Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[393]

No. 34. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Der Schutzgeist des Hauses.
(Schluß.)
V.

Das junge Ehepaar hatte übereinstimmend beschlossen, in der großen Stadt eben so sich selbst und dem häuslichen Glücke, wie in dem kleinen Städtchen des Südens zu leben. Arnold war ersucht worden, eine geeignete Wohnung jenseits der Seine aufzunehmen, und seine Wahl fiel auf ein Haus in der rue Jacob, welches all die gesuchten Vortheile der Zurückgezogenhcit, Bequemlichkeit und Reinlichkeit bot. Er hatte auch, so weit dies einem Manne zuzumuthen ist, die Einrichtung besorgt, die Ergänzung derselben der Umsicht der jungen Hausfrau vorbehaltend, welche sich nun bei ihrer Rückkehr vollauf mit Einkauf und Anordnung alles Dessen zu schaffen machte, was zur Behaglichkeit und Anmuth des Aufenthaltes beitragen konnte. Noch war nicht Alles in dem erwünschten Stand, noch hatte man sich mit der pariser Welt gar nicht in Verbindung gesetzt, als sich eines Morgens ein Besuch einfand, der Herrn Duberville galt. Zwar hatte die Dienerschaft die Weisung erhalten, jeden vorzeitigen Gast abzuweisen, allein in dem vorliegenden Falle blieb die Maßregel fruchtlos, da der Angekommene, vorgebend, daß er mit Herrn Duberville in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen habe, nicht zum Weichen gebracht werden konnte.

„Wen soll ich melden?“ frug endlich der ermüdete Diener, als er sah, daß der Fremde auf die Unterredung bestand.

„Herrn Flaireau“, lautete die Antwort.

Alfred verfärbte sich, als ihm dieser Name genannt wurde.

„Lassen Sie ihn eintreten“, sprach er nach kurzem Besinnen, und bald darauf sah er die magere Gestalt des Börsenspielers im Gemach erscheinen.

„Guten Tag, Herr Duberville“, sagte dieser mit einer widrigen Freundlichkeit. – „Wie geht es Ihnen? Sie haben für mehrere Monate Paris im Stiche gelassen. Jeder, der es thun kann, hat Recht, wenn er den Sommer auf dem Lande in frischer Luft zubringt.“

„Gewiß, gewiß“, warf Alfred hin, um etwas zu sagen.

„Befinden Sie sich nicht ganz wohl?“

„Ganz wohl. Ich danke.“

„Sie sehen ein wenig angegriffen aus.“

„Die pariser Luft ist Schuld daran, Herr Flaireau.“

„So schnell wirkt die auf Sie?“

„Es scheint.“

„Es ist mir ein Vergnügen, Sie wieder zu sehen, Herr Duberville. Uebrigens aber hat mein Besuch seinen bestimmten Zweck.“

„Womit kann ich Ihnen dienen?“

„Ich komme im Auftrag meiner Schwester.“

Alfred wurde blass bis auf die Lippen und sagte nichts.

„Meine arme Schwester läßt Sie um eine kurze Unterredung bitten“, fuhr Thomas fort.

„Wozu das?“ frug Alfred mit gepreßter Stimme.

„Gleichviel, wozu?“ versetzte Thomas. „Als ein Mann von Herz und Bildung können Sie diese Bitte einem unglücklichen Geschöpf, wie meine Schwester ist, unmöglich abschlagen.“

„Unglücklich?“ sagte Alfred in einem Tone, den selbst der Börsenspieler ein wenig verletzend finden mußte. „Findet ihre Kunst keinen Absatz mehr? Geht es so schlecht mit den Geschäften? Wenn ich nicht irre, bin ich Honorar schuldig geblieben.“ Bei diesen Worten öffnete Alfred seinen Sekretär, um Geld herauszunehmen.

„Meine Schwester hat ihre Talente, Herr Duberville“, entgegnen Thomas fast entrüstet, „und braucht Ihre Almosen nicht. Sie will mit Ihnen sprechen, aber nichts, gar nichts von Ihnen haben, verstehen Sie wohl. Mich können Sie beleidigen, so viel Sie wollen: ich bin ein elender Mensch, das weiß ich und verdiene es nicht besser; was aber meine Schwester betrifft, die Sie nicht kennen, oder wenigstens nicht verstehen, so behaupte ich, daß sie viel, viel mehr werth ist, als wir Beide. – Und nun, wenn Sie wollen, jagen Sie mich aus Ihrem Hause, oder lassen Sie mich von Ihren Dienern die Treppe hinunter werfen. Gesagt und wahr ist und bleibt es doch.“

Das warme Lob aus diesem Munde machte offenbar einen ungünstigen Eindruck auf Alfred. Und er erwiederte mit einem verächtlichen Blick auf den Lobredner: „Es gereicht Ihrer Schwester sehr zur Ehre, von Ihnen so hoch geschätzt zu sein.“

„Lassen Sie sich jetzt in Ihrer Ironie gehen, wie Sie wollen. Wir sprechen uns aber ein ander Mal.“

„Soll dies eine Drohung bedeuten?“ versetzte Alfred mit einer raschen Wendung des Kopfes nach seinem Besuche.

„Nicht wie Sie es meinen“, sagte Thomas. „Ich mache kein Hehl daraus, daß ich mich vor einer ungeladenen Pistole fürchte. Wenn ich also sage: Wir sprechen uns ein ander Mal, heißt dieses: wenn Sie meine Schwester gesehen haben. – Wann also beliebt es Ihnen, zu kommen?“

„Ihre Schwester soll nicht denken, daß ich ihren Anblick fürchte“, versetzte Alfred. „Sie mag mich in einer Stunde erwarten.“

„Ein Mann, ein Wort, Herr Duberville.“

[394] „Ganz recht, Herr Flaireau“, erwiederte Alfred mit Hohn, und der Börsenspieler entfernte sich, um Adelen von seiner Sendung und deren Ergebniß Rechenschaft abzulegen.

Alfred dachte einen Augenblick daran, seine Frau von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen, besann sich aber eines Bessern und beschloß, die Sache für sich allein abzumachen, um Delphinen und wäre es auch nur einen Schatten von Unruhe zu ersparen.

Gerüstet mit seinem Stolze und seiner Verachtung, trat er zur festgesetzten Stunde in den bekannten Salon seiner ehemaligen Meisterin. Adele empfing ihn mit Würde und Höflichkeit. Sie war sichtlich ergriffen und begann nach einer kleinen Pause, während welcher sie sich zu fassen suchte, mit gedämpfter, zitternder Stimme: „Ich muß mich bei Ihnen dafür bedanken, Herr Duberville, daß Sie gekommen sind.“

„Nichts als Komödie und Verstellung“, dachte Alfred bei sich und er versetzte mit gezwungener Schärfe: „Ich bin begierig zu erfahren, was es zwischen uns noch zu besprechen geben kann.“

„Kommt es Ihnen denn wirklich gar nicht in den Sinn“, sagte Adele vorwurfsvoll, „daß Sie ungerecht sein können?“

„Was sollen diese unnützen Erörterungen, mein Fräulein?

Ich bitte, lassen wir das Todte ruhen. Wenn Sie nichts Anderes mit mir als über diese Dinge zu sprechen haben, dann erlauben Sie mir, daß ich mich zurückziehe.“

„Was ich Ihnen zu sagen habe“, versetzte Adele mit großer Anstrengung, „wird Ihnen wenig Zeit rauben. Ich würde ganz schweigen, doch frei gestanden, es schmerzt mich und ich kann es nicht ertragen, daß Sie Uebles von mir zu denken sich berechtigt glauben. Hören Sie“, fuhr sie heftiger und hastiger fort, als fürchtete sie, Zeit zu verlieren, „hören Sie in Kürze, was vorgefallen ist: Ihr Freund, Herr Granier, hat am Tage vor meinem Geburtstag meinem Bruder einen Schmuck übergeben und ihn durch Ueberredung und Bestechung veranlaßt, denselben mir als eine Sendung des Grafen Worsakof zu überbringen, der aus Zartheit nicht als Geber erscheinen wolle. Da sich mir der Graf stets als warmer, gänzlich uneigennütziger Freund erwiesen, nahm ich das Geschenk ohne Anstand an, das für mich, die gänzlich Unerfahrene, keinen andern Werth, als den seines Ursprungs hatte, und das mir so verderblich werden sollte.“

„Wie sagen Sie?“ rief Alfred, jedenfalls berührt von dieser Mittheilung, „von Arnold rührte das Halsband her, mit welchem Sie sich an Ihrem Geburtstag geschmückt?“

„Von Ihrem Freunde Arnold Granier“, wiederholte Adele.

„Gut ausgesonnen, mein Fräulein“, sagte lächelnd Alfred.

„Nur Schade, daß man eben auf all diese Schachzüge vorbereitet ist.“

Adele mußte, als sie diese Worte vernahm, eine heftige Gemüthsbewegung zu bemeistern suchen.

„Ihr Freund that dies“, wiederholte sie mit Nachdruck.

„Unmöglich!“ rief Alfred.

„Und dennoch wahr“, gab Adele zurück. „Mein unglückseliger Bruder hat die Geschichte, da er sich den Schmuck, nach welchem seine Habgier Verlangen trug, zueignen wollte, vor ungefähr vierzehn Tagen bekannt.“

„Unmöglich, unmöglich!“ gab Alfred wiederholt zurück.

„Gehen Sie sogleich, um Ihren Freund zu befragen“, befahl Adele heftig mit einer raschen Bewegung der Hand und zornsprühenden Blicken. Und Alfred gehorchte. Ohne ein Wort zu sagen verließ er den Salon.

Er wollte, er konnte es nicht glauben, daß Arnold mit ihm dieses Spiel gespielt, und eilte daher in dessen Wohnung, um sich zu überzeugen, daß Adele dieses Märchen in der Hoffnung, sich seines leichtgläubigen Herzens wieder zu bemächtigen, erfunden. Er fand den Freund nicht zu Hause, und nachdem er eine volle Stunde auf ihn gewartet, nahm er einen Wagen und fuhr nach Hause, in der Voraussetzung, daß Arnold bei Delphine zu treffen sein würde. Bruder und Schwester saßen in der That in einem der Gemächer plaudernd und guter Dinge beisammen. Als Alfred eintrat, kamen ihm Beide mit freundlichen Grüßen entgegen, die er nicht ohne einigen Zwang in gleicher Weise erwiederte. Auf den ersten Blick erkannte Delphine mit der Späherkraft einer liebenden Frau die innere Bewegung ihres Gatten, wie sehr dieser sie zu verbergen sich bemühte. Allein dergleichen Anfälle bei ihm gewohnt, vermied sie jede Frage und jede Bemerkung, die leicht unsanft berühren konnten. Arnold setzte sich in einen Lehnstuhl und wartete mit Ungeduld auf die Gelegenheit, Arnold allein sprechen zu können. Durch das ausdrückliche Verlangen einer geheimen Unterredung mit Arnold fürchtete er, Delphine zu erschrecken, an der sich ohnehin Zeichen von Unruhe bemerkbar machten. Als Arnold zu gehen sich anschickte, wahrscheinlich um seiner Schwester die Herstellung der guten Laune ihres Mannes zu überlassen, stand auch Delphine auf, um sich zu entfernen, als ahnte sie, daß es zwischen den Freunden eine ernste Angelegenheit zu besprechen gebe. Nun war es an Alfred, seinen Schwager zum Bleiben aufzufordern, was er denn auch that. Kaum sah sich Alfred ohne Zeugen mit dem Freund, als er sogleich begann:

„Ich habe Dich etwas zu fragen, und bitte Dich um eine kurze, aufrichtige Antwort, denn ich werde ihr glauben.“

„Frage!“ gab Arnold zurück.

„Hast Du dem Thomas Flaireau, dem Bruder Adelen’s, am 18. März einen Schmuck zugestellt?“

„Ja“, antwortete Arnold ruhig und mit Nachdruck.

„Ja?“ schrie Alfred schmerzlich auf, als hätte ihn ein Pfeil getroffen. „Auch hast Du“, fuhr er mit Zittern zu fragen fort, „den elenden Menschen bewogen, diesen Schmuck seiner Schwester im Namen des Grafen Worsakof als Geschenk zu überreichen?“

„So that ich“, bejahte Arnold wieder.

„Du schriebst mir wohl auch mit verstellter Handschrift einen Brief, in welchem Du die Sache zum Nachtheil, nein, zur Schande Adelen’s darstelltest?“

„So ist es.“

„Alles wahr denn! So hast Du mich und mein Glück verrathen. Du bist nicht mein Freund und warst es nie gewesen“, zürnte Alfred.

