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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1855
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[153]

No. 12. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Der Diebstahl aus Liebe.
Eine Assisengeschichte von Feodor Wehl.
(Schluß.)

„Bist Du zu Ende!“ fragte Clotilde mit eisigem Tone, als Eduard nach dieser Auseinandersetzung schwieg.

„Ja,“ entgegnete dieser; „die Reihe ist an Dir, und ich ersuche Dich, mir nicht rasch und unüberlegt darauf zu antworten. Es hängt viel, sehr viel von Deiner Entscheidung ab.“

„Mag davon abhängen, was da will,“ rief die so Angeredete mit unbewegtem Tone. „Nie und nimmer werde ich so etwas thun.“

„Ist das Dein letztes Wort, Clotilde,“ rief Eduard nun schmerzlich, indem er, vor seiner Braut auf die Knie sinkend, diese flehend mit seinen Armen umschlang und dann mit vor Thränen stockender Stimme fortfuhr: „Nein, nein, Clotilde, das kannst Du, das wirst Du nicht Dein letztes Wort sein lassen. Es wäre der Tod meiner Liebe!"

In diesem Augenblicke hörte man Geräusch, und kaum war Eduard aufgesprungen und an’s Fenster getreten, als auch schon die Majorin hereintrat und dem ganzen Auftritte dadurch ein Ende machte. Nachdem der Graf nun noch eine kurze Zeit geblieben und über gleichgültige Dinge mit so viel Fassung als ihm zu Gebot stand, gesprochen, empfahl er sich, beim Handkuß noch einmal Clotilde leise fragend, ob sie sich nicht anders besonnen.

„Mein Wort bleibt unwiderruflich,“ sagte sie und zwar in einem Tone, daß schon dieser hingereicht hätte, Eduard das Herz in der Brust zu wenden. Ganz bestürzt und vernichtet davon hauchte er sein Adieu so schmerzlich heraus, daß selbst die Majorin davon betroffen gemacht aufsah, und nachdem der Davoneilende fort war, ihre Tochter fragte, was denn vorgefallen sei.

„Nichts, gar nichts von Bedeutung,“ antwortete Clotilde. „Du weißt ja, daß Eduard zu Zeiten melancholische Stimmungen hat, und daß man ihn in solchen am Besten sich selbst überläßt, wo sie dann unbeachtet immer am Leichtesten und Ehesten vorüberzugehen pflegen.“

Diesmal indeß schien dies freilich doch nicht ganz der Fall sein zu wollen, denn nachdem Graf Eduard das Haus der Majorin von Gl…n verlassen und in düsteres Brüten versunken, einen Spaziergang um die Stadt gemachte, auch draußen vor dem Thore noch einsam und allein ein Glas Wein getrunken, ging er bei hereinbrechender Dunkelheit langsam in seine Wohnung zurück, bei sich selbst fest entschlossen, seinem Vater und der Majorin noch in dieser Nacht zu schreiben, daß er sich genöthigt sehe, auf Clotilden’s Hand zu verzichten. Ist dies gethan, sagte er zu sich selbst, so habe ich dann weiter keine Rücksicht zu nehmen und kann mir das Geld durch den ersten besten Wucherer herbeischaffen lassen.

Mit solchen Plänen und Vorsätzen sein Zimmer betretend, war er überrascht sich von seinem Diener mit dem Licht zugleich einen Brief überbracht zu sehen, von welchem dieser angab, daß er ihm von einem unbekannten Frauenzimmer in der Dämmerung eingehändigt worden sei.

Als darauf der Diener sich entfernt und Graf Eduard das Couvert auseinanderschlug, fand er die gewünschten tausend Thaler in Bankscheinen, und zugleich die mit verstellter Hand gechriebenen Wort darin:

„Wenn Sie das Geld von Ihrem Vater erhalten, geben Sie die hier inliegende Summe versiegelt an Natalie Bl… zurück. Im Uebrigen Verschwiegenheit gegen Jedermann.“

Graf Eduard von B… hatte Niemand als Clotilde seine Verlegenheit mitgetheilt, also konnte nur sie das Geld gesendet haben. Mußte ihm nun freilich auch die Art auffällig sein, in der es geschehen, so grübelte er doch nicht weiter darüber nach, sondern war nur froh, sich gerettet und von extremen Schritten zurückgehalten zu sehen. Wie von garstigem Alpdrücken befreit, seufzte er auf, vor sich hinmurmelnd:

„Nun seh’ ich doch, daß sie mich liebt!“

Schon früh am andern Morgen, nachdem er das Geld zusammen gepackt, gesiegelt und auf die Post gegeben, kam er ganz leicht und vergnügt bei der Majorin an, um sich nach dem Befinden der Damen zu erkundigen, und sein gestriges, eiliges Weggehen zu entschuldigen.

Clotilde, die nicht zugegen war und sich entschuldigen ließ, weil sie meinte, ihr Verlobter komme um einen neuen Versuch sie zu überreden zu machen, hörte, nachdem dieser wieder fortgegangen, nicht ohne Befremden, daß er heiter und vergnügt gewesen und mit großer Liebe von ihr gesprochen habe.

Er wird das Geld vom Vater erhalten und damit aus aller Verlegenheit sein, dachte sie, indem sie den für den Tag sich vorgesetzten Besorgungen und Besuchen nachging.

Als am Abend Eudard wieder kam, war Visite im Hause und kein ungestörter Augenblick, der sich zu einer Erklärung gepaßt hätte, zu finden. Am zweiten und dritten Tage ging es nicht besser. Am vierten schickte ganz unerwartet seine künftige Schwiegermutter zu ihm mit der Bitte, daß er augenblicklich bei ihr vorkommen möge, weil sie eine Sache von Wichtigkeit mit ihm zu besprechen habe.

[154] „Hören Sie, Graf,“ rief sie ihm laut, als er noch kaum über die Schwelle ihres Zimmers getreten war, entgegen, „hören Sie, Graf, was für ein Scandal sich in meinem Hause ereignet hat.“

„Was giebt es denn?“ fragte der Eintretende von banger Ahnung ergriffen und bis unter die Schläfe erbleichend.

„Ueberzeugen Sie sich selbst,“ entgegnete die Gefragte hastig, indem sie ihm ein beschriebenes Stück Papier hinhielt.

Es überlesend, fand er folgende Worte:

„Theure, gnädige Frau! Wenn Sie zufällig, ehe ich das, was ich getan, redressiren kann, an Ihre Schatulle kommen und die Summe von tausend Thalern vermissen, so suchen Sie nach keinem Diebe. Die Entwenderin bin ich. Ich habe mir heimlich Ihren Secretärschlüssel zu verschaffen und das Geld unbemerkt zuzueignen gewußt. Es ist nur für wenige Tage, nach deren Verlauf ich es wieder richtig zurück erstatten werde. Im Fall der Entdeckung um Mitleid und Schonung bittend
Nathalie Bl…“ 

Graf Eduard flimmerte es vor den Augen; er las wieder und wieder und wußte nicht, was er denken sollte.

„Was sagen Sie zu dieser unverschämten Frechheit?" fuhr die Majorin heraus, als sie zu ihrem Erstaunen den Graf statt in Verwunderung und Schelten losbrechen zu hören, wie versteint vor sich stehen sah.

„Ich fasse es nicht,“ hauchte dieser mehr zu sich selbst als der Majorin gewendet, tonlos heraus, indem er gleich daraus hastig fragte: „Und was thaten Sie mit der Unglücklichen?“

„Sie ist bereits der Polizei übergeben und wird ihrem Richter nicht entgehen,“ lautete die Antwort.

„O, mein Gott!“ stöhnte Graf Eduard, „Sie hätten nicht gleich zum Aeußersten schreiten und die Sache doch erst selbst näher untersuchen sollen.“

„Ich habe es versucht,“ entgegnete die Majorin, „aber denken Sie sich, die Sünderin ist so verstockt, daß sie nicht einmal gestehen will, was sie mit dem Gelde angefangen. Sie sagt, keine Macht der Erde würde sie das bekennen machen.“

Graf Eduard von B… war dem Umsinken nahe. Sich nur mit Mühe zusammenraffend, erklärte er, mit Clotilde sprechen und dann die in’s Gefängniß Gebrachte selbst aufsuchen zu wollen.

„O, hätten Sie mich nur früher rufen lassen,“ sagte er beim Weggehen zur Majorin. „Hängt die Sache, wie mir ahnt zusammen, so würde das öffentliche Aufsehen durch meine Dazwischenkunft vermieden worden sein.“

„Aber ich will das gar nicht vermieden haben,“ erwiederte die Dame des Hauses heftig. „Sei die Entwendung aus einer Ursache, welche sie wolle, begangen worden, sie ist so unerhört frech, daß es ja himmelschreiend wäre, wenn sie nicht exemplarisch bestraft würde.“

Ohne hierauf etwas zu entgegnen, eilte Graf Eduard davon, vor Clotilden’s Zimmer. Hier aber ward er bedeutet, daß das gnädige Fräulein, an Kopfweh leidend, sich jeden Besuch verbeten habe.

„Gut, gut,“ sagte er zu sich selbst, die Treppe des Hauses hinuntersteigend, „nun weiß ich genug. Ihr Alle seid die Größe und den Edelmuth dieses Mädchens nicht werth! – Und ich selber leider auch nicht!“ fügte er mit tiefster innerer Beschämung hinzu.

Als er in das Stadtgefängniß kam und nach Fräulein Nathalie Bl… fragte, ward er in eine kleine dunkle Zelle geführt, in der er das heroische Mädchen weinend in die Ecke gekauert fand.

„Mein Gott, was haben Sie gethan?“ rief er schmerzlich aus, als der Gefangnenwärter sich entfernend, ihn mit der Unglücklichen allein ließ.

„Nichts, was ich um meinetwillen bereue,“ sagte sie sanft, indem sie sich erhob. „Mißverstehen Sie diese Thränen nicht, Herr Graf, sie fließen einzig im Hinblick auf den Schmerz, den meine arme Mutter und meine Geschwister bei der Nachricht des gegen mich eröffneten Prozesses empfinden werden.

„Er kann, er darf nicht statthaben dieser Prozeß,“ rief Graf Eduard, indem er Natalien’s schöne, kleine Hand ergreifend und an seine Lippen drückend, hinzufügte: „Ich fasse noch kam die Größe Ihrer That. Wie und wodurch sind Sie dazu veranlaßt worden?“

„Ich war zufällig und wider meinen Willen Zeuge Ihrer Unterredung mit dem gnädigen Fräulein,“ entgegnete Natalie einfach, ihre Hand aus der des Grafen ziehend. „Der bebende, schmerzlich drängende Ton, mit dem Sie flehten, bewegte mich. Die Bedenken Ihrer Braut gegen Ihren Vorschlag schienen mir ungegründet und grausam. So kam es, daß, als Sie kaum gegangen, ich das that, was Sie ihr vorgeschlagen, und was, wenn sie es verübt, eine edle Unternehmung hieße und nur bei mir zum Verbrechen gestempelt wird.“

„Genug, genug,“ sagte Graf Eduard; „noch einmal, das wird, das soll nicht sein. Ich werde Mittel finden, das Schlimmste zu verhüten. Bin ich doch allein der Schuldige.“

Hiermit Natalie Bl… verlassend und zu der Majorin von Gl…n zurückeilend, um ihr Alles zu gestehen, ward er unterwegs vom Postboten eingeholt, der ihm Brief und Wechsel von seinem Vater überbrachte. Der Letztere ihm vieles Lob über seine vermeinte Enthaltsamkeit vom Spiel sagend und Glück zu seiner bevorstehenden Verbindung wünschend, schickte ihm einstweilen sechstausend Thaler, davon die erste Einrichtung zu bestreiten.

