückgezogen, daß Richard sie schon fern von seinem Lebenswege fand, als er erst mit Schrecken daran dachte, seinen Bund mit ihr lösen zu müssen. Seine Ehe war eine Hölle! Er selbst nannte sie schon nach Jahresfrist so, und er ertrug diese Qual der Verdammniß drei volle Jahre, ehe er sich zu dem widerwärtigen Schritte der Scheidung entschließen konnte. Wund an Geist, Herz und Seele, suchte er das Landhaus auf, und er fand nachsichtige Richter in seinen Verwandten und in Theodoren. Noch vor drei Wochen hatte Richard mit blitzenden, brennenden Blicken dem Mädchen gestanden: seine Sünde gegen sie sei von dem Feuer dieser Höllenqualen gesühnt – und nun? Und nun? Theodore hob den Blick nicht anklagend auf gegen den Himmel, aber die große, krystallhelle Thräne, die auf ihre Näherei tropfte, enthielt eine herbe Klage.

„Freilich,“ kalkulirte sie weiter im trübselig stummen Grübeln, „freilich, Leopoldinens Geld ging ihm verloren, wenn er sie aufgab, freilich, sein luxuriöses Leben, seine Reisen, seine Pferde, seine Hunde, seine Gesellschaften – Alles schwand wie durch einen Zauberschlag – daran mochte er nicht gedacht haben, und deshalb mochte ihm die dargebotene Aussöhnung erwünscht gewesen sein.“

Eine unsäglich bittere Empfindung durchwogte Theodorens Brust. „Mag er sein Unglück tragen,“ flüsterte sie hörbar, als jetzt die Stimmen der beiden Gatten deutlicher vom Hause herüberdrangen.

Doch als endlich Worte der Verwünschung und der Drohung erschallten, als den Lippen der Frau Poldine jene kreischenden Töne des kindischen Wahnsinns, womit sie ihr Recht zu vertreten suchte, entflohen, als wild und wirr der schauderhafte Zank ausbrach, der immer solche Scenen beschloß, die vom Widerspruch der dummen Anmaßung angefacht und von der Ungeduld des spröden Männergemüthes bis zur äußersten Grenze der Heftigkeit getragen wurden, da kehrte doch wieder Mitleiden in Theodorens Brust zurück.

Ihre Pflegeeltern hörten mit steigendem Unbehagen auf den Lärm der streitenden Stimmen. Der alte Herr wies ärgerlich nach der Landstraße, wo zwei Bauerweiber horchend stehen blieben, und die alte Dame sagte bittend: „Geh’ hinauf, Dora, bitte – gehe hinauf, und ermahne sie zur Ruhe!“

Theodore lehnte zuerst entschieden diesen Auftrag ab, und berief sich auf Leopoldinens speciellen Befehl, sich nicht einzudrängen. Nach und nach überwältigte aber die Furcht vor dem Ausgange des immer heftiger entflammten Streites ihre Scrupel und sie ging, nicht mit leichtem Herzen, dem Hause zu. Wie oft, wie unendlich oft hatte sie schon zwischen diese beiden Menschen treten müssen, um durch ihre imponirende Ruhe ein Gleichgewicht herzustellen! So schwer, wie an diesem Tage war es ihr aber noch nie geworden. „Es ist zum letzten Male,“ sagte sie leise, als sie in den Hausflur trat.

In diesem Momente wurde oben eine Thür gewaltsam aufgerissen, Männerschritte schallten und ein gellender, gräßlich durchdringender Schrei durchzitterte das ganze Haus. Richard stürzte wild die Treppe hinab.

„Was ist geschehen? Um Gotteswillen!“ schrie Theodore ihm entgegen. Er blieb nicht stehen, rief aber im Vorbeeilen laut: „Es ist ein entsetzliches Weib – ich gehe, mir einen Winkel zu suchen, wo ich mich verbergen kann; mag sie zur Hölle fahren, woher sie entstammt ist!“

Mit Blitzesschnelligkeit war er draußen, schwang sich auf’s Pferd, und flog den Weg zur Stadt hinab. So hatte ihn Theodore noch nicht gesehen! Eine fürchterliche Angst schnürte ihr die Brust zu und raubte ihr jede Willenskraft. Sie trat hinaus in’s Freie und schauete ihm nach. Eine schmerzliche Trauer, aber auch eine unendliche Liebe lag in dem Blicke, womit sie seine Spur verfolgte – da schallte ein eben so greller, als herzzerschneidender Schrei, wie vorher, durch des Hauses Räume [679] und weckte das arme Mädchen aus ihrem unthätigen Nachsinnen. Tief aufseufzend machte sie Anstalt hinaufzugehen, wo die traurige Nothwendigkeit ihrer wartete, ein krampfhaft aufgeregtes, halb wahnsinniges Weib zu beruhigen.

Wer kann es ihr verargen, daß sie langsam und widerwillig jeden Schritt zählte und sich nicht beeilte, hinaufzukommen, daß sie mit gleichen Empfindungen die Thür aufstieß, die nur angelehnt war. Aber, welch’ ein Anblick wartete ihrer! Leopoldine, ausgestreckt auf der Erde liegend, überschwemmt von Blut, das ihr vom Halse herniederrieselte, mit dem Tode ringend, schon starr und kalt und ohne Bewußtsein –.

Ohne einen Laut des Schreckens und rasch übersehend, was noth that, stürzte Theodore zu der Unglücklichen nieder und preßte ein Taschentuch auf die Wunde am Halse, der noch immer unaufhaltsam das klare rothe Blut entrieselte. Dann erst rief sie nach Hülfe und blieb in derselben Stellung eine volle Stunde, bis der herbeigeholte Arzt sie erlöste und die Ader kunstgerecht verband, welche sie durch ihre rasch ergriffene Maßregel wenigstens verstopft hatte. Aber das Leben Leopoldinens schwebte dennoch in der höchsten Gefahr, sie hatte sich verblutet, bevor Theodore zu ihrer Hülfe herangekommen war.

Was war vorgefallen? Wer war der Thäter dieses Mordes? Der Doktor war der Erste, der diese Fragen aufwarf und mit Späherblicken nach dem Instrumente forschte, mit welchem der Schnitt am Halse, unbestreitbar in der nicht ganz gelungenen Absicht denselben zu durchschneiden, vollführt war.

Es mußte nach seiner Ansicht ein sehr scharfes und spitziges Messer oder ein Dolch gewesen sein. Zuerst suchte man vergeblich, dann aber entdeckte man mit Erstaunen in einem sehr zierlichen kleinen Messerchen, das blutgetränkt in der Spitzengarnirung von Leopoldinens Kleide hing, die Waffe, die man sich groß und gefährlich gedacht hatte. „Richard v. Moorhagen“ stand in dem silbernen Griffe eingravirt. Der Arzt wickelte es behutsam ein und steckte es zu sich. Sein Gesicht verrieth, was er dachte und Theodore zitterte wie vom Fieber geschüttelt, bei der Erinnerung an die Abschiedsworte des unseligen Mannes.

Sie richtete einige bittende Worte um Schonung an den Doktor, allein dieser begegnete ihr kurz und unfreundlich.

„Es ist hier ein Mord beabsichtigt, das unterliegt gar keinem Zweifel, und ich kenne meine Pflicht,“ sagte er Abschied nehmend. „Die verwundete Dame bedarf der sorgsamsten Pflege; ich mache Sie, Fräulein Dora, dafür verantwortlich; morgen früh bin ich wieder hier.“

Theodore setzte sich geduldig an das Lager Leopoldinens, um sie zu bewachen, der Arzt stieg in den Wagen und fuhr durch die dunkle Nacht heim. In der Finsterniß pflegen alle Gespenster aufzustehen und alle ungewöhnlichen Ereignisse eine grausige Färbung anzunehmen.

Der Doktor Bendewitz war Kreisphysikus und gehörte als solcher in die Kategorie derjenigen Aerzte, die in jedem Zufalle ein Verbrechen wittern. Hier, in dem Vorfalle auf dem Landhause des Hauptmann von Moorhagen hatte er freilich Veranlassung, nach einem Mörder umzuschauen, da gar keine andere Möglichkeit bei der vorgefundenen Wunde der jungen Dame vorlag, allein er begnügte sich nicht mit dem Thatbestande, sondern meditirte und kombinirte so lange, bis er eine ganz haltbare Geschichte zusammenkalkulirt hatte und ein brennendes Verlangen fühlte, diese interessanten Forschungen sogleich an die rechte Thür zu bringen. Er befahl seinem Kutscher vor dem Hause des Criminalrath Müller zu halten, stieg dort aus und verfügte sich in das Arbeitszimmer desselben, wo er Licht bemerkt hatte.

Verwundert blickte der würdige Vertreter der Criminaljustiz von seinem Aktenstoße auf und rief ihm entgegen:

„Was führt Sie denn so spät Abends noch zu mir, Doktor? Doch gewiß irgend ein Erhängter oder ein Ueberfahrener –?“

Quod non – hochwohlgeborener Herr, diesmal eine Erstochene –“

„Die aber noch lebt und hoffentlich noch lange leben wird?“ examinirte der Criminalrath humoristisch weiter, denn er kannte die Sucht des Doktors, Alles, was in dieses Fach schlug, zu übertreiben.

„Das gebe Gott, sonst möchten Sie, mein Hochwohlgeborner, in die Verlegenheit kommen, ihrem guten Freunde, dem Herrn Richard von Moorhagen Zeter zu schreien und den Stab zu brechen,“ berichtete der Doktor gleichmüthig.

Der Rath fuhr etwas frappirt vom Stuhle auf. „Machen Sie keinen Scherz – was gibt es denn?“

Der Doktor setzte sich zurecht, nahm eine Dose hervor, bot dem Rathe eine Prise, nahm selbst eine und begann in langsam schnarrendem Tone großer Wichtigthuerei ein Referat des eben Erlebten im Hause des Hauptmann von Moorhagen und schloß dann: „Der Grund dieses Attentates ist leicht zu begreifen. Die Leutchen liegen im Scheidungsprozesse, Frau Poldchen zeigt sich sehr capriziös im Punkte ihres Eingebrachten, sie verlangt Eigenthumsrechte an alle den Sachen, die durch ihr Vermögen restaurirt sind. Nun ist’s klar, Herr Richard ist hinausgeritten, um bessere Bedingungen zu erzwingen und hat dann in der Wuth den Mund stumm zu machen gesucht, der ihm widerwillig war.“

Der Rath schüttelte zweifelnd den Kopf. „Was hätte ihm das geholfen?“ warf er ein. „Ist es denn unumstößlich gewiß, daß von Moorhagen der Thäter gewesen ist?“

Der Doktor zog das Messer hervor, welches noch vom Blute klebrig war. „Dies Dokument wird wohl hinreichen,“ sprach er. „Der Mörder hat seine Karte zurückgelassen im Busentuche der Gemordeten –“

„Sie ist also wirklich erheblich verwundet?“ forschte der Rath bedenklich das Messer betrachtend.

„Ganz erheblich, ihr Leben hängt an einem seidenen Faden, eine halbe Stunde mit geöffneten Halsadern liegen, reicht schon aus, um das Leben in Gefahr zu bringen. Das Bewußtsein ist der Dame zwar auf einen Moment wiedergekehrt, allein, als ich wegfuhr, lag sie wieder unbeweglich, wie eine Todte.“ Er erhob sich, um zu gehen. „Morgen früh mit dem Tagesgrauen will ich hinaus, um zu sehen, ob sie noch lebt.“

Der Rath fuhr aus seinem Nachdenken auf. „Kann ich mit Ihnen fahren, Doktor?“ fragte er hastig.