„Weil ich Dein Freund bin und es immer gewesen“ erwiederte ruhig Arnold, „verfuhr ich auf diese Weise, darum nehme ich auch Deinen Vorwurf ohne Erbitterung hin.“

„Habe ich Dich zum Lenker meines Schicksals gemacht?“ ließ Alfred den Freund an. „Und wenn ich es hätte, durftest Du List und Trug anwenden, um mich selig werden zu lassen?“

„Ich wollte Dich nicht in einen Abgrund stürzen sehen, der Dich anzog; ich hielt es für meine Pflicht, Dich, selbst gegen Deinen Willen zu retten, und ich bereue es wahrlich nicht.“

„Solcher Liebesdienst ist Tyrannei und ich weise ihn mit Verachtung und Widerwillen zurück. Einem die Augen öffnen, damit er den rechten Weg suche, ist freundschaftlich. Einem die Augen verbinden, damit er sich leiten lasse, ist ein Uebergriff, ein frecher Betrug und durch nichts zu rechtfertigen. Verhaßt sind mir jede Lüge und Unredlichkeit, gleichviel an welches Ziel sie auch führen. Du hast mich hintergangen und beschimpft zugleich, Du hast es gewagt, mir Dein Urtheil aufzudrängen und selbst Dein Zweck wird mir verdächtig. Welche Früchte wird Deine edle Handlung nun, da sie an’s Licht tritt, tragen? Glaubst Du, daß ich dieses Wesen, das Du so geschickt verläumdet und dem ich, durch Deinen Kunstgriff irre geführt, so schreiend Unrecht gethan, ohne Genugthuung lassen werde? Du hast mein Leben in die gräulichste Verwirrung gebracht. Du hast mein Gewissen in ein Labyrinth gezogen, aus dem kein Faden leitet. Du, kluger Mann hast in Deiner Eigenschaft als Vorsehung herzlich schlecht gerechnet. Alle, Alle haben wir verloren. Mir fehlt Deine kühle Ueberlegenheit, um ein Herz, das auf all meine Rücksicht ein Recht hat, das ich bis in’s Innerste verwundet, verbluten zu lassen; das magst Du wissen und Du magst verantworten, was geschieht.“

„Hüte Dich vor Uebereilung, Alfred“, ermähnte Arnold; „es gilt ein Wesen zu schonen, das Dir theuer geworden sein muß.“

„Du fängst mich in dieser Schlinge nicht, Diplomat!“ rief Alfred, und seinem Gedankengange folgend, setzte er hinzu: „Hat etwa Deine Schwester mit zu dieser menschenfreundlichen Maßregel beigetragen?“

„Laß Delphine aus dem Spiel. Sie ist wie ein schlafendes Kind, so unwissend, so sorglos.“

„Dann beklage ich, daß sie durch Deine Schuld in eine Zerrüttung gerathen ist, aus der sie kaum ohne Verlust zu retten sein wird. Hier hast Du das Werk Deiner tiefen Einsicht und Du magst Dich dessen rühmen. Hier hast Du das erfreuliche Ergebniß Deiner anmaßenden Freundschaft.“

[395] „Alfred, ich rufe es Dir zu, wie ich es oft gethan, ohne daß mich Deine Anklagen irre machen:.Sei ein Mann, laß Dich vom heißen Blut nicht zur Ungerechtigkeit, nicht zur Uebertretung strenger, heiliger Gesetze hinreißen.“

„Mir dünkt es mehr als vermessen“, gab Alfred zurück, „daß Du mit Moral auftrittst, und ich meine, daß Du besser thätest, sie für Dich zu behalten, der ihrer wahrlich bedarf. Ich aber weise sie zurück, schon deshalb, weil sie aus Deinem Munde kommt.“

„Kein Zweiter auf dieser Erde dürfte wagen, so mit mir zu sprechen!“ rief Arnold, endlich in Heftigkeit versetzt.

„Nur weiter so“, forderte Alfred heraus. „Nur nicht auf halbem Wege stehen geblieben! Von Niemanden auf dieser Erde darf man sich so behandeln lassen, ich gesteh’s selbst, wenn man es zehnmal verdient.“

„Ich werde mich mit Dir nicht schlagen“, versetzte, wieder ruhiger geworden, Arnold. „Ein einzig Wort will ich Dir sagen.“

„Was kannst Du vorbringen, das Dich entschuldigt?“ entgegnete Alfred.

„Es handelt sich nicht um mich. Du siehst, wie ich Hartes von Dir zu erdulden weiß. – Was bedeutet Dein Lächeln? Habe ich es nicht bewiesen, daß ich keine Kugel fürchte? Doch auch diesen Schimpf nehme ich hin. Gut also, mich laß Deinen ganzen Zorn erfahren. Wenn ich Unrecht gethan, so gebührt mir allein die ganze Strafe, da ich keinen Mitschuldigen gehabt. Doch schone meine Schwester, laß sie das schlafende Kind bleiben, über dessen Haupt das Gewitter ungehört hinzieht.“

„Jede Verantwortung dessen, was geschehen wird, wälze ich auf Dich. An allem Unheilvollen, das aus dieser Verwickelung entsteht, trägst Du die Schuld. Offenheit aber bin ich Delphinen schuldig. Die arme Frau muß wissen, wie die Sachen stehen, damit nichts sie unvorbereitet treffe. Es läßt sich auch nichts mehr verschweigen.“

Nachdem Alfred dieses erklärt hatte, stürmte er aus dem Gemache, den Schwager in tiefster Besorgniß zurücklassend. Und es dauerte nicht lange, so kam Delphine zu ihrem Bruder mit nassen Augen. Sie wußte Alles.

„Wo ist er?“ frug Arnold.

„Fort!“ antwortete die blasse Frau und sank ihrem tief erschütterten Bruder leblos in die Arme, der alle Mittel anwendete, das geliebte Wesen aus dem vorübergehenden Tod zu wecken.

„O, hättest Du mich in dem Zustand der Bewußtlosigkeit gelassen“, sagte Delphine, als sie wieder fühlte und sprechen konnte, „da war mein Leiden mit mir entschlafen. Nun ist es wieder erwacht, und ich weiß nicht, wie ich es ertragen soll.“

Was hätte Arnold sagen sollen, um den Muth der armen Frau zu erheben. Er selbst war verzweifelt, denn er wußte keinen Weg, der zu einer Lösung, zu einer Ausgleichung führte; er wußte kein Mittel, durch welches die drohende Gefahr abzuwenden sei. Sie saßen still und traurig beisammen, Bruder und Schwester. Delphine war, den Kopf auf beide Hände gestützt, in düsteres Brüten versunken.

Plötzlich aber, wie von einem glücklichen Gedanken, von einer Hoffnung berührt, hob sie das Haupt empor und sagte zu ihrem Bruder: „Du mußt mich zu der Unbekannten führen, in ihren Händen ist mein Schicksal.“

Arnold, erfreut, seine Schwester ein wenig aufgerichtet zu sehen, erklärte sich bereit, ihren Wunsch zu erfüllen, obgleich er sich in seinem Innern nicht den geringsten Erfolg von diesem Schritte versprach.


VI.

Alfred, nach der Scene mit dem Freund, nachdem er seine Frau von Allem was vorgefallen in Kenntniß gesetzt, jagte fort; er empfand Reue und Beschämung darüber, daß er ohne Prüfung verurtheilt, daß er in knabenhafter Uebereilung ein edles argloses Weib durch Argwohn und gemeinen Verdacht beleidigt, daß er thöricht auf sein eigen Herz getreten. Er fühlte das Bedürfniß, Adelen zu sehen und von ihr Ablaß für sein Verbrechen zu erhalten; dennoch zauderten öfters seine Schritte auf dem Gange nach der rue Mazagran und er kam sich selbst wie ein Kind vor, das sich einen Fehler zu Schulden kommen ließ und vor das strenge Antlitz des Meisters treten soll. Er kam sich so klein, so gewöhnlich vor, daß er sich eher hätte verbergen wollen vor dem Weibe, unter das er sich so tief gestellt durch seine unverzeihliche Roheit. Wen darf ich anklagen als mich selbst, waren seine Gedanken. Hat Arnold sie gekannt, wie ich sie kannte? Verdiente ich nicht irre geleitet zu werden, da ich mich von einem andern Einfluß leiten ließ, als dem dieser klaren, lautern Natur? Was soll ich sagen, wie mich entschuldigen, wie nun vor sie hintreten, die ich anzuklagen mich vermaß und die nun meine Richterin, geworden? Er kehrte auf seinem Wege mehrere Male sogar um, mit der Absicht, das von ihm mißhandelte Weib nie wieder zu sehen, die er entweiht durch seinen Umgang und durch den Maßstab, den er an die edle Erscheinung gelegt; doch so wie er sich um einige Schritte von seinem Ziel entfernte, war es ihm wieder, als wäre er auf einer frommen Wallfahrt begriffen, von der er umkehren wollte und die doch zur Beruhigung seines Gewissens unerläßlich. – Darauf setzte er die Wanderung schleuniger fort.

Bescheiden und scheu, den Blick gesenkt, trat er diesmal in das Gemach, das ihn so oft und in so verschiedenen Stimmungen aufgenommen. Adele empfing ihn mit Ernst und Würde.

„Denken Sie nun besser von mir?’ frug sie sanft, ohne Vorwurf in Ton und Geberde.

„Was habe ich zu denken?“ erwiederte Alfred in einer völligen Zerknirschung. „Sie haben zu richten, zu begnadigen oder zu verdammen. Ihr Platz ist aber da, wo man Götterbilder hinstellt, der meinige im Staube vor Ihnen.“

„Ich verzeihe Ihnen,’ sagte Adele voll Milde, „ob ich gleich viel gelitten durch Sie.“

„Nun wird Alles wieder gut,“ rief Alfred hoch erfreut.

„Verlangen Sie von mir, was Sie wollen. Es sei erfüllt, Was es auch koste, ohne Prüfung, ohne Bedenken. Nur seien Sie mir wieder, was Sie mir gewesen, lassen Sie die Stunden wiederkehren, die traulichen, die blühenden, die reichen, die ich im Wahnsinne aufgegeben.“

„Nichts davon, mein Alfred,“ versetzte das Mädchen. „Ich habe das Glück der Jugend geträumt; der Traum ist verflogen auf immer. Nichts weiter davon.“

„Haben wir uns das Glück nicht selber geschaffen?“ warf Alfred lebhaft ein. „Können wir es nicht neu beleben mit seinem Schmuck und seinem Zauber?“

„Nein. Es muß dahin sein.“

„Wer will uns hindern auferstehen zu machen, was nicht todt ist? Welche Macht gebietet über den Drang der Herzen?“

„Die Pflicht!“ erwiederte Adele mit männlicher Kraft.

„So habe ich Sie verloren, Adele?“ rief Alfred.

„Sie werden mir immer sehr viel gelten; mein Herz bleibt Ihnen so lange ich lebe in Freundschaft zugewendet, doch das Band, welches Sie an eine Andere bindet, ist und bleibt mir heilig, so wie es Ihnen heilig sein und bleiben muß. Leben Sie glücklich in der Familie,“ setzte sie mit zitternder Stimme hinzu. „Sie haben eine junge liebenswerthe Frau, die Schwester Ihres Freundes, die Ihnen ergeben ist, der Sie sich freiwillig durch einen Schwur auf immer verbunden. Ich habe mich nach der Glücklichern als ich bin, erkundigt, da ich von Ihrer Vermählung gehört und mich so unendlich elend fühlte. Die Leidenschaft, den brennenden Schmerz in der Seele, wünschte ich zunächst Ungünstiges von der Frau Ihrer Wahl zu hören, das hätte meinen Groll befriedigt, das hätte mir eine Art Genugthuung gewährt. Nachdem ich aber einen schweren Kampf mit mir selbst bestanden, nachdem ich die Bitterkeit, den Haß, die sich meiner bemächtigten, überwunden, waren mir die Vorzüge Ihrer Gattin, die ich rühmen hörte, ein Trost, denn ich sagte mir, daß doch von uns Beiden wenigstens Sie glücklich sind.“

„O, unaussprechlich fromme Seele! Gewiß, Sie sind eine Heilige des Himmels!“ rief Alfred mit bewegter Stimme.

Und Adele fuhr mit matter Stimme fort: „Wie es ist, so muß es äuch bleiben, Alfred. Wem käme es zu Gute, wenn Sie ein Verhältniß brächen, das unantastbar sein muß? Das wäre keine Abhülfe, sondern Vervielfältigung des Verderblichen. Sie machten sich eines neuen Verrathes an meinem Herzen schuldig, das Ihnen keinen Anlaß zum Abfall gegeben und das sein Heil von Ihnen erwartet, von Ihnen zu fordern berechtigt ist. Noch ein Mal: Leben Sie glücklich ein angemessen heiteres Leben in Ihrer Familie, das ist die einzige Sühne, welche ich verlange.“

[396] „Was aber soll aus Ihnen werden, Sie erhabenes Herz?“ frug Alfred.

„Mir bleibt,“ versetzte Adele, „Ihr Glück, Ihr Frieden, Schmerz und Lust der Entsagung und die schimmernde Erinnerung an einige schöne vorüberrauschende Stunden.“ Sie wendete sich bei diesen Worten ab und wischte verstohlen eine zudringliche Thräne aus ihrem Auge.

„Arnold! Arnold! Wie kann ich Dir je verzeihen, was Du an der Trefflichsten aller Frauen verbrochen!“ rief Alfred hingerissen von seinem Unwillen.

