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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[215]

No. 19. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Der Bürge.
Ein Zeitbild aus der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts.

Wenn im Jahre 1558 in Bautzen, der alten Hauptstadt der damals zum Königreiche Böhmen gehörigen Oberlausitz, irgend ein toller Streich ausgeführt worden war, der nicht allein öffentliches Aergerniß gegeben, sondern oft auch die Bewohner der Stadt in Angst und Schrecken versetzt hatte, so konnte man sicher darauf rechnen, daß ein Mann dabei mit thätig gewesen war, der unter dem Namen des tollen Barthel oder auch des polnischen Studenten im Munde des Volkes lebte, und als solcher in allen Chroniken der Stadt zu finden ist. [1] Nun gab es zu jener Zeit, wo nach Heimathsschein und Vermögensverhältnisse nicht gefragt wurde, in allen reichen und mächtigen Städten – und zu diesen gehörte auch Bautzen vor dreihundert Jahren – eine Menge Abenteurer und Parteigänger, die bei den fortwährenden Fehden, welche Fürsten, Bischöfe und Städte unter einander führten, stets bereit waren, zu Lanze und Schwert zu greifen, und für die Stadt, in welcher sie auflagen, in’s Feld zu ziehen, dabei vor Allem aber zuerst sich selbst zu bedenken, und aus den Truhen und Schränken der Bürger und Landleute, zu deren Schutz sie ausrückten, ihre Säckel zu füllen. Diese Art Glücksritter fanden vorzugsweise in der Lausitz am Längsten Aufnahme und Duldung, denn während in allen übrigen Gauen Deutschlands die Macht des rauflustigen Adels längst gebrochen war, trieben, von den Streitigkeiten begünstigt, in welchen die Städte der Lausitz fortwährend mit den Königen von Böhmen, mit den Churfürsten und Herzögen von Sachsen und mit den Bischöfen von Meißen lebten, die böhmischen und lausitzer Junker nach wie vor das Faustrecht, und niemals ärger als in der Zeit, in welcher die Sechsstädte bei dem Kaiser Ferdinand I., der zugleich König von Böhmen war, in Ungnade gefallen waren, eine Zeit, die unter dem Namen des Pönfalles genügend historisch bekannt ist, und über welche wir nur wenige Worte erläuternd hier einschalten wollen.

Schon längst war die Macht und der Reichthum der lausitzer Städte dem Kaiser Ferdinand I. ein Dorn im Auge gewesen, so wie die katholische Geistlichkeit denselben bitter wegen der immer mächtiger in der Lausitz sich verbreitenden neuen Lehre grollte, und es bedurfte daher nur der wiederholten Beschwerde der dem Kaiser ergebenen Ritterschaft, daß in den Sechsstädten das Werben für den schmalkaldischen Bund, trotz kaiserlichen Verbotes, stark betrieben werde, sowie der Klage, daß dieselben dem Befehle des Kaisers, Söldner und Geschütz zur Entsetzung des von den protestantischen Truppen belagerten Klosters Dobrilugk zu senden, nicht Folge geleistet hätten. – Nun war allerdings für den schmalkaldischen Bund und für den geächteten Churfürsten Johann Friedrich von Sachsen in der Lausitz offen und ungescheut geworben worden, aber trotzdem hatten die Städte sich nicht geweigert, dem Kaiser zu drei verschiedenen Malen Mannschaften und Geschütz zu senden, welche jedoch stets nur auf zwei Monate gedungen waren, und zurückberufen wurden, als das barbarische Hausen der spanischen Hülfsvölker in der Niederlausitz die Sechsstädte nöthigte, ihre Kriegstruppen zur eigenen Sicherheit in ihren Mauern zurückzubehalten. Als aber jene mord- und beutegierigen Horden Spaniens sich aus der Lausitz entfernt hatten, war auch das städtische Contingent von Neuem wieder ausgerüstet und nach Dobrilugk gesendet worden, um dort mit der kaiserlichen Armee sich zu vereinigen. Allein dort hatten Kaiser Ferdinand’s Kriegshauptleute dieselben mit dem Bedeuten zurückgesendet, man bedürfe ihrer nun nicht, die Strafe aber werde den Städten wegen deren trotzigen Ungehorsams auf dem Fuße folgen. Und diese Strafe bestand in nichts Geringerem, als daß sämmtlichen Städten der Oberlausitz durch einen Gewaltstreich des Kaisers all’ ihre Privilegien und Freiheiten für null und nichtig erklärt wurden, daß ihnen all’ ihre Stadt-, Lehn- und Landgüter entzogen, ihre Kirchen, Kleinodien, Geldbriefe und Stiftungseinkünfte mit Beschlag belegt, ihr sämmtliches Geschütz nebst Munition an kaiserliche Feldhauptleute abgeliefert und ihnen zur Eintreibung hoher Strafgelder starke Besatzung aufgezwungen wurde. Die Deputirten, welche die durch diese grausamen Gewaltthätigkeiten ruinirten Städte nach Prag an den Kaiser schickten, um ihre Unschuld zu beweisen und um Milderung dieser harten Strafe zu bitten, wurden in die Kerker geworfen und nur nach Erlegung hohen Lösegeldes ihrer Haft nach geraumer Zeit entlassen, den Städten aber erst nach eilf Jahren nach und nach ihre ihnen entrissenen Privilegien und Güter zurückgegeben.

Während dieser Zeit des Pönfalles hatten böhmische und lausitzer Ritter die fast schutzlosen Städte ärger als je heimgesucht, und deren ohnmächtigen Grimm auf offnem Markte gespottet; [2] – als aber die Städte nach und nach wieder zu ihrer früheren Macht gelangten, boten sie all’ ihre Kräfte auf, um sich an dem übermüthig gewordenen Adel zu rächen, und dem Unwesen der Stegreifritter ein Ende zu machen.

[216] Unter die Söldnerschaar, welche die Stadt Bautzen zu ihrer eigenen Vertheidigung hielt, hatte sich auch ein Pole, Namens Bartholomäus Wranitzky auf ein Jahr anwerben lassen, welcher im Gefolge des Königs Sigismund II. von Polen den 12. Februar 1556 nach Bautzen gekommen und dort zurückgeblieben war, als der Polenkönig seine Reise weiter fortgesetzt hatte. Wranitzky nannte sich einen Edelmann und nahen Verwandten des Fürstbischofs von Krakau, gab vor, in Wilna Medizin studirt zu haben, daher er auch den Namen des polnischen Studenten erhalten hatte, seiner mehrfach schon verübten losen Streiche wegen aber auch der tolle Barthel genannt wurde. Eine Zeit lang hatte er mit Hülfe eines gefüllten Seckels in Bautzen ein wildlustiges Leben geführt, dann aber unter den Defensionern Dienst genommen, und sich in einer Fehde Bautzens gegen die Junker von Crosta und Cottwitz insofern um die Stadt verdient gemacht, als er einen der reichsten Rathsherren der Stadt, den Lederhändler Matthias Pribus, aus den Händen der Feinde befreit hatte. Dieser tapfern That wegen ließ der Magistrat dem Polen manch leichtfertigen Streich ungeahndet hingehen, und der durch ihn gerettete Rathsherr hatte zu wiederholten Malen den stets leeren Geldbeutel seines Retters mit ungarischen Gulden gefüllt; als aber fast keine Woche verging, in welcher nicht Klagen gegen Wranitzky beim Magistrat einliefen, da ersterer aus dem Dienste der Defensioner getreten war, und nun auf Kosten des geretteten Lederhändlers lebte, der Gerettete aber nachgerade der Brandschatzungen seines Retters müde wurde, da beschloß der Stadtrath, bei der nächsten Beschwerde, welche gegen den Polen laut werde, denselben hart zu strafen und dann für immer aus der Stadt zu verweisen.

Und auf einen neuen Unfug, welchen der Pole ausüben würde, sollte der Stadtrath gar nicht lange warten, und zwar einen Unfug der Art, daß des Magistrats Ansehen diesmal beim Volke gewaltig darunter gelitten hätte, wenn man nicht mit Strenge gegen den Frevler verfahren wäre, obgleich nicht verhindert werden konnte, daß durch denselben zu einem Sprüchworte Veranlassung gegeben worden war, welches sich bis in die neueste Zeit in der Lausitz erhalten hatte.

Wranitzky war nämlich von Neuem wieder tief in des Rathsherrn Schuld gerathen, und dieser, welcher vor Kurzem erst durch zwei seiner ältesten Diener auf arge Weise an Geld und Leder bestohlen worden war, hatte diesmal nicht die geringste Neigung, sich gegen seinen Lebensretter nachsichtig zu zeigen, und ihm sogar gedroht, daß wenn er mit der versprochenen Rückzahlung nicht zum festgesetzten Termine Wort halte, er sicher darauf rechnen könne, auf längere Zeit sein Quartier im Schuldthurme zu finden.

Nun wußte der Pole recht gut, daß wenn sein Gläubiger Strenge gebrauche, er auf Mitleid für seine Person von Seiten der übrigen Rathsmitglieder nicht hoffen dürfe, zumal ihm der regierende Bürgermeister Wolf Mühlhof vor allen Andern am Wenigsten gewogen war, da er diesem eines seiner schönsten und theuersten Rosse durch Quacksalberkur hingeopfert; eben so genau war es ihm bekannt, daß der Schließer im Lauenthurme seinetwegen von der vorgeschriebenen Gefangenkost nicht abgehen werde, und er selbst zu einer Wasserkur nicht die geringste Neigung verspürte; er befand sich daher zum ersten Male in der guten Stadt Bautzen in der unangenehmen Lage, Geld zu schaffen, oder in den Schuldthurm zu wandern.

Befangener als je ging er diesmal am Zahltage zum Rathsherrn, dem er wiederholt hoch und heilig schwor, daß sein Oheim, der Fürstbischof, ihm in den nächsten Tagen zweihundert ungarische Gulden senden werde, wie ihm bereits von Krakau aus gemeldet worden sei, da er zu einer Stelle an König Sigismund’s Hofe für würdig befunden worden wäre, und daß er von diesem Gelde sofort seine Schuld abtragen und dann dieser undankbaren Stadt für immer Valet sagen wolle. Allein der mit Leder handelnde Rathsherr, noch tief entrüstet über die Untreue seiner Diener, war diesmal noch zäher als seine Waare, welche in Ballen hoch aufgethürmt seine Lagerhäuser füllte, und wies alle Versprechungen des Polen hartherzig zurück. Als dieser nun ihm vorwarf, daß er ihn aus den Händen der Raubritter befreit und doch wohl bessern Dank verdient habe, als durch seine Härte Quartier im Lauenthurme zu nehmen, entgegnete der Rathsherr grollend:

„Ei, hättet Ihr mich doch den Krautjunkern überlassen, ich wäre sicher für ein billigeres Lösegeld wieder frei geworden, als ich Euch bereits gezahlt, und habe daher keine Lust, Euch länger zu borgen, noch mich von Euch brandschatzen zu lassen.“

„Aber bedenkt doch,“ sprach so ernst als möglich Wranitzky, „wie leicht hätte Euch damals einer dieser wilden Schnapphähne den Garaus machen können, wenn ich nicht mein Leben für das Eure gewagt?“

„Das habt Ihr mir nun schon unzählige Male vorgerückt und allemal, wenn Ihr zahlen sollt oder frisch borgen wollt!“ rief der Lederhändler erzürnt. „Nun und wenn dies geschehen wäre, so wäre ich ohne lange Qual aus der Welt geschieden, während Ihr mich täglich peinigt und die Schmach, von meinen vertrautesten Dienern mich bestohlen zu sehen, hätte ich nicht erlebt. Aber diese Schurken trifft ihr Lohn, denn binnen drei Tagen knüpft sie Hans Hämmerling auf, und ich glaube nicht, daß die Welt viel verliert, wenn Ihr meinem getreuen Buchhalter und dessen Spießgesellen Gesellschaft leisten wolltet.“

„Beim heiligen Bartholomäus, meinem Schutzpatron!“ polterte jetzt der Pole, sich beleidigt stellend. „Ihr seid ein hartherzig grober Patron, der völlig vergessen hat, daß er mir sein elendes Krämerleben dankt, und nicht daran denkt, daß er es mit einem Edelmann zu thun hat. Wahrlich, Ihr verdientet eine derbe Lection, damit Ihr Euch künftig besser gegen Leute meinen Standes benehmt, und bitter bereue ich, Euch nicht in den Händen der Plackers gelassen zu haben.“

„Was, Ihr Strolch, der sich einen Edelmann nennt, obwohl man dies eben so wenig weiß, als ob man sagen kann, daß Euer Vater ein Troßbube und Eure Mutter eine feile Metze gewesen sei!“ schrie in heftigen Zorn ausbrechend der Rathsherr. „Ihr wollt mir drohen und mich in meinem eignen Hause verunglimpfen? Den Augenblick packt Euch fort oder ich lasse Euch von meinen Knechten auf die Straße werfen!“

„Ist dies Euer letztes Wort?“ frug drohend der Pole und stampfte [darauf] gewaltig mit seinem verrosteten Ritterschwerte klirrend auf das Holzgetäfel des Fußbodens.

„Mein letztes mit Euch!“ entgegnete kalt der Rathsherr. „Entweder Ihr zahlt binnen drei Tagen, oder stellt mir einen sichern Bürgen, was Ihr jedenfalls nicht könnt, oder wandert in den Lauenthurm, um über Euern Stammbaum nachzudenken.“

„Also einen Bürgen nehmt Ihr an?“ frug höhnend Wranitzky. „Nun gut, den sollt Ihr haben und sollte ich ihn Euch vom Galgen holen!“ und spöttisch lachend verließ er des Rathsherrn Gemach.


