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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[453]

No. 42. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Gott verloren – Alles verloren.

Ein Seelengemälde nach Familienpapieren mitgetheilt von Ferdinand Stolle.
(Fortsetzung.)


Ich las seinen Brief wohl zehnmal, wie im dumpfen Traume. Ach, was hätt’ ich drum gegeben, recht heiß weinen zu können. Aber keine Thräne benetzte meine brennenden Augen. Ruhelos schritt ich das Zimmer auf und ab, sah starren Blicks nach meinem Brautkleide, das glänzend und prächtig auf dem Divan ausgebreitet lag. Zornig warf ich den Rubinschmuck, der mich morgen zieren sollte, zur Erde und biß mir die Lippen blutig, um nicht laut aufzuschreien. Kein Gedanke an Gott und die Feierlichkeit des Bundes, den ich morgen eingehen sollte, kam in meine Seele, und die auf leidenschaftliche Schmerzausbrüche eintretende Ruhe war nur die Folge körperlicher Abspannung.

Der klare, sonnige Morgen fand mich ruhig und entschlossen oder vielmehr trotzig und voll stillen Zorns gegen das Schicksal. Ein erzwungenes Lächeln verhüllte wie ein Schleier den Zustand meines Innern. Gleichgültig als ginge es zu einem Balle, ließ ich mich in den schweren weißseidenen Stoff kleiden und Hals und Arme mit funkelnden Steinen schmücken. Als Kranz und Schleier auf meinen dunkeln Locken ruhten und ich mich bräutlich geschmückt im Spiegel beschaute, vermochte ich trotz meiner unglücklichen Stimmung ein gewisses stolzes Wohlgefallen ob meiner Schönheit nicht zu unterdrücken. „So will ich denn von heut’ an,“ sprach ich zu mir, „nur der Prunksucht und Eitelkeit leben, da mir das Glück keine Gabe außer Reichthum und Schönheit gegeben hat.“ Dergleichen weltliche Gedanken erfüllten mich in demselben Augenblicke, wo ich vor Gott treten sollte. Der Schall der Glocken erst brachte mich wieder zu dem niederbeugenden Bewußtsein, daß ich von jetzt an einem ungeliebten Manne angehöre und daß die strenge Pflicht das Opfer meines für einen Andern erglühenden Herzens verlange. Wie von einem bösen Traume befangen, ging ich zur Kirche, hörte die Stimme des Priesters, ohne seine Worte deutlich zu verstehen, sagte mechanisch: Ja, und welchselte den Trauring. Meine Seele war während der ganzen Ceremonie weit weg, fern in den blauen Bergen der Schweiz bei Constantin. Nur Stolz bestimmte [454] mich, bei dem ganzen Feste eine heitere, zufriedene Miene zu heucheln und lächelnd die Glückwünsche der Hochzeitgäste zu empfangen.

Das äußerlich glänzende Leben, das ich von nun an begann, ließ die Menschen glauben, ich sei eine der beneidenswerthesten Frauen. Ich selbst übertäubte auch wirklich die nagende innere Unzufriedenheit eine Zeit lang durch geräuschvolle Vergnügungen und durch die Triumphe, die meine Eitelkeit und mein Stolz feierten.

Eine geraume Zeit ließ sich Neuhaus meine Kälte und Schroffheit ihm gegenüber gefallen. Er fand sich mit dem Gedanken geschmeichelt, der Gatte des hübschesten und witzigsten Frauenzimmers von C. zu sein. Allmälig aber änderte sich dieser Stand der Dinge. An die Stelle der blinden Verehrung trat Enttäuschung und Langeweile. Er hatte gehofft, seine ausdauernde Liebe zu mir endlich mit Gegenliebe oder doch wenigstens mit Vertrauen belohnt zu sehen; ich aber stand ihm nach wie vor kalt und höflich-gleichgültig gegenüber. So fing Neuhaus endlich an, mich zu hassen. Ja, der Fluch einer unglücklichen, verfehlten Ehe ruhte schwer auf uns. Mein Gatte mußte auf jede Traulichkeit, auf jeden Zauber einer glücklichen Häuslichkeit verzichten. Er fand in meinem Herzen nicht eine einzige verwandte Saite. Dabei sah er sich durch mich mancher frühern Freiheit beraubt. Grund genug, mich im Stillen mit Haß und Verachtung zu behandeln – ich sage, im Stillen, denn vor der Welt gaben wir uns Mühe, für ein zufriedenes Paar zu gelten. Und ich, war ich weniger zu beklagen als er? Nur ein Weib kann verstehen, was es heißt, dem Geliebten entsagen zu müssen und die Frau eines unliebenswürdigen und ungeliebten Gatten zu sein.

Ich gab mich fortwährend allen erdenklichen Zerstreuungen hin; aber selbst die Bewunderung, die man meinem Geiste, meinen Worten, meiner Schönheit zollte, vermochten nicht die drückende und grenzenlose Gleichgültigkeit zu tödten, die mich verzehrte. Nur Lectüre ergötzte mich noch; aber was ich las, zeigte den verdorbenen Geschmack und die irreligiöse, unweibliche Richtung meines Geistes.

Mein Mann wurde im Hause immer tyrannischer. Er äußerte seine Abneigung durch unendliche Launen und suchte mich selbst geflissentlich zu kränken. Mein Haß dagegen war so tief und versteckt, daß Neuhaus ihn nur für Gleichgültigkeit hielt.

So schleppten wir uns im Gefühle gegenseitiger Abneigung fast ein Jahr hin. O es war ein Leben so schmachvoll, so entwürdigend, daß ich mir oft sehnlich den Tod wünschte. Um diese Zeit starb sehr plötzlich mein Vater und hinterließ mir ein beträchtliches Vermögen. Gern hätte ich meinem Manne den größten Theil desselben abgetreten, wenn ich dadurch frei geworden wäre; aber er mußte wohl Gründe haben, die ihn nicht in eine Trennung willigen ließen. Ueberdies waren wir katholisch und die Geistlichkeit erschwerte damals die Ehescheidung sehr.