„Zürnen Sie um meinetwillen nicht dem Freund, denn er hat es gut gemeint. Freilich hätte er, wenn auch nicht mein Gefühl, doch meine Ehre schonen sollen, er dachte nur an Sie.“

„Es giebt für ihn nur eine Entschuldigung,“ sagte Alfred, „daß er Sie nie gesehen, Sie nie sprechen gehört.“

„Versprechen Sie mir Ausgleichung des erfolgten Zwiespalts, damit sich Alles was geschieden, wieder zusammen finde und zum Gedeihen füge,“ forderte Adele.

„Alles was Sie wollen, will ich thun. Sie sind mein Orakel, mein Gewissen. Ihre Stimme gilt mir wie Götterruf,“ erwiederte Alfred, erfüllt von Bewunderung des seltsamen Wesens. „So viel ich vermag, will ich mich Ihrer würdig erweisen. Ich will redlich meine Pflicht erfüllen. Und ich fange mit der Bitte an, die Sie beherzigen mögen, theure Freundin! Lassen Sie Ihr Leben nicht unter Entsagungen und Aufopferungen dahin gehen. Es wird sich wohl ein Mann finden, der Ihren Werth besser zu schätzen weiß als ich, er werde beglückt, dieser begünstigte Sterbliche, sei überschüttet von den königlichen Schätzen, welche Sie in sich tragen. Ihnen, der übermenschlich Starken, der Entschlossenen, wird es wohl möglich sein, sich auch eine Häuslichkeit zu gründen, in der Sie schaffen und walten und sich mit stillen Freuden umgeben können.“

„Damit ist es wohl vorbei,“ sagte Adele so entschieden, daß an der Festigkeit des Entschlusses kein Zweifel übrig blieb.

So wie dieses an Trauer so inhaltreiche Wort ausgesprochen war, klopfte es an die Thüre des Salons und bevor noch der übliche Ruf erfolgte, traten zur nicht gelinden Ueberraschung Alfred’s, Delphine und Arnold herein. Sie hatten, wie das in der Komödie häufig vorzukommen pflegt, Alles gehört, nur daß es sich in dem vorliegenden Falle ganz natürlich ergeben.

Es kam so: Die Geschwister waren kurz nach Alfred gekommen, da Delphine, von Ungeduld und Unruhe getrieben, mit der Ausführung des gefaßten Planes nicht zu warten über sich gewonnen. Die Magd, welche bei Adelen Dienste that, im Begriffe fortzugehen, um mancherlei Einkäufe für die Küche zu besorgen, schloß eben die Thüre der Flur, als der Besuch ankam. Auf das Begehren der beiden Gäste, mit der Meisterin zu sprechen, öffnete sie die schon geschlossene Thüre, zeigte das Gemach, wo die Gebieterin sich aufhielt und entfernte sich, um ihrem Geschäfte obzuliegen. Die Geschwister näherten sich der bezeichneten Thüre und waren eben im Begriffe anzuklopfen, als sie laut sprechen hörten und die Stimme Alfred’s erkannten. Ohne zu wollen, blieben sie wie festgebannt stehen. Delphinen’ versagte die Kraft auch nur ein Glied zu rühren und sie mußte sich auf ihren Bruder stützen, um nicht umzusinken. Sie verfolgte das Gespräch in einem Zustand krampfhafter Aufregung, kaum athmend vor Erwartung des Ausganges. Und erst als die Worte Adele’s ausgleichend wurden und die Versicherung einer friedlichen, glücklichen Lösung der Dinge versprachen, löste sich der lähmende Druck von dem Herzen der beängstigten Frau und hingerissen von dem hohen edeln Sinn der Rivalin, klopfte sie an, riß die Thür auf und trat ein, um zu den Füßen ihrer Retterin den heißgefühlten Dank auszusprechen. – Und in der That sank sie vor Adelen auf die Knie, faßte ihre Hand, auf die sie das Haupt neigte und weinte Thränen des Dankes, da sie nicht sprechen konnte. – Eine Ahnung, wer die Frau zu ihren Füßen sei, flog durch die Seele Adele’s. Ein kalter Schauer faßte an ihr Herz, daß sie für einen Augenblick erstarrte. – Doch nicht lange, so gewann sie Kraft über sich selbst, berührte mit der flachen Hand das Haupt der knienden Frau und zog es zärtlich an sich.

„Dank, tausend Dank!“ sagte schluchzend Delphine, daß es die Gemüther der Anwesenden erschütterte.

„Delphine!“ rief Alfred und das einzige Wort mochte für eine ganze Rede gelten.

Als Adele die Kniende vom Boden erheben wollte, sprach diese: „Nein, nicht eher stehe ich auf, große Seele, als bis Sie mir versprochen, meine Freundin, meine Schwester zu sein.“

„Ich will es sein,“ sagte Adele feierlich, half der Frau vom Boden auf, erhob sich, nahm deren Hand und legte sie, eine Priesterin der Vereinigung, in die Hand Alfred’s, dann sprach sie mit sichtbarer Ueberwindung: „Seid einig, seid glücklich, seid tausendfach gesegnet,“ worauf sie blaß und zitternd, wie nach einer ungeheuern Anstrengung auf den Stuhl zurücksank.

Auch Arnold fühlte seine Augen naß. Er stand abseits das Haupt gesenkt, tief ergriffen von der Scene vor seinen Augen, sich anklagend, daß er das edelste Geschöpf verkannt und durch seine Beurtheilung in den Staub gezogen.

„Komm näher, Arnold,“ sagte ihm Alfred, als er dessen Thränen sah. „In der Nähe dieses Engels kann kein Groll, kein Haß bestehen; Dir ist von ihr und mir vergeben.“

Hier endet die Geschichte. Von da an bildete sich das schöne Familienleben, dessen Stifterin und Seele Adele war und blieb. Es ist nur noch zu erwähnen, daß Arnold, dem die Tugend noch nie so deutlich, so hoch und groß erschienen war, wie in Adelen, von diesem Weibe, wie nie früher von einem andern angezogen und festgehalten wurde. Zur zweifachen Genugthuung Alfred’s warb er um ihr Herz und um ihre Hand, jedoch ohne Erfolg. Der Vorsatz Adele’s, keinem Mann anzugehören, blieb unerschütterlich. Doch ließ sich Arnold durch die Zurückweisung nicht hindern, dem verehrten Weibe unausgesetzt seine Huldigungen darzubringen. Er setzte auf die zarteste Weise seine Bewerbungen fort und liebte kein anderes Weib. Noch sei bemerkt, daß Delphine, wiewohl sehr zur Eifersucht geneigt, niemals eifersüchtig auf Adelen war; sie freuete sich sogar aller Auszeichnungen, welche ihrer Schwester von Alfred zu Theil wurden.




Die Vorgänge in Spanien.

Von den Ufern der Donau weg, wo die in blutig flammenden Zügen geschriebene Zeitgeschichte bislang die öffentliche Aufmerksamkeit allein in Anspruch nahm, ist diese plötzlich mit nach dem Westen Europa’s, nach dem Abendlande gelenkt worden, durch ein Ereigniß, das, so oft es an die Geschicke eines Volks herantritt, weiter fort von Land zu Land in gewaltigen Schwingungen klingt. Wir haben es mit vier Wochen spanischer Geschichte zu thun, mit dem Siege einer Revolution!

Viele hat die Kunde hiervon überrascht, allein wie der erfahrene Schiffersmann seine wachsenden Anzeichen hat, daß[WS 1] ein drohender Sturm im Anzuge, so entging auch dem aufmerksamen Beobachter das Herannahen erschütternder Konflikte jenseits der Pyrenäen nicht. Ihren Ausbruch verzögerte nur die Erinnerung an die unsäglichen Leiden, unter denen die spanische Nation in unaufhörlichen Bürgerkriegen gelitten, eine Erinnerung, die so mächtig war, daß selbst die fast alle Länder erschütternden Jahre 1848 und 1849 nur flüchtig an Spanien vorüberrauschten. Die Nation glich dem in der Arena müdegehetzten Stiere, der nur erst wieder durch die Lanzenstiche der Pikadores zu neuem Kampfe aufgerüttelt werden kann,… diese schmerzenden Lanzenstiche sind dem spanischen Volke nicht gespart worden, und endlich hat es sich abermals aufgerafft und seine Peiniger, ehe sie sich’s vermutheten, vernichtet.

Der gehässige Charakter der ohne allen Grund in Spanien begonnenen Reaktion datirt von dem Staatsstreiche an, welcher der französischen Republik dem Wesen nach ein Ende machte. Die mäßigen constitutionellen Freiheiten der Nation schienen dem madrider Hofe von da ab mehr als je ein Greuel, und die bald offenen, bald geheimen Machinationen einer moralisch auf’s Tiefste gesunkenen Camarilla machten die Verfassung des Landes zu einem [397] bedeutungslosen Stück Papier. Unter den Trägern dieser verderblichen Regierungsprincipien stand die Königin Mutter, Christine, die seit ihrem Betreten Spaniens dessen böser Geist geworden ist, obenan. An willfährigen Werkzeugen ersten, zweiten und dritten Ranges fehlte es nicht, gleichwohl verstrich geraume Zeit im Hin- und Herschwanken, ehe die willfährigsten gefunden wurden, Männer zu Allem fähig, wie ein Graf San Luis, Sartorius, Collantes, Blaser und Andere, die vom September vorigen Jahres an die Geschicke Spaniens zu regeln begannen. Der Hof machte nun aus seinen Plänen weniger Hehl, und von Stunde zu Stunde mußte man auf einen offenen Staatsstreich zur Herstellung der reinsten Willkürherrschaft gefaßt sein, die dem Wesen nach freilich schon vorhanden war, denn die verfassungsmäßigen Rechte des Volks, die Gerechtsame der Gemeinden wurden ungescheut mißachtet; die Abgaben drückend vermehrt, ihre Ergebnisse an Günstlinge vergeudet; ein Heer von Beamten angestellt, die Presse vollends unterdrückt und die gemäßigt ruhigen Vorstellungen der Cortes unbeachtet gelassen; bis endlich im Februar dieses Jahres das Ministerium einige vierzig, ihm durch ihren Einfluß am Hinderlichsten scheinende Persönlichkeiten, meistens Cortesmitglieder, Redacteure, Officiere, unter letztern die Generale O’Donnell und Leon Concha, plötzlich gewaltthätig zu Madrid festnehmen ließ, und sie theils aus dem Lande, theils in entlegene Provinzen verbannte.

Dieses politische Unterdrückungssystem mußte natürlich dem Hofe den bittern Haß des Volks zuziehen. Die Camarilla und das Ministerium wandelten auf einem hohlen Boden, der noch nicht borst, wohl aber vom Februar dieses Jahres an in leisen Schwingungen zu erzittern begann.

Der königliche Palast in Madrid.

In Saragossa, dem heldenmüthigen, war es, wo das oben erwähnte gewaltthätige Verfahren der Minister einige Wochen darauf die ersten Zuckungen hervorrief. Oberst Hore pflanzte an der Spitze seines Regiments die Fahne des Aufstandes auf, unter der er auch fiel, während der Aufstand selbst, in seiner Ausführung allzu wenig vorbereitet, kläglich scheiterte. Der Hof antwortete mit blutigen Exekutionen, und versuchte das dumpf grollende Wetter, welches bereits über ganz Spanien hin rollte, durch die Verkündigung eines allgemeinen Kriegszustandes zu beschwören.

An ein Umkehren von dem betretenen abschüssigen und schlüpfrigen Pfade dachte die Regierung nicht, obwohl die drohenden Symptome sich fortwährend mehrten. Die Camarilla im Gegentheil fuhr auf dem einmal betretenen Pfade fort, die Erpressungen steigerten sich in’s Ungeheuerliche, die abenteuerlichsten Finanzoperationen wurden vorgenommen, und mitten unter fortwährenden Verhaftungen und geargwöhnten Verschwörungen, schließlich eine Zwangsanleihe dekretirt, welche unter allen Klassen, ohne Ausnahme, den heftigsten Unwillen hervorrief und die Tage der herrschenden Partei zu den gezählten machte.

Dumpf und schwül lagerte es über dem herrlichen Lande, das unter einer heillosen Wirthschaft des ihm von der Natur verliehenen Segens seit Jahren nicht froh werden konnte; fort und fort wucherte die Gährung, wucherte, ohne daß es besonderer demagogischer Umtriebe bedurfte, oder gar russischer Machinationen, mit denen gleich bei der Hand zu sein heutzutage Mode geworden ist, wenn in irgend einem Winkel Europa’s ein Hahn kräht, dessen Stimme nicht ganz zu dem türkischen Concerte paßt. Wo dem Volke solche Dinge geboten werden, wie in Spanien geschehen, da ist ohne alles andere Zuthun die Revolution zuletzt unvermeidlich.

Und so kam sie endlich, kam, wie dies bei den Umwälzungen in Spanien fast immer gewesen, als Militäraufstand; die gefährlichste Form, in welcher einer Regierung die Revolution entgegen treten kann.

