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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[441]

No. 41. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Gott verloren – Alles verloren.

Ein Seelengemälde nach Familienpapieren mitgetheilt von Ferdinand Stolle.
(Fortsetzung.)


„Mag sie schmelzen, Falk!“ gab ich zur Antwort und entzog mich nicht mehr seinem Arm. Wohl wissend, welcher Zauber in meinen Augen lag, fuhr ich fort, ihn anzublicken. Aber nur einige Secunden vermochte ich die Augen offen zu halten; mir schwindelte vor Freude und Schmerz. Ich fühlte, wie das Blut warm über das Gesicht rann und einer Ohnmacht nahe, lehnte ich mich an seine Brust. „Gott, Leonore, Sie bluten,“ sagte er, ließ mich sanft auf das Moos nieder, schöpfte Wasser aus dem nahen Waldbache, wusch und verband mich. Ruhig ließ ich es geschehen. Mir war im Leben nie so wohl gewesen und heimlich mußte ich über Constantin’s ängstliche Fragen lächeln, ob ich viel Schmerzen empfinde. Von seinem Arm gestützt, gingen wir langsam weiter. Unsere Herzen pochten nahe aneinander. Unsere Blicke begegneten sich. Die seinigen ruhten mit einer Art magnetischem Zauber auf mir. Ich schlug die Augen nieder und mein Gesicht überzog dunkle Röthe. „Zauberin,“ flüsterte er, „Du hast endlich den entscheidenden Blick in mein Herz gethan: Du weißt, daß ich Dich liebe, wie ein Wahnsinniger liebe. Mit tausend Schmerzen habe ich gegen diese Liebe wie gegen eine Thorheit gekämpft, umsonst, sie blieb Siegerin.“ Er sank in heftiger Aufregung zu meinen Füßen und barg sein Gesicht in meinen Händen, die ich ihm entgegenstreckte. Wohin war mein Stolz den Männern gegenüber? Mein Auge strahlte vor Freude. Doch ein Gedanke durchzuckte mich schmerzlich. Warum sträubte er sich so heftig gegen seine Neigung zu mir? War ich ein Wesen, das man sich schämen mußte zu lieben? „Constantin,“ sagte ich unter Thränen, aber nicht ohne Stolz, „stehe ich so tief unter Dir, daß Du Deine Liebe beschämt verbirgst? Ist es also, wohl, dann verlaß mich.“ „Dich verlassen?,“ rief er, „Dich verlassen? O Du weißt ja, daß ich das nicht kann, wenn ich auch wollte.“ „Nun denn,“ antwortete ich, „was hindert uns dann, glücklich zu sein?“ „Deine Eltern, Mädchen, sie werden nie einwilligen, daß Du die Meinige wirst. Und Du selbst – sieh mich nicht so zürnend an – Du selbst [442] möchtest vielleicht später Deine Wahl bereuen und Dich nach einem glänzendern Loose sehnen. O, ich habe das Alles oft bedacht, und dennoch – dennoch –“

„Dennoch wirst Du gezwungen, mich zu lieben, mein Freund, mein Lehrer, mein Einziger!“

Das Hinzukommen der Gesellschaft legte uns unerwünschten Zwang auf. Ich erzählte meinen Unfall, ward arglos bedauert und Niemand ahnte Etwas von dem, was vorgefallen, obschon ich fürchtete, die Freude, welche meine Augen und Wangen höher leuchten machte, müßte mich Allen verrathen.

Der Tag verging – Dank unserer liebenswürdigen Wirthin – sehr angenehm. Erst spät Abends trat man den Heimweg an. Ein Theil der Gesellschaft fuhr nach Hause; ich zog mit einigen Wenigen den Fußweg vor, denn auf diese Weise hatte ich Gelegenheit, mich noch lange mit Constantin ungestört zu unterhalten. Da man wußte, daß Falk mein früherer Lehrer und ein Günstling meiner Eltern war, fand es Niemand auffallend, daß er meinen Arm nahm. Wir blieben stets eine Strecke hinter den Andern zurück. Bei der sanften Dunkelheit des Abends, bei dem verklärenden Schimmer des Mondes vernahm ich nun die köstlichen, berauschenden Worte seiner Liebe; hörte, wie er mich schon als Kind geliebt und wie ihn jede meiner damaligen Untugenden geschmerzt habe.

„O Constantin,“ sprach ich, seine Hand an mein Herz drückend, „also aus reinem Interesse, aus unbewußter Neigung, aus dem Wunsche mich zu bessern, hast Du ehedem mich so streng behandelt? Weißt Du noch, Du lobtest Clemence stets und fandest immer an mir zu tadeln?“ „Das ist ja das Seltsame bei der Liebe,“ antwortete er, „daß sie wie ein Zauber den Menschen umstrickt, daß der Kampf gegen sie ein vergeblicher ist. Warum fiel meine Liebe nicht auf Clemence, die – verzeihe dies Geständniß – ein besseres, edleres Kind war als Du? Warum mußte stets ein schönes, stolzes Antlitz mit zauberhaft tiefen lockenden Blauaugen, wie ein blauer See, ein Antlitz umflattert von schweren schwarzen Locken vor meiner Seele schweben? Sieh, Leonore, ich weiß, Du bist heftig, eifersüchtig, unversöhnlich; Clemence dagegen war sanft, liebevoll, versöhnlich und voll Demuth, und doch ist es mir nie eingefallen, etwas Anderes als Freundschaft für sie zu empfinden, als ich sie vor zwei Jahren wieder sah. Nur Dir, Leonore, ist es vorbehalten, mich zu beugen und zu fesseln.“

Ich hätte Falk’s Aufrichtigkeit würdigen und ihm desto fester vertrauen sollen; aber seine Worte erweckten in mir eine heimliche, schmerzliche Eifersucht. Ich zog meinen Arm aus dem seinen, mein Auge füllte sich mit Thränen. „Also liebst Du mich gegen Deinen Willen und hast für meine geistigen Eigenschaften keinen Sinn. Du findest mich unvollkommen und voller Fehler. Nur mein Aeußeres, nicht mein Inneres zieht Dich an mich?“ Falk war erschrocken über meine mißtrauische Heftigkeit. Er zog mich näher an sich und sprach mit zärtlichem Vorwurf: „Wie grausam bist Du, mich also mißzuverstehen. Grade Deine kleinen Unvollkommenheiten zogen mich an. Ein fehlerloses, vollkommenes Wesen würde ich nie mit solcher Leidenschaft lieben. Und auch der Gedanke, Dich durch meine Liebe einst weniger mißtrauisch, sanfter, milder und ruhiger zu machen, begeistert mich. Du kennst meine Macht über mich, meine schöne Wilde – mißbrauche sie nie.“

So gelang es ihm, mich zu beruhigen. Wie wäre es auch möglich gewesen, der aus seinen Worten leuchtenden Wahrheit zu widerstehen. Wir beschlossen, unser Verhältniß noch einige Zeit geheim zu halten und später meine Eltern um Einwilligung zu unserer Verbindung zu bitten. Constantin ahnte harte Kämpfe und Widerstand; ich aber war fest überzeugt, weder Vater noch Mutter könnten sich dem Glücke ihres Lieblings widersetzen.

Eine Woche nach diesem für mich so verhängnißvollen Tage wurde ich durch einen Bedienten auf meines Vaters Stube gerufen. Unwillkürlich erblassend und von ungewisser Angst erschien ich. Mit feierlichem und zugleich freudigem Gesicht kündigte er mir an, einer der vornehmsten und reichsten jungen Männer, der Baron von Neuhaus, habe um meine Hand angehalten. Ich stand unbeweglich vor Schrecken und grausamer Ueberraschung und war im Begriff, meine entschiedene Weigerung zu erkennen zu geben, als mein Vater fortfuhr: „Ich sagte bereits in Deinem Namen Ja; denn es ist mein fester Wille, diese in jeder Beziehung passende Verbindung zu Stande zu bringen. Du wirst als verständiges Mädchen und folgsame Tochter mit Freuden einwilligen.“ „Vater,“ erwiederte ich mit festem Tone, „ich bin bis heute stets Deine gehorsame Tochter gewesen, aber diesmal widersetze ich mich. Ich kann und will diesen Neuhaus nicht heirathen.“

Auf meines Vaters Stirn schwoll die Zornesader. „Was für Gründe,“ frug er strenge, „bestimmen Dich, diesen Mann auszuschlagen?“ „Erstens“, erwiederte ich, „kenne ich diesen Baron zu wenig und zweitens liebe ich ihn nicht und werde ihn nie lieben.“

„Mädchenthorheit, sentimentale Ziererei! Das gibt sich Alles. Du magst ihn lieben oder nicht; aber Du wirst Dich mit Neuhaus vermählen. Du kennst jetzt meinen Willen.“

Ich richtete mich todtenbleich aus meiner bisher demüthigen Stellung und blickte mit entschlossenem Trotz in sein finsteres Antlitz. „Auch meinen Willen lerne kennen,“ sprach ich, „ich bin an Willenskraft Deine echte Tochter, hier schwöre ich Dir zu Gott, daß Du mich nie zu dieser Heirath zwingen wirst. Und weißt Du auch, was mich stark macht, Dir zu widerstehen und wärest Du der mächtigste Fürst? Die Liebe ist es!“

Er faßte zornig meinen Arm und preßte ihn so heftig, daß ich fast einen Schmerzensruf ausgestoßen hätte. „Die Liebe – ? Wen liebst Du, halsstarriges, ungehorsames Kind?“

„Constantin Falk,“ rief ich stolz und meine Augen leuchteten kühn den zornflammenden Blicken meines Vaters entgegen. Er war außer sich und nannte Falk einen elenden Emporkömmling, eine undankbare Schlange, einen heimtückischen Verräther, der ihm das Herz seines Kindes gestohlen.