Nicht ohne schmerzliche Beschämung über das unverdiente Lob, das großmüthig gespendete Geld zu sich steckend, stürmte er weiter.

Bei der Frau von Gl…n angelangt, begann er nun sogleich ihr eine Banknote von tausend Thalern zu überreichen, den ganzen Hergang der Katastrophe zu erzählen, sie aus tief bewegtem Herzen ersuchend, die Anklage gegen Fräulein Natalie Bl… zurückzunehmen und die ganze Sache der Vergessenheit zu übergeben.

Wider sein Vermuthen erhob sich die Majorin, nachdem er seine Erzählung beendet, ungerührt von ihrem Sitz, ihm die Banknote zuschiebend und dann mit eisiger Kälte ihm sagend:

„Das Alles geht nicht mich, sondern das Gericht an.“

„Sie werden barmherzig sein, gnädige Frau,“ rief Graf Eduard, und auch seinerseits sich erhebend: „Sie werden, wenn nicht den guten Namen eines edlen Mädchens, so doch die Ehre Ihres künftigen Schwiegersohnes schonen!“

„Ich schone Niemand, der strafbar ist,“ kam hierauf die kurze abweichende Antwort und sodann die Bemerkung hinterher, „daß Sie, Herr Graf, nach dem was vorgefallen, aufhören, der Verlobte Clotildes zu sein, versteht sich von selbst. Hier ist,“ fügte sie auf den Tisch deutend, hinzu, bereits ein Brief meiner Tochter, der Ihnen ihren Rücktritt motiviren wird.“

„Ihre Erklärung genügt,“ sagte Graf Eduard, indem er sich stolz verbeugend und ohne weiter ein Wort zu verlieren, das Zimmer und das Haus der Majorin für immer verließ. Er sah sie und ihre Tochter nur noch einmal vor dem Assisengericht wieder, vor welches Natalie schon in den nächsten Tagen gestellt wurde.

Der Anwalt der Majorin klagte Natalie ganz einfach der Entwendung von tausend Thalern an, ohne weiter von dem Gebrauch zu machen, was Graf Eduard[WS 1] B… diesem über die Beweggründe derselben mitgetheilt. Und Natalie Bl…, diese Discretion respectirend, gestand sogleich ihr Vergehen ein, ohne auch nur den mindesten Versuch einer Entschuldigung zu machen.

Da aber die zuhörende Menge sowohl wie die Geschwornen und der Präsident an dem sittigen und edlen Benehmen der schönen Angeklagten gar wohl erkannten, daß diese keine gemeine Diebin sein könnte, sondern ganz eigenthümliche und ohne Zweifel die That unter eine günstigere Beleuchtung stellende Motive haben mußte, so freute man sich allgemein und es war nicht mehr als billig, daß der Vorsitzende vor Abschluß der Verhandlungen Natalie Bl… fragte, zu welchem Zweck sie das Geld entwendet habe.

„Seien Sie aufrichtig, mein Kind,“ sagte der würdige Greis, „gestehen Sie Alles. Sie haben ein zu gutes Gesicht, zu offene, ehrliche Augen, als daß man annehmen könnte, Sie möchten den Raub in gemeiner Diebesabsicht zu sich genommen haben. Auch hat er sich weder bei Ihnen noch bei den Ihrigen vorgefunden. Sie müssen ihn also, wenn nicht verborgen, was Sie selbst ja geleugnet, entschieden zu diesem oder jenem Gebrauch verwendet haben. Geben Sie diesen an. Lassen Sie sich durch keine noch so heilige oder profane Rücksicht bestimmen, ihn zurück zu halten. Bedenken Sie, was von dem Ausspruch der Geschworenen abhängt. Es gilt Ihren Namen, Ihren Ruf, die Ehre und die Ruhe Ihrer Familie. Reden Sie, reden Sie, ehe es zu spät und ehe das Urtheil gefällt ist!“

Natalie Bl…, von der Eindringlichkeit und Milde dieser rührenden Anrede bewegt, hatte eine Weile, wie nach Hülfe suchend, [155] im Kreise umhergeblickt und dann die Hände, erbleichend und zitternd, vor das von Thränen überströmte Gesicht gelegt.

Als sie so einige Minuten, wie es schien, im heftigsten Kampfe mit sich selbst gestanden und der Präsident, seine Frage wiederholend, sich auf’s Neue an sie wendete, erhob sie langsam ihre Blicke gen Himmel und stammelte, ihre Hand auf das Herz legend, vor sich hin:

„Ich kann, ich darf es nicht sagen. Es ist das Geheimniß eines Andern.“

War nun schon vorher unter dem versammelten Publikum sowohl, wie unter den Richtern die allgemeine Stimmung für die Angeklagte gewesen, so mußte jetzt dieses so überaus edle und durch die höchste Einfachheit imponirende Benehmen doppelt zu ihren Gunsten sprechen. Viele Frauen weinten, und selbst die verhärtetsten Männerherzen fühlten sich von dem, was sie hier sich begeben sahen, gerührt.

Nachdem die Bewegung des Erstaunens und der innigsten Theilnahme ein wenig nachgelassen und wieder eine athemlose Stille eingetreten war, richtete sich der Vorsitzende nun an die Majorin von Gl…n, diese fragend, ob sie denn selbst keine Ahnung habe, zu welchem Zwecke die von ihr Beklagte die tausend Thaler entwendet haben könne.

Einen Augenblick stutzte die Befragte, dann sich sammelnd, erklärte sie mit stotternder, undeutlicher Stimme: „daß dies allerdings der Fall sei, sie jedoch nicht reden könne, wenn es nicht ein Anderer, bei der Verhandlung Anwesender thue, den die ganze Sache näher betreffe und welchem sie einleuchtender sein müsse als ihr.“

Diese Aeußerung, obwohl nur zum Theil und unvollständig verstanden, brachte in der Versammlung eine solche Sensation hervor, daß man es im ersten Augenblicke ganz übersah, wie ein junger, stattlicher Herr, welcher natürlich Niemand anders als Graf Eduard von B… war, dem Präsidenten ein Zeichen machend, daß er reden wollte, an die Schranken des Gerichtshofes herangetreten war.

Nachdem man endlich und nur mit großer Mühe die Ruhe hergestellt hatte, begann nun Graf Eduard von B… wie folgt:

„Der, dessen Geheimniß die Angeklagte nicht verrathen wollte und welchen die Anklagende als Denjenigen bezeichnet hat, dem die Sache am Nächsten angehe, bin ich, der ich bisher nur geschwiegen, um ein edles und aufopferndes Herz sich in seiner ganzen Herrlichkeit entfalten zu lassen. Meine Herren Geschworenen, ehe Sie Ihren Spruch fällen, hören Sie zuvor das noch mit an, was ich Ihnen hier zu eröffnen habe und welches, wie ich im Voraus weiß, auf Ihr Votum nicht ohne Einfluß bleiben wird.“

Nach diesen Worten haarklein die Geschichte erzählend, die wir auf den vorstehenden Seiten unsern Lesern schon im Voraus gegeben, schloß er seine Rede ungefähr wie folgt:

„Dies, meine Herren Geschworenen, ist der klare, einfache und wahre Thatbestand, wegen welchem die Angeklagte vor Ihnen steht. Ich weiß nicht, wie Ihr Spruch über dieselbe lauten wird, aber wie er auch laute: schuldig oder unschuldig, mein Verhalten gegen die Angeklagte soll dadurch nicht bestimmt werden. Laut und offen erkläre ich vor aller Welt, daß ich Natalie Bl… nicht nur ihrer That willen nicht gering schätzen kann, sondern daß ich sie derselben wegen ewig lieben und verehren werde. Gehen Sie, meine Herren Geschworenen und berathen Sie sich. Wie aber auch Ihre Entscheidung falle, hier stehe ich und bitte, daß die, über die Sie zu richten haben, unter allen Umständen nicht verschmähen möge, meine Gefährtin durch’s Leben zu werden.“

Ein Beifallssturm von Jauchzen und Händeklatschen durchscholl den Saal, den die Geschworenen mit gerührten Mienen und thränenden Blicken verließen, während Natalie Bl...., durchströmt von Glück und Wonne, ihrer selbst nicht mehr mächtig, Graf Eduard von Bl… ohnmächtig in die Arme sank.

Noch war sie ihrer Sinne nicht ganz mächtig, als die Geschworenen schon wieder erschienen, um durch ihren Sprecher erklären zu lassen, daß ihr Spruch über die Angeklagte einstimmig auf „nichtschuldig“ laute.

Nun brach ein Zurufen und Freudengeschrei vor den Assisen los, wie man es in B… vor denselben noch nie erlebt. Im Nu waren von allen Seiten die Barrièren überklettert und Graf Eduard von B… und seine Verlobte von einem solchen Menschenknäul umringt, daß man die angestrengteste Mühe hatte, sie aus demselben heraus, vom Erstickungstode zu retten. Als sie endlich hinaus auf die Straße traten und sich in einen herbeigeholten Wagen setzten, ließ es sich die Menge nicht nehmen, die Pferde auszuspannen, und denselben selbst bis vor die Wohnung des Grafen zu ziehen.

Hier angelangt, ward noch in derselben Stunde der Prediger geholt, und von diesem die Trauung vollzogen.

Die Majorin von Gl…n und ihre Tochter haben bald darnach B… verlassen, und wie es heißt, ist die Letztere später noch eine sehr unzweckmäßige und sie tief unglücklich machende Ehe eingegangen. Graf Eduard von B… und Natalie Bl… dagegen leben noch jetzt in der glücklichsten Gemeinschaft, die man sich denken kann, in B…, geschätzt, geachtet und geliebt von der ganzen Stadt, in der sie sich für immer heimisch gemacht.




Das spanische Mädchen.


Als ich im Herbst des Jahres 1854 in Brüssel war, besuchte ich in den Abendstunden gewöhnlich das Café Suisse auf dem Place de Monnaie, wo man neben einer guten Tasse Mocca und den französischen und englischen Journalen auch einige deutsche Zeitungen fand, welche uns wie gute liebe Bekannte erschienen, die man in der Fremde trifft und mit denen man von der Heimath plaudern kann. So ohne Weiteres bekam ich indessen nicht immer die Zeitungen, denn ein alter Herr von vielleicht einigen sechzig Jahren, dessen gerade, militärische Haltung auch außer dem grauen Schnurrbart und dem rothen Bändchen der Ehrenlegion, das er im Knopfloch trug, den ehemaligen Soldaten verrieth, hatte in der Regel alle Journale, deren er habhaft werden konnte, zusammengetragen und vor sich aufgehäuft, und während er mit der einen Hand das Blatt, in welchem er eben las, hielt, stützte er sich mit der anderen auf die übrigen Blätter, so daß in der That etwas diplomatisches Geschick dazu gehörte, um dem alten Herrn eins der Journale zu entführen. Dabei machte er in der Auswahl der Zeitungen keinen Unterschied, und französische, deutsche, englische Blätter lagen friedlich neben dem madrider „Heraldo“, ein Beweis, daß der Mann eine große Sprachkenntniß besitzen müsse. Wer die Kaffeehäuser großer Städte besuchte, wird gewiß eine derartige Originalität, einen dieser „Gazettophagen“, wie sie Cuvier nennen würde, gesehen haben. Da der Zufall wollte, daß der Kapitain, dies war er, wie ich später erfuhr, zu gleicher Stunde mit mir das Café besuchte, so entstand ein sonderbares Verhältniß, eine Art Bekanntschaft zwischen uns, die jedoch die Eigentümlichkeit hatte, daß niemals zwischen uns ein Wort gewechselt wurde. Zuletzt war trotz unseres beständigen Zeitungskriegs die Gegenwart des Einen dem Andern förmlich zum Bedürfniß geworden; es lag ein eigner Reiz für uns Beide in dieser hartnäckigen Vertheidigung und meinen beharrlichen Angriffen.