Dem schon oben erwähnten, unter der Zahl der Verbannten inbegriffenen Generale Leopold O’Donnell, dem es gelungen war, sich dem ihm zugedachten Loose zu entziehen, fiel die Ehre zu, den unmittelbaren Anstoß zu geben. Schon dem verunglückten Versuche in Saragossa nicht fremd, war O’Donnell auch seitdem heimlich in Spanien geblieben und hatte, allen Nachstellungen zum Trotz, sich in der Hauptstadt zu verbergen gewußt, wo er seinen Einfluß im Stillen auf das Militär gelten machend, den Augenblick der Erhebung vorbereitete. Zwischen ihm und mehreren der in Madrid befehligenden Generale und Officiere war es dabei zum innigen Einverständniß gekommen.

[398] Am 27. Juni ließ General Dulce die von ihm commandirte Cavallerie absichtlich zu einer Revue ausrücken. Noch ahnte das Ministerium von dem so nahe bevorstehenden Schlage nichts, als O’Donnell schon vor den ausgerückten Truppen erschienen war und sie in einer feurigen Ansprache zum Sturze der auf dem Vaterlande lastendenden verächtlichen Wirthschaft entflammt hatte. Der Ruf: „Tod den Verräthern! Nieder mit den Ministern! Es lebe die Königin! Es lebe die Freiheit!“ zitterte, von den Winden getragen, über Madrid hinweg, und öffnete der Camarilla die Augen über den Umfang der für sie angebrochenen Gefahr. Die gerade mit dem Hofe in Aranjuez weilende Königin kehrte noch desselben Tages eilig nach Madrid zurück, während O’Donnell an der Spitze von zweitausend Reitern und Fußgängern, und von den Generalen Dulce, Messina, Ros de Olano und Echague begleitet, der Hauptstadt vorerst den Rücken kehrte, und dem revolutionslustigen Arragonien zuzog, wo er auf zahlreiche Unterstützung rechnen konnte. Der zu O’Donnell’s Verfolgung ausgeschickte Kriegsminister, General Blaser, ließ es zwar an von der Regierung veröffentlichten pomphaften Siegesbulletins nicht fehlen, einen ernstlichen Zusammenstoß vermied er aber sorgfältig, da die Treue der Truppen immer mehr zu schwanken begann, und sie bei jedem Begegnen regimenterweise zu den Aufständigen übergingen.

Der Hof versuchte es wechselsweise mit Bannsprüchen und Pardonszusicherungen, wobei jedoch seine anfänglich scheinbar sichere Haltung bald der bleichen Furcht Platz machte, denn auf die Kunde von O’Donnell’s glücklicher Schilderhebung folgten fast alle Städte in den Provinzen mit ihren Pronunciamentos (Aufstandserklärungen), traten die meisten Generale dem Aufstande bei, und die Camarilla sah sich binnen Kurzem auf den bloßen Besitz von Madrid beschränkt.

Es ist das Eigenthümliche der politischen Umwälzungen in Spanien geworden, daß sie immer erst ihren Halt in den Provinzen zu gewinnen suchen, ehe sie die Hauptstadt erfassen. Der Provinzial- und Communalgeist wirkt, ungeachtet der hergestellten politischen Einheit, noch mächtig in Spanien, und eine Menge von der Centralgewalt unabhängige Gewalten bewegen sich stets im freien Spielraume fort. Diese unabhängigen, in dem Gemeinde- und Provinzialleben wurzelnden Gewalten, bis zu welchen die Beeinflussungen der Regierung nicht reichen, werden für jede Bewegung, die in Gang kommt, eine wichtige Stütze, wie sie jedoch andererseits auch die Ursache sind, daß die spanischen Umwälzungen selten zu Gunsten doctrinärer Ideen und großer politischer Principien stattfinden. Gewöhnlich ist man immer nur über die Beseitigung eines vorhandenen wirklichen oder vermeintlichen Uebels einverstanden, und hierbei sieht man häufig die Vertreter der verschiedensten Interessen und die Häupter der entgegengesetzten Parteien, die sich vielleicht bei einem andern Anlasse blutig bekämpften, einträchtig zusammenwirken. Wenn daher beziehungsweise Revolutionen in Spanien leicht gelingen, so fehlt ihnen andererseits stets der moralische Nachhall der Ideen und Grundsätze, und so sehen wir wohl auch kein Land so sehr als Spanien sich im Kreislauf der Revolutionen bewegen, ohne zu irgend welchem wirklich humanen Fortschritt zu gelangen.

So rief auch jetzt wieder das von O’Donnell gegebene Signal alle Provinzen gegen die verhaßte Camarillen-Wirthschaft unter die Waffen, und Männer aller Farben erklärten sich mit gleicher Entschiedenheit gegen die Regierung. Entfernung des Ministeriums und der Königin Mutter, Wiederherstellung der Verfassung von 1837, Einberufung der Cortes, waren im Wesentlichen die gemeinsamen Forderungen der Provinzialjunten, welche damit auf monarchisch-dynastischem Boden stehen blieben, wie denn auch O’Donnell seinen Truppen den Namen „Constitutionell-monarchische Division“ beilegte. Ein geordnetes Zusammenwirken der verschiedenen, durch ihren Rang in der Armee ziemlich einander gleichgestellten Führer des Aufstandes fand dabei nicht statt, und erst als der Siegesherzog Espartero (während der Minderjährigkeit Isabella’s Regent von Spanien) nach Saragossa eilte und der Bewegung beitrat, wurde dessen Name vom ganzen Lande als der des Retters begrüßt.

Was bis dahin vorgefallen, war jedoch eigentlich immer nur erst ein in seinem Verlaufe glücklicher, von der öffentlichen Meinung getragener Militäraufstand; den Charakter der Volksrevolution nahmen die Ereignisse erst am 17. Juli an, als dem Tage, an welchem Madrid, unter den aus allen Theilen des Landes einlaufenden Kriegsbotschaften, sein Pronunciamento erließ.

Das aufgebrachte Volk richtete zunächst seine Angriffe gegen die ihm verhaßten Persönlichkeiten; die Paläste und Wohnungen der Minister und anderer bekannten Camarillenmitglieder wurden verwüstet und zerstört, wo Waffenvorräthe, bemächtigte sich die Menge ihrer, Barrikaden wuchsen empor, Angriffe auf die öffentlichen Gebäude erfolgten und ein heftiger Kampf begann gegen die vom Grafen San Luis in’s Leben gerufene Municipalgarde und die noch zum Hofe haltenden wenigen Truppen. Noch über Nacht bildete sich unter dem alten geachteten General San Miguel eine aus gemäßigten Elementen zusammengesetzte Junta, welche sofort ein neues gemischtes Ministerium improvisirte, und die Wiederherstellung der Preßfreiheit und Zurücknahme des Zwangsanleihe-Dekrets verkündigte, damit aber die Kämpfenden nicht zu beschwichtigen vermochte, die von den Barrikaden herab in erster Reihe die Vertreibung der Camarilla, Wiederherstellung der Nationalgarde und Auflösung der Municipalgarde forderten. Das einmal geflossene Blut erhitzte die Gemüther noch mehr, und ein zum Theil grauenvoller Kampf, der bis unter die Fenster des königlichen Palastes tobte, entspann sich von Neuem und endete erst am 19., als sich der Hof zur Entlassung des improvisirten Ministeriums unter dem Herzoge von Rivas, und zur Berufung Espartero’s entschloß. Die Mehrzahl der überhaupt lässig kämpfenden Truppen vereinigte sich mit dem Volke. Dessenungeachtet blieb die Wohlfahrts- und Vertheidigungs-Junta in voller Wirksamkeit; sie übte eigentlich die höchste, den Händen der Regierung entfallene Autorität aus, zahlreiche Clubs unterstützten sie dabei, und bei dem allgemeinen Mißtrauen gegen den Hof blieben auch die Barrikaden in den Straßen der Hauptstadt nach wie vor besetzt. Die Camarilla war inmitten von Madrid gefangen.

Der Ruf: „Es lebe die Königin!“ hatte zwar noch während des Kampfes in Madrid ertönt, unverkennbar waren aber dabei sehr entschiedene republikanische Elemente zu Tage getreten, denen der Thron eben nicht sehr an’s Herz gewachsen war. Die Königin Mutter, die Minister und andere verhaßte Werkzeuge der Camarilla waren, auf Flucht und Rettung sinnend, beim Losbruch des Volkssturms von der Seite der Königin Isabella verschwunden, die sich über den Verlust ihrer bisherigen Rathgeber nur schwer trösten wollte. Die siegreichen Barrikadenkämpfer mußte natürlich ein solches Gebahren der Königin nicht gerade günstiger stimmen, und schon ließ sich ahnen, daß eine Abdankung Isabella’s zu Gunsten ihrer Tochter noch als der glimpflichste Ausgang gelten konnte.

Espartero langte am 29. Juli unter jauchzendem Zuruf und nur sehr geringen Sympathiebezeugungen für die Königin in Madrid an, von Allen als Retter willkommen geheißen. Zwar wirkte seine Gegenwart einigermaßen beruhigend auf das Volk, allein im Stande der Dinge selbst brachte sie keine Aenderung hervor. Die Spaltung zwischen der Dynastie und dem Volke erweist sich breiter als man glaubte, und der Siegesherzog dürfte, wie er auch beabsichtigen soll, sein Ansehen und seinen Einfluß, zunächst nicht sowohl im einseitigen Interesse der königlichen Familie geltend machen, als vielmehr, um Spanien vor dem Bürgerkriege zu bewahren, eine Verständigung unter den Häuptern der einzelnen Parteien zu erzielen suchen. Zwischen ihm und O’Donnell, im Felde ehemalige Gegner, ist es dergestalt bereits zur Versöhnung gekommen, bei all den ehrgeizigen Ansprüchen der vielen Generale aber zeigt sich Spaniens Zukunft, über welche schließlich die nächstens zusammentretenden Cortes zu entscheiden haben, eben nicht sehr trostreich.

So weit wir ohne Befangenheit die gegenwärtigen Stimmungen und Wallungen des spanischen Volkes beurtheilen, scheint uns die Monarchie selbst noch nicht gefährdet. Die republikanische Partei, dem Obersten Amettler folgend, ist verhältnißmäßig sehr schwach, und die Republik eine Regierungsform, welche bei dem dermaligen Bildungsgrade der Massen in Spanien jedenfalls Fiasko machen würde. Die socialistische oder kommunistische Partei, von deren Vorhandensein die Zeitungen bisweilen gesprochen, weil sie einige betrunkene Pöbelhaufen, die hier und da plündernd auftreten, mit jener Partei verwechselten, existirt im Grunde gar nicht in Spanien. In der Hauptsache sind die Liberal-Constitutionellen, dort Progressisten genannt, in diesem Augenblick die Herren der Lage, und der vorgerücktern Fraktion unter ihnen, den Esparteristen, [399] wird wohl die eigentliche Leitung der Staatsgeschäfte in die Hände fallen.

Die Krone zu decken, ist sicherlich der aufrichtige Wunsch dieser Männer, ihr Wunsch „unter allen Umständen“ ist es aber nicht.

Wie die Dinge sich gestaltet haben, dürfte die Abdankung der Königin zu Gunsten ihrer Tochter kaum ausbleiben. Die Vermählung derselben mit dem jungen Könige Pedro von Portugal – das Lieblingsprojekt einer nicht unmächtigen Partei – und die Vereinigung beider Länder alsdann zu einem Reiche, hat seine großen Nützlichkeiten, und spricht wenigstens die Erfahrung der schon früher einmal vereinigten, und seit 1640 getrennten Länder nicht zu Gunsten dieses Planes. Auf weitaus mehr Erfolg scheint eine neue Regentschaft Espartero’s für die minderjährige Tochter Isabella’s rechnen zu können. Es würde dies der Nationalstimmung am meisten zusagen, der Herrschaft aller Camarillen, wie schon früher unter Espartero’s Regiment, ein Ende machen, die öffentliche Freiheit wieder kräftigen, und die Wohlfahrt des Landes neu befestigen, ohne mit den benachbarten Großmächten England und Frankreich Konflikte herbeizuführen, denen beiden die in Madrid gestürzte Wirthschaft doch zu arg war, um auch nur ein Wort zu ihren Gunsten zu verlieren.




Populäre Chemie für das praktische Leben.
In Briefen von Johann Fausten dem Jüngeren.
Achter Brief.
Moussirende Getränke.

Bei einer Hitze, wie wir sie vor Kurzem in einem reichlichen Masse gekostet haben, sehnt sich der Mensch nach einem erquickenden Getränk. Ein kühler Trunk Wasser aber behagt dem verwöhnten Gaumen nicht immer; er fordert zugleich noch eine angenehme Befriedigung seiner Gelüste. Ein köstliches Getränk dieser Art bietet uns die Natur in den zahlreich auftretenden Säuerlingen, – Quellen, die reich mit Kohlensäure beladen aus dem Schooße der Erde aufsteigen. Meistens gehören sie in die Klasse der Heilquellen, wie z. B. die von Teplitz, Karlsbad, Wiesbaden, Selters, Ems, Fechingen, Baden-Baden, Spaa etc., von denen besonders das Selterserwasser eben nur der Labung und Erquickung wegen in großen Mengen von Kerngesunden verbraucht wird, während das Wasser vieler anderer Quellen dieser Art wohl am Ursprungsorte sehr geschätzt wird, eine weitere Verbreitung aber nicht gefunden hat.

