Die Garten- und Gemüse-Metropole Thüringens

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Autor: unbekannt
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Titel: Die Garten- und Gemüse-Metropole Thüringens
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 570–572
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Erfurt und der Anbau der Brunnenkresse
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Die Garten- und Gemüse-Metropole Thüringens.


Viele Tausende trägt alljährlich die Eisenbahn quer durch das freundliche Thüringer Land vom Norden und Osten nach dem Süden und Westen, Tausende streifen allsommerlich in den Bergen und Thälern des reizenden Thüringer Waldes umher, Hunderte nisten sich auf Monate in einem oder dem andern der vielen kleinen Bäder und Sommerfrischen ein, die sich so verlockend in seinem grünen Schooße bergen, nur Wenige aber aus diesen Reisenden- und Touristenschwärmen fesselt die ehrwürdige Hauptstadt Thüringens, das alte Erfurt, länger als höchstens zu einem flüchtigen Besuche ihres Domes, jener Perle deutscher Baukunst, von welcher die Gartenlaube vor wenigen Jahren (1864, Nr. 15) ein so meisterhaftes Bild gegeben hat. Allerdings Erfurts mittelalterlicher Glanz ist lange dahin; aus der blühenden Reichsstadt mit ihrer stolzen, ewig streitlustigen und streitbaren Bürgerschaft ist eine preußische Festung, eine preußische Militär- und Beamtenstadt geworden, trotzdem aber bietet auch das bürgerliche Element derselben und seine rege industrielle Thätigkeit des Interessanten genug, um, ganz abgesehen von der freundlichen Wald- und Hügelumgebung, uns zu längerem Weilen einzuladen. Namentlich aber ist es Ein Zweig gewerblicher Betriebsamkeit, der in neuerer Zeit Erfurts Namen weit hinaus über die Grenzen Thüringens und Deutschlands, ja über die Europas und über den Ocean hinüber in die neue Welt getragen hat, – sein Gartenbau. Wohl giebt es in Deutschland noch manche Orte und Gegenden, die sich durch Umfang und Leistungen ihrer Gärtnereien auszeichnen, wie Quedlinburg, Köstritz, Bamberg, Ulm u. a. m., die Gärtnerei Erfurts jedoch ist nach verschiedenen Richtungen hin ein Unicum.

Von der Höhe des bekannten anmuthigen Lieblingsluftortes der echt thüringisch gemüthlichen Erfurter, von dem mit hochstämmigen Eichen bestandenen und mit einer Menge kleinerer und größerer Vergnügungsetablissements geschmückten Steigerwald, den im Norden die gen Gotha ziehende Schienenstraße säumt, überblickt man dorthin ein weites flaches Thal, aus welchem im Nordosten die ehrwürdige Stadt mit ihren vielen schönen alterthümlichen Thürmen aufragt und wo weiter im Hintergrunde die Bastionen der Citadelle Cyriaksburg die anmuthige Landschaft abschließen. Diese von sanften Rändern eingefaßte, etwa sechzig Acker enthaltende Thalmulde, jetzt das Bild lachender Fruchtbarkeit, war ehedem ein Terrain, das fast nur aus Sumpf und Teichen bestand; heute ist es urbar gemacht und von dem Quell, dem Dreienbrunnen, regelmäßig bewässert, welcher dem ganzen Gebiete den Namen giebt, insbesondere durch die Bemühungen des einst hochgeschätzten Gartenbauers und horticulturistischen Schriftstellers Christian Richard zu der Hauptstätte des weit und breit berühmten Erfurter Gemüsebaues umgeschaffen.

So erläuterte mir ein Freund, ein alter Erfurter, mit dem ich an einem milden Frühlingstage über den Steiger schlenderte und mit dem Gefühl innern Behagens in die nicht imposante, aber anheimelnde Gegend hinausblickte.

Jedem Fremden fallen in dieser sofort die eigenthümlichen Streifen auf, die in regelmäßigen Zwischenräumen mit ihrem satten Grün wie Sammetbänder von einem hellen Kleide abstechen. „Es sind dies,“ antwortete auf meine desfällige Frage der Freund, der, selbst in nahen Beziehungen zu einem der ersten Gärtnereietablissements, der beste Gewährsmann war, den ich mir wünschen konnte, „die Beete oder vielmehr die Gräben, in welchen wir unsere Brunnenkresse ziehen, deren zarte Blätter Dir heut Mittag als Salat so sehr gemundet haben. Wir nennen sie Klingen. Sie bestehen aus regelrecht geordneten, verschiedene Länge und Breite, etwa zwei bis zwei ein halb Fuß Tiefe enthaltenden, an ihren Rändern mit Rasen eingefaßten Gräben, die entweder ausschließlich zur Bewässerung des dazwischen liegenden Gemüselandes oder zur Züchtung der Brunnenkresse dienen. Die erstere Art dieser Gräben bezeichnet man mit dem Namen ‚Gießklinge‘, während man die andere Art ‚Brunnenkreßklinge‘ nennt. Diese, ein Gesammtareal von zweiundzwanzig Morgen umfassenden Brunnenkreßklingen werden durch drei am Fuße des Steigerwaldes entspringende, in einer Entfernung von zweihundert und fünfzig bis dreihundert Schritt von einander gelegene, einen ziemlich constanten Wärmegehalt von acht bis zehn Grad R. enthaltende, süße Hauptquellen gespeist. Aber auch bei dieser Speisung hat die kunstgeübte Hand der Natur hülfreich entgegenkommen müssen, denn der Untergrund dieser Klingen ist mit großer Sorgfalt geebnet und nivellirt und ihm gerade so viel Neigung zugemessen, um dem Wasser eine stetige, sanfte Strömung zu geben. Nur äußerst selten gefriert dieses Wasser im Winter; unter vorherrschend kaltem Winde indeß bei vierzehn Grad, bei Windstille aber erst bei einem Thermometerstande von achtzehn bis zwanzig Grad Kälte.