„Wird consentirt unter der Bedingung, daß meine Patientin, im Falle sie noch Athem in sich hat, von hochdero Besuch und Inquisition verschont bleibe,“ entgegnete der Doktor und fügte parodirend hinzu, indem er dem Rathe Abschied nehmend die Hand schüttelte: „Großinquisitor, ich habe das Meinige gethan; thun Sie das Ihre!“ Er ging stolz im Bewußtsein, wieder einem Verbrechen auf die Spur gekommen zu sein.

Der Criminalrath versank nach seiner Entfernung in ein unbehagliches Sinnen. Die Möglichkeit eines Verbrechens lag vor, aber Richard von Moorhagen sollte bis zum Mörder hinabgesunken sein pekuniärer Verhältnisse wegen? „Nein, tausend Mal Nein!“ sagte der Beamte ganz laut. Was sollte er thun? Seine Pflicht drängte ihn zu schnellen Maßregeln. „Auf was für Irrwege verfällt das menschliche Gemüth, wenn es sich bis zur äußersten Grenze gequält fühlt! Es könnte doch sein! Wir sind in unserer moralischen und physischen Natur unergründliche Räthsel,“ murmelte er. „Es könnte sein und die Verantwortung fiele dann schwer auf den lässigen Beamten.“ Er sprang auf, warf seinen Schlafrock ab, fuhr in einen andern Rock, ergriff Hut und Stock und befand sich auf der Straße, bevor er nur den Gedanken ganz ausgedacht hatte. Er schlug den Weg nach dem Hause von Moorhagen’s ein. Es war schon spät. Die meisten Bürger ruhten schon friedlich im Arme des Schlafes, nur einzelne Liebespärchen standen noch kosend in den Hausthüren und freuten sich der lauen Sommernacht. Auch der Diener von Moorhagen’s stand in der Thür, sein Liebchen, die hübsche Tochter seiner Wirthin, im Arme, als der Criminalrath hastig auf diese Thür zuschritt und das Mädchen damit verjagte. Friedrich wendete sich, ob dieser Störung sehr böse, um, machte jedoch eine respektvolle Verbeugung, als er den gefürchteten Criminalbeamten, der ihn auch schon in den Händen gehabt hatte, erblickte. Er begleitete den Herrn höflich hinauf und bat oben um die Erlaubniß, nachsehen zu dürfen, ob sein Herr auch noch nicht zu Bett liege.

Richard lag auf dem Sopha und schlief: Seine Träume schienen nicht freudig zu sein. Schwer hob sich seine Brust, die Lippen zuckten, die Fäuste ballten sich –. Friedrich berührte ihn sacht.

Wild fuhr der junge Mann in die Höhe und warf dir Blicke suchend umher. „Was ist’s? Was willst Du?“ fuhr er den Diener an.

„Gnädiger Herr, draußen ist –“ [680] „Doch nicht meine Frau? Friedrich, Friedrich, um Gotteswillen, laß sie nicht zu mir, ich habe genug für heute, ich habe genug –“

„Nein, nein, gnädigrr Herr, der Criminalrath Müller,“ beschwichtigte ihn Friedrich. Richard sank ermattet in das Sopha zurück.

„Laß ihn hereinkommen. Lieber die ganze heilige Justiz, als – sie!“

Der Rath trat ein, Richard bemerkte es nicht. Er war in dem träumerischen Zustande, der oft einer furchtbaren Aufregung folgt, gleichgültig gegen Ort, Zeit und Personen. Der Rath betrachtete ihn mit durchdringenden Blicken; eine tiefe Trauer legte sich nach und nach auf sein wohlwollend freundliches Gesicht, denn der Mann, welcher hier vor ihm saß, apathisch, wie zum Tode gehetzt und in einer Geistesabwesenheit, die einen furchtbar tiefen Grund haben mußte, der Mann war nicht unschuldig!

„Guten Abend, von Moorhagen,“ sprach er ernst. Verwirrt sprang Richard auf und reichte ihm mit gewaltsam erzwungenen Lachen die Hand.

„Guten Abend, Criminalrath. Ihr habt wohl im Kasino auf mich gewartet?“ entgegnete er.

Der Rath sah ihn kopfschüttelnd an. Der junge Mann verwechselte die Tage merkwürdig. Sie waren am Tage zuvor zur gewöhnlichen Whistparthie im Kasino gewesen und trafen sich nur alle acht Tage dort.

„Ich dächte wir hätten uns gestern Abend im Kasino versammelt!“ sagte er bedeutungsvoll.

Richard sah ihn an und strich mit der Hand über die Stirn.

„Ja, gestern, richtig! Ich habe so viel gedacht seit gestern, daß mir Zeit und Stunde verflogen ist,“ flüsterte er, noch immer zerstreut und halb abwesend. „Setzen wir uns –“

Der Rath griff nach der Uhr. „Es ist spät, gleich zehn Uhr, aber setzen wir uns.“

Jetzt wurde Richard aufmerksam.

„Zehn Uhr? Was veranlaßt Sie denn zu einem so späten Besuche, etwas Wichtiges, Criminalrath?“ fragte er gefaßter.

„Vielleicht!“ entgegnete der Beamte lakonisch. „Eigentlich will ich Sie nur fragen, wo Sie gegen Abend gewesen sind?“ Richard zuckte sichtlich zusammen. „Fragen Sie nicht, fragen Sie nicht! Sie erinnern mich an die unglücklichste Stunde meines Lebens!“ rief er heftig.

„Sie haben Unglück gehabt?“ examinirte der Rath ganz gelassen.

„Unglück? Nein! Aber Aerger! Ich habe Demüthigungen erfahren; o, o, lassen Sie Alles ruhen! Es ist nun vorbei; ich gehe nach Amerika, um Ruhe zu finden. Vielleicht gehe ich nicht allein, doch davon später.“

(Fortsetzung folgt.)


Zipser.
Nach wirklichen Erlebnissen erzählt von Ernst Willkomm.
(Schluß.)

„Wenn sie wirklich um mich leiblich zu Grunde ginge,“ sprach Georg nachdenklich, „ich würde doch nie ganz glücklich werden. Aber ich liebe sie nicht, ich liebte sie nie! … Wie bleich saß sie letzthin am Flußrande, wie träumerisch sah sie vor sich hin auf das ausgebreitete Linnen, das in der Sonne bleichte! Sie dauert mich und dennoch – dennoch konnte ich nicht anders handeln. Der Alte, o der Alte ist an Allem Schuld!“

Die letzten Worte hatte Georg unvermerkt so laut gesprochen, daß die Stimme des Echos das Wort „Schuld“ halblaut wiederholte. Er fuhr zusammen und ein unbehagliches Gefühl beschlich ihn. Ohne sich weiter umzusehen, verließ er die Richtstätte und suchte auf dem geradesten Wege die Heimat auf.

Am Tage der Urtheilsvollstreckung strömten von nah und fern viele tausend Menschen herbei, um, wie dies bei derartigen Gelegenheiten immer geschieht, Zuschauer und Zeugen des blutigen Schauspiels zu sein. Alle Höhen und kleinen Hügel in der nächsten Umgebung der Richtstätte waren mit Neugierigen besetzt, selbst die vereinzelt stehenden Eichbäume trugen auf ihren knorrigen Aesten Knaben und Männer..

Es war ein heißer Augusttag, die Luft klar und still. Gegen zehn Uhr Vormittags zeigte eine vor dem Stadtthore aufwirbelnde dicke Staubsäule den draußen Harrenden an, daß der Trauerzug mit der Delinquentin sich nähere. Eine Viertelstunde später war die Unglückliche am Platze. Gleichzeitig mit dem Eintreffen der Delinquentin erschien auch ein Reitersmann, der sofort Aller Augen auf sich zog. Die Meisten kannten und erkannten diesen Mann. Einer flüsterte es dem Andern zu: „Er ist’s! Es ist der alte Zipser!“ und Mancher deutete mit der Hand nach dem Rappen, der jetzt gerade durch die zurückweichende Menge sich Bahn brach und in gemessenem Trabe dem Rabensteine sich näherte.

In einer Entfernung von etwa hundert Schritten hielt Zipser sein Roß an, hob sich hoch auf in den Bügeln, daß seine imposante Gestalt mit dem wallenden Silberhaar weithin erkennbar war. Er trug seinen auffallenden Hut und den schwarzen faltigen Mantel mit dem hechrothen Unterfutter.

Noch zeigte sich Niemand auf dem Richtsteine, als ein Knecht. Zipser erhob seine Rechte, stellte sich abermals in die Bügel und beschrieb langsam mit der erhobenen Hand einen Kreis in der Luft. Hierauf ließ er sich zurücksinken in den Sattel, spornte den Rappen, daß er wiehernd in die Zügel biß und sich in einen stolzen Galopp setzte. Es gewährte einen prächtigen und eigenthümlichen Anblick, wie der seltsam gekleidete Mann, das Haupt von greisem Haar umwallt, hoch aufgerichtet wie ein mächtiger Herrscher, dem Alles Unterthan ist, um den Rabenstein galoppirte. Als er ihn einmal umkreist hatte, trat Georg mit den Beiständen aus der Mauerhöhlung auf die schmale Plattform. Ihm folgte, von zwei Knechten geführt, die Verurtheilte. Sie sah bleich, gebrochen, aber rührend schön aus in dem Schmerz, der sie erfüllte und zitternd vor dem Tode, den sie zugleich fürchtete und verwünschte. Ein gemeinsamer Laut des Mitleids entrang sich den Lippen Tausender.

Der stolze Reiter konnte Georg nicht entgehen. Er sah den Greis und zuckte zusammen. Zum zweiten Male umkreiste Zipser, in kurzen Pausen seine behandschuhte Rechte über das Haupt erhebend und dann wieder senkend, das Schaffot. Als er zum dritten Male sich im Sattel hob, vernahmen Viele ein krächzendes Geschrei, und mit hastigem Flügelschlage zogen drei Raben über die Menschenwoge dahin und folgten dem unheimlichen Reiter auf seinem Ritte.

Jetzt hielt der alte Mann sein Roß an und stellte sich im Angesicht des Rabensteines so auf, daß Georg ihm bei Ausübung seines Amtes gerade in das ernste versteinerte Antlitz sehen mußte. Die Raben aber flogen rastlos, immer ihr häßliches Geschrei ausstoßend, in weit gezogenen Kreisen um das Schaffot.

Georg wechselte mehrmals die Farbe. Er vermied es, dem unglücklichen Mädchen in’s Gesicht zu blicken, denn diese bleichen, wehmuthweichen Züge, dies bittende, im Schmerz schon halb gebrochene Auge gemahnten ihn an Sabine. Bisweilen sah er wirklich nicht die Verurtheilte, sondern die verlassene Braut vor sich, und eine furchtbare Angst bemächtigte sich seiner Seele.

Je näher die Minute kam, wo er das Bluturtheil vollziehen sollte, desto heftiger wurden seine Beängstigungen. Es flirrte ihm vor den Augen, die Hände zitterten, rothe und blaue Lichter zuckten in der hellen glühend heißen Augustluft. Die Raben aber zogen fort und fort ihre magischen Kreise um den Gebannten und der alte Nachrichter saß regungslos wie ein Geist auf seinem schwarzen Hengste.

