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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1855
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[687]

No. 52. 1855.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Die schöne Kathi.
Novelle von August Schrader.
(Schluß.)


Das Geräusch von Schritten deutete an, daß Niklas sich entfernte. Lajos wußte nicht, daß der Gehülfe eine Rache an seinem Herrn und nun auch an Kathi üben wollte, die ihm in der Dämmerung, wo er einen neuen Angriff versucht, entschieden jede Hoffnung abgeschnitten hatte; er hätte sich sonst die Absicht dieser Mittheilung erklären können. Niklas hatte aber das entgegengesetzte Ziel erreicht – er förderte durch seine Bosheit die Interessen der armen Kathi. Lajos klopfte also an das bezeichnete Fenster. Es öffnete sich, und Kathi ward sichtbar.

„Ich bin es!“ flüsterte der Fischer.

Kathi erkannte ihn.

„Retten Sie mich aus diesem Hause,“ schluchzte sie, „meine Lage ist unerträglich!“

„Still! Sind Sie sicher, daß man Sie von der Küche aus nicht belauscht?“

„Sie haben Recht, hier ist man stets unter Aufsicht.“

Die Gräfin verschwand. Nach einigen Augenblicken kam sie zurück.

„Ich habe die Thür der Küche und die meiner Kammer verschlossen!“ flüsterte sie. „Was bringen Sie mir, Lajos?“

„Sie wissen also – –“

„Daß Janos hier ist? Ach ja, ich habe ihn sogleich erkannt!“

„So sprechen wir nicht weiter davon. Neigen Sie sich aus dem Fenster, daß ich noch leiser flüstern kann.“

Kathi that es. Lajos berührte fast ihre Wange.

„Morgen Abend um neun Uhr halten Sie sich zur Abfahrt bereit.“

„Ist der Kahn da?“

„Ja.“

„Gott sei gelobt!“

„Mir fehlen noch dreißig Gulden an dem Kaufgelde - meine kleine Kasse ist erschöpft – “

„Hier ist das Geld!“ flüsterte Kathi eifrig.

Sie holte die Börse des Apothekers aus ihrer Tasche und drückte sie Lajos in die Hand.

„Ich ziehe mich nun zurück, um keinen Verdacht zu erregen. Janos läßt tausendmal grüßen und die größte Vorsicht anempfehlen.“

„Kann ich ihn nicht auf eine Minute sprechen? Warum ist er nicht gekommen?“

„Aus Vorsicht! Beruhigen Sie sich, er besteigt morgen Abend mit Ihnen den Kahn!“

„Heilige Jungfrau – Lajos, ist das wahr?“

„Auf Wiedersehen morgen Abend neun Uhr! So lange bleiben Sie die Köchin, so lange dulden Sie!“

Der Fischer traf den Korporal bei der Baumgruppe.

„Haben Sie Ihren Zweck erreicht?“ rief der Graf dem Ankommenden entgegen.

„Vollkommen! Hier ist das Geld.“

Lajos erzählte seine Unterredungen mit Niklas und der Gräfin.

„Die arme Dame hat die Börse angenommen, weil sie nicht eine Kupfermünze besitzt,“ schloß er.

„Gräßlich! Gräßlich!“ murmelte der Graf.

„Und ich möchte vortrefflich rufen!“ fügte der Fischer hinzu, „denn hätte der filzige Apotheker die Schwachheit nicht gehabt, seine Börse zu verschenken, ich würde das zu der Flucht unumgänglich nöthige Fahrzeug nicht herbeischaffen können. Ohne Herrn Czabo wäre die Flucht unmöglich gewesen. Kann ich morgen früh zehn Uhr nicht zahlen, so zahlt ein Anderer, und der Kahn ist verkauft. Jetzt gehe ich ohne Sorge zu Bett – unsere liebe Gräfin wird morgen gerettet sein. Und Sie, Herr Graf, kennen meine Nichte nicht, was auch geschehen möge, Thekla bleibt bis morgen Abend die Köchin Kathi.“

Der Fischer bestieg sein Boot, und fuhr an das jenseitige Ufer der Save, wo sein Häuschen still und einsam unter zwei großen Buchen stand.

Janos Esthi kehrte in sein Quartier zurück. Er schlief nicht so ruhig, als der Fischer, denn Niklas’ Bemerkung, der Apotheker wolle ihn morgen ist einem Wirthshause unterbringen, machte ihm Sorgen. Ward dieses Vorhaben ausgeführt, woran sich nach der Scene im Wohnzimmer nicht zweifeln ließ, so bot die Flucht für den Korporal Schwierigkeiten. Der Gedanke, Lajos wird helfen, tröstete ihn ein wenig.



VI.
Der Wittwer.

Zehn Uhr war vorüber, und die Wächter sangen ihr Nachtlied in den Straßen Semlins, die zu gleicher Zeit von den ersten Patrouillen der Schutzwehr durchzogen wurden. Da läutete die Glocke der Apotheke. Niklas öffnete die Thür. Herr Czabo, in der vollen Uniform des Commandanten, trat ein. Er kam von dem Rathhause, wo die Offiziere der Schutzwehr eine Versammlung abgehalten hatten.

[688] „Wo ist Netti,“ fragte er leise.

„Fräulein Netti ist zu Bett gegangen, weil Sie gesagt haben, daß Sie um Mitternacht erst zurückkehren würden.“

„So dachte ich; unsere Berathung ist früher beendet.“

Herr Czabo trat in das Schreibstübchen neben der Apotheke, und erkundigte sich, wie er stets pflegte, nach dem, was in seiner Abwesenheit an Medicamenten geholt war.

„Ist sonst Nichts vorgefallen?“

„Was meinen Sie, Herr Czabo?“ fragte Niklas.

„Nun, wir haben Einquartierung – es wäre doch möglich, daß – –“

„Daß der Korporal, der mir ein flotter Bursche zu sein scheint, sein Gartenhaus verlassen hätte?“ fuhr Niklas fort, um das Gespräch auf den Punkt zu bringen, wohin er es haben wollte.

Der Commandant sah seinen langen Gehülfen mit großen Augen an.

„Der Soldat kann die Gartenthür nicht erbrechen – ich trage den Schlüssel bei mir. Hat er an die Thür geklopft?“

Niklas grinste, als ob er nicht mit der Sprache heraus wollte.

„Nun?“ fragte ungeduldig der Apotheker. „Hat er an die Thür geklopft?“

„Nein, an die Thür nicht, aber an das Fenster, das sich nicht weit von dieser Thür befindet.“

„An das Küchenfenster?“

Der lange Mensch nickte mit dem Kopfe.

Herr Czabo griff wie krampfhaft nach dem Degen an seiner Seite.

„Niklas,“ sagte er leise, „ich muß wissen, was in meinem Hause vorgeht, zumal jetzt, wo die ganze Stadt ihr Augenmerk auf mich gerichtet hat. Du begreifst, daß meine Ehre – –“

„So dachte auch ich, Herr Czabo, und deshalb legte ich mich auf die Lauer, als ich das Klopfen erst an der Thür und dann am Fenster hörte. Ich schwieg, weil ich in der Nacht keine Aufsehen erregen wollte.“

Herr Czabo schloß leise die Glasthür der Schreibstube, dann fragte er leise:

„Was hast Du gehört und gesehen?“

„Gesehen habe ich Nichts, aber gehört desto mehr.“

„Erzähle, meine Ehre erfordert, daß ich Alles weiß.“

„Ja, Ihre Ehre erfordert es, und darum will ich sprechen!“ sagte Niklas, der sich entrüstet stellte. „Einige Minuten nach dem Klopfen schlich ich also an die Küche. Es war dunkel, und die Kathi, die sich wahrscheinlich sicher vor mir glaubte, hatte die Thür ihrer Kammer offen gelassen. Sie lag im Fenster, der Korporal stand draußen. Der Kerl muß eine gute Nase haben, denn er hatte richtig das Kammerfenster ausgewittert.“

„Aber Kathi, Kathi?“

„Nun, Kathi hatte das Fenster geöffnet, und unterhielt sich sehr vertraulich mit dem hübschen Korporal.“

„Der Mensch muß morgen früh aus dem Hause!“ murmelte der Commandant. „Ich bringe ihn in das goldne Roß, das im entgegengesetzten Stadtviertel liegt, und wenn ich täglich einen Gulden bezahlen soll. So etwas darf ich in meinem Hause nicht dulden. Was hörtest Du?“

„Der Korporal klagte über Hunger.“

„Element!“

„Kathi bedauerte ihn, und sprach von Ihrem Geize.“

„Niklas, das ist nicht möglich! Entweder hast Du falsch gehört oder – –“

„Nein, Herr Czabo, ich habe ganz recht gehört!“ versicherte der Gehülfe, als er sah, daß das Gesicht seines Herrn bald bleich, bald roth ward. „Und ich habe mich, wie Sie, über diese Niederträchtigkeit geärgert. O, Sie kennen die Soldaten nicht – mit den Köchinnen sind sie geschwind auf vertrautem Fuße. Unser Korporal mochte wohl merken, daß die Köchin ihm nichts abschlagen konnte, er sprach von Durst, und daß seine Kameraden in dem Wirthshause säßen. – Werden Sie nicht gehen? fragte Kathi. Ich habe kein Geld! – Das ist ja eine ganze Börse! rief der Korporal. – Gehen Sie in das Wirthshaus, und trinken sie auf meine Gesundheit. – Das soll geschehen! – Nun hörte ich etwas, wie einen Kuß – dann ward das Fenster geschlossen. Ich schlich in meine Apotheke zurück. Die Geschichte ist vor kaum einer Viertelstunde passirt.“

Herr Czabo hatte die Arme verschränkt, und starrte einige Augenblicke düster vor sich hin. Dann sah er Niklas an, der einige Recepte bei Seite legte.

„Mensch, ich glaube, Du belügst mich! Du willst Kathi bei mir verleumden!“

„Ich schwöre Ihnen zu, Herr Czabo, daß der Korporal an dem Küchenfenster gewesen ist.“

„Gehe zu Bett!“

„Ja, Herr Czabo.“

„Und sagst keiner Seele, was Du gehört hast.“

„Nein, Herr Czabo!“

Der Apotheker verließ die Schreibstube. Niklas rieb sich vergnügt die Hände, löschte die Lichter aus, und ging in seine Kammer, die sich neben der Schreibstube befand.

Herr Czabo mußte an der Küchenthür vorüber, um in sein Zimmer zu gelangen. Eine wunderbare Gewalt hemmte seine Schritte, und zog seine Blicke nach dem Raume, den die schöne Kathi beherrschte. Er war nicht umsonst so früh nach Hause gekommen, die Kathi hatte ihn beim Weggehen nicht in der Uniform gesehen, sie sollte ihn jetzt in seiner Pracht und Herrlichkeit bewundern. Und während er es so gut mit der armen Magd meinte, verschenkte sie sein Geld heimlich an einen Korporal, den sie kaum kannte.

„Schade, daß sie ein so hübsches Mädchen ist!“ dachte Herr Czabo mit einer schmerzlichen Herzensbeklemmung, und dabei sah er im Geiste ihr reizendes Gesicht, ihre großen, treuherzigen Augen, ihren blühenden Mund, ihren schlanken hals, ihre schneeweiße Schulter, ihre runden Arme und ihre kleinen Füße. „Das wird eine schöne Nacht werden,“ fuhr er in seiner Meditation fort – „ich sehe voraus, daß ich kein Auge schließe! Und diese schlaflose Nacht habe ich am Ende dem elenden Niklas zu danken, der entweder aus Eifersucht gelogen, oder in der Verblendung falsch gehört oder gesehen hat. Ein Mensch, der acht Gran Brechpulver auf eine Dosis giebt, kann auch in seiner Phantasie einen Korporal an dem Küchenfenster sehen. Nein, für so schlecht halte ich die hübsche Kathi nicht. Der wackere Lajos hat mich versichert – –“

Ein Geräusch erschreckte den sinnenden Apotheker, daß er heftig zusammenfuhr. Herr Czabo zitterte, als ob er auf einer schlechten That ertappt würde.

Gleich darauf schimmerte Licht durch die angelegte Küchenthür, und man hörte, wie Kathi den großen Küchenschrank verschloß.

„Sie ist noch wach,“ dachte Herr Czabo. „Alles schläft, ich kann ungestört mit ihr sprechen, und der Sache auf den Grund kommen. Seltsam, ich zittere in meinem eigenen Hause, vor meiner eigenen Köchin!“

Der Commandant setzte seinen Federhut gerade, der ihm eine wenig in den Nacken gesunken war, zog die Schärpe zurecht und räusperte sich.

„Kathi, bist Du noch in der Küche?“ rief er, und gab seiner Stimme so viel Festigkeit, als ihm möglich war.

„Ja, Herr Czabo!“ antwortete die helle, wohlklingende Stimme der Köchin.

Der Commandant öffnete die Thür und trat auf die Schwelle.

Kathi stand in der Mitte der Küche; sie war noch völlig angekleidet und hielt in der rechten Hand die Küchenlampe. Der Schein derselben erhellte ihr reizendes Gesicht, so daß der Commandant die Thränen sehen konnte, die in ihren langen, schwarzen Wimpern perlten. Kathi sah den stattlichen Commandanten der Schutzwehr verwundert an. Bei dem Anblicke der Thränen vergaß der alte Herr die Absicht, die ihn eigentlich zu der Küche geführt.