Eines Tages kündigte mir mein Gemahl an, wir würden eine Reise machen. Ich wäre viel lieber daheim geblieben. Das wußte er; aber darum gerade bestand er darauf, mich mitzunehmen. Das Ziel unserer Reise war Zürich. Unterwegs blieben wir einen Tag in B.. und ein sonderbarer Zufall wollte, daß ich dort in einem Concerte, welches ein durchreisender Künstler gab, Constantin von fern erblickte. Er lehnte, ohne meine Anwesenheit zu ahnen, an einer Säule und schien ganz in die Musik versunken. Mein Herz schlug mit so furchtbarer Heftigkeit, daß ich kaum Athem schöpfen konnte. Ich vergaß meine Umgebung, sah einzig nur ihn und ließ mich dabei von den schmeichelnden Tönen der Musik berauschen. Ein unsanftes Rütteln und die Stimme meines Gatten, der mich höhnisch frug, ob ich zur Salzsäule erstarrt sei, riefen mich in die Wirklichkeit zurück. Wenn Blicke tödten könnten, so würde ich Neuhaus getödtet haben, wie ich ihn ansah. Er fühlte auch den Zorn, der aus meinen Augen loderte. „Ich hätte nicht geglaubt,“ sagte er, „daß ein gestörter musikalischer Genuß Madame in solchen Zorn versetzen könnte.“ Wir verließen vor beendigtem Concert den Saal und mir blieb nur Zeit, noch einen verstohlenen Blick nach Constantin zu werfen. Unglücklicher als je kehrte ich von der Reise zurück und wir spielten wieder eine Zeit lang die Rolle eines zufriedenen Ehepaares. Ich besuchte Gesellschaften, tanzte oder saß am Spieltisch, während sich Neuhaus immer mehr dem Genusse übermäßigen Weintrinkens hingab. Seine hierdurch hervorgerufene Kränklichkeit bestimmte ihn, unsern Wohnsitz auf ein halbes Jahr nach unserm zweiten Gute zu verlegen, wo er von der gesünderen Bergluft Stärkung verhoffte. Ich war so stumpf geworden, daß mir es völlig gleichgültig war, wo wir lebten. Ich traf also ohne Widerrede meine Vorbereitungen zur Reise. Als ich in meinen Schränken und Commoden kramte, fand ich auch das Ebenholzkästchen wieder, das ich der todten Großtante versprochen hatte in den See zu werfen. Ich öffnete es und mein Blick heftete sich unwillkürlich auf die kleinen Phiolen. Er vermochte sich von den unheimlichen Gläsern nicht loszureißen. Ein Meer von Gedanken wogte in meiner Stirn, welche fieberhaft brannte. „Trost für Unglückliche,“ sprach die Großtante. „Bist du etwa glücklich? Ist dein Leben werth, daß du es lebst?“

Es giebt Menschen, deren Seelen durch schwere Prüfung im Unglück milder, edler werden; die durch den Kampf mit dem Schicksal nicht innerlich zerrissen und gebrochen werden, sondern die sich erheben, und von Gottvertrauen, von Unschuld und Entsagung getragen werden über die dunkeln Stürme der Erde. Ach, zu solchen gehörte ich nicht! Aber es giebt auch Menschen, bei denen das Böse schon in der Kindheit einen schweren Kampf mit dem Guten beginnt; Menschen, die, wenn ihnen ein heiteres, glückliches Erdenloos fällt, durch das Glück frommer, reiner und vollkommener werden; während im Gegentheil Gram und Schmerz ihre edelsten Kräfte verzehren, das Bessere in ihnen ersticken, das Herz verhärten und alle schlummernden Keime des Bösen wecken. Sie sind nicht geistig erhaben genug, den Schmerz zu verklären; sie gehen darin unter, und der böse Genius schlägt triumphirend seine Fledermausfittige.

Auch mich hatte der Schmerz hart, bitter und [455] schlecht gemacht. Was lag mir daran, wenn Andere litten, kämpften, starben? Warum sollten sie glücklicher sein als ich? Und Sterben schien mir kein Uebel. Ich sah im Tode das Ende alles Schmerzes, aller Leidenschaft, alles Unheils.

„Du hältst das Mittel, das dich von allem Weh befreit, das dich schmerzlos aus diesem elenden Leben führt, in den Händen,“ sprach ich zu mir. Der Gedanke, mich dieses Mittels zu bedienen, ward immer lebendiger. Schon reifte der Entschluß, als mich plötzlich eine feige Angst erfaßte. „Aber wie?“ frug ich schaudernd, „wenn diese italienischen Worte hier, die einen sanften, schmerzlosen Tod verheißen, lügen? Wenn dennoch Kämpfe, Qualen die Pforte des Todes umlagerten? Wenn ich unter schmerzvollem Sturme mein Leben endigen müßte?“ Eine erbärmliche Todesfurcht bemächtigte sich meiner. Hierzu gesellte sich ein anderer Gedanke: „Du bist noch so jung,“ flüsterte es in mir, „dein Geschick kann sich plötzlich wenden; ein reiches Leben kann sich dir noch erschließen. Wenn du jetzt stirbst, hast du nur des Lebens Elend gekostet, nicht seinen Hochgenuß, die Freiheit und die Liebe. Wäre es nicht möglich, daß Neuhaus bald stürbe? Er kränkelt schon lange. – – – “ Es giebt in jedem Menschenherzen eine geheime dunkle Stelle, wo eine giftige Schlange schlummert; ein einziger Gedanke, ein Wort kann sie aufwecken – es muß aber das rechte Zauberwort sein. Bei mir war es der Name meines Gatten. Ein Blitz durchzuckte mein Innerstes, es war der Gedanke: Dein Gatte muß sterben! Ich fühlte keine Reue über diesen schändlichen Vorsatz – im Gegentheil, mir wurde auf einmal leicht und wohl, wie Jemandem, der nach langem, langem Schwanken einen unwiderruflichen Entschluß gefaßt hat. Sorgfältig verschloß ich das Kästchen und nahm es mit nach unserm Gute. Niemand hätte meinen jetzt so ruhigen, leidenschaftlosen Zügen angesehen, über welcher That ich brütete. Vierzehn Tage nach unserer Ankunft auf dem Gute machte ich einen Versuch mit dem Pulver an meinem sprechenden Papagei. Der Vogel war mir lieb gewesen, und jetzt noch nach langen Jahren schaudere ich zurück vor der empörenden Rohheit, mit welcher ich das arme Thier opferte. Kurze Zeit nach Genuß des Giftes wurde der arme Pierre betäubt, taumelte in seinem Käfig wie ein Trunkener und starb nach einer Stunde. Schon ganz matt blickte er noch wehmüthig auf mich und mit einem schnarrenden: gute Nacht, Pierre, gute Nacht, Leonore! erstarrte das treue Thier. Wie konnte ich es nur wagen, den sterbenden Vogel auf meinem Schooße zu liebkosen und über ihn zu weinen? Doch that ich es und es war keine Heuchelei. Ich fühlte eine seltsame Befriedigung, mein Opfer zu beweinen. Aber Reue fühlte ich nicht. O Abgrund der menschlichen Seele!

Laßt mich so schnell als möglich über die dunkelste und verworfenste Zeit meines Lebens weggehen. Sie drückt mir das Kainszeichen auf die Stirn und verweist mich unter die Verworfenen der Menschheit. Fluch jener Zeit! Fluch über mich selber!

Mit einer Vorsicht, Schlauheit und Ueberlegung, die einer Brinvillier Ehre gemacht haben würden, opferte ich das Leben meines Gatten, indem ich langsam und von Zeit zu Zeit seine Speisen vergiftete. Sein allmäliges Hinwelken und Sterben erfolgte ohne alle auffallende und Verdacht erregende Krankheitssymptome. Abzehrung, Traurigkeit, Appetitlosigkeit und beständige Neigung zum Schlaf waren die einzigen Zeichen von der Wirkung des Giftes. Obwohl Neuhaus kein Vertrauen zur Medizin hatte, ließ er doch endlich den Arzt kommen. Dieser verschrieb ein Mittel nach dem andern, ohne die entfernteste Ahnung von der Ursache der Krankheit zu haben. Wer hätte auch so etwas ahnen sollen!

Nach einigen Wochen fühlte Neuhaus sein herannahendes Ende. Er ordnete seine Angelegenheiten und bedachte mich reichlich in seinem Testamente. Kalt und ruhig sah ich die Stunde herannahen, wo sein Lehen erlöschen mußte wie die Lampe, der es an Oel gebricht. Ich war erstarkt und vorgeschritten im Bösen; ja es kam mir zuweilen vor, als zucke meine Hand mit geheimer Lust, wenn ich eine neue Dosis Gift in die Speisen mischte. Es gab wieder Augenblicke, wo ich vor mir selbst zurückschauderte; aber eine geheime unwiderstehliche Macht trieb mich weiter auf dem Pfade der Sünde.