„Halt ein, Vater,“ rief ich, „ich dulde nicht, daß Falk in meiner Gegenwart geschmäht wird. Was Du ihm [443] thust, thust Du mir, Deiner einzigen Tochter.“ „Ich habe keine Tochter mehr,“ sagte er, vom Zorn zum Schmerze übergehend mit gebrochener Stimme; „dieses stolze halsstarrige Mädchen ist nicht meine Tochter Leonore.“

Meine Thränen begannen zu fließen. Ich demüthigte mich, indem ich zu seinen Füßen sank und um Vergebung und Billigung meiner Liebe flehte. Umsonst, er blieb hart und kalt wie Stein; all’ meine Bitten rührten ihn nicht.

Falk verschwendete vergebens am folgenden Tage seine Beredtsamkeit, seine innigen Bitten. Mein Vater behandelte ihn mit empörender Verachtung und tief in den zartesten Punkten seiner Ehre gekränkt verließ er unser Haus. Ich schrieb heimlich einen Brief voll Liebe und Schmerz an ihn, beschwor ihn, mit mir zu entfliehen und malte mein Verhältniß im elterlichen Hause mit den düstersten Farben. Ach mir ahnte, was er antworten würde. Er wies meinen Vorschlag der heimlichen Flucht als seiner unwürdig zurück und bewies mir, daß mein Vater alsdann mit vollem Rechte seinen Namen beschimpfen könne. Ach, alle Gründe, die er nannte, waren von überwiegender Wichtigkeit und dennoch beleidigte mich sein warmer, zärtlicher, im Schmerze der Entsagung geschriebener Brief. Er deutete auf seine Stellung als Beamteter, die er, ohne ehrlos zu erscheinen, nicht durch heimliche Flucht aufgeben könne und erinnerte mich, daß er nichts weniger als reich sei und es darum für ein schweres Unrecht halte, mich aus dem Ueberflusse zu locken und einem vielleicht dunkeln Schicksale Preis zu geben. Aber er bat mich auch, treu auszuharren und dem Baron standhaft meine Hand zu verweigern. In ihm lebte die feste Hoffnung, daß wenige Jahre unserm Schicksale eine freundlichere Wendung geben würden, und darum beschwor er mich, Muth zu fassen, ihm treu zu bleiben und stets seiner unwandelbaren Liebe zu vertrauen.

Es verflossen nun einige trübselige Wochen. Baron Neuhaus setzte trotz meiner entschiedenen Kälte seine Bewerbungen fort und nahm meine Versicherung, ich würde nie heirathen, mit ungläubigem Lächeln auf. Meine Mutter lag seit den heftigen Auftritten in der Familie krank. Die Großtante kränkelte ebenfalls seit lange und verließ nie ihr abgelegenes Zimmer. Falk wurde in dieser Zeit zu einem ehrenvollen Amte in der Schweiz berufen; und wir mußten scheiden ohne Abschied. Der Gedanke, daß er nicht mehr mit mir an demselben Orte, nicht mehr dieselbe Luft athme, machte mich unaussprechlich muthlos. Er gibt mich auf, sprach ich mißtrauisch zu mir; er hat mich vergessen, sonst wäre er in der schrecklichen Prüfungszeit, die ich zu bestehen, nicht fortgezogen. Er will mich lieber unglücklich sehen, als daß ein Fleck an seiner Ehre hafte.

Die Krankheit meiner Mutter verschlimmerte sich täglich und ihre bisher unterdrückte Liebe zu mir brach in diesen Leidenstagen wieder siegend hervor. Sie nannte mich wieder ihre geliebte Leonore, ließ mich im Gefühl der nahen ewigen Trennung wenig von sich und versprach mir sogar bei dem strengen Vater für mich und Falk zu bitten. Das that sie auch wirklich; aber selbst der Wunsch der sterbenden Gattin vermochte nicht sein hochmüthiges stolzes Herz zu erweichen.

Dem Drange meiner Sehnsucht folgend hatte ich während der Krankheit meiner Mutter einmal an Falk geschrieben, doch keine Antwort erfolgte. Es ist gewiß, er hat Dich vergessen, flüsterte mein böser Genius mir zu, er ist ein Mann wie Alle, treulos, flatterhaft. Aber trotzdem wollte mein Herz seinen Glauben zu ihm nicht so schnell aufgeben.

Da wollte es ein unerforschliches Geschick, daß eine meiner früheren Gespielinnen, die von einer Reise zurückkehrte, meinen früheren Lehrer in B. gesehen haben wollte. „Er führte eine junge schöne Dame,“ erzählte sie arglos, „die er küßte und nach einem Reisewagen führte, in welchem eine ältliche Frau saß. Als er sie in den Wagen hob, küßte er sie nochmals und bat sie, ihm bald zu schreiben. Es war gewiß die Braut Deines ehemaligen Schuldespoten.“ Die gute schwatzhafte Anna hatte keine Ahnung, welchen Wintersturm sie durch ihre Erzählung in mir hervorbrachte, wie sie mein Herz folterte. Als sie fort war, warf ich mich schluchzend zur Erde und gab mich einem wilden, leidenschaftlichen Schmerze hin. Ich dachte gar nicht an die Möglichkeit eines Irrthums, dachte gar nicht daran, Nachforschungen anzustellen. Falk’s Schwester konnte es nicht sein, weil diese zu weit entfernt lebte. Ach und später erfuhr ich, daß sie es doch gewesen. Auch die Kunde, daß mein Vater meinen Brief an Falk unterschlagen, erfuhr ich erst, als es zu spät war. Wehe über meine unzeitige Eifersucht, über mein Mißtrauen und meine maßlose Heftigkeit; sie legten den Grund zu meinem spätern maßlosen Unglück.

Nach einem schrecklichen Tage, dem eine schlaflose Nacht folgte, trat ich bleich, mit kalten starren Zügen vor meinen Vater und erklärte ihm, daß ich bereit sei, Neuhaus meine Hand zu gehen. Er war überrascht und hocherfreut und bemerkte in der Freude über meine Sinnesänderung nicht einmal die Blässe meiner Wangen. Als Herr von Neuhaus mir seine Aufwartung machte, erklärte ich ruhig und kalt, ich wolle nach dem Wunsche meiner Eltern die Seinige werden, falls ihm noch daran gelegen, eine Frau zu besitzen, die keine Liebe und Zuneigung zu ihm besitze. Er war erbärmlich genug, darauf einzugehen.

Den Tag nach meiner Verlobung starb meine Mutter, mich segnend und für das Opfer, das ich gebracht, dankend. Thränenlos stand ich in der Nacht einsam an ihrem Sarge und hatte keine andre Empfindung, als Ekel gegen das Leben, Haß gegen die Lebenden und Neid gegen die Todten. „Mutter,“ sprach ich, ihre kalte Hand erfassend, „warum bin ich nicht statt Deiner gestorben? Mir ahnt es, ein harter Kampf ohne Sieg wird meine Zukunft sein.“ Ich setzte die Lampe auf die Erde und versank neben der Leiche in düstre Träumereien. In meiner Seele leuchtete nicht das tröstende Bild der Religion. Ich hatte weder wahren Glauben an Gott noch Liebe zu ihm; und wurde von Zweifeln an Unsterblichkeit und dunkler Ahnung von etwas Höhern hin und her gerissen. „Was ist das Leben anders als ein Puppenspiel,“ flüsterte ich, „Könige und Bettler wirft man nach beendetem Trauerspiel in die Gerüllkammer.“ [444] Die nächtliche Kühle erst weckte mich aus meinem finstern Brüten. Ich ergriff die Lampe und eilte schauernd nach meinem Zimmer.

Noch waren seit der Mutter Tode kaum acht Tage verstrichen, als auch die alte Fioretti, welche wie eine Klausnerin in ihrem Zimmer bisher noch vegetirt hatte, sich dem Tode näherte. Da sie Niemand anders um sich duldete, war ich nothgedrungen ihre Pflegerin. Bereits zu schwach, um selbst ihre Angelegenheiten zu besorgen, überließ sie das mir. Ich mußte Papiere und Briefe zusammen suchen und verbrennen, ohne daß ich sie hätte vorher lesen dürfen. Ihren reichen Schmuck ließ sie sich auf das Bett bringen, um sich noch einmal an den reichen Kleinodien zu ergötzen. Diese alte seltsame Frau liebäugelte auch im Angesicht des Todes mit dem Geschmeide.