„Du hast geweint, Mädchen,“ sagte er theilnehmend – „was ist geschehen?“

Die Köchin erschrak, und fuhr mit der kleinen Hand über die Augen.

„Es ist wohl möglich!“ antwortete sie mit einem schmerzlichen Lächeln, wobei sich die Grübchen in ihren Wangen und die Perlenzähne zwischen den Purpurlippen zeigten. „Als ich vorhin so allein in der Kammer saß, dachte ich an meinen verstorbenen Vater.“

„Allein in der Kammer?“ fragte Herr Czabo betonend. Und zu gleicher Zeit zog er leise die Thür hinter sich an.

„Ja, Herr Czabo,“ antwortete sie unbefangen, „wer sollte wohl bei mir gewesen sein?“

„Kathi, sieh mir in das Auge – bist Du wirklich allein gewesen?“

[689] „Lieber Herr, setzen Sie Mißtrauen in mich?“ fragte sie mit demselben Lächeln. „Ich habe in Ihrer Abwesenheit nicht eine Minute die Küche verlassen.“

Diese Worte wurden in einem so wunderbaren Tone gesprochen, daß dem Apotheker der Muth fehlte, seine kränkende Untersuchung fortzusetzen. Er konnte kaum den aufrichtigen Blick des Mädchens ertragen, das er auf die Aussage des langen Niklas hin verdächtigte. Wie gern hätte er die Unterredung abgebrochen, aber die Furcht vor der schlaflofen Nacht, die jedenfalls kommen würde, wenn er ohne Gewißheit zu Bette ginge, stachelte ihn an, von der Köchin einen triftigern Beweis ihrer Unschuld zu erlangen, als diesen Blick.

„Kathi, ich will Dich nicht kränken,“ begann er verlegen nach einer Pause. „Du weißt, daß ich es herzlich gut mit Dir meine. Ich bin Wittwer, und habe mir vorgenommen, Dein Glück zu machen.“

„Was soll das heißen, Herr Czabo?“

„Zunächst vernimm, daß ich in vierzehn Tagen meine Netti verheirathe. Ich will dem Glücke der beiden jungen Leute nicht länger im Wege stehen.“

„Dann wäre ich allein bei Ihnen im Hause?“

„Ganz recht, und darum begreifst Du, daß kein Makel, selbst nicht der leiseste Verdacht auf Dir haften darf. Du wirst dann immer bei mir bleiben - hast Du Lust dazu?“

Kathi preßte die rechte Hand auf ihr Herz, als ob sie einen stechenden Schmerz unterdrücken wollte. Nach einem Seufzer sagte sie:

„Lieber Herr, Sie müssen am Besten wissen, was Ihnen gut ist.“

„Und Du, Kathi?“

Sie senkte die Augen zu Boden, und flüsterte:

„Sprechen Sie mit meinem Vetter Lajos!“

Der Commandant hätte das reizende Mädchen fast umarmt.

„Der verdammte Korporal!“ dachte er, indem er sich in die Lippen biß, und die beschämte Kathi betrachtete.

Plötzlich zuckte er zusammen, ihm war eine List beigefallen, mit deren Hülfe er sofort klar sehen konnte. Er schwor sich selbst, Niklas aus dem Hause zu jagen, wenn er das reizende Mädchen verleumdet hätte. Ein Liebhaber von zwanzig Jahren würde über Kathi’s Reizen ihre Fehler vergessen haben - der Apotheker aber, trotzdem er verliebt war, ging mit der Ruhe zu Werke, die das vorgerückte Alter mit sich führt. Die Worte des Gehülfen saßen wie ein brennender Pfeil in seinem Herzen, und um sich ganz des Glückes der Liebe zu erfreuen – Herr Czabo war kein Freund von Halbheiten – mußte dieser Pfeil herangezogen werden.

„Kathi,“ sagte er, „Du sollst von diesem Augenblicke an die Wirthschaft unumschränkt leiten.“

„Aber, lieber Herr, ich bin ja noch so unerfahren – –“

„Ich bin mit dem zufrieden, was Du thun wirst.“

„Wenn mir Mamsell fehlt –“

„Mir wird sie nicht fehlen. Um Dir also einen Beweis meines Vertrauens und meiner Achtung zu geben, überliefere ich Dir das wöchentliche Wirthschaftsgeld.“'

„Aber, Herr Czabo.“

„Ich dulde keinen Widerspruch. Bevor ich handele, habe ich reiflich überlegt. Gieb mir einmal Deine Börse.“

„Meine Börse?“ fragte sie überrascht.

„Nun ja, ich selbst werde das Geld hineinstecken, dessen Du für die nächste Woche bedarfst. „Gieb, Kathi – ich habe es einmal beschlossen – –“

Er vermochte nicht weiter zu reden, die ängstliche Befangenheit Kathi’s fiel ihm wie eine ungeheure Last auf das Herz, er glaubte die ersten Zeichen ihrer Schuld entdeckt zu haben. „Wenn Niklas dennoch die Wahrheit gesagt hätte!“ dachte er bestürzt, und dabei sah er das junge Mädchen wider seinen Willen mit durchbohrenden Blicken an.

Kathi war wirklich einen Augenblick bestürzt; sie hielt den Apotheker, den sie als einen erbitterten Feind der Revolution kannte, für einen listigen Menschen, für einen Spion, der Ahnung von ihrem wahren Stande hatte, und sie in das Verderben zu stürzen suchte. Warum fragte er nach der Börse, deren Inhalt zum Ankaufe des Bootes verwendet war, das die Flucht der proscribirten Gräfin ermöglichen sollte? Sie sah, wie die Lippen des Commandanten der Schutzwehr zitterten, sie sah die veränderten Blicke, die sie kurz zuvor noch so freundlich angesehen hatten. Die Zärtlichkeiten des Apothekers waren also eine List gewesen, um sie zu fangen. Das arme Mädchen hielt sich für verloren. Sie wähnte, das erste Begegnen des Grafen, wobei sie ein wenig außer Fassung gerathen, habe den ersten Anlaß zu dem Verdachte gegeben.

„Kathi,“ wiederholte Herr Czabo, „wo ist die Börse?“

„Die Börse?“ flüsterte sie.

„Warum siehst Du mich nicht an? Warum schlägst Du die Augen nieder? Kathi,“ rief der Apotheker, der von der Schönheit des bestürzten Mädchens wie geblendet war, und einen aufrichtigen Schmerz über ihre Schuld empfand –„Kathi, habe ich es um Dich verdient, daß Du mich hintergehst? Ich bin Wittwer, ich meine es gut mit Dir, und Du – Du –“

Der verliebte Wittwer konnte nicht weiter reden, denn Kathi, die leise zitterte und bald roth, bald bleich geworden, war in dieser Verfassung so schön, daß sie in den Augen des Herrn Czabo einem gefallenen Engel glich, um den das Herz trauert.

Es konnte dem scharfen Blicke der Gräfin nicht entgehen, daß der Schmerz des Apothekers kein erkünstelter war. Aber wo hinaus wollte der gute Mann mit seinen Forschungen? Der Drang der Umstände gebot ihr, sich darüber Gewißheit zu verschaffest.

„Nun, und ich?“ fragte sie, den Commandanten mit großen Augen anblickend.

Herr Czabo fühlte sich zum Verzeihen so geneigt, daß er wie bittend ausrief:

„Mädchen, hast Du mir Nichts zu bekennen?“

„Mein Gott, lieber Herr, ich habe so nichts begangen.“

„Und das sagst Du mir mit dieser treuherzigen Miene?“

„Herr Czabo!“ flüsterte sie in einer Anwandlung von Entrüstung.

„Wo hast Du die Börse? Das will ich wissen! Das hast Du mir zu bekennen! Du schweigst. Nun wohlan, so will ich es Dir sagen, Du Schlange!“

Kathi zuckte zusammen. Dann aber faßte sie sich wieder, und sah den Apotheker fest an.

„Wer war an diesem Fenster?“ fragte der Apotheker.

Das schöne Mädchen zitterte, es glaubte, der Commandant der Schutzwehr sei auf der rechten Spur.

„Wer hat mit Dir gezischelt und geflüstert?“ fuhr der Commandant anfgeregt fort. „Wem hast Du das Geld, die ganze Börse gegeben? Und zu welchem Zwecke? O, der Zweck ist noch das Abscheulichste!“

„Er weiß Alles!“ dachte die Gräfin.

„Mädchen, erwacht Dein Gewissen nicht? O, ich sehe, Du bist eine verstockte Sünderin, denn Du beharrst hartnäckig in Deinem sträflichen Schweigen. Ich dachte, Dein Vetter Lajos führte mir die Unschuld selbst in das Haus, und nun muß ich erfahren, daß ich eine Heuchlerin unter meinem Dache beherberge. Kaum hat der verwünschte Korporal meine Schwelle überschritten – ach, Du erröthest - ich spreche von dem Korporal, und Du blickst zu Boden – Kathi, Du hättest an Deine und meine Ehre denken sollen!“

„Ihre Ehre, Herr Czabo, habe ich sie gekränkt?“

Der Alte gerieth in Zorn.

„Ein Geschenk, das ich Dir aus wohlmeinendem Herzen mache, giebst Du einem Korporal? O, von dem Gelde, das er auf Dein Wohl vertrinken soll, spreche ich nicht; aber von der Börse, die meine arme Netti gestrickt hat.“

„Der Korporal soll an meinem Fenster gewesen sein?“ fragte Kathi, die nun begriff, daß die Eifersucht aus dem Apotheker sprach. „Lieber Herr, wer Ihnen das gesagt hat, ist ein boshafter Lügner. Ich kenne den Korporal nicht, und habe ihn, außer in Ihrem Zimmer, nicht gesehen!“

Herr Czabo stutzte.

„Mädchen,“ stammelte er, „warum zeigst Du mir die Börse nicht?“

„Weil ich sie nicht mehr habe.“

„Und wer hat sie?“

„Mein Vetter Lajos. Er und kein Anderer war am Fenster!“ Nach diesen Worten wandte sich Kathi beleidigt ab.

„Das ist wahrscheinlich,“ dachte der Apotheker. „Lajos hat in der Save gefischt, ist durch den Garten gekommen, und hat, da die Thür verschlossen war, an das Fenster geklopft. Ich darf Nichts sagen, da ich ihm erlaubt habe, seine Nichte zu besuchen.“

[690] „Die Börse,“ fuhr Kathi mit gepreßter Stimme fort, „habe ich ihm gegeben, damit er sie meiner armen Mutter schicke.“

Sie schwieg und stieß einen tiefen Seufzer aus. Diese Unwahrheit war nur gewaltsam über ihre Lippen gekommen; aber sie glaubte sie nicht verschmähen zu dürfen, um ihre Sicherheit in den letzten Stunden nicht zu gefährden.

Kathi verhüllte mit der Schürze ihr Gesicht und schien still zu weinen.

Herr Czabo war wie vernichtet. Er konnte nicht einmal seinen Zorn an Niklas auslassen, denn der lange Mensch hatte nicht gelogen, er hatte sich nur getäuscht. Da stand nun die schöne Kathi weinend vor ihm, er hatte sie schwer beleidigt. Was würde er darum gegeben haben, wenn er seine Worte hätte zurücknehmen können.

„Kathi,“ sagte er, „weine nicht, ich glaube Dir. Wenn ich in meiner Entrüstung ein wenig zu weit ging, so geschah es, weil ich Dir wirklich gut bin, weil ich alle meine schönen Pläne zertrümmert glaubte, die ich in Betreff Deiner Person entworfen habe. Gieb mir Deine Hand, Kathi!“

Während sie mit der rechten Hand immer noch die Schürze vor die Augen hielt, reichte sie ihm die linke.

„Bist Du wieder gut, mein Kind?“

Sie nichte mit dem Kopfe. Herr Czabo streichelte die kleine, weiche Hand.

„Höre, Kathi,“ flüsterte er ganz leise, „Du hast bei dieser traurigen Gelegenheit die Gefühle kennen gelernt, die ich für Dich hege. Ich weiß selbst nicht, woher sie gekommen sind, aber ich habe sie einmal. Antworte mir, Mädchen, kannst Du Dich entschließen, für immer bei mir zu bleiben, willst Du“ – er sah sich erst nach der Küchenthür um, dann neigte er sich an ihr Ohr und flüsterte ganz leise – „willst Du meine Frau werden?“

Kathi schien hinter ihrer Schürze heftiger zu weinen. Dem Commandanten wollte fast das Herz zerspringen. Er brachte seinen Kopf dem ihrigen noch näher, dabei fiel der Federhut zu Boden. Der gute Mann bemerkte es kaum, denn seine Lippen hatten den Sammt der Wange Kathi’s berührt und ein Schauer durchrieselte seinen ganzen Körper.

„Mädchen,“ lallte er berauscht, „o so antworte mir doch: willst Du meine Frau werden?“

Er fühlte, daß Kathi seine Hand leise drückte. Er zog die Hand der Köchin an seine Lippen.

„Mädchen, Du mußt meine Frau werden!“ stammelte er. „Entscheide Dich, ich kann ohne Antwort nicht von Dir gehen! Ja oder nein?“

„Sprechen Sie mit meinem Vetter,“ flüsterte sie.

„Kathi, zeige mir Dein Gesicht!“

Er wollte die Hand mit der Schürze zurückziehen; sie aber sprang mit einem Satze in die Kammer und schloß die Thür hinter sich.

Herr Czabo rieb sich vergnügt die Hände.