Neuhaus war in der letzten Zeit seines Lebens viel sanfter gegen mich geworden; wahrscheinlich weil ihm die Sorgsamkeit und Geduld, mit welcher ich die Rolle seiner Pflegerin spielte, rührte. Am dreißigsten November starb er. Nachdem mir der Arzt vertraut, der Kranke werde die Nacht nicht überleben, ging er. Ich blieb mit dem Sterbenden allein. Still wie ein Marmorbild saß ich neben dem halb Bewußtlosen und trocknete den kalten Schweiß von seiner Stirn. Ja, die Mörderin erfrechte sich, ihrem Opfer die letzten Liebesdienste zu erweisen. Mir war die Ruhe, mit welcher ich des Sterbenden Pulsschläge zählte, selbst unheimlich und entsetzlich. Warum weinte ich nicht? Warum fühlte ich keine Reue? – Plötzlich schlug der Sterbende noch einmal die trüben eingesunkenen Augen auf; er richtete sich mit seltsamer Kraft etwas empor, starrte mich mit einem unbeschreiblich schrecklichen Ausdrucke, der mein Haar sträuben machte, an und murmelte: „Leonore, ich weiß es!“ – Es waren seine letzten Worte. Wenige Augenblicke später war er eine Leiche.

Was war es, das mein Blut erstarren machte? Was bannte mich an den Sessel neben dem Todten und ließ mich ihn starren Blicks, mit krampfhaft gefalteten Händen anschauen? Erkenntniß und Reue meines Verbrechens war es nicht. Es war ein gewaltiges Entsetzen, das über mich kam. Warum sagte Neuhaus, bevor er starb: Leonore, ich weiß es! In diesen drei Worten lag so Geheimes, Schreckliches. Und doch konnte er nicht ahnen, nicht wissen, wie und durch wen er starb. Unbefangen hatte er ja bis zuletzt Speise und Arznei aus meiner Hand genommen. Oeffnete vielleicht die Nähe des Todes sein Auge zu höherem Wissen, und ließ ihn in den Tiefen meines Herzens lesen? O, dieser Glaube war ja mir meinen aufgeklärten Ansichten ganz unverträglich.

[456] Unbeweglich blieb ich den langen Abend so sitzen. Die furchtbaren drei Worte hielten meine Denkkraft gefesselt. Wie im Traum sah ich die Dienstleute, mich beklagend, leise hin und wiederschleichen. Ich sah zwischen den Gardinen den Mond hinter den Gebirgen aufsteigen. Ich vernahm das Picken der Wanduhr. Endlich fiel ich in eine tiefe wohlthätige Ohnmacht.

Weder die nothwendigen aufregenden Beschäftigungen der folgenden Tage, noch das Begräbniß meines Gatten erweckten in meinem Herzen bessere Gefühle. Mir war es, als sei ein Stein von der Brust gewälzt, als Neuhaus in die Gruft seiner Ahnen gesetzt ward, ohne daß irgend ein Mensch eine Ahnung von der Ursache seines Todes hatte. Ich war frei und dieser Gedanke gab mir alle frühere Energie. „Suche glücklich zu werden,“ sprach eine innere Stimme; „es ist der Zweck und die Krone des Lebens. Unsterblichkeit ist ein eitler Wahn hochmüthigen Menschengeistes, der edler zu sein glaubt als die ganze Natur. Siehe die Pflanzen, die Thiere – das Individuum stirbt, aber die Gattung bleibt. Was willst du mehr sein als sie?“

Die trauernde Wittwe spielend blieb ich den Winter über in meiner ländlichen Einsamkeit; aber unter den dunkeln Trauerkleidern pochte ein gewissenloses, liebeglühendes Herz, das sich begierig nach der Welt zurücksehnte, wo der Gegenstand seiner Liebe lebte. Alle meine Gedanken drängten sich zu Constantin. Ich sehnte mich nach dem Sonnenstrahl seines Auges, nach dem Lichte seiner Liebe. Daß er sich seit der langen Zeit unserer Trennung verlobt, daß er geheirathet haben könnte, fiel mir nicht im Traume ein. Er, für den ich gekämpft und gelitten, für den ich so tief gesunken war, konnte mich jetzt nicht mehr verlassen. Er sollte mich das Erlebte vergessen machen. In dieser Zuversicht wiegte ich mich die ganze Zeit nach meines Gatten Tode.

Eines Abends blättere ich, nichts ahnend, in der Zeitung. Flüchtig übereilen meine Blicke die letzten Seiten und ich bin eben in Begriff, das Blatt wieder hinweg zu legen, als ganz am Schlusse eine Vermählungsanzeige meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es wird dunkel vor meinen Augen, mein Herz krampft zusammen, ich stoße einen Todesschrei aus und stürze zu Boden – Constantin Falk hat sich mit Clemence Beaumont, meiner ehemaligen Gespielin, vermählt.

Als meine Besinnung endlich wiederkehrt, war mir zu Muthe wie dem Ertrinkenden, dem eine Woge das letzte Bret, an das er sich geklammert hält, hinweggerissen hat und der nun den Untergang vor Augen sieht. Also darum hatte ich gekämpft, gelitten, geheuchelt und gemordet. Stöhnend und mit gerungenen Händen lehnte ich mich in die Polster des Sessels; nur rauhes, trocknes Schluchzen entrang sich meiner Brust. Mir war der Trost der Thränen versagt, seit ich über der Leiche meines armen geopferten Vogels geweint.

Von dieser Stunde an, wo ich Constantin’s Vermählung gelesen, begann meine Strafe, von dieser Stunde an begann die ewige Vergeltung, zwar anfangs nur leise, ihr immer furchtbarer werdendes Rächeramt.

(Fortsetzung folgt.)




Bausteine zu einer naturgemäßen Selbstheillehre.

IV.0 Der Magenkrampf.


Die schönsten Jahre des Lebens verbittert gar häufig, vorzugsweise dem weiblichen Geschlechte, der Magenkrampf; kein Uebel wird aber auch durch verkehrte Behandlung, ebensowohl von Seiten des Arztes wie des Patienten, so in die Länge gezogen als gerade dieses und gar nicht selten steigert man dasselbe künstlich bis zu einem solchen Grade, daß es sogar tödtlich endet. – Mit dem Ausdrucke „Magenkrampf“ bezeichnet man nun aber nicht etwa eine bestimmte Krankheit, gegen welche ein bestimmtes Mittel angewendet werden kann, sondern immer nur eine, blos vom vom Patienten selbst wahrzunehmende Erscheinung, welche mehreren und zwar ganz verschiedenen Krankheiten zukommen kann und sich als krampfender oder raffender, schnürender, bohrender, glühender, nicht selten bis zum Rücken sich ausdehnender Schmerz in der Magen- oder Herzgrube äußert. Dieser Schmerz tritt bald bei nüchternem, bald bei vollem Magen ein, nicht selten kehrt er in ganz unregelmäßigen Perioden wieder, am gewöhnlichsten erscheint er jedoch einige Zeit nach dem Essen und besonders nach kaltem Getränke. Sehr häzufig gesellt sich zu demselben Appetitlosigkeit, Verdauungsstörung, Aufstoßen, Erbrechen und selbst Blutbrechen. Stets wird der Kranke bei längerem Bestehen dieses Schmerzen in Folge der geringern Nahrungsaufnahme, blutärmer und deshalb blässer, magerer und kraftloser. Bisweilen ist es aber auch umgekehrt und es tritt Magenkrampf erst zu der schon bestehenden Bleichsucht hinzu.