„Nimm hin, Leonore,“ sagte sie endlich, indem sie das Kästchen wieder verschloß; „nimm hin, ich schenke Dir diese Schmucksachen. Ich könnte zwar nicht sagen, daß ich Dich besonders liebte, aber Du stehst mir doch näher als Andere, weil Du mir so ähnlich bist. Auch ich war einst jung und schön.“

Nach einer Weile fuhr sie plötzlich aus einem leisen Schlummer auf, gab mir den Schlüssel zu einem Wandschranke und ließ ein kleines Kästchen von Ebenholz herausnehmen und sich auf’s Bett geben. „Schwöre mir, Leonore,“ sprach sie mit schwacher Stimme, „diese Fläschchen und dieses Pulver in den See zu werfen, wo er am tiefsten ist.“ Ich versprach es und fragte mit natürlicher Neugier: „was enthalten diese Gläschen?“ „Hülfe gegen Feinde, Schlaf für Müde, Strafe für Treulose, Mittel Verläumdern den Mund zu schließen,“ murmelte sie, immer schwächer werdend. „Ach es ist also Gift!“ rief ich leise schaudernd. Sie nickte wie im Traume mit dem Kopfe und begann wie im Delirium Allerlei ohne Zusammenhang durcheinander zu flüstern: „Cäsario, unser Bündniß ist gelöst – die Todten können nichts verrathen – schweig Andrée – Deine Pulver wirkten gut –“. Sie hörte auf zu flüstern und versank in eine schlafähnliche Bewußtlosigkeit. Ich lief aus dem Zimmer und schickte nach dem Arzte. Dann versteckte ich das geheimnißvolle, dem Wasser geweihte Kästchen unter meinen zahlreichen Büchern.

Der Arzt fand die Fioretti dem Tode nahe. Das Bewußtsein kehrte nicht wieder. Er gab ihr nur noch einige Stunden zu leben. Wirklich starb sie auch, ruhig aus der Ohnmacht in den Tod gehend, noch selbe Nacht. Ihr Leben ist ein dunkles, ungelöstes Räthsel geblieben. Ich glaube aber, daß mehr als eine schwere Blutschuld auf ihrer Seele lastete.

Das Kästchen mit dem Gifte wollte ich, meinem Versprechen gemäß, in den Bodensee werfen, aber ich unterließ es. Ein seltsamer Zauber mußte in den unscheinbaren Glasbehältnissen liegen, denn ich vermochte es nicht, sie dem nassen Elemente zu überliefern. Eine Stimme aus der dunkelsten Region meiner Seele sagte mir: „Behalte das Gift für Dich! Nimm es selbst, sobald Du dieses elende Leben enden willst.“ Und ich folgte dieser Stimme. Es war meine erste schlechte That, der später andere folgten; denn das Böse wächst lawinenartig, wenn nicht edle, gewaltige Kräfte dagegen wirken.

Der sechste November des Jahres 17.. nahte heran. Es war mein Hochzeittag. An Falk hatte ich in kurzen, stolzen Worten die tiefe Kränkung geschrieben und ihm meine Verlobung gemeldet. Seine Antwort, die ich am Abende vor meiner Hochzeit erhielt, riß alle Wunden meines Herzens wieder auf und goß glühend Oel in die Flamme. Ernst, würdig, mitleidig und voll unterdrückter Liebe, aber auch vorwurfsvoll waren seine Worte. Ich erfuhr, daß ich auf Constantin’s eigene Schwester eifersüchtig gewesen und daß er seit unserer Trennung keinen Brief von mir erhalten hatte. Seine gerechten Worte trafen wie Dolchstiche mein Herz. Die letzten Worte des Briefes waren: „Alles ist vorbei zwischen uns Beiden! So schriebst Du mir, Leonore! Ja, es ist so – durch Deine Schuld. Hätte uns nur ein widrig Geschick getrennt, so würden wir auch tausend Meilen von einander, geistig vereint geblieben sein. Du aber hast Dich durch schnödes Mißtrauen von mir geschieden. Wer mir nicht fest vertraut, kann mich auch nicht wahrhaft lieben. Lebe wohl! Gott möge Dich segnen. Du kränktest mich tief, aber ich verzeihe Dir und werde Deiner nie vergessen. O Leonore, Du bist unglücklich. Lasse das Unglück Deine Seele läutern, und nicht verdunkeln.“

(Fortsetzung folgt.)




Der kaiserliche Palast in Peking.


In der letzten Nummer unserer Zeitschrift lieferten wir unsern Lesern in den „Chinesischen Spiegelbildern“ eine Schilderung der jetzigen Zustände und Persönlichkeiten des „Himmlischen Reiches,“ das jetzt durch die Revolution wieder ein vielbesprochenes Land geworden. Wir vervollständigen diesen Bericht heute durch eine Abbildung des Kaiserlichen Palastes in Peking. Die Grundidee des Chinesischen Staates, die vollständigste Absonderung, macht sich auch in der Residenz des Beherrschers dieses Reiches geltend. Dieselbe ist mit keiner andern Fürstenwohnung zu vergleichen.

Man stelle sich einen viereckigen Raum von 23/4 Stunden im Umkreise (etwa so groß als Berlin) vor, der mitten in dem, den Treppen und den Beamten zur Wohnung angewiesenen Tartarenviertel Pekings liegt, welches selbst stundenweit von den Gebäuden der Hauptstadt eingeschlossen ist. Jenen Platz umgiebt eine 40 Fuß hohe Mauer, durch welche zwei geräumige Thore, welche zahlreiche Posten der Garden hüten, in die Vorhöfe führen. Nur speciell ermächtigte Personen und solche, welche unmittelbar zur kaiserlichen Hofhaltung gehören, oder Glieder der kaiserlichen Familie [445] sind, dürfen es wagen, in diese Pforten einzugehen. In den Vorhöfen stehen die Paläste der Verwandten des Kaisers, der Minister und anderer, mit dem Monarchen in direktem Verkehr stehenden vornehmen Mandarinen und Hofbeamten; sie liegen zerstreut und sind mit Gartenanlagen anmuthig umgeben. In der Mitte aber erhebt sich ein zweites Mauer-Viereck mit Thoren, eine Stunde im Umkreise. Das ist die „verbotene oder heilige Mauer,“ und sie birgt den eigentlichen Aufenthalt des Monarchen; die vielen Privatpaläste des Kaisers und der Kaiserin. An ihnen hat die chinesische Architectur und Bildnerei ihre höchste Pracht und ihr größtes Geschick verschwendet. Sie haben dabei ein heiteres Ansehen; nicht den zurückstoßenden Ernst der meisten Königschlösser in den europäischen Ländern. Hinter den Palästen strecken sich die kaiserlichen Lustgärten wohl eine Meile weit aus. Anlagen, die Alles übertreffen, was die englische Landschaftsgärtnerei Schönes hervorgebracht hat. Die reizendste Abwechselung von Berg und Thal, Schlucht und Felsen, Seen, fließenden und stürzenden Wässern, Stegen und Brücken, Wäldern, Obstpflanzungen und Wiesengründen bereiten dem Auge bei jedem Schritte ein anderes schöneres Landschaftsbild. Geschmackvolle Sommerschlößchen, an deren schimmernden, weit überspringenden Dächern sorgfältig gestimmte Glöckchen, vom Winde bewegt, liebliche Weisen in endloser Mannichfaltigkeit spielen, Tempel, Thürmchen von Porzellan, kleine Meiereien, Lauben und Schattengänge aller Formen,

Der kaiserliche Palast in Peking.

rauschende Springbrunnen und plätschernde Kaskaden, weidende Heerden und gezähmtes Wild bilden in diesem feenhaften Aufenthalte die passende Staffage. Aber zugänglich ist der Monarch Keinem der vielen Millionen, die seinem Scepter gehorchen. Nur die Weiber und eine kleine Zahl vertrauter Genossen der Lust sind sein Umgang; er erfährt von dem, was in seinem Reiche vorgeht, nur so viel, als die Minister für unumgänglich nöthig erachten, und dies Wenige ist nie die Wahrheit. Es scheint in der That auch überflüßig; denn wo, wie in China, die Regierungskunst nichts weiter ist, als eine Maschine, welcher die Nothwendigkeit die unveränderliche Bewegung verleiht, kann jede eigenwillige Kraftäußerung des Monarchen nur störend auf ihr Getriebe wirken. Daher spart man auch des Kaisers eignes Regierungswirken nur für außerordentliche Gelegenheiten und Fälle auf.

Wie lange werden alle diese Herrlichkeiten des jetzigen Kaisers bleiben? Wie lange werden Sr. himmlische Majestät mit dero hohen Gemahlin in den Gärten des Palastes noch „Haschens“ spielen? Schon jetzt, wo wir diese Zeilen schreiben, findet der Kaiser keine Generale mehr, die seine Truppen gegen die Rebellen zu führen wagen; wenn er ausreitet, lauern Meuchelmörder und vielleicht in der nächsten Nummer bereits können nur unsern Lesern die Nachricht mittheilen, daß sich die Thore des herrlichen Palastes in Peking dem zopflosen Gegenkaiser geöffnet haben.

[446]

Drei deutsche Dichter.