„Ich soll mit ihrem Vetter sprechen!“ flüsterte er entzückt vor sich hin. „Das ist eine Einwilligung in bester Form. Ja, liebe Kathi, das wird morgen geschehen!“

Er ergriff seinen Federhut, verließ, auf den Zehen schleichend, die Küche und ging in sein Zimmer. Der glückliche Wittwer hatte gefürchtet, daß er vor Unruhe nicht würde nicht einschlafen können – jetzt verscheuchte das Glück den Schlaf. Gegen Morgen übermannte ihn der Schlummer. Er sah im Traume Kathi; sie trug ein seidenes Kleid und einen kostbaren Federhut, und er selbst hätte darauf wetten mögen, daß sie nie eine Köchin gewesen sei.

„Der arme Mann!“ dachte Kathi in ihrer Kammer. „Gott verzeihe mir, daß ich eine solche Rolle mit ihm spiele, daß ich ihn so arg täuschen muß. Aber meine Freiheit, vielleicht mein Leben steht auf dem Spiele – ich kann nicht anders, wenn ich mich nicht verrathen will!“



VII.
Entdeckungen.

Der nächste Morgen brach an. Herr Czabo war die Liebe und Güte selbst. Er vermied es, Kathi zu sehen, denn er fürchtete sie in Verlegenheit zu setzen. Mit Ungeduld erwartete er den Fischer – aber Lajos kam nicht. Mehr als einmal ging er in den Garten hinaus, aber es zeigte sich kein Kahn auf der ruhig strömenden Save. Auch der Korporal war nicht zu sehen, er hatte sich in die Stadt zum Appel begeben.

„Ich hatte den armen Mann mit Unrecht im Verdachte,“ flüsterte der Apotheker, als er an dem Pavillon vorüberging; „ich will ihn dafür entschädigen, er soll nicht in das schwarze Roß. Jetzt kann ich sicher sein, daß er mir nicht schadet!

Der gute Wittwer hätte die ganze Welt so glücklich sehen mögen, als er selbst war. An der Einwilligung des Vetters Lajos zweifelte er nicht einen Augenblick, und Kathi’s Einwilligung hatte er ja – er konnte die schöne Köchin schon als seine Frau betrachten.

Der Vormittag verfloß wie gewöhnlich. Nach Tische machte Herr Czabo sein Mittagsschläfchen. Diese Zeit benutzte der lange Niklas, um bei Kathi zu sondiren, wie es mit dem Korporal stehe. Er schlich in die Küche, um seinen Kaffee zu holen. Als Einleitung zu der Unterhaltung erzählte er die Neuigkeit, daß man der Gräfin Andrasy, der gefährlichen Revolutionärin, auf der Spur sei. Man wisse bereits, daß sie sich nach Semlin gewendet habe, um von hier aus über die Grenze zu flüchten.

Kathi hörte schweigend zu, ohne sich in ihrer Arbeit stören zu lassen. Niklas entfernte sich wieder. Die Geringschätzung der Köchin erbitterte ihn.

„Ich werde Soldat,“ dachte er; „aber ehe ich gehe, spiele ich der Jungfer noch einen Streich!“

In einer fieberhaften Aufregung, und kämpfend mit der Angst vor Verrath, stieg Kathi um drei Uhr die Treppe hinan, um nach der Hausordnung dem Advokaten Ferenz den Kaffee auf das Zimmer zu bringen, den sie auf einem Präsentirteller in den zitternden Händen trug. Leise trat sie ein, weil sie wußte, daß der junge Mann um diese Zeit arbeitete. Ruhig blieb sie stehen, als sie hörte, daß der Advokat in dem Nebenzimmer, dessen Thür weit geöffnet war, auf- und abging und mit lauter Stimme las:

Da stand urplötzlich eine hohe Frau,
Wie einst Johanna d'Arc, im Volksgewühl,
Die Menge ward begeistert, denn so schön
War selbst die gottgesandte Jungfrau nicht!

„Ein Dichter,“ dachte Kathi, und verhielt sich ganz still, denn es war das erste Mal seit langer Zeit, daß sie wieder Verse hörte, sie, die selbst als Dichterin bekannt war.

Der Advokat fuhr begeistert fort, da er sich allein wähnte:

Du bist die Gottgesandte, hohe Tochter
des würdigen Andrasy, denn dich schmückt
Das Attribut der höchsten Majestät.
Im Kampfe groß, und nach dem Siege mild
Bist Du es, die die Thränen Armer stillt;
Du trägst mit Würde der Verbannung Schmerz,
Vertrauend blickt dein Auge himmelwärts –
Vom Glorienlicht der Hoffnung mild umzogen,
Stehst eine Heldin du in Sturmeswogen!

Die arme Gräfin zitterte, als sie vernahm, daß diese Verse an sie gerichtet waren. Ein heller Thränenstrom entstürzte ihren schönen Augen. Begeisterter, als ob er diese Thränen gesehen, fuhr der schwärmerische Advokat fort:

Und herrlich hat die Gottheit dich geweiht,
Mit Stolz verbindest du Bescheidenheit.
Der Frauen höchste Schöne strahlt darin,
Mein Ideal, du, meine Königin!

Mit großer Selbstzufriedenheit, sein Taschentuch in der Hand, trat der Advokat plötzlich in die Thür. Er sah Kathi, deren Gesicht von Thränen erglänzte.

„Mein Gott,“ fragte er erschreckt, „was ist geschehen? Sie weinen, Kathi, Sie befinden sich in einer Aufregung.“

Die Gräfin konnte nicht ausweichen.

„Ach, Herr Advokat, diese Verse!“ schluchzte sie.

„Hast Du mich belauscht?“

„Ohne daß ich es wollte. O, wie schön, wie groß ist es, eine verbannte, eine verfolgte Frau zu besingen!“

Ferenz starrte die Köchin an. Diese Worte waren nicht in dem gewöhnlichen Dialecte der Landleute gesprochen. Und welche Empfindung verriethen sie!

Die Gräfin Thekla Andrasy, von ihrem Gefühle hingerissen, hatte ihre Maske vergessen. Doch schon im nächsten Augenblicke erinnerte sie sich daran. Bestürzt trat sie zu dem Tische und setzte das Kaffeeservice nieder. Ihre kleinen Hände zitterten, ihr Gang war schwankend. Sie wollte sich entfernen; doch ehe sie noch die

[691]

Das Birmingham- und Midland-Institut in Birmingham


Thür erreicht halte, ließ sich ein Trommelwirbel in der Straße vernehmen. Thekla mußte sich an dem nahestehenden Stuhle halten, um nicht zu Boden zu sinken.

„Diese Angst, diese Verwirrung!“ rief Ferenz. „Wer bist Du, wer sind Sie?“ fügte er rasch hinzu, indem er das Gesicht der Gräfin, deren Schönheit selbst der bäuerische Kopfschmuck nicht beeinträchtigen konnte, anstarrte.

„Lassen Sie mich! Lassen Sie mich! Ein augenblicklicher Schwindel – er ist vorüber!“

Thekla lauschte ängstlich auf das Trommeln in der Straße, das noch fortdauerte.

„Großer Gott, Sie zittern vor diesem Signale!“ rief Ferenz. „Und diese Züge, die ich schon im Bilde gesehen. – Nein, nein, Sie sind nicht, was Sie scheinen – Sie sind die Gräfin Thekla Andrasy!“

Die Gräfin erhob sich wieder, ehe der Advokat ihr Beistand leisten konnte. Angst und Besorgniß schienen plötzlich verschwunden zu sein, denn aus ihren Augen strahlte das Feuer des Muthes, der große Geist, der Gefahren trotzt - die Schwäche der Frau war besiegt.

„Ja, ich bin es!“ sagte sie stolz. „Ihre Hand, mein Herr, dem Dichter darf ich mich vertrauen, – ich bin die flüchtige Thekla, auf deren Erlangung man einen Preis gesetzt.“

„O, mein Gott,“ rief der schwärmerische Ferenz, „dies ist der schönste Lohn, der je einen Dichter krönen konnte! Bauen Sie fest darauf, daß ich mit meinem Leben bereit bin, Sie den Verfolgungen zu entziehen.“

Der Advokat ergriff die Hand der Gräfin und küßte sie.

„Wissen Sie, was der Trommelwirbel bedeutet?“

„Er ruft die Schutzwehr zum Appel, deren Commandant Herr Czabo ist. Sie haben für diesen Augenblick nichts zu fürchten.“

„Und was habe ich von dem Dichter zu hoffen?“

„Daß er mehr thun, als Verse schreiben, daß er Sie retten wird!“

Auf der Hausflur ließ sich Herrn Czabo’s Stimme vernehmen, der Niklas, Netti und Kathi rief.

„Mein Schwiegervater!“ flüsterte Ferenz. „Tragen Sie Sorge, daß er Ihren wahren Stand nicht entdeckt, er ist zwar gut, aber schwach. Um sich als Commandanten zu zeigen, könnte er leicht eine Unbesonnenheit begehen, die Sie in das Verderben stürzt.“

„Kathi, Netti, Niklas!“ rief lauter der Apotheker. „Meinen Degen, meine Schärpe, meinen Federhut!“

„Mein Herr,“ sagte Thekla, „daß Sie an meinem Schicksale Theil nehmen, ist mir ein schöner Trost, der mich an meiner Rettung nicht verzweifeln läßt. So darf ich im Augenblicke der Gefahr fest auf Ihre Hülfe zählen?“

„So wahr ich hoffe, daß es eine ewige Gerechtigkeit giebt! Noch diesen Abend werden Sie von mir hören. Beugen Sie sich nur heute noch in das Joch der Köchin.“

„Ich eile, um keinen Verdacht zu erwecken.“

Als Thekla die Hausflur betrat, war sie ganz wieder Köchin, Niklas und Netti waren beschäftigt, Herrn Czabo Säbel und Schärpe anzulegen.

„Kathi,“ sagte der Commandant, indem er den großen Federhut auf das Haupt setzte, „ich verlasse auf eine, vielleicht auch auf zwei Stunden das Haus, weil meine Mannschaft auf dem Sammelplatze zusammentritt. Es ist etwas Wichtiges im Werke. Wahre die Küche und besorge das Abendessen. Sobald es völlig dunkel geworden, schließe die Fensterladen und bleibe ruhig in Deiner Kammer. Meine Handschuhe!“

Netti eilte in das Wohnzimmer.

[692] „Meine Dose!“

Niklas ging mit einem Riesenschritte in die Apotheke.

Die Absicht Herrn Czabo’s war erreicht, er befand sich mit Kathi allein.

„Adieu," sagte er freundlich, und indem er ihr die Wange streichelte; „öffne heute das Fenster nicht wieder, die Abendluft ist sehr kalt. Wenn Vetter Lajos kommt, mag er auf mich warten – ich habe mit ihm zu sprechen. Hörst Du, ich habe mit ihm zu sprechen."

„Ich werde Alles pünktlich besorgen, Herr!“ sagte Kathi. Dann entschlüpfte sie in die Küche, um ihre Bewegung zu verbergen.

„Ein reizendes, liebes Mädchen!“ flüsterte der Apotheker vor sich hin. „Sie muß sich prächtig ausnehmen, wenn sie erst seidene Kleider und einen Hut trägt. Ich will –“

„Hier ist die Dose!“ brüllte Niklas, indem er seinen langen Arm ausstreckte, und dem Prinzipal das Verlangte entgegenhielt.

„Hier sind Ihre Handschuhe, lieber Vater!" sagte Netti, die in diesem Augenblicke erschien.

Der Commandant warf noch einen Blick nach der Küche, dann schritt er majestätisch der Hausthür zu.

„Herr Czabo!“ rief Niklas im tiefsten Basse.

„Was giebt es noch?“

„Warten Sie noch einen Augenblick!“

„Warum?“

„Sie haben ja den Säbel auf der rechten Seite!“

„Verwünscht!“ murmelte Herr Czabo.

Mit Hülfe des langen Niklas ward das Versehen ausgeglichen, und der Commandant schritt stolz durch die belebten Straßen.

Niklas stand in der Thür und sah ihm nach.

„Ich wollte, ich hätte ihn nicht darauf aufmerksam gemacht!“ murmelte er. „Anstatt daß die Leute ihn grüßen, würden sie über ihn lachen!“

Aergerlich ging er in seine Apotheke.



VIII.
Die Flucht.

Die Dämmerung war angebrochen. Thekla war so erschüttert von den Ereignissen dieses verhängnisvollen Tages, daß sie sich einige Augenblicke der Ruhe überlassen mußte; sie setzte sich aus das Bett in ihrer Kammer neben der Küche und ließ das glühende Köpfchen in das weiße Kissen herabsinken.

„Janos, Graf Esthi, dient als Korporal!“ flüsterte sie. „Hätten ihn meine Augen nicht gesehen, ich würde es für ein Spiel meiner aufgeregten Phantasie halten! Welch’ ein Schicksal! Der gräfliche Bräutigam ist ein Korporal, und die gräfliche Braut ist die Köchin eines Apothekers in Semlin. Wahrhaftig, man könnte darüber lachen, wenn die Sache nicht zu ernst wäre, denn es handelt sich um Freiheit, vielleicht auch – um das Leben!“

Thekla hielt beide Hände vor das Gesicht, sie wollte den Thränenstrom ersticken, der aus ihren Augen rann. Ein Knistern, als ob Jemand leise durch die Küche schlich, ließ sich vernehme. Thekla fuhr empor, rasch ihre Thränen trocknend. Dann ergriff sie das Licht und trat unter lautem Herzklopfen in die Küche hinaus. Der Schein des Lichtes fiel auf die weiße Uniform des Korporals.