Endlich schlug die verhängnißvolle Stunde. Das Urtheil war der Unglücklichen nochmals verlesen worden; kräftige Männerhände fesselten sie an den Stuhl, eine Binde legte sich um die Augen der Halbtodten.

Man reichte Georg das Schwert. Zitternd und zögernd ergriff er es – die Raben schrieen lauter und flogen in engeren Kreisen um das Schaffet.

Georg zückte, seinen ganzen Muth zusammennehmend, das Schwert, senkte es aber sogleich wieder, um zögernd einen Schritt zurückzutreten. Der Geistliche näherte sich dem zagenden Manne und sprach ihm ermuthigende Worte zu. Georg seufzte und erhob abermals das blitzende Richtschwert. Die Raben schwebten jetzt

[681]

John Cabell Bredenridge, zukünftiger Vizepräsident der Vereinigten Staaten.


dicht über dem Schaffot und die Augen Zipser’s waren unbeweglich wie ein paar Fixsterne auf Georg gerichtet.

„Ich kann den Streich nicht führen,“ stotterte der entsetzte junge Mann, „denn nicht die Kindesmörderin, eine Andere, eine Unschuldige sitzt vor mir auf dem Schemel!“

„Wer ist es?“ fragte der Geistliche.

„Sabine Zipser,“ lallte Georg, „die Tochter des Mannes, der dort auf seinem Rosse zu uns herüberblickt!“

Dies Zögern des Nachrichters machte die harrende Menge unruhig. Ein dumpfes Murmeln rollte rund um die Richtstätte, wie ein bewegtes Meer wogte die Menschenmasse ruhelos hin und her. Die Gerichtspersonen drangen mit ernsten Ermahnungen in Georg, daß er thue, was seines Amtes sei und ein Ende mache.

So gedrängt faßte der erschrockene Mann noch einmal all’ seinen Muth zusammen, wie er aber das Schwert zum tödtlichen Streiche erhob, sah er zwei Personen vor sich sitzen, die Beide Sabine’s Züge trugen. Er senkte den Mordstahl, kehrte sich um und sprach, beide Hände über seine getäuschten Augen legend, zu einer der anwesenden Gerichtspersonen: „Ich bin geblendet! Rufen Sie den Alten dort unten, er wird das Urtheil vollziehen!“

Man hatte keine Zeit zu langer Berathung. Die Stunde war beinahe abgelaufen, Eile war nöthig. Ein schnell abgeschickter Gerichtsdiener rief den gefürchteten Mann herbei, der diesem Rufe unverweilt Folge leistete. Als Zipser die Plattform des Gemäuers betrat, entfernten sich die krächzenden Raben und verschwanden schnell den Augen der verwunderten Menge. Bereit, das Urtheil zu vollstrecken, wollte ihm Georg das Schwert reichen. Zipser wies es kalt zurück, seinen flatternden Mantel lüftend.

„Nicht Dein Schwert, das meinige hat geklungen,“ sprach er laut genug, daß die zunächst Stehenden ihn hören konnten, „mit meinem Schwerte will ich richten!“

Noch während er sprach, funkelte der breite Stahl im heißen Sonnenlicht, ein blitzartiger Schimmer zuckte durch die Luft – das Urtheil war vollstreckt. Stolz wandte sich der alte Nachrichter zu den Gerichtspersonen, entblößte sein weißes Haupt und richtete an sie die übliche Frage: „ob er recht gerichtet habe?“ Als er die ebenfalls übliche Antwort: „Du hast gerichtet, wie es Urtheil und Recht mit sich gebracht,“ vernommen hatte, schlug er den Mantel wieder über das gereinigte Schwert, trat zu dem bleich gewordenen Georg und sagte zu diesem:

„Willst Du frei werden und Deiner Sinne mächtig, so komme zu mir. Meine Thüre wird geöffnet sein.“

Damit grüßte er das Gericht und verließ das Schaffot. Wenige Minuten darauf saß er wieder zu Rosse und sprengte in Galopp zwischen den moorbraunen Tümpeln über das dürre Land seiner Wohnung zu.

Diesmal folgte Georg der Einladung des greisen Mannes. Er fand ihn allein in seinem Cabinet, zwischen seinen verständig aussehenden Katzen und den gravitätisch herumwandelnden Raben. Das Gespräch zwischen beiden Männern war kurz aber ernst. Georg bekannte sein Unrecht und bat den Vater, sein Fürsprecher bei Sabine zu sein.

„Nicht meine Künste, die nur in der Einbildung existiren,“ sagte Zipser, „Dein böses Gewissen hat Dir die Sehkraft geraubt. Ich selbst und meine gehorsamen Raben waren nur Helfershelfer. Das sei eingedenk von jetzt an bis an’s Ende, und nun geh’ und sprich mit Sabine.“

Am Abend dieses Tages, der für Georg unter so traurigen Auspizien begonnen hatte, war große Freude im Hause des geheimnißreichen Nachrichters. Tags darauf wurde die Verlobung Georg’s mit Sabine öffentlich bekannt gemacht. Schon einen Monat später ward das junge Paar getraut; Sabine erblühte in neuer Jugendfrische und man hat nie gehört, daß Georg über Mangel an Liebe oder gar über Kälte und Gleichgültigkeit seiner glücklichen Frau Klage geführt habe. Der alte Zipser lebte noch lange Jahre. Wer seinen Rath begehrte, dem half er in seiner wunderlichen Weise, die Raben aber schaffte er unmittelbar nach der Hochzeit seiner Tochter auf besonderes Bitten des ihm völlig ergebenen und innig dankbaren Schwiegersohnes für immer ab.



[682]
Aus dem Boudoir einer Römerin.
Kulturgeschichtliche Skizze von Karl Wartenburg.

Die Boudoirs unserer reichen und eleganten Damenwelt in Wien, Berlin, Hamburg, Paris und London sind nicht die unscheinbarsten Tempel, welche sich die moderne Kultur aufgebaut hat. Gewerbe, Kunst und Wissenschaft: sie alle sind in Dienst genommen worden, um diese reizenden Asyle der Frauen schmücken zu helfen. Von dem Seidenwirker an, der die prachtvolle Tapete gewebt, welche die Wände bedeckt, dem Tischler, der die zierlichen Möbel aus Rosenholz gearbeitet, dem Bildhauer, der jene niedlichen Statuetten des Nipptisches geformt, dem Maler, dessen Pinsel die anmuthigen Genrebilder geschaffen, welche die Fensternische zieren, bis zum Dichter und Naturforscher herauf, deren neueste Werke in rothem Saffianeinband und Goldschnitt auf dem Toilettentisch liegen, hat ein Jeder sein Steinchen zu dem Bau beitragen müssen.

Gewiß, die Boudoirs unserer modernen Frauenwelt sind einzig in ihrer Art! Welche Wunderdinge flüsterten sich z. B. die neugierigen Pariserinnen vor einigen Jahren, kurz vor der Vermählung Louis Napoleon’s mit Eugenie von Montijo in’s Ohr, über die prachtvolle Einrichtung des Boudoirs der jungen Kaiserin, jenes Boudoirs in den Tuilerien, dessen Herrlichkeit und fabelhafte Pracht an die arabischen Feenmärchen der „Tausend und Eine Nacht“ erinnern sollte! Wie horchen unsere einfachen deutschen Frauen erstaunt auf, wenn ihnen die Reisenden von dem üppigen Gemisch europäisch-asiatischen Luxus in den Putzzimmern russischer Gräfinnen und Fürstinnen, bedient von einem Troß von Leibeigenen, von dem Gepränge und dem zahlreichen weiblichen Dienerschwarm, der in Ostindien die Ankleidezimmer der vornehmen englischen Ladys füllt, erzählen! Wie überrascht würden Tausende von schlichten Kleinstädtern sein, wenn sie die glänzenden und schimmernden Herrlichkeiten und Nichtigkeiten des Boudoirs einer Dame von der hohen Finanz oder Aristokratie in Wien und Berlin erblickten; noch einmal: die Boudoirs unserer modernen Damenwelt, angefüllt mit allen den reizenden, kostbaren Tändeleien und Dingen, wie sie die Launen einer jungen, hübschen, reichen Frau und die Mode verlangen, vereinigen in sich das Höchste, was der moderne Luxus nur bieten kann und kosten alljährlich enorme Summen – und dennoch, was bedeuten diese Summen gegen die, welche die Boudoirs der üppigen Patrizierinnen des alten Roms verschlangen? Im Schlafkabinet: Bettgestelle von massivem Silber mit Gold ausgelegt; in dem Ankleidezimmer: hohe Spiegel, in denen sich die ganze Gestalt in Lebensgröße abspiegeln konnte, von starkem, polirtem Silber mit einer Unterlage von Goldblech und rings herum mit den seltensten, kostbarsten Edelsteinen eingefaßt; Toilettentische von afrikanischem Citronenholz, im Werthe von tausend bis zwanzigtausend Ducaten, [1] Fußbänkchen von gediegenem Silber, Leuchter aus Aegina, deren einer so viel kostete, als vielleicht jetzt der jährliche Gehalt des Ministers eines kleinen deutschen Staates beträgt, Bildsäulen und Gemälde griechischer Meister, gegen deren Preise selbst die höchsten unserer Zeit wahre Bagatellen sind, und die Wände der Zimmer von Marmor, mit dicker Vergoldung bedeckt.

Die edeln Metalle wurden überhaupt mit einer Verschwendung gebraucht, die nur dadurch zu erklären ist, wenn man bedenkt, daß das Gold und Silber dreier Erdtheile nach Rom geschleppt worden; daß die reichen Städte Kleinasiens, die Schatzkammern der egyptischen Könige, die Tempel Griechenlands, die Bergwerke Spaniens mit ihrem Gold und Silber die gierigen Römer befriedigen mußten, diese Römer, deren Durst nach dem edlen Metall eben so stark und fibrisch gewesen, als es der der Pizarro’s und Almagro’s in Peru war, und der der Goldgräber in Californien und Australien jetzt ist. Waren doch schon, wie Plinius erzählt, zu des Cicero Zeiten die Fußgestelle zu den Tischen und zu den niedrigen Lagern, um die Speisetafeln her, von massivem Silber. Und ein Gemälde, welches das Zimmer einer römischen Senatorin schmückte, wurde mit 80 Talenten bezahlt, eine Summe, die der Engländer Arbuthnot zu 15500 Pfund Sterling berechnet, und ein Preis, der, wie wir glauben, kaum für irgend eine Zierde der Dresdner Gemälde-Gallerie gezahlt worden ist.

Doch es war nicht allein dieser Luxus, der die Boudoirs der römischen Damen des Alterthums so kostspielig machte. – Wenn eine vornehme Dame unserer Zeit um ihren Toilettentisch vielleicht eine Kammerfrau und zwei Kammermädchen herumflattern sieht, so gehört sie gewiß schon zu den höchsten und vornehmsten Kreisen der Gesellschaft. Eine römische Patrizierin setzte aber jeden Morgen eine ganze kleine Armee von Sklavinnen in Bewegung.