Namentlich in vulkanischen Gegenden, sei es, daß die Vulkane noch thätig oder bereits erloschen, oder daß vulkanische Massen, plutonische Gebilde aus der Tiefe aufgestiegen sind, treten die Säuerlinge oder auch reine Gasquellen in solcher Menge auf, daß wir den Boden als eine siebähnlich durchlöcherte Oberfläche ansehen können. So z. B. in der Eifel, der Umgebung des Laacher Sees, des Meisterwaldes, Taunus, Habichtswaldes, Meißners, Vogelgebirges, der Rhön, des Fichtelgebirges, böhmischen Mittelgebirges und des Riesengebirges. Ueberall auf den basaltischen Zügen von der Eifel bis zum Riesengebirge treffen wir sie an. Bald kommen die Gasquellen ohne Geräusch zum Vorschein, nur bemerkbar, wenn man das Gesicht ganz auf die Erde neigt; aber die unterdrückte Vegetation und die erstickten kleinen Thiere in ihrer Umgebung lassen ihr Vorhandensein deutlich erkennen. Bald entströmen sie den Spalten und Klüften des Gesteins mit zischendem Geräusch oder sie brodeln auf in kleinen Vertiefungen, die mit atmosphärischem Wasser angefüllt sind. Für sich und in größeren Mengen ein starkes Gift wird die in großen Mengen ausströmende Kohlensäure rasch zerstreut, so daß sie keinen nachtheiligen Einfluß auf die Beschaffenheit der atmosphärischen Luft ausübt, aus der sie durch die Pflanzen entfernt wird. Strömt sie jedoch in geschlossene Räume, in denen sie ihrer Schwere wegen die unteren Gegenden einnimmt, so äußert sich ihre schädliche Wirkung, z. B. in der Hundsgrotte bei Neapel und in der bekannten Dunsthöhle bei Pyrmont, ganz entschieden an Thieren, die mit ihren Athmungswerkzeugen über diese vergiftete Schicht nicht hinausreichen.

Was jetzt hier in heilbringender oder unscheinbarer Gestalt aus der Erdrinde hervordringt, sind die dämonischen Mächte, welche abgeschlossen, erhitzt und durch einen gewaltigen Druck zusammengepreßt, ihre Fesseln sprengten, die Hindernisse schmolzen, zerstörend sich weit umher über die Flächen verbreiteten, Gebirgsmassen emportrieben und umstürzten. Jetzt freilich sind sie machtlos, weil der Verbindungsweg mit der Oberfläche offen ist, aber die nächste Umgebung zeigt die Spuren ihrer Macht. Um sich von dieser ein Bild machen zu können, wollen wir anführen, daß die Kohlensäure durch Druck leicht in den flüssigen Zustand übergeht und hier bei 47° Kälte einen Druck von 18°, bei 83° Wärme aber, also noch unter dem Kochpunkt des Wassers, von fast 100° Atmosphären, d. h. von 1436 Pfunden auf den Quadratzoll, ausübt. Noch jetzt macht sie mitunter ihre Kraft, freilich in einem sehr verkleinerten Maßstabe, geltend, sobald sich ihrem Ausströmen Hindernisse entgegenstemmen. So z. B. zu Pyrmont der Gasstrom, als das Ableitungsrohr für einige Zeit verschlossen wurde, nicht nur den 8 Fuß im Durchmesser haltenden schweren Metalltrichter, unter dem das Gas aufgefangen wurde, sondern mit diesem auch das ganze übergebaute Häuschen. Auf einer sumpfigen Wiese bei Istrup auf der paderborner Hochfläche werden durch die aus 1000 Kanälen ausströmende Kohlensäure Schlammhügel von 20 Fuß Höhe und wohl 100 Fuß Umfang aufgeworfen.

Die Mengen der Kohlensäure, die auf diese Weise dem Innern der Erde entströmt, ist ungeheuer. Die zahlreichen Quellen der Eifel hauchen täglich 5 Millionen K. F. aus, eine Menge, die beiläufig gesagt bei der Verbrennung von 12,000 K. F. Holz entstehen würde. Das einzige Bohrloch zu Neusalzwerk bei Minden liefert jährlich über 24 Millionen K. F., der Fuß 28,000 Centner, Kohlensäure und der große Sprudel zu Nauheim in jeder Minute 71 K. F. oder im Jahr über 45,000 Centner, mithin eine Menge, wie sie durch Verbrennung von über 13,500 Centner Steinkohlen oder durch das Brennen von 109,000 Centner Kalksteinen entwickelt wird.

Kommt nun Wasser mit angehäufter Kohlensäure in Berührung, so vermag es etwas mehr als seinen eigenen Raumtheil davon aufzunehmen, ohne dadurch merklich an Umfang zuzunehmen. Dieses Verhältniß ändert sich nicht, wenn auch, da die Kohlensäure durch größeren Druck sich zusammenpressen läßt, das Wasser davon dem Gewichte nach um so mehr aufnimmt in je größerer Tiefe, d. h. unter je größerem Druck beide zusammenkommen. Daraus folgt nun, daß wenn sich der Druck vermindert, je näher das Wasser an die Oberfläche steigt, nach Verhältniß auch ein Theil der Kohlensäure als Gas wieder entweicht, wobei oft ein Theil des Wassers bis zu bedeutenden Höhen emporgeschleudert wird. Solche Quellen treten meistens wegen der entweichenden Kohlensäure in wallender Bewegung und mit einem polternden Geräusch zu Tage und deshalb nennt man sie auch Sprudelwasser.

Aus diesem Grunde ist es klar, daß die natürlichen Wasser gerade nicht viel von der erfrischenden Kohlensäure enthalten können, selbst wenn man auch einige Vorsichtsmaßregeln beim Füllen anwendet. Daher fertigt man jetzt Luxuswässer diese Art in beträchtlicher Menge künstlich an, bei denen man es ganz in seiner Macht hat, sie bis zu einer gewissen Grenze hin, d. h. so weit es die Haltbarkeit der Flaschen zuläßt, mit Kohlensäure zu sättigen. Gewöhnlich überschreitet man daher einen Druck von 4 bis 5 Atmosphären nicht. Während ein Pfund Wasser also unter gewöhnlichen Umständen 16 Gran Kohlensäure aufzulösen vermag, enthält ein künstlich gesättigtes 64 bis 80 Gran, d. h. ungefähr 1 bis 11/2 Quentchen. Zur Darstellung der Kohlensäure kann man Kreide oder Marmor und Salz- oder Schwefelsäure nehmen. In neuerer Zeit verwendet man meistens den in der Natur in reichlicher Menge vorkommenden Magnesit, kohlensaure Magnesia und [400] Schwefelsäure, indem man hier ein wertvolleres Nebenprodukt – Bittersalz – erhält.

Um nun das Wasser mit Kohlensäure unter einem höheren Drucke zu sättigen, bedient man sich geeigneter Apparate – Pumpwerke – die im Laufe der Zeit mancherlei Veränderungen erlitten haben, bevor sie die jetzige Vollkommenheit erreichten. Man sammelt die Kohlensäure in geeigneten Behältern – Gasometern – und bringt sie hier unter den Druck, unter welchem sie vom Wasser aufgenommen werden soll, wo dann die Aufnahme direct geschieht, indem zu gleicher Zeit Wasser und Kohlensäure in bestimmten Verhältnissen durch ein und dieselbe Pumpe in das Sammelgefäß gebracht werden oder man treibt die Kohlensäure für sich durch Pumpen in das Wasser ein. Besondere Vorsicht muß beim Ablassen des fertigen Wassers in die Flaschen angewendet werden, damit das Gas nicht wieder entweicht. Zu dem Ende wird die Flasche fest gegen Kautschuk gepreßt, womit der Hahn umgeben ist. Durch ein geschicktes Lüften der Flasche läßt man die darin enthaltene atmosphärische Luft entweichen und ist dann sehr schnell mit einem Kork bei der Hand. Aber nicht eine jede Flasche, falls sie nicht vorher ausdrücklich auf ihre Festigkeit durch eine Druckpumpe geprüft worden ist, hält den angegebenen Druck aus. Deshalb muß sich der Arbeiter die Hand und den Arm durch einen dicken Handschuh und das Gesicht durch eine Drahtmaske gegen die umhergeschleuderten Glasscherben der zerspringenden Flaschen schützen. Außerdem umgiebt noch eine kupferne, leicht zu beseitigende Platte, in der eine mit einem Gitter versehene Oeffnung zum Hindurchsehen angebracht ist, als Schutzmittel die Flasche.

Auf dieselbe Art wird auch die Schaumlimonade bereitet, indem man dem Wasser verschiedene Zusätze, wie Fruchtsäfte, mit verschiedenen ätherischen Oelen abgeriebenen Zucker oder auf ähnliche Art bereitete Zuckersäfte zusetzt. Je nach der Art dieser Zusätze kann man die mannigfaltigsten Getränke bereiten. – In neuester Zeit hat man auch angefangen Meerwasser, schwache Salzquellen, die wie z. B. in Kösen, Wittekind etc. getrunken werden, mit Kohlensäure zu sättigen, um ihnen einen angenehmeren Geschmack zu verleihen.

In der neuesten Zeit ist die Anfertigung derartiger moussirender Getränke durch kleinere geeignete Apparate in jeder Haushaltung möglich gemacht. Wegen der Annehmlichkeit, die sie bieten und wegen ihres mäßigen Preises sind sie sehr zu empfehlen. Hauptsächlich hat man bei uns zweierlei Apparate dieser Art. Der eine ist der sogenannte Liebig’sche Krug, dessen Einrichtung jedoch nicht, wie man es oft hört, von dem berühmten Chemiker angegeben ist. Der starke, aus Steingut angefertigte Krug ist in zwei ungleiche Hälften getheilt, von denen die obere bis 21/2 Quart und mehr, die untere nur bis 1/4 Quart Wasser faßt. Beim Gebrauch füllt man die größere Abtheilung nicht ganz mit Wasser und verschließt die Oeffnung wieder sorgfältig. In den unteren kleineren Raum thut man die Mischung, aus der sich die Kohlensäure entwickeln soll und etwas Wasser, welches die Lösung der Säure und dadurch die Einwirkung auf das kohlensaure Salz, also die Entwickelung der Kohlensäure vermittelt. Am Besten bedient man sich hier für jedes Pfund der mit Kohlensäure zu sättigenden Flüssigkeit eines Gemisches von 139 Gran krystallisirtem kohlensauren Natron, 89 Gran doppelt kohlensaurem Natron, beides in Pulverform und 80 Gran Weinsteinsäure in Krystallen, um die Auflösung und Entwickelung der Kohlensäure nicht zu sehr zu beschleunigen. Mit diesem Gemisch sättigt man das Wasser unter dem Druck von 4 Atmosphären mit Kohlensäure.

Ist die Oeffnung gut verschlossen, so entweicht die Kohlensäure durch einige in dem Boden angebrachte Haarröhrchen in die obere Abtheilung und wird hier von der Flüssigkeit verschluckt. Ist diese gesättigt, so steigt das Gas durch sie hindurch und sammelt sich oberhalb derselben an. Durch den Druck, welcher die gasförmige Kohlensäure auf die Oberfläche der Flüssigkeit ausübt, wird die letztere gezwungen in ein bis auf den Boden reichendes Rohr bis zu dem Ventile in dem Halse der Flasche aufzusteigen. Oeffnet man solches durch Drücken auf einen Knopf, so strömt das schäumende Getränk in das untergehaltene Gefäß aus.

Mehr zu empfehlen noch ist ein anderer Apparat, der aus zwei Glaskugeln besteht. Die Einrichtung, durch welche das Getränk abfließt, ist hier solider und dauerhafter, während die des ersteren sehr oft der Reparatur bedarf. Durch die Unwissenheit und Unachtsamkeit der Leute, die entweder die Ladungen mit Kohlensäure zu stark machen oder nicht darauf achten, daß die Verbindung durch die Haarröhrchen frei ist, kann der Apparat sehr leicht zerspringen und große Gefahr bereiten. Daher ist er auch mit Draht oder spanischem Rohrgeflecht umgeben. Nichtsdestoweniger hat man sich doch vor dem jedesmaligen Gebrauch davon zu überzeugen, ob die Kohlensäure ungehindert passiren kann. Gießt man nämlich, wenn beide Oeffnungen der Flaschen offen sind, lauwarmes Wasser in den oberen Theil, so muß es in den unteren hineintröpfeln.