Die Ursache des Magenkrampfes ist in den allermeisten Fällen eine wunde Stelle im Magen oder das sogenannte Magengeschwür, dessen Entstehen dem Arzte aber noch ganz dunkel ist und von dem er nur weiß, daß es in der Regel eine zirkelrunde Gestalt hat (deshalb auch rundes Magengeschwür genannt wird), daß es nur sehr langsam zuheilt (deshalb auch chronisches Geschwür genannt) und bisweilen so in die Tiefe der Magenwand dringt, daß es dieselbe vollständig durchbohrt und auf diese Weise schnellen Tod unter heftigen Leibschmerzen herbeiführt (deshalb auch durchbohrendes Geschwür genannt). Dieser Tod, in Folge der Durchlöcherung des Magens wird meistens durch dumme Quacksalbereien hervorgerufen und hat seinen nächsten Grund stets in einer weitverbreiteten Bauchfellentzündung oder in Verblutung nach Zerstörung größerer Blutgefäße. Gewöhnlich [457] verheilt aber dieses Geschwür, nicht selten sogar bei der unsinnigsten Behandlung des Uebels, und hinterläßt, gerade wie ein zugeheiltes Geschwür auf der Haut, eine Narbe, die sich nach der Größe und Tiefe des Geschwüres richtet und manchmal den Magen zusammenzieben und sogar bedeutend verengern kann. In den meisten Fällen verschwinden sofort mit der Vernarbung des Magengeschwüres die Magenbeschwerden, vorzugsweise der Magenkrampf, und nur wenn eine recht große und tiefe Narbe zurückblieb, kommt die Magenverdauung sehr langsam oder auch niemals wieder in die gehörige Ordnung. Daß aber ein Magengeschwür die allergewöhnlichste Ursache des Magenkrampfes ist, läßt sich darum mit so großer Sicherheit sagen, weil fast stets heim Oeffnen (Section) solcher Verstorbenen, die während des Lebens an diesem Uebel litten, das beschriebene Geschwür oder, wenn der Magenkrampf gewichen war, die Geschwürsnarbe gefunden wird. – In solchen Fällen, wo nicht ein Geschwür oder überhaupt eine wunde Stelle die Ursache des krampfhaften Magenschmerzes war, da findet sich als solche entweder eine große Blutarmuth oder eine Entartung der Magenwand; beide Leiden verlangen dieselbe Behandlung wie das Magengeschwür und sollen hier deshalb nicht genauer beleuchtet werden.


Der Magen beim Magenkrampfe (im Durchschnitte).

a. Ein frisches Magengeschwür. b. Wunde und leicht blutende Stellen. c. Geschwürsnarben. d. Eingang in den Magen (Magenmund). e. Ausgang (Pförtner). f. Milz.

Wie ist der Magenkrampf zu heben? Gewiß wird auf diese Frage jeder Leser sofort antworten, daß wenn ein Geschwür die Schuld vom Krampfe trägt, dieses zum Zuheilen gebracht werden muß. Allerdings! aber wie ist dies zu ermöglichen? So ziemlich auf dieselbe Weise wie die Heilung eines Geschwüres auf der Haut; nämlich durch Reinhaltung und die größte Schonung des Geschwüres, sowie überhaupt desjenigen Theiles, an welchem dasselbe seinen Sitz hat. Daß ein inneres Arzneimittel beim Magengeschwüre eine solche Heilung zu bewerkstelligen im Stande sein sollte, ist geradezu unmöglich und nur der abergläubische Arzt, der bisweilen nach diesem und jenem Mittel den Schmerz auf einige Zeit verschwinden sieht, meint, daß dadurch auch das Grundübel, nämlich das Geschwür, geheilt werde. Doch dem ist nicht so! Dennoch bleibt die Anwendung eines schmerzstillenden Mittels, besonders des Opiums, für den Kranken von großem Vortheil, insofern er durch dasselbe die hauptsächlichste Beschwerde seines Leidens los wird. Die Vernarbung des Geschwüres, also die Radicalheilung, kommt jedoch nur auf diätetischem Wege zu Stande. Hierbei ist zuvörderst der Magen mit allen kalten, reizenden, blähenden und unverdaulichen Speisen und Getränken zu verschonen. Deshalb vermeide man vorzüglich Pfeffer, [458] Senf, Spiritus, Schwarzbrod, Hülsenfrüchte und Gemüse, ganze Kartoffeln, geronnenes Eiweiß, geräucherte und gepökelte Fleischspeisen und selbst die Milch, weil diese im Magen zu Käse gerinnt. Dagegen ist gute Fleischbrühe, flüssiges Ei (Eiweiß und Dotter), Brei, frisches, zartes, saftiges Fleisch und warmes Getränk zu empfehlen. Aber auch diese Nahrungsstoffe dürfen nie in zu großer Menge, sondern stets nur in kleinen Portionen und lieber öfterer des Tages genossen werden, so daß nach ihrer Aufnahme in den Magen kein Schmerz entsteht. Von großem Vortheile ist es, das Geschwür täglich einige Male durch Trinken warmen (nicht lauen) Wassers zu reinigen, sowie durch Anwendung äußerer Wärme (in Gestalt von warmen Umschlägen, Magenpflastern, Bauchbinden und dergl.) in seiner Vernarbung zu unterstützen. Beengende Kleidungsstücke, besonders Schnürleibchen und Unterrocksbänder, sowie stärkere und häufige Bewegungen, scheinen die Heilung zu verzögern. Nun glaube man aber ja nicht etwa, daß bei diesem Verfahren das Magengeschwür schon in einigen Tagen verheilen kann, dies wäre gegen alle, im menschlichen Körper herrschenden Gesetze; stets ist die angeführte Diät längere Zeit fortzuführen, wenn der Magenkrampf nicht wiederkehren soll. Von den vielen gegen Magenkrampf empfohlenen Hausmitteln schweige ich, weil alle diese Mittel nichtsnutzige und meistens schädliche sind, vorzüglich warne ich vor dem beliebten, mit Pfeffer versetzten Kornbranntwein, vor Kalmusschnaps, starkem Kaffee mit Rum und dgl., weil solche Mittel recht leicht Durchlöcherung des Magens und Tod herbeiführen können.

(B.) 




Karl Johann und ein deutscher Mann.

Aus meinen Erinnerungen. Von L. v. A.


Es war im Jahre 1813. Preußen hatte sich, nachdem des Landes Jugend dem Aufrufe des Königs, die Waffen zu ergreifen, voll Enthusiasmus entsprochen, offen gegen den Kaiser Napoleon erklärt, und während ganz Europa den kommenden Ereignissen mit gespannter Erwartung entgegensah, begrüßte man in ganz Deutschland, wenigstens in ganz Preußen, die Nachricht mit Freuden, daß Bernadotte, der damalige Kronprinz von Schweden, sein Vaterland verläugnend, sich feindlich gegen dieses, sowie gegen den Mann erklärt habe, dem er den fremden Thron verdankte. Man sah in ihm nicht den Ueberläufer, nicht den Undankbaren, der den Empfang einer Krone durch Feindschaft lohnte, sondern nur einen willkommenen Verbündeten, der materiell, noch mehr aber moralisch ein bedeutendes Gewicht zu Gunsten der nach der Wiedererlangung ihrer Freiheit ringenden Völker in die Waagschale des Kampfes warf.