Da gab es Thürsteherinnen (Janitrices), blos dazu bestimmt, den Vorhang von tyrischem Purpur zurückzuschlagen, wenn die Herrin aus dem Schlafgemach in das Ankleidezimmer trat, Schminkmädchen, Roth- und Weißauflegerinnen, Augenbrauenmalerinnen, Zahnputzerinnen, Spiegelhalterinnen, sämmtlich „Kosmeten“ genannt, ein der griechischen Sprache entnommenes Wort, der griechischen Sprache, die bei den römischen Damen der Kaiserzeit genau in derselben Weise gebraucht und als Umgangssprache der feinen Modewelt en vogue war, wie es in unserer Zeit die französische Sprache ist – oder vielmehr, in Bezug auf Deutschland wenigstens, war. So waren auch die griechischen Mädchen bei den römischen Damen als Zofen in demselben Ruf, wie es bei den deutschen Damen des achtzehnten Jahrhunderts die französischen filles de chambre waren, und eine Römerin würde sich für sehr schlecht geschminkt und frisirt gehalten haben, wenn sie nicht griechische Sklavinnen zur Bedienung gehabt hätte. Eine jede dieser Mädchen hatte ihre besondere Bestimmung bei der Toilette ihrer Herrin, ein Amt, das sie täglich üben mußte, um darin die größtmöglichste Geschicklichkeit zu erreichen. Die Eine wusch der Gebieterin mit lauwarmer Eselsmilch den Brotteig ab, mit der die eitle Dame während der Nacht ihr Gesicht beklebt, um die Haut weiß und weich zu erhalten, gerade, wie manche unserer Damen mit frischem Talg bestrichene hirschlederne Handschuhe des Nachts anziehen, um eine schöne Hand zu bekommen; die Andere legte ihr Roth und Weiß auf die Wangen; die Dritte malte mit einem zarten in fein gepulvertem Bleiglanz getauchtem Pinsel jene schwarzen Augenbrauen, die noch jetzt bei den Frauen des Orients als Schönheit gelten, und die ihren Besitzerinnen bei den alten Hellenen den Beinamen einer „farrenäugigen Juno“ verschafften; und die Vierte endlich, die Zahnputzerin, reichte der Dame Mastix aus Chios zum Kauen, ein Mittel, welches die Zähne weiß und schön erhält. Haben die Schminkmädchen ihren Dienst verrichtet, dann nahen sich die Haarschmückerinnen, um die Locken der schönen, gefallsüchtigen Herrin in die modernste Facon zu bringen.

Nicht mannigfaltiger sind in unserer Zeit die Coiffuren der Damenwelt, als es die jener römischen Patrizierinnen des Alterthums waren. Wollte man es versuchen, alle die Veränderungen des Lockenbaues und der Haartouren überhaupt aufzuzählen, welche die Mode in den letzten hundertundachtzig Jahren, von den sogenannten Fontanges an, bis herauf zu den à la chinoise- und Wahnsinnsscheiteln geschaffen, und damit die Zahl der römischen Haarmoden vom Tiberius bis Marc Aurel, also in einem fast gleich großem Zeitraum, als es der obige ist, vergleichen, so würde man finden, daß die Mode in dem klassischen Rom eben so furchtbar und erfinderisch war, als die in dem eleganten, putzsüchtigen Paris unserer Tage.

Eine besondere Vorliebe der römischen Damen der Kaiserzeit – denn von dieser Periode ist in vorliegender Schilderung die Rede – war die für goldblondes Haar. Nun sind aber bekanntlich die Italierinnen, wie die meisten Frauen des Südens, Brünetten, und die Blondinen gehören zu den seltenern Ausnahmen. Die Kunst mußte also das ersetzen, was die Natur versagt hatte. Da gab es denn nun eine Menge Pomaden und Seifen, mit denen die schwarzen Haare gewaschen und gefärbt, ja gebeizt wurden, um ihnen jene liebliche Modefarbe zu verleihen; denn zu Perrücken, die es damals schon längst gab, nahm man nur höchst ungern, wenn alle andern Mittel nichts helfen wollten, seine Zuflucht. Ja, viele Damen gingen sogar im Luxus und in der Verschwendung so weit, ihr schwarzes Haar mit feinem Goldstaub zu bestreuen, um ihm dadurch jenen beliebten blonden Schimmer zu geben. Nichts ist älter, als die neueste Mode! Wem fällt nicht bei diesen Goldstaub bestreuten Haaren der Römerinnen des Alterthums jener neufranzösische Goldpuder ein, mit dem vor unfähr [683] zwei oder drei Jahren elegante Pariserinnen auf den Bällen während des Karnevals erschienen? Diese neueste französische Mode, welche sich auch in Frankfurt a. M. und Hamburg auf kurze Zeit einschlich, ist nichts, als die Auffrischung einer zweitausendjährigen der römischen Kaiserzeit.

Bei dieser Gelegenheit wird es vielleicht Manchem nicht uninteressant sein, zu erfahren, daß eine andere moderne Erscheinung unseres jetzigen Kulturlebens, welche Viele ihres Namens wegen sicherlich auch für französischen Ursprung halten, gleichfalls von den Römern abstammt. Wir meinen damit ein nicht sehr löbliches Institut, das nicht nur in Paris, sondern auch in mancher unserer großen deutschen Städte zünftig geworden: die Theaterclaque. Die ehrenwerthen Mitglieder dieser Zunft werden nicht wenig überrascht sein, zu vernehmen, daß ihnen bei Ausübung ihres Gewerbes ein uralter historischer Rechtstitel zur Seite steht, und da heut zu Tage das historische Recht sich ganz besonderer Begünstigung erfreut, so möge die, auch in anderer Beziehung interessante Stelle, welche uns von der uralten Existenz der Claqueurs Kunde gibt, hier Platz finden. Der Passus ist aus dem Prolog des „Poenulus“ (der Punier), vom Lustspieldichter Plautus und lautet:

„Nun befiehlt mir Jupiter: ich solle von Euch erbitten, Beobachter sollen, in jeder Reihe einer, das ganze Schauspielhaus hindurchgehen, um auf die Zuschauer zu merken. Sehen sie welche, die zum Klatschen bestellt und gedungen sind, so sollen solchen im Schauspielhaus die Röcke zum Pfand abgenommen werden. Oder wenn Jemand sich bewirbt um den Vorzug für diesen oder jenen Schauspieler, oder wer sonst seine Kunst hier sehen läßt; mag diese Gunstbewerbung schriftlich oder durch persönliches Umhergehen oder durch Unterhändler geschehen; oder sollten die Aediles selbst gegen Pflicht und Eid den Beifall zuertheilen, so erklärt Jupiter: „„es solle eben die Strafe darauf stehen, als wenn Jemand für sich oder einen Andern um ein Amt widerrechtlich sich beworben. Auch sollen Aufseher da sein gegen die Schauspieler, die es veranstaltet, daß bestellte Leute klatschen sollten, und wenn irgend einer nicht das Seinige thut, blos damit ein Anderer um den Beifall käme, den sollen die Aufseher den Aufputz und das Fell zerhauen.““

Die Stelle ist etwas derber Natur; indessen ersehen wir daraus, daß es im alten Rom schon Claqueurs gab, und daß die Ordnungsstrafen der römischen Schauspieler, z. B. wenn einer das Stichwort nicht sagte, so daß der Andere dadurch in Verlegenheit und um den verdienten Beifall kam, sehr empfindlicher Art waren.

Aber kehren wir wieder aus dem Schauspielhaus in das Boudoir der Römerin zurück, die wir verlassen haben, als sie sich ihr schwarzes Haar von ihren Sklavinnen goldig-roth färben ließ. Nach Vollendung dieser Operation wurden die Haare mit wohlriechenden Wassern und Oelen eingerieben und eingespritzt, und zwar durch eine besonders dazu abgerichtete Sklavin, welche “die wohlriechenden Essenzen mit einer außerordentlichen Fertigkeit mit dem Mund in die aufgelockerten Haare der Dame sprühte. Die Verschwendung der römischen Damen ging in dieser Beziehung in’s Unglaubliche, und nicht mit Unrecht sagt der griechische Satyriker Lucian aus Samosata von diesem Luxus der Römerinnen: „Sie verschwenden in diesen Salben das ganze Vermögen ihrer Männer, und lassen Einem das ganze glückliche Arabien aus ihren Haaren entgegen duften.“

Das Namensverzeichniß aller dieser theuren und kostbaren Pomaden und Oele, deren Hauptbestandtheile die indische Wurzel Kostum und die Blätter der Spickenarde waren, anzuführen, würde eine unausführbare Aufgabe sein; aber soviel darf man wohl versichern, daß die Läden und Gewölbe der renommirtesten Parfumeriehändler auf den Boulevards von Paris oder unter den Linden in Berlin kaum ein reichhaltigeres Sortissement aufzuweisen haben, als es die alexandrinischen Salbenhändler im alten Rom besaßen. Es ist berechnet worden, daß im Verlauf der letzten fünf Jahre, von 1851 an, mit der Ueberlandpost über 175 Millionen Thaler nach Indien und China gesendet worden sind, meistentheils, wie man angibt, für Thee und Rohseide. Gewiß eine enorme Summe für England und Amerika, welche die Hauptkäufer jener Produkte sind. Wenn man aber damit die Angaben des Engländers Robertson in seinem, Anfangs dieses Jahrhunderts erschienenen Werke „Historical disquisition concerning ancient india“ vergleicht, so gelangt man zu dem Resultat, daß die Summen, welche für Spezereien und Salben aus dem alten Rom durch die Hände der alexandrinischen und antiochischen Kaufleute nach Indien gingen, von woher jene Parfums fast ausschließlich bezogen wurden, eben so groß, wenn nicht noch größer waren, als die, welche Europa und Nordamerika jetzt an China und Indien für Seide, Thee und Gewürze zahlen. Aus Indien bezogen übrigens auch, wie hier gleich erwähnt sei, die Blumenhändlerinnen die seltensten und schönsten Blumen, mit denen die Römerinnen sich beim Gastmahl oder während der Saturnalien schmückten. Wie jetzt die Camelie eine Lieblingsblume unserer Modewelt ist, so war es bei den vornehmen Damen des alten Roms die indische Lotosblume, deren Kelch zugleich auch groß genug war, um ein feines, beschriebenes Pergamentstreifchen d. h. einen Liebesbrief in griechischer Sprache zu verbergen … Indessen nahmen sich die in träger Ueppigkeit hinlebenden reichen Römerinnen gewöhnlich nicht Zeit zum Schreiben parfumirter Pergament-Billet-doux. Vasen mit zärtlichen Inschriften, die man gleich fertig kaufte, angebissene Aepfelchen und verwelkte Blumenkränze, die man bei irgend einer Festlichkeit getragen, waren in der Regel die Liebeszeichen, die sich Frauen und Männer gegenseitig schickten. Es ist dies eine Sitte, die lebhaft an die Selams des Morgenlandes erinnert, an jene geheimnißvolle Blumensprache des Orients, deren sich die Schönen des Harems bedienen, um dem Geliebten ihre glühende Leidenschaft, ihre Hoffnungen und Wünsche mitzutheilen.