Eines Tages indessen, als der Kapitain D.... seinen ledernen Beutel mit der Meerschaumkopfpfeife vergessen, wurde unsere bisher stumme Unterhaltung gesprächig. Ich bot dem Kapitain, der vergebens in allen seinen Taschen suchte, und dem ich den Aerger darüber in den Augen las, eine gute Manilla an, die nach einigem Sträuben auch angenommen wurde. Die Zigarre wurde gewissermaßen zur Friedenspfeife, denn von dem Augenblick an hörte unser Zeitungskrieg auf und wir fingen an, mit einander zu sprechen, wobei ich erfuhr, daß der alte Militär unter dem Kaiser gedient und die Feldzüge in Spanien, Deutschland und Rußland mitgemacht, woher auch seine ausgebreitete Sprachkenntniß rührte, da er sich Jahre lang in fremden Ländern aufgehalten. Alte Soldaten sind, wenn man sie nur erst zum Reden gebracht, in der Regel dann sehr gesprächig, und unsere Unterhaltung war im besten Zug, als sich das Café mit einer lärmenden, plaudernden, begeisterten Menge füllte, die aus dem dem Café gegenüberliegenden großen (vor Kurzem abgebrannten) Theatre royal kam und [156] dort die Berühmtheit des Tags, die spanische Tänzerin Pepita de Oliva, die an dem Abend zum ersten Mal in Brüssel aufgetreten, gesehen hatte. Alles war voller Entzücken und der Name der Spanierin auf allen Lippen. Der Unterhaltungsstoff ist ansteckend, wie mancher Krankheitsstoff, und so kam es auch, daß ich den alten Kapitain fragte, ob er nicht Lust habe, morgen mit in’s Theater zu gehen, und die schöne Spanierin zu bewundern. Der alte Soldat zuckte mit den Achseln, ließ eine dichte, blaue Rauchwolke emporwirbeln und murmelte dann:

„Wenn ich noch jung wäre, würde ich mir das Vergnügen nicht versagen, aber ich bin schon ein zu alter Knabe, um mich noch an dergleichen Dingen zu ergötzen – und dann“, setzte er zögernd und mit einem düsteren Ausdruck hinzu, „dann ist sie auch eine Spanierin, und so oft ich ein Weib dieses Volkes sehe, werde ich immer an eine unglückliche Geschichte erinnert, die mir meine Laune Tage lang verdirbt.“

Man kann sich denken, daß diese Worte meine Neugierde heftig erregten, und ich bat den Kapitain um eine nähere Erklärung. Im Anfang wich er aus und schien sich über das schon Gesagte zu ärgern, aber ich ließ ihn nicht los und erfuhr endlich folgende Geschichte, die ich hier so wieder erzählen will, wie ich sie mir an jenem Abend, als ich nach Hause gekommen, in mein Tagebuch aufgeschrieben.

„Es war im Jahre 1809, im dritten der napoleon’schen Feldzüge auf der pyrenäischen Halbinsel. Die französischen Truppen, an der Ostküste herunterrückend, hatten Barcellona genommen und näherten sich Saragossa, in welchem der spanische General Palafox commandirte. Eine düstere, unheimliche Stille lagerte über der Stadt, die sich mit finsterer Entschlossenheit zum Widerstand rüstete. Die Straßen von Saragossa sind bis auf eine, die Hauptstraße, alle schmal, düster und feucht, weil die hohen Häuser von Backsteinen das ganze Jahr keinen Sonnenstrahl hinein fallen lassen. Die einzige del Coso-Straße hat ein heiteres, freundliches Ansehen und schöne, geschmackvolle Häuser, und auf ihr ist auch immer das dichteste, lebhafteste Menschengetümmel. An dem einen Ende dieser Straße stand ein kleines, zweistöckiges Haus, hinter dessen grünen Jalousien man zuweilen einen schönen, blassen Mädchenkopf mit dunklen, feurigen Augen, frischen, rothen Lippen und nachtschwarzen Locken bemerken konnte. In der letzten Zeit mußte das arme Kind einen tiefen Kummer haben, der an ihm nagte, denn wenn sie an das Fenster trat, um ihre Blumen zu begießen, sah man oft in ihren schönen dunklen Augen Thränen schimmern, und häufig saß sie Stunden lang auf einer Stelle, den Kopf in die Hand gestützt und auf einen Punkt starrend, wie über den Gegenstand ihres Schmerzes brütend.

Die Ursache, aus welcher ihre Thränen flossen, war nicht schwer zu errathen. Dolores Lianares, so hieß die junge Spanierin, war, wie damals die meisten spanischen Frauen, eine glühende Patriotin, welche die Franzosen als Unterdrücker ihres Vaterlandes aus dem Tiefsten ihrer Seele haßte. Aber Dolores war neben der Patriotin auch Mädchen, ein spanisches Mädchen mit einem Herzen voll Gluth und Leidenschaft, und dieses feurige, glühende Herz hatte sie einem jungen spanischen Offizier geschenkt, Don Ramon, welcher in einem arragonesischen Regiment diente. Aber Don Ramon, der vor dem Ausbruch des Kriegs auf der hohen Schule zu Salamanca die Rechtswissenschaft studirt hatte, war ein entschiedener Priesterfeind, ein Feind der unbedingten Alleinherrschaft, ein Anhänger jener freien Richtung, die bald nach den französischen Kriegen so mächtig in Spanien auftauchte. Zum Unglück war der Befehlshaber des Regiments, bei welchem Don Ramon als Hauptmann stand, einer jener alten, glaubenseifrigen Spanier, wie sie die Zeiten des Pizarro und Philipp II. sahen, die auf Einflüsterungen eines Mönchs tausende von Indianern und Ketzern morden lassen konnten.

Don Baldomo, das war der Name des Obersten, hatte bald die ketzerischen Gesinnungen seines Hauptmanns kennen gelernt, und bei einer Musterung, die er über das Regiment hielt, warf er dies dem Don Ramon öffentlich in verletzenden Ausdrücken vor der Fronte seiner Compagnie vor und zog ihm außerdem, trotz Ramon’s oft bewiesener Tapferkeit, im Avancement einige junge Hidalgo’s (Edelleute) vor, die zwar weniger Tapferkeit und kriegerische Fähigkeiten, aber desto mehr jenen düsteren Glaubenseifer und Begeisterung für die unumschränkte Alleinherrschaft zeigten, wie sie der Oberst selbst besaß.

Don Ramon war außer sich; nach beendigter Musterung ließ er sich beim Obersten melden, und als er vorgelassen wurde, machte er ihm die bittersten Vorwürfe, verlangte Genugthuung mit dem Degen von ihm, und als ihm der Oberst diese verweigerte, nannte er ihn einen Ehrlosen. Der Oberst ließ ihn in Arrest werfen und wegen Verletzung der Subordination ein Kriegsgericht zusammentreten. Der Spruch war vorauszusehen; das Kriegsgericht aus lauter Gegnern der Ansichten Don Ramon’s zusammengesetzt, konnte nur auf Kassation oder Tod durch die Kugel erkennen. Don Ramon kam ihm zuvor, mit Hülfe einiger treuer Soldaten seiner Compagnie entfloh er aus dem Militärgefängniß und eilte nach der nächsten, von französischen Truppen besetzten Stadt. Mit blutigen Händen und Füßen, zerrissenen Kleidern kam er im französischen Hauptquartier an.

„Wo ist der kommandirende General?“ frug er mit vor Aufregung bebender Stimme den ersten Soldaten, der ihm begegnete.

Man führte ihn in dessen Wohnung.

„General!“ sprach er, „ich bin Spanier, aber ich bin auch Mann, ich bin Soldat. Man hat mich wie einen Elenden behandelt, mich eingekerkert, und nur durch die Flucht konnte ich mich einer entehrenden Strafe oder dem Kugeltod entziehen.“

Und er erzählte die ihm widerfahrenen Unbilden. Es lag damals in der Politik Napoleon’s, junge Männer aus guten spanischen Familien in seine Dienste zu ziehen.

Der General richtete einige Fragen an den jungen Mann, die ihm von der Wahrheit seiner Aussagen überzeugten, und am Abend war er als Adjutant seinem Stab zugetheilt.

Wer vermag den Schmerz der armen Dolores zu schildern, als sie diesen Uebertritt ihres Geliebten zu den Feinden des Vaterlandes erfuhr? Sie zerraufte sich ihr schwarzes Haar, rang die zarten Hände wund und weinte Tag und Nacht. Als sie sich so weit wieder gesammelt, daß sie einige Gedanken fassen konnte, sendete sie durch einen geheimen Boten folgendes Briefchen an Don Ramon:

„Unglücklicher! Du liebtest also die Fahnen des fremden Unterdrückers mehr als Dein Vaterland, mehr als Dolores? Du eilst in die Reihen derer, die Deine Brüder tödten und Deine Schwestern entehren! – Du bist zum Verräther an Deinem Land, zum Verräther an unserer Liebe geworden! Dolores Lianares wird nie einem Manne angehören, dessen Hand sich roth von dem Blute eines Spaniers färbte – Lebe wohl! Gott und die heilige Jungfrau mögen Dir vergeben und gnädig sein. – Ich kann es nicht.
Dolores.“ 

Als der Kapitain so weit in seiner Erzählung gekommen war, hielt er einen Augenblick inne und zog eine alte Brieftasche heraus, aus welcher er ein altes, vergilbtes Papierblatt nahm, auf welchem mehrere kleine, dunkle Blutflecken zu sehen waren. Es enthielt einige Zeilen in spanischer Sprache und unten am Ende stand undeutlich und kaum leserlich der Name Dolores. Ich betrachtete mit einem gewissen, unwillkürlichen Schauder dies kleine Blättchen und gab es dann dem Kapitain zurück, der darauf in seiner Erzählung fortfuhr:

„Dolores Schmerz wurde zwar mit der Zeit etwas ruhiger, stiller, aber der Gram um den verlornen Geliebten nagte um so gefährlicher im Innern an dem Herzen des armen Mädchens und die besorgten Aeltern, welche die Rosenröthe von Dolores Wangen schwinden und ihre Augen immer thränenfeucht sahen, schickten sie, um ihren Kummer etwas zu zerstreuen, nach dem Kloster der heiligen Anna in dem kleinen Städtchen G., wo eine Tante von Dolores Priorin war.

Dolores kam im Kloster an, aber die kalten feuchten Mauern konnten das Andenken an Ramon nicht ersticken, und das Beten und Messe singen der Nonnen Dolores Schmerz nicht lindern.“

(Schluß folgt.)
[157]
Ein Besuch in der neuen Gefangenanstalt zu Breslau.
(Schluß.)