Privatangelegenheiten, nebenbei auch der heimliche Drang, mir das Dresdner Hof- und Residenzleben genauer, als auf flüchtigen Durchreisen, anzusehen, bestimmten mich im Herbst des Jahres 1836, meinen Wohnsitz auf ein halbes Jährchen nach dem lieblichen „Elbflorenz,“ um welchem Namen Dresden schon damals kokettirte, zu verlegen. Der Landtag war um jene Zeit gerade versammelt, unter dessen Mitgliedern ich zwei Freunde, Todt und von Dieskau zählte; auch wußte ich, daß Julius Mosen, einer unserer reichbegabtesten, deutschesten Dichter, mir seit einer Reihe von Jahren lieb und vertraut, in Dresden wohnte, und so war ich gleich für den Anfang meines Aufenthaltes nicht in Verlegenheit, erst nach befreundeten und gleichgestimmten Herzen suchen zu müssen.

Vor Allem lag mir aber daran, die beiden Dichtergreise, die damals in Dresden lebten, Tieck und Tiedge, näher kennen zu lernen, von denen ich den letztgenannten einige Jahre früher (1829) in Leipzig zu sprechen Gelegenheit fand. Obschon ich damals nur wenige Stunden mit dem „Sänger der Urania“ zusammen gewesen, so empfing er mich doch, als ich ihn jetzt aufsuchte, mit einer so wohlwollenden Herzlichkeit, als wären wir schon seit langer Zeit befreundet. Er bewohnte – irre ich nicht, bis an sein Ende – die Räume, in welchen seine im Jahre 1833 entschlafene Freundin, die fromme Dichterin Elisa von der Recke, gewaltet hatte und noch heute sehe ich die gebeugte Gestalt mit den mildfreundlichen dunkelblauen Augen sich auf dem Drehsessel nach dem Eintretenden hinwenden und ihm gütig die Hand zum Willkommen entgegenstrecken. Von der Tapete des Zimmers war kaum etwas zu sehen, so dicht hingen rings an den Wänden Bild an Bild, alles Portraits unserer bekanntesten Dichter und Schriftsteller, meist in Oelgemälden, von Klopstock, Göckingk, Gleim und der Karschin herab bis auf Maltitz, den der Tod auch kurz vorher abgerufen; da schauten sie herab, die Heroen im Reiche der Geister, und es war mir oft, als sähe ich sie herniedersteigen aus ihren goldenen Rahmen in die Mitte dieses heiligen Tempels, wenn der greise Tiedge, von Erinnerungen aus längst verrauschten Jahren erfaßt, über seinen Aufenthalt in Löbichau oder von dem Zusammenleben mit diesem oder jenem Großgeist unseres Volkes erzählte und dann auf seinem Sessel nach der Seite der Wand sich hinwendete oder mit der zitternden Hand und den Worten: „der dort“ nach dem Bilde hinzeigte, das ihm die Züge des Geliebten von Neuem vor das Auge der Seele rief.

Tiedge zählte zu jener Zeit 84 Jahre, aber außer der gichtischen Lähmung seiner Füße und den wenigen weißen Kopfhaaren, die nur kümmerlich sein Hinterhaupt deckten, verrieth nichts solch hohes Greisenalter; das Auge war frisch und freundlich, der Geist ungetrübt und lebendig, ja selbst das Gedächtniß noch wacker und treu. Dabei war sein ganzes Wesen voll Güte und Wohlwollen; ich glaube, er fühlte sich glücklich, wenn er einem Dritten eine Gefälligkeit erweisen konnte. Auch nahm er noch lebendigen Antheil an allen neuen die Zeit bewegenden Richtungen, ja er dünkte sich ein ganzer Liberaler (hier war er wohl von Maltitz angesteckt worden), weil er im Jahre 1832 in seinen „Wanderungen durch den Markt des Lebens“ im ernsten Rückblick auf die Reihe von Jahren, die an ihm vorübergegangen, die Erscheinungen der Vergangenheit und Gegenwart auf dem Felde der Politik und Literatur poetisch, aber vom freisinnigen Standpunkte aus besprochen und dabei Lorbeer- und Dornenkränze (letztere mit gemüthlich zahmer Satyre) vertheilt hatte. Gar häufig brachte er bei meinen Besuchen das Gespräch auf diese „Wanderungen“ und las mir einzelne Stellen aus denselben vor. Im Jahre 1837 sah ich ihn zum letzten Male; als ich später wieder nach Dresden kam, konnte ich nur sein prunkloses Grab besuchen.

Einen durchaus andern Eindruck machte Ludwig Tieck auf mich. Julius Mosen führte mich bei ihm ein. Auch Tieck nahm mich mit zuvorkommendem Wohlwollen auf, aber der ganze Empfang hatte mehr Ceremonielles, ich möchte sagen Hofmännisches, was ich jedoch keineswegs auffallend fand, denn ich durfte füglich nicht verlangen, daß Tieck die wenigen historischen Schriften, die ich veröffentlicht, gelesen, noch weniger, daß sie ihm gefallen hatten. Dennoch war er so freundlich, mich einzuladen, an einem der nächsten Abende eine seiner berühmten Vorlesungen mit anzuhören. Diese Erlaubniß ward später auf alle die bestimmten Abende ausgedehnt, an welchen Tieck einen gewählten Cirkel um sich versammelte und denselben durch seine herrlichen Vorlesungen unterhielt. Es ist von kundigeren Federn bereits so viel über diese Tieck’schen Abendunterhaltungen geschrieben worden, daß ich mich kurz darüber fassen kann. Wie andere Menschen zur Erholung spazieren gehen, um Kraft zu neuem Tagewerk zu schöpfen, so brauchte Tieck das Mittel des Vorlesens zu dieser Erholung, und obschon er damals im 63. Lebensjahre stand, so konnte man doch nach oft dreistündigem Vorlesen nicht die geringste Ermattung an ihm wahrnehmen. Sein Vortrag war vortrefflich (namentlich im Lustspiel) und hierin ist ihm bis jetzt kein Zweiter gleichgekommen, nicht Holtei, nicht Richard Schramm, von Heinrich Laube zu schweigen, der auch einmal den unglücklichen Versuch des Vorlesens riskirte. Shakespeare, Holberg, Göthe, Goldoni waren fast ausschließlich die Dichter, welche Tieck zu diesen Vorlesungen benutzte, obwohl auch einmal während meiner Anwesenheit in Dresden Herr Johannes Minkwitz mit einer seiner griechischen Uebersetzungen zu der unverdienten Ehre gelangte. Die Ruhe, die während dieser Vorlesungen herrschte, grenzte an’s Fabelhafte und wehe dem Armen, den vielleicht ein leises Niesen oder Hüsteln dabei anwandelte – die Blicke aller Anwesenden richteten sich indignirt auf den Unglücklichen, der vergebens nach einem Auge suchte, [447] welches ihm bedauerndes Mitleid zu erkennen gäbe. Oft, ja gewöhnlich machte Tieck am geeigneten Orte eine Pause, während welcher Thee und Backwerk herumgegeben und von den meisten Anwesenden sich angestrengt wurde, geistreich zu erscheinen. Dieses Haschen nach prägnanten Gedanken, nach genialen Schlagworten schien namentlich bei einigen Damen zum guten Ton dieser Gesellschaft zu gehören, war aber um so widerlicher, als es einen so geistvollen Mann, wie doch Tieck unzweifelhaft war, nöthigte, dieses traurige Gewäsch mit anzuhören. – Nach beendigter Vorlesung mußte Tieck regelmäßig fade Lobhudeleien hinnehmen, die mit obligaten Küssen auf seine Wangen oder Hände begleitet waren und ebenfalls zumeist von Damen ausgingen, welche die ersten Jugendthorheiten überwunden hatten. Fern sei es jedoch von mir, dieses vielleicht zu harte Urtheil über alle derartigen Abende im Tieck’schen Hause auszusprechen; es gab deren viele, die durch ernstes, würdiges Gespräch, wie durch die feinen Witzfunken, mit welchen der gefeierte Dichter die Unterhaltungen zu beleben wußte, die schönste und ungetrübteste Erinnerung in mir zurückgelassen haben.

Soll ich noch von Tieck’s Aeußerem sprechen? Auch ihn hatte die Gicht (ich glaube bereits seit 1806, wie er mir einmal sagte) den Körper gekrümmt und das Gehen erschwert; dagegen war sein Kopf einer der prächtigsten von allen – den Thorwaldsen’s vielleicht ausgenommen – die ich je gesehen habe. Auf dieser hohen Stirne thronten die reichen, geistvollen Gedanken; dies dunkle Auge, das mit ruhigem, würdevollem Ernste um sich schaute, verrieth das innere Feuer wahrer Begeisterung, wenn der Dichter beim Vorlesen an eine seiner Lieblingsstellen gelangte; Nase und Mund – Alles war schön und harmonisch an diesem Muster eines Kopfes! –

Auch Tieck hatte sich, wie sein Meister Göthe, in eine Welt des Edlen und Schönen zurückgezogen, aus welcher er sich nicht gern herausziehen ließ; hiervon nur ein Beispiel.