In jenen unruhigen Zeiten, in welchen Abenteurer wie Wranitzky oft Jahre lang in einer Stadt auflagen und wenn Gefahr drohete, Monate lang als deren Söldner dienten, dann aber, wenn diese beseitigt, wieder als Spieler und Raufbolde ihr wüstes Leben fortführten, bis heimliche Flucht, Gefängniß und schimpfliche Ausweisung diesem Treiben ein Ende machte, wechselte die gesicherte Ruhe auf Markt und Straßen sehr oft unerwartet mit dem wilden Lärm kriegerischer Rüstungen und die Bürger, die wenig Augenblicke vorher nicht das geringste Unheilvolle ahnend, in ihren Werkstätten gearbeitet, mußten plötzlich Hammer und Pfeile, Hobel und Nadel wegwerfen, wenn die Lärmtrommel ertönte, um sich zu waffnen und ihren Sammelplätzen zuzueilen zur Vertheidigung der Stadt und des eigenen Herdes, denn gar oft und bald wurde die erstere von einem feindlichen Ueberfalle bedroht, oder fremde Truppen, denen der Durchzug gestattet, übten so rohe Gewaltthätigkeiten auf dem der Stadt gehörigen Gebiete oder auch im Innern derselben aus, daß der Magistrat sich genöthigt sah, mit bewaffneter Hand einzuschreiten, um sich von den Plagereien einer solchen zügellosen Sodateska zu befreien.

Eine so unverhoffte Störung der innern Ruhe erfuhr auch Bautzen an demselben Tage, an welchem Wranitzky, mit sich und der Welt zerfallen, den Rathsherrn verlassen hatte und nun seiner Herberge zum goldenen Lamm zuschritt, in welcher ebenfalls ein immer peinigender werdender Gläubiger, der Wirth, den Polen schon seit mehreren Tagen mit Verweigerung fernerer Aufnahme und Zurückhaltung der [nöthigsten] Zehrung bedroht hatte, wenn nicht bald durch eine frische Geldsendung aus Krakau die Schuld desselben auf dem Kerbholz des Wirths verwischt wurde. Aber aus Krakau, das wußte Wranitzky sehr genau, da kam sicher nichts zu seiner Hülfe, denn die Geldsummen, mit welchen er geprahlt, [217] als seien diese ihm von dorther gekommen, die hatte er entweder im Spiel gewonnen oder durch irgend einen glücklichen Zufall, wo nicht durch einen tollen Gewaltstreich erpreßt oder erborgt. Jetzt aber, wo sein Credit längst überall zu Ende, der Rathsherr und Wirth nicht länger borgen und mit der Zahlung sich gedulden wollten, und eine Fehde der Stadt, wo vielleicht etwas zu erschnappen sei, auch nicht in Aussicht stand, jetzt sah der Pole wohl ein, daß er entweder noch vor Ablauf des dritten Tages die Flucht ergreifen oder in den Schuldthurm wandern müsse. Mit diesen Betrachtungen beschäftigt, schritt Wranitzky seiner nah am Gerberthore gelegenen Herberge zu und schon wollte er in dieselbe eintreten, als plötzlich das Jammergeschrei mehrerer Landleute, die in ängstlicher Hast sich zum Gerberthore hereindrängten, seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Er eilte den nach der innern Stadt Flüchtenden entgegen, denen in immer stärkern Haufen die Bewohner der umliegenden Dörfer folgten, und erfuhr, daß ein feindlicher Reiterschwarm gar übel vor den Thoren der Stadt hause und bald auch in dieselbe eindringen werde. Zu gleicher Zeit rief von der Ortenburg herab die Lärmtrommel Bautzens Bürger zu den Waffen, und der Anblick der mit ihrem Viehe und den in Eile zusammengerafften Habseligkeiten in die Stadt flüchtenden Landvolke, so wie der mit den Waffen herbeieilenden Bürger, in deren Gesichtern zum großen Theil statt kecker Muth nur Furcht und Bestürzung zu lesen war, ließ den mit seiner eigenen Flucht beschäftigt gewesenen Polen das Unangenehme seiner Lage vergessen, und seinen tollen wilden Muth wieder findend, eilte er dem Thore zu, dessen schwache Besatzung durch ein Fähnlein Defensioner verstärkt wurde, welchen er sich anschloß, da er stets mit einem großen Schlachtschwert gewappnet einherging, und Alles, was er sein Eigenthum nannte, bei sich trug.

Er hatte noch nicht lange bei der Besatzung des Thores verweilt und sich schon der frohen Hoffnung hingegeben, daß die Stadt in irgend eine Fehde verwickelt und unter solchen Umständen der Rathsherr und Herbergswirth auf längere Zeit mit ihren Forderungen zurücktreten würden, als ein die braunschweigschen Farben tragender Kriegshauptmann nebst einem Trompeter sich dem Thore näherte und im Namen des Herzogs von Braunschweig Einlaß und Durchzug eines gegen tausend Mann starken Reiterhaufens verlangte, welche auf Kosten des Herzogs gegen die Türken geworben worden waren und nun bei Leipzig sich mit denjenigen Heerhaufen vereinigen sollten, welche der Churfürst August von Sachsen dem Kaiser Ferdinand I. zu Hülfe sendete.

Dieses Reitergeschwader war nun mit den Bewohnern derjenigen Dorfschaften, welche es auf seinem Zuge berührt, nicht eben glimpflich verfahren, und die Landleute der Bautzen nahe gelegenen Dörfer, noch ärgere Gewaltthätigkeiten befürchtend, hatten daher sich in die befestigte Stadt geflüchtet, noch ehe die Reiter dieselbe erreichten und nun, den Fliehenden auf dem Fuße folgend, das Oeffnen der Thore derselben verlangten. Der Magistrat, welcher durch Aufstellung von zweihundert Hakenschützen und achthundert Mann bewaffneter Bürger von dieser Reitertruppe für die Sicherheit der Stadt nichts zu fürchten brauchte, ließ, um der Entwicklung seiner Macht die nöthige Zeit zu gönnen, den Kriegshauptmann eine geraume Zeit warten, ehe die Antwort durch Oeffnen des Gerberthores erfolgte, durch welches diesen Truppen der Zug durch die Stadt gestattet wurde, auf deren Marktplätzen die Reiter auf einige Stunden absaßen und einen Imbiß gereicht erhielten, während die Befehlshaber derselben die Einladung erhielten, im Rathskeller als Gäste des Magistrats sich zu betrachten, und von wo aus an die Reiterhaufen der Befehl erging, die außerhalb der Stadt liegenden Dörfer als Nachtquartier zu wählen und strenge Mannszucht zu halten; eine kleine Abtheilung Reiter nebst den vornehmsten Führern und deren Bedienung erhielt Quartier in den Herbergen der Stadt, und nach wenig Stunden war die Ruhe in- und außerhalb Bautzens wiederhergestellt, nur erhielt, so lange die Reitergeschwader in der Nähe, die bewaffnete Stadtmacht die Weisung, jeden Augenblick gewärtig zu sein, auf ihren Sammelplätzen erscheinen zu müssen.

Höchst unzufrieden mit diesem ruhigen Verlauf des Truppendurchzugs schritt Wranitzky beim Herannahen der Nacht seiner Herberge zu, in welcher ein Werbeoffizier nebst einem Stallmeister der fremden Reiter Platz genommen, und Letzterer sich in den Besitz des von dem Polen bisher bewohnt gewesenen Gemachs befand, da der Wirth das blanke Gold der fremden Gäste den Vertröstungen des zahlungsunfähigen ältern Gastes vorgezogen hatte, und diesem, welcher unwillig über diesen Eingriff in seine Gerechtsame, den Wirth frug, was dies bedeuten solle, ziemlich barsch andeutete, daß er heute im Stalle mit einer Lagerstätte vorlieb nehmen müsse, morgen aber die Herberge zu seiner Aufnahme verschlossen finden würde.

Wranitzky, ohnedem schon unwirsch und zu Händeln aufgelegt, gerieth über dies Gebahren des Wirths in heftige Wuth und schwur hoch und theuer, diesen Schimpf blutig zu rächen, stürmte dann, den Wirth bei Seite werfend, nach seinem Gemache, aus welchem eben der braunschweigische Stallmeister trat. Aber kaum hatte der Pole den Fremden erblickt, als er das schon gezogene Schwert in die Scheide zurückstieß und auch der Stallmeister nun im Tone freudiger Ueberraschung ausrief:

„Wranitzky! Ihr hier?!“

„So ist’s!“ entgegnete dieser und wechselte mit dem Stallmeister einen herzlichen Händedruck.

„Aber warum war denn Euer Schwert so schnell aus der Scheide auf dem Wege zu mir,“ fuhr lächelnd der Stallmeister fort. „Wolltet Ihr hier oben in diesem Dachsbau einen Gang auf Leben und Tod versuchen, wenigstens saht Ihr grimmig genug aus, als ich Euch soeben erblickte.“

„Daran ist dieser Schuft von Wirth schuld,“ rief Wranitzky, und warf einen Blick finstern Grolles auf den Herbergsbesitzer. „Er hatte mein Gemach ohne mich zu befragen, Euch überlassen und ich war eben im Begriff, den neuen Bewohner aus demselben zu vertreiben, als ich Euch, einen alten, treu bewährten Freund erblickte, dem ich es ohne Händel nun überlasse.“

„Und der es mit Euch theilen wird, wie wir so manch ärmlich Lager getheilt, denn weichlicher seid Ihr nicht geworden, das sehe ich an diesem Schlupfwinkel, in welchem Ihr Euch eingemiethet,“ lachte der Stallmeister.

„Ich werde sogleich Decken besorgen, um ein zweites Lager da drinnen aufzuschlagen,“ bemerkte nun der Wirth, froh, daß durch die von ihm dem Polen zugefügte Beleidigung keine Händel mit dem Fremden herbeigeführt worden waren, und entfernte sich, der Stallmeister aber ergriff Wranitzky’s Arm und zog diesen in die Gaststube, um mit demselben hinter einem Kruge Meth sich des unverhofften Wiedersehens zu erfreuen.

Als daher die Schaarwache Abends zehn Uhr den Bewohnern der Herberge anbefahl, sich zur Ruhe zu begeben und nur der Wirth noch in Haus und Hof nachsah, ob Thür und Thor gut verschlossen, da saßen die beiden Freunde noch in traulichem Gespräch hinter dem schon mehrmals frisch gefüllten Methkruge.

„Bei meinem Schutzpatron,“ sprach jetzt Wranitzky mit einem Anfluge bitterer Wehmuth, „ich hab’ wahrhaftig mich nicht zu beklagen, daß mir das Glück auf den Fersen folgt, denn Ihr könnt mir’s bezeugen, alter Freund, wie hochgeachtet ich stand, als wir uns trafen im Hoflager des Königs Sigismund. Und jetzt, jetzt sehe ich in diesem erbärmlichen Krämerneste dem Schuldthurm entgegen, in welchen mich ein Gläubiger senden will, der, wenn ich ihn nicht gerettet, längst der Würmer Speise geworden wäre. Ha, wüßte mein fürstlicher Oheim dies, er würde in dieser schmachvollen Lage nicht länger den letzten Sproß unseres altadeligen Geschlechts verkümmern lassen.“

„Hört, Wranitzky.“ entgegnete der Stallmeister ernst, „ich habe Euch vor zwei Jahren kennen gelernt als ein junges, lustiges Blut, dessen Geldsäckel all seinen Freunden offen stand, und auch mir, der ich in preßhaften Verhältnissen in Eurem wilden Polenlande mich befand und dort hülflos von meinem damaligen Herrn, dem Grafen von Hoya, zurückgelassen worden war. Ihr habt mir dort redlich beigestanden, und mir viel erzählt von Eurem hohen Adel und mächtigen Verwandten, aber seht, ich habe Euch damals schon gesagt, daß Ihr ein toller Narr seid, der in’s Blaue hinein lebt und sich mit solchem Blendwerk brüstet, und auf einen Fürstbischof pocht, der gar nicht als Oheim für Euch vorhanden.“

„Bei meinem Schwerte!“ fuhr der Pole auf und wollte sich vertheidigen.

„Bleibt nur ruhig sitzen,“ entgegnete lachend der Stallmeister. „Mir macht Ihr es doch nicht glaubend, und selbst wenn ich Euch den Gefallen thun wollte, Eure Hirngespinnste für Wahrheit zu nehmen, was würde es Euch helfen? Nichts! Denn wenn Ihr bis übermorgen nicht zahlen könnt, so wirft man Euch, ohne sich um Euern Adel und Euern Oheim zu kümmern, in den Schuldthurm.“

[218] „Verdammt sei dieses Gesindel!“ grollte Wranitzky und that einen langen Zug aus dem frisch gefüllten Kruge.

Der Stallmeister schwieg, als erwarte er eine Antwort seines Gefährten; als dieser aber stumm vor sich hin sah, fuhr er fort: „Wißt Ihr was! Ich selbst bin nicht so reich mit Gold versehen, um Euch aus Eurer Peiniger Händen zu befreien, was, nebenbei gesagt, auch eine Thorheit wäre, denn was Ihr hier schuldet, habt Ihr gewiß zehnfach zu verdienen gegeben, und den Lederhändler dürft Ihr gleich gar nicht bezahlen, denn der ist Euch mit Allem, was sein ist, dankbar verpflichtet.“

„Das meine ich eben auch,“ murmelte der Pole.