Den furchtbarsten Eindruck macht das absolute Schweigen in der Anstalt. Die Gefangenen schlafen nicht alle in Isolirzellen; so haben die Gefängnißstrafe Verbüßenden meistens Doppelzellen, in denen mehrere zusammen Quartier finden; so sind auch in den Stationen für die Züchtlinge einzelne Zellen für mehrere Personen, ja in der alten Anstalt liegen sie in Schlafsälen zu Hunderten. Aber auch hier ist das Schweigen Gebot, hier wie auf der Promenade im Hofe, zu der sie in Reihen von den Aufsehern geführt werden. Wenn die Straftheorien vor der menschlichen Vernunft sämmtlich unhaltbar erscheinen, wenn die Nothwehr der letzte Nothbehelf für ihre Erklärung ist, dann mag sich die Gesellschaft das Recht anmaßen, das Individuum gewaltsam erziehen zu wollen – wir müssen es entschuldigen. Es ist aber nicht abzusehen, wie gerade die Unterdrückung des Gefühls in dem Verbot jeder Mittheilung, wie diese Vereinsamung des Herzens einen versittlichenden Eindruck machen kann. Sind denn diese Menschen alle gleich schlecht? Verdient nicht derjenige, der in der Raserei, der Leidenschaft eine böse That beging, eine andere Behandlung, als der ergraute Züchtling, der in der Gewohnheit des Lasters sündigt und seinen Wohnsitz wechselnd nur in den Spelunken des Verbrechens und in den Mauern der Buße aufschlägt. Muß der erste Schritt auf der Bahn des Verbrechens eben dahin führen, wo die Laufbahn des Unverbesserlichen endet? Bereut nicht der Eine, wo der Andere höhnt? Warum, wenn man die Ansteckung des Lasters vermeiden zu müssen glaubt, warum classifizirt man nicht lieber, statt diese mannigfaltigen, so eigenthümlichen, halb verkrüppelten, knorrigen Gemüther wie die Front eines Regiments durch das Commandowort „Still gestanden!“ zu dressiren? Mag es gut sein, ein Gemüth, auf das man einwirken will, erst zu erschüttern, seinen Trotz zu bändigen, es durch das Gebot zu schweigen in die schreckliche Stille seines eignen Innern zu bannen. Aber, wenn die Stunde der Reue geschlagen hat, wo Mund und Herz immer noch unter unlösbaren Fesseln schmachten, wo die Mittheilung fehlt und der Seufzer an fühllosen Mauern verhallt, führt das Schweigen zu einem finstern, feindseligen Brüten des Herzens und die Stunde der Freiheit naht nicht allmälig wie die Stunde der Versöhnung mit der Gesellschaft, sie wird mit Zähneknirschen erwartet und mit einem Fluch gegen die strafende Menschheit begrüßt. Ach, in diesen Anstalten muß die Feindseligkeit gegen die Gesellschaft wie ein Wurm in dem Herzen geboren werden, der nur mit seinem letzten Schlage endet! Der unbeugsame Zwang, der sich nicht in einer gerechten, psychologischen Abstufung mildert, der keine Hoffnung läßt und kein Vertrauen gestattet, vernichtet das letzte Gleichgewicht der Seelenkräfte. Und wenn in diesen Mauern ein Mann von Beruf wirkt, wenn er persönliches Vertrauen erwirbt, die Instruktion ist das schneidende Schwert, das die angeknüpften Beziehungen des Gemüthes mit einem Schlage wieder vernichtet.

Fragt den Seelsorger, der jeden Gefangenen beim Eintritt in die Zelle begrüßt und ermahnt, der ihn allsonntäglich mit der Gewalt des einfachen menschlichen Gefühls zu der Göttlichkeit seiner Natur zu erheben sucht, fragt ihn, wenn er nicht die Gnade im Munde, die Lieblosigkeit im Herzen, und die Verblendung im Auge trägt, fragt ihn, was sein Zuspruch fruchtet, wie viele Gemüther er der Tugend erschlossen, wie viele Herzen er der Verfinsterung entrissen hat und er wird mit einem betrübten Achselzucken antworten.

Ich wohnte einem Gottesdienste in der Kapelle bei; sie liegt in einem Thurme, zu dem eine beschwerliche Treppe hinaufführt. Ein schönerer Sonntagsmorgen läßt sich nicht leicht denken; ich mußte während des Gesanges die Augen durch die Chorfenster richten und den Tag vor mir mit den Blicken eines entzückten Kindes anschauen. Es war Alles so schön in der Welt und ich zitterte, in das Menschenantlitz zu sehen, in das die Spuren des Häßlichen so tief eingeschnitten sind. Die Klänge der Orgel hallten so rein, melodisch und weich und mir war es zu Sinne, als ob da unten in der Kapelle ein Traueramt um die Menschheit gehalten wurde, die einige hundert Opfer als Sühne für ihre Verirrungen bot. Aus einer Menschenbrust kamen die Worte des katholischen Priesters, ohne oratorischen Pomp, ohne mystische Phrasen, ohne den drohenden Groll sittlicher Ueberhebung. Aber in ihrer Schmucklosigkeit glühte und strahlte der Schmuck eines milden, warmen Herzens und die sanfte Trauer eines aufrichtigen Gemüthes. Wohl war der Eine oder der Andere, dessen Antlitz bewegt war, hier und da strömte eine Thräne aus dem Auge eines Weibes. Aber die Masse saß starr und gleichgültig, kalt und theilnahmlos da und beobachtete nur das Ceremonielle des Ritus. Und wären sie Alle tief ergriffen gewesen, was hilft es, in einer Sonntagsstunde das Gefühl zu wecken, das in vielen Werkeltagsstunden zum Schweigen erdrückt wird, die Menschenwürde aufzurichten über der im Namen der Disciplin die Peitsche schwebt?! Mancherlei Gedanken bestürmten mich; einer rief dem andern zu: rette sich, wer kann – aus diesem Chaos der Zustände, wo die Macht des Guten unter dem Dämon des Bösen steht und einen zweifelhaften Werth hat.

Von gewisser Seite her ist wiederholt ausgesprochen worden, daß die Beamten eines Gefängnisses dem Dienste einer innern Mission nicht fremd bleiben und in dieser Richtung geschult werden müßten. Von Herzen stimmen wir ein, wenn an die Stelle des militärischen Zwanges der Beruf eines rein und edel gestimmten Gemüthes gesetzt wird, wenn es möglich ist, in den Herzen der Schließer und den Paragraphen der Gefängnißordnung den versöhnenden Geist der wahren Humanität heimisch zu machen. Ist das die innere Mission, so rufen wir ein freudiges „Amen!“

Und dieses Vertrauen wirkt! Lehrreich ist das Experiment gewesen, die Gefangenen im Freien zu beschäftigen. Hunderte haben, wie wir später hören, in jenen schlimmen Catastrophen, die über Schlesien hereinbrachen, hülfreiche Hand geleistet, ohne militärische Escorte, von wenigen Aufsehern bewacht und in einer Scheune bequartirt, ohne daß eine Störung der gewiß mühsam zu handhabenden Ordnung vorgefallen wäre. Weitere Anträge liegen den Kammern bereits vor, dieses System fortzubilden und den jähen Uebergang aus dem erdrückenden Zwange in die Freiheit zu erleichtern. Es läßt sich kein Lob mehr dafür ersinnen.

Der Sonntag gehört dem Gefangenen; er kann ihn mit Nachdenken zubringen, er kann den Vorlesungen zuhören, die begreiflicher Weise nur religiöse Erbauungsschriften berühren. Als Vergünstigung wird ein Besuch der Angehörigen in dem Sprachzimmer unter Aufsicht eines Beamten erlaubt. Welche Scenen mögen da vorkommen! Man kann nur eine schmerzliche Ahnung davon bekommen, wenn man das Gesuch der Angehörigen, eines Kindes, einer Mutter, eines Vaters, eines Weibes oder eines Gatten um eine Unterredung hört. Das Strafregister entscheidet, wenn nicht eine Thräne den Ausschlag über seine Bedenken giebt.

Wir machen einen Besuch in der Schule der Anstalt. Wie wird es gelingen, die jungen Sprößlinge, die auf dem Stamme des Elends und des Verbrechens gewachsen sind, zu biegen und zu ziehen? Wenn man sich das fröhliche Getümmel der Schuljugend in einer Zwischenpause oder nach dem Schlusse der Lectionen vorstellt, die frischen Wangen und die bunte Tracht mit diesen blassen Gesichtern und dieser einförmigen Kleidung vergleicht, dann schleicht eine zwiefache Trauer in die Seele – um die Knaben, die in der Verwahrlosung erzogen wurden, um die Kinder, deren Jugend mit einer so schrecklichen Erfahrung belastet wird. Es sind hübsche Schelme unter den Kindern und gewiß manche Talente; sie erhalten den gewöhnlichen Elementarunterricht, und ihre Fortschritte, besonders im Zeichnen, scheinen bedeutend gewesen zu sein. Wirkliche Zöglinge sind nur die Kinder, die längere Haft zu verbüßen haben; andere hospitiren für die kurze Strafzeit. Auch den Erwachsenen wird an gewissen Tagen Unterricht ertheilt, wenn sie nicht, doch das gehört im preußischen Staate zu den Seltenheiten, lesen und schreiben können. Die Kinder erhalten in der Anstalt natürlich auch den zur Confirmation nöthigen Religionsunterricht.

Den interessantesten Anblick gewährt die sechste Abendstunde. Wir begeben uns nach der Gefängnißexpedition, um die Einlieferung der Gefangenen in Augenschein zu nehmen. Zuweilen werden funfzig eingebracht oder gestellen sich selbst, wenn sie kürzere Gefängnißstrafen zu verbüßen haben. Sind sie gehörig registrirt, [158] so werden sie gebadet, die Kleider werden in einer erhitzten Walze gedörrt und der Gefangene dem Arzt vorgeführt, bevor er in die Zelle quartirt wird. Untersuchungsgefangene und Gefängnißsträflinge dürfen ihre eigene Kleidung tragen; ich habe Wenige gesehen, die von diesem Rechte Gebrauch machten oder vielleicht machen konnten. Am Tage nach der Einlieferung beginnt früh die Vorführung vor den Director; es ist ein unangenehmer Anblick, wenn man sie mit den unsichern, umherschweifenden Augen vor der Thür des Vorführungszimmers in Reih und Glied aufgestellt sieht. Einer der Corridors im nördlichen Flügel ist durch ein eisernes, verschlossenes Gitter getheilt. Drüben liegen die Verhörzimmer des Stadtgerichtes, diesseits sind drei Aufseher postirt; einer öffnet und schließt das Gitter, die beiden andern nehmen die Requisitionen des Stadtgerichts entgegen, die sie als Quittung der Expedition überreichen, worauf dann die Gefangenen von ihnen am Gitter an die Boten des Gerichts abgeliefert werden. Am Tage, nachdem das Stadtgericht Session gehabt hat, sieht man viele Gefangene aus den Verhörzimmern kommen und den Aufsehern gedruckte und ausgefüllte Formulare überreichen. Man sieht es an den strahlenden Gesichtern, daß sie ihren Entlastungsschein haben und mit Ungeduld auf die Abfertigung warten.

Bei der Größe der Anstalt staunt man über die geringe Zahl der Beamten. Außer der Kasse, dem Directorial- und Expeditionsbureau sind noch zwei Inspectionen, die Polizei- und Oekonomie-Inspection und die Arbeits-Inspection vorhanden, dann die Hausvaterei. Einige dreißig Aufseher versehen den Tagesdienst; drei oder vier wachen des Nachts, unterstützt von einigen Militärposten in den Höfen. Die Anstalt ist auch des Nachts mit Gas erleuchtet. Im Winter wird sie mit Wasserleitung geheizt. Was aber irgend der Comfort erheischt, was die Rücksicht auf den Gesundheitszustand und die Sicherheit der Anstalt fordert, ist in ausgedehntestem Maße vorhanden. Man staunt auf Schritt und Tritt über die erfinderische Sorgfalt, die auch das Kleinste nicht außer Acht gelassen hat.