Unter solchen Umständen war es nicht zu verwundern, daß Karl Johann überall, wo er in Preußen sich zeigte, mit Huldigungen empfangen, ja oft überschüttet wurde, daß man ihn feierte, wie einen Triumphator nach errungenem Siege.

So war es auch, als er auf seinem militärischen Spaziergange, auf dem er das Bereich französischer Kugeln glücklich zu vermeiden wußte, nach Schwedt kam, dem freundlichen Städtchen, das außer seinem stattlichen Schlosse, welches ihm ein Ansehen der Größe verleiht, noch zahlreiche Spuren von dem segensreichen Wirken der Markgrafen von Schwedt trug, deren Residenz es so lange gewesen.

Doch nicht in dem markgräflichen Schlosse, das zu dem Empfange des Unerwarteten nicht eingerichtet war, nahm der Kronprinz sein Absteigequartier, sondern in dem ersten Gasthause der Stadt, welches die Ehre und den Gewinn seiner Anwesenheit nur wenige Stunden genießen sollte.

Ehrfurchtsvoll hatten sich hier die Behörden, der Bürgermeister, die Geistlichkeit eingefunden, den gefeierten Reisenden zu begrüßen, aber unter all' den Civilröcken sah man nicht eine einzige Militäruniform, und dies fiel dem Kronprinzen in dieser kriegerischen Zeit um so mehr auf, da er während seiner Fahrt durch die Stadt mehrere Husaren bemerkt hatte.

„Ist gar keine Garnison hier?“ fragte er daher den Bürgermeister.

„Doch, Eure Königliche Hoheit,“ entgegnete der Bürgermeister. „Wir haben seit einigen Tagen zwei Schwadronen Husaren von der russisch-deutschen Legion hier.“

„Wer kommandirt sie?“ fragte der Kronprinz weiter, und seine Stirn verfinsterte sich.

„Der Major von A..., Eure Königliche Hoheit.“

„Wie kommt es, daß ich weder ihn selhst, noch einen seiner Offiziere hier sehe?“

„Ich bin den Husaren begegnet, wie sie zum Exerziren ausrückten,“ sagte einer der anwesenden Herren.

„Ich wünsche den Major zu sprechen!“ wendete sich der Kronprinz zu einem seiner Adjutanten, und dieser eilte hinweg, den Befehl zu vollziehen.

Etwa eine Viertelstunde später, während welcher Zeit sich der Kronprinz mit den Anwesenden sehr leutselig und liebenswürdig unterhalten hatte, trat der Major von A... in das Zimmer, im Ueberrock, die Feldmütze in der Hand, Stiefel und Beinkleider mit Koth bespritzt. Er warf suchend die Blicke umher und als er den Kronprinzen aus seiner Umgebung herausgefunden hatte, trat er auf denselben zu und sagte, eine dienstmäßige Haltung annehmend:

„Eure Königliche Hoheit haben befohlen, mich zu sprechen.“

Der Kronprinz betrachtete mit ernster Miene und zusammengezogenen Augenbrauen den männlich-schönen [459] Krieger, der in stolzer Haltung vor ihm stand, und dessen Blicke etwas Trotziges, Herausforderndes zu haben schienen.

„Weshalb waren Sie bei meiner Ankunft nicht zugegen, wie alle diese Herren hier?“ fragte er nach einer Pause mit ziemlich ungnädigem Tone, denn er hatte erkannt, daß ein Mann mit feindlichen Gesinnungen ihm gegenüberstand.

Die Frage war in französischer Sprache gethan, und obgleich der Major diese sehr gut verstand, erwiederte er:

„Ich spreche nicht französisch!“

Einige der zunächststehenden Herren traten erschrocken zurück, denn sie wußten, daß der Major Französisch sprach, und sie erblickten daher in seiner Antwort einen herausfordernden Trotz, der sie erbeben machte. Der Kronprinz jedoch hatte keinen Grund, die Wahrheit dieser Behauptung zu bezweifeln; er winkte daher einem Offiziere seines Gefolges, und dieser wiederholte die Frage in deutscher Sprache, indem er von nun an den Dolmetscher machte. Der Major von A. benutzte diesen Umstand, um sich gegen diesen Dolmetscher zu wenden, so daß er nur mit ihm und gar nicht mehr mit Kronprinzen zu sprechen schien.

Als die Frage, weshalb er bei der Ankunft des Kronprinzen nicht zugegen gewesen sei, dem Major wiederholt wurde, antwortete er kurz:

„Weil ich meine Husaren exerziren ließ.“

„Wußten Sie nicht, daß ich kommen würde?“ lautete die zweite Frage des Kronprinzen, der das Gespräch durch den Mund seines Dolmetschers beinahe nach Art eines Verhöres fortsetzte.

„O ja!“

„Weshalb versäumten Sie es dann, mir Ihre Aufwartung zu machen?“

„Weil ich von Ihrer Ankunft nicht offiziell in Kenntniß gesetzt war und es deshalb nicht für Pflicht hielt, über einem unnützen Besuche bei einem Durchreisenden die Ausübung meiner Leute, die ihnen sehr Noth thut, zu vernachlässigen.“

„Ich wünschte einen bessern Grund zu hören,“ sagte der Kronprinz, der nur mit Mühe die äußere Ruhe bewahrte, während man ihm den unterdrückten Zorn nur allzudeutlich ansah.

Doch auch der Major von A. befand sich unverkennbar in einer heftigen Aufregung. Er fühlte sich empört darüber, einem solchen Verhöre unterworfen zu werden, und nach kurzem Besinnen, während dessen er zu überlegen schien, wie weit er in seinen Antworten gehen dürfe, sagte er: „Wenn Sie denn die Wahrheit wissen wollen – weil ich die Franzosen, deren Bekämpfung ich mein ganzes Leben gewidmet habe, aus tiefster Seele hasse.“

Der Kronprinz zwang sich zum Lächeln und erwiederte: „Sie wissen, daß auch ich den Franzosen als Feind gegenüberstehe.“

„Ja, jetzt,“ sagte mit dem Tone des Hohnes der Major, „doch ist es noch gar nicht lange her, seitdem meine Güter durch die Franzosen unter dem Befehle des General Bernadotte geplündert wurden.“

Als der Dolmetscher diese Worte zagend übersetzte, biß sich der Kronprinz auf die Lippen; dann sagte er nach einer kurzen Pause:

„Ich ehre eine solche Freimüthigkeit des deutschen Mannes, so verletzend sie auch für mich sein mag, und weit entfernt, Ihren Privatgefühlen Zwang anthun zu wollen, verzeihe ich Ihnen das Beleidigende Ihrer Worte.“ Dies Alles hatte er in unverkennbar gereiztem Tone gesagt; ruhiger fügte er nach wenigen Sekunden hinzu: „Ich wünsche Ihre Husaren zu besichtigen. Wann können Sie dazu bereit sein?“

„Binnen einer Viertelstunde im Exerziranzuge, binnen einer Stunde im Paradeanzuge!“ entgegnete der Major.