„Nun hört weiter!“ begann der Stallmeister wieder. „Morgen sollt Ihr also zahlen, oder den Tag darauf in’s Gefängniß wandern. Nun seht, da bin ich, dächte ich, gerade zur rechten Zeit gekommen, um Euch zu retten. Morgen trifft von Löbau noch eine Koppel Pferde hier ein, die ich mit meinen Leuten den Truppen bis Leipzig nachführe. Ich bleibe daher morgen Nacht noch hier, breche aber übermorgen Vormittag auf, um meine Reise fortzusetzen. Der Werbeoffizier, welcher hier mit einquartirt ist, begleitet mich mit seinen Reitern als Bedeckung. Wie wäre es nun, wenn Ihr Euch anwerben ließet als braunschweigischer Reitersmann und uns folgtet, oder noch besser, wenn Ihr Euch morgen Abend aus der Stadt entferntet und im nächsten Dorfe Euch aufhaltet, bis wir des Weges vorüberziehen?! Ein gutes Roß sollt Ihr finden, und bis zum Rottmeister werdet Ihr’s bald bringen, auch könnt Ihr ja Glück und Ehre erlangen im Feldzuge gegen die Ungläubigen, während Euch hier nichts als Schimpf und Schande erwächst!“

„Topp, es gilt!“ rief der Pole nach einer kurzen Pause finstern Nachdenkens, und schlug in die dargereichte Hand den Stallmeisters. „Ich ziehe mit, aber gedenken muß ich es diesem Schurken von Rathsherrn, der so gänzlich vergessen, was ich für ihn gethan.“

„Das ist Eure Sache,“ entgegnete der Stallmeister. „Ich helfe Euch, wie Ihr mir geholfen. Nur vergeßt nicht, Euch übermorgen außerhalb der Stadt finden zu lassen.“

„Habt keine Sorge, ich werde zur rechten Zeit bei Euch sein,“ bemerkte Wranitzky, und setzte dann mit einem halb unterdrückten Seufzer hinzu: „obgleich ich gestehe, daß mir an einem Zuge gegen die Türken wenig gelegen, und mir die Fehden der Städte mit den rauflustigen Junkern der Lausitz und Böhmens gar nicht übel behagten. Aber Ihr sollt mich finden, nur rächen muß ich mich, und auch an Diesem Gauch von Wirthe, der so oft meinen Seckel geleert hat, und nun ich am Teiche Bethesda sitze, mich hinauswerfen wollte aus seiner Spelunke; wahrlich, der Kerl verdiente den rothen Hahn auf’s Dach, ehe ich abziehe.“

In diesem Augenblicke kehrte der Wirth von seiner Runde zurück, und sichtbar zufrieden, die beiden Männer im freundschaftlichen Einverständniß zu finden, aber auch wünschend, daß bald Ruhe im Hause werde, wollte er diese eben ermahnen, ihr Lager zu suchen, als der Pole aufsprang und den leeren Methkrug dem Wirth mit den Worten hinreichte:

„Hört, Ihr ungewaschener Gesell, bringt uns noch einen Nachttrunk, und dankt dann dem Himmel in Eurem Kämmerlein, daß dieser wackere Mann mein langjähriger Freund ist, denn sonst möchtet Ihr wohl schwerlich mit heiler Haut davongekommen sein. Von diesem ritterlichen Freund könnt Ihr und andere Lumpen Euers Gelichters bestätigt hören, wie hoch ich jetzt noch geachtet bin an König Sigismunds Hofe, und welch Thor ich gewesen, fast zwei Jahre zu Eurer Stadt Heil und Rettung hier zu verweilen. Geht, armseliger Tropf, und bringt frischen Meth, daß ich die Galle hinunterspüle, die Eure Wucherfratze mir in den Hals hinauftreibt.“

Der Stallmeister, um diese Prahlerei zu unterstützen, ließ seine wohlgefüllte Geldbörse klingend durch die Hand gleiten, und sah halb lachend, halb grimmig dem Wirth dabei in’s Antlitz, so daß dieser kleinlaut entgegnete: „Ereifert Euch nur nicht wegen eines von meiner Seite begangenen Versehens, welches die mir so unerwartet über den Hals gekommene Einquartierung entschuldigen mag. Einen Krug Meth aber sollt Ihr als Nachttrunk erhalten, wie ihn der Kaiser nicht besser in seinem Keller hat, dann aber, edle Herren, begebt Euch zur Ruhe, ehe zum zweiten Male uns die Schaarwache daran mahnt.“

„Bringt den Schlaftrunk auf unser Gemach!“ befahl der Pole und verließ mit dem Stallmeister die Gaststube, um oben ungestört noch weiter mit dem zur glücklichen Stunde erschienenen Freunde zu plaudern und darüber nachzusinnen, auf welche Weise er sich an dem Lederhändler rächen solle vor seiner Flucht aus der Stadt.

(Schluß folgt.)




Malta.

Der Inselfels Malta, durch die Einschiffung der europäischen Truppen jetzt wieder in den Vordergrund getreten – eigentlich eine Gruppe von vier Inseln im mittelländischen Meere, Sicilien gegenüber – ist als einer der wichtigsten Punkte des Mittelmeeres stets ein Zankapfel seefahrender Handelsvölker gewesen. Von dieser natürlichen Meerfestung aus konnte man früher, als sich die Civilisation noch nicht über die Säulen des Herkules handelnd ausgebreitet hatte, den Völkern Europa’s, Asiens und Afrika’s Gesetze vorschreiben. Deshalb war Malta der Reihe nach immer im Besitz der seemächtigsten Nation, der Phönizier, Griechen, Römer, Spanier, Franzosen und Engländer. Letztere machten bekanntlich jetzt Malta zu ihrer Hauptstation für die nach der Türkei bestimmten Truppen und Schiffe. Malta ist in mehrfacher Beziehung ein Fels der orientalischen Frage, eine Garantie gegen russisches Uebergewicht auf der Südseite Europa’s. Charles Napier sucht diesen Felsen eben für die Nordseite.

Wir begnügen uns in historischer Beziehung zu bemerken, daß die St. Johannis-Ritter, von den Türken aus der Insel Rhodus vertrieben, von Karl X. Malta und die benachbarten Inseln als Asyl angewiesen bekamen und dort als Malteser-Ritter bald weit und breit berühmt und berüchtigt wurden, bis sie endlich von ihrem eigenen Großmeister an die Franzosen verrathen wurden (1798). Diese mußten im Jahre 1800 Malta an die Engländer abtreten, welche seitdem immer Meister derselben blieben und sie zum Hafen der Mittelmeerflotte gut zu benutzen verstanden. Napoleon der Große konnte es nie vergeben, daß er bei den Verhandlungen um Malta überlistet worden war. Und die russischen Czaren, welche die Malteser-Ritter seit Jahrhunderten reichlich unterstützt und eine Art Protectorat über Malta zu üben suchten (wie neuerdings über die Türkei), fühlten den Verlust am Stärksten und Nachhaltigsten, seitdem die Engländer dort herrschen.

Die Hauptinsel Malta, höchstens zehn Meilen im Umfang, verdankt ihre Wichtigkeit weder ihrer Größe, noch ihrem Boden, sondern blos ihrer Lage und Gestalt. Sie ist ein ungeheuerer Felsen von Magnesia-Kalk und auf der südlichen Seite so steil und unzugänglich, daß kaum eine Katze landen könnte. Die Felsen steigen fast schnurgerade 800 Fuß hoch aus dem Meere. An der südöstlichen Küste befinden sich die beiden Haupthäfen, blos durch eine etwa 3/4 Stunden lange Landzunge von einander geschieden. Am Ende dieses Vorsprunges erhebt sich die Schloßfestung St. Elmo und ein Leuchtthurm für beide Häfen, und in der 400 Fuß über den Meeresspiegel steigenden Mitte streckt sich la Valetta, die Cidatelle der Insel und der Sitz der Regierung empor. Zu der natürlichen Befestigung dieses Vorsprunges kommen die grandiosesten Fortificationen der Kunst, die größtentheiln von jenen soldatischen Mönchen des Johannes von Jerusalem – den Malteser-Rittern – aufgeführt wurden. Gegenüber erheben sich andere Befestigungen von ziemlich gleicher Kraft, worunter das Schloß St. Angelo, das den Eingang in den andern Hafen bewacht, mit seiner vierfachen Reihe von Kanonen sich wohl den meisten Respect verschaffen würde. Die Engländer fanden bei ihrer Besitzergreifung 800 Kanonen in den Fortificationen vor; doch damit nicht zufrieden, verdoppelten sie nicht nur deren Zahl, sondern ersetzten die alten auch durch neue, größere, weitertragende, so daß man wohl überzeugt sein kann, die Engländer werden diesen Schlüssel des mittelländischen Meeres nicht um den tausendfachen [219] Preis eines Schlüssels zur Bethlehems-Kirche von Jerusalem (dem früher angeblichen ersten Werkzeuge, das den Janustempel des europäischen Friedens schloß) herausgeben. Die andern kleinern Trabanten von Malta sind ebenfalls gut verbarrikadirt, so daß Engländer und Franzosen, jetzt im Verein – die Jahrhunderte lang sich bekämpfenden Feinde – eines festen Haltes in ihren Operationen zur Lösung der orientalischen Frage – vorläufig, wie es scheint, einer sehr Ruhe störenden Kanonenlösung – sicher sind. Malta ist das Depot und der Fels dieser Operationen.

Der größere der beiden Hafen ist einer der besten in der Welt. Er erstreckt sich östlich von la Valetta, etwa 3400 Yards lang und am Eingange 400 Yards breit und sonst im Durchschnitt von einer Breite von 450 bis 700 Yards. Das Wasser ist überall so tief, daß die größten Kriegsschiffe dicht unter den Bastionen von la Valetta Anker werfen können.

Malta.

Die beigefügte Zeichnung ist von einem englischen Maler an Ort und Stelle aus bedeutender Entfernung entworfen worden. Die klare Luft hindert auch in großer Ferne ein gutes Auge nicht, Festungswerke, Stadt, Schiffe und Gestadegrenzen in deutlichen Umrissen zu erkennen.

Natur- und Menschenleben auf der Insel bieten nichts besonders Anziehendes, da ersteres trotz der warmen lachenden Sonne durch Felsen, letzteres durch soldatische Etikette immer trocken gehalten wird. Als Hauptflottenstation bietet die Insel nur im Hafen großartige Scenen, die freilich nicht das Gefühl des Nützlichen, Produktiven und der Civilisation erwecken, wie die Häfen der Handelswelt. Es ist und bleibt peinlich, civilisirte Völker barbarischer Verhältnisse wegen so ernstlich mit Schießgewehren spielen zu sehen.




Kriegerleben in Algerien.
Von Julius v. Wickede.

Es war jetzt kaum eine Viertelstunde vergangen, daß die Chasseurs bei den ermordeten Grenadieren angekommen waren und trotz Hitze und Ermüdung, wollten sie sich eben mit Aufbietung ihrer letzten Kräfte anstrengen, die Spuren der Mörder zu verfolgen, um diese wo möglich noch einzuholen, als wieder ein Trupp Spahis in vollem Lauf ihrer Rosse angesprengt kam. Sie brachten eine versiegelte Meldung von dem Brigadegeneral, der den nächsten französischen Posten befehligte, und auch schon von dem Ueberfall unterrichtet war, an den Commandanten der Chasseurs, dem sie zugleich auch zur weiteren Verfügung gestellt wurden. Es war in dem Briefe ein förmlicher Operationsplan enthalten, um während der Nacht womöglich den feindlichen Kabylentrupp zu umzingeln und zu vernichten, zugleich aber auch der Befehl, daß die Chasseurs bis auf Weiteres hier lagern und während dieser Zeit die ermordeten Grenadiere möglichst sorgsam begraben sollten. So mußte denn der Durst nach Rache vorläufig noch aufgeschoben werden, was manchem gar zu ungeduldigen Chasseur gar nicht recht scheinen wollte, obgleich sie dadurch Hoffnung hatten, dieselbe auf sichere Weise befriedigen zu können. Mit regem Eifer machten die braven Bursche sich nun daran, mittelst ihrer Hirschfänger und einiger Feldbeile und Grabscheite, welche die Spahis mitgebracht hatten, eine weite Grube zu graben und da viele fleißige Hände sich dabei regten, so ward dieselbe noch vor dem bald einbrechenden Abend beendet. Sorgsam mit grünen Palmenblättern [220] und Myrthensträuchen, die an den Bergabhängen wuchsen, bedeckt, wurden die Leichen der vierzig ermordeten Soldaten nun in diese Grube gelegt und dann die Erde wieder darüber geschüttet. Zum Schutz gegen die vielen Schakals und Hyänen, die in der Gegend herumschwärmten und so gern die Leichen aus den Gräbern herauswühlten, wurden nun noch eine Menge großer Felsblöcke, die unweit davon lagen, auf diese Gruft gewälzt und dieselbe so möglichst zu schützen gesucht. In nächtlichem Dunkel mußte diese letzte Arbeit noch geschehen, so viel Zeit hatte das Graben der weiten Grube hinweggenommen. Eine dreimalige Salve aus den Büchsen von zwanzig Chasseurs krachte nun zum Schluß noch über dem Grabe und gab dem ganzen Begräbniß die letzte kriegerische Weihe. Wie manche Hoffnung der in Frankreich armen zurückgelassenen Mutter, die in dem ermordeten Sohn die letzte Stütze ihres Alters fand, mochte hier nun für immer mit Erde bedeckt sein.