Soll nicht die Kohlensäure größtentheils beim Ablassen fortgehen, so läßt man den Apparat 24 Stunden ruhig an einem kühlen Ort, am Besten in Eis stehen, bevor man das Getränk verbraucht. Dadurch mischt sich die Kohlensäure inniger mit der Flüssigkeit und verweilt länger in ihr, wenn der Druck aufgehoben wird, unter dem sie in dem Apparat steht. Um das Getränk wohlschmeckender zu machen, thut man vorher eine Zuckerlösung hinein. Durch beliebige andere, schon angeführte Zusätze kann man die mannigfaltigsten und angenehmsten Mischungen erhalten. Namentlich wird als besonders erfrischend Milch gerühmt, die mit Kohlensäure gesättigt worden ist. Auch einen billigen Schaumwein kann man sich bei Anwendung von Zucker in diesen Apparaten bereiten.

Daß die beschriebenen Apparate sich in Haushaltungen sehr nützlich erweisen, dafür bürgt die große Verbreitung, die sie bereits gefunden. Wenn aber der Professor Dr. Weber in Freiburg meint, daß sie sogar Mineralbrunnenbesuche überflüssig machen und viel Zeit und Geld ersparen, indem mit ihrer Hülfe innerhalb einer Stunde die mannigfaltigsten und kräftigsten Heilmittel, wie sie nur die Natur liefert, erzeugt werden können, so ist dies weiter nichts als Redensarten, und man muß sich wundern, daß solche noch bereitwillig von öffentlichen Blättern, die sich einen Anstrich von Wissenschaftlichkeit geben, verbreitet werden. Dazu gehört mehr als ein solcher kleiner Apparat. Freilich scheint es in der Medizin überhaupt nicht auf eine Hand voll Noten anzukommen, denn wir sehen durch Homöopathie, Rademacherei, Wasser, alte Semmeln und wie die Kurmethoden alle heißen mögen, eben so große und noch mehr Wunderkuren vollbringen, als solche jedem echten Sohne des Aeskulap gelingen. Es ist, als ob die Aerzte sich bemühten, die Worte Hegel’s, der aus Nichts Alles aufbaut, zur Wahrheit zu machen.

Weniger vollkommen bereitet man sich moussirende Getränke einfach durch Anwendung von Brausepulver. Man thut hier am Besten, die Bestandtheile einzeln anzuwenden und zwar die Weinsteinsäure zuerst zu lösen, dann das doppelt kohlensaure Natron, fein gerieben, zuzuschütten und umzurühren. Die Kohlensäure entweicht hierbei aber meistens in die Luft. Der berüchtigte Poudre Fevre, der vor mehreren Jahren sich in den öffentlichen Blättern auf die schamloseste Weise breit machte, war nichts anderes als gewöhnliches Brausepulver – eine einträgliche Spekulation auf die Dummheit der Menge. Auf nichts Anderes läuft wahrscheinlich auch eine große Entdeckung hinaus, die mit vollen Backen von der „Illustrirten Zeitung“, die sich die belehrendste, folglich auch die bestunterrichtetste Familienzeitung nennt, jüngst ausposaunt wurde unter dem Titel: „Sodawasser in fester Form.“ „Kohlensaure Wasser und andere schäumende Flüssigkeiten giebt es genug; doch fehlte noch das wahre Sodawasser und dieses reicht uns nun Herr Lamplaugh, ein englischer Chemiker, in der sehr handlichen Form eines wohlbeschaffenen Pulvers, vermittelst dessen man sich sofort einen guten Trunk „schäumenden Fieber vertreibenden Salzbrunnens“ von stets gleich bleibender Kraft erzeugen kann.“ Eine jede Zeile in dieser Nachricht ist Unsinn; ein echter Literatenton vom reinsten Wasser. Bei diesen Leuten, ein treffliches Gegenstück der bekannten „Mädchen für Alles“, ist es zum Grundsatz geworden, über Alles zu schwatzen, wovon sie auch nicht eine Idee haben; wozu auch! Die große Menge, für die sie schreiben, versteht ja auch nichts davon, und besitzt zudem noch einen Straußen-Magen, der Alles verdaut.

Günstigere Resultate erzielt man, wenn man bei Anwendung von Brausepulver die Anfertigung des Getränkes in einer Flasche vornimmt; die Bestandtheile des Brausepulvers einzeln und zwar krystallisirt, also in größern Stücken hineinthut, schnell und gut verkorkt, und das Ganze längere Zeit ruhig stehen läßt.

Die Kohlensäure ist es auch, welche dem Trinkwasser das Belebende und Erfrischende verleiht. Auch hier entweicht sie, so wie überhaupt die Luft, bei längerem Stehen; die zahlreichen Bläschen [401] an der Mündung des Glases zeigen dies deutlich an. Der Geschmack ist nun merklich verändert; wir sagen, das Wasser schmeckt matt oder fade. Derselbe Vorgang findet in der Natur statt bei den Flüssen, je weiter sich das Wasser von der Quelle entfernt, und deshalb ziehen wir als Trinkwasser das Quellwasser dem Flußwasser vor. Der größere Gehalt an Kohlensäure in jenem macht es aber auch zugleich reichhaltiger an Kalksalzen, die eben durch die Kohlensäure in Auflösung erhalten werden, und dadurch wird es für andere Zwecke der Haushaltung weniger brauchbar. Durch die Kalksalze wird das Wasser hart, d. h. es besitzt nicht die Fähigkeit, Hülsenfrüchte weich zu kochen und Seife aufzulösen. Im ersteren Falle lagern sich die Kalktheilchen, die sich beim Kochen ausscheiden, weil hier die Kohlensäure, das Auflösungsmittel, entweicht, an den Früchten ab und hindert so das Weichwerden; in dem letzteren wird die Seife, die als fettsaure Natron- oder Kalisalze anzusehen ist, durch die Kohlensäure zerlegt. Es bilden sich hierbei fettsaure Kalksalze, die im Wasser unlöslich sind. Durch Kochen oder Stehenlassen kann man ein solches Wasser daher oft verbessern. Biere, die stark schäumen, hat man vor der Beendigung der Gährung auf Flaschen gefüllt; in diesen findet eine Nachgährung statt. Die hierbei sich entwickelnde Kohlensäure ist gefangen. Sie wird, da sie unter einem bedeutenden Druck steht, in das Bier hineingepreßt und entweicht aus diesem unter Aufbrausen und Schäumen, sobald man den Druck aufbebt, indem man den Korken lüftet. Ganz so ist es bei dem Champagner. Bairische Biere dagegen, die ihre ganze Eigenthümlichkeit einem besondern Gährungsverfahren verdanken, wobei die stickstoffhaltige Substanz, welche die Gährung bewirkt, ganz zersetzt und ausgeschieden wird, weshalb keine Nachgährung in den Flaschen stattfinden kann, enthalten nur sehr wenig Kohlensäure. Nichtsdestoweniger verlangt auch hier die Unwissenheit einen starken Schaum auf dem Glase, und um diesem unsinnigen Wunsch nachzukommen, hat man zu dem ekelhaften Spritzen seine Zuflucht genommen.




Die Charaktere des Menschen.[1]
Nr. 1. Der Phlegmatiker.

Wenn der Mensch von sanguinischem Temperament mit seinem leicht erregbaren Gemüth und mit der wilden, aus entzündlicher Feuerluft gebildeten Seele, dem beweglichen heißblütigen Vogel gleicht, so ist der Phlegmatiker – in allen Dingen das Gegentheil vom Sanguiniker – das zähe, schwerfällige, nicht leicht aufzuregende Naturell, dem kaltblütigen Amphibium ähnlich.

Ganz entschiedene Phlegmatiker, gleichsam vom reinsten Wasser, sind, wie tadellose Diamanten, sehr selten, wie denn überhaupt die Temperamente gewöhnlich nur in Mischungen und Uebergängen vorkommen. Aber es ist für den Beobachter ein Genuß, solche Individuen zu betrachten, die sich dem reinen, unvermischten Temperamente nähern. – Phlegmatische Menschen sind ruhig, ohne träg zu sein. Man kann ihr Wesen, das unter allen Temperamenten am Schwersten zu beschreiben ist, wie auch die Amphibien den Naturforschern die räthselhaftesten Thiere sind, nicht leicht definiren. Ihre Trägheit ist nicht eigentlich Faulheit, sondern die Trägheit der Körper, wie die Physik dieses Wort gebraucht, nämlich die Schwierigkeit, aus einem einmal vorhandenen Zustand heraus zu kommen. Schlafen jene Menschen, so schlafen sie fest und lang und sind schwer aus den Federn zu bringen. Wachen sie bei der Arbeit oder in Gesellschaft heiterer Genossen, so sind sie schwer in’s Bett zu bringen; dieses Beharren in dem einmal begonnenen Zustand ist ein charakterisches Merkmal des Phlegmatikers, wie das laufende Rad, der stehende Wagen ein ganz besonderes Bestreben haben, zu laufen oder fest zu stehen. So ist es denn im Grunde die Mittellosigkeit, welche von dieser einen Seite, von der andern die Phantasielosigkeit, welche dem sanguinischen Temperament eigen ist. Es ist schrecklich, einer solchen Unentschlossenheit zusehen zu müssen. Wenn sie so dasitzen oder stehen und nicht mit sich einig werden können, was sie thun oder lassen sollen und einem vernünftigen Menschen alles Blut in den Adern bereits zu Millionen kribbelnden Ameisen geworden, oder wenn ihm der Kopf schon anfängt zu schwindeln vor Ungeduld, so wirbeln jene in aller Ruhe die Daumen, kratzen sich mit dem Nagel des Zeigefingers sanft an der Nase oder lächeln uns in aller Unbefangenheit gemüthlich an. O es ist eine Naivität in diesen Seelen, die etwas Dämonisches hat!

In der Regel sind die Phlegmatiker etwas beleibt, blaß von Farbe, meist blond; der Knochenbau pflegt stark zu sein. Ihre Reden sind überlegt besonnen, ohne Schwung und Kraft; der Sinn für Höheres, namentlich für Poesie und Kunst geht dem phlegmatischen Temperament ab. Dagegen liebt es eine gewisse anständige Begeisterung für die Moral und das Schöne – schicklichkeitshalber. Aus der Klasse der Phlegmatiker stammen die besten und pünktlichsten Geschäftsmänner, die zuweilen kleine Liebhabereien cultiviren, als Sammlungen von Käfern, Münzen, Siegeln, schönen Pfeifenköpfen und dergleichen. Das Urtheil des Phlegmatikers ist gewöhnlich absprechend, doch ohne Leidenschaft; er hat fast immer „Recht“ (wenn auch himmelschreiendes Unrecht in mancher Beziehung) und thut sich etwas zu Gut darauf. Wo viel Enthusiasmus, Bewegung und Kühnheit sich geltend machen, da wird er durch seine Kälte und Ruhe leicht beleidigend. Er kann mit einer Naivität was? und warum? fragen, die einen warmen Kopf aus dem Concept bringt. Die Stimme der Phlegmatiker hat sehr oft etwas Bedecktes, Fettes möchte man sagen. Die Vorzüge dieses Temperaments sind Klarheit, Besonnenheit, Fleiß und ein praktischer Sinn; die Fehler dagegen Eigennutz, Kleinlichkeit, Engherzigkeit, Neid, Geiz und List. Ein Phlegmatiker kann ein guter Geschäftsmann, ein löblicher Familienvater, ein trefflicher Staatsbürger sein, aber zu großen Gedanken oder Thaten wird er sich nie erheben. Wo ihm seine nüchterne Besonnenheit nicht forthilft, da nimmt er gern zur List, zur Intrigue und zu kleinen Bosheiten seine Zuflucht.

Die mehr erwähnte Aehnlichkeit dieses Temperaments mit der Klasse der Amphibien fällt in die Augen. Kaltes Froschblut, ein bedächtiger Gang, die langgestreckte Wirbelsäule (bei Schlangen und Eidechsen) und die größere, kalk- und erdehaltige Knochenmasse deuten auf die Verwandtschaft der besagten Thierform mit dem der Erde und dem Irdischen zugewandten Phlegmatiker. Die Lebenszähigkeit, die lauernde List und Gefährlichkeit mancher Gattungen vollenden die Vergleichung.

Mit phlegmatischen Menschen läßt sich gut auskommen, so fern man nicht zu viel von ihnen verlangt. Sie sind nicht selten zuverlässig, verschwiegen, ja gutmüthig, liebenswürdig sogar, besonders wenn sie Witz haben, was öfter der Fall ist. Doch pflegt die Liebe zum Besitz eine Lieblingneigung zu sein, daher sie nicht leicht bereit sind, Opfer zu bringen. In der Regel sind sie gerecht. Am Unbequemsten ist ihre Indolenz. Sowie denn auch lebhafte und thatkräftige Menschen Phlegmatikern unangenehm zu sein pflegen. Grübelnde Kinder nimmt man gern für künftige Denker und indolente für talentlos. Beides gewöhnlich eine Täuschung. Die Hauptstärke des Phlegmatikers ist der Verstand: das Vermögen zu trennen, zu vergleichen, zu unterscheiden, eine Geistesthätigkeit, welcher man im gewöhnlichen Sprachgebrauch viel zu viel Ehre erweist, welche aber für sich allein nur sehr untergeordnete Funktionen hat und den Menschen dem Reich des höhern Lebens, der Sphäre des genialen Denkens, der Kunst und Religion fern hält.