„Im Exerziranzuge,“ sagte der Kronprinz; „denn ich wünsche zu sehen, was Ihre Leute können.“

Der Major verbeugte sich und eilte zu seinen Husaren. Durch wenige Worte unterrichtete er seine Offiziere von dem Vorgefallenen, und diese gaben ihm die Versicherung, daß der Kronprinz nicht zu dem geringsten Tadel Veranlassung finden sollte.

Und sie hielten Wort. Der Kronprinz, der die Husaren die schwierigsten Manöver ausführen ließ und sie auch im Einzelnen streng prüfte, sah sich gezwungen, ihnen das unbedingteste Lob zu zollen, und entließ den Major mit den, unter den obwaltenden Umständen sehr huldvollen Worten:

„Grob, aber ein tüchtiger Soldat!“




Aus der Gewerbswelt.

Mitgetheilt von Friedrich Georg Wieck.




Die thüringische Gewerbeausstellung auf Schloß Friedenstein in Gotha.
III.

Mit dem Gold und mit dem Glanz der Porzellane wetteiferte der Lack, die Farbe und die Vergoldung jener Luxuspapiere, derer wir jetzt gar nicht mehr entrathen können zur Verzierung von Kästchen und Karten, süßen Briefchen und heißen Neujahrswünschen. Kleider machen Leute, und Appretur und Accomodage machen die Waare verkäuflich heute. Dies weiß man in Thüringen so gut als in Amerika. Daher sahen [460] wir auch dort viel schönes Papier aller Art aus Neudietendorf und Gera, aus Heiligenstadt und der berühmten Papierfabrik Flinsch in Blankenberg. Die Buchbinder und Futteralarbeiter schwelgen ordentlich in Musterpapier und leichtem Leder und jede Gewerbe-Ausstellung zeigt sauberere Schachteln, Dosen, Kästchen, Gedenkbücher und Stammbücher – Vornehme sagen Albums. Die gewichtigen Handelsbücher, Geldtaschen, vulgo Portemonnaies, die Damen- und Cigarrentaschen spielen immer eine große Rolle dabei. Die Fabrikation der Stahlbügel, derer man zu solchen Taschen bedarf, hat, zumal in Solingen, eine riesenhafte Ausdehnung gewonnen. Erfreulich ist es, daß sie nun auch in Ruhla sammt den Taschen fabrikmäßig und recht hübsch gemacht werden.

Neben den Luxuspapieren, den vortrefflichen Fischbeinen, Siegellacken und edlen Gänsekielen (Federposen) von Lilliendahl in Neudietendorf, erhohen sich schäkerhaft und schäferhaft die bunten Nipptisch-Porzellanfiguren von Schierholz in Arnstadt, Eberlein in Pößneck und Kling in Ohrdruf. Alles dran ist reizender Zopfstyl! Doch irren wir nicht, so haben wir auch Eisele und Beisele, Müller und Schulze, Breetenborn und Nudelmüller gesehen. Die Fabrikation der Figürchen, der Pfeifenköpfe, Cigarrenspitzen, Waschkinder und Puppenköpfe, der Arme und Beine von Porzellan ist auf dem Thüringer Wald jetzt sehr in der Woge.

Wir scheiden nun von der zweiten Gallerie und wenden uns links in die dritte Abtheilung zu den Gespinnsten und Geweben nebst den Bekleidungsgegenständen aller Art. Verträglich gruppiren sich ihnen gegenüber in den Fensternischen die Stahl- und Metallwaaren, die Bein-. Horn- und Holzwaaren. Die Bürsten- und Pinselmacher sind unzertrennliche Gefährten auf allen Gewerbeausstellungen. Aber die Haarkräusler sträuben sich jederzeit mit ihnen zusammen zu halten, obgleich sie auch in Haaren arbeiten, und flüchten sich lieber unter die Obhut der künstlichen Blumen, Federn und Putzwaaren, dort wo die Duftsalben, Haaröle und Riechwasser Platz genommen haben. Schade, daß diese ihre Büchsen und Gläser stets zugebunden halten. Sie sollten sich öffnen und ihren Duft ausströmen lassen vor den Nasen.

Die Gespinnste werden von den gewöhnlichen Besuchern der Ausstellungen in der Regel übersehen. Sie sehen auch gar so unscheinbar aus in ihren graupapiernen Bündeln, aus denen sie mit den Köpfen widerwillig hervorgucken, als ob sie wüßten, daß man sie nicht beachte. Und doch verdient kein Fabrikat bezüglich seiner gewerblichen Bedeutung und der Schwierigkeiten seiner Herstellung wegen eine höhere Beachtung als das Garn neben dem Eisen. Denn Eisen und Garn sind jene großen Manufakturartikel, oder wie man sich auszudrücken pflegt, das „Brod der Industrie,“ zu dessen Gunsten England große Flotten segeln läßt und sich vor Constantinopel legt. Die große Spinne England umgarnt die Welt und bombardirt die deutschen Fabrikplätze mit Twistballen und Ganzeisen. Thüringen ist berühmt wegen seines feinen Kammgarns, dessen Spinnerei zuerst dort eingeführt wurde. Aus jenem Garne werden die herrlichen, farbenreichen deutschen Kammgarngewebe gefertigt in Gera, Greiz, Schmölln, Meuselwitz und mehreren Orten des Königreichs Sachsen, welche man mit französischen Namen zu belegen die – Bescheidenheit hat, wie z. B. Atlas de Laine, Satin broché, Satin moiré en soie, Islymode, Satin italien, quarré, rayé Jaconné, Thibet, Cachemir, Bêge croisé, Coràme, Robes à Bayadère, Shawls façonnés, Mousselin, Armures etc. Mit allen diesen ächt deutschen Kammgarngeweben waren die Wände der dritten Gallerie in Gotha glänzend behängt. Neben der Weberei der glatten zum Theil glänzenden Kammgarne blüht auch die Weberei der rauhen Streichgarne ohne Glanz, wie sie zu Rock- und Beinkleiderzeugen verwendet werden und die Eigenschaft haben, sich im Gewebe mehr oder weniger dicht zusammenwalken zu lassen. Mit den Niederlanden, den Ersten in jenen Artikeln, wetteifert das Haus Gräser in Langensalza, sowie Mühlhausen durch Müller und durch Lutteroth rühmlich vertreten, sich in der Fabrikation von leicht gewalkten bunten Wollstoffen für Mäntel, Frauenkleider und in Flanellen auszeichnet. In Tuchen machen u. a. Jena, Schmalkalden bedeutende Fortschritte. Hier war auch Raum für die wichtige Strumpfzeugmanufaktur von Apolda gelassen. Leider war diese, wie wir bereits beklagt haben, nicht erschienen.