Die Chasseurs hatten den ganzen Tag, außer hie und da etwas trocknen Schiffszwieback, noch nicht das Mindeste genossen und so war es denn jetzt ihre erste Sorge sich die Bivouakfeuer anzuzünden, um in den kleinen Feldkesseln etwas Reis und Hammelfleisch zu kochen. Lustig flammten denn auch bald die Feuer in den dunklen Abend hinein und der Rauch der großen Myrthensträuche, mit denen man dieselben, in Ermangelung von anderem Brennholz nährte, verbreitete einen gar eigenthümlichen Wohlgeruch. Fast wie in einer katholischen Kirche, wenn die Chorknaben den Weihrauchkessel schwenken, roch es an diesen Feuern in den fernsten Schluchten des Atlas-Gebirges. Eine außergewöhnliche Stille herrschte, aber sonst war von Lachen und Witzeleien und lustigem Gesang an diesem Abend auch nicht das Mindeste zu hören. Wie geht es sonst an den nächtlichen Bivouakfeuern der französischen Truppen in Algerien häufig so munter und vergnügt zu, und es will des Geplauders und Gesinges oft bis in die späte Nacht hinein gar kein Ende nehmen. Diesmal aber war es fast, als wenn die sonst so munteren Chasseurs finstere Trapisten geworden wären, so schweigsam und ernst verzehrten sie ihre spärliche Reisportion mit dem winzigen Stücklein gesalzenen Hammelfleisch, und selbst Michelet le bon enfant, der ewig schwatzlustige Gascogner, der beliebteste Spaßmacher des ganzen Bataillons, bei dem er als Trompeter diente, wollte heute seine sonst immer so bewegliche Zunge gar nicht recht rühren. Der gehabte Anblick der so grausam verstümmelten Leichen, der Gedanke an das traurige Ende so vieler tapferer Kameraden, hatte die Soldaten nicht wenig verstimmt. Viel mochte wohl auch die große körperliche Ermüdung und Abspannung zu dieser finsteren Schweigsamkeit derselben beitragen, denn die Chasseurs hatten heute wirklich das fast Unglaubliche geleistet und nahe an zwölf Stunden und dazu oft bei einer Hitze von gewiß einigen dreißig Grad Berg auf, Berg ab marschirt, und da wird zuletzt auch der sonst abgehärtetste Feldsoldat etwas müde in seinen Knochen und schläfrig in seinen Gedanken. Wie bald streckten sich denn auch jetzt alle Chasseurs, mit Ausnahme der vielen ausgestellten Doppelposten, an den Wachtfeuern aus, den Schlaf zu suchen und im Augenblick auch zu finden. Wußten sie doch nicht, wie lange sie denselben ungestört genießen sollten, denn daß es in dieser Nacht noch zu einem Zusammentreffen mit den Kabylen kommen werde, hofften Alle gar dringend. Gar mancherlei Vorkehrungen zu einer nächtlichen, geheimnißvollen Expedition machte der Commandant noch, wie denn auch alle Chasseurs den Befehl erhielten, sich so niederzulegen, daß sie sogleich ihre Waffen bei der Hand hätten.

Kaum drei bis vier Stunden mochte der Schlaf der Leute schon gedauert haben und die mitternächtliche Stunde eben herangekommen sein, da tönte das laute Halte-la-qui-vive eines Posten, womit er zwei sich ihm nähernde Menschen zum Stillstehen brachte. Als gute Freunde gaben dieselben sich zu erkennen und sagten dem Corporal, der beim ersten Anruf des Postens sogleich mit seiner Patrouille dahin marschirt war, die Losung, worauf dieser sie an das Bivouakfeuer des Commandanten, der von dem Ruf auch aus dem Schlafe erwacht war, hinführte. Zwei Eingeborene eines mit den Franzosen eng verbündeten Stammes waren es, die der Brigadegeneral mit heimlicher Botschaft an den Commandanten geschickt hatte. Kaum hatte derselbe den kleinen Zettel mit den wenigen in französischer Sprache darauf geschriebenen Worten mühsam bei dem Schein des nur spärlich noch fortglimmenden Wachtfeuers entziffert, als er erfreut aufsprang und mit Lebhaftigkeit den unterdeß auch munter gewordenen Offizieren, die mit ihm um dasselbe Feuer herumlagen, befahl, sogleich in aller Eile und Stille die Soldaten zu wecken, da man Hoffnung habe, endlich nun die Kabylen umzingeln zu können. Wie kam jetzt plötzlich neues Leben in alle Kreise der Soldaten, „Aux armes, aux armes, nous faisons une expedition“ hieß es halblaut von Seiten der die Schläfer aufweckenden Offiziere. Alle Müdigkeit schien bei diesen wenigen Worten unter den schnell aufspringenden Soldaten verschwunden zu sein, so hurtig regten und tummelten sich dieselben. Die Aussicht, jetzt endlich die ermordeten Kameraden rächen zu können, gab ihnen neue Kräfte wieder und in wenigen Minuten standen, trotz der großen Dunkelheit, die herrschte, die Glieder wieder geordnet da, und der Abmarsch konnte beginnen. Möglichste Geräuschlosigkeit war Allen anempfohlen worden wie auch das Rauchen aus Pfeifen und Cigarren verboten wurde. Bevor übrigens der Marsch angetreten ward, mußten alle Chasseurs noch einmal sorgfältig die Ladungen ihrer Büchsen untersuchen und die Zündhütchen aufsetzen, um sogleich zum Schießen bereit zu sein.

Es war eine schöne, tiefdunkle Nacht und die Sternbilder funkelten am wolkenlosen Himmel mit prächtigem Glanze. In den Myrthen- und Aloesträuchen, deren Blüthen oft einen balsamischen Wohlgeruch ausstreuten, blitzten Millionen hellglänzender Fruchtköcher gleich strahlenden Diamanten, und der leuchtende Schein derselben half wirklich oft mit den sonst sehr dunklen Pfad zu erhellen. Heiser heulten dabei die Schakals und Hyänen oft aus großer Nähe, gleichsam als witterten sie schon die fette Beute, die ihnen noch in dieser Nacht zu Theil werden sollte. Es war ein sehr beschwerlicher Pfad, den die Truppen, von den beiden Eingeborenen an der Spitze geleitet, jetzt machen mußten und nur im Bergsteigen wie auch nächtlichen Marschiren so geübte Soldaten, wie diese Chasseurs es waren, konnten denselben bei der tiefen Dunkelheit zurücklegen. Ein Bergstrom schien es zu sein, der im Sommer ausgetrocknet war, wie man deren in Algerien so häufig findet, in dessen Bett man marschiren mußte, und ganz mit großen und kleinen Steinen war der Weg bedeckt, die den Soldaten oft nicht geringe Hindernisse bereiteten. Immer steiler und steiler fing der Pfad allmälig an aufzusteigen, immer schwieriger und mit scharfen Felstrümmern übersäet ward der Weg. Oft tönte ein zwar nur halblautes, dafür aber desto ingrimmigere „sacristie“ oder „sacre mill de tonnerres“ oder ein „trente de dieu“ eines Provencalen aus den Gliedern der Chasseurs, wenn hie und da vielleicht ein Soldat über einen Stein gefallen war, oder sich etwa die Schienbeine arg zerschunden hatte.

Eine gute Stunde mochte diese angestrengte Kletterparthie vielleicht gedauert haben, als ein schwacher rosiger Saum am fernen Horizont verkündete, daß der Tag bald anbrechen werde, als man endlich auf einer kleinen Hochebene, die ganz von hohen Felsmassen eingeschlossen war, anlangte. Ein kalter empfindlicher Wind blies von den Gipfeln derselben und berührte unangenehm die Körper der Soldaten, die erst vor so kurzer Zeit so viel noch von Hitze hatten leiden müssen. An so etwas müssen dieselben beim algerischen Felddienst sich schon gewöhnen und bei Tage glühende Hitze, des Nachts aber eisige Kälte auf den Hochebenen der Gebirge kommt häufig vor. Eine kleine Rast ward hier vom Commandanten befohlen, denn er mußte erst ein bestimmtes Signal zum Weitermarsch abwarten, und fröstelnd hüllten sich die Soldaten sogleich in ihre weiten Capotemäntel und warfen sich dann der Länge nach so ohne Weiteres auf den Felsboden hin, um wo möglich eine Viertelstunde noch den Schlaf genießen zu können, so angegriffen waren Alle. Wie eine Katze so leise verschwand jetzt Einer der Eingeborenen, die bisher Beide als Führer gedient hatten, in der schon hier auf der Höhe etwas lichter werdenden Finsterniß, um die Gelegenheit zum Angriff gegen die Kabylen mit ausspähen zu helfen. Nach ungefähr einer halben Stunde kehrte er ebenso geräuschlos wieder zurück und die Meldung, die er dem Commandanten brachte, schien diesen nicht wenig zu befriedigen. Ganz leise und mit möglichster Vermeidung auch nur des geringsten Geräusches, wurde jetzt wieder aufgebrochen und eine gute Strecke noch auf der Ebene fortmarschirt, bis man hinter einer hervorspringenden Felswand nochmals Halt machte. Immer mehr begann jetzt übrigens die Dunkelheit zu schwinden und schon rötheten sich die oberen Spitzen der Berge in rosigem [221] Glanze und zeigten so auf zwiefach malerische Weise ihre wunderbar zerrissenen Formen. Auf der Hochebene selbst lag noch ein halbdunkler Schimmer gebreitet, der aber immer lichtgrauer und lichtgrauer ward und immer mehr einen freien Ueberblick gestattete.

Plötzlich schlängelte sich in ziemlicher Entfernung eine hellstrahlende Rakete an dem noch grauen Himmel empor, der gleich darauf eine zweite und dritte nachfolgten. Ein freudiges „Enfin“ von den Lippen des Commandanten begrüßte das schon lange von demselben erwartete Signal zum Gefecht. Jetzt zuckte ein mächtiger Flammenschein am Ende der Hochebene auf, seine rothe Gluth mit der Morgendämmerung mischend. Ein Donar (Zeltdorf) der Kabylen war es, was, von den Spahis in Brand gesteckt, aufflammte. Ein wildes Kampfgetöse, Schießen, Stechen, einzelne Commandowörter oder Trompetensignale, doch Alles so miteinander vermischt, daß man die einzelnen Töne nicht gut unterscheiden konnte, erscholl nun bald von der Flammenstätte her. Mit welch freudiger Ungeduld lauschten die Chasseurs diesen Tönen, wie gerne wären sie im raschen Lauf an den Ort des Gefechtes hingeeilt, um an demselben mit Antheil nehmen zu können, wenn nicht die strengste Disciplin sie in Reih und Glied gefesselt hätte. Doch nur wenige Minuten vergingen noch, dann sollten auch ihre Büchsen bald blutige Arbeit finden. In wilder Eile kam ein großer Trupp fliehender Kabylen über die Ebene dahergelaufen, womöglich hier einen Ausweg vor den sie verfolgenden Spahis zu finden. Ungefähr an 300 bewaffnete Männer, dann auch mehrere Weiber und Kinder, konnte man in der jetzt schon ziemlich hellen Morgendämmerung erkennen. Vergebens war das Bemühen der Fliehenden, hier einen Durchbruch zu gewinnen, nur die Büchsen der Chasseurs starrten ihnen entgegen. An zweihundert Schritt mochte der regellose Haufe der Kabylen wohl schon herangekommen sein, da erscholl der Befehl des Commandanten, die Salve zu geben und sogleich krachten die Büchsen des ersten Gliedes in den feindlichen Schwarm hinein. Gar mancher Kabyle stürzte todt zusammen, oder wälzte sich schwer getroffen in seinem Blute, während der Rest, als ihm ein so verderblicher Empfang hier geworden, nach allen Seiten auseinanderstäubte, um wo möglich anderweitig die Rettung zu versuchen. Doch wie die Geister der Rache, saßen ihnen jetzt die kleinen dunkelen Gestalten der Chasseurs auf den Fersen. „Les Tirailleurs en avant“ hieß das Kommando und sogleich eilten im gewohnten Schnellschritt die Tirailleurszüge der Chasseurs vorwärts, um die einzelnen Feinde zu verfolgen und aufzureiben.

Welche Kampfeslust und Rachsucht beseelte die französischen Soldaten, wie war jetzt, wo es endlich zu dem so heiß ersehnten Gefecht mit den Feinden kam, auch die letzte Spur von Müdigkeit verschwunden. „Ecrasez ces chiens noirs - pas de quartier ces assassins“ rief es laut in den Gliedern derselben und so stürmten die Tirailleurs fort. Von allen Seiten umzingelt, hinter sich die Säbel der Spahis, die unbarmherzig Alles, was sie erreichen konnten, niederhieben, vor sich die ebenso verderblichen Büchsen der Chasseurs, blieb den Kabylen nichts Anderes mehr übrig, wie in wüthendem Vernichtungskampf doch noch Rettung zu versuchen, oder wenigstens ihr Leben so theuer als nur möglich zu verkaufen. Ueberall konnte man nun auf der Ebene die einzelnen Gruppen der Fechtenden erblicken, überall knallten Schüsse, blitzten Säbel, ertönten grimmige Flüche und Verwünschungen in arabischer oder französischer Sprache, schmetterten die Trompeten der Chasseurs die Signale. Die Kabylen sind starke, gewandte und sehr muskulöse Leute, und jetzt, wo die Verzweiflung ihre Kräfte noch verdoppelte, gaben sie wahrlich nicht zu verachtende Gegner für die französischen Truppen ab. Gar mancher Chasseur hatte genug zu thun, daß er sich mit dem Haubayonnet vorn auf seiner Büchse gegen den Yatagan des wie eine Katze so behenden Gegners hinreichend vertheidigte, und auch die langen Flinten der Kabylen streckten noch manchen Sohn der Gascogne und Provence darnieder. Was half den Verfolgten aber ihre auch noch so muthige Gegenwehr gegen die Uebermacht der von allen Seiten sie umringenden Feinde, immer spärlicher ward das Häuflein der Kämpfenden, immer größer die Zahl der als Leichen den Boden schon Bedeckenden. Aber immer noch ertönte das grimmige „Allein allek, allein allek“ der Kabylen, das „pas de quartier - poignardez - ces coquins - ces assassins“ der Franzosen. Besonders auch die Spahis hauten wüthend auf die Feinde ein und ihre krummen Säbel blitzten förmlich in dem Schein der jetzt schon ganz hell aufgegangenen Morgensonne.