[402]

Helsingfors und Festung Sweaborg.
1. Helsingfors. — 2. Südlicher Hafen für Kriegsschiffe. — 3. Insel Luckholm mit Batterien und Kasernen. — 4. Oestlicher Hafen für Kauffartheischiffe. — 5. Spital für Seeleute. — 6. Handels-Kai. — 7. Tolo-Bay. — 8. Insel Tolo. — 9. Esplanade. — 10. Griechisch-katholischer Gottesacker. — 11. Observatorium. — 12. Seebad. — 13. Festung Sweaborg auf Granitfelsen, durch hölzerne Brücken mit einander verbunden. Kasernen und Batterien von 1200 Kanonen. — 14. Kasernen. — 15. Kanal für Kriegsschiffe. — 16. Kanal für kleine Fahrzeuge. — 17. Felsen, aus dem Wasser hervorragend. Unter dem Meeresspiegel befinden sich deren in bedeutender Anzahl.

[403]
Helsingfors und Sweaborg.

Diese beiden Festungen Finnlands – das nordische Gibraltar genannt, liegen sehr imposant in granitner Romantik, etwa 32 Meilen von Kronstadt und würden der Schlüssel zu dem Landwege nach Petersburg sein. Zuerst müßte Sweaborg genommen werden, welches den nach Helsingfors führenden Kanal schützt. Sweaborg besteht im weitesten Sinne aus sechs granitnen Inseln, die im Umfange einer deutschen Meile vor Helsingfors liegen und von denen drei durch Brücken verbunden sind. Letztere bilden die eigentliche Festung, die drei andern Vorwerke. Die starken Festungswerke sind theils aus dem natürlichen Granit zurecht gehauen und gesprengt, theils durch Kunst ergänzt und aufgethürmt, so daß die sechs bis zehn Fuß dicken Mauern, stellenweise 48 Fuß hoch, aus denen 800 Kanonen und 20,000 Mann hervorarbeiten können, sich ziemlich sicher fühlen mögen. Der Weg für große Schiffe nach Sweaborg ist wegen der hier umhergestreuten kantigen kleinen Scheeren-Inseln ungemein gefährlich, zumal da die Lage einiger auf den meisten Karten nicht genau angegeben ist. Wir fügen eine kleine Karte bei, die für die genaueste und richtigste gehalten wird. Es war einst der Schlüssel zu Schweden und es that stets seine Pflicht, Rußland auszuschließen, bis im Kriege 1808–9 der Kommandant durch Aussicht auf russisches Gold die granitne Festung weich machte, so daß die Russen gemüthlich hineinmarschiren und den Schweden den Frieden dictiren konnten. Die Russen bekamen so Finnland, der Kommandant aber gar nichts, was zwar sehr Unrecht, aber ihm ganz Recht war. Er hatte für seine Arbeit nicht mehr verdient.

Ob „Karlchen“ es mit Gold oder mit Kanonenmetall versucht, wissen wir nicht. Viel Vertrauen scheinen die Russen auch nicht zu haben, obgleich Sweaborg für schlechterdings uneinnehmbar gilt (ausgenommen mit dem weichen, dehnbarsten Metalle). Die Finnen mußten voriges Frühjahr von Sweaborg bis Kronstadt einen Weg durch’s Eis hacken, auf welchem die unter den Batterien liegenden Schiffe sich nach Kronstadt flüchteten. Bekäme „Karlchen“ Sweaborg mit Waffengewalt, könnte er sich rühmen, schon die zweite uneinnehmbare Festung ohne Gold erobert zu haben. Bekanntlich nahm er sich vor einigen Jahren das uneinnehmbare St. Jean d’Acre. Da aber 12,000 Franzosen nach Finnland unterwegs sind, wird er sich wohl nicht leicht allein mit Ruhm bedecken können.

Helsingfors ist eine der imposantesten neurussischen Städte, obgleich sie blos 16,000 Einwohner zählt, auch eine der lebendigsten und gebildetsten durch Fabrikation von Segeltuch, Leinewand (aus dem feinsten Flachse) u. s. w. und Handel mit Holz und Getreide, durch eine bedeutende Universität, eine große Bibliothek und manche gelehrte Gesellschaften, eben so als Residenz des Gouverneurs von Finnland und des Senats. Das Holz von Helsingfors gilt als das beste für Schiffsbau. Die Stadt breitet sich um den großen tiefen Hafen sehr weit aus und gewährt mit den sich dahinter trotzig erhebenden granitnen Höhen- und Gebirgszügen einen gar respektvollen Anblick. Die Straßen haben einen modernen, freundlichen und architektonisch oft schönen Charakter.

Sweaborg ward von dem berühmten Grafen Ehrensward gebaut. Die der natürlichen Fortification hinzugefügte Kunst wird von Festungsverständigen als eins der genialsten Meisterwerke bezeichnet.

Die Finnen gelten als sehr russen-, aber auch als sehr englandfeindlich, da die Flotte neuerdings ihren großen Reichthum von Holz, Schiffen u. s. w. verbrannt hat, so daß die jetzt auf dem Kriegstheater beinahe allmächtigen Franzosen mit ihren 12,000 Mann auch im baltischen Meere und besonders in Finnland durchaus das große, entscheidende Wort führen würden. Von Helsingfors würde der Feind auf dem Wege nach Petersburg nur noch auf zwei Städte von einiger Bedeutung stoßen: Frederikshamm und Wiborg. Borgo und Lowisa sind klein, obgleich letzteres durch die Seefestung Svartholm nach dem Meer hin groß und stark genug sein soll. Von Wiborg bis Petersburg ist die ganze Gegend öde, schlammig und trostlos, so daß sie der jetzigen geheimen Stimmung in den höchsten Regionen Englands entsprechen mag.




Blätter und Blüthen.

Ein feiner Betrug. In einer vornehmen Gesellschaft zu Paris kam unlängst die Rede darauf, mit welcher täuschenden Aehnlichkeit jetzt die Diamanten nachgemacht würden.

„Die Kunst ist nicht so neu, als man glaubt,“ sagte ein Fremder, über dessen Landsmannschaft man nicht recht einig werden konnte, „wenn sie auch erst in neuerer Zeit allgemeiner bekannt und verbreitet wurde. Den Beweis für meine Behauptung liefert dieser Ring, der mir als Erbstück sehr werth ist, obgleich mir ein Juwelier dafür nichts geben würde, da die Steine unächt sind, so täuschend sie auch ächten ähnlich sehen.“

Bei diesen Worten zog der Fremde einen alterthümlich gefaßten Ring vom Finger und reichte ihn, zum Belege seiner Worte, einem Herrn, der ein besonderer Liebhaber und Kenner von Diamanten zu sein schien. Kaum hatte dieser das Kleinod erblickt, als er voll Entzücken ausrief.„Die Steine sind ächt, oder es hat niemals ächte gegeben. Dieser Solitär ist von eben so reinem Feuer als Wasser. Wollen Sie mir den Ring für 8000 Franks lassen, so können Sie augenblicklich über das Geld disponiren.“

„Sie irren,“ entgegnete lächelnd der Fremde; „der Ring ist, ich wiederhole es nochmals, unächt; aber dennoch müßte ich Ihr Gebot zurückweisen, denn hat der Ring auch keinen wirklichen Werth, so ist doch der, den er für mich als Andenken besitzt, ungleich größer.“

„Wollen Sie mir ihn auf einige Minuten erlauben, daß ich ihn meinem Juwelier zeige ?“ fragte der Juwelenliebhaber.

„Mit dem größten Vergnügen,“ entgegnete der Fremde, und Jener eilte mit dem Kleinod hinweg. Nach kurzer Zeit kehrte er zurück, gab dem Eigenthümer seinen Ring wieder und sagte, schlau lächelnd: „Mein Juwelier meinte, die Steine schienen ihm ächt zu sein, und auf diesen Schein hin, biete ich Ihnen nochmals 8000 Franks für den Ring.“

„Ich bitte, nicht weiter in mich zu dringen,“ sagte der Fremde zögernd; „ich machte mich gegen mich selbst so wie gegen Sie eines Unrechts schuldig, wenn ich das Gebot annähme, und dennoch ist dasselbe so lockend, daß es mich verführen könnte, da ich in jüngster Zeit von einigen harten Verlusten betroffen wurde.“

Diese Worte gaben dem Liebhaber Hoffnung; er drang eifriger in den Besitzer des Ringes, und nachdem er bis zu dem Preise von 10,000 Franks gestiegen war, zog jener das geliebte Andenken mit trüber Miene und einem schmerzlichen Seufzer vom Finger und übergab es dem Käufer, indem er sagte: „Es wäre in meinen Verhältnissen Wahnsinn, Ihr Gebot nicht anzunehmen; empfangen Sie daher den Ring, wobei ich indeß die sämmtlichen anwesenden Herren zu Zeugen nehme, daß ich Ihnen die Steine als unächt verkauft habe.“

„Schon gut! Schon gut!“ sagte der Käufer freudig; „lassen Sie das meine Sorge sein!“

Dann gab er über die Kaufsumme eine Anweisung auf seinen Banquier und eilte davon. Der Verkäufer verließ unmittelbar nach ihm die Gesellschaft ebenfalls.

Kaum war eine Viertelstunde verflossen, da stürzte bleich und athemlos der Käufer des Ringes herein.

„Wo ist der Herr, von dem ich den Ring kaufte?“ rief er außer sich; und noch ehe man ihm antworten konnte, fügte er hinzu: „Er hat mich schändlich betrogen! Die Steine sind unächt und keine 20 Franks werth.“

„Er sagte Ihnen ja selbst, daß sie nicht ächt wären,“ bemerkte ein schadenfroher Spötter, „und wir sämmtlich sind seine Zeugen, wie Sie wissen.“

„Verdammt!“ rief der Angeführte und stürmte zu seinem Banquier, wo möglichst die Auszahlung der angewiesenen Summe zu verhindern: Fünf Minuten vorher hatte der Fremde sie in Empfang genommen. – Er stellte eine Klage an und wurde abgewiesen und in die Kosten verurtheilt, da sämmtliche Zeugen zu Gunsten des Verkäufers sprachen. Der Betrogene machte nun seinem Juwelier die bittersten Vorwürfe, dieser aber antwortete, stolz im Bewußtsein seiner Kennerschaft:

„Der Ring, den Sie mir zuerst zeigten, war ächt, dafür stehe ich Ihnen; der aber, den Sie kauften, ist unächt und nur dem ersten täuschend ähnlich nachgemacht. – Sie haben es mit einem feinen Betrüger zu thun gehabt, der sich schlau den Rücken zu sichern wußte.“




Die Sultanin Valide. Die Großmutter des jetzigen türkischen Kaisers ist eine geborne Französin, eine Creolin von der Insel Martinique, und gleich ihrer Landsmännin, der Kaiserin Josephine, soll auch ihr in früher Jugend die hohe Stellung prophezeiht worden sein, die sie einst einnehmen sollte, ohne daß sich ihr allem Anschein nach dazu die geringste Aussicht eröffnete.

Als sie noch beinahe ein Kind war, erzählt man sich, saß sie eines Tages an dem Ufer des Meeres, und betrachtete mit Entzücken das Schauspiel eines prachtvollen Sonnenaufgangs. In ihre Betrachtungen versunken, [404] bemerkte sie nicht, daß sich ihr Jemand näherte, und wurde ihren Träumereien erst durch den Gruß einer alten farbigen Frau, Namens Euphemin, entrissen. Die Alte war dafür bekannt, sich mit geheimen Künsten, und namentlich mit Erforschung der Zukunft zu beschäftigen, und die Schönheit des träumerischen Kindes erregte ihre besondere Aufmerksamkeit.

Nachdem sie wechselsweise die weiße Stirn, die regelmäßig schönen Züge des jungen Mädchens und die vor dem Gestirne des Tagen vom Firmamente entschwindenden Sterne betrachtet hatte, redete sie das liebliche Kind an: „Du blickst nach dem Aufgange“, sagte sie, „und Du hast Recht.“ Dann ergriff sie die zarte Hand der Kleinen, forschte aufmerksam in den verschlungenen Linien derselben, und fuhr fort: „Du hast Recht, denn dort wird sich Dein Geschick erfüllen, glänzend wie die Strahlen der Sonne, die Dein Haupt wie mit einer funkelnden Krone umgeben. Und dennoch“, – fügte die Prophetin hinzu, „wirst Du, Deines seltenen Glückes ungeachtet, Sklavin sein. – Sklavin und Herrscherin zugleich!“

Nach diesen Worten richtete die Alte noch einen Blick auf den Himmel, und verließ die Kleine, die sie gehört hatte, ohne sie zu verstehen. So erzählt die Fama.