Eines Abends rief mich Julius Mosen aus dem Theater ab und theilte mir mit, daß ich ihm sogleich folgen müsse, um eine interessante Bekanntschaft zu machen. Unterwegs entnahmen wir aus einer Weinhandlung einige Flaschen edlen Rheinweins und so stieg ich denn, in gleicher Weise wie Mosen mit süßem Stoff beladen, aber ungewiß der Dinge, die da kommen sollten, die Treppen hinauf, die nach des Freundes bescheidenem Zimmer führten. Dort harrte unserer ein lieber Gast, Hoffmann von Fallersleben, der, eben von einer Reise durch Belgien und die Niederlande zurückgekehrt, einige Tage in Dresden verweilen wollte. Bis in die Nacht hinein saßen wir beim blinkenden Rebensaft im trauten Gespräch, das namentlich durch Hoffmann’s sprudelnden Witz und durch Mittheilung der Schätze, die er auf seiner Reise gesammelt (altdeutsche Volkslieder und Sagen), in lebendigen Fluthen auf und nieder wogte. Hoffmann ist ein deutscher, biederer Charakter, der das Herz immer auf der Zunge hat, anspruchslos und bescheiden, obschon er Tüchtiges, namentlich im Fache der altdeutschen Literatur, zu Tage gefördert, dabei ein Volksdichter in des Wortes edelster Bedeutung; er wollte gern Tieck persönlich kennen lernen und ich versprach sogleich, ihn an einem der nächsten Tage dort einzuführen. Da Tieck sich früher viel mit altdeutscher Literatur beschäftigt – er hatte ja selbst die „Minnelieder aus dem schwäbischen Zeitalter,“ die „Genoveva,“ den „Kaiser Octavianus,“ „Ulrich’s von Lichtenstein Frauendienste,“ das „Altdeutsche Theater“ etc. herausgegeben – so glaubte ich, daß beide Männer, von gleichem Streben beseelt, die reichen Schätze unserer vaterländischen Literatur wieder zum Gemeingut des Volkes zu machen, bei persönlicher Bekanntschaft manchen Anknüpfungspunkt finden würden, der gegenseitig fördernd und anregend wirken könne. Nun war aber Hoffmann leider ein Tourist nach der alten Schule; er legte seine Reisen meist zu Fuß zurück, führte keinen pariser Hut bei sich und gab, wenigstens damals, nicht allzuviel auf seine Toilette; sein Haupthaar war während seiner jüngsten Tour etwas länger gewachsen, als es der Modeschnitt gut hieß und wallte frei über den Nacken bis an die Schultern. Ein Dichter – so wähnte ich – würde bei einem andern Dichter weniger auf diese Außenwerke sehen und nur die innern Werke würdigen. Getrost eilte ich daher mit Hoffmann in das Eckhaus am Altmarkt, in Tieck’s oftbeschriebene Wohnung. Nach den ersten formellen Begrüßungen lenkte sich das Gespräch natürlich schnell auf altdeutsche Dichtkunst und Hoffmann, offen und rücksichtslos wie immer, machte den Altmeister Tieck ohne große Entschuldigungen auf einige Schönheiten der alten Volkssage aufmerksam, die Tieck bei seiner Bearbeitung übersehen habe. Bald darauf ward das Gespräch abgebrochen und wir entfernten uns nach einem Aufenthalte von kaum zehn Minuten. Als ich einige Tage später wieder zu Tieck kam und die Unterhaltung auf Hoffmann von Fallersleben brachte, äußerte er unumwunden: „ich war froh, als er fort war; die ganze Erscheinung gemahnt mich an die Zeit der alten Studenten von 1816–18 und ist mir zuwider.“ Ich schwieg, nahm mir aber vor, mit derartigen Einführungen fortan etwas vorsichtiger zu sein.

Wir kamen bald darauf auseinander. Eines Abends, nachdem Tieck ein Lustspiel von Goldoni entzückend vorgelesen, wendete sich das Gespräch auf italische Literatur und ich staunte ein wenig über die Naivetät, mit welcher sich einige der anwesenden Damen über Boccaccio’s Decamerone äußerten. Um die Unterhaltung von diesem zarten Gegenstande abzulenken, frug ich Tieck nach seinem Urtheil über Alfieri, dessen Werke gerade um jene Zeit in Italien wieder große Theilnahme gefunden hatten. Tieck gab die kurze Antwort: „Alfieri ist Republikaner und mir ein Gräuel!“ – Dies wollte mir nicht genügen und so bat ich um Erläuterung, die vielleicht nicht ganz passenden Worte hinzufügend: „Nach meinem Dafürhalten kommt bei Beurtheilung eines Dichters dessen politische Gesinnung nicht ist Betracht, und ich würde in gleicher Weise entschieden entgegentreten, wenn Jemand die Behauptung aufstellte: Herr Hofrath Tieck ist kein Dichter, denn er ist Aristokrat!“ – Die übrige Gesellschaft schaute mit staunenden Blicken auf den kecken Opponenten, [448] zu welchem Tieck, ohne eine Antwort abzuwarten, mir noch die Worte sprach: „Wer sagt Ihnen, daß ich Aristokrat sei?“ – Darauf wendete er sich von mir ab und warf im Allgemeinen noch einige Bemerkungen über italisches Leben und Dichten hin.

Beim Heimgehen lachte mir Mosen in’s Gesicht. „Narr,“ rief er mir zu, „wie willst Du wieder gut machen, was Du heute gesündigt? Diese Art des Widerspruchs wird Dir nimmer vergeben!“ Ich theilte seine Befürchtung nicht, er hatte aber Recht. Von diesem Tage an erhielt ich keine neue Einladung zu den Tieck’schen Cirkeln; ich selbst war aber damals zu störrisch, um einen neuen Anknüpfungspunkt zu suchen und so hatte ich mich durch meine offene Entgegnung eines Genusses beraubt, dessen ich mich jetzt nach achtzehn Jahren noch mit hoher Freude erinnere.

E. B. 




Aus der Gewerbswelt.

Mitgetheilt von Friedrich Georg Wieck.




Die thüringische Gewerbeausstellung auf Schloß Friedenstein in Gotha.
II.

Wir haben in unserm Artikel in Nummer 39 einen Blick im Geiste aus den Fenstern des Schlosses Friedenstein in Gotha auf das herrliche Thüringen rings umher geworfen und einige leichte Andeutungen über dessen Gewerbsentwicklung gegeben. Heute wollen wir die inneren Räume des Schlosses rasch durchwandern und uns die ausgestellten Leistungen der thüringischen Gewerbsthätigkeit im Fluge betrachten. Denn es fehlt uns an Raum zu Mehrerem, wie es überhaupt trotz Kristallpalästen an Raum fehlt, die volle reiche Industrie in allen ihren unendlichen Verzweigungen und Kundgebungen in einer bestimmten übersichtlichen Begränzung zur Anschauung zu bringen. Man hat zu dem Ende Industrie- oder Gewerbausstellungen in’s Leben gerufen. Aber selbst die größte Ausstellung, welche noch je dagewesen ist, nämlich in London, ließ noch sehr viel zu wünschen übrig. Für den Kundigen hatte sie große Lücken. Mögen sich daher alle Unternehmer kleinerer Gewerbausstellungen über mangelhafte Vertretung mancher Gewerbszweige in ihrem Bereich trösten, wie wir uns trösten müssen, daß wir nur wenige Worte über die Ausstellung selbst sagen können, während wir viele Bogen darüber schreiben möchten.

Die erste thüringische Gewerbeausstellung in Gotha, abgehalten in den Monaten August und September dieses Jahres, ist als das erste Unternehmen seiner Art und trotz der Schwierigkeiten, die sich seiner Ausführung entgegenstellten, und der kleinen Mängel, als gelungen zu bezeichnen. Jene Schwierigkeiten lagen zum Theil in der Neuheit des Unternehmens und in den verschiedenen politischen Gränzen Thüringens, wodurch die Auffindung eines Mittelpunktes für die Aufstellung erschwert wurde. Die Mängel fanden statt, wie mehr und minder bei allen Ausstellungen, in der Vertretung mehrer wichtigen Gewerbszweige. –

Wenn es Coburg-Gotha gelang – begünstigt durch die Schwerkraft der ersten Idee, durch herrliche Räumlichkeiten, dargeboten durch herzogliche Hochsinnigkeit, durch aufopfernde Hingebung der Ausstellungskommission und besonders ihres Präsidenten des Regierungsassessors Müller – in Gotha, die Blüthe der Leistungen thüringischen Kunst- und Gewerbfleißes auf dem Schlosse Friedenstein zu entfalten, so muß auf’s Lebhafteste anerkannt werden, daß die hohen Regierungen der mit in die Ausstellung hereingezogenen Gebietstheile Thüringens und einiger angränzenden Länder das Unternehmen thatkräftig förderten. Wäre dies nicht geschehen, so hätte nicht im Entferntesten ein Ergebniß erreicht werden können, wie es erreicht worden ist, indem fast Tausend Aussteller erschienen sind.

Die Länder, welche sich an der thüringischen Ausstellung mehr oder minder beteiligten, sind: die königl. preußischen Regierungsbezirke Erfurt und Merseburg bis zur Saale und Elster, jedoch Halle mit eingeschlossen, der kurfürstlich hessische Kreis Schmalkalden, das Großherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach, die Herzogthümer Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Altenburg, die Fürstenthümer Schwarzburg-Sondershausen und Schwarzburg-Rudolstadt, endlich die Fürstenthümer Reuß.