Die Thüringer Weberei baumwollener Waaren, so wie der Mischgewebe, steht gegen Sachsen sehr zurück, doch ist die Kraft dazu vorhanden. Nur langsam entwickelt sich auch die Leinweberei, um den Ansprüchen der Neuzeit vollkommen zu genügen. Auch sie verschuldet es mit der ganzen deutschen Leinwandmanufaktur vereint, daß England und Irland uns fast ganz aus den Schranken des großen Welthandels verdrängt haben. Doch lassen wir heute diese ernsten Betrachtungen und erfreuen uns an den Beweisen manchen Fortschrittes, den wir an den Stahlwaaren von Zella, Schmalkalden und Mehlis wahrnehmen. Diese Orte mit ihrer Umgebung, u. a. Steinbach, Brotterode, Asbach, Oberschönau. Seligenthal liefern vielleicht die wohlfeilste preiswürdigste Stahl- und Eisenwaare in der ganzen Welt. Man muß unter diesen Umständen dann schon in Bezug auf die Qualität ein Auge zudrücken. In jenen Orten an der südlichen Abdachung des Thüringer Waldes regieren die Ahlen- und Zweckenschmiede, die Messerschmiede und Zangenschmiede, die Zeug-, Bohr- und Waffenschmiede, die Nagelschmiede und Schnallenschmiede, die Striegel- und Spicknadelmacher. Ueberall herrscht ein reges Leben. Form und Aeußeres der Stahl- und Eisenwaaren vervollkommnen sich. Wir haben Sachen gesehen, deren sich der feinste Galanterieladen nicht zu schämen hat. Ganz besonders aber haben wir uns gefreut einer Fabrik von Stahlfedern (der einzigen im Zollverein) von Fack in Schmalkalden zu begegnen, dessen Erzeugniß dem englischen nichts nachgiebt. Er begründete sein Unternehmen nachdem er sich selbst von den Arbeitsweisen in England unterrichtet hatte, mit Hülfe eines englischen Werkführers. Dieser aber wurde ihm durch englische Intrigue wieder entführt, in der Hoffnung, daß die deutsche Fabrik nun wieder eingehen werde. Das ist [461] aber gottlob nicht der Fall gewesen, sondern sie dehnt sich immer weiter aus.

Die Thüringer Industrie hat Talent und Neigung für die sogenannten Kurzwaaren, für die Artikel der sogenannten Tabletterie und Quincallerie. Allerliebste Kleinigkeiten und zuweilen Nichtsnützigkeiten können wir allenfalls mit ihren ursprünglichen französischen Namen bezeichnen. Elfenbein, Perlamutt und Meerschaumschnitzereien, Kämme und Körbchen von Horn und Fischbein, wohlriechende Seifen in allerlei Formen, lackirte Dosen und muschelnverzierte Kästen, Hamburger Zuckerbilder und jene Fülle der Fruchtbonbons, wie sie jetzt unsere Kinderchen so lüstern machen, Honigkuchen und Chocolade, Brochen, Ringe und Nadeln in bunter Mannigfaltigkeit waren von einer Menge Orten her ausgestellt. Wo, wie in Thüringen, des Kinderspielzeugs so mancherlei gefertigt wird, kann es nicht fehlen, daß man für allerlei Damenspielzeug sorgt. Nun gut, wenn es keine Männerherzen sind! – Damenschuhe und Stiefelchen von Gotha und Erfurt sind fast am ganzen Rhein, sogar überm Rhein und über See berühmt. Hunderte von Mädchen beschäftigen sich in diesen Städten mit der Schuhmacherarbeit, so weit es ihnen von der hochmögenden Innung gestattet wird. Denn die fleißige und geschickte Frauenhand wird von den gestrengen Meistern der Frauenschneider und Damenschuster sehr unliebsam angesehen, wenn sie sich beigehen läßt, Arbeiten zum Behufe weiblicher Bekleidung zu machen, für die sie doch so recht eigentlich geschaffen ist. Dahingegen hat die Frauenarbeit die Handschuhe so ziemlich allein in Beschlag genommen.

Wir hätten in den oberen Räumen der Ausstellung nun noch gern eine hübsche Auswahl von allerlei Damenputz, Stickerei, Pelzwaaren, Kleider und Mäntel, Borden und Bänder, Knöpfchen und Schnuren betrachtet, aber wir müssen uns beschränken auf die weitverbreitete Manufaktur der Zwirn- und Leinenhemdeknöpfe in Ohrdruf und Waltershausen, sowie auf die in große Ferne vertreibende Fabrikation von hanfenen Schlauchwaaren von Burbach in Gotha, Schaft in Waltershausen hinzuweisen. Thüringischen Spritzenschläuchen und Feuereimern begegnet man überall. Ueber den geräumigen Schloßhof, auf dem ein zweiter Glaspalast stehen könnte, wandeln wir hinweg in die Hallen, wo die Maschinen landwirthschaftlicher Geräthe, Wagen und größere Gegenstände der Kunst-Eisengießerei ausgestellt sind. Hier bemerken wir mit Vergnügen die Leistungen der Maschinenfabrik, der Eisengießerei und Kesselschmiede von Moritz Jahr in Gera, so auch der Maschinenwerkstatt von J. Quera und Comp. in Erfurt. Die Industrie Thüringens wartet mit Verlangen auf Maschinenunterstützung, wenn Einzelne dies auch noch nicht recht zugestehen wollen und sich eher der Maschinen erwehren möchten.

Der Thüringischen Landwirthschaft wird von Eduard Wolf in Gotha eine Reihefolge vortrefflicher Acker- und Hofgeräthe geboten, welche eine Zierde der Ausstellung waren. Es ist nöthig, daß wir auf diese und ähnliche Dinge der Ausstellung hinweisen, weil sie gemeiniglich von der großen Zahl der Lustwandelnden in den Ausstellungsräumen übersehen werden, deren Augen mehr auf Gegenstände des Luxus und des unmittelbaren Gebrauchs fallen.

Am Ausgange stehend werfen wir noch einmal den Blick auf jene hohen Räume denkend zurück, in welchen der deutsche Kunst- und Gewerbfleiß in den Thüringischen Marken so gastfreundlich aufgenommen wurde und dann schauen wir auf das herrliche wald- und bergreiche Gelände rings umher, in dem so viele rüstige Männer, so viele liebe Menschen wohnen.

Lebt wohl! in München nächsten Jahres, will’s Gott, sehen wir uns wieder!




Blätter und Blüthen.

Noch ein türkischer Kaiser. In der gegenwärtigen Krisis der türkischen Verhältnisse dürfte die Mittheilung nicht ohne Interesse sein, daß in irgend einem Winkel der Erde – wo, können wir für den Augenblick nicht angeben – ein türkischer Kron-Prätendent lebt, der durch ungewöhnliche persönliche Vorzüge, durch die für einen Orientalen ganz ungewöhnliche Vielseitigkeit seiner Bildung, namentlich durch die Kenntniß der meisten europäischen Sprachen im hohen Grade die Aufmerksamkeit englischer Touristen im Orient auf sich gezogen und später auch, nach Bekanntwerden seiner Ansprüche, das Interesse der englischen und französischen Presse erregte. Er nennt sich Nadir Bei und ist der Sohn eines ältern Bruders des verstorbenen Sultans Mahmud, der von Nadir Bei als Mörder seines Vaters bezeichnet wird. Durch die Großmuth eines der Meuchelmörder mit seiner Mutter aus dem allgemeinen Blutbade im Harem gerettet, erhielt er im Hause eines reichen Türken, der seine Herkunft kannte, eine glänzende Erziehung, ging dann nach dem Tode seiner Mutter und seines väterlichen Freundes mit den Diamanten und Papieren seines hohen Vaters nach Morea, von da unter dem angenommenen Namen nach Rußland, studirte hier, wie er selbst oft sagte, „die Macht, Politik, die Gesetze und Schwäche der Hülfsquellen und auch die Regierungsformen seines Erbfeindes“ und blieb dann einige Zeit in Polen und Lemberg, um die Theorien der Kriegskunst zu erlernen. Rache und Liebe zogen ihn in’s Vaterland zurück, wo er indeß vorläufig die Rachegedanken aufgab, als er die Reformbestrebungen seines Onkels erkannte.