„Thekla!“ rief mit unterdrückter Stimme der junge Mann.

„Janos!“ schluchzte das Mädchen.

Beide stürzten sich einander in die Arme und feierten durch einen innigen Kuß, in den sich das Salz der Thränen mischte, das schmerzliche, verhängnißvolle Wiedersehen.

Der Graf gewann seine Fassung zuerst wieder, er wußte ja, welche Gefahr seiner geliebten Thekla drohete.

„Still!“ flüsterte er. „Nimm dies Papier, es wird Dir Alles sagen.“

Er drückte dem zitternden Mädchen ein Briefchen in die Hand, dann verließ er eben so leise und vorsichtig das Haus, wie er es betreten hatte.

Die junge Gräfin zog sich in die Kammer zurück. Nachdem sie sich noch einmal überzeugt, daß der Laden des Fensters verschlossen sei, öffnete sie das Papier und las:

„Jede Stunde mehrt die Gefahr. Man weiß, daß Du und mehrere unserer Leidensgefährten sich in der Stadt verborgen halten. Ich habe mit Lajos den Plan zur Flucht berathen, die diesen Abend noch ausgeführt werden muß. Am Ufer der Save, dort, wo im Garten des Apothekers die kleine Baumgruppe steht, liegt ein Kahn zu unserer Aufnahme bereit. Wir fahren in der Finsterniß die Save hinab, um die Donau und das jenseitige Ufer zu gewinnen. Empfängt uns das rettende Ufer nicht, so mag der Strom unser Brautbett werden. Sei vorsichtig und meines Winks gewärtig.“

Noch einmal durchflog sie die Zeilen, welche die Hand des geliebten Mannes geschrieben, dann drückte sie das Blatt an ihre Lippen und flüsterte, den Blick gen Himmel gerichtet:

„Entweder die Freiheit mit Dir, Janos, oder an Deiner Seite den Tod in den Wellen“.

Als ob mit diesem heroischen Entschlusse das Gemüth der unglücklichen Gräfin völlig beruhigt sei, unterzog sie sich ohne Zögern der Hausarbeit, welche die Zeit des Tages mit sich brachte. Sie ging zunächst auf die Straße und schloß die Laden des Erdgeschosses, die von Außen an den Fenstern angebracht waren. Ein ungewöhnlich reges Treiben herrscht in der sonst um diese Zeit so stillen Gasse. Soldaten und Bürger gingen hin und wieder. Vor den Thüren standen Gruppen von Männern und Frauen, die sich lebhaft, ungeachtet des kühlen Herbstabends, unterhielten. Thekla kümmerte es nicht, die Nähe des Geliebten hatte ihr Herz mit Muth und Vertrauen erfüllt, sie ging ruhig in das Haus zurück. In dem Wohnzimmer traf sie Netti

„Kathi,“ sagte das junge Mädchen, „hast Du für unsern Gast das Abendessen besorgt?“

„Nein.“ antwortete die Magd, „ich dachte, es sei noch zu früh.“

„So besorge es; der Vater sagte mir, es sei möglich, daß das Regiment sich versammeln müsse, da diesen Abend oder diese Nacht eine allgemeine Haussuchung vorgenommen werden solle, man vermuthe die Anwesenheit wichtiger politischer Flüchtlinge.“

„Soll geschehen!“ antwortete Kathi und verließ das Zimmer.

Thekla’s Herz begann wieder zu klopfen, so nahe hatte sie die Gefahr nicht geglaubt. Unschlüssig, ob sie in das Gartenhaus gehen und diese Nachricht dem Grafen mittheilen sollte oder nicht, stand sie einen Augenblick auf der Hausflur. Da trat der Advokat Ferenz eilig von der Straße ein.

„Man scheint Sie verrathen zu haben,“ flüsterte er eifrig; „ich komme vom Marktplatze, wo sich das Gerücht verbreitet hat, daß Sie sich in diesem Stadttheile verborgen halten. Um keinen zu beleidigen, sollen sämmtliche Häuser durchsucht werden. Alle Ausgänge der Stadt sind bereits besetzt. Wechseln Sie schnell die Kleidung, da man auf die Frauen ein besonderes Augenmerk richten wird. Meine Garderobe steht zu Ihrer Verfügung. Eilen Sie auf mein Zimmer, ich werde Netti unterhalten. Verlieren Sie keine Zeit, man theilt schon die Patrouillen ab.“

Der Advokat gab der bestürzten Gräfin den Schlüssel zu seinem Zimmer.

„Und dann?“ fragte sie kaum hörbar.

„Bleiben Sie oben, bis ich zu Ihnen komme.“

Ferenz ging in das Zimmer zu Netti. Mit dem Vorsatze, sobald sie die Kleider gewechselt, in das Gartenhaus zu eilen, flog Thekla die Treppen hinan, und betrat das Zimmer des jungen Advokaten. Da ihr die Einrichtung desselben bekannt war, zündete sie ein Licht an, das auf einem Seitentischchen stand. Nach einer Minute hatte sie auch den Schrank, der die Kleider aufbewahrte, geöffnet. Dann verschloß sie die Thür.

Während dieser Zeit erschien der Korporal auf der Hausflur. Vorsichtig schlich er zur Küche. Ein Lämpchen brannte auf dem Herde – die Köchin war nicht zu erblicken. Der junge Mann sah in die Kammer – auch diese war leer.

„Mein Gott,“ flüsterte er, „was bedeutet das? Wir dürfen nicht länger zögern – wo mag sie sein? Kathi,“ rief er leise, „Kathi!“

Alles blieb still.

Janos trat auf die Hausflur zurück und lauschte – Nichts regte sich. Plötzlich hörte er sprechen in dem Wohnzimmer. Ohne sich zu besinnen, klopfte er an die Thür, öffnete und trat ein. Er traf nur den Advokaten und seine Braut an.

„Auch hier nicht!“ dachte er, und seine Besorgniß vermehrte sich.

Ferenz erschrak, als er den mit einem Säbel bewaffneten Korporal erblickte, denn er hatte die Einquartirung des Herrn Czabo noch nicht gesehen.

[693] „Was wollen Sie?“ fragte er, seine Fassung zusammennehmend.

Janos hatte bald einen Vorwand gefunden.

„Verzeihung,“ antwortete er im Tone des Soldaten, „wenn ich störe. Ich suche überall die Köchin und kann sie nirgends finden.“

„Was wollen Sie von unserer Köchin?“ fragte rasch der Advokat, und sein Gesicht verrieth den Eindruck, den die Worte des Soldaten hervorgebracht.

Dem Korporal entging die Bewegung des Fragenden nicht, er sah ihn einen Augenblick prüfend an. Indem er seine Befürchtung unterdrückte, sagte er mit einem erzwungenen Lächeln:

„An wen soll sich anders ein Soldat, der bei einem Bürger im Quartier liegt, wenden, als an die Köchin, wenn er Hunger hat?“

„Ah, Sie liegen hier im Quartier - das wußte ich nicht!“ rief Ferenz, aufathmend.

„Schon vor einiger Zeit,“ sagte Netti, „habe ich ihr Auftrag ertheilt, unserm Gaste das Abendessen zu bereiten, ich begreife nicht, warum es nicht schon geschehen ist?“

„Verzeihung, Netti, ich habe vergessen, daß ich die Magd zu einem meiner Collegen geschickt, um mir ein Actenstück holen zu lassen, das ich diesen Abend zu meiner Arbeit gebrauche.“

„In diesem Falle werde ich selbst die Vorbereitung treffen!“ sagte das junge Mädchen, und verließ das Zimmer.

„Sie sind Korporal in kaiserlichen Diensten?“ fragte Ferenz, der durch ein gleichgültiges Gespräch den Soldaten auszuforschen suchen wollte.

„Wie Sie sehen!“ antwortete der Graf, der wie auf Kohlen stand.

„Ein schöner, aber ein gefährlicher Beruf!“

„Ich leugne es nicht, aber die Gefahr macht ihn zu dem, was er ist. Nur im Kriege lebt der Soldat, im Frieden ist er eine todte Puppe. Jetzt habe ich Ihnen gesagt, was ich bat, darf ich nun auch wissen –?“

„Wer ich bin? Ich bin Advokat und heiße Ferenz.“

Der Soldat schien von dieser Antwort überrascht zu sein, er sah mit großen Augen den Advokaten an.

„Ferenz ist Ihr Name?“ fragte er endlich.

„Ja! Wundert Sie das?“

„Stehen Sie mit Pesth in Correspondenz?“

„Ja.“

„Und, wer ist Ihr Correspondent, wenn ich fragen darf?“

„Der Graf Janos Esthi, dessen Gut, das ich verwaltet habe, eine Stunde von Semlin entfernt liegt.“

„Und Sie verwalten es aus dem Grunde nicht mehr,“ fuhr sardonisch lächelnd der Korporal fort, „weil man es confiscirt hat, um den jungen Grafen für die Dienste zu strafen, die er der Revolution geleistet hat?“

„Ganz recht.“

„Ihr letzter Brief, den Sie ihm nach Komorn sandten, enthielt eine Beileidsbezeigung für den Grafen und die Anforderung, sich nach Semlin zu wenden, im Falle er gezwungen wäre, flüchtig zu werden; den Brief brachte ein Expresser.“

„Mein Gott,“ fragte der erstaunte Advokat, „woher wissen Sie das Alles?“

„Weil der Graf mein Freund war.“

„So können Sie mir auch wohl sagen, warum der Graf meiner Aufforderung nicht nachkam, da er doch meinem Eifer, ihm zu dienen, kannte?“

„Er lernte aus Ihrem Briefe zwar nicht Ihre Person kennen, mein Herr, aber Ihren ehrenwerthen Charakter – und wenn er sich nicht an Sie wendete, als der Kampf zu Ende war, so geschah es deshalb, weil man ihn zwang, die Uniform eines Korporals vom zwanzigsten Infanterieregimente zu tragen.“

„Diese Sprache, dieser Anstand –!“

„Gehört dem Korporal Janos Grafen Esthi!“

„Welch’ ein fürchterliches Geschick führt Sie in unsere Stadt! Herr Graf, die Uebertragung der Verwaltung Ihres bedeutenden Gutes gab meiner Subsistenz den ersten Stützpunkt –“

„Sie wurden mir durch den jetzt verstorbenen Dr. S. als einen zuverlässigen, tüchtigen Sachwalter empfohlen.“

„Ich mußte mich dankbar bezeigen – erinnern Sie sich des Schlußsatzes meines Briefes?“

Der Soldat zog ein Taschenbuch aus der Brusttasche seiner Uniform, und holte einen erbrochenen Brief daraus hervor, den er entfaltete.

„Ja, das ist mein Brief!“ rief freudig der Advokat.

„Sie sprechen darin von einer Eröffnung, die Sie nur mündlich mir zu machen vermöchten,“ sagte der Graf, die Augen auf das Papier geheftet, „ich bin bereit, sie zu hören, doch fassen Sie sich kurz, meine Zeit ist gemessen.“

„Ich habe Ihnen ein Kapital von hunderttausend Gulden gerettet, das zur Empfangnahme bereit liegt.“

„Herr Ferenz,“ rief Janos, „was sagen Sie?“

„Die Wahrheit. Ich ahnte nach der unglücklichen Schlacht den Verlauf der Dinge, und da sich mir eine günstige Gelegenheit bot, veräußerte ich vor der Confiscation des Gutes die Aecker und Wiesen jenseits der Save, so wie alles Mobiliar, was zu demselben gehörte. Der gerichtlich bestätigte Kauf, den ich als unbeschränkter Bevollmächtigter vollzogen, gestattet keinen Widerruf – Herr Graf, nehmen Sie Ihr gerettetes Vermögen in Empfang.“

Schweigend umarmten sich die beiden Männer.

„Freund,“ rief bewegt der Graf, „Sie haben mir einen Dienst erwiesen, der mich unendlich glücklich macht, einen Dienst, den ich Ihnen nie vergelten kann! Als ersten Dank, zolle ich Ihnen mein unbedingtes Vertrauen. Man verfolgt die Gräfin Andrasy, meine Braut.“

„Thekla, Ihre Braut? Herr Graf, noch ist sie geborgen.“

„Wie, Sie kennen ihren Aufenthalt?“

„Noch mehr, in diesem Augenblicke trifft sie die erste Vorbereitung zu ihrer Rettung, darum ist sie abwesend.“

„Ich suchte sie in der Küche.“

„Sie ist auf meinem Zimmer, um meine Kleider anzulegen.“

„Sie unterstützen meinen Plan – am Ufer der Save im Garten liegt ein Kahn –“

Die taktmäßigen Schritte einer Patrouille ließen sich in der Straße vernehmen.

„Großer Gott!“ rief Ferenz. „Gehen Sie an das Ufer, ich folge im Augenblicke mit der Gräfin!“

„Edler Mann, der Himmel lohne Ihnen!“

Der Soldat verließ eilig das Zimmer und stürzte in den Garten hinaus. Als Ferenz auf die Hausflur trat, hörte er, daß die Patrouille im Nachbarhause Nachsuchung hielt. Wie ein Pfeil flog er die Treppe hinan und klopfte leise an die Thür seines Zimmers.