Mit dem Schminken, dem Augenbrauenmalen, dem Zähneputzen und der Vollendung des Lockenbaues sind nun die Hauptgeschäfte der täglichen Morgentoilette vorüber und nachdem noch zwei Sklavinnen der Dame mit kleinen silbernen Zangen und Messerchen die Finger- und Fußnägel geglättet und eine andere ihr die blendend weiße Tunica aus der feinsten milesischen Wolle übergeworfen, ein Gewand, das so künstlich und durchsichtig gewebt war, daß es die schönen Formen des Körpers durchschimmern ließ, befahl die Dame, ihr das Frühstück zu bringen. Es würde hier zu weit führen, die Kleiderpracht der römischen Damen der Kaiserzeit zu schildern; vielleicht wird man sich einen Begriff davon machen können, wenn man erfährt, was jener Cato Censorius, dessen: ceterum censeo Carthaginem esse delendam (übrigens bin ich der Meinung, daß Karthago zerstört werden muß) ein weltberühmtes Wort geworden, über die Kleidung der Frauen seiner Zeit sagt, das ist ungefähr 200 Jahre vor Christi Geburt. „Die Frauen,“ spricht er, „sind mit Purpur und Gold überdeckt; Diademe, goldene Kronen, ein rothgemaltes Gesicht, rother Staub, der ihre Haare bedeckt, Alles dies ist ihnen nichts Fremdes mehr.“ Und das war in einer Periode, wo man noch von der Sitteneinfachheit der Republik sprach, wenige Jahre vor dem Gesetzesvorschlag des Volkstribun C. Oppius, welcher den Frauen das Tragen von goldenem Schmuck über eine halbe Unze an Werth, bunte Kleider, sowie das Fahren in Wagen verbot. Das spätere Schicksal dieses an die Kleiderverordnungen der deutschen Reichsstädte erinnernden Luxusgesetzes, welches Livius in den ersten Kapiteln des vierunddreißigsten Buchs seiner römischen Geschichte erzählt, ist übrigens so interessant, daß es hier wohl erzählt zu werden verdient.

Fünfundzwanzig Jahre lang hatte das Verbot gegen die Kleiderpracht gedauert, als die Matronen, unter welcher Bezeichnung man bei den Römern nicht wie bei uns alte Frauen, sondern vorzugsweise legal verheirathete, vornehme Damen verstand, müde dieser strengen Einfachheit ihre Männer aufreizten, das Gesetz umzustoßen. Die Volkstribunen Fundanius und Valerius stellten hierauf einen Antrag auf Abschaffung des Gesetzes und es wurde ein Tag zur Verhandlung darüber anberaumt. Der entschiedenste Vertheidiger des angegriffenen Gesetzes war jener obenerwähnte Marcus Portius Cato, der gerade Konsul war. Die Frauen wußten dies und an dem Tage, wo in der Volksversammlung darüber abgestimmt werden sollte, konnten, wie Livius sagt, die Männer ihre Frauen weder durch ihr Ansehen, noch Beschämung, noch Befehl in den Häusern zurückhalten („Matronae, nulla nec auctoritate, nec verecundia, nec imperio virorum contineri limine poterant“ Liv. hist. XXXIV. Lib. 1 cap. 5,); schaarenweise eilten sie auf die Straßen, begleiteten ihre Männer unter flehentlichen Zureden nach dem Versammlungsort und belagerten förmlich die Zugänge zum Markt und Kapitolium. Die Debatten zogen sich in die Länge und mit jedem Tage kamen wahre Freischaarenzüge vornehmer Damen aus einer Menge von Städten und Flecken Italiens, um ihre Schwestern in Rom zu unterstützen. Was half des strengen Cato donnernde [684] Rede gegen den Vorschlag und den Luxus überhaupt? Die Frauen schmähten ihn und klatschten dem Tribun Valerius, der für die Abschaffung des strengen Gesetzes sprach, rauschenden Beifall zu. Und als am anderen Tage nach dieser Rede noch immer einige Volkstribunen zögerten dem neuen Gesetzesvorschlage ihre Stimme zu geben, so belagerten die Frauen die Häuser jener Tribunen, bestürmten sie mit Bitten, Drohungen, Schmeicheleien und ruhten, nicht, als bis sie, wie immer in der Welt, auch dieses Mal ihren Willen durchgesetzt hatten und das Gesetz aufgehoben wurde. Seit dieser Zeit war jede Schranke niedergerissen und die üppigste Kleiderpracht trat an die Stelle der früheren Einfachheit. Besonders in Schmucksachen war der Aufwand außerordentlich. So trug z. B. die Mutter des Brutus, eine sehr schöne Frau, eine Perle, welche sie von Julius Cäsar zum Geschenk erhalten und für welche dieser, nach unserem Gelde berechnet, 272835 Thaler bezahlt hatte …

Wenden wir uns nach dieser kurzen Abschweifung zu der Dame zurück, die eben im Begriff war, zu frühstücken. Die Römerinnen kannten weder Thee, noch Kaffee oder Chokolade. Auch die nahrhaften Biersuppen unserer deutschen Altvordern, jene schwarzen Biersuppen, über welche sich auch der große Friedrich von Preußen in seiner Jugend so bitter beklagte, waren bei ihnen nicht gebräuchlich. Wein und Früchte waren die ersten Hauptbestandtheile ihres ersten Frühstücks. So ließ sich denn auch die Dame von ihren Pagen in einer silbernen Kochmaschine siedend heißes Wasser und einen zierlichen Steinkrug voll alten Chioswein bringen, den sie mit dem Wasser mischte und so trank, nachdem sie vorher einige Feigen gegessen hatte. Dieses erste Frühstück war unstreitig ein sehr frugales, zumal, wenn man es mit dem englischen Morgenimbiß vergleicht, bei dem neben dem Thee die gerösteten Butterschnitte, die weichgesottenen Eier, der Schinken, der kalte Hammelbraten und der Chesterkäse nicht fehlen dürfen; indessen waren dafür die übrigen römischen Mahlzeiten desto üppiger.

Man müßte ein gastronomisches Genie sein, wie es der verstorbene Baron Eugen von Baerst aus Breslau war oder der französische Kochkünstler Soyer ist, um alle die Schüsseln, Saucen, Ragouts, Delikatessen einer römischen Tafel zu beschreiben, zu der drei Erdtheile ihre feinsten Leckerbissen liefern mußten. Ein Speisezettel für römische Gourmands, den wir bei Gellius finden, wird das Bild einer wohlbesetzten römischen Tafel veranschaulichen. „Will man gut speisen,“ heißt es da, „so muß der Pfau aus Samos kommen, Hühner aus Phrygien, Kraniche aus Melos, Böckchen aus Aetolien, Thunfisch aus Chalcedon, Muränen aus Tartessus, Hechte aus Pessinus, Austern von Tarrent, Muscheln aus Chios, andere Seefische aus Rhodus und Cilicien, Nüsse aus Tassus, Datteln aus Egypten und Eicheln aus Spanien.“ Und das war noch keine Völlerei, kein Gastmahl wie es der schlemmende Prätorianerkaiser Vitellius gab, wo ganze Schüsseln voll Nachtigallzungen und Pasteten von Krammetsvögelgehirnen aufgetragen wurden und ein Mittagessen die jährlichen Einkünfte einer ganzen Provinz verzehrte!

Morgentoilette und Frühstück waren nun beendigt und die Dame befahl einer ihrer des Lesens kundigen Sklavin ihr den neuesten Roman vorzulesen. Wir sehen bei diesen Worten ein Lächeln um den Mund unserer schönen Leserinnen, denen das Bild einer romanlesenden, auf ihren Ruhekissen liegenden Römerin des klassischen Alterthums zu fremd und ungewohnt ist und die dabei unwillkürlich einen Vergleich mit einer unserer Damen anstellen, die nachlässig auf ihrem Sopha oder in ihrer Longchaise sitzend einen Roman von Gutzkow, H. König, Prutz, Eugen Sue, Dumas oder Boz liest. Und gab es denn, hören wir fragen, damals Romane? Allerdings gab es deren, wenn sie auch nicht so umfangreich, wie unsere neueren, wie etwa die Pickwickier von Boz, die Mystères de Paris von Sue oder die Ritter von Geist von Gutzkow waren. Es waren meistens kurze Erzählungen, unter dem Namen: Milesische Märchen bekannt, von der griechischen Stadt Milet in Ionien, deren schöne Frauen im Alterthume durch eine besondere Erzählungsgabe und eine erfinderische, wenn auch oft üppige und sinnliche Phantasie berühmt waren. Diese milesischen Märchen waren denn auch durchschnittlich, wie es z. B. bei dem Dekamerone des Giovanni Boccaccio und den älteren französischen Fabliaux[2] und Cortes der Fall ist, ziemlich schlüpfrigen Inhalts; vielleicht aber war es gerade diese mehr als pikante Würze, welche diese milesischen Märchen zu einer Lieblingslektüre der in Sinnenrausch und Ueppigkeit lebenden Römerinnen der Kaiserzeit machte. Mit dieser Lektüre vertrieb sich die Dame die Langeweile, bis es Zeit war, in’s Bad zu gehen oder bis eine ihrer zahlreichen Sklavinnen sie durch ein unbedeutendes Versehen reizte. Dann befahl sie wohl in einer zornigen Aufwallung ihrer Laune die arme Sklavin blutig zu geißeln, wenn sie es nicht vorzog, selbst die Exekution zu vollziehen und dem armen Mädchen irgend eine goldene Nadel, die sie zu ihrem Schmuck brauchte in den bloßen Busen oder in die nackten Arme zu stoßen – denn diese üppigen, ausschweifenden Patrizierinnen, von denen die Meisten gegen 200 Sklavinnen und Freigelassene zu ihrer Bedienung hatten, waren gegen ihre Untergebenen hart bis zur Grausamkeit. Sie mißhandelten diese unglücklichen Geschöpfe auf’s Empörendste und wir wissen kaum, wen man mehr bedauern soll: die „Onkel Toms“ der alten oder der neuen Welt. Gab es doch Römer, welche ihre Sklaven schlachten ließen, um mit ihnen ihre Muränen zu füttern, die durch diese Fütterung mit Menschenfleisch einen feineren Geschmack bekommen sollten!

Das Auge wendet sich von solchen Scenen mit Widerwillen und Entsetzen ab. Die Sklaverei ist der düstere, finstere Schatten, der das Bild des klassischen Kulturlebens in Hellas und Rom trübt. Der humane Geist der neuen Religion, die beim Beginn jenes römischen Kaiserthums von Judäa aus der Welt verkündet wurde, brach zwar die Fesseln, mit denen die griechischen und römischen Sklaven gekettet wurden und zertrat die heidnische Knechtschaft, aber noch ist er nicht so mächtig gewesen, die Bekenner seiner eigenen Religion von dem fluchwürdigen Beginnen: der Menschenknechtung abwendig zu machen! Möge das neunzehnte Jahrhundert das letzte sein, welches die größte Schmach sah, die der Mensch sich selbst aufdrücken kann: Menschen als Sklaven ihrer Nebenmenschen. Möge das Sternenbanner Amerika’s sich erinnern, daß es die Sklaverei war, die am mächtigsten den Untergang Roms vorbereitete. Möge es sich erinnern, daß Athen und Sparta am größten waren als sie der Sklaven wenige besaßen, daß aber dem Staat des Lykurgus der Untergang drohte, als die Heloten ihre Menschenrechte verlangten. … Und es gibt Wiederholungen in der Geschichte! …





Der Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika.