Ich bin in die Anstalt eingetreten mit dem Gefühl der Ueberraschung; mich schlug die Großartigkeit des Anblicks; aber es war die Großartigkeit menschlichen Elends, und so mußte ich gedemüthigt und beschämt davon schleichen.

Ich hasse den Communismus, die Gemeinschaft, die kein Princip der Gerechtigkeit kennt; aber das hier ist ein Icarien des Elends, eine Gemeinschaft des Verbrechens, vor der meine Seele scheu und stumm ihre Fittige einzog. Lange noch - auf den Wanderungen im Gebirge nagte ich an den ungelösten Fragen herum und fand nur Seufzer als Antwort. Dann aber kehrte das Vertrauen zu der ewigen Gewalt der Wahrheit und Schönheit zurück; und als ich auf den Höhen der Berge stand, träumte ich von den fernen Höhen der Menschheit, denen sie auf der stillen Bahn der Culturgeschichte unbekümmert um das Geschrei des Tageswerkes mit sicherem Tacte zuschreitet, und in einer schönen, wechselvollen Harmonie aller ihrer Glieder waren die Fragen gelöst, welche die Lapidarschrift jenes Gebäudes in mir beregt hatte.




Ein Jagdzug im Kaffernlande.
Nach Originalberichten eines Freundes mitgetheilt von Rudolf Just.

Mein Weg führte mich an den Ufern des großen Fischflusses in die Behausung des Häuptlings. Sie lag auf einer Anhöhe, von welcher ich eine überraschende Aussicht auf den in tausend Windungen sich durch die dunkelen Waldungen von Bananen und Mangobäumen anmuthig schlängelnden Fischfluß hatte. Dort hatte ich auch das Glück, die interessante Bekanntschaft John Harris, eines jungen Engländers zu machen. Wenige Menschen sind wohl mit dem wildromantischen Leben in den unermeßlichen Urwildnissen dieses Erdtheils, mit all seinen Leiden und Freuden so vertraut, als dieser berühmte Nimrod in den Felsengebirgen des Kaffernlandes, der mit dem mächtigen Königstiger, mit dem Löwen und Leoparden an den ungastlichen Ufern des Fischflusses siegreich kämpfte, und der mit den Pelikaren des gelbfluthenden Orange verfolgt wurde. Oft, wenn ich während meines längeren Aufenthaltes in jenem Lande von meinen Wanderungen ermüdet in das Kafferndorf zurückkehrte, begab ich mich in sein freundliches Palmenhüttchen und lieh mein Ohr seinen Erzählungen. Die interessantesten von Allen waren mir die Erinnerungen seiner Abenteuer, welche er in den Schneebergen erlebte. Sein Bild schwebt mir noch lebendig vor der Seele; noch sehe ich ihn vor mir sitzen, wie er mir seine seltsamen, anziehenden Geschichten mit harmloser Naivetät erzählte, wie sich seine sonst so finsteren Gesichtszüge auffallend erheiterten, wie er dabei seine europäische Stummelpfeife bedächtig aus der Rocktasche hervorzog – und ich gestehe, seine Lebendigkeit, welche oft wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel in seine Gemüthsruhe hineinschlug, hatte für mich Etwas so Aufregendes, daß ich mich immer in jene Regionen versetzt wünschte. Eins von John’s Abenteuern mit den Kaffern ist so charakteristisch und einzig in seiner Art, daß ich es meinen Freunden in Europa nicht vorenthalten kann, und es möglichst treu aus seinem Munde wiedergeben will.

Das felsige Schneegebirge bildet nicht allzu weit von dem großen Fischflusse ein reizendes Thal, das gleich einer Oase in unwirthbarer Wüste mehrere tausend Fuß über dem Spiegel des Meeres, zu beiden Seiten von schroffen, schwarzen Felswänden bewacht, grüne, nahrhafte Gebirgsgräser, die herrlichste Vegetation in sich birgt. Platanen, die oft in den anmuthigsten Gruppen mit ihren schwanken Wipfeln stolz über ihre Umgebung hervorragend den Himmel zu berühren scheinen, die Baumwollenbäume, die zierlich gezweigt mit ihren abwechselnd zerstreuten Dickichten die junge Brut des kleinen „Okasi Vogels“ schirmend bewahren, die reizenden Weidenlauben, an denen Mutter Natur ihre Kunst so herrlich bewährt, und der fruchtbare Boden, auf dem sie so bereitwillig den Erdenbewohner beschenkt, – das sind die Schätze dieses abgelegenen Thales, durch welches die dunkelen Gewässer des großen Fischflusses sich gleich einem Lavastrome befruchtend hindurchschlängeln. Dieser Landstrich einem Paradiese gleichend, erfreut sich auch eines vortrefflichen, gesunden Klimas, und Hunderte von schwarzen Jägern wählen ihn während „der kalten Zeit“ zu ihrem Aufenthalt. Schwarze der verschiedensten Stämme, besonders aber die Fisch-Kaffern besuchen dieses Thal häufig, um mit den „weißen Männern“ jenseits des Flusses zu handeln. Dieser Kaffernstamm zeichnet sich vor den anderen rothhäutigen Bewohnern des Schneegebirges durch einen besseren Charakter auffallend aus; sie sind tapfer, kriegerisch, scharfsinnig und außerordentlich gastfrei. Ihre Fluren werden von zahlreichen Heerden, von Antilopen, Pferden, Schafen, Maulthieren und Hunden belebt, welche letzteren sie mästen, schlachten und als eine ganz besondere Delikatesse verzehren, weshalb sie auch von den anderen Stämmen „Kaurácki’s,“ d. h. „Hundefresser“ genannt werden.

Von den schönen Mädchen, welche sich in dem Thale niederlassen, wenn die Kaffern mit den „weißen Männern“ zu handeln kommen, war Koremba, eine zarte, junge Kafferin, die Auserwählte, welche John Harris bei seinem ersten Begegnen in sein Herz geschlossen hatte; man konnte auch nichts Holderes, Anmuthigeres, Lieblicheres sehen, wie er sagte, als dieses Naturkind, und so mancher Sohn der Wildniß mochte wohl oft zu tief in ihre schwarzen, schalkhaften, aber von Liebe und Seligkeit glänzenden Augen hineingeschaut haben – und so war auch der junge John, welcher ein Weltkind von höherem Range, seinen heimathlichen Herd verlassen, und den Freuden und Annehmlichkeiten des civilisirten Lebens Valet gesagt hatte, um sich eine schöne Bewohnerin der Wildniß zu holen, zu dem festen Entschluß gekommen, dieses schöne Kind für sich zu erobern.

Während das blutige Jagdhandwerk mehrere Monate im Jahre ruht, ist Trägheit an der Tagesordnung; die Jäger suchen Kurzweil und Vergnügen jeder Art in den Hütten und Behausungen ihrer dunkleren Nachbarn, und es beginnt eine lange ununterbrochene Reihe von Festlichkeiten: die schöne Welt tanzt, und manches Herzchen geht verloren, wenn die niedlichen Füßchen den grünen Boden schlagen; denn die jungen Jäger richten ihr Geschoß auf die jungfräuliche Schaar und begleiten den Tanzreigen mit [159] sehnsuchtsvollem Gesange. Eine solche Gelegenheit war es, als John zuerst die junge Rothhäuterin sah, und er gestand mir noch heute, daß es ihm in seinem ganzen Leben nicht so wunderbar zu Muthe gewesen sei, als in diesen Augenblicken; es kitzelte und zuckte ihm durch alle Nerven, durch alle Glieder von oben bis unten, sobald er seine Blicke auf das bunte Gemisch der bald in glänzenden Ketten, bald in zierlich verschlungenen Gruppen hüpfenden, jungfräulichen Gestalten warf, und unter diesen seine schöne Geliebte in festlichem Glanze hervorleuchten sah.

„Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme!“ dachte John, und hatte also weiter nichts zu thun, als das holde Kind zu gewinnen und zu heirathen. Aber ach! – bald wurde es ihm wieder zu Muthe, als würde ein Strom eisigen Wassers über ihn hinweggegossen, es fiel ihm ein, sie war noch nicht seine Braut, Papa hatte ihm seine Erlaubniß noch nicht dazu gegeben, und wilde Papa’s sind oft – wie auch in der civilisirten Welt – gar wunderliche Käutze! Aber er irrte. Der wilde Papa war offenherziger und liberaler in seinen Anforderungen; er verlangte nach altem Brauch und Sitte nur eine Vergütigung für die Tochter in gleichem Werthe mit ihr – ein Pferd.

Ein Freier kauft sich nämlich das beste Pferd, führt es zum älterlichen Hause seiner Schönen, bindet es an die Thür und geht davon. Tags darauf wird das Pferd einer strengen Musterung unterworfen; wird es für gut und fehlerfrei befunden, so erfolgt eine Einladung, und die Sache wird bald zum Abschluß gebracht; wird aber das Mädchen höher geschätzt als das dargebrachte Pferd, so sind noch andere Geschenke nothwendig, um die Einwilligung des Vaters zu erlangen. So hat schon mancher reiche civilisirte Liebhaber auf diese einfache, billige Weise die schönste Jungfrau eines Stammes fortgeführt – aber John befand sich in einer mißlichen Lage. Er hatte den größten Theil seines mitgebrachten Vermögens für die übermäßigen Freuden des Branntweins und Tabacks ausgegeben, und es war ihm nun nicht mehr so viel übrig geblieben, um sich ein Pferd kaufen zu können, und das war schmerzlich! Ohne Pferd war keine Frau zu bekommen. Was war zu thun? Noch ein Monat mußte verstreichen, und man konnte wieder jagen.

John bedachte das, und als die ersehnte Zeit herangekommen war, verließ er seine Hütte, um den Löwen in seinen Höhlen, den Tiger in seinen Schluchten, den Biber in seinen Dämmen und die Antilope in ihren grasigen Ebenen aufzusuchen, und hoffte, durch seine mühevolle Anstrengung auf der Jagd in kurzer Zeit so viel zu erlangen, daß er seine rothhäutige Braut endlich heimführen könne. Die Arbeit vieler heißer Tage brachte in des Jägers Tasche einen guten Vorrath. Ottern und Biber wurden gefangen, Hirsche, Antilopen und Tiger erlegt, und der Erfolg krönte bald den unermüdlichen Eifer unseres Freundes John. So kam es auch, daß er eines Tages, nachdem er mit rastloser Ausdauer das Wild verfolgt und weite Strecken durchstrichen hatte, mit reicher Beute beladen, in seine Hütte zurückkehrte. Er legte seine Schätze in Sicherheit und ging von Neuem an das Werk, indem er einen ihm noch unbekannten Fußpfad verfolgte, der den abenteuerlichen Jäger in eine tiefe Waldschlucht geleitete, welche augenscheinlich in eine große Ebene mündete und deshalb viel Wild versprach. Als er so durch Dick und Dünn vorwärts drang und sich stellenweise den Weg mit seinem Jagdmesser bahnte, gelangte er an eine Lichtung, von welcher sich eine weite, unabsehbare Ebene ausdehnte.