Wohl eine Stunde oder noch etwas darüber mochte das Gefecht schon gedauert haben, als keine kämpfenden Kabylen mehr auf der Hochebene zu erblicken waren. Ungefähr die Hälfte derselben mochte sich einzeln durchgeschlagen und auf die hohen steilen Berge der Nähe, in denen eine Verfolgung unmöglich war, geflüchtet haben, der Rest, und unter diesen auch mehrere Frauen und Kinder, lag als Leichen auf dem Boden, dessen grüner Rasen an gar vielen Stellen mit Blut geröthet war. Pardon wird bei solchen Kämpfen gegenseitig fast nie gegeben, und besonders auch die Spahis in französischen Diensten zeichnen sich durch wilde Wuth aus und hauen ohne Weiteres Alles nieder, was ihnen vor die Klinge kommt, sei dies nun Weib oder Krieger, Greis oder Kind. Freilich wissen diese Spahis auch, daß, wenn sie das Unglück haben sollten, lebendig in die Hände ihrer Gegner zu fallen, sie nicht allein blos getödtet, sondern vorher auch noch auf die grausamste Weise gemartert werden, und es selbst die Frauen und Kinder nicht verschmähen, mit wilder Freude an dieser Quälerei Theil zu nehmen.

Da die Verfolgung der noch in die Felsenklüfte geflüchteten Kabylen doch zu nichts geführt und nur wahrscheinlich einzelnen Franzosen das Leben gekostet haben würde, so ließ der Commandant nun das Signal geben, daß die Tirailleurs, die theilweise weit bei der Verfolgung der einzelnen Feinde noch zerstreut waren, zurückkommen und sich wieder sammeln sollten.

Gleich gierigen Raben waren unterdeß die Spahis schon beschäftigt gewesen, die Leichen der Kabylen zu plündern, nachdem sie denselben ihrer Gewohnheit nach die Köpfe mit ihren Yatagans abgeschnitten und solche auf einen Haufen zusammengetragen hatten. An 187 feindliche Köpfe waren es, die hier auf solche Weise aufgeschichtet wurden.

Als die Chasseurs, von denen Einzelne Wunden und andere Spuren des Kampfes zeigten, nach und nach Alle zurückgekommen waren, wurde ein Appell abgehalten, um die Zahl der Fehlenden zu erfahren. Nicht ganz geringe war der Verlust, denn sieben Chasseurs waren todt und einige zwanzig mehr oder minder so verwundet, daß sie den Händen des Chirurgien-Majors übergeben und dann auf Tragbahren von ihren Kameraden in die nächste Ambulance getragen werden mußten. Auch von den Spahis waren mehrere geblieben und verwundet. Die Leichen der Kabylen überließ man als willkommene Beute den zahllosen Schakals, die bald damit fertig wurden. Die der Chasseurs und Spahis aber wurden zusammen in eine weite Grube gelegt und auf die schon vorhin beschriebene Weise begraben und mit dreimaligen Salven auf militärische Weise geehrt.

Während aber noch der größte Theil der Soldaten mit diesen Vorrichtungen beschäftigt war, hatten Andere einige der Hammel, die man im Donar der Kabylen erbeutete, geschlachtet, abgezogen und in großen Stücken an den schnell angezündeten Feuern gebraten. Das gab denn ein gar treffliches Frühstück nach den schmalen Bissen und der großen Anstrengung der letzten Tage, denn so viel er nur irgendwie essen mochte und wollte, konnte jeder Soldat von dem schönen, saftigen Hammelbraten sich mit dem Messer herabschneiden und sogleich aus freier Hand verzehren. So geht es nun einmal im afrikanischen Kriege, Mangel und Ueberfluß wechseln oft gar scharf miteinander ab. Viele Tage lang muß der Soldat oft hungern, daß ihm die Schwarte krachen und er den Leibriemen immer enger und enger schnallen muß, dann hat er wieder den fettesten Braten oder die köstlichsten Südfrüchte im größten Ueberfluß und vergeudet viel mehr wie er zu verzehren vermag.

Nach der Mahlzeit erfolgte ein mehrstündiger Schlaf, der den ermüdeten Chasseurs sehr erquicklich dünkte, dann wurde wieder angetreten und mit munteren Gesängen zu dem zurückgebliebenen Theil des Bataillons der Rückmarsch angetreten. War doch der Hauptzweck der Expedition jetzt glücklich erreicht und ein gefährlicher feindlicher Stamm so hart gezüchtigt worden, daß er auf lange Zeit gewiß nicht wieder die Waffen zu erheben wagte, natürlich also, daß die Chasseurs guter Dinge waren und alle eben erlittenen Strapatzen und Verluste gar leicht verschmerzten.

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Das Mikroskop.

Wir haben wohl schon Manches von den hundertfachen Vergrößerungen der kleinsten Thierchen und Stäubchen gehört und gesehen, ohne uns recht um das Instrument zu bekümmern, durch welches mehr Geheimnisse der Natur offenbart, und dem menschlichen Geiste wie dem praktischen Leben mehr Vortheile und Genüsse zugänglich geworden sind, als durch ganze Hunderte anderer Erfindungen.

Auch der Sachverständige wird sich freuen, zusammengestellt und zu Gemüthe geführt zu finden, was dieser „Kleinseher,“ wie man das griechische Wort Mikroskop übersetzen müßte, schon Alles geleistet und welch ein gewaltiges Civilisations-Instrument er ist und erst werden mag, wenn des großen Naturkundigen, Sir Isaac Newton’s Prophezeihung, daß das Mikroskop auf dem Tische jedes gebildeten Menschen stehen werde, sich erfüllt haben wird.

Freilich wir sind noch lange nicht so weit, aber doch stark auf dem Wege. Der kleinste Bauer, die Hausfrau mit dem knapp zugemessenen Wirthschaftsgelde werden einmal einsehen, daß sie mit dem Mikroskop mehr Korn bauen und besser wirthschaften können als mit bloßen Augen.

Das Mikroskop kann in seiner Bedeutung getrost neben die Buchdruckerkunst, die Dampfkraft und die Elektricität gestellt werden. Wie Talleyrand einmal zu Napoleon sagte: „Sire, heut zu Tage ist die Buchdruckerpresse stärker als eine Armee,“ kann man beweisen, daß das Mikroskop in der Geschichte der Bildung stärker zieht, als 100 Dampfschiffe mit 10,000 Pferdekraft.

Aber freilich, um diese Kraft zu bekommen, muß es erst popularisirt und die Prophezeihung Newton’s im weitesten Sinne erfüllt werden. Es muß heraus aus der räthselhaften Studirstube des Physikers, Chemikers, Botanikers u. s. w. auf den breiten Markt des Lebens und eben so häufig gekauft und ausgebessert werden, als Taschenuhren. Man verkaufe zur Noth die Uhr und verschaffe sich dafür ein Mikroskop. Jeder Mensch kann uns jetzt sagen, welch’ Zeit es ist, aber Wenige wie man durch einen mikroskopischen Blick in die erhabene Unendlichkeit des wirklich Unsichtbaren der Zeit vorauseilen und dem Menschenwohle im Großen auf die Beine helfen kann. Das Mikroskop muß heraus vor die Augen der Menge, die bisher größtentheils vor den Geheimnissen der Natur stehen, und nachdem sie 50 Jahre lang Kartoffeln gegessen, noch nicht einmal wissen, was eine solche ist und enthält; sie müssen in’s Innere der Natur dringen und sich nicht mit dem großen Naturphilister Haller, der schon glücklich mit der äußern Schale war (sie ist übrigens nach Goethe ganz richtig, „weder Kern noch Schale, sondern Alles mit einem Male“), begnügen, sondern ihr Herz im Kleinsten pulsiren sehen und ihre zerlegten Gebilde verstehen lernen. Mancher sonst brave, gebildete Mann mag hier wohl sagen, ja, wo soll ich die Zeit zu solchen Kleinigkeiten hernehmen? Ist's nicht schon genug, wenn ich Zeitschriften halte, welche mir 600fach vergrößerte Abbildungen von Infusorien, Blutkügelchen, Mehlstäubchen u. s. w. bringen? Darauf ließe sich wohl zunächst mit einer andern Frage antworten: Wo nehmen Sie die Zeit her, um Abende über den Durst zu trinken und über den Appetit zu rauchen, über die Zeit auszubleiben und früh über die Zeit zu schlafen? Und im Ernste: „Wissen ist Macht,“ wie ein alter Philosoph (Bacon) sagt, und mikroskopisches Wissen gehört mit jedem Tage mehr zur allgemeinen Bildung und wird mit jedem Tage nützlicher, praktischer, unentbehrlicher in Industrie und Handel, und sei es nur, um die Frau, die von allen Seiten von verfälschten Artikeln umgeben ist, vor Betrug zu schützen. Das Mikroskop ist in vielen Fällen das einzige sichere Mittel, die schöne, echte Leinewand, der Stolz und die Freude jeder gebildeten Hausfrau, von den Geweben zu unterscheiden, die sich mit Baumwolle oft auf die versteckteste Weise gemein gemacht haben. Und wie oft muß der kostbare Lebensfaden des Seidenwurms, der in so eigenthümlich klangvoll rauschenden Gewändern die schöne Tochter bei feierlichen Gelegenheiten umwallen soll, sich zum Heiligenschein für das Produkt des wollhabenden Schafes hergeben? Der liebende Gatte, der hoffnungsvolle Anbeter bedenke, daß Seide mit Wolle oder Baumwolle die süßesten Hoffnungen vernichten kann, und das Echte gewöhnlich nur noch unter dem Mikroskop sich als unzweifelhaft ehrlich legitimiren kann. Ich erwähne noch die Milch und Sahne, welche letztere früher einmal aus verdünnter Milch mit zerquirltem Briefpapier (worin gewöhnlich etwa Arsenik ist) componirt wird. Nur unter dem Mikroskope noch lassen sich die unzähligen Verfälschungen von Lebensmitteln, Verbrauchs- und Luxusartikeln sicher erkennen. Man wird also leicht einsehen, daß das Mikroskop nicht nur sehr gesund ist, sondern auch viel Geld und Verdruß sparen, eben so die Leute zwingen kann, ehrlich zu handeln.

Ein Gelehrter von Fach in diesem Fache sollte sich die Mühe nehmen, die Kennzeichen des Echten und Unechten, wie sie sich unter dem Mikroskope darstellen, durch alle Grade und Pfiffe von Verfälschungen zu verfolgen, in Wort und Bild deutlich darzustellen und so das eigene Interesse der Menschen für das Mikroskop aufregen.

Mit der Zeit wird dann wohl auch der unendliche wissenschaftliche Werth dieses Instruments allgemein bekannt und anerkannt. Hier nur einige Andeutungen. Oken, der große Naturforscher, nennt das Mikroskop die Wurzel und Miene der Naturgeschichte, besonders der Physiologie, d. h. der Erkenntniß des Geheimnisses: Leben.

„Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält!“

Oken erkannte zuerst durch das Mikroskop die jetzt durch die ganze civilisirte Welt anerkannte Thatsache, daß alles organische Leben ursprünglich aus unendlich kleinen Zellen oder Bläschen bestehe, welche durch ihre Umdrehungen Wachsthum, Wärme, Gestalt und Farbe und Form bedingen und sich aus Luft, Licht, Wasser und elementaren Stoffen ernähren und vermehren. Daraus schloß und erschloß man weitere Geheimnisse des Lebens und gründete darauf die Physiologie, ohne welche es kein Wissen der Natur, keine Erkenntniß und Heilung von Krankheiten mehr giebt. Daraus ging eine vollständige Reform aller Naturwissenschaften und ein durch und durch tieferes Princip des Forschens, Erkennens und Wissens hervor. Ehrenberg entdeckte und classificirte durch das Mikroskop eine ganz neue Welt von Millionen und Billionen Wesen, die zum Theil an einem einzigen Sandkorn so viel haben, wie wir an unserer ganzen Erde. Der Leser kennt sie unter dem allgemeinen Namen Infusorien. Ganze Berge, Gegenden und halbe Länder stellten sich als Leichen von Infusorien (als deren Schildpanzer) dar. Roßmäßler’s „Blicke in den Bau der Pflanzen,“ Schleiden’s „Leben der Pflanzen,“ viele Werke von Klenike und Müller, Liebig’s „Chemische Briefe,“ Moschelett’s „Nahrungsmittel der Menschen,“ A. v. Humboldt’s „Kosmos,“ Burmeister’s und anderer Meisterwerke, besonders medicinische mit ihren Entdeckungen und Heilungen wären ohne das Mikroskop nicht möglich gewesen. Die Kartoffel-, die Traubenkrankheit, die Cholera, die Gicht und andere Würgengel unter Pflanzen und Menschen lassen sich blos unter dem Mikroskop enthüllen und so beherrschen und vertreiben. Gerade die Krankheiten der Pflanzen kommen wohl größtentheils von Infusorien, deren Lebensweise sich blos unter dem Mikroskope beobachten läßt, so daß man einen Vertilgungskrieg gegen sie ausfindig machen kann, wie ein Arzt es bereits gegen die Krätzmilben gethan. Die Menschheit verdankt es dem Mikroskope, daß eine der hartnäckigsten Krankheiten jetzt in zwei Tagen geheilt werden kann. Aehnliche Entdeckungen wird man vermittelst des Mikroskopes für Pflanzen und Getreide machen. Es ist deshalb nicht zu viel verlangt, daß der Bauer mit dem Mikroskop umgehen lerne, wie die Gärtner in England, besonders um London herum, wo jedes Stückchen Land so groß wie eine Goldmünze jedes Jahr so viel wachsen lassen muß, als die Goldmünze werth ist. Wahrscheinlich ist der vortreffliche Artikel „Household words“ über die Londoner Markt-Gärten schon übersetzt worden. Wir verweisen Jeden, der für ein Stückchen Erde zu sorgen hat, darauf, damit er sehe, wie man hier vermittelst der Wissenschaft und des rührigsten Fleißes mehr Gold aus der Erde zu treiben weiß, als die Goldgräber Australiens und Californiens. Daß die Natur-Erkenntniß in der Unendlichkeit des Kleinen eben so veredelnd und bildend, so erhebend und reinigend [223] auf den Menschen wirkt, wie die Unendlichkeit des Großen, der Meere und Berge, der Sterne und Sonnen, mag Jeder an sich selbst erfahren. Es ihm vorher beweisen zu wollen, ist deshalb nicht gerathen, weil sich auf den noch nicht erweckten Sinn nicht mit nachhaltigem Erfolg einwirken lassen soll.

Noch ein Wort über das Mikroskop in technischer Beziehung. Im Allgemeinen kennt es wohl Jeder. Holland und Italien streiten sich um dessen Erfindung. Allerdings hatte man schon im 13. Jahrhundert einfache Vergrößerungsgläser in Italien, und Roger Bacon soll Dinge darin gesehen haben, die das Volk blos dem Teufel zuschreiben konnte. Aber das eigentliche zusammengesetzte Mikroskop und dessen wissenschaftlicher Gebrauch läßt sich blos bis auf’s 17. Jahrhundert zurückführen, wo der Holländer Leuwenhoek berühmte physiologische Entdeckungen durch dasselbe begründete. In neuester Zeit hat es mit den Fortschritten in der Lehre vom Lichte einen Grad von Vollendung erreicht, die jeden Laien, der zum ersten Male hindurchsieht, in Erstaunen setzen wird.

Man kann bereits bis 7000mal vergrößern, so daß das dünnste Haar die Gestalt des dicksten Balkens annimmt und sein ganzes inneres Getriebe enthüllt. Das Mikroskop besteht aus wenigstens zwei Gläsern, dem Objectglas, das ein vergrößertes Bild des dicht unter ihm befindlichen Gegenstandes entweder direkt oder besser durch mehrere vergrößernde konvexe Gläser (Linsen) auf das Augenglas wirft, an welches sich das forschende möglichst dicht anschließen muß. Schlechte Mikroskope bestehen natürlich aus schlechten, d. h. unregelmäßig geschliffenen und Farben gebenden Gläsern. Ein gutes Mikroskop erkennt man besonders an achromatischen Gläsern, d. h. solchen, die blos klar vergrößern, ohne Farben zu erzeugen. Wer sich ein gutes Mikroskop verschaffen will, kaufe sich ein wohlfeiles, d. h. ein theures. Das wohlfeile taucht nämlich nichts, muß also weggeworfen und durch ein gutes ersetzt werden. Aeußerlich besteht das Mikroskop aus dem Ständer, der Objekt-Tafel, dem Leucht-Apparate und der Röhre mit den Gläsern. Der Ständer hält die Gläserröhre so, daß sie dem Gegenstande, der vergrößert werden soll, beliebig näher gebracht werden können. Die richtige Entfernung für die klarste Vergrößerung muß man sich suchen. Die Object-Tafel besteht am Einfachsten aus einem dunkeln Metallringe unter dem Objectglase, um den Gegenstand, den man untersuchen will, davon oder dazwischen zu befestigen. Der Leuchtapparat ist verschieden für dunkele und durchsichtige Körper. Für letztere besteht er aus einem concaven Spiegel, der sich in beliebige Winkel zu dem Objectglase stellen läßt und sein gesammeltes Licht in die Röhre werfen muß. Für durchsichtige Gegenstände wird statt des Spiegels eine Collectivlinse (convex) gebraucht, die so am Ständer befestigt ist, daß sie sich beliebig drehen läßt. Für den Gebrauch des Mikroskops nur noch einige Andeutungen. Man kann bei Sonnen- und künstlichem Lichte beobachten. Ersteres ist am Besten, wenn die Sonne klar am Himmel oder einer weißen Wolke gegenübersteht. Man hüte sich, das Sonnenlicht direct in den Leuchtapparat fallen zu lassen, weil dies ein colorirtes Bild giebt und die Augen verdirbt. Das beste künstliche Licht ist eine Flamme von reinem Oel. Der Tisch, auf dem das Mikroskop steht, darf nicht mit einer hellen Decke versehen und nicht polirt sein, weil dies viel Licht zerstreut und verbraucht. Die Gläser müssen natürlich (mit einem Stückchen alter Leinwand) rein gehalten und zuweilen erst mit einem Kameelhaarpinsel und dann mit Alkohol von der dünnen Haut, die sich aus der Atmosphäre mit der Zeit ansetzt, befreit werden. Da Augengläser oft mit Canada-Balsam überstrichen sind, muß man den Alkohol nur sehr vorsichtig anwenden und ein Leinenläppchen nur ein wenig damit anfeuchten. Mikroskope, die etwa 400mal ganz klar vergrößern, sind im Durchschnitt die besten.

Ueber eine 400fache Vergrößerung hinaus geben nur noch die genauesten (und deshalb sehr theuern) Instrumente noch klare Bilder. Alles Uebrige wird man von jedem guten Optiker, von dem man das Instrument kauft, erfahren, der auch die interessantesten Gegenstände, die sich besonders für das Mikroskop eignen, für unmittelbaren Gebrauch vorbereitet halten wird. Zubereitung kleiner Gegenstände für das Mikroskop ist Sache eigenen Witzes, eines zarten, scharfen Messers, einer feinen Scheere, von ein Paar Nähnädeln (an kleinen Schrauben befestigt), einer feinen Zange u. s. w. Einen Wassertropfen wird jeder an einer Spitze unter das Mikroskop bringen lernen, um zu sehen, wie sich darin eine Menge wunderliche Wesen ihres kurzen Lebens freuen, bis sie mit ihrer ganzen Erde im warmen Sonnenlichte vergehen, wie ein Hauch, um im nächsten Tropfen oder als ein Theil des Menschen, eines Thieres oder einer Pflanze wieder aufzuleben. Will man die todte Natur wirthschaften sehen, verdunste man unter dem Mikroskope einen Tropfen Salzwasser durch ein Spiritusflämmchen; man sieht, wie die Krystalle sich hitzig beeilen, zusammenzuschießen, um stark durch Vereinigung dem Spiritus des Todes zu trotzen.




Colt’s Drehpistolen-Fabrik in Milbank.


Eine der neuern Waffen, welche bestimmt ist, eine große Rolle zu spielen und auch schon zum Theil gespielt hat, sind die von dem nordamerikanischen Obersten Colt in Hartfort (Connecticut) erfundenen Revolvers oder Drehpistolen. In dem letzten Kriege der Vereinigten Staaten gegen Mexiko haben sich die Revolvers als so zweckmäßig bewährt, daß sie zur Lieblingswaffe der Yankees geworden sind, zugleich aber auch die Aufmerksamkeit der Militärs aller Länder erregten, und daher schließlich den Erfinder Colt veranlaßten, von Amerika herüber zu kommen und in Milbank bei London eine große Fabrik zu gründen. Hier, wo neben zweihundert Maschinen an vierhundert Arbeiter beschäftigt sind, sowie in Colt’s noch bedeutendern Fabriken jenseits des Oceans, konnten, dem Weltfrieden zum Trotz, schon seit geraumer Zeit die einlaufenden Bestellungen nicht befriedigt werden.

Der Leser begleite uns auf einem Besuche nach Milbank. Eine Tafel setzt uns in Kenntniß, daß der Eintritt nur in Geschäftsangelegenheiten oder auf besondere Erlaubniß gestattet ist. Letztere ertheilt uns der Oberaufseher; wir treten in das Comptoir und finden hier den Oberst Colt selbst. Man fühlt gleich, daß man sich keinem Manne gewöhnlichen Schlags gegenüber befindet, doch vereinigt der Oberst die ausgesuchteste Höflichkeit mit dem liebenswürdigsten Sich-Gehen-Lassen, und bietet sich uns sofort selbst zum Cicerone in seinem weitläufigen Etablissement an, wohin wir ihm voller gespannter Erwartung folgen.

Ehe eine Drehpistole fertig wird, unterliegt sie zweihundert verschiedenen Operationen, welche ungefähr einen Zeitraum von sechs Monaten erfordern. Der Anfertigung vom Beginn bis zum Ende zu folgen, wäre daher eine Aufgabe, für welche in der Gartenlaube der Raum mangelt, und die ohne zahlreiche erläuternde Zeichnungen dem Leser auch nur unverständlich bleiben würde. Wir beschränken uns daher auf die Erzählung des Wesentlichsten, was wir bei unserm Besuche zu sehen bekommen.

Das drei Stock hohe Fabrikgebäude ist ungefähr 300 Füß lang. Die zur Fabrikation der Revolvers nothwendigen Maschinen und Werkzeuge werden im untersten Stocke verfertigt, wo sich eine das Ganze treibende Dampfmaschine von 32 Pferdekraft befindet. Hier auch ist die große Schmiede gelegen, wo zuerst die Pistolenläufe hergestellt werden. Eine Vorrichtung, die in ihrem Baue Aehnlichkeit mit einer Guillotine hat, und wo ein an einer Kette befestigter Hammer mit voller Wucht von Oben herabfällt, giebt hierauf dem Sitze des Schlosses am Laufe mit einem einzigen Schlage die gewünschte Form. Wenn die zu diesem Zwecke glühend gemachten Läufe wieder erkaltet sind, kommen sie in die Bohrmaschine, worauf die Außenseite geglättet wird, während eine andere Maschine in die Innenwand Fugen einschneidet. Hieran schließt sich das schraubenmutterartige Ausbohren der Läufe, wonach eine Justirmaschine den gezogenen Lauf fertig herstellt. Hält man einen Pistolenlauf in diesem Zustande gegen das Licht, so ist man nicht wenig über die prachtvolle Schneckenform des Zugs erstaunt, welche wie bekannt, eine nothwendige Bedingung für die Sicherheit des Schusses ist. Außerdem hat dieses Verfahren den Vortheil, daß, indem es die Oberfläche dem vollen Lichtstrahle aussetzt, der kleinste Fehler im Metalle wahrzunehmen ist.

Der Bau des aus mehreren sich drehenden Abtheilungen [224] (Kammern) bestehenden Schwanzschraubencylinders erregt nunmehr unsere Aufmerksamkeit. Derselbe zeigt sich zuerst als ein starkes Stück ungeformten Stahls, bis ihn die Maschinen nach und nach schneiden, bohren, poliren und graviren; die gravirten Gegenstände stellen meist Schlacht- und Jagdscenen vor, und ist das Graviren auf mechanischem Wege ein uns von den Amerikanern abgewonnener Vorsprung. Ungleich wichtiger als diese Operationen ist jedoch das Ausbohren der Cylinderkammern, welches die äußerste Sorgfalt erfordert, da die Oeffnungen der Kammern genau auf das Loch des Hauptlaufes passen müssen, um das richtige Losgehen zu ermöglichen.

Die Operationen zur Verfertigung der Schlösser und Ladestöcke sind nicht weniger zahlreich, und zeichnen sich durch gleich sorgfältige Arbeit aus, wie denn überhaupt alle einzelnen Theile mit außerordentlich gleichförmiger Genauigkeit gearbeitet werden, so daß ein und derselbe Cylinder auf alle Läufe paßt, jeder Ladestock für alle Kammern, dieselbe Schraube in jedes Loch, die gleiche Warze für alle Zündhütchen. Das Vortheilhafte dieser Einrichtung, wornach ein vielleicht im Kampfe beschädigter Theil der Pistole, sogleich durch einen andern gleichen Reservetheil ersetzt werden kann, liegt auf der Hand.

Obwohl der Revolver nun eigentlich fertig ist, so sind doch noch einige Dutzend Maschinen da, die er jetzt passiren muß; theils wird er dadurch vollends justirt, theils geglättet und polirt, bei welchen feinsten Arbeiten zuletzt die Menschenhand an die Stelle der Maschinen tritt.