Die große Republik über dem atlantischen Meere hat so eben einen neuen Präsidenten gewählt, und die ganze civilisirte Welt schaute Monate lang von fern der Aufregung und Anstrengung zu, mit welcher die verschiedenen Parteien dort die Wahl ihres Candidaten durchzusetzen suchten. Millionen Zeitungsartikel sind zu diesem Zwecke geschrieben, hunderttausende von Reden gehalten worden; zahllose Fahnen flatterten, zahllose Fackeln leuchteten bei Parteiaufzügen und Versammlungen am Tage und in der Nacht. Die Summen Geldes, welche man in dieser und anderer Weise aufwendete, werden auf mindestens dreißig Millionen Thaler geschätzt, und unberechenbar sind die Intriguen, die Umtriebe, die Verleumdungen, die Verräthereien, durch welche die eine Partei der andern zu schaden, sich selbst aber zu nützen suchte. „Die Gassenjungen sogar,“ schreibt man uns aus einer kleinen Stadt in Illinois, „zerfielen während der Wahlagitation in politische Parteien, und prügelten einander weidlich bei jeder Gelegenheit.“ Dies Alles beweiset für die außerordentliche Bedeutung der Präsidentenwahl für das Land selbst, wie die Spannung, mit welcher namentlich Europa dem Ausgange derselben entgegensah, für die Wichtigkeit spricht, die sie auch für das Ausland hat.

Die Wahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten ist keineswegs, wie man irrthümlicher Weise in Europa ziemlich allgemein glaubt, eine directe, d. h. die stimmberechtigten Bürger wählen nicht den Präsidenten selbst, sondern nur Wahlmänner und zwar in [685] jedem Staate so viele, als dieser Abgeordnete zu dem Congreß (in den Senat und das Repräsentantenhaus – erste und zweite Kammer –) zu senden hat, in dem Staate New-York z. B. 35. Diese Wahlmännerwahl ist jetzt (am 4. November) erfolgt und man spricht von der bereits erfolgten Präsidentenwahl nur, weil man nach der Zahl der Wahlmänner aus den verschiedenen Parteien mit Sicherheit schließen kann, welcher Parteicandidat ernannt werden wird. Die Wahlmänner kommen im Anfang des Decembers und zwar die eines jeden Staates in der Hauptstadt desselben zusammen, um die Abstimmung über den Präsidenten vorzunehmen. Das Protokoll über diese Abstimmung unterschreiben Alle, worauf es an den Präsidenten des Senats eingesandt wird, denn der Congreß muß um diese Zeit versammelt sein. Der Präsident des Senats eröffnet die ihm zugesandten Protokolle im Beisein des Senats und der Repräsentanten und es werden die Stimmen gezählt, welche die verschiedenen Candidaten erhielten. Wer die meisten Stimmen hat, ist Präsident; doch muß diese Stimmenzahl größer sein, als die der Hälfte der Wahlmänner. Haben zwei gleich viel Stimmen, so entscheidet sofort das Repräsentantenhaus durch Kugelung unter ihnen. Hat keiner die Mehrheit, so wählt ebenso dieses Haus den Präsidenten unter den drei Personen, welche die meisten Stimmen hatten. Wer nächst dem Präsidenten die meisten Stimmen hat, ist Vicepräsident.

Das weiße Haus.

Zu diesen beiden hohen Aemtern können nur Bürger der Vereinigten Staaten gewählt werden, welche mindestens 35 Jahre alt und seit 14 Jahren ansässig gewesen sind. Am 4. März treten sie ihre Posten mit einem feierlichen Schwure an.

Uebrigens ist die Macht, welche in die Hände des Präsidenten gelegt ist, groß, weniger beschränkt, also größer als die der Königin von England, denn er ist Oberbefehlshaber der gesammten Land- und Seemacht der Republik, auch der Milizen jedes einzelnen Staates, sobald sie für die Republik einberufen werden; er vollzieht alle Gesetze; das Cabinet, welches aus den Secretairen (Ministern), dem Oberpostmeister und dem Oberstaatsanwalt besteht, ist in keiner Weise für die Handlungen des Präsidenten verantwortlich, die Minister sind nichts als seine Secretaire, sie führen nur aus, was er befiehlt, und machen sie sich eines Vergehens schuldig, so trägt der Präsident allein die Verantwortlichkeit; er schließt und kündigt Verträge, und der Senat hat nur das Zustimmungsrecht; er kann, ohne einen Grund anzugeben, jeden Offizier entlassen; er kann Staatsländereien zum Kauf aussetzen oder vom Markt zurückziehen; er kann die Gelder, deren Verwendung der Congreß angewiesen hat, zurückhalten; er besitzt das Begnadigungsrecht; er kann den Congreß zu außerordentlichen Sitzungen berufen, sowie denselben, in gewissen Fällen, vertagen; jeder Beschluß des Congresses muß seine Zustimmung haben, bevor er Gesetzkraft erhält; er kann seine Zustimmung versagen (sein Veto einlegen), und ein solcher Congreßbeschluß, den der Präsident nicht genehmigt, wird erst dann zum Gesetz, wenn bei nochmaliger Vorlage zwei Drittel der Mitglieder für ihn stimmen.

Die Amtsdauer des Präsidenten beträgt vier Jahre; der Staat zahlt ihm als Gehalt 100000 Dollars – jährlich 25000 – gibt ihm aber später keine Pension. Seine Amtswohnung ist das sogenannte weiße Haus in der Bundeshauptstadt Washington, in welcher auch der Congreß – in dem Kapitol – seine Sitzungen hält. Es bilden diese beiden Gebäude die Endpunkte Washingtons an zwei entgegengesetzten Seiten, und jedes liegt auf einem Hügel.

Das jetzt stehende Präsidentenhaus wurde im Jahre 1815, nachdem das frühere im Jahre vorher von den Engländern vollständig niedergebrannt worden war, mit einem Aufwande von 100000 Dollars erbaut und macht im Ganzen keineswegs einen großartigen Eindruck. Es gibt in Europa viele Paläste und Schlösser von Privatpersonen, die um vieles größer und prächtiger sind; aber die Gründer der amerikanischen Constitution wollten auch nicht, daß der erste Beamte der Republik in Glanz und Pracht lebe, sie verlegten sogar sein Haus absichtlich an das Ende der Stadt, mitten in einen Garten, damit er so viel als möglich ungestört sei und auch nicht von zu vielen Besuchen belästiget werde. Das von weißem Sandstein aufgeführte Gebäude hat eine Länge von 166 Fuß und eine Tiefe von 85 Fuß mit einem halbkreisförmigen Porticus an der Südfronte. Bis zum Amtsantritte des jetzigen Präsidenten Pierce sah es im Innern fast armselig aus; mit einen Aufwande von 30000 Dollars hat man aber manche zweckmäßige Veränderung und vielfache Verschönerungen angebracht, auch ein ziemlich kostbares Meublement gekauft, so daß die Hauptzimmer elegant und geschmackvoll aussehen, wie es unsere Zeit erfordert. In den ersten Zeiten der Republik war das weniger nöthig und die Frau des zweiten Präsidenten (Adams) scheute sich nicht, den Hauptsaal des Gebäudes zum Aufhängen von Hemden u. s. w. jedesmal zu benutzen, wenn sie große Wäsche hatte. Jetzt ist es herkömmlich, daß der Präsident alle Freitage sein Haus öffnet, die Hauptfestlichkeit darin aber ist „die Cour“ am 1. Januar jedes Jahres, denn an diesem Tage empfängt der Präsident als Souverain die [686] bei ihm beglaubigten fremden Gesandten und antwortet auf ihre Anreden. (Nicht alle Vertreter auswärtiger Mächte sind bei ihm beglaubigt; die, welche nur Geschäftsträger heißen, verkehren amtlich nur mit dem Staatssekretair, d. h. dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten; alle aber machen dem Präsidenten ihre Aufwartung.) Am 1. Januar also legt jeder Diplomat in Washington große Uniform an und erscheint mit allen seinen Secretairen und Attachés um 12 Uhr officiell im weißen Hause. Haben sie eine Frau oder Töchter, so finden auch diese sich mit ein. Nach ihnen bringen die Offiziere der Land- und Seemacht, in großer Uniform, ihre Glückwünsche und dann folgt – das Volk. Jeder hat Zutritt und jeder darf dem Präsidenten die Hand reichen. Der rechte Arm des Bedauernswerthen gleicht an diesem Tage einem Brunnenschwengel in wasserarmer Zeit, denn er wird unaufhörlich geschüttelt. Die Menge wird auf der einen Seite in das Zimmer hineingelassen und muß an der andern wieder hinausgehen. Bis zur Präsidentschaft des Generals Jackson wurden den Gratulanten auch Erfrischungen gereicht; aber es drängte sich zuviel Gesindel mit hinzu, das sich betrank, allerlei Unfug trieb, selbst Prügeleien anfing und die Meubles zerschlug. Darum spielt jetzt nur ein Musikkorps so lange die Gratulation dauert. Uebrigens ist ein „Courtag“ bei dem Präsidenten eine Gelegenheit, wie sie vielleicht nirgends sonst sich bietet, Frauen in allen Arten von Schönheit zu sehen und zwar in reichster Toilette, funkelnd von Juwelen oder nur mit einer Rosenknospe im Haar – die heißblütige schwarzäugige Tochter des Südens, die blonde blauäugige, anmuthige und kluge Tochter des Nordens, die einfache und doch liebliche Blume des Westens, spanische, französische, englische und südamerikanische Damen. Und an einer gewissen Etikette, an einer Rangordnung, auf die streng gehalten wird, fehlt es trotz allen republikanischen Institutionen nicht. Der Präsident Quincy Adams selbst schrieb eine kleine Schrift darüber, welche in der Hauptsache jetzt noch als Etikettegesetzbuch gilt, wenn auch seit den letzten Jahren noch schärfere Unterscheidungen und strengere Bestimmungen eingeführt worden sind. Geht es z. B. zu Tisch, so schreitet der Präsident voran und ihm folgt der Vicepräsident; dann kommt der Präsident des höchsten Gerichts und der Sprecher (Präsident) des Hauses der Abgeordneten; ihnen schließen sich die Senatoren und die Staatssecretaire an und diesen folgen zunächst die Mitglieder des höchsten Gerichtshofes, endlich die Abgeordneten (Mitglieder des Unterhauses).

Das Capitol in Washington.

Das wichtigste Gebäude in der ganzen Union ist das Capitol in Washington, das, wie schon gesagt, auf einem Hügel erbaut, aber noch nicht ganz vollendet ist, eines der größten Bauwerke in der Welt. Der Grundstein wurde am 18. September 1793 von Washington gelegt und man baute daran mit Unterbrechungen bis zum Kriege mit England, in welchem am 24. Aug. 1812 englische Truppen soviel als ihnen möglich war von dem Gebäude niederbrannten. Bisher sind auf den Bau über vier Millionen Thaler verwendet worden. Die östliche Fronte hat eine Länge von 750 Fuß, also fast 50 mehr als die Peterskirche in Rom; das ganze Gebäude bedeckt eine Fläche von beinahe vier Ackern Land und die 300 Fuß hohe Kuppel trägt auf ihrer Spitze die „bewaffnete Freiheit.“ Das Capitol ist für den Amerikaner fast dasselbe, was für die gläubigen Christen Jerusalem. Es enthält, als der geweihete Mittelpunkt der Nation, das Hauptarchiv, die Trophäen und Schätze derselben; da liegt die Unabhängigkeitserklärung, das Aktenstück, von dem sich ein neuer Abschnitt in der Weltgeschichte datirt; hier, im ersten Stock des südlichen Flügels und in der Mitte des Gebäudes, ist der Sitzungssaal der Abgeordneten des Volkes, 139 Fuß lang, 93 Fuß breit, und 36 Fuß hoch, mit den Pulten und Sitzen für 300 Mitglieder im Halbkreise; hier ist der Sitzungsaal des Senates u. s. w. und da „Senat und Haus“ zusammen den Congreß bilden, der Congreß aber allein die gesetzgebende Gewalt in sich vereiniget, so liegt hier das Herz der großen amerikanischen Nation.