Ein Ausruf seltsamer Verwunderung glitt über seine Lippen; er spähete einen Augenblick hinaus und kehrte wieder in den Wald zurück, um sich einem kurzen Nachdenken hinzugeben.

Um sein Benehmen zu erklären, muß ich eine eigenthümliche Sitte der Fisch-Kaffern erwähnen. Kein junger Mann, selbst wenn sein Vater der tapferste Häuptling seines Stammes ist, darf sich in die Reihen der Krieger stellen oder sich in irgend einer Weise ihrer Rechte erfreuen, bevor er selbst nicht eine That von Muth und Unerschrockenheit vollführt und sich mit dem Blute seiner Feinde rühmlichst befleckt hat. Im Frühlinge versammeln sich alle Jünglinge auf einem abgelegenen freien Platze im Hochwalde, um dem „Morhunnu“, ihrem Kriegsgotte, einen Tempel zu errichten. Sie tragen junge schlanke Bäume zusammen, binden sie an ihren Kronen in Form einer kegelartigen Hütte an einander und bedecken sie mit Zweigen und Blättern aller Art. Der blutende Kopf eines Tigers, den sie so eben erlegt, Skalpe, Waffen und die Haut einer weißen Antilope werden als Opfer für den Gott innerhalb dieses Gebäudes aufgehängt, worauf gewisse Ceremonien, von denen das Rauchen aus der „Manocco-Co,“ der Friedenspfeife die wichtigste ist, verrichtet werden. Der Aelteste der jungen Männer stopft die Pfeife mit Tamariskenblättern und Cayennepfeffer, legt eine Kohle aus dem Feuer der Behausung Morhunnu’s darauf, zieht den Rauch ein und läßt ihn durch die Nase wieder heraus. Darauf wird die Erde mit dem Kopfe der Pfeife berührt, und unter wildtönenden Schlachtgesängen, welche von verschiedenen Ceremonien begleitet werden, macht die Pfeife die Runde. So gehen viele Tage unter Fasten und Tanzen vorüber, ehe sie zu ihren heldenmüthigen Unternehmungen in gehöriger Weise vorbereitet sind. Endlich verlassen sie den Tempel, und der qualvollste, grauenvollste Tod ist dessen unabänderliches Schicksal, der es wagt, während ihrer Abwesenheit den Tempel zu betreten oder ihn sonst auf eine Weise zu entheiligen: „denn Morhunnu’s Haus ist heilig und gefährlich, es zu entweihen.“ – Wehe dem Verwegenen, der einen Stein in die Oeffnung „der großen Grotte“ des Kriegsgottes würfe: der ungestüme Wind, Morhunnu’s Odem, der mit seinem ewigen Hauche den Eingang derselben bewacht, würde ihn mit dreifacher Gewalt zurückschleudern und die Frevelthat mit dem Tode des Frevlers bestrafen!

Auf solch’ ein verhängnißvolles Heiligthum war John soeben auf seinem Streifzuge gestoßen, und verschiedenartig waren die Gefühle und Gedanken, welche sich seiner jetzt bemächtigten, denn groß dünkten ihm die Schätze und werthvoll genug, um sich dafür das so heiß ersehnte Pferd zu kaufen. Aber John war doch etwas zu ehrlich, als daß es ihm gleich in den Sinn gekommen wäre, den geheimnißvollen Tempel der Braunhäute zu berauben.

„Es ist mir wie in den Weg geworfen,“ dachte er bei sich, „so daß ich kaum Nein sagen kann. Ueberdies erinnere ich mich, daß auch einmal ein armer weißer Jäger, der noch kurz vor der hereinbrechenden kalten Zeit aller seiner Habseligkeiten beraubt worden war, freien Gebrauch von einer wollenen Decke machte, welche er in einem Kafferntempel fand. Man fing ihn, stellte ihn vor den Rath der Aeltesten und beschuldigte ihn der Entheiligung des Tempels, doch er vertheidigte sich damit, daß er gewaltsam beraubt worden sei, daß Morhunnu deshalb Mitleid mit seinem schutzlosen Zustande gehabt, ihm die Decke gezeigt und geboten habe, sich damit zu bekleiden.“

„Morhunnu hat das unbezweifelte Recht, sein Eigenthum zu verschenken!“ war die richterliche Entscheidung, und der Jäger ward in Freiheit gesetzt.

John schüttelte den Kopf; seine Neugier trieb ihn vor die Oeffnung des Tempels, und er war eben im Begriff, den Fuß hineinzusetzen, als sein Selbstgespräch unterbrochen und ihm von hinten eine Hand auf die Schulter gelegt wurde.

Wie vom Blitzstrahl getroffen blickte er um, und siehe da, hinter ihm stand, die Keule in seiner nervigen Rechten, Bogen und Köcher auf dem Rücken, ein rothhäutiger Krieger in seinem Schlachtkostüme. Die Begrüßung war indeß freundlich und herzlich, denn der junge Kriegsmann war kein Anderer, als Takoni, der Bruder unserer schönen Rothhäuterin, welchem John in der letzten Jagdzeit eine kostbare Tomahagk-Pfeife geschenkt hatte.

„Mein weißer Bruder ist sehr wachsam, er steht früh auf!“ sagte Takoni mit freundlichem Tone.

John erröthete und erwiederte betroffen: „„Meine Hütte ist leer, ich möchte sie schmücken mit der Schwester meines Unami – er wird ein großer Krieger werden!““

Der junge Tapfere schüttelte bedenklich mit dem Kopfe; er zeigte auf seinen Gürtel, wo noch kein Skalp zu sehen war und antwortete: „Fünf Monate sind zu Schlafe gegangen, und das Kaffernbeil ist nicht erhoben worden; die Braunfüße sind Hunde und verkriechen sich in ihre Höhlen!“

Ohne mehr zu dem genugsagenden Winke, daß noch Keiner der jungen Männer sein Gelübde hätte erfüllen können, hinzuzufügen, schritt der Häuptling den Weg zum Lagerplatze der Kaffern voran. John, erfreut, nach so langer Zeit wieder einmal ein menschliches Wesen zu sehen, folgte schweigend den Fußstapfen Takoni’s, die ihn in’s Lager der Krieger führten, das John, ohne es zu wissen, vor Kurzem schon einmal passirt hatte. Mitten im Thale im Dunkel fast undurchdringlicher Umwaldung, saßen in weitem Kreise die Kaffern, um ihr Mahl einzunehmen. Sie empfingen unseren Jäger freundlich und luden ihn ein, an ihrer [160] Mahlzeit Theil zu nehmen. Da dieser lange Nichts gegessen und sein Appetit von der scharfen Gebirgsluft wunderbar angeregt war, so sagte er mit Freuden zu und schluckte verschiedene Stücke rohen Hundefleisches mit größtem Wohlbehagen hinunter.

Zur Nachtkost rauchte er auch aus der Friedenspfeife mit seinem Freunde Takoni und erfuhr von ihm die Erfolglosigkeit ihrer Unternehmung. So verstrich eine kurze Zeit, als John durch gewisse geheime Zeichen der Kaffern aufmerksam gemacht, mehr und mehr anfing, sich unbehaglich in ihrer Mitte zu fühlen; denn es war augenscheinlich, daß allein er der Gegenstand ihrer heimlichen Unterredungen war. Bald entspann sich ein lebhafter Wortwechsel, an welchem Takoni sich besonders betheiligte.

„Ihr Krieger Morhunnu’s!“ rief Takoni endlich mit durchdringender Stimme, „wir alle wissen, daß der weiße Mann zu der großen Nation unserer Feinde gehört, und daß wir mit seinem Blute auf unseren Waffen unser Gelübde erfüllen und mit Ehren zu unseren Freunden und Brüdern zurückkehren können. Einige von Euch stellen es ernstlich in Frage, ob der heilige Name „Freund und Bruder“, wie wir ihn seit Jahren geheißen, nicht die Natur der Freundschaft seiner Nation so verändert habe, daß Morhunnu, welchem wir unser Gelübde gethan, ihn zu uns gesendet hat als Freund und Bruder. Wenn dem so ist, so wird das Opfer seines Lebens Morhunnu mißfallen und uns nicht von unserem Gelübde entbinden. Andere unter Euch stellen auf, Morhunnu habe dieses Opfer unter uns gesandt, um unsere Treue zu prüfen. Zwar war er unser Freund, und wir haben ihn „Bruder“ genannt – aber er ist unser natürlicher Feind, und Morhunnu wird uns von unserem Gelöbniß nicht entbinden, wenn wir dieses Freundschaftsverhältniß fortbestehen lassen, das zuletzt zum Ungehorsam gegen ihn führen muß. Endlich behaupten noch Andere von Euch, der Fremdling, obgleich er unser natürlicher Feind ist, ist nicht in unser Gelübde mit einbegriffen, denn ihm das Leben zu nehmen, ist eine grobe Verletzung unserer heiligsten Verpflichtungen, ein Makel unserer Tapferkeit und eine Verachtung der Gastfreundschaft, wir können wohl leicht andere Opfer, unser Freund aber kein anderes Leben finden. Dies, Ihr kriegerischen Männer, drei verschiedene Meinungen. – Ich sehe, keine derselben findet bei der Mehrzahl gehörigen Anklang, denn Ihr Alle sehnet Euch in Eure Heimath zurück, um als erprobte Krieger Eure Bräute heimzuführen, und fordert mit Recht, daß der weiße Mann geopfert werde. Aber, Ihr Krieger Morhunnu’s, hört mich an, der Kaffer ist ein Krieger, seine Füße sind schneller als das Pferd, sein Pfeil gleicht dem zerschmetternden Blitze Morhunnu’s, er ist tapfer und edel, aber eine Wolke hat sich zwischen ihn und der Sonne gelagert, daß er seinen Feind nicht sehen kann, und noch ist kein Skalp in seiner Hütte. Morhunnu ist gut – er sendet ein Opfer, einen Mann, dessen Haut weiß ist, aber sein Herz ist sehr roth! Das bleiche Gesicht ist ein Bruder, und sein langes Messer ist abgewandt von seinen Brüdern, den tapfern Kaffern. Morhunnu ist allmächtig –, mein Bruder (auf John deutend) hat sehr viel Blut, er kann ein wenig Blut verlieren, um unsere Waffen zu beflecken, aber sein Herz wird noch warm bleiben!“

Takoni hatte John vom Tode gerettet. Ein stürmischer Beifall folgte seiner Rede, denn Alle beseelte nur ein Verlangen, ihr Gelübde zu erfüllen, und bald nach Hause zurückzukehren, um ehrenvoll in die Reihen der Krieger aufgenommen zu werden, und selbst eine Hütte, ein schönes Weib und die Freuden eines braunhäutigen Vaters zu haben.