Wenn man aus den obern Stockwerken wieder herabsteigt, betritt man die Werkstätten, wo die Pistolenetuis angefertigt werden, und daneben die Packstube, wo eine wiederholte Prüfung der verschiedenen Theile des Revolvers stattfindet. Mit dieser Prüfung ist es übrigens nicht abgethan, und jeder Revolver muß auf Anordnung der Regierung die Feuerprobe bestehen. Außerdem ist Oberst Colt bei der Fabrikation seiner Waffen so gewissenhaft, daß er selbst jedes einzelne Stück viel härtern Schießproben unterwirft.

Die Zahl der täglich fabricirten Pistolen beläuft sich auf cc. hundert, jährlich etwa 30,000, womit natürlich der Nachfrage weitaus nicht genügt wird. Unsere Abbildung zeigt dem Leser den vollständigen Revolver, die beiden kleinern Zeichnungen das Gerippe des vordern und hintern Theils. Die runden halbschwarzen Punkte in dem Schwanzschraubencylinder der größern Zeichnung zeigen die Lage der Kugeln in den beweglichen Kammern, auf welch letzterer Einrichtung im Wesentlichen das Prinzip der Colt’schen Drehpistole beruht. Wenn die Kammern des Cylinders einmal geladen sind, kann in jeder Sekunde ein Schuß abgefeuert werden; rechnet man hierzu, daß ein Revolver 6–800 Fuß weit trägt, so kann man sich von dieser mörderischen Waffe, deren Einführung in der englischen Armee eifrigst betrieben wird, einen hinreichenden Begriff machen.

Bei dem Etablissement in Milbank sei noch erwähnt, daß viele der Arbeiten von Frauen und Kindern verrichtet werden, was um so eher geschehen kann, als sämmtliche Maschinen sehr klein sind, jede immer nur eine Verrichtung zu bewerkstelligen hat und die Leitung und Beaufsichtigung sehr leicht ist. Man könnte sogar fast sagen, daß die vielen verschiedenen kleinen Maschinen, die insgesammt von der großen Dampfmaschine in Bewegung gesetzt werden, als eine Art Automaten arbeiten, deren Funktionen nur von Menschenhänden geregelt werden. Sämmtliche Werkstätten sind luftig und hell, die unter den Arbeitern herrschende Stille ist jedoch das Anzeichen einer strengen Disciplin. Die Arbeitslöhne betragen von zwei bis sieben Schilling täglich; der Oberst hält dabei auf Pünktlichkeit und Fleiß, Mäßigkeit und gute Aufführung. Blauen Montag gibt’s in Milbank nicht, jeder Wochentag gehört der Arbeit, doch sind die Tage nicht lang. Um vier Uhr Nachmittags stehen die Maschinen stille, und die für die Nacht bestimmten Aufseher beginnen ihren Dienst. Diese haben die einzelnen Räume zu überwachen, und sind durch eine mechanische Vorrichtung ihrerseits selbst wieder überwacht, so daß, wenn etwa einer auf seinem Posten einschliefe, seine Nachlässigkeit sofort verrathen werden würde.




Der Weinstock und seine Behandlung.

Der Weinstock gehört durch sein rasches Wachsthum, seine lange Lebensdauer und Fruchtbarkeit unleugbar zu den edelsten und am weitesten verbreiteten Obstsorten. Er gedeiht vom 10–55° nördlicher Breite und zwar fast in jedem Boden. Ohne Schaden erträgt er einen Kältegrad von 12–16° R. Er hat weniger Feinde, leidet seltner in seiner Blüthe und trägt darum beständiger und reichlicher wie jede andere Obstsorte. Seine Früchte gehören zu den erquickendsten und welche Rolle der gekelterte Saft der Reben spielt, haben die Dichter in tausend Liedern uns gesungen. – Darum darf man sich nicht wundern, daß man den Weinstock so vielfach, wo es ein geeignetes Plätzchen giebt, angepflanzt findet. Mehr muß man sich wundern, daß er nicht noch viel verbreiteter ist, am meisten Wunder und zugleich Bedauern erregt es aber, wenn man sieht, daß diese edelste Naturgabe so häufig unter der unzweckmäßigsten Behandlung leidet. Darum soll hier ein Versuch gemacht werden, die wichtigsten allgemein anerkannten Regeln: Ueber das Beschneiden und die dahin gehörige Behandlung des Weinstocks am Spalier in unserm Klima, in möglichster Kürze aufzustellen. – Bekanntlich bedarf der Weinstock zu jeder Ernte zwei Jahr. Im ersten müssen die Reben wachsen und reif werden, die uns dann im zweiten Jahre erst die Trauben bringen. Die erste Sorge eines guten Weinzüchters muß also dahin gerichtet sein, sich tragbare d. h. lange, kräftige und reife Reben zu erziehen. Die Hauptarbeit (das Kappen) um diesen Zweck zu erreichen, muß im Frühjahr vor der Blüthe vorgenommen werden und zwar so bald die jungen Triebe die Trauben angesetzt haben und über der letzten Traube 3–4 Blätter sichtbar sind. (Das Kappen bis nach der Blüthe zu verschieben, ist höchst unzweckmäßig, denn das Wachsthum hat sich in alle Triebe und am meisten in die obersten, dann schon so vertheilt, daß die untersten, die doch, soll der Stock in Ordnung bleiben, zu Zuchtreben gezogen werden müssen, im Wachsthum merklich zurückgeblieben und nicht mehr zu Zuchtreben tauglich sind. Auch ist der Stock dann schon so belaubt, daß man keine Uebersicht mehr über denselben hat und folglich in’s Ungewisse, ohne Zweck und Ziel kappen muß und darum auch nur eine sehr unvollständige Arbeit liefern kann.)

Die Arbeit des Kappens selbst besteht nun einfach darin, daß man, nachdem man den Stock sich genau angesehen und nach Bedürfniß und Nothwendigkeit die Triebe ausgewählt hat, die man zu künftigen Zucht- oder Tragreben erziehen will, auf folgende Weise verfährt: Alle Triebe die keine Zuchtreben werden. sondern blos Trauben tragen sollen, kappt man über dem zweiten oder dritten Blatte über der letzten Traube, d. h. man bricht oder schneidet an der bezeichneten Stelle (s. Abbldg.) den Trieb weg, der nun nicht weiter wächst. Dieser gekappten Rebe nimmt man im Laufe des Sommers auch alle Nebenzweige, Ableiter oder Geiz genannt. Anders verfährt man aber mit der [225] künftigen Zucht- oder Tragrebe, wozu man die geeignetste der untersten drei Schößlinge gewählt hat. Diese Zuchtrebe bleibt vom Messer gänzlich unberührt. Sie wird nicht gekappt und ebensowenig darf man ihr den Geiz nehmen; so daß sie bis Ende Juli vollständig und ungehindert wachsen kann. Nur die Gabeln entfernt man gelegentlich von derselben. Ende Juli aber schneidet man auch der Zuchtrebe die Spitzen ab, weil nun ihr Wachsthum in die Länge hinreichend vollendet ist. Vier Wochen später, also Ende August, kappt man auch den Geiz an der Zuchtrebe, aber niemals tiefer als auf drei oder vier Augen. (Da der Geiz, richtiger Ableiter genannt, bestimmt ist, den überflüssigen Holztrieb zu beseitigen, so wäre die Folge, wenn er zu früh oder ganz entfernt würde, daß der Holztrieb in das am Geiz sitzende schlafende Auge träte, und diesen statt zu einer künftigen Fruchtrebe, nur zu einer Holzrebe machte und damit wäre die künftige Ernte im voraus zerstört.) – Hat man den Weinstock im Frühjahr auf diese Weise behandelt, so werden die Zuchtreben mächtig wachsen und man hat im Laufe des Sommers nichts weiter zu thun, als dieselben fleißig und zwar so anzubinden, daß sie gehörig von Luft und Sonne getroffen werden können, Ende Juli die Spitze der Rebe und Ende August den Geiz einzustutzen. Nun bleibt blos noch der Herbstschnitt übrig. (Im Frühjahr darf der Weinstock nie geschnitten werden, weil die Schnittwunden dann so stark bluten und dem Stock eine solche Säftemasse entziehen, daß er nicht mehr im Stande wäre, seine Früchte zu der sonstigen Vollkommenheit zu zeitigen und ebensowenig kräftige neue Reben zu treiben. Doch diese Wahrheit ist schon so allgemein geworden, daß gegen dieselbe nur noch selten gesündigt wird). Der Herbstschnitt beginnt, sobald der Stock seine Blätter verloren hat. Dann schneidet man die vorjährige Rebe, die nun ihren Lebenszweck vollendet hat, genau und ganz glatt an der Stelle ab, wo die neue Rebe aus der alten hervorgewachsen ist (s. Abbldg.). Dieser neuen Rebe läßt man nun, so weit sie reif ist, ihre vollkommene Länge und schneidet blos den obern unreifen oder zu schwachen Theil weg, desgleichen entfernt man alle Seitenzweige. Bei dem Herbstschnitte muß man nun noch besondere Rücksicht darauf nehmen, daß außer den langen Fruchtreben, die bestimmt sind, das nächste Jahr uns eine Menge Trauben zu liefern, dem Stocke auch Gelegenheit bleibt, im nächsten Jahre neue kräftige Reben zu treiben. Dieses erreicht man am Besten, wenn man an jedem Stocke nach Verhältniß seiner Größe, eine oder einige der neuen Zuchtreben zu Schenkeln mit fünf Augen und desgleichen ein, oder einige zu Zapfen mit zwei Augen einschneidet. Das eben Gesagte darf ja nicht unberücksichtigt bleiben, weil Schenkel und Zapfen für’s nächste Jahr die kräftigsten Reben liefern und somit die wahren Erhalter eines normalen Zustandes des Weinstocks sind. Hierauf ist nun weiter nichts zu thun, als den ganzen Stock niederzulegen, zusammenzubinden und durch Zudecken, Einbinden oder Eingraben vor Erfrieren zu schützen und ihn so lange der Winterruhe zu übergeben, bis der wiederkehrende Lenz ihn zu neuem Leben wachruft.

Schließlich mögen sich hier noch einige wichtige allgemeine Bemerkungen anreihen, die doch mehr oder weniger zu berücksichtigen wären, als es bisher geschehen ist. 1) Will man an seinen Weinpflanzungen wirklich Freude erleben, so muß man bei Anlegung neuer Stöcke immer nur solche Sorten wählen, die für unser Klima geeignet sind, d. h. die September oder spätestens anfangs Oktober reifen, sonst ist man häufig der Gefahr ausgesetzt, schöne, große Trauben am Stocke zu haben, die aber nur in besonders guten Sommern und also selten reif werden. Solche frühe Sorten sind unter andern besonders: Weiße: Schön- oder Gutedel, Krachmost, früher Leipziger, Diamant, frühe Malvasier-Libete, früher von der Lahn, früher Alexander, Ramberger-Schönedel, weißer Champagner, Muskatschönedel, grüner Borromeo etc. Rothe: Rother Schönedel, rother spanischer Gutedel. persische Corinthe, rother italienischer Malvasier, rother Geisler, Königsschönedel. Blaue: Oporto Rebe, Dolcete du Po, blauer Rheingrau, Jakobstraube, frühester Burgunder, Schwarzclävner, großer blauer Malvasier etc. 2) Der geeignetste Boden, um neue Stöcke einzupflanzen ist ein solcher, der mit Klumpen alten Mörtels, zerbröckelten Ziegelstücken, überhaupt Bauschutt auch Austerschalen reichlich vermengt ist. 3) Bei der Düngung, die aber nur sparsam anzuwenden ist, scheint die animalische, wie Knochen, Knochenmehl, Hufe, Aas, Blut, Harn, der vegetabilischen weit vorzuziehen zu sein. 4) Will man junge Stöcke zu recht kräftigen, in Zukunft dankbaren Weinstöcken erziehen, so muß man in den ersten drei Jahren dieselben immer wieder auf zwei bis drei Augen zurückschneiden. Trägt nun im vierten Jahre ein solcher Stock das erste Mal dann wird man wohlthun, ihm wenigstens die Hälfte seiner Trauben abzuschneiden. Diese weise Schonung seiner Jugend wird der dadurch gekräftigtere Stock später desto reichlicher vergüten. 5) Bei der großen Verschiedenheit der Triebkraft einzelner Sorten ist natürlich auf dieselbe besondere Rücksicht zu nehmen und solchen Stöcken, die sehr stark wachsen und darum auch viel Platz einnehmen, wie früher Leipziger, Schwarzwelscher etc. auch der nothwendige Raum anzuweisen, wogegen schwach treibende wie Dolceto du Po nur wenig Platz bedürfen. 6) Beim Aufbinden im Frühjahr ist es aus mehrfachen Gründen höchst zweckmäßig, die Reben so waagerecht wie möglich am Spalier zu ziehen.

A. Die Rebe. B. Die ungekappte Zuchtrebe. C. Die gekappten Fruchtreben. D. Der Geiz oder Ableiter. —– Der Herbstschnitt. —- Das Kappen.

An diesen Lehren und Anweisungen möge es genügen. Wem sie noch fremd waren, mache sich dieselben zu eigen und sei versichert, daß die richtige Anwendung derselben einen reichen Segen erquickender Früchte aus seinen Weinpflanzungen zur nothwendigen Folge haben wird.

[226]
Blätter und Blüthen.