Die Mitglieder des Hauses (die vom Volke ernannten Abgeordneten) werden auf zwei Jahre gewählt, und zwar von jedem Staate soviele, daß auf dreißigtausend Einwohner ein Abgeordneter kommt. Sie erhalten täglich 6 Dollars Diäten. – In den Senat sendet jeder Staat zwei Mitglieder, die durch die gesetzgebende Versammlung desselben auf 6 Jahre gewählt werden. Der jedesmalige Vicepräsident der Republik ist stets Präsident des Senats, er darf aber nur dann mit abstimmen, wenn Stimmengleichheit in der Versammlung eintritt. Kein Minister (Staatssecretair) darf Mitglied des Senates oder des Repräsentanten-Hauses sein oder da erscheinen und sprechen. Alle Verhandlungen des Congresses mit der vollziehenden Macht (dem Präsidenten) werden schriftlich geführt.

Wie den Lesern bekannt, ist in der jetzt vollendeten Wahl Buchanan zum Präsidenten erwählt worden – sein Portrait [687] theilten wir bereits in Nr. 30 der Gartenlaube mit – John Cabell Breckenridge aber als Vicepräsident. Er ist in Cabellsdale in Kentucky am 21. Januar 1821 geboren; ein sehr gesuchter Advokat und einer der ausgezeichnetsten Redner, was er auch als Mitglied des Repräsentantenhauses bewiesen hat, in welchem er großen Einfluß ausübte. Da Buchanan bereits im 65sten Jahre steht, so könnte er wohl während der Dauer seines Amtes durch den Tod abgerufen werden, so daß Breckenridge an seiner Stelle Präsident würde; denn wenn der Präsident stirbt, ehe die vierjährige Dauer seines Amtes abgelaufen ist, wird nicht ein neuer gewählt, sondern der Vicepräsident tritt für die Zeit, die an den vier Jahren noch fehlt, als Präsident ein. Und dieser Fall ist bereits zweimal eingetreten. Harrison starb kaum einen Monat nach seinem Amtsantritte, und der Vicepräsident Tyler wurde Präsident. Nach dem mexikanischen Kriege wurde der General Taylor als Präsident gewählt, und er hatte noch nicht anderthalbes Jahr sein hohes Amt verwaltet, als er starb, und der Vicepräsident Fillmore als Präsident eintrat.

Der Vicepräsident der Republik bezieht ein Jahrgehalt von 10,000 Dollars.




Blätter und Blüthen



Geheime Negerverbindungen. Der Trieb nach dem Geheimnißvollen scheint allen Menschen angeboren, und wo er nicht mächtig genug entwickelt ist, den Geist zur Erforschung der Geheimnisse seinen eigenen Innern und der ihn umgebenden Außenwelt anzuspornen, da befriedigen die Menschen ihr Bedürfniß durch Geheimnisse von ihrer eigenen Facon, deren Bedeutung und Werth nicht sowohl in dem Geheimgehaltenen selbst liegt, als vielmehr einfach nur in dem bloßen Geheimhalten. Dieser Neigung gemäß findet man denn auch bei allen Völkern der Erde geheime Verbindungen mannigfacher Art, die sich mit der steigenden Bildung und der Hinwendung des Geistes auf die wahren, seiner ernsten Theilnahme würdigen Geheimnisse allmälig verlieren, während sie aus niederen Entwickelungsstufen eine um so wichtigere Rolle zu spielen pflegen, als sie zugleich der Eitelkeit und dem so lebhaften Verlangen nach Auszeichnung vor Anderen Befriedigung gewähren.

Auch die Neger in Süd-Guinea haben ihre geheimen Verbindungen mit strengen Vorschriften, Beiträgen und unverletzlichen Geheimnissen, von welchen letzteren man – eben in Folge ihrer Unverletzlichkeit – nur so viel mit Sicherheit weiß, daß sie, gleich denen aller anderen Gesellschaften dieser Art, ohne den geringsten Verlust für die Welt in alle Ewigkeit verborgen bleiben können. Einer der hervorragendsten dieser Negerorden heißt Nda, und beschränkt sich auf die erwachsene männliche Bevölkerung. An seiner Spitze steht niemand Geringeres als ein leibhaftiger Geist dieses Namens, der seinen Wohnsitz in den Wäldern hat und nur dann seine werthe Person anstaunen läßt, wenn ihn irgend ein hochwichtiges Ereigniß, wie der Tod eines Mitgliedes der Verbindung, die Geburt von Zwillingen oder die Einsetzung eines Beamten, aus seiner verborgenen Einsamkeit ruft, wo es ihm auch dann gar nicht darauf ankommt, sich in mehren Ortschaften sehen zu lassen. Seine Stimme jedoch gibt er schlechterdings nur des Nachts zum Besten, wenn sich Groß und Klein zur Ruhe gelegt hat. Er naht sich dem Dorfe immer von der Seite des Waldes und ist dermaßen in dürre Pisangblätter eingewickelt, daß Niemand ihn in den Verdacht haben könnte, der menschlichen Race anzugehören, was sich ja auch von selbst versteht, da er ein Geist ist. Er wird jedesmal von einer Schaar jungen Leute begleitet, die bei ihren Umzügen durch die Gassen zum Tone eines flötenartigen, melancholischen Blasinstrumentes tanzen. Sobald es bekannt wird, daß er sich einem Dorfe naht, laufen Weiber und Kinder mit größter Angst, um sich in den verborgensten Winkel ihrer Hütten zu verstecken. Sollte Eins von ihnen das Mißgeschick haben, dem Nda zu begegnen oder sich ertappen lassen, wie es durch die Risse der dünnen Wand nach ihm späht, so würde es in Gefahr kommen, beinahe todtgeprügelt zu werden. Vielleicht hat noch nie ein Weib die Kühnheit so weit getrieben, ihr Auge auf dies geheimnißvolle, entsetzliche Wesen zu werfen – wenigstens schmeicheln sich ihre gestrengen schwarzen Herren mit diesem Wahne.

Dagegen aber haben dort die Frauen auch ihre besondere geheime Gesellschaft, von der die Männer nicht weniger streng ausgeschlossen sind. Wenn sie damit vor ihren weißen Schwestern Europas etwas vorauszuhaben scheinen, so ist anzunehmen, daß diese es nur verschmähen, den Männern derlei Mummenschanz nachzumachen. Wie sich von selbst versteht, ist bei dem Frauenverein von keiner Geisterspielerei die Rede, – dergleichen Albernheiten werden immer nur von den Männern ausgeheckt – doch umgeben auch sie alle ihre Verhandlungen mit dem tiefsten Geheimniß. Es gilt bei ihnen für eine Ehrensache, dem Orden anzugehören, zum Theil vielleicht, weil die Aufnahme nur gegen Erlegung eines sehr bedeutenden Eintrittsgeldes erfolgt. Die Ceremonien der Einweihung dauern mehrere Wochen, und selbst Mädchen von zehn bis zwölf Jahren werden schon zugelassen, wenn ihre Eltern die Kosten nicht scheuen. Während der ganzen Dauer einer Einweihung bemalen sich sämmtliche Ordensschwestern mit den phantastischsten Farben. Gesicht, Arme, Brust und Beine sind über und über mit rothen und weißen Flecken bedeckt, die abwechselnd Kreise und verschlungene Linien bilden. In diesen, geschmackvollen Feststaate marschiren sie zugweise aus dem Dorfe in den Wald, wo ohne die geringste Scheu vor dem dort hausenden furchtbaren Nda die gesammten Feierlichkeiten, von dem melodischen Klänge einer großen halbmondförmigen Trommel begleitet, vor sich gehen. Ganze Nächte verbringen sie dabei im Walde und scheuen im Dienste der guten Sache auch das schlimmste Unwetter und die heftigsten Regengüsse nicht, ja selbst nicht einmal für ihren schönen gemalten Putz! Beachtenswerth ist, daß sich auch bei ihnen das allbekannte Vestalenfeuer Asiens, Europa’s und Amerika’s wiederfindet, das vom Beginn bis zu Ende der geheimnißvollen Feier brennen muß und um keinen Preis ausgehen darf.





Die Gebeine der Erde. So nennt der alte Homer die Gesteine, als einer seiner Helden mit dem Fuße wider sie gestoßen war. Die Vergleichung ist nicht übel, wenn schon wie jede insofern hinkend, als dann das Fleisch, welches der lockere Erdboden sein muß, um das Skelett der Erde an sehr vielen Stellen nur spärlich und dünn vertheilt ist. Ich nehme aber jetzt nach einer andern Seite die Zulässigkeit der Vergleichung in Anspruch; nämlich hinsichtlich der für beide Vergleichungshälften gleich geltenden Verpflichtung für uns Menschen, das Knochengerüst unseres Leibes wie das unseres gemeinsamen Wohnplatzes und Ernährers zu kennen.

Wie die Menschenkunde (Anthropologie) als einen besonderen Zweig die Knochenlehre einschließt, so gehört zur Erdgeschichte (Geologie) als ein wichtiges Glied die Gesteinslehre, welche die Gesteine kennen lehrt, aus denen die Oberfläche der Erde, denn mehr kennen wir ja nicht, zusammengesetzt ist.

Granit, Porphyr, Basalt und so manche andere sind in Aller Munde lebende Namen, ohne daß sie jedoch das rechte Leben haben. Dieses erhalten sie erst durch Kenntniß derjenigen Gesteine, welche jene Namen tragen. Die genaueste Beschreibung vermag es nicht, eine jede Verwechselung ausschließende Kenntniß der Gesteinsarten zu gewähren. Abbildungen, sonst in den meisten Fällen wirksamer, als die besten Beschreibungen, sind hier vollkommen unbrauchbar, weshalb es auch Niemand einfällt, die genannten und andere Gesteine durch Bilder zu veranschaulichen. Hier muß die Natur selbst und unmittelbar eintreten.

Neben den verkäuflichen Sammlungen von Pflanzen und Thieren hat es denn auch schon seit langer Zeit dergleichen von Steinen gegeben. Solche Sammlungen haben aber nur einen sehr untergeordneten Werth, weil man dem Steine nicht ansehen kann, welche Rolle er bei den verschiedenen Abschnitten der Bildungsgeschichte der Erde spielt. Man war darum genöthigt, den Steinsammlungen, wenn man damit eine Nachweisung ihrer erdgeschichtlichen Bedeutung verbinden wollte, belehrende Verzeichnisse beizugeben. Sollen aber diese Verzeichnisse nicht zu kleinen Büchern anschwellen, so können sie ihren Zweck nicht erreichen.

Es ist darum ein glücklicher Gedanke zu nennen, daß man Steinsammlungen in den Verkehr bringt, welche als Belege zu bereits verbreiteten Büchern gelten.