Ein scharfer Feuerstein wurde herbeigeholt, der Arm des weißen Mannes entblößt – schnell trennte der Stein die Haut, und das Blut, welches aus der leichten Wunde floß, ward sorgfältig auf die Waffen der hocherfreuten Krieger vertheilt. –

Die Scene, welche jetzt folgte, war unserem John durchaus unerwartet. Zufrieden, daß sie das Blut ihres Feindes vergossen, und somit ihr Gelübde erfüllt hatten, daß sie endlich von den Mühsalen, welche sie schon fünf Monate hindurch geduldig ertragen, befreit seien, bezeugten sie ihre Dankbarkeit auf thätige Weise. Jeder suchte seine Bürde durch; Einer legte zu seines Bruders Füßen eine Otternhaut, der Andere eine Pantherfell, ein Dritter eine Bären- oder Büffelhaut, bis John’s Reichthum an Häuten und Fellen seine höchsten Erwartungen übertroffen hatte. Der junge Häuptling stand schweigend und sah zu, und nachdem Alle nach der Reihe ihren Gast reichlich beschenkt hatten, trat auch er hervor und führte ein stattliches Pferd am Zaume und ein junges Maulthier und übergab sie seinem brüderlichen Freunde. Es wäre gegen die Etikette der Wüste gewesen, es auszuschlagen und überdies wußte John recht wohl, was seiner erwarte, wenn er sich anders als dankbar erweise. Er erhob sich deshalb von seinem Sitze, verbeugte sich und sagte mit einem frohen Lächeln in der Landessprache:

„Ein Freund von mir reiste von Port-Natal nach der Cap-Stadt. Sein Weg führte ihn auch durch Euer Land. Es begegnete ihm ein Trupp Eurer dunklen Nachbarn, die ihn, nachdem sie ihn einen Augenblick scharf gemustert, ergriffen, ihn an den Fischfluß führten und seinen Kopf verschiedene Male in die Wellen tauchten. Bald bemerkten sie aber, daß sie ihren Zweck nicht erreichten; sie bedeckten sein Haar mit Schlamm, wuschen es wieder aus und überzeugten sich, daß er von Natur roth und nicht gefärbt sei. Hocherfreut über einen solchen Fund, schoren sie ihm den Kopf kahl, schenkten ihm für seine Haare ein Dutzend der schönsten Pferde und sendeten ihn höflichst seinen Weg. Dieser Freund sagte oft zu mir, er wünschte ein Paar Scheffel mehr von dieser Waare zu haben, da sie so gut bezahlt werde, und ich wünschte, daß ich mehr rothes Wasser in meinen Adern hätte, da Ihr es so werthvoll findet.“

Die Kaffern, die ihn aufmerksam zugehört hatten, äußerten ihre Verwunderung, machten sich marschfertig und einen Augenblick später waren sie außer Sicht, in das Dickicht des Hochwaldes verschwunden. John fühlte sich anfangs durch den nicht geringen Blutverlust sehr schwach, lud aber doch seine Schätze auf den Rücken der Thiere und suchte den nächsten Weg zu seiner Hütte auf, wo er kurze Zeit der Ruhe pflegte. Bald fühlte er sich wieder neu gestärkt und gesund wie vordem, und zog nun wieder wohlbewaffnet aus nach dem Dorfe, wo Koremba, seine schöne Rothhäuterin, wohnte. Freudeathmend kam sie ihm entgegen, fiel ihm um den Hals, schmiegte sich mit ihrer schönen Gestalt an ihn an, drückte ihn an ihren hochwallenden Busen und hörte nicht auf, ihn zu küssen und zu fragen, wie es ihm ergangen.

Noch zu Anfang der Jagdzeit erhielt John für seine Häute hohe Preise; das Pferd wurde von dem „wilden Papa“ für hinreichend erklärt, und von diesem Tage an, den John zu den schönsten seines Lebens zählte, war die Hütte seines rothhäutigen Liebchens in dem reizenden Thale an den fruchtbaren Ufern des großen Fischflußes das Hauptquartier von John Harris, dem kühnen Jäger in den Schneegebirgen des Kaffernlandes!




Mährchen eines Naturforschers.
Von E. A. R.

Es war so ein schöner leuchtender Juniabend, daß es kein Wunder gewesen sein würde, wenn alle Pflanzen und Thiere, ja wenn alle die sonnendurchglühten Steine, die um mich her lagen, in lauten Jubel ausgebrochen wären.

Die Sonne war eben mir gegenüber hinter der dunkelbewaldeten Bergwand versunken, aus welcher nun ihr purpurner Nachschein wie feurige Lohe emporleuchtete. Unter mir lag in tiefer Thalschlucht, eine einzige lange Gasse, das friedliche Städtchen, durchrauscht von dem schmalen Bächlein, dessen kärglicher Wasservorrath den ganzen Lauf entlang eben vielfach in Anspruch genommen wurde, um die dürstenden Gärtchen zu tränken. Sie waren klein, sehr klein, denn die Thalschlucht war eben sehr schmal, und bot kaum für die kleinen Häuser Raum genug. Auf dem freien Platze vor dem Gasthofe unten tummelten sich muntere Buben herum, daß ihr Schreien und Rufen bis zu mir herauf tönte, mit welchem sich der schwirrende weithinschallende Ton aus der Sägemühle mischte, wo man eben nach dem Feierabend für den morgenden Tag die Säge schärfte.

[161] Ein blauer Flor breitete sich allmälig über die Dächer, welche aus einer Seitenschlucht, beiderseits von hohen Waldhängen begrenzt, zu mir heraufschauten. Mit ihm mischten sich blaue Wölkchen, welche aus den Wipfeln der gegenüberliegenden Buchenwand emporwirbelten. Die schnelle Abkühlung unten im Thale rief aus der Luft die unsichtbaren Wassergeister zusammen und verwandelte sie in kleine Thauperlchen, aus denen am andern Morgen die großen demantnen Tropfen zur Erquickung der Wiesen und Wälder zusammengesetzt werden sollten.

Oben bei mir war es immer noch warm und dabei so traulich, so heilig still, daß auch in mir alle Wünsche und alles Sehnen des Tages gestillt wurden. Das Zirpen von zahllosen Grillen störte die Stille nicht. Es schien vielmehr dazu zu gehören. Es klang fast wie das Geräusch in einer kleinen Gnomenwerkstatt, wo tausend kleine Werkzeuge in geschäftigem Gange sind. Da stimmt aber eine Sängerin mit volltönender Bruststimme ihr Abendlied an. Es ist eine Drossel. Sie sitzt wahrscheinlich auf ihrem Lieblingsplätzchen, auf der Spitze einer hohen Fichte drüben über dem Thale an der bewaldeten Leite. Klingt doch das Drossellied fast wie der halb unbewußte Gesang, der aus der reinen Brust der Jungfrau in kurzen Läufern und Trillern bei gern gethaner Arbeit emporquillt.

Allmälig wurde es aber ganz still. Oben am Himmel und unten in dem bereits in Dunkel gehüllten Städtchen wurden die funkelnden Lichtlein angezündet und aus dem Spalt der Thalschlucht am östlichen Ende tauchte der Mond hervor und beleuchtete mit seinem weißen Lichte die Kuppen und Säume der Berge. Auch der Abendwind schien heimgehen zu wollen. Er fuhr, als wolle er seinen Gespielen, den Kronen der Bäume, gute Nacht sagen, noch einmal über die Höhen und strich durch die alte knorrige Kiefer am Rande des Abhanges, wo ich stand, und überschüttete mich neckend mit ihren vertrockneten Nadeln. – Und nun umgab mich die heilige Nuhe der Nacht.

Ich wendete mich zum Heimwege. Da lag der fruchtbeladene Rücken der Höhe, an deren Kante ich gestanden hatte, in weiter Ausdehnung vor mir. Auf dem Kornfelde neigten die schwankenden Halme, vom scheidenden Hauche des Abendwindes leise und unhörbar durchweht, einander bald links, bald rechts die Köpfchen zu, als plauderten und zischelten sie zusammen; und – in der That – täuscht mich mein Ohr? – Welches Getön? Ist mir’s doch, als höre ich, aber ganz leise und fein, eine tausendstimmige Musik aus weiter Ferne, und doch kommt sie deutlich aus meiner Nähe! Immer lauter nicht, aber immer deutlicher höre ich, was mein Ohr noch nie gehört hatte. – Es klang wie das Tönen reiner heller Glöckcken und dennoch verstand ich Worte. – Ich wußte nicht, wie mir geschah. Die ganze Pflanzenwelt um mich her redete. Warum sollte sie das nicht? Aber daß ich Menschenkind ihre Sprache höre, verstehe, das machte mich athemlos vor Staunen.

„Wundre Dich nicht! Du bist ja unser Freund. Du kennst und liebst uns, und darum haben wir vor Dir auch kein Geheimniß. Bleib ein Weilchen bei uns. Wir haben heute einen Festtag.“

Diese offenbar an mich gerichteten Worte kamen aus einer Glockenblume her, die mir dabei traulich zunickte. Ich besann mich, daß heute der Johannistag war, unser schönster deutscher Blüthentag. War ich ein Sonntagskind, War’s weil ich ein sogenannter Naturforscher bin? Ich lehnte mich an eine Birke, welche einsam auf einem Feldraine stand, und beschloß zu bleiben. Das Mondlicht ließ mich deutlich genug die vielerlei Blumen um mich her unterscheiden.

„Nun, was treiben wir denn heute?" tönte es aus dem bunten Feldblumenteppich zu meinen Füßen; „wollen wir wieder einmal mit den Insekten Kurzweil treiben?"

„Ich bin dabei!" sagte lachend eine blaue Feldscabiose; „an mir hängt so ein schwerer Plumpsack, ein schlafender Schmetterling; ich kann ihn kaum noch tragen; er zieht mir mein Köpfchen ganz nieder. Wach auf! Es ist Tag! Der hört nicht. Nun so schlaf zu! Ich will gnädig sein; denn wenn ich mich schüttelte, so purzeltest Du in den Nachtthau und das könnte Dein buntes Röckchen verderben."

„So ist’s Recht, Schwester," sagte darauf die Winde, die an einem Kornhalm emporrankte; „wenn ich meine Trichterblumen aufwickelte, so würden die drin schlafenden Glanzkäferchen aufwachen; die kühle Nachtluft könnte den armen Schelmen eine Erkältung zuziehen."

„Laßt uns doch unsern neulichen Wettstreit wieder aufnehmen, und laßt die armen Insekten schlafen. Sie haben sich den ganzen Tag herumgetummelt." Das sagte mit einer feinen, etwas scharfen Weiberstimme eine Klatschrose, die hinter mir im Roggen stand. Sie war schon stark verblüht, denn von ihren vier scharlachrothen Blättern hing nur noch eins, schon halb welk, an ihrem kahlen Mohnkopfe.

Ein tausendstimmiges „Ja! ja!" pflichtete dem Vorschlage bei. Aber nun ging’s eine Weile zu wie auf dem polnischen Reichstage. Eine überschrie die andere, daß ich kein Wort verstehen konnte.

„Kinder, das geht nicht!" hub die Alte wieder an. „Ihr müßt nicht alle auf einmal reden! Das schickt sich nicht. Eine nach der andern. Seht Ihr denn nicht, daß wir einen Gast haben, der obendrein unser vollberechtigter Schiedsrichter ist?"

Bei dieser Anspielung auf mich wurde ich nun erst recht neugierig. Was sollte es denn da für mich den Blumen gegenüber zu Schiedsrichtern geben? Ich sollte es aber gleich hören.

„Daß ich bei den Menschen am meisten in Gunst stehe," so tönte es einstimmig aus tausend Kehlen hinter mir aus dem Kornfelde, „daß ist doch wohl, wie ich Euch neulich schon bewiesen habe, sonnenklar. Um mich beten ja alle frommen Menschen jeden Tag. Also fangt darüber nicht erst einen Streit an."

„O lieb Schwesterlein, so schnell wirst Du mit uns nicht fertig!" wendete hier der Weizen ein; „Dich nennt der Mensch, aber mich und vieles Andere meint er. Mancher würde das Maul gewaltig ziehen, wenn sein Gebet um’s tägliche Brot einmal nur einen Tag oder nun vollends gar eine Woche lang buchstäblich in Erfüllung gehen sollte. Glaube mir, Kuchen ist ihnen viel lieber!" Die Stimme, die nun laut wurde, erregte mein Mitleid, denn sie klang offenbar hektisch. Sie tönte aus einem Kartoffelacker herüber.