„Ich bist es, Ferenz!“ flüsterte er dabei.

Die Thür ward von Innen geöffnet, und die Gräfin, als Mann gekleidet, erschien an der Schwelle. Das schöne Haar hatte sie unter einer Mütze verborgen, welche Ferenz auf seinen Reisen zu tragen pflegte. Vorsichtig schloß er die Thür wieder. Thekla stand in der Mitte des Zimmers.

„Nehmen Sie meinen Mantel,“ flüsterte er, „er hängt im Nebenzimmer dort, Sie werden seiner bedürfen.“

Die Gräfin eilte in das bezeichnete Zimmer, die Hast des Abvokaten ließ sie die größte Gefahr ahnen, Ferenz erschloß rasch einen Secretär, und holte einen großen, schweren Geldbeutel daraus hervor.

„Wo ist der Korporal, der das Gartenhaus bewohnt?“ fragte die zurückkehrende Gräfin.

„Er erwartet Sie am Ufer der Save.“

„Sie haben ihn gesprochen, und wissen, wer er ist?“

„Er ist der Besitzer dieser Summe, die ich ihm gerettet habe. Fort, fort, man sucht schon im Nachbarhause!“

Der Advokat löschte das Licht aus, dann ergriff er den Arm der Gräfin und zog sie mit sich fort. Vorsichtig verschloß er das Zimmer wieder, da er die Kleider der Köchin darin wußte. Auf der Hausflur trat ihnen Netti entgegen. Erschreckt blickte sie den jungen Mann im Mantel an.

„Netti,“ flüsterte Ferenz flüchtig, „in zehn Minuten bin ich bei Ihnen, um Ihnen Alles zu erklären, gehen Sie in das Wohnzimmer, es ist möglich, daß Sie Besuch erhalten.“

Das junge Mädchen starrte den beiden Personen nach, die hastig aus dem Hause in den Garten eilten. Am Ufer trafen sie den Soldaten und den Fischer.

„Herr Graf“ sagte leise der Advokat, „hier ist Ihre Braut, und hier der Rest Ihres Vermögens, so viel ich davon in Golde vorräthig habe. Die Hälfte davon besitze ich in Papieren, die in der Türkei ohne Werth sind; ich werde sie jedoch in klingende [694] Münze umzusetzen suchen, damit sie stets zu Ihrer Verfügung stehen.“

„Ich leiste Verzicht auf die Papiere, sie mögen der Lohn meines großmüthigen Advokaten sein!“

„Herr Graf!“

„Leben Sie wohl, vielleicht sehen wir uns wieder!“

Hastig umarmte der Graf den jungen Mann. Dann half er der Gräfin in das Boot, in welchem Lajos schon wartete. Zuletzt sprang er selbst hinein. Das Wasser rauschte und der Kahn verschwand in dem Nebel, der wie ein graues, undurchsichtiges Tuch auf dem Flusse ruhete. Noch einige Augenblicke hörte man die Ruderschläge, dann war Alles still.“

Als ob er die Flucht des unglücklichen Paares segnen wollte, streckte Ferenz seine Arme ihm nach. Leichten Herzens kehrte er in die Wohnung des Apothekers zurück. Kaum hatte er die Hausflur betreten, als heftig an der Klingel gezogen ward. Der lange Niklas öffnete. Eine Patrouille von demselben Regimente, dem der entflohene Graf angehörte, stand an der Schwelle. Die Gewehrläufe blinkten in dem Lichte der Laterne, die an der Apotheke befestigt war.

„Wem gehört dieses Haus?“ fragte der Offizier.

„Dem Commandanten der Schutzwehr, Herrn Czabo. Der Besitzer ist für den Augenblick im Dienste,“ antwortete Ferenz.

„Der Commandant der Schutzwehr ist nicht verdächtig! Fort!“

Die Patrouille ging weiter. Niklas schloß die Thür.

Fünf Minuten später saß der Advokat in dem freundlichen Zimmer und erzählte der staunenden Netti die Flucht der Gräfin Thekla Andrasy.

Es war zehn Uhr, als Herr Czabo die Glocke zog und Niklas ihm öffnete. Sein erster Weg war der nach der Küche. Sie war finster und still. Unmuthig trat er in das Wohnzimmer.

„Die Kathi soll mir ein Glas Wasser bringen!“ befahl er, um das hübsche Kind nur zu sehen.

Netti ging, und kam mit dem Verlangten zurück.

„Warum bringt Kathi nicht – ?“

„Vater,“ unterbrach ihn Netti, „wir haben eine fürchterliche Entdeckung gemacht! Die Gräfin Andrasy hatte sich in unserm Hause versteckt.“

„Himmel, welche Frechheit!“ rief erstaunt der Apotheker.

„Doch beruhigen Sie sich, lieber Vater,“ fügte der Advokat hinzu, „sie ist schon seit einer Stunde nicht mehr unter Ihrem Dache. Niemand wird glauben, daß eine Gräfin als Köchin in Ihren Diensten gestanden hat.“

Der Commandant fuhr so heftig zurück, daß der große Federhut, den er noch auf dem Kopfe hatte, in den Nacken zurücksank. Nachdem er einen Augenblick sprachlos dagestanden, stammelte er. „Wie, Kathi wäre – ?“

„Die Gräfin Andrasy,“ antworteten lächelnd Ferenz und Netti.

Herr Czabo sank vernichtet auf einen Stuhl. Sein Federhut fiel polternd zu Boden.

„Mein Gott, Vater, was ist Ihnen?“ fragte die besorgte Tochter, denn Herrn Czabo’s Augen schienen sich zu verdrehen.

Der angeführte Wittwer war zwar sehr erschreckt, aber er blieb seiner so viel Herr, daß er die Nothwendigkeit einsah, um sich nicht grenzenlos zu blamiren, einen andern Grund seiner Bestürzung anzugeben.

„Himmel,“ rief er plötzlich aus, „wenn das bekannt wird, bin ich verloren, entehrt, man wird mich meines Postens als Commandant entsetzen! O, diese Schlange! Nicht genug, daß sie im Lande Zwist und Hader anfacht, sie schleicht sich auch in die Häuser friedlicher Bürger, um Unglück anzurichten. Und wie täuschend konnte sie die Köchin spielen! Na, Lajos, Du kommst mir wieder über die Schwelle!“ rief er, die Fäuste ballend.

„Vater,“ sagte Ferenz tröstend, „wenn Sie selbst über diesen sonderbaren Vorfall schweigen können, wird Niemand etwas davon erfahren, denn außer mir und Netti weiß keine Seele darum.“

„Wohin hat sie sich gewendet?“

„Lajos hat sie in seinem Kahne abgeholt. Wenn ihr kein Unglück begegnet, schwebt sie jetzt auf den Wellen der Donau, um das türkische Ufer zu erreichen.“

„Kinder!“ rief Herr Czabo nach einer Pause, „versprecht Ihr mir zu schweigen wie das Grab?“

„Wir versprechen es!“ sagten feierlich die jungen Leute.

„Gut, dann mag die Gräfin mit den vierzig Gulden, die ich ihr voraus bezahlt habe, in der Türkei ihr Glück versuchen – meine Reputation ist mir mehr werth, als diese elende Summe! Gute Nacht!“

Er verließ hastig das Zimmer und eilte nach der Schreibstube neben der Apotheke, wo Niklas in einem Buche las. Herr Czabo hatte stets seinen Zorn an dem langen Menschen ausgelassen, und auch heute suchte er ihn auf, um seine Brust zu erleichtern.

„Niklas!“

„Herr Czabo?“ fragte der Gehülfe, der diesen Ton schon kannte.

„Ich habe vorhin die Kathi fortgejagt.“

„Wie, Herr –?“ Weiter konnte der Gehülfe nicht sprechen, sein breiter Mund blieb vor Erstaunen offen stehen.

„Hast Du mich verstanden?“ rief der Apotheker.

„Ja, Herr Czabo!“

Eine Pause trat ein. Herr Czabo ging auf und ab, der Gehülfe sah ihm nach.

„Niklas!“ rief plötzlich wieder der Commandant.

„Herr Czabo?“

„Du bist ein Esel!“

„Warum?“

„Warum fragst Du nicht nach dem Grunde, der mich veranlaßt hat, die Kathi wegzujagen? Du fragst nicht? Gut, so werde ich ihn Dir so sagen: die Aerzte haben sich über Deine Dummheiten beklagt, fast alle Recepte sind schlecht gemacht, die nicht durch meine Hände gegangen. Das kommt davon, wenn man verliebt ist. Die Kathi mit ihrem glatten Gesichte hat Dir den Kopf verdreht. Um fernern Dummheiten, vielleicht Vergiftungen, vorzubeugen, habe ich sie weggejagt. Und nun nehme ich mir wieder eine Alte in das Haus. Zugleich merke Dir: für diesmal sollst Du mit dem Verweise davon kommen, bei der zweiten Liebschaft mit einer Köchin jage ich Dich davon. Gehe zu Bett!“

„Ja, Herr Czabo!“

Eine Stunde später hatten sich Alle in die Schlafzimmer zurückgezogen. Netti träumte von ihrer nahen Hochzeit – Ferenz sandte noch ein Gebet für die Rettung der Flüchtlinge zum Himmel empor, dann entschlief er – und der Apotheker lag wachend in seinem Bette, er hatte mit einer schwermüthigen Freude den Schluß aus der ganzen Sache gezogen, daß der Verlauf der Dinge für die Ruhe seines Wittwerherzens gut sei. Ein Mann, dachte er, der jeden Tag Bürgermeister von Semlin zu werden hofft, kann doch seine Köchin nicht heirathen, und ich hätte sie geheirathet, wenn sie die schöne Kathi geblieben wäre. Der Wille des Himmels sei gepriesen!“

Der lange Niklas zerbrach sich fast den Kopf, um den eigentlichen Grund dieses plötzlichen Ereignisses zu errathen, er schlief darüber ein.

Als nach Mitternacht der Mond hinter einer schwarzen Wolke hervortrat und die romantischen Gestade der Donau beleuchtete, knieten drei Gestalten am Ufer des rauschenden Flusses und verrichteten ein Gebet.

Es waren Janos, Thekla und der treue Fischer Lajos, sie hatten nach einer dreistündigen gefahrvollen Fahrt das rettende Ufer erreicht.




Das Birmingham-Institut.


In Birmingham, der Hauptstadt des englischen Gottes Vulkan, der weltberühmten modernen Plastik in Metall, wo Eisen, Kupfer, Zimm, Zink, Blei, Silber und Gold fortwährend in großer Masse und Menge sich in allerlei Gebrauchs- und Luxusgegenstände für die Küchen und Putzzimmer aller Welt veredeln, in Birmingham war neulich auch große Festlichkeit mit Fahnen und Flaggen an den Häusern, mit Festessen und Festreden, wie für den Kaiser der Franzosen und hernach für den König von Sardinien [695] in London. Aber es war kein Fest des Krieges und der Könige, sondern ein Kulturfest der Kunst und Schönheit für das Leben des Friedens. Die modernen Priester des Vulkan und der Kerameutik, der Schmied-, Hämmer- Treib-, Gieß- und Galvanoplastik, legten den Grundstein zu einem Volkskulturtempel, in welchem dem arbeitenden Volke Wissenschaft und Kunst, Geschmack und Schönheitssinn für die Industrie gelehrt und in Vorbildern gezeigt werden soll. Die „Eisen- und Metallmeister“ hatten auf die erste Anregung 10,000 Pfund Sterling zum Aufbau dieses Tempels gezeichnet und mitten in einem erschöpfenden, entmuthigenden Kriege auch zusammengelegt, um nun zur Vollendung des ganzen Baues noch zweimal 10,000 Pfund zu geben. Das ist überhaupt ein schöner, charakteristischer Zug in England, daß die Reichen, die Großen und Götter des Staates, des Lebens und der Industrie für alle mögliche, nützliche und schöne Pläne Hand und Herz haben und so Museen und Athenäen, Schulen und Akademieen für’s Volk, zur Vereinigung der Wissenschaft und Kunst mit der arbeitenden, producirenden Hand, allenthalben freudig ohne Staat und hohe Obrigkeit aus den Mitteln freier Association emporschießen. In solchen Erscheinungen liegt die Bürgschaft für die Zukunft Englands, nicht in gewonnenen und verlorenen Schlachten, nicht in Parlamentsgesetzesfabrikation, nicht in den Minister spielenden Familien Noode und Doodle, die sich immer einander ablösen, wie in den alten Bauerwetterhäuschen, aus denen vor gutem Wetter „sie“, vor schlechtem „er“ auf einem Hundearme herausgedreht werden.

Das „Birmingham- und Midland-Institut“, wie der Tempel heißt, in welchem die schwielige Hand des Arbeiters zur Künstlerhand, der Handwerker zum Manne praktischer Wissenschaft erhoben und sein sorgenumdüsterter, ausdrucksloser Kopf mit der Freudigkeit klaren Wissens und schönen Könnens durchleuchtet werden soll, ward neulich an einem trüben Novembertage, mitten im öden Kriegsnebel, feierlich begründet. Prinz Albert, beneidenswerth, daß er nicht König geworden und deshalb als frei gewählter König aller möglichen civilisirten, nützlichen und schönen Institute und Unternehmungen der Kultur sich eben so nützlich als angenehm machen kann, warf den Mörtel zum Grundstein mit einer goldenen und künstlerisch fein getriebenen Maurerkelle, die ihm hernach als Geschenk verehrt ward. Sie ist ein Werk des berühmtesten, größten, englischen kerameutischen Instituts, der Herren Elkington, den Dichtern in Gold und Silber und Galvanoplastik, in welchem Dr. Braue, ein Deutscher, und viele andere Deutsche den Geschmack, die Aesthetik, die Schönheit vertreten. Besonders schön ist die Verbindung des Handgriffs mit der Fläche der Maurerkelle, gebildet durch zwei silberne Göttinnen, die Hand in Hand die Wissenschaft und Industrie personificiren.