Wir wollen anderen Blättern die streng statistische Richtung der Aussteller nach Land und Gewerbsfächern überlassen. Auch wollen wir uns nicht vertiefen in die Aufzählung der 24 Waarenklassen, in welche die Ausstellung systematisch getheilt war.

Nichts, geliebte Leser, ist für einen gewerblichen Schriftsteller langweiliger, als das Aufzählen von Waaren, ohne sie vorzeigen, verbildlichen, oder wenigstens doch genau beschreiben zu können.

Solche Aufzählung ist aber noch viel langweiliger zu hören. Waaren muß man sehen, anfassen, in Fällen sogar riechen und schmecken können. Da aber in der Regel in den Gewerbausstellungen überall angeschrieben steht, daß man die ausgestellten Gegenstände nicht berühren dürfe, des Probirens ganz und gar zu geschweigen, so haben für den raschen Besucher solche Gegenstände vorzugsweise Bedeutung, welche sich durch Form und Farbe bemerklich machen.

Umgekehrt ist es mit dem, der eine Ausstellung in Worten schildern soll. Er kann die Pracht der Farben [449] nicht malen, die schönen Muster und Formen nicht hinstellen und ausprägen. Das Alles muß gesehen werden. Was aber ein gewerblicher Schriftsteller vermag, das ist: unterrichten von den Quellen der Erzeugnisse, erzählen von den Bevölkerungen, die sich nähren gut oder böse von der Arbeit, die da prangt und prunkt in reichen Sälen und auf vollen Tischen. – Hinweisen kann er ferner auf Vorzüge und Mängel ganzer Gewerbsbetriebe. während er sich wohl zu hüten hat, den einzelnen Gewerbsmann oder Fabrikanten öffentlich zu tadeln, denn dieser ist kein Künstler auf den Bretern. Ihn tadeln die Käufer, oder vielmehr seine Waare, wenn sie es verdient, und sind nicht gewohnt ihn zu schmeicheln, wenn sie wirklich kaufen wollen. Denn bekanntlich lobt nur derjenige die Waare, der sie nicht zu kaufen Lust hat.

Nein! wohlwollender Leser, der Du schon so viele Rücksicht gegen einen etwas ernst beginnenden gewerblichen Aufsatz geübt und bis hierher gelesen hast, nicht will ich Deine Geduld mit Herrechnung von allerlei Waarennamen länger auf die Probe stellen, oder etwa gar bei einer holden Leserin den Wunsch nach dem Besitze herrlicher Zeuge und Geräthe durch begeisterte Schilderung anregen, ohne ihn befriedigen zu können. Freilich muß zugestanden werden, daß bei der Schilderung weniger Gefahr ist, als beim Anschauen der Sache selbst. Diese Gefahr wünschte aber der Aussteller herbeizuführen. Sein Wunsch ist zum Ankauf seiner Waare zu verführen. Er ist bereit, in jedem Augenblicke alle Wünsche zu befriedigen, natürlich gegen Entschädigung; ohne die aber auch der Kunstfleiß, und die Kunst, ja selbst die Wissenschaft nichts vollbringen können. Denn – wir wollen leben, wir wollen behaglich leben, wir wollen rühmlich leben. Eine Gewerbeausstellung ruft uns diese Lebenswünsche in tausend und aber tausend Ausdrucksweisen zu! – Es kommt nicht darauf an, ob die Ausstellung groß oder klein ist: überall sehen wir Waaren für den nothwendigsten Lebensbedarf, Gegenstände für den verfeinerten Lebensgenuß und endlich Geräthe, Werkzeuge, Waffen und Instrumente, dem Dienst der Kunst und Wissenschaft gewidmet, wodurch man Ansehen und Ruhm gewinnt. Die gewerbliche Schaustellung in Gotha war, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, nicht minder belehrend und anregend als die Weltausstellung in London und für den eifrigen Freund deutscher Industrie jedenfalls erfreulicher. Denn er fühlte sich hier nicht so beengt von der überschwenglichen Fülle englischer und französischer Waaren, die sich alle Mühe geben, um mit ihnen ihre Freunde in Deutschland, die vaterländische Industrie zu überwuchern.

In etwa 30 Räumen im zweiten und dritten Stockwerk und im Erdgeschoß des Schlosses waren die verschiedenen eingesandten Gewerbsgegenstände begünstigt von dem trefflich einfallenden Licht der Korridorfenster ausgestellt. Nach Ersteigung von 3 Treppen trat man zuerst in ein Zimmer, angefüllt mit den Erzeugnissen der Gerberei, Sattlerei und Riemerei; und in den Stuben neben an breiteten sich die Luxusleder, die Tischler- und Tapezierarbeiten aus, worunter sich die Altenburger Geschirre, das Geraische Schuhmacherleder, Halle’sche Sättel, Mühlhausener bunte Leder und Erfurter Möbel und Pergamente auszeichneten. Die Luxus-Korbwaaren wetteifern mit denen von Berlin und Leipzig. Ueberrascht ist man von der Wohlfeilheit der kleinen Korbwaarenartikel, wie sie von der Bevölkerung von Kleinschmalkalden und Umgegend gefertigt werden.

Die nun folgende Gallerie breitet die Rohstoffe, welche zur Weiterverarbeitung, zur Verzierung und zur Nahrung dienen vor uns aus. Thüringen besitzt schönen Braunstein, Kobalt und Spießglanzerz, außer trefflichen Eisenerzen und werthvollen sonstigen Mineralien, welche noch einer größeren Verwerthung fähig sind, wenn mehr Kapitalien, Maschinen und Kohlen dem Gewerbfleiße zugeführt werden, als es bis jetzt noch der Fall ist. Schwerspath und Flußspath sind belangreiche Erzeugnisse der Gruben. Wo das Innere der Erde reich ist, fehlt es nicht an Chemikalien, an Farben, Cementen, Salzen und Säuren etc. Von allem Diesem sah man hübsche Muster. Ferner von den altberühmten Thüringen Handelssämereien, von dem sich frisch kräftig entwickelnden Flachsbau nach belgischem Verfahren, von Kartoffelfabrikaten aus Langensalza, Stärkewaaren aus Halle, Graupen aus Erfurt, Leim aus Mühlhausen. Die bedeutende Wurstfabrikation zu Gotha und Waltershausen war wenigstens vertreten. Mit ihr der thüringische Wein, der mir nicht so gut schmeckt, als das Helle kräftige Thüringer Bier. Die unvermeidlichen Cigarren hatten ebenfalls in Havannakisten Platz genommen.

Durch die Erfrischungshalle, deren gute und billige Bewirthung rühmlich anzuerkennen ist, begab man sich in's zweite Geschoß hinunter und begegnete dort zunächst den wissenschaftlichen Instrumenten, in denen Erfurt, Jena, Halle den Vortritt nahmen. Hier sah man u. A. die trefflichen Karten und Werke, so wie die galvanoplastischen Platten der geographischen Anstalt in Gotha. Hier lassen die bedeutendsten Kupferstecher Deutschlands ihre Platten galvanoplastiren. Ein Reliefglobus von seltener Größe aus Schmalkalden erregte gerechte Bewunderung. Die ausgestellten Blech- und Holzblasinstrumente aus mehreren Orten ermuntern die Musikinstrumenten-Fabrikation des sächsischen Voigtlandes zum Fortschritt, wie die starke Fabrikation von Pianofortes in Gotha, Saalfeld, Erfurt, Zeitz, Weimar die Leipziger zur – Aufmerksamkeit auffordert. Sie hatten sich neben den Waffen hingestellt, jenem uralten Gewerbe von Suhl, in früheren Zeiten, die Rüstkammer von Deutschland. Zu wahren hat sich dasselbe jetzt gegen das In- und Ausland. Zella und Schmalkalden liefern aus Fabriken vorzügliche Waaren. In Sömmerda strecken sich die Zündnadelflinten entgegen. Zwei ähnliche Fabriken legt der preußische Staat im Norden und Osten an. Außerdem concurrirt Lüttich.

Eine schöne Fabrikation Thüringens ist die des glatten, gemalten und vergoldeten Porzellans. Sie hatte sich aus Gotha, Elgersburg, Ohrdruf, Plaue bei Arnstadt, Pösneck, in den nun folgenden Zimmern ausgebreitet. Mit ihrer Vertretung konnte man zufrieden sein. Bezeichnend – auch hier – ist die Zunahme von Terra-Cotta-Waaren, farbige Thonwaaren [450] mit mannichfaltiger Verzierung und Glasur, in Deutschland als freies Gewerbe. Der innungsmäßigen Töpferei bleibt das allerschlechteste Geschirr, wenn sie sich nicht in einzelnen ihrer Genossen erhebt.

Die Thonwaaren von Erfurt, Kahla, Eisenach, zeigten offenbaren Fortschritt auch im Geschmack. Groß ist hier noch das Feld der Bearbeitung.