Zwanzig Dollars Belohnung. Vor etwa zwei Monaten (erzählt die „New-York-Post“ vom 5. April) wurde einem ältlichen Herrn auf der Straße in einer ihm unerklärlichen Weise die Uhr gestohlen. Er bot öffentlich zwanzig Dollars Belohnung Demjenigen, der sie ihm wiedergäbe, er wolle selbst dem Diebe keine Unannehmlichkeiten bereiten. Bald darauf redete ihn ein anständiger Herr auf der Straße an: „Sir. Sie sind um Ihre Uhr gekommen?“ – „Das bin ich!“ „Sie versprachen dem Wiederbringer zwanzig Dollars Belohnung?“ – „Versprach ich.“ „Versprachen, kein Aufhebens davon zu machen?“ – „Kein Aufhebens.“ – „Sind’n Gentleman?“ „Bin ich.“ „Well then, hier ist Ihre Uhr.“ Der Gentleman bezahlt seine zwanzig Dollars, steckt seine Uhr ein und murmelt im Abgeben: „Möchte doch wissen, wie er’s angefangen!“ – „Möchten Sie?“ ruft ihm der anständige Herr nach; „soll ich’s Ihnen zeigen?“ – „Yes, zeigen!“ „Nun passen Sie auf.“ sagt der anständige Herr, „Sir erinnern sich vielleicht, wie an dem Tage, an welchem Sie Ihre Uhr verloren, Jemand heftig gegen Sie aus Versehen anrannte und Sie um Entschuldigung bat?“ – „Ist mir so.“ „So, nun sehen Sie, das war ich.“ „Freut mich. Ihre werthe Bekanntsch – aber, wie war’s möglich? Ich erinnere mich kaum –“ „Erlauben Sie, ich werde es Ihnen zeigen.“ „Yes, zeigen!“ Und jetzt rannte der anständige Herr wieder gegen den ältlichen Herrn an, bat um Entschuldigung und entfernte sich. „Dank Ihnen!“ rief ihm der ältliche Herr nach und ging seiner Wege, wobei ihm einfiel, daß es wohl bald Essenszeit sein könne. Aber um das zu erfahren, mußte er einen andern Herrn fragen, denn seine eingelöste Uhr war inzwischen eine Flötenuhr geworden, sie war „flöten gegangen“, wie bei dem ersten Stoße des anständigen Herrn.

Auch in London passirte eine ähnliche Geschichte. Dort läßt auch der albernste Stutzer sein bestes Taschentuch nicht heraushängen, da Gelegenheit Diebe macht. Manchmal behält aber aus Nachlässigkeit ein seidener Zipfel Aussicht auf die Straße. Und da sind ehrliche Leute fast immer bei der Hand mit ihrem „Nehmen Sie Ihr Taschentuch in Acht!“ Neulich nun ging eine gutmüthige Seele in diesem Falle noch weiter und begleitete die Warnung mit einem Stoße, der das Taschentuch bis in die tiefste Tiefe der Tasche zwang, aber nicht das seidene, sondern einen rasch untergeschobenen baumwollenen Stellvertreter.





Der „Volkspalast“ in Sydenham bei London, der viermal so viel Raum einschließt, als die größte Kirche, die Paulskirche, und bereits 7 Millionen Thaler kostet, deckt die Zinsen dieses Kapitals schon allein durch die Miethe, welche die Aussteller und Verkäufer darin für ihre Stellen bezahlen. Die 140,000 Quadratfuß Raum, welche von dem großen Inhalte des Palastes, nämlich 40,000,000 Cubikfuß, zum Ausstellen verkäuflicher Waaren bestimmt sind, verzinsen 7 Millionen Thaler! Nun kommen erst noch die Besucher, die von zwei Londoner Eisenbahnen und andern aus der Provinz fortwährend ab- und zugedampft werden, mit ihren Schillingen! So eröffnet sich der erste Frieden- und Culturtempel aller gebildeten Völker am 24. Mai, also mitten im Kriege, doch unter den glänzendsten Aussichten. Und so ist dieses Glas des Friedens doch wohl stärker als Bomben-Metall.





Literarisches. Trotz allem Kanonendonner und Kriegsgefahren, trotz Geldmangel und Geschäftsstille scheint die schöne Literatur nicht feiern zu wollen. Von Glasbrenner erscheint in gänzlicher Umarbeitung eine zweite Auflage seines „Reineke Fuchs“, dessen poetische Schönheiten sicher auch jetzt noch Anerkennung finden, wenn auch manche polemische Zeitanspielungen nicht mehr verstanden werden. Ein jedenfalls interessantes Buch dürften die nächstens erscheinenden „Wendische Weiden“ sein, Erzählungen aus dem wendischen Volksleben, das viel Poetisches und Eigenthümliches hat. Auch der Vielschreiber Ludw. Bechstein, dessen Romane so sehr zur Füllung der Makulaturniederlagen beitragen, hat wieder einen Roman: „Der Dunkelgraf“ geschrieben. Widemann, der bekannte Verfasser der lieblichen Erzählungen: „Am warmen Ofen“ läßt ein zweites Bändchen unter dem Titel: „Für stille Abende“ vom Stapel laufen. Ganz an der Zeit ist die so eben angekündigte Uebersetzung der „Denkerbriefe vom walachischen Donauufer“ von der Prinzessin Aurelia Ghika. die wahrscheinlich auch einige interessante Mittheilungen über die Walachen und russische und türkische Persönlichkeiten enthalten werden. Als Curiosität wollen wir schließlich noch anführen, daß der Verfasser der Broschüre: „Die Erde steht fest“ eine Monatsschrift unter dem Titel: „Blätter der Wahrheit“ herausgeben wird. In der Ankündigung verspricht er durch diese Zeitschrift den „Streit zwischen Bibel und Wissenschaft zu enden“. Wohlgemerkt, das wird Herr Schöpffer thun, der bekannte Verfasser von Hunderten, bei Fürst in Nordhausen erschienenen Broschüren, als: Keine Hämorrhoiden mehr – Keine Zahnschmerzen mehr – Anweisung im Hazardspiel stets zu gewinnen etc. etc. etc. Wer ist dabei am meisten zu bedauern? Der Autor, der Verleger oder das Publikum?





Türkischer Fortschritt à la Koran. Ein türkischer Offizier, in Paris erzogen und dort Ehemann einer hübschen Französin geworden, gab unlängst seinen Freunden in Constantinopel einen Schmauß, wobei die Frau die Honneurs machte. Die Freunde machten große Augen und gaben endlich ihre Unzufriedenheit mit der irreligiösen Neuerung zu verstehen. Der civilisirte Ehemann eilte mitten im Schmauße davon zum Scheikh-ul-Islam (eine Art Superintendent) und bat ihn, zwei Fragen schriftlich zu beantworten: „Ist es einem Muselmann verboten durch den Koran, eine Christin zu heirathen?“ „Nein.“ „Befiehlt der Koran, daß sie ihr Gesicht verberge?“ „Nein.“ Mit diesem religiösen Aktenstück beschwichtigte er seine Gäste und Einige sagten, sie würden’s ihm nachmachen.





Das Unglück, das große Loos zu gewinnen. Ein solches Unglück, wird Mancher denken, wollte ich schon ertragen, aber es ist doch nicht so leicht, wie es aussieht. Ich habe einen Mann gekannt, der mir mit sehr trüber Miene gestand, der Gewinn des großen Looses habe ihn unglücklich gemacht. Er war früher Sattler in Liegnitz und mußte sich dabei ziemlich mühsam durchschlagen, allein seine stets heitere Laune machte ihm jede Entbehrung leicht, und er war froh, seine Familie redlich ernähren zu können. Da machte er einen ziemlich bedeutenden Lotteriegewinn. Er erweiterte sein Geschäft, alle Nahrungssorgen und kleinen Verlegenheiten verschwanden, und er fühlte sich ganz glücklich. Mehr aus Gewohnheit, als getrieben von dem Wunsche, noch mehr zu gewinnen, spielte er in der Lotterie fort und zwar ein ganzen Loos, und die Glücksgöttin ließ darauf nach einiger Zeit das große Loos fallen. Jetzt war der früher arme Sattler ein reicher Mann. Doch was in den Augen Anderer für ein ungeheures Glück galt, machte ihn unglücklich, denn auch freilich nur durch die thörichte Anwendung seines vielen Geldes. Er gab sein Geschäft auf, aber an Thätigkeit und Arbeit gewöhnt, plagte die Langeweile ihn fürchterlich. – Er wurde als Reicher von Vielen aufgesucht, die ihn früher nicht angesehen hatten; er ließ sich durch sie in Kreise locken, für die er nach seiner geistigen wie seiner geselligen Bildung nicht paßte; er lernte Genüsse und Bedürfnisse des Luxus kennen, die ihm früher fremd gewesen waren: er mußte Rücksichten aller Art nehmen, und bald war in einer fremden beengenden Umgebung seine frühere Heiterkeit verschwunden, und er sagte gar oft mit einem schmerzlichen Seufzer: „Wie glücklich wäre ich, hätte ich das große Loos nicht gewonnen!“





Türkische Offizier-Praxis. Nichts kann in der Türkei besser sein, als der Stoff zum Soldaten, sagt ein jetzt im türkischen Lager befindlicher englischer Correspondent. Der türkische Soldat hat alle nöthigen guten Eigenschaften, er ist tapfer und außerordentlich hart in Ertragung von Strapatzen, Kälte, Hunger und Hitze; er ist derb, nüchtern und folgsam. Strafen in den Armeen sind fast ganz unbekannt. Der Fehler liegt in der Organisation, die über alle Begriffe schlecht ist. Offiziere werden nicht wegen ihrer Tüchtigkeit als Soldaten und wegen militärischer Kenntnisse gewählt, sondern je nach der Masse ihres Soldes, die sie dem, welcher ihnen die Stelle verschafft, abzulassen versprechen. Dies geht bis zum ersten Commandeur hinauf. So gab der letzte Ober-Commandeur der asiatischen Armee, Achmet Pascha, einen Wechsel auf einen ganzen Jahresgehalt dem Mächtigen in Constantinopel, der ihm die Stelle verschaffte. Und darin liegt das eigentliche Unglück, welches die asiatische Armee unter ihm hatte, denn er versteht vom Militärwesen wissenschaftlich gar nichts. Dieses System geht durch alle Grade von Offizieren und es ist der Hauptgrund, weshalb die türkische Regierung so viele Schwierigkeiten macht, europäische Offiziere zuzulassen; sie will’s nicht mit den Offizieren verderben, damit diese ihr und der Türkei Verderben fortsetzen und vollenden können. Die gemeinen Soldaten lieben im Durchschnitt europäische Offiziere, und wenn die Regierung gehörigen Muth hätte, könnte sie rasch diesem furchtbaren Corruptionssysteme ein Ende machen. Jetzt zwingt sie zögernd die Noth dazu, so daß allerdings deutsche, französische, ungarische und englische Offiziere immer mehr Terrain gewinnen, wobei allerdings von „Aufrechterhaltung der Integrität der Türkei“ ebenso wenig noch die Rede sein kann, als in der That bei den Freunden der Türkei. Die Türkei geht unaufhaltsam in europäischer Civilisation unter oder auf, wobei es in der Wirklichkeit und kulturhistorisch gleichgültig bleibt, ob, wann und von wem der Halbmond von den Moscheen heruntergerissen und mit dem Kreuze vertauscht werde. Allem Anscheine nach führt „der Krieg“ jetzt alle die unzähligen halbbarbarischen Stämme und Mischungen, die die ungeheuern Strecken von den ionischen Inseln bis über das schwarze Meer hinaus bewohnen, diesem Culturprocesse entgegen. „Arten“ gehen unter und artige Menschen stehen dafür auf





Man wird Alles gewohnt. Als im Jahre 1823 die Sclaven auf Jamaika einen vergeblichen Versuch zur Erlangung ihrer Freiheit machten, wurden nach der Unterdrückung des Aufstandes die Hinrichtungen, welche Belagerungszustand und Kriegsgerichte im Gefolge hatten, so zahlreich, daß das Publikum sie zuletzt gar nicht mehr beachtete, obgleich sie auf dem Marktplatze der Kirchspiels-Hauptorte Statt fanden. Der Missionär Bleby sah in dieser Zeit einst drei Neger hängen, während unmittelbar um den Galgen die Marktgeschäfte ihren so ruhigen und ungestörten Fortgang hatten, als verstände sich das so von selbst, oder als finde wenigstens nichts Ungewöhnliches Statt.





Der junge Großherzog von Weimar scheint in seiner Residenzstadt eine Kunstperiode hervorrufen zu wollen, wie einst sein genialer Großvater die Glanzperiode der Literatur dorthin zauberte. Der erste Anfang soll mit einer Art Walhalla gemacht werden, die mit prächtigen Vorhallen und großartigen Eingängen an den Abhange eines Berges gebaut wird und wozu der Ankauf des Grundstückes allein 32,000 Thaler kostet. Gegenüber oder dahinter – wir sind darüber im Zweifel – aber auf demselben Grundstück soll freilich auch ein Prachtbau einer Kaserne aufgeführt werden, deren Kosten auf 120,000 Thaler veranschlagt sind.

E. K.

  1. Siehe Wilken’s Chronik S. 218 f., desgl. Grossen, S. 189 u. A. m.
  2. So schoß ein Junker von Zablitz auf dem Markte zu Bautzen einen Hund des Bürgermeister Loche nieder und feuerte ein zweites Pistol auf den Bürgermeister selbst ab, welches jedoch versagte, und als das Volk sich zusammenrottete und ihn vom Pferde reißen wollte, gab er diesem die Sporen und sprengte hohnlachend, mehrere Bürger überreitend, zum Thore hinaus. (S. Wilken’s Chronik S. 219.)