Die Reden und Festessengerichte übergehen wir hier und bemerken nur noch, daß das erst begründete Bauwerk, von uns in einer Abbildung des vollendeten Gebäudes gegeben, der Zeichnung des Baumeisters entlehnt ward, der bekanntlich jedes seiner Werke theoretisch und in Zeichnung bis in’s Kleinste und Einzelnste fertig haben muß, ehe er praktisch anfangen kann. Es ist im italienischen Style gehalten, klar und einfach in seinen Formen, blos durch die Proportion und Symmetrie seiner einzelnen Theile und Linien wirkend, mit spärlichen Verzierungen an den Fenstern u. s. w., so daß diese die heitere Einfachheit des Ganzen nicht stören können. Es wird ein großartiger Tempel der Vereinigung von Wissen und That, der Erhebung industrieller Produktion in das Reich des Gedankens, der Schönheit. Als solcher wird er enthalten: Bibliotheken, Lesezimmer, Auditorien, Laboratorien u. s. w., Museen und Sammlungen von Mustern für die einzelnen Zweige der Kerameutik und der Metallgewinnung (Bergwerkskunde), Auditorien für Vorträge über Naturwissenschaften, Versammlungssäle zu öffentlichen Discussionen der Arbeiter, Gemälde- und Skulpturen-Gallerien. Ein Departement wird sich zu einer Schule industrieller Wissenschaft gestalten, mit Stunden und Klassen für alle Arten von Manufactur, Mechanik, Agrikultur, Metallurgie, Mineralogie, Geologie u. s. w., also zu einer Art von Gymnasium und Universität für das lebendige, praktische Wissen.

Wir sehen hier ohne viel Scharfblick den Weg, den die moderne Kultur und Entwickelung der Völker gehen will und trotz aller Hindernisse gehen wird, mag die Welt sich sonst in Kriegen und politischen Krisen, in socialen und staatlichen Verstopfungen und Quacksalbereien abquälen, wie sie will. England und Frankreich und Deutschland geben sich von gewissen Richtungen her die peinlichste Mühe, Stillstand oder gar „Umkehr“ zu erzwingen; aber im Ganzen und Großen und auch im Kleinsten und Einzelnsten gehen die Kinder dieses Jahrhunderts doch sicher und zuversichtlich durch Büreauschranken und Bretter hindurch, vor Warnungstafeln und gewerbenräthlichen Edikten vorbei einem großen, schönen Ziele entgegen, das wir zwar nicht Alle lebendig erreichen; aber es ist auch schon etwas werth, den Weg mit zu gehen und das gelobte Land in der Ferne schimmern und winken zu sehen, wie Moses es sah vom Berge Pisga aus, ehe er mit dem Bewußtsein starb, die in ägyptischer Sklaverei freiheitsunfähig gewordenen Kinder Israel aus dem Gröbsten herausgehauen zu haben.




Ein Belagerungskrieg zwischen Schwalben und Sperlingen.

Der fröhliche, fleißige Gast des Sommers, der den Sommer macht, von welchem ein Dichter singt, daß er die Tempel und Dächer und Balken und Friese und Ecken und Winkel, an und unter welchen er seine hängende Wohnung anklebe, heilige, und die Luft, in der er lebe, baue, brüte und zwitschere, gesünder und würziger sei, als sonst, die Schwalbe ist unter unsern häuslichen Freunden einer der gemüthlichsten, liebenswürdigsten und interessantesten. Fast überall hat man eine herzliche Pietät für die Schwalbe und ihr Nest, selbst die ungezogendsten Bauerjungen nehmen ihr Nest nicht aus, da sonst, wie die Kuhmagd mit feierlicher Miene des Glaubens versichert, die Kühe Blut milken und dem Hause und den Ställen noch andere Unglücksfälle begegnen. Ueberhaupt hüllt sich die Schwalbe in den Vorstellungen der Leute, bei denen sie ihre Sommerwohnung aufschlägt, noch gern in romantisches Mysterium. Selbst die Naturkundigen waren und sind zum Theil noch jetzt im Zweifel über ihre Winterquartiere und die Art, wie sie den Winter durchbringt.

Vor mehreren Jahren behauptete ein gelehrter und frommer Mann in einer besondern Schrift, daß die Schwalben im Monde oder einem andern kleinern, mit bloßen Augen nicht sichtbaren Trabanten der Erde überwinterten. Doch war dies den nichtfrommen Naturalisten etwas zu arg, so daß sie ihn sofort gründlich aus der gelehrten in die fromme Welt hinausbissen. Klaus Magnus war der Erste, der die sehr populär gewordene submarine Theorie aufstellte, nämlich, daß sich die Schwalben im Herbste in langen Reihen, wie an einen Faden gefädelt, in einander fügten und in’s Meer versenkten, bis das frühlingende Quaken der Frösche sie wieder aufriefe. Diese Theorie galt lange als ausgemachtes, naturwissenschaftliches Factum, selbst bei Linné und sogar bei dem größten Thiergelehrten Cuvier. Man las in gelehrten Gesellschaften authentische Berichte von Fischern, die ganze Reihen Schwalben aus dem Bette von Flüssen gezogen haben wollen. Endlich stand ein ungläubiger Deutscher, dessen Namen ich vergessen habe, mit dem öffentlich ausgebotenen Preise auf, daß er für jede solche ausgefischte Reihe Schwalben so viel pures Silber geben wolle als sie noch naß wiegen würden. Noch Niemand hat den Preis gewonnen, er ist also vielleicht noch zu haben. Die submarine Theorie verschwand aber seitdem unter den Gelehrten und fristet heut zu Tage nur noch ein gläubiges Dasein unter den Landleuten, die noch frei sind von dem „Schmerze der Erkenntniß.“ Aber wo logiren sie nun im Winter? Wahrscheinlich in Aegypten oder sonst irgendwo, wo’s im Winter Sommer ist, aber, unter uns gesagt, ich weiß es nicht.

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Und wozu brauche ich Wärme, wenn die Schwalbe gekommen ist? Und da ist sie eines schönen Frühlingsmorgens, des schönsten in diesem Jahre, der noch mitten im harten Winter den „theuern“ Ofen unterstützt, wenn wir daran denken, da sitzt sie auf dem Pflocke an der Stallwand und zwitschert so lustig, so Allegro, so sommerlich, daß der Bauerjunge [696] sofort beschließt, heute zum[WS 1] ersten Male barfuß zu gehen. „Man wußte nicht, woher sie kam,“ wie Schiller vom Mädchen aus der Fremde, der Poesie sang, so daß die Polizei von Flachsensingen gleich strengen Befehl erhielt, auf sie zu fahnden. Aber die Schwalbe darf sich jetzt überall ohne visirten Paß und ohne Aufenthaltskarte ansiedeln, in so gutem Rufe, in solcher Achtung steht sie. Da zwitschert sie und fängt sofort an, ihr altes Haus vom vorigen Sommer zu repariren oder ein neues zu bauen. Mit feiner geologischer Kenntniß wählt sie sich solchen Lehm oder Schmutz, der sich für ihr kühnes Bauwerk am Besten eignet. Ist eine gehörig zähe Substanz nicht leicht aufzutreiben, wie auf sandigem Boden, bringt sie dem lockern Material Zähigkeit und Halt durch Einflechtung kleiner Strohstückchen bei, was sie von dem Lehmwandbauer oder der Lehmwandbauer von ihr gelernt haben mag. Da sie an glatte, perpendiculäre Wände anbaut ohne hervorragende Punkte, ohne irgend eine Art von Stütze und Waffe gegen die Schwerkraft, kann man sich denken, wie fest und genau und genial sie bauen und besonders den Baugrund legen muß. Von uns Menschen, von den besten Architecten könnte es ihr Keiner nachmachen. Wie bringt sie den ersten Halt und Grund an die glatte, steile Wand? Gebt Acht, wie sie sich mit ihren gespitzen, gespreizten Füßchen an die nackte Wand anklammert, den ausgebreiteten Schwanz als Stütze gegen dieselbe drückt, und nun flink, aber sorgfältig beginnt, ihr erstes, zubereitetes, nasses Baumaterial in die feinsten Poren der Wand einzuleimen! Nun baut sie mit ihrer lieben Ehehälfte um die Wette in zwölf bis vierzehn Tagen ihr rundes, prächtiges Meisterstück von Sommerpalast, stark, compact, warm und weich für die erwartete Nachkommenschaft, ganz genau Zweck entsprechend mit der kleinen Oeffnung, aber just unter dem Vorsprunge des menschlichen Bauwerks. Die äußerliche Kruste ihres Kunstwerks sieht allerdings sehr bäuerisch, rauh und unpolirt aus, aber sie hat’s in sich: Wie rund, weich, warm und gemüthlich ist es inwendig mit Stroh, Gras und Federn obenauf ausgepolstert! Die zärtlichste, junge Mutter kann für ihr lang erwartetes „Erstes“ nicht so sorgsam nähen, sticken und Bettchen stopfen. Welche Mühe macht ihnen dieses Haus! Bei aller blitzenden, ätherischen Eile können sie nur langsam bauen, da sie jede neu aufgesetzte Schicht erst trocknen lassen müssen, ehe sie die nächste anfangen können. Und wie viel Arbeit macht jede Schicht. Jedes Bischen, das sie im Schnabel auf einmal herbeibringen, wir mit einer zitternden, vibrirenden, ungemein schnellen Bewegung des Kopfes in den kleinsten Theilen ein- und angedrückt, und mit dem Schnabel und Kinn (wenn man hier so sagen darf) so lange gerichtet und geschoben, bis es genau zu ihrer architektonischen Idee paßt. Dabei sind sie sehr capriciös, fangen manchmal drei, vier Nester an und geben sie wieder auf, weil ihnen etwas daran verfehlt erscheinen oder eine bessere Baustelle aufgefallen sein mag. Das fertige Nest hält dann aber auch für mehrere Sommer aus, höchstens daß sie jedes Frühjahr etwas daran ausbessern. Die, welche in ihre alten Häuser ziehen, gewinnen deshalb mit Hervorbringung und Auffütterung ihrer Nachkommenschaft allemal einen Vorsprung von vierzehn Tagen bis drei Wochen, so daß sie schon lange von ihren piependen, kleinen Gelbschnäbeln bei jeder Rückkehr mit einer Fliege begrüßt werden, während die neuen Ansiedler noch still und andächtig brüten müssen. Aber Junge und Alte sind fix und fertig, flug- und fanggeübt, ehe der alte Weibersommer, erglänzend im niedern Mittagsstrahl, sie zur großen Abreise ruft, wenn sie nur sonst nicht in ihrer friedlichen Arbeit gestört werden.

Aber die Sperlinge! Die gottlosen, frechen, barbarischen Spatze! Als Barbaren und Faullenzer können sie natürlich nicht solche Nester bauen, wie Frau und Herr Schwalbe. Aber sie möchten eben so comfortabel wohnen, und suchen deshalb nicht selten die Nester der Schwalben durch List oder Gewalt und förmliche Belagerung zu erobern. Dieser ewige Krieg zwischen Schwalben und Sperlingen ist bekannt, aber nicht Jeder hat Zeit und Gelegenheit, solche großartige Kriege und Belagerungen, wie mir von einem englischen Geistlichen mitgetheilt wurden, mit anzusehen. Seine ganz aus speciellstem Erlebniß geschöpfte Erzählung eines solchen Krieges ist ungemein interessant und giebt uns einen tiefen Blick in das geistige Leben, die Intelligenz, die Kunst und Kriegswissenshaft dieser kleinen Leutchen.

Der Geistliche ist Prediger in dem versteckten Dörfchen Stanbourne, Grafschaft Essex, und wohnt in einem jener alten elisabeth’schen wunderlichen Häuser, die mit ihren Ecken und Winkeln, Giebeln und Vorsprüngen, Gängen und Veranden dem Lande in England noch jetzt ein so ganz absonderlich englisches Gepräge geben. Die Veranda ist reich und duftig mit Rosen und grünen, blühenden Schlinggewächsen bedeckt. Unter ihr und unter andern Vorsprüngen nisten jedes Jahr zahlreiche Familien von Schwalben, die von dem Herrn Pastor und besonders von seiner rosigen, runden Frau so geliebt und liebevoll beobachtet werden, daß sie ohne Furcht dicht über ihren Häuptern zwitschern und ganz dicht neben ihnen ab- und zufliegen.

„Die Nester waren dieses Frühjahr alle vollendet und Alles in der schönsten Harmonie und Ordnung, so daß es nichts Besonderes mehr zu beachten gab.