Neben den Porzellan- und Irdenwaaren sah man die Gläser schwach vertreten. Hübsches Tafelglas, ordinäres Hohlglas, aber Nichts von Kristallglas mit Schliff und Verzierung! Hat Thüringen darauf verzichtet, mit Böhmen, Schlesien, selbst Baiern zu wetteifern? Selbst die Glasperlen und Glasbläsereien des Thüringer Waldes hatten sich versteckt gehalten. Warum? Weil sie sich auf dem Augustusplatz in Leipzig ausbreiten? –

Man kann es nicht gut begreifen, warum die Glasfabrikation in Thüringen sich in so enge Schranken hält? Fortschritt ankündigend zeigten sich die Tafelglaswaaren von Dietharz, die Hohlglaswaaren von Gehlberg.




Blätter und Blüthen.

Sympathien und Antipathien. Daß der menschliche Körper seiner Organisation zufolge durch anscheinend leichte, ja fast unbemerkbare Eindrücke große Veränderungen erleiden kann, ist eine bekannte, wiewohl in vielen Fällen noch durchaus nicht erklärte Thatsache. Wenn man plötzlich in den hellen Sonnenschein tritt, so wird zuweilen augenblicklich jene heftige Erschütterung veranlaßt, welche wir Niesen nennen. Das Heruntersehen von einer steilen Höhe macht den Kopf schwindlig; wer lange in einen Strudel blickt, läuft Gefahr hineinzufallen, und wenn man auf einem segelnden Schiffe stehend die Augen auf das Wasser heftet, so stellt sich bald Erbrechen ein. So wie Kitzeln mit einem Strohhalm an der Nase zum Niesen reizt, so werden bei einem schrillenden, kratzenden Geräusch oft die Zähne stumpf, ja man hat Personen gekannt, denen das Zahnfleisch zu bluten anfing, wenn sie ein Messer wetzen hörten. Ein Freund von uns hat eine Dame gekannt, die bei dem Schall einer Klingel allemal ohnmächtig ward und dann einige Minuten lang wie todt dalag. Krämpfe, besonders bei Frauen, stecken oft durch den bloßen Anblick an, und daß krankhafte Körper Einwirkungen ausgesetzt sind, welche gesunde unberührt lassen, geht daraus hervor, daß die feinen Dünste, welche vor der Aenderung des Wetters in der Luft schwimmen, von Leuten, die mit alten Wundschäden behaftet sind, deutlich empfunden werden, aber blos an den krankhaften Stellen. Wie Viele giebt es, denen es übel wird, wenn sie beim Fahren rückwärts sitzen, und wie viele Andere, denen der Geruch des Moschus, den Manche so gern haben, unausstehlich ist.

Abgesehen von diesen Antipathien aber, welche einer großen Anzahl Menschen eigen sind, giebt es noch andere, die nur höchst vereinzelt vorkommen und manchmal sonderbar genug sind.

So pflegte zum Beispiel der Cardinal Oliverius Caraffa während der Zeit, wo die Rosen blühen, sich, weil der Duft derselben ihm Ohnmachten zuzog, in sein Zimmer einzuschließen und Niemand, der eine Rose an sich trug, durfte seinen Palast betreten, noch viel weniger in seine unmittelbare Nähe kommen. – Johannes Querceto, Secretär des Königs Franz I. von Frankreich, mußte sich die Nasenlöcher mit Brod zustopfen, so oft Aepfel auf der Tafel erschienen, deren Geruch er so wenig ertragen konnte, daß wenn man ihm einen Apfel dicht unter die Nase hielt, diese anfing zu bluten. — In einer uns genau bekannten Familie befand sich noch vor wenigen Jahren ein Knabe – er starb später – der nichts Gekochtes oder Gebratenes essen konnte, sondern sich mit Brod, Obst und Milch begnügte; auch konnte er nicht feineres oder weißes Brod essen, sondern blos von Schwarzmehl gebackenes. Im Winter aß er gedörrte Aepfel, Birnen, Kirschen, Nüsse u. s. w.; seine Milch mußte ebenfalls kalt sein, denn er konnte einmal nichts Heißes oder Warmes essen. Zuweilen genoß er auch ein Ei, aber dann schwollen ihm allemal die Lippen auf, sein Gesicht bekam purpurrothe und schwarze Flecken und es trat ihm Schaum vor den Mund, gerade als ob er Gift genossen hätte.

In einem alten Schriftsteller lesen wir von der unglaublichen Antipathie eines vornehmen Herrn, welcher es nicht ertragen konnte, wenn ihn ein altes Weib ansah, und als seine Freunde, um sich einen Scherz zu machen, ihn einmal unvermuthet in die Nähe einer antiquirten Schönheit brachten, stürzte er zu Boden und gab auf der Stelle den Geist auf. Vielleicht wäre ein Wiederbelebungsversuch mit einem jungen schönen Mädchen nicht ganz erfolglos gewesen.

Die Katzen haben das Unglück, Gegenstand der Antipathie vieler Menschen zu sein. Ein sehr guter Freund von uns, der sonst durchaus kein Feigling ist und wenn es sein müßte, mit einem Löwen anbinden würde, kann in keinem Zimmer bleiben, in welchem sich eine Katze befindet. Neulich besuchten wir zusammen einen Bekannten, der uns zu Tische gebeten hatte. Kaum hatten wir uns gesetzt, so ward mein Freund unruhig, schnüffelte in der Luft herum, sprang plötzlich auf und erklärte, es müsse eine Katze im Zimmer sein. Und so war es auch. Unser Bekannter, der diese Antipathie zeither immer für Ziererei oder Selbsttäuschung gehalten, hatte, um unsern Freund auf die Probe zu stellen, ohne einem Menschen etwas zu sagen, ein Kätzchen in einen Wandschrank eingesperrt.

Noch verbreiteter als gegen die Katzen ist die Antipathie gegen Spinnen, in Bezug worauf wir selbst [451] vor einiger Zeit ein merkwürdiges Beispiel erlebten. Wir befanden uns in einer Gesellschaft sehr gebildeter und gelehrter Leute und das Gespräch kam zufällig auch auf das Kapitel der Antipathien. Mehrere stellten die Wirklichkeit derselben in Abrede, erfuhren aber entschiedenen Widerspruch von Seiten eines jungen Mannes von der Insel Barbados, der gegenwärtig auf einer deutschen Universität seine Studien macht. Er erklärte, daß er selbst gegen Spinnen eine unüberwindliche Antipathie besitze, was wohl mit darin seinen Grund habe, daß in seinem Geburtslande, der Insel Barbados, die größten und häßlichsten Spinnen gefunden werden. Einer der mit anwesenden Herren kam auf den Einfall, im Beisein des Herrn Matthew – so heißt der junge Insulaner – eine Spinne von schwarzem Wachs zu fertigen, um zu versuchen, ob diese Antipathie blos bei dem Anblick des wirklichen Insekts zum Vorschein käme. Er ging deshalb aus dem Zimmer und kam mit einem Stück schwarzen Wachses in der geschlossenen Hand zurück. Matthew, der sonst ein sehr sanfter und liebenswürdiger junger Mann ist, ergriff, in der Meinung, daß der Herr wirklich eine Spinne in der Hand habe, sofort ein auf dem Tische liegendes Messer, stellte sich mit dem Rücken gegen die Wand und erhob ein furchtbares Geschrei. Alle Muskeln seines Gesichts waren angeschwollen, seine Augen rollten und er war am ganzen Körper starr und steif. Wir liefen sogleich erschrocken auf ihn zu, entwanden ihm das Messer und versicherten ihm, daß der Herr blos ein Stück Wachs in der Hand gehabt und daß er es selbst auf dem Tische, wo es mittlerweile hingelegt worden, ansehen könne. Er verharrte noch eine Zeit lang in diesem krampfhaften Zustande und es war uns wirklich bange um die Folgen. Allmälig jedoch erlangte er seine Fassung wieder und beklagte die Raserei, zu welcher er sich hatte hinreißen lassen. Sein Puls ging außerordentlich rasch und hart und sein ganzer Körper war mit kaltem Schweiß bedeckt.




Literarisches. Die Cotta'sche Buchhandlung hat mit der Lieferungsausgabe ihrer Classiker eine unheilbare Verwirrung angerichtet. Der Begriff classisch wird in Folge des guten Absatzes von den verschiedenen Verlegern nun auf Autoren übertragen, die Alles, nur keine Classiker sind. Alle Achtung z. E. vor Rotteck und seiner trefflichen Geschichte. Er verdient die Anerkennung, die ihm thatsächlich durch die Verbreitung seines Buches in mehr als 100,000 Exemplaren geworden; deshalb aber ist er noch immer kein classischer Autor, wie uns Herr Westermann, sein Verleger, der jetzt eine „Classiker-Ausgabe“ seiner Geschichte bringt, glauben machen will. Herr Westermann wird recht gut wissen, daß die große Anerkennung, welche dem Rotteck’schen Geschichtswerke gezollt wurde und noch wird, mehr der liberalen freimüthigen Auffassungsweise als der tüchtigen Geschichtsforschung galt. Die Gesinnung allein aber macht in der Literatur noch keine Classiker. Deshalb aber wünschen wir doch, daß diese sehr billige Ausgabe des Rotteck’schen Buches recht zahlreich in das Volk dringe, denn es ist ein Werk, das mit Geist und Wärme geschrieben wenigstens die vielen Dummheiten und Lügen der meisten Geschichtsbücher von sich ferngehalten. – Ein neues Lieferungswerk: Walhalla. Deutsche Schriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts in Biographien und charakteristischen Proben, herausgegeben von Kletke, wird von Berlin aus angekündigt. Der Herausgeber verspricht ein „Compendium der classischen Literatur zu liefern, „eine Quellensammlung, wie noch keine existirt, versehen mit Briefwechseln, Selbstschilderungen etc., die zum Theil noch nirgend veröffentlicht sind.“ – Wie kömmt Herr Kletke in Besitz aller dieser Quellen, Briefwechsel etc.? Der Prospekt dieses Unternehmens ist übrigens sehr schwülstig geschrieben.