In Konstantinopel entdeckte er sich einigen hohen Beamten der Pforte, u. a. auch dem Reis Effendi, die das Geheimniß zwar bewahrten, aber ihn mit Zärtlichkeiten aller Art überschütteten. Er ward zum Commandanten eines Reiterregiments ernannt und stand bald darauf in Adana an der Spitze einer Heeresabtheilung [462] von 19,000 Mann auserlesener Kavallerie, die ganz und gar zu seiner Disposition waren. Das war, nach seiner eigenen Aussage, der günstigste Augenblick, den Tod seines Vaters zu rächen. Er unterließ es auch dieses Mal, um die Reformbestrebungen seines Onkels nicht zu stören und ging zurück nach Konstantinopel. Dort erwarb er sich durch sein humanes und edles Betragen und durch seine hervorragende Bildung viele Freunde. Im Jahre 1831 ward er mit geheimen Depeschen von Chosrew Pascha nach Warschau an die revolutionäre Regierung gesandt, kam aber in Wien erst an, als bereits Warschau gefallen war und blieb in Oestreichs Hauptstadt, dessen Kaiser und Adel ihn sehr auszeichnete. Plötzlich aber ward er, weil man ihn für einen angesehenen Polen hielt, mit seinem ganzen Gefolge verhaftet. Französische Zeitungen besprachen damals vielfach das auffallende Ereigniß. Eine Depesche aus Konstantinopel befreite ihn aus seiner Haft. Metternich entließ ihn in einer Mitternachtsaudienz mit vielen Entschuldigungen und Nadir Bei kehrte nach Konstantinopel zurück, wo er – aus ihm noch jetzt räthselhaften Gründen – sofort in ein neues Gefängniß geworfen wurde, aus dem er nur durch die Verwendung des französischen Gesandten, Baron von Varennes, befreit wurde.

Brennend vor Wuth ging er nach Egypten, ward dort im Dienste Mehmed Ali’s Generalinspektor der gesammten Kavallerie und später, wie das Januarheft der Revue britannique 1834 meldet, Generaladjutant Ibrahim Pascha’s. Der Friede mit der Pforte bewog ihn, seinen Abschied zu nehmen. Er bereiste dann zu seiner Belehrung Europa und Amerika, nahm später und zwar incognito wieder türkische Dienste und wurde Commandant von Silistria. Als solcher hatte er Gelegenheit, die schreckliche Verwirrung und die vielen schreienden Mißbräuche in der Civil- und Militärverwaltung kennen zu lernen; er beschloß nach Konstantinopel zu gehen und seinem Oheim einen Plan zur Abhülfe vorzulegen. Obwohl er die Gunst des Sultans und der ersten Würdenträger erlangte, wollte es ihm doch nicht gelingen, sie zur Annahme seiner Vorschläge zu bewegen. Unmuthig darüber kehrte er nach Europa zurück und setzte von da aus seinen Oheim, der bald darauf starb, von seiner Geburt und seinen Absichten in Kenntniß.

Von dieser Zeit an beginnt, wie er sagt, seine Verfolgung. Von Spionen und Mördern umgeben, mußte er nach der Thronbesteigung des jetzigen Kaisers, seines Vetters, von einem Ort zum andern wandern, ohne Ruhe zu finden. Er ging nach Afrika und war lange Zeit verschwunden. Erst vor einigen Jahren tauchte er wieder auf, als er, immer noch in seiner Eigenschaft als kaiserlicher Prinz, eine Petition um Gastfreundschaft und Aufenthalt an die Gesandten der christlichen Mächte am Hofe des Königs beider Sicilien richtete und die damals in einer englischen Zeitschrift abgedruckt war. Ob ihm das Asyl gewährt wurde, ob und wo er augenblicklich noch lebt, ob überhaupt alle seine Aussagen auf Wahrheit beruhen – wir wissen es nicht und wollen ihn weder verwerfen noch anerkennen.


Wunder der Schöpfung im Kleinen. Unter den unendlich vielen und großen führen wir nur einige an. Das menschliche Haar ist von verschiedener Stärke und variirt vom 250sten bis 600sten Theile eines Zolls. Die Faser der gröbsten Wolle ist ungefähr 1/500 Zoll stark, die der feinsten aber 1/1500. Der Seidenfaden, so wie ihn der Wurm spinnt, ist ungefähr den 5300sten Theil eines Zolles dick, der Faden einer Spinne aber fast noch sechsmal feiner, so daß ein einziges Pfund dieser dünnen, aber dennoch vollkommenen Substanz hinreichen würde, einen Faden um die ganze Erde zu ziehen.

Ein einziges Körnchen Moschus kann ein Zimmer zwanzig Jahre lang mit seinem Duft erfüllen. Nach der niedrigsten Berechnung hat sich der Moschus in dieser Zeit in 320 Quadrillionen Theilchen getheilt, von welchem jedes fähig ist, die Geruchsnerven zu afficiren. Die unendliche Theilbarkeit der riechbaren Ausströmungen läßt sich auch nach der Thatsache beurtheilen, daß ein der freien Luft ausgesetztes Stückchen Assafoetida in sieben Wochen blos ein Gran an Gewicht verlor. Da ferner die Hunde die Spur nur mittels ihrer Geruchsorgane verfolgen, so müssen die Ausströmungen von den verschiedenen Thiergattungen nicht blos, sondern auch von den verschiedenen Individuen einer und derselben Gattung wesentlich verschieden und ihre Ausdehnung bei der Länge des Raumes, den sie zuweilen einnehmen, eine alle unsere Begriffe übersteigende sein.


Ludwig Bechstein hat neuerdings zwei Erzählungen geschrieben: „das Fest der Prinzen“ und: „der deutsche Vielwisser“, und diese in Altenburg erscheinen lassen. Daran wäre an sich nichts Merkwürdiges. Aber er hat sich zugleich erlaubt, diesen Machwerken den Namen Volks-Erzählungen beizulegen. Es ist empörend, für wie ungebildet, dumm und urtheilslos dieser Mann das Volk halten muß, daß er es wagen kann, dergleichen Trivialitäten dem Volke als geistige Speise vorzusetzen. Wir haben lange nichts gelesen, was uns einerseits wegen seiner ordinären niedrigen Denkweise so angewidert und andererseits wegen seiner plumpen, ungeschickten Form so lächerlich und albern erschienen wäre, wie dieses Buch, dessen zweite Erzählung Alles übertrifft, was an Ungereimtheiten und Absurditäten jemals für das Volk geschrieben worden ist. Jeder ehrliche Mann, einerlei ob Arbeiter oder Beamter, ob Handwerker oder Gelehrter, müßte das Buch als eine Beleidigung des Volkes zurückweisen, wenn es nicht eben zu fade und kindisch wäre. Herr Bechstein ist die Persönlichkeit nicht, dessen Beleidigungen wehe thun können; er hat indeß mit diesem Buche zugleich bewiesen, daß er literarisch vollständig bankerott ist. – An weitern, aber anständigern Neuigkeiten sind in den letzten Woche noch erschienen, eine zweite durchgesehene Auflage des Giseke’schen Romans: die modernen Titanen; von dem ehemaligen Leipziger Theater-Direktor Küstner (jetzt Chevalier de Küstner): Vierunddreißig Jahre meiner Theaterleitung; von Klenke abermals ein dicker dreibändiger Roman: der Parnaß zu Braunschweig.E. K.     



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.