Schon am nächsten Tage schiffte sich das junge Mädchen, Fräulein Aimée Dubuc de Rivery, einer der ältesten und angesehendsten Familien Martiniques entsprossen, nach Frankreich ein, um daselbst in dem Kloster der Heimsuchung zu Nantes ihre Erziehung zu vollenden. Sie war im Jahre 1766 geboren und damals zwölf Jahre alt.

Mit achtzehn Jahren, und nachdem sie wahrscheinlich die Prophezeihung der Alten gänzlich vergessen hatte, verließ sie das Kloster der Heimsuchung, und schiffte sich ein, um zu ihren Aeltern zurückzukehren.

Das Schiff, auf dem sich Aimée Dubuc de Rivery befand, litt durch einen gewaltigen Sturm so sehr, daß es dem Sinken nahe war, als es einem spanischen Schiffe begegnete, welches nach Majorka segelte, und Equipage wie Passagiere aufnahm. Seinem Bestimmungsorte bereits nahe, wurde der Spanier von einem algierischen Seeräuber angegriffen und genommen.

Aimée de Riverey wurde in Begleitung einer alten Dienerin nach Algier gebracht. Der Dey sah sie, wurde von ihrer Schönheit ergriffen, und um sich bei seinem Herrscher, dem Sultan, beliebt zu machen, schickte er ihm das junge Mädchen zum Geschenk. Selim III., der damals über die hohe Pforte herrschte, war nicht fühllos gegen die Reize der Gefangenen. Die junge Creolin, welche sich wahrscheinlich nur mit Widerstreben in ihr Schicksal ergab, wurde Favorit. Sultanin, das heißt, wie ihr die Alte auf Martinique verkündet hatte, zugleich Herrscherin, aber als Sklavin den harten Gesetzen des Harems unterworfen.

Als im Jahre 1808 ihr Sohn, 1785 geboren, unter dem Namen Mahmud II., die Zügel der Regierung ergriff, wurde sie Sultanin-Valide. Das Blut, welches durch seine Mutter in den Adern Mahmud’s II. floß, mußte seinen Einfluß auf ihn üben, so daß er die Reformen vornahm, die seine Regierung berühmt machten. So wurde das unbedeutende junge Mädchen der Insel Martinique von großer Wichtigkeit für das Geschick des türkischen Reiches, und wer kann es wissen, ob nicht ohne Aimée Dubuc de Riverey die ganze orientalische Angelegenheit eine andere Gestalt gewonnen hätte.


Literarisches. Hanne. Zeitspiegelungen, heißt ein in Hannover erschienenes Schriftchen, das wir unsern Lesern als eine gar komische Lektüre dringend empfehlen, obwohl das Buch sehr ernst gemeint ist. Der Verfasser, ein Pastor in Betheln bei Hildesheim, führt darin einen gewaltigen Kampf gegen den Zeitgeist, gegen Kindergarten-Enthusiasmus, gegen den Materialismus und Rationalismus der Zeit, gegen Socialismus, Hegel etc. etc. Der Zorn dieses gestrengen Herrn hat etwas ungemein Komisches.


Der größte Kentucky-Jäger. Ein Deutscher, Eckmann, der 1830 Deutschland verließ, kam schon ein Jahr darauf nach dem wilden Theile Amerika’s, dem wegen der Grobheit und Stärke seiner Bewohner sprüchwörtlich gewordenen Kentucky. Hier lebte er seit 20 Jahren ununterbrochen als Jäger, oft Monate lang ohne ein anderes Nachtlager, als die Erde, zugedeckt mit der sterngestickten Himmelsdecke. Während der Zeit hat er 38 Bären, 984 Wölfe, 5847 wilde Tauben, 990 Füchse, 961 wilde Gänse, 2040 wilde Fasanen, 44 wilde Schweine, 80 wilde Katzen, 14 Iltisse, 200 wilde Kaninchen, außerdem ungezählte Eichhörnchen, Wachteln und Geflügel aller Art erlegt und damit ein baares Vermögen von 12,000 Dollars verdient.


Aristokratische Neigungen der pariser Lumpensammler. Die pariser Lumpensammler bilden eine eigene und ziemlich zahlreiche Zunft, welche durch ihre Beschäftigung zwar auf der niedrigsten Stufe der Gesellschaft steht, gleichwohl aber höchst merkwürdig auf Etikette und Beobachtung der Rangunterschiede unter sich hält. Die ganze ehrenwerthe Brüderschaft pflegt in einem besondern, nur von ihr allein besuchten Lokale zu verkehren. Dies liegt in der Nähe der Barrière von Fontainebleau und trägt den Namen: „Zu dem dreifarbigen Topfe“ (au pot tricolore). Findet man aber auch in diesem Wirthshause keine andern Gäste, als Lumpensammler, so glaube man deshalb nicht, daß die verschiedenen Klassen derselben ihrem Range etwas vergäben, und sich demokratisch untereinander mischten, vielmehr halten sie so strenge auf die Rangesunterschiede, daß jede Klasse ihr besonderes Lokal hat, und ein Individuum einer niederen den Saal einer höheren kaum zu betreten wagt. Wie überall im Leben, so giebt auch hier der Besitz Anspruch auf einen höhern Rang in der Gesellschaft. Pairs-Kammer steht daher mit Kreide über der Thür des Saales geschrieben, zu welcher nur den Vornehmen der Zutritt gestattet ist, die sich im Besitze einen ganzen Korbes befinden, und den Unrath und den Kehricht mit einem Stocke durchsuchen, der in einen kupfernen Haken ausläuft. Dieser Saal sieht ganz leidlich aus, und ist sogar ziemlich anständig eingerichtet. Viel weniger läßt sich dies von der Deputirten-Kammer sagen, welche von solchen Lumpensammlern besucht wird, die zwar auch Körbe und Hakenstöcke besitzen, bei denen sich aber dieses Handwerkszeug nicht eben in dem zeigenswerthesten Zustande befindet. Dieses Gemach ist viel ärmlicher und unreinlicher, als die Pairs-Kammer, aber noch immer glänzend im Vergleich zu dem Proletarier-Verein, der untersten Klasse der Lumpensammler, gebildet von denen, die weder Korb noch Hakenstock besitzen, sondern mit einem kurzen gekrümmten Eisen den Unrath durchsuchen und Alles, was sie finden, in einen schmutzigen Sack stecken.

Unsere Lumpensammler gehören beinahe sämmtlich dieser letzteren Klasse an, und nur Wenige haben es bis zur Deputirtenklasse gebracht.


Im Lager von Varna oder Dever herrscht eine solche Langeweile, wie ein englischer Correspondent meldet, daß der Tag 52 und die Nacht 63 Stunden hat und zwei Romane, die sich mit in’s Lager gefunden haben, blätterweise von Hand zu Hand circuliren, so daß man aus der Noth eine Leihbibliothekstugend machend, fünf Bände zu einer ganzen Bibliothek gemacht hat, aus der die ganze Armee versorgt wird. Man hat in England jetzt Leihbibliotheks-Proviant bestellt, damit die Protektoren der Türkei, die nichts von den Russen befürchten, nicht von ihrer eigenen Langeweile getödtet werden, und so als moderne Kriegshelden der Civilisation fallen.


Arbeit und Lohn in Canada. Das sich rasch in Cultur und Industrie erhebende Canada, worüber wir in den „Amerikanischen Briefen“ an Ort und Stelle den Lesern Näheres mitgetheilt haben und mittheilen werden, bezahlt die Arbeit so theuer, daß man vor der Hand kaum einen bessern Markt für gesunde Arme und heitere Kräfte, die nach Goethe „überall zu Hause sind,“ finden kann. Die Landbauern rauben beinahe die Arbeiter von den Eisenbahnen weg und geben ihnen, was sie nur verlangen, wenn sie nur arbeiten. In der Regel bekömmt ein gewöhnlicher Feldarbeiter 1 Dollar d. h. 1 Thlr. 10 Sgr. außer täglicher Kost und Wohnung. Jungen von 1[?] – 14 Jahren, Dienstmädchen bekommen außer Kost und Wohnung 7–8 Thlr. monatlich 16 bis 22 Schillinge). Was bei ihnen Kost ist, sah Jemand an dem Frühstück eines Pferdeknechts, welches aus folgenden Ingredienzien bestand: großes Stück Roostbeef, fünf ungeheuer große mehlige Kartoffeln, ein kleines Gebirge frische Butter, „zweimal dick ringsum“ Weißbrot und ein Nösel frische Milch von der Kuh.

Dieses Frühjahr kamrn 306 Irländerinnen von 14–15 Jahren in Tarrato an und waren in 1/2 Stunde alle weg wie warme Semmel für 6–7 Thaler monatlich, Kost und Wohnung. Eine Liste der Arbeitspreise aus den Vereinigten Staaten enthält für Tischler 6–9 Schillinge täglich d. h. bis 3 Thaler, ebenso Maurer und Zimmerleute, Maler bis 12 Schillinge, Handwerker aller Art von 4 bis 10 Schillinge und mehr täglich, je nach dem „Angebot“ und der „Nachfrage.“ Im Süden sind die Löhne zum Theil noch höher. Freilich richten sich die Ausgaben auch danach. Wohnungen sind im Durchschnitt das Theuerste, besonders kleinere. Kost und Logis wird oft wöchentlich mit 4–5 Thaler bezahlt. Ein Haus mit 6 Zimmern kostet in großen Städten bis 30 Thaler monatlich, hier und da mehr. Kleinere Häuser sind selten und deshalb fast eben so theuer. Dies gilt natürlich blos von den großen Städten. Auf dem Lande und weiter in’s Innere hinein ändert sich Alles. Wer dort auch die wohlfeile Miethe sparen will, hackt sich in kurzer Zeit aus Urwaldsholz eine gemüthliche Hütte zurecht und lebt glücklicher darin wie ein König in seinen Schlössern und Steinburgen.


Wallachische Schönheiten. Die Wallachei ist voller Schönheiten. Wir meinen natürlich nicht politische, die in verschiedenen Invasionen und Besetzungen von Außen, in Tyrannei und Erpressung aller Art im Innern bestehen, auch nicht die wilden Naturschönheiten nach den Karpathen herauf, die Gebirge mit Wasserfällen, Bären, weißen Adlern, Wölfen, Räubern und abenteuerlichen Kämpfe mit Natur und Menschen, sondern schöne Menschen, deren es unter den Männern sowohl, als besonders unter den Frauen und Mädchen wahre Ideale geben soll. Personen, die in Bucharest, der „Stadt der Freude“ gewesen sind, stimmen alle in dem Lobe des schönen Geschlechts überein. Hier findet man die schönen Töchter und Frauen des Adels am Dichtesten und Gebildetsten oft neben Männern, aus deren langen Bärten sich römische Kraft und griechische Schärfe im Gesichtsausdruck hervordrängen. Die Wallachen sind Ueberbleibsel der alten Roma und nicht wenig stolz auf diesen Stammbaum, so wenig Früchte die neuere Politik auch daran wachsen ließ.

Die schönsten Mädchen aber wohnen in der von der Corruption in Bucharest und der Politik noch nicht erreichten Gegend an der serbischen Gränze, zwischen Dregio und Tschernecz am rechten Ufer der Donau. Dr. Gerber aus Dresden, der sich auf seiner wissenschaftlichen Reise durch Ungarn, Serbien, die Türkei, den Libanon, Aegypten u. s. w. am Längsten in Serbien aufhielt, versichert, daß er dem waldigen, üppigen Gebirgszuge der klein-wallachischen Donau gegenüber, in und um Negotin, Rodajevatz, Sokol, Statina, Palanka bis Glodpova hinunter ein Menschenschlag tanze und singe und sich des Lebens freue, der in seiner Schönheit des schönen Geschlechts Alles übertreffe, was er je von griechischer antiker Schönheit gesehen und geträumt habe. Vormittags amusiren sich die Leute etwas mit Feldarbeit, da die Natur hier keine mühsame Hülfe bedarf, Nachmittags tanzen und singen und spielen sie unter grünen Bäumen in der würzigsten, duftigen Luft, und hochgeröthet von Tanz und Uebermuth sprangen die Schönsten der Schönen oft in sein Zimmer herein, rissen ihm Bücher und Feder weg und transportirten ihn gewaltsam, wie Nymphen, die den schönen Hylas entführen, auf ihren Tanzplatz, wo sie ihn zwangen, tüchtig seine Tanzkunst zu exerciren und nach ihrer Weise zu reformiren. Das Schönste in diesen täglichen Volksfesten sind ihre Gesänge in einer Sprache, die an Wohllaut eben so alle modernen Sprachen übertrifft, wie diese Serbierinnen alle Schönheiten der Welt. Die jetzt deutsch vorliegenden serbischen Volkslieder können natürlich keine Ahnung von dem zauberischen Wohllaute der Ursprache, noch weniger von der Schönheit und den Reizen der Sängerinnen geben, die dazu tanzen und sich necken und allen möglichen Uebermuth treiben. Ihr Anzug ist dabei eben so lebensfreudig, als malerisch und geschmackvoll.


  1. Siehe Gartenlaube Nr. 7. unter Blätter und Blüthen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: das