„Aber plötzlich eines Morgens wurden wir schon um vier Uhr durch ein ganz ungewöhnliches, lebhaftes Zanken und Streiten, durch den lebhaftesten Wortwechsel der Schwalben draußen aus unsern Morgenträumen geweckt. Dazwischen hindurch schrillte das frechste Geschnatter von Sperlingen. Wir eilten hinaus, zu sehen, was unsern lieben Ansiedlern passirt sei, und fanden, daß ihre Wohnungen von einer ganzen Armee Sperlinge belagert wurden. Dieser massenhafte Angriff war ganz gegen alles Völkerrecht und mir, der ich unsere Thiere aller Art stets genau beobachtet, so ganz außerordentlich neu, daß ich den ganzen Verlauf des Krieges mit dem gespanntesten Interesse verfolgte. Wahrscheinlich waren die Sperlinge durch eine Feuersbrunst oder sonst einen Unglücksfall plötzlich heimathlos geworden, und hatten nun mitten in der Hitze drängender Brützeit keine Zeit mehr, sich neue Herde zu begründen. Wenigstens wüßte ich mir diesen massenhaften, hitzigen und hartnäckigen Angriff gegen unsere Ansiedler nicht leicht anders zu erklären. Ich dachte, die Sperlinge hätten wenig Aussicht auf Erfolg, ihren starken, überlegenen und blitzschnellen Feinden gegenüber, die ihre Heimath zu vertheidigen hatten; aber ich fand bald, daß die Sperlinge viel Kriegstalent vor den Schwalben voraus haben. Sie sind einiger, organisirter durch bestimmte, sociale Gesetze. Auf ihren Plünderungszügen haben sie Vor- und Nachposten ausstehen, welche bei der geringsten, nahenden Gefahr Lärm schlagen. Sie haben eine geregelte Rechtspflege und besondere Gerichtssitzungen zur Untersuchung und Bestrafung ihrer Verbrecher.

„Diese Sitzungen an einsamen Orten, besonders Waldessäumen, sind schwer zu beobachten, da ausgestellte Wachen bei jeder Annäherung Ungeladener Lärm schlagen, womit die Sitzung sofort aufgehoben und nach einem andern Orte verlegt wird. Also klug sind die Sperlinge, wie der Teufel, der auf eine Seele spekulirt, aber auch hartnäckig, entschlossen und ausdauernd. Keine Niederlage, keine erzwungene Flucht konnte ihre zuavenartige Kühnheit und Unverschämtheit brechen. Tag für Tag erneuerten sie ihre Belagerungskünste, uneingedenk jedes Eigenthumsrechts und sonstiger Gesetze anderer Staaten. Ungeachtet der schärfsten Aufmerksamkeit (kein Nest war jemals leer gelassen) und Tapferkeit der Schwalben erreichten die Sperlinge deren Nester doch mehrere Male und thaten bedeutenden Schaden. Dieser ward zwar mit Tagesanbruch von drei bis fünf Uhr jedesmal wieder ersetzt, aber die Sperlinge gaben deshalb ihre Bemühungen nicht auf. Ohne eine entfernte, schwache, verlegene, nicht ernstlich wollende Obrigkeit, wie die belagernden Engländer, ohne schwerfällige Mißverwaltung, ohne Befehle, die sich unter einander kreuzten und aufhoben, ohne schwere Belagerungswerkzeuge, leicht, einig, unverdrossen und ausdauernd setzten sie ihren Krieg den ganzen Sommer hindurch fort. Endlich nachdem die Schwalben mit aller möglichen List und Tapferkeit sich nicht mehr zu halten hoffen konnten, da schon zwei Nester von den Sperlingen in Besitz genommen waren, verfielen sie auf eine neue Taktik. Die von Sperlingen eingenommenen Nester wurden natürlich, wie dies alte Regel bei ihnen ist, rasch und derb zugebaut, so daß diese, halb verhungert, sich endlich durchbrechen und durch Räumung des fremden Besitzthums gegen den Hungertod schützen mußten. Außerdem wurden alle andern Schwalbennester zugebaut und mit neuen Oeffnungen dicht an der Wand hinten versehen, mit Oeffnungen, in welche eben nur die schlanken Schwalben mühsam hineinschlüpfen konnten. Der Spektakel und die Wuth der Sperlinge, als sie dieses listige Manoeuvre entdeckten, war lächerlich erhaben; aber als richtige Spatze gaben sie deshalb ihre Attaquen immer noch nicht auf, auch dann noch nicht, als mehrere Versuche, die stets bewachten Festungen mit Sturm zu nehmen, ganz entschieden zurückgeschlagen worden waren. Wir beobachteten [697] den Kampf jeden Tag so lange und oft, als wir irgend Zeit erübrigen konnten. Dabei fiel uns besonders ein tapferer Wache stehender Schwalbensoldat auf.

„Wochen lang bemerkten wir ihn jeden Morgen zuerst und jeden Abend zuletzt immer in derselben Position wie angemauert: nämlich den Schwanz zum Neste herausstreckend, vor dem die Sperlinge solchen Respect bewiesen, daß sie nie einen persönlichen Angriff auf dieses Nest wagten. Dieser wachende, ewige Schwalbenschwanz ward bald die Curiosität und Merkwürdigkeit der ganzen Nachbarschaft und aller unserer Freunde. Er stand auch noch ununterbrochen Wache, als endlich die Sperlinge (nachdem die jungen Schwalben ausgebrütet waren) sich vollständig zurückzogen. Der Schwanz der Schwalbe stand Wache noch, als der Herbst die ganze Kolonie schwärmend umher trieb und endlich ganz mit sich fortnahm.

„Die Blätter fielen, der Schwalbenschwanz stand noch Wache. Alles war still und herbstlich draußen, jedes Nest, aus dem es so lustig aus- und eingeflogen, aus dem die Jungen so appetitreich hervor gepiept, war öde und leer. Mit unerträglich gewordener Neugier nahm ich endlich eines Morgens die Leiter, um die heroische Schwalbenwache näher kennen zu lernen. Ich entfernte vorsichtig einige Brocken des Nestes und griff hinein. Das Nest war leer. Die ganze Wache bestand aus nichts als drei Federn, die mit kluger Berechnung so befestigt worden waren, daß sie genau einem Schwalbenschwanz glichen. Die Sperlinge hatten ihn auch fortwährend als ganze reelle, tapfere Schwalbe respectirt. War es Zufall oder Kriegslist? Ich will es nicht entscheiden, die Thatsache aber ist richtig und hat eine große Menge Zeugen für sich.“




Blätter und Blüthen.

Ein Tag aus dem Leben eines großen Kriegers. In Algier, zwischen den Städten Tenes und Orleantrille und dem rechten Ufer des Scheliff liegt eine große, von einzelnen Hügeln übersäete Ebene, die Dahara genannt. Viele dieser Hügel sind mit Feldern, Orangen und Feigenbäumen bedeckt, und zwei von ihnen durch eine natürliche Mauer, hoher, wild über einander gethürmter Felsblöcke, El Kantara (die Brücke) genannt, verbunden. In dieser von einem tiefen Graben begrenzten Felswand öffnen sich mehrere Höhlen, deren von zackigen Felsstücken begrenzte Eingänge leicht zu vertheidigen sind, und den Kabylen jeder Zeit einen sichern Zufluchtsort vor den Verfolgungen der Türken und Araber darboten.

Im Juni 1845 brach in dieser Genend ein Aufstand aus. Der Gouverneur Bugeaud rückte selbst in’s Feld, überließ jedoch nach einer Reihe von Kreuz- und Querzügen und Razzia’s ohne Ende das Commando den Obersten Pelissier, Ladmirault und de St. Arnaud, welche fortfuhren, „Feuerbänder“ hinter sich herzuziehen. Einige Stämme unterwarfen sich, um der Vernichtung zu entgehen, andere widerstanden muthig. Unter den Letzteren befanden sich die Med-Riah, ein Kabylenstamm, welcher sich nach mehreren Gefechten mit Weib und Kind, ihren Heerden und allen Habseligkeiten in eine jener Höhlen, Dahree Freschih genannt, zurückzog und den Eingang besetzte.

Am 17. Juni kam Oberst Pelissier mit 21/2 Bataillonen, einem Berggeschütze und einem Detachement Kavallerie vor den Höhlen an. Seine Avantgarde drängte einige Kabylenhaufen, die ihm die Passage streitig machen wollten, in dieselben zurück, und nur mit großer Mühe gelang es, einen der Vertheidiger herauszulocken. Man sagte demselben, daß, wenn sie sich nicht unterwürfen, sie von den Franzosen verbrannt werden würden. Ohne zu zittern, sagte er, daß seine Brüder sich zu vertheidigen beschlossen hätten.

Am folgenden Tage machte eine Compagnie Grenadiere einen Versuch, den Eingang zu erstürmen. Nachdem man an den zugänglichsten Punkten Kavallerieposten aufgestellt, rückte die Kolonne den hohlen Weg hinauf, allein eine wohl gezielte, aus dem dunklen Schlunde hervorblitzende Salve, die sie nicht erwidern konnten, nöthigte sie zum Rückzuge. Die Stellung war unangreifbar. Die Araber wurden noch einmal aufgefordert, sich zu ergeben; allein, noch niemals den Franzosen unterworfen und stolz auf ihre natürlichen Verschanzungen, in welche sich die Türken niemals gewagt hatten, verweigerten sie die Unterwerfung. Sofort gab der Oberst Befehl, Holzwellen mit Stroh vermischt zu machen, welche, mit vieler Mühe von der Höhe der El Kantara hinunter geworfen, richtig vor dem Eingange der Höhle zu liegen kamen, aber theilweise von den Arabern trotz des Feuers der französischen Tirailleure in die Höhle gezogen wurden. Endlich, nachdem mehrere von den Unglücklichen niedergeschossen und der Eingang ganz von Wellen bedeckt war, ließ man brennende Holzbündel hinabfallen, um diesen ungeheuern Scheiterhaufen anzuzünden. Den ganzen Tag über wurde das Feuer unterhalten. Bald tönte ein furchtbarer Tumult aus dem Innern der Höhle hervor. Menschengeheul, Thiergebrüll, Stöhnen und Gewehrschüsse hallten durcheinander. Der Oberst, welcher seine Gegner mürbe glaubte, ließ mit dem Feuer inne halten, allein die Unterhandlungen führten zu keinem Ziele. Der Oberst wollte ihnen nach Ablieferung der Pferde und Waffen freien Abzug gestatten, widrigenfalls er fortfahren würde, „ihnen einzuheizen.“ Die Med-Riah hingegen verlangten, daß sich die Franzosen zurückziehen sollten, worauf sie die Höhle verlassen und sich unterwerfen wollten. Nachdem eine vom Oberst gestellte letzte Bedenkzeit von drei Stunden verstrichen war, wurde am 19. Mittags das Feuer wieder angezündet und die ganze Nacht hindurch unterhalten. Der Wind trieb Rauch und Flammen in die Höhle hinein. Die französischen Truppen in ihren rothen Hosen sprangen wie die dienstbaren Geister Satans um dieses Höllenfeuer herum, es geschäftig nährend und schürend, und die Holzbündel eifrig „wie in einen Backofen“ hineinschiebend. Von Zeit zu Zeit schlugen die Flammen bis über den Gipfel der Felsen empor und dicke Rauchwolken wirbelten von der Höhle in die Lüfte. Dazwischen ertönte das dumpfe Gestöhne der Männer und Frauen, das Gewinsel der Kinder, das Geheul der unbändig gewordenen Thiere. Felsenstücke lösten sich von der Hitze los und stürzten krachend und zerschmetternd auf die unglücklichen Opfer nieder; Schüsse donnerten im Innern der Höhle und schaurige, Mark und Bein durchdringende, herzzerreißende Töne kamen aus diesem Hölkenschlunde hervor. Um Mitternacht ertönten noch einige Schüsse; – dann war Alles ruhig. Nur das Knistern der Flammen und der Zuruf der Posten unterbrach die traurige Stille. Das Werk war vollbracht. –

Gegen Anbruch des Tages machte ein Detachement des Artillerie- und Genie-Corps den Eingang zur Höhle frei. Die ersten Räume waren mit Ochsen, Eseln und Hammeln angefüllt, deren Instinkt sie nach dem Ausgange getrieben hatte. Bis an den eigentlichen Eingang mußte man durch eine fußhohe Lage von Asche wandeln und von dort aus gelangte man erst in die eigentlichen, bald eng verschlungenen, bald sich weit auseinander dehnenden Felsenhallen. Nichts kann eine Idee von dem furchtbaren Schauspiele geben, welches sich den Blicken der Eindringenden darbot. Durch eine dicke von Asche geschwängerte Atmosphäre erblickte man in einander verschlungene Haufen von Leichnamen, und die Stellung, in der man sie fand, konnten einen Begriff von den Konvulsionen und Martern geben, die sie ausgestanden haben mußten, ehe sie ausgehaucht hatten. Die Vordersten, dem Feuer am Meisten Ausgesetzten, waren von versenkten Lumpen umhüllt, theilweise verkohlt, während andere ganz nackte Leichname Geschundenen ähnlich aussahen. Vielen stand das Blut in Mund und Nase; Mütter mit Kindern an der Brust lagen zwischen Trümmern aller Art, Ueberresten von Thieren und Geräthen. Andere hatten sich an die Felsenritzen geklammert, um einen Hauch frischer Luft zu erschnappen; noch Andere hatten sich umschlungen und in den Konvulsionen des Erstickens die Zähne einander tief in’s Fleisch geschlagen. Umgestoßene Gefäße, halb verbrannte Teppiche, Geräthe und Waffen aller Art vollendeten das Grausige des fürchterlichen Bildes. Unbeachtet der Anstrengungen der Offiziere konnte man die Soldaten nicht hindern, sich der Effekten zu bemächtigen, den Leichnamen die Arm- und Halsbänder von den halbverkohlken Gliedern zu lösen und die blutigen Burnusse von den Schultern zu reißen.