Athleten. Wer die letzte Michaelismesse in Leipzig gewesen ist, hat sicherlich auch nicht versäumt, den Circus des Herrn Loisset und die Lufttänzergesellschaft der Herren Cottreli und Hutchinson zu besuchen, wobei er Gelegenheit gehabt haben wird, die Kraft und Gewandtheit dieser Künstler zu bewundern. Wohl scheinen die sogenannten Nonplusultraleistungen dieser Leute in der That auch solche zu sein und ein Darüberhinaus außerhalb des Bereiches der menschlichen Möglichkeit zu liegen, aber was eigentliche Kraft und Muskelstärke betrifft, so stehen die Athleten der Vorzeit den neueren – selbst den weltberühmten Rappo nicht ausgenommen – nicht nur nicht nach, sondern übertreffen sie auch noch bei Weitem.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts producirte sich in vielen Städten Deutschlands, Frankreichs und Italiens der Seiltänzer Venetianello (der kleine Venetianer) – so genannt, weil er aus Venedig gebürtig und von ungewöhnlich kleiner Statur war. Dabei aber besaß er eine so ungemeine Muskelstärke, daß er den dicksten Schenkelknochen eines Ochsen über’s Knie zerbrach; drei Eisenstäbe von der Stärke eines Mannesfingers wickelte er in eine Serviette und drehte und bog sie ineinander, wie dünne Drähte. Einen Balken von zwanzig Fuß Länge und anderthalb Fuß Stärke setzte er sich auf die Schulter und ließ ihn, ohne die Hände dabei anzuwenden, von einer Schulter zur andern hüpfen.

Der Pole Lepelski erzählt in seiner Beschreibung der Festlichkeiten, welche im Jahre 1583 zu Constantinopel zur Feier der Beschneidung Mahomeds, des Sohns des Sultans Amurath, stattfanden, daß dabei unter andern ein Athlet auftrat, welcher einen Balken, den zwölf starke Männer zur Stelle getragen hatten, aufhob und damit wie mit einer Muskete auf Commando exercirte. Hierauf legte er sich flach auf den Rücken nieder, ließ sich einen mächtigen Stein, den zehn Mann kaum von der Stelle zu bewegen vermochten, auf die Brust wälzen und schleuderte ihn dann durch einen plötzlichen Ruck und ohne Anwendung der Hände über den Kopf hinweg.

Tritanus, ein samnitischer Fechter, war von so ausnahmsweis starkem Körperbau, daß nicht blos seine Brust, sondern auch seine Hände und Arme sowohl der [452] Länge als auch der Quere nach mit Sehnen versehen waren, so daß er ohne Mühe alles vor sich niederwarf, was sich ihm in den Weg stellte. Der Sohn dieses Fechters war von demselben Körperbau wie sein Vater und besaß auch dessen Stärke. Er diente als Soldat in der Armee des Pompejus und als er einmal von einem Feind herausgefordert ward, machte er mit diesem so wenig Umstände, daß er ihn durch Schläge mit seiner nackten Hand tödtete und dann mit einem einzigen Finger aufhob und in das Lager trug.

In der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts lebte in Meißen ein Pförtner an der Domkirche, Namens Nicolaus Klunker, der so stark war, daß er ganz allein und ohne irgendwelche Vorrichtung ein großes Faß Wein aus dem tiefen Schloßkeller heraufholte, bis vor die Stadt trug und auf einen Karren legte.

Zur Ostermesse 1701, wo die Schaubuden noch auf der Grimmaischen Straße standen, ließ sich ein Italiener sehen, welcher mit einem Marmorwürfel von drei Kubikfuß spielte, indem er ihn hoch in die Luft warf, wieder auffing und noch sonstige Künste damit vornahm, so wie wir es heutzutage mit größeren oder kleineren Kugeln vornehmen sehen. Der ebenfalls wegen seiner ungemeinen Körperstärke bekannte damalige Kurfürst von Sachsen und König von Polen Friedrich August war mit einem großen Gefolge auf dieser Messe anwesend, nahm unter andern auch die Künste dieses Italieners in Augenschein und beschenkte ihn reichlich.

Ebenso finden wir eine Menge anderer Beispiele von außerordentlicher Körperstärke, ohne daß die Besitzer derselben daraus einen Broderwerb gemacht hätten. So lebte vor etwa hundert Jahren zu Berlin ein pommerscher Edelmann, Namens Baron Mündelheim, der mit dem Mittelfinger seiner rechten Hand den stärksten Mann, der sich vor ihn setzte oder stellte, über den Haufen warf. Ein galoppirendes Pferd brachte er mit einem einzigen Ruck des Zügels zum Stehen und schob mit seiner Schulter ein vierundzwanzigpfündiges Geschütz mit leichter Mühe hin und her. Seine Handgelenke schienen von Horn zu sein und er zerbrach Hufeisen und zerriß die stärksten Seile.

Traugott Möller, ein Bauersmann zu Stützengrün im sächsischen Voigtlande, trug einmal – es war zur Zeit des siebenjährigen Krieges – in Folge einer Wette sechs Scheffel Weizen mit sammt dem Müller, einem großen starken Mann, der auch seine zwei Scheffel wog, auf seinen Schultern einen Büchsenschuß weit.




Nicolaus Lenau erzählte oft und gern die nachfolgende Anekdote aus dem Leben des verstorbenen Königs von Preußen, der bekanntlich alle Worte kurz, meist nur den Infinitiv, herausstieß. Der König befand sich in Teplitz und hörte zufällig eines Tages von einem ungarischen Magnaten, der eben so bündig spreche. „Ordentlicher Mann sein! Kennen lernen!“ Der Monarch ließ sich diesen Mann beschreiben und redete ihn bei der ersten Gelegenheit an, woraus nachstehende Unterhaltung entstand:

König: Baden?
Ungar: Waschen.
König: Militär?
Ungar: Magnat.
König: So –
Ungar: Polizei?
König: König.
Ungar: Gratulir'.

Damit war die Unterredung zu Ende.




Der Pflanzenkostbote heißt eine in England erscheinende Zeitschrift, die jetzt viel gelesen wird. Sie ist das Organ eines in England und Nordamerika seit 1847 bestehenden Vereins, der sich die Aufgabe gestellt, die Enthaltung von allen Fleischspeisen und den ausschließlichen Gebrauch der Pflanzenkost als angemessen der menschlichen Natur durch Beispiel und Lehre nachzuweisen und so ein Prinzip zu durchgreifender Geltung zu bringen, dem die Macht beigelegt wird, wahre Civilisation, allgemeinen Brudersinn und menschliche Glückseligkeit zu fördern. – Mit allen Waffen aus den Rüstkammern der Physiologie, Moral-Geschichte und Erfahrung zu Abwehr und Angriff versehen, tritt das System gegen die herrschende Meinung in die Schranken, und scheut sich nicht, auch den praktischen Einwürfen die Spitze zu bieten: Was soll mit den Thieren angefangen werden? Woher sollen wir Leder, Rauchwaaren und Aehnliches hernehmen? Wie soll der Landbau bestehen? etc. etc. Die Zeitschrift will unter Anderm wissen, daß zwei Drittel der französischen Bevölkerung ohne Fleischspeisen leben und daß in Glasgow, einer Stadt von mehr als 30,000 Einwohner, im Jahre 1763 das Schlachten eines Rindes noch etwas Unbekanntes gewesen. Aufmerksame Leser des Artikels. Was das Leben und die Gesundheit des Menschen erhält? in Nr. 39 unserer Gartenlaube werden sich selbst ein Urtheil über die Richtigkeit dieses Systems bilden können.




Sefeloge. Eine Wahnsinnsstudie von Dr. Damerow heißt eine demnächst erscheinende Schrift. Der Verfasser, Professor und Direktor der Irrenanstalt in Halle, giebt in dieser interessanten Schrift das Resultat seiner Beobachtungen über den unter seiner Obhut in der Halle’schen Irrenanstalt befindlichen Sefeloge, der vor einigen Jahren das Attentat auf den König von Preußen verübte.

E. K. 




Im Verlage von Ernst Keil in Leipzig ist erschienen:
Hauserziehung und Kindergarten.
Vorträge für Frauen und Jungfrauen,
welche für die Familie oder den Kindergarten sich zu Erzieherinnen bilden wollen.
Von
Auguste Herz.
24 Bogen. eleg. broch. 0 11/3 Thlr.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.