„Hat der Mensch nicht bekanntlich die allergrößten Anstrengungen gemacht, um mich zu besitzen? obgleich der vergeßliche Undankbare nicht einmal mehr weiß, wo und wann wir uns in dem weiten Amerika zuerst kennen gelernt haben. Viele Millionen würden Hungers sterben, wenn ich nicht wäre; und auch kein Reicher kann mich bei seiner Mahlzeit missen, wobei ich mich mit diplomatischer Geschmeidigkeit in alle Formen seiner Laune füge."

„Arme kranke Schwester!" lautete es über mir aus den würzigen Blüthenzapfen der wilden Hopfenranken, welche an der Birke emporgeklettert waren, „ich würde Dir rathen, in Deine Heimath zurückzukehren; hier in Deutschland scheint’s auf die Dauer zu rauh für Dich. Zudem fängt der Mensch an, undankbar von Dir zu urtheilen, indem er, auf Einflüsterungen der Chemiker, Deinen Knollen Mangel an Nahrhaftigkeit vorwirft. Uebrigens ist Deine Krankheit, es thut mir Leid, es sagen zu müssen, vielleicht eine Strafe, die Dir unsere Mutter, die Erde, schickt, dafür, daß Du Dich hergegeben hast, aus Dir den elendesten Fusel bereiten zu lassen. Ich komme hier auf ein Kapitel, bei welchem auch Ihr, Roggen und Weizen, nicht sauber gewaschen seid. Deshalb schelten auch alle frommen Menschen auf Euch. Wahrlich, die Mäßigkeitsvereine der Menschen bringen Euch keine Ehre; Ihr zwei, Roggen und Weizen, nehmt Euch ein Exempel an der Gerste, die sich nicht so mißbrauchen läßt, sondern im Verein mit mir der durstenden Menschheit – und wenn wäre sie das nicht – den edeln Gerstensaft spendet. Ich neide ihr freilich manchmal diese einseitige und parteiische Benennung des Bieres. Doch sei es darum! Gerste und Hopfen bleiben darum doch gute Freunde. Und die Menschen sind wieder unsere Freunde. Haben wir nicht eine weltgeschichtliche Mission? Führen wir nicht den Vorsitz, wenn über die wichtigsten Fragen den den Menschenkinder, geredet wird? Ja noch mehr, hegen wir nicht das heilige Feuer – erschreckt nicht – der Revolution? Denn wer soll denn noch Revolution machen, wenn wir nicht dann und wann in Baiern ein Bierrevolutiönchen anzetteln?. Könnten denn die Menschen auf den Universitäten Gelehrte werden, wenn sie sich nicht als Studenten einen Gelehrten vertrinken konnten?"

Diese kernige Rede schien die Streitenden etwas verblüfft zu haben, denn es dauerte einige Minuten, ehe eine dumpfe Stimme, denn sie kam aus dem Erdboben herauf, Folgendes vorbrachte:

„Ohne Eure Verdienste um unser aller gemeinsamen Schützling,

[162]

Die Krim aus der Vogelschau.

Kriegslager bei Sebastopol.
A. Engländer. – F. Franzosen – T. Türken – R. Russen.

[163] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [164] den Menschen, ganz wegleugnen zu wollen, so bin ich es doch, ich, die Runkelrübe, welche ihm das Leben versüßt, und aus Dankbarkeit und Anerkennung stehe ich darob allerwegen unter allerhöchstem Schutze.“

Ich glaubte es der wohlgesetzten Rede anzuhören, daß die Sprecherin viel mit hochgestellten Herren zu thun haben mochte.

„O Du nur Süßliche und wegen zollgeschützter Unselbstständigkeit perpetuirlich Erröthende! Du solltest ja nicht so neugierig über den Erdboden herausguken, wie Du es doch immer thust, als hättest Du wer weiß wie viel Recht da zu stehen, wo Du doch nur den Roggen verdrängt hast. Wenn Du auch Einzelnen den Kaffee mit Deinem schleimigen Zucker versüßest, so ist das noch lange nicht das Leben. Das ist aber meine Sache, denn ich erfreue des Menschen Herz und dort drüben am grünen Rheine ist mein Heimathland. Meinen Namen brauche ich gar nicht zu nennen, denn jeder Mensch weiß mich mit hundert Ehrentiteln zu nennen.“

„Nicht so laut damit,“ fiel dem fernen Weinstocke eine andere Stimme in die Rede, denn die Worte des Weines lautete deutlich vernehmbar aus weiter Ferne, ohne Zweifel aus der meißner Gegend: „brüste Dich nicht zu viel mit Deinen Ehrentiteln, denn hier zu Lande kennt man auch einige, die nicht zu Deiner Empfehlung gereichen. Aber ich, ich darf sprechen, nicht von der Gunst, die mir die Menschen schenken, sondern von der Gewalt, die ich über sie ausübe. Fürsten haben sich vergeblich gegen meine Herrschaft aufgelehnt, ich blieb Sieger und werde es auch heute Abend bleiben.

Ich war gewaltig neugierig, den Sprecher kennen zu lernen, denn noch konnte ich seinen Namen nicht errathen und er schien auch sehr fern zu stehen, denn der Ton seiner Rede wehete fern daher.

„Wenn das Hirn des Herrn Pastors am Sonnabend schier vertrocknet ist,“ - so fuhr der Redner fort, „und dem Schneider das Tuch zum Rocke nicht vor nicht hinter reichen will, da hüllt jener sein gottseliges Haupt in meinen blauen Wolkenhimmel, und dieser greift nie vergebens nach Contenance in seine offenstehende Dose. Ihr werdet genug haben an diesen zwei Beispielen meiner Macht, sonst könnte ich Euch mit mehrern dienen.“ Hierauf hüllte sich der Tabak in den Mantel seiner Größe und schwieg. Und auch die Anderen blieben lange still, als fühlten sie das Gewicht der gehörten Worte.

„Schämt Euch, Schwestern,“ so begann jetzt eine geläufige Zunge – „schämt Euch, daß Ihr vor dem übelriechenden Herrn Bruder die Segel streicht. Fühlt keine von Euch übrigen Muth in sich, ihn zu schlagen? Nun, so will ich es thun. Höre einmal, Du Prahlhans, was ich Dir sagen werde, und dann sinke vor mir in’s thauige Gras auf die Knie. Du beherrschest den Herrn der Welt, das ist wahr; aber Du mußt den allergrößten Theil Deiner Herrschaft mit einer mächtigen Rivalin theilen. Das ist die Frau oder die Braut oder die Geliebte des Herrn der Welt. Wenn die es nicht leidet, so vermagst Du doch nichts über Jenen. Nun, und wer beherrscht denn die Beherrscherinnen der Männerwelt?“

Nach dieser mit steigendem Affect gesprochenen Frage folgte die pathetische Selbstbeantwortung:

„Das thue ich – der Kaffee.“

Obgleich die Antwort voraus zu sehen gewesen wäre, und ich sie leicht voraus gesehen hätte, wenn ich in Arabien oder Java gestanden, so muß ich doch gestehen, und allen Pflanzen um mich schien es auch so ergangen zu sein, daß ich mit sprachlosem Staunen hier – hier mitten in Deutschland den Kaffeebaum reden hörte. Aus hundert Pflanzenkehlen hörte ich die staunenden Worte:

„Du? der Kaffee? Wo bist Du denn? wir sehen Dich nicht! – Sprich – wo bist Du?“

O, welche Beschämung! Der arme Kaffeebaum stammelte: „Nun – ja seht – genau genommen, bin ich nicht ganz der Kaffee, aber – die Sache bleibt im Grunde doch dieselbe – wenn – wenn ich auch nur die Cichorie wäre.“

Da erfuhr ich aber, daß auch die lieben Pflanzenkinder ein Hohngelächter lachen könnten, in das ich laut mit einstimmte. Doch es wurde bald von einer neuen Rednerin übertönt. Eine Stimme, ganz nahe bei mir, schien von heiligem Zorn über die Ueberhebung der Cichorie, ebenso aber auch über die lieblose Verhöhnung der Anderen zu erglühen.

„Es ist ganz gut, daß ihr den Menschen mit Speise und Trank verseht, aber das reicht zu seinem ewigen Heil nicht weit. Dafür aber sorge ich. Ihr laßt die Menschheit verwildern, ich halte sie in ehrbarer Zucht und Ordnung. Ich verbreite unter den Menschen die einzige stichhaltige Philosophie, weil ich alle meine Beweise a posteriori führe, ich: die Birke. Und was meine zarten Reiser am zarten Kinde begonnen, das vollendet mein tönend Holz am widerhaarigen Burschen. Da kommen die deutschen Professoren und lassen sich Catheder daraus hobeln, und von diesen herab beweisen sie sonnenklar, daß Gehorchen leichter ist als Befehlen, und geben seliger denn Nehmen. Und dabei ist die Welt ruhig und glücklich und erst fähig, Eure Wohlthaten, liebe Schwestern, die ich nicht gering achte, in Demuth und Bescheidenheit zu genießen.“

„Amen,“ dachte ich hinzu, und wußte nun nicht, was dagegen noch aufzubringen sein sollte. Das Pflanzen-Parlament schien auch so zu denken, denn es folgte ein tiefes Schweigen. Ich ging besänftigt ab. Als ich aber an einem Flachsfelde vorüberging, flüsterte mir es leise zu: „Laß sie, Mensch, jene mögen sich immerhin streiten um Eure Gunst, Euch ist meine Liebe zu allen Zeiten sicher. Mit weichem Linnen umfange ich den Neugebornen, um endlich treu mit dem Greise in’s Grab zu gehen.“


Allgemeiner Briefkasten.
H – m. in Zck. Die Gartenlaube wird regelmäßig Freitags Nachmittag hier ausgegeben.
Rud. S–st. in B–a. Manuscript mit Dank empfangen. Wir werden – außer der Novelle – Alles benutzen und bitten um Zusendung des übrigen Manuscripts. Doch wäre es uns angenehmer, nur abgeschlossene Bilder, nicht das ganze Buch zu erhalten.
Fräulein Cl. L. R.. in A. Haben Sie Mittheilungen über Ihr Manuscript empfangen? Und wie steht es mit der kleinen Novelle?
Ed. Sch. in B. Etwas zu idyllisch.
Eg. Ei. in Fiume. In der Form zu nachlässig und deshalb nicht aufnehmbar.
C. v. D.. in Str. Haben Sie die Gartenlaube noch nicht gesehen, daß Sie die wunderbare Frage thun, was sie bringt?

Jeffrey’s Respirator.

Diese für Brust- und Lungenkranke so heilbringenden Instrumente, deren Nutzen Herr Professor Dr. Bock in Nr. 8 der Gartenlaube so treffend beschrieben hat, habe ich stets von 12 Grad Wärmehaltigkeit zu 3 Thlr., von 16 Grad zu 6 Thlr., von 18 Grad zu 8 Thlr., von 20 Grad zu 10 Thlr., von 22 Grad zu 12 Thlr. vorräthig, und fertige dergleichen für besondere Fälle für Mund und Nase in einem Instrument.

Joh. Reichel, Mechanikus und Bandagist. 
Bandagen-Magazin, Leipzig, Markt, Königshaus Nr. 17. 

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Edaard