Dies ist – meines Wissens in dieser Weise zum ersten Male – mit zwei Büchern zugleich geschehen. Mit des Unterzeichneten „Geschichte der Erde“ (Frankfurt a. M. bei Meidinger) und mit „von Schuberts Naturgeschichte.“

Bei der herannahenden Weihnachtszeit wird es manchem Vater erwünscht sein, auf ein nützliches Geschenk für die Seinigen hingewiesen zu werden. Daher trage ich kein Bedenken, wenigstens über die eine dieser Samnmlungen, von welcher mir durch die Güte des Herrn Herausgebers ein Exemplar vorliegt, in der Gartenlaube Erwähnung zu thun, und dabei zugleich dem Herausgeber meinen Dank öffentlich auszusprechen, daß er dadurch meinem Buche einen Vorzug vor andern auch noch so vortrefflichen Werken verliehen hat.

Mit der Bezeichnung „Sammlung von 50 Felsarten, als erläuternde Belege zu E. A. Roßmäßler, Geschichte der Erde,“ sind in einem sauberen Kästchen von den wichtigsten in meinem Buche beschriebenen Gesteinen kleine aber instruktive Exemplare enthalten. Aus einem beilegenden Verzeichnisse ist hinter jedem Namen durch die Seitenzahl auf die Stelle meines Buches verwiesen, wo von dem betreffenden Steine geredet ist. Die Sammlung ist nach Anleitung des Buches in erdgeschichtlicher Folge von den ältesten bis zu den jüngsten Formationen geordnet, so daß ein Blick auf die Sammlung zugleich eine verkörperte Uebersicht oder Repetition des Buches gewährt.

Wie sehr durch solche Sammlungen ein Buch, zu dessen Text die Gesteine Seite für Seite die Veranschaulichung bieten, beim Durchlesen gewinnen müsse, liegt auf der Hand.

Die Sammlung zu dem v. Schubert’schen Buche kenne ich nicht; doch ist nicht zu bezweifeln, daß sie mit derselben Sachkenntniß wie jene zusammengestellt sein werde. Sie enthält ebenfalls 50 Arten, welche „Mineralien“ genannt sind, also wahrscheinlich oryktognostischer Natur sein werden. Den Commissions-Debit beider Sammlungen hat die Buchhandlung von L. Garcke in Hamburg und Leipzig übernommen, von der laut dem Verzeichnis so wie durch jede Buchhandlung jede für 1 Thlr. 15 Sgr. zu beziehen ist.

E. A. Roßmäßler.






Eine poetische Seite der Senica-Indianer. Wenn bei den Senica-Indianern ein Mädchen stirbt, so sperren sie einen jungen Vogel ein, bis er zum ersten Male seine Kraft im Gesang versucht. Dann tragen sie ihn auf das Grab, beladen ihn mit Küssen und Liebkosungen und lassen ihn frei, im schönen Glauben, er werde seine Flügel nicht falten, noch seine Augen schließen, bis er das Land der seligen Geister erreicht und der theuren Verlornen seine kostbare Bürde überbracht habe. Man sieht nicht selten auf einem einzigen Grabe 20 bis 30 dieser Liebesboten aussenden.




[688] Adolf Stahr, in seinem so eben erschienenen Buche: „Nach fünf Jahren, Pariser Studien aus dem Jahre 1855,“ will folgende Züge des Kaisers Napoleon aus dem Munde einer Person vernommen haben, die dem jetzigen Beherrscher der Franzosen von Kindheit treu verbunden, damals zum öfteren bei ihm in seinem Gefängnisse zu Ham verweilte, und deren Zeugniß um so stärker in’s Gewicht fallen muß, als sie seit seiner Thronbesteigung ihr Geschick von dem des Kaiser gewordenen Jugendfreundes getrennt hat:

„Hätte Louis Napoleon nicht ohnehin, so erzählte sie, den fest gewurzelten Glauben an sein Erbrecht und an seine Mission gehabt, so hätte er ihm dort in den Jahren seiner Haft kommen müssen. Die Anhänglichkeit und Liebe der Soldaten für ihn war so groß, daß man in kurzen Zeitabschnitten immer die Garnison wechselte, aus Furcht, er könne sie für sich gewinnen und entfliehen. Auch hätte er dazu gleich in den ersten Jahren Gelegenheit gehabt, ja sie wurde ihm mehrfach angeboten. Er bewohnte ein kleines Haus in der Festung, das vergitterte Fenster und wohlverwahrte Thüren hatte, und vor dem zwei Wachtposten alle seine Bewegungen beobachteten, wenn er seinen kleinen Garten bearbeitete, den er sehr liebte, wie er überhaupt eine große Liebe für die Natur und ihren Genuß, und ein ungewöhnliches Geschick für Blumenkultur besitzt. So oft er in den Garten hinaustrat, präsentirten die Soldaten, indem sie regelmäßig ein: Gruß dem Kaiser! hinzufügten. Seht Ihr, sagte der Prinz zu seinem Gefährten, wie könnt Ihr mir immer von der Republik sprechen, wenn Frankreich seinen Kaiser zurückverlangt? Ein ander Mal kam der General Changarnier nach Ham, um die Festung zu inspiciren. Er sah nur ganz flüchtig in das Haus des Gefangenen hinein, damit Niemand sagen könne, er habe irgend eine längere Unterredung mit ihm gehabt, und nahm die Musterung der Truppen nicht in der Festung, sondern außerhalb derselben vor. Nur etwa zwanzig Mann mit einem Unteroffizier blieben im Festungshofe zurück, und als der Prinz mit seinem Besuche an das Fenster trat, verließ der Unteroffizier eine Gruppe Soldaten, zu der er gesprochen hatte, und näherte sich der Mauer den Hauses, als wolle er dort ein nicht näher zu bezeichnendes Geschäft verrichten. Unter dem Fenster, angekommen sagte er plötzlich halblauten Tons: es sind nicht mehr als zwanzig Mann in der Festung, die Thüren sind geöffnet, die Garnison ist beschäftigt, wenn der Gefangene fliehen will, hat er leichtes Spiel – man würde es nicht bemerken. Der Prinz stutzte einen Augenblick, antwortete aber sofort in demselben Tone: Dank, mein Braver, ich will Niemanden unglücklich machen, ich bleibe im Gefängniß. – Wie denn? Sie wollen nicht? – Nein! – Aber das ist dumm, fährt der Unteroffizier heraus, und wiederholt dann: Ueberlegen Sie sich’s wohl! Sie wollen nicht’? – Nein, ich will nicht! – Gut, denn, so bleiben Sie, wo Ihnen gefällt, antwortet der Andere ärgerlich und geht brummend davon. Einige Zeit später hatte ein Regiment in der Umgegend einen Garnisonswechsel, und sollte eigentlich in Ham selbst Rast halten. Plötzlich besann man sich anders, ließ es außerhalb der Festung bivouacquiren, und am Morgen sollte es weiter marschiren: Es waren eben einige Fouriere bestimmter Verrichtungen wegen in die Festung gekommen, und einer derselben fand Gelegenheit, einen Stein mit einem Zettel in das Fenster des Gefangenen zu werfen, auf dem die Worte standen: Das Regiment wünscht, daß sie es morgen die Revue passiren lassen. Da begab sich der Prinz zum Spazierengehen auf den Wall, und sah von dort dem Vorbeimarsche des Regiments zu. Nach solchen Ereignissen bemerkte er dann mit Selbstgefühl: „Und sie können noch zweifeln, daß ich einst Kaiser werde.“ – Man sagt, ein großer Theil der Armee sei jetzt weniger enthusiastisch für den Kaiser gestimmt.






Vom Weihnachtsmarkte für die Jugend. Die liebe Weihnachtszeit mit ihren süßen Freuden und Ahnungen rückt mit jedem Tage naher und näher. Mehr als je hat die Spekulation dafür gesorgt, daß die Bescheerung unter’m Tannenbaume möglichst reich und schön ausfalle und auch die Literatur, namentlich die Jugendliteratur, ist nicht zurückgeblieben. Unter der Menge neuerschienener Kinderschriften für jedes Alter zeichnen sich dieses Jahr die im Verlage von Flemming in Glogau erschienenen, durch Inhalt und geschmackvolle Ausstattung sehr Vortheilhaft aus. Aus der Jugendzeit von Rosalie Koch (für Kinder von acht bis zwölf Jahren), die Geschwister von der frühverstorbenen Marie Förster (für die reifere Jugend), besonders aber „Herzblättchen’s Zeitvertreib, Unterhaltungen zur Herzensbildung und Entwickelung der Begriffe,“ mit vielen unterrichtenden Abbildungen dürfen überall empfohlen werden. Auch der 2. Bd. des in demselben Verlage erscheinenden bekannten Töchter-Albums von Thekla v. Gumpert ist erschienen und enthält wieder eine Anzahl sehr hübscher Abbildungen. Weniger sind wir mit dem Inhalte einverstanden, der, die belehrenden Artikel ausgenommen, theilweis sehr an krankhafte Frömmelei anstreift. Da das Buch der Königin von Preußen gewidmet wurde, so zeigte es eben nicht von übergroßem Takt, daß die Verfasserin ihr eigenes Portrait als Titelbild vorsetzen ließ. Wer ist Thekla v. Gumpert, und was hat sie Großes auf dem Felde der Literatur gethan, daß sie schon an eine Berechtigung glaubt, ihr Bildniß dem Publikum vorzuführen? – Eltern, denen eine praktische Beschäftigung ihrer Kinder am Herzen liegt, empfehlen wir als Arbeitsübung für die Jugend die in demselben Verlage erschienenen Heftwerke: „Aus- und Zuschneideschule“ und die „Bilderwerkstatt,“ namentlich das erstere als sehr praktisch und unterhaltend.

Neben dem Töchter-Album, das eine Reihe von Beiträgen preußischer Autoren und Schriftstellerinnen bringt, müssen wir eines sächsischen Unternehmens für die reifere Jugend erwähnen, das soeben unter dem Titel: „Zum Feierabende“, herausgegeben von Stiehler in 2 Bänden, bei Meinhold in Dresden erschienen ist. Es bringt nur Beiträge sächsischer Autoren, unter denen wir Hofrath Klemm, Nieritz, Elise Polko, Dr. Reichenbach, Wildenhahn etc. nennen. Jedenfalls ist diese Schrift, deren Ertrag zum Besten den Lehrerpensionsfonds bestimmt ist, an literarischem Werth der Gumpert’schen Töchterschule weit überlegen, und auch die Ausstattung steht in keiner Weise dem preußischen Buche nach. Für Sachsen erhält das Buch insofern noch ein besonderes Interesse, als es eine sehr gelungene Abbildung aus den letzten Augenblicken des verstorbenen Königs enthält.

Für Knaben, die da Freude an Kampf und Gefahren haben – und welcher hätte sie nicht – empfehlen wir das bei Trewendt in Breslau erschienene vortrefflich ausgestattete Buch: „die jungen Büffeljäger auf den Prairien des fernen Westens von Nordamerika,“ herausgegeben von K. Müller. Es ist unterhaltend und belehrend zugleich und bringt viele sehr gut geschriebene Naturbilder.




  1. Gallus Asinius soll sogar für einen solchen eine Summe von 25000 Dukaten, nach unserem Gelde berechnet, bezahlt haben.
  2. Erzählungen in Versen.