Man hat nicht erfahren können, was sich im Innern der Höhle zugetragen hat; ob sich sich die Araber mit jenem Stoicismus, dessen sie sich rühmen, dem Tode geweiht, oder ob ihre Chefs und Marabu’s sich ihrer Unterwerfung widersetzt haben. Wie dem auch sei, das Drama war entsetzlich, und die Geschichte weiß ihm wenige an die Seite zu stellen. Die Anzahl der heraus geschleppten Leichen belief sich auf 800–1000, ohne diejenigen zu zählen, welche wie eine Pastete halb verkohlt über einander gehäuft und wie in einander verschmolzen, und die Kinder, welche fast ganz in den weiten Gewändern ihrer Mütter verborgen waren, wo sie Schutz vor der Glut zu finden gehofft hatten. Nur 60 vom ganzen Stamme wurden dreiviertel todt herausgezogen; 40 allein überlebten diese furchtbare Katastrophe, 30 von ihnen wurden in die Ambulance aufgenommen, und die letzten Zehn in Freiheit gesetzt, um in ihre Heimath zurückzukehren – sie hatten nichts mehr als Ruinen, ihre Heimath war eine traurige [698] Wüste. Der Zweck, die Med-Riah zu unterwerfen, war erreicht – es lebten kaum noch ein Dutzend vom ganzen Stamme.

Am 23. Juni Abends mußte man das Lager eine Viertelmeile weiter aufschlagen, denn der Gestank verjagte „die Sieger“. Sie räumten ihren Platz den Aasgeiern ein, die unzähling und mit widrigem Gekrächz um dieses weite Grab schwärmten. Die Nacht aber gehörte den Schakalen und Hyänen, die hier ihr grauses Mahl hielten.

Als man in Frankreich erfuhr, daß es unter der „großen Nation“ einen Mann gebe, welcher im Stande sei, achthundert Feinde, die sich weigerten, sich zu ergeben, mit ihren Weibern und Kindern lebendig zu verbrennen und zu ersticken – erhob sich ein Schrei des Unwillens, der Empörung im ganzen Lande. Alle Stimmen verlangten seine Kassirung, alle Stimmen verlangten, daß er der Gerechtigkeit überliefert und den Schimpf, den er an die französische Fahne geworfen, mit seinem Kopfe sühnen solle. Und dieser Mann, in der Meinung der französischen Nation entehrt, in der Meinung von ganz Europa und Afrika geächtet, dieser Mann wurde noch in demselben Jahre von Louis Philippe zum General ernannt, und Louis Napoleon beehrte ihn mit dem Commando der Krim-Armee!




Der letzte Wille Kosziusko’s. Die Entscheidung des obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten in Sachen der Erben Kosziusko’s gegen die russische Regierung hat den letzten Willen des polnischen Helden an’s Tageslicht gezogen, welchen wir hier unsern Lesern mittheilen:

15. Mai 1798. Ich, Thaddäus Kosziusko, gerade im Begriff, aus den Vereinigten Staaten zu scheiden, erkläre und verlange: daß in dem Falle, wo ich in keinem andern Letztwillen Verfügungen über mein in den Vereinigten Staaten gelegenes Eigenthum treffen sollte, ich meinen Freund Thomas Jefferson beauftrage, für den sämmtlichen Werth desselben Negersclaven nach seiner Wahl anzukaufen und denselben in meinem Namen die Freiheit zu geben, nachdem er ihnen zuvor eine gute Erziehung zum Gewerbewesen u. dergl. hat angedeihen lassen, sie so unterrichtet in den Pflichten ihrer neuen Stellung, daß sie gute Nachbarn, Väter, Mütter, Gatten, Frauen und Bürger werden, und ihnen eingeschärft, als Vertheidiger ihrer Freiheit und ihres Vaterlandes, als nützliche und thätige Glieder der bürgerlichen Gesellschaft zu beharren. Ich ernenne daher auch besagten Thomas Jefferson zum Vollstrecker dieses.Th. Kosziusko.“ 




Die Herzogin von Orleans, die Vielgeprüfte, scheint das Unglück nicht verlassen zu wollen. Nicht genug, daß sie ihren Gatten plötzlich verlor und durch die Revolution als Verbannte fern vom schönen Frankreich zu leben gezwungen ist – Ludwig Bechstein widmet ihr auch noch Bücher, Sagen und Mährchen, die noch grauenvoller und wässeriger sind, als die sonstigen Bechsteinischen Machwerke der letzten Jahre. Das ist in der That ein hartes, unverdientes Schicksal!




Parfümerien. Wir haben neulich von den duftigen Geistern der Blumen gesprochen, die des Menschen Nerven und Herz so hübsch zu erquicken wissen. Aber der kultivirte Mensch begnügt sich nicht damit, sondern sammelt diese Geister und steckt sie in Alkohol und Fett und packt sie in niedliche Gläser und Büchsen und salbt sich das Haar damit und giebt seinem Barte Farbe, Stand und Stellung im Leben und bringt sich mit dem parfümirten Taschentuche in lieblichen Geruch vor den Leuten. Wir sind weit entfernt, diese Einbalsamirungen des Lebens zu denunciren, vorausgesetzt, daß das Haar nicht glänzt, wie Speckschwarte, und der Geruch des Taschentuches nicht an die aufgedonnerte Küchenmagd erinnere, welche recht tüchtig gießt und „starken Tobak“ wählt; obwohl der natürliche Geruch der Gesundheit und innern Lebensfrische besser ist als die ächteste Farina-Cologne und das kostbarste Rosenöl, per Tropfen einen Ducaten. Wir machen hier eben blos einige statistische und naturwissenschaftliche Bemerkungen über die Industrie mit Blumengeistern. Die unzähligen Blumengärten von Nizza, Grasse, Montpellier und Cannes in Frankreich, von Adrianopel in der europäischen, von Brussa und Uslak in der asiatischen Türkei, von Mitcham in England und einige andere Anstalten und Ortschaften der Art liefern so ungeheuere Massen von Blumen blos für die Bereitung von Parfümerien, daß man erstaunen muß. Als Beispiel führen wir an, daß ein einziger Parfümeur in Paris von seinen Blumengärten bei Grasse allein jährlich 80,000 Pfund Orangeblüthen, 60,000 Pfund Cassiablumen, 54,000 Pfund Rosenblätter, 32,000 Pfund Jasminblüthen, 32,000 Pfund Veilchen, 20,000 Pfund Tuberosen, 16,000 Pfund Flieder, außerdem X - Pfunde und Centner von Rosemarin, Münze, Citrone, Thymian u. s. w. für Parfümerien bezieht und die Geister daraus in Pomadenbüchsen und wohlriechende Fläschchen steckt, die dann in den Schaufenstern der Pomadiers und Parfümeurs in ihrer niedlichen Gestalt und glänzenden Etiquette so viel Verlockendes für Damen und jugendliche Liebhaber ausüben.

Es giebt besonders vier Arten, die Wohlgerüche aus den Blumen zu ziehen: Anspressung, Destillation, Maceration und Absorption. Die Maceration (Einweichung und Aussaugung) besteht einfach darin, daß man die Blumen oder Blüthen eine Zeit lang im geschmolzenen Talge „ziehen,“ d. h. gezogen werden läßt. Das Fett zieht die ätherischen, wohlriechenden Oele aus den Blumen heraus. Nimmt man statt Talg oder Fett Olivenöl, so erhält man das „huile antique“ von der Blume. Die Flüchtigkeit der wohlriechenden Oele erfordert, daß man die Parfümerien stets gut verschlossen, kühl und gegen das Sonnenlicht geschützt halte. Die Arbeit, manche Wohlgerüche zu extrahiren, ist so kostbar und erfordert so viel Sorgfalt, daß man dafür in der Regel andere, weniger kostbare nimmt und sie durch Etiquetten erst in den Stand der kostbareren erhebt. In der großen Ausstellung von London fand man im Departement von Tunis ein Fläschchen Jasminöl (von Jasminum odoratissimum zwölf Loth Flüssigkeit enthaltend. Das Fläschchen ward für 54 Pfund Sterling, 350 Thaler, verkauft. Fälschungen sind daher mit allen kostbaren Parfümerien die Regel, was in dieser Sphäre gar nichts zu sagen haben würde, wenn das Publikum nur nicht die kostbaren Taufnamen bezahlen müßte. Aber es ist auch hier, wie in vielen andern Fälschungen selbst Schuld. Die Welt will betrogen sein. Sie verlangt den kostbaren Namen, den höheren Schein, statt anspruchsloser Aechtheit billiger zu kaufen.

Die Fälschungen in Parfümerien sind deshalb durchweg in der Sache unwesentlich, weil die ätherischen Blumenöle vielfach die Eigenschaft haben, sich gegenseitig zu ersetzen. Vereinigte Blumen geben genau den Geruch einer andern, höheren. Die Geruchstöne der beiden vereinigen sich zu der nächst höhern Octave, welche die wohlriechendere, ganz anders riechende Blume auf den Saiten unserer Geruchsnerven anschlägt. Hier steckt noch eine neue Wissenschaft: der Generalbaß und die Musik der Gerüche. Gerüche setzen die Geruchsnerven in eben so bestimmtem Tonstufen in Bewegung, wie Töne die Gehörnerven. Mandel, Vanille, Ketschup und Orangeblüthen – jeder Geruch schlägt einen verschiedenen, bestimmten Ton an. Citrone, Orangenschale, Verbena u. s. w, spielen in höhern Octaven. Sie liegen in ganzen Tönen auseinander. Andere Blumen geben halbe Töne und Moll, wie z. B. die Rose und Rosengeranium. – Das ist eine schwache Andeutung der Aesthetik und Musik der Gerüche. Zur Begründung und Durchführung dieser Andeutungen bis zu bestimmter Wissenschaft werden hier gerade die feinsten Experimente, die delicatesten Untersuchungen und der zarteste Geruchssinn gehören. Die Idee dazu ist elegant und schön, und lange nicht so sehr aus der Luft gegriffen, als es scheinen mag. Hat man bereits zu den feinsten, himmlischsten Wirkungen der Musik und des Gesanges das mathematische Gesetz, die bestimmte Anatomie und Physiologie gefunden und zwar so genau, daß man den Kehlkopf der berühmtesten Sängerin von Gummi und Pappe nachmachen und ihn wirklich singen lassen kann; ist nicht einzusehen, warum die Natur die so bestimmten, so klar unterschiedenen Gerüche nicht auch unter bestimmt schwingenden Gesetzen durch die Nase fahren lassen sollte.

Manche Blumengerüche spielen so nahe neben oder in einander, daß man sie oft nicht von einander unterscheiden kann. So verschieden die Pflanzen auch sein mögen, die Luftoxydation ihrer duftenden Oele ist dieselbe, so daß man Aussicht auf die Kunst hat, aus wohlfeileren Blumenölen die kostbareren zu machen, z. B. Rosenöl aus Rosmarin. Kommt dazu noch der Generalbaß der Gerüche, können wir uns schon die Toilette der feinen Dame von Welt mit ihren wohlriechenden Fläschchen, Pomaden-, Schmuck- und Schminkbüchsen als ein gut gestimmtes Fortepiano für die Saiten der Geruchsnerven denken mit verschiedenen Fächern und „Registern,“ die man ziehen und schließen kann, um jetzt im hohen, freudigen Allegro zum Balle, zum Tanze, zur Hochzeit, dort in tiefem, schwerem Andante dem Kranken, dem Ohnmächtigen, zu Begräbnissen, zu Trauer und Thränen zu spielen. Der Parfümeur würde sich dann zum Tonkünstler und respective zum musikalischen Instrumentenmacher erheben müssen und Büchsen und Kästchen construiren, die wie Spieldosen diese und jene Melodie spielen. Dann würden auch die Saiten unserer Geruchsnerven, jetzt noch ein ziemlich unkultivirtes und selbst verwahrlos’tes Register auf der Orgel unserer Wahrnehmungen und Empfindungen, ein feines, interessantes Object der Erziehung und Bildung, geselliger und einsamer Freuden und Genüsse werden.

„Wenn sich Herz und Mund soll laben,
Muß die Nase auch was haben!“




Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das 4. Quartal und der Jahrgang 1855 und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, Bestellungen sofort nach Ankunft der Nummer der betreffenden Buchhandlung oder dem Postamte aufzugeben.

Für diejenigen Abonnenten, welche sich die Gartenlaube einbinden lassen, bemerken wir, daß durch uns wieder höchst

geschmackvolle Decken mit Golddruck
nach eigends dazu angefertigter Zeichnung zu beziehen sind. Alle Buchhandlungen sind in den Stand gesetzt, dieselben zu dem billigen Preis von 13 Ngr. zu liefern.
Die Verlagshandlung 




Druckfehler. Bei einer Anzahl Exemplare der Nr. 51 der Gartenlaube sind auf Seite 682 Spalte 2 durch ein Versehen des Setzers die drei Zeilen von: „der feinen, durchsichtigen Gesichtsfarbe“ bis: „voller Religiosität und“ anstatt oben am Anfang in die Mitte der Spalte, dicht unter das Bild gesetzt worden, was die geehrten Leser gefälligst berichtigen wollen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zu