Erfurt darf sich übrigens nicht als alleinige Pflanzstätte dieser wohlschmeckenden Kresse rühmen, wie dies oft geschieht. Auch in einigen wenigen Orten Frankreichs hat man Brunnenkreßanstalten in größerem Umfang angelegt, aber ganz nach dem Systeme unserer Dreienbrunner. Paris hat beispielsweise zur Zeit über neunhundert derartige Klingen. Die Uebereinstimmung der französischen Kresseanlagen mit den hiesigen und die gleichmäßige Behandlung in ihrer Cultur findet ihre geschichtliche Erklärung darin, daß während der französischen Occupation im Jahre 1809 Napoleon zwei mit dem Anbau dieser Pflanze vertraute Männer (Nottrodt aus Erfurt und Zugwurst aus Visselbach) anwarb und zur Einrichtung dieser Cultur nach Versailles sandte. Doch soll die Erfurter Kresse einen bedeutend bessern Geschmack haben als die französische, was um so mehr an Glaubwürdigkeit gewinnt, als nicht unerhebliche Sendungen der Erfurter Kresse nach Paris befördert werden.“

„Die Erfurter Brunnenkresse,“ belehrte mein Begleiter mich weiter, „gehört zur Familie der Kreuzblätter mit ziemlich kleinen weißen Blumen. Die Pflanze selbst ist dunkelgrün und blüht vom Monat Juni bis zum Herbst. Ihre Erntezeit sind hauptsächlich Herbst und Winter, sie wird aber vereinzelt selbst bis in den Monat Mai [571] hinein verspeist. Die Cultur der Kresse ist zwar eine sehr einfache, aber eine ebenso mühevolle. Zu Anfange des Herbstes wird nämlich alljährlich der Grund der Klinge von allen vegetabilischen Ueberbleibseln mittels eines Rechens befreit, der darin abgelagerte Schlamm geebnet, die Spitze der alten ausgezogenen Pflanze sodann etwa neun Zoll abgeschnitten und gegen den Strom, dicht nebeneinander, in regelmäßigen Abständen auf den Schlamm gelegt, wogegen die Ränder der Anlage der vortheilhafteren Bewirthschaftung wegen von der Anpflanzung verschont bleiben. Hierauf wird die Kresse mittels eines eigens dazu construirten Brettes (des Patschbrettes) festgedrückt. Je nachdem die Bewurzelung der Pflanze schnell oder langsam vor sich geht, führt man das inzwischen abgedämmte Wasser den Gräben allmählich wieder zu. Bei jeder Erneuerung der Klinge werden Bett und Ufer frisch regulirt. Aber auch in den Sommermonaten müssen die Spitzen der Kresse wiederholt abgehauen werden, weil andernfalls ein Milliarden von kleinen Maden erzeugender Käfer sich in dieselbe einnistet, welcher die Pflanze bis zum Wasserspiegel verzehrt und demnächst seine verheerende Wanderung nach den Gemüsebeeten einschlägt. Leider ist dieser Käfer nicht der einzige die Arbeit und Mühe des Anbaues beeinträchtigende Feind der Kresse, denn auch Krähen, wilde Enten und Elstern fallen im Winter zur Nacht- und Tageszeit schaarenweise in diese Anlagen ein, um nährende Speise theils der Pflanze selbst, theils den auf ihr hausenden Schnecken und Würmern abzugewinnen. Zur Erntezeit werden die Spitzen der Kresse in einer Länge von etwa drei bis vier Zoll abgeschnitten, mittels einer Weidenruthe in kleine Bündelchen geschnürt und demnächst dem Markt und Handelsverkehr übergeben. Uebrigens liefern die Klingen zu dieser Zeit alle vier bis sechs Wochen einen reichlichen Ernteertrag.“

Eine mindestens ebenso ergiebige Ertragsquelle wie die Brunnenkreß-Anlagen bietet das zwischen denselben gelegene Gemüseland im Dreienbrunnen, welches der Erfurter mit dem Namen „Jähnen“ bezeichnet. Es sind dies acht bis zwölf Fuß breite, hoch aufgeworfene Beete mit schrägen Böschungen an ihren Rändern, von ganz vorzüglicher natürlicher Fruchtbarkeit, welcher letzteren durch jährlich erneuerte gute Düngung sowie durch den Vortheil der Zuführung von Feuchtigkeit in trockener Jahreszeit aus den sie umgebenden Brunnenkreßgräben wesentlich nachgeholfen wird. Dadurch gewinnt die Anlage das Ansehen und den Charakter eines großartigen offenen Treibhauses.

Nicht ohne überwiegenden Einfluß auf die fast beispiellosen Erträge des Dreienbrunnens ist unzweifelhaft die dort zur Anwendung kommende Wechselwirthschaft sowie die sorgfältigste Benutzung jedes Raumes, ja selbst der Böschungen. Die Aussaat von Kopfsalat, von Blumenkohl und Kohlrabi wechselt mit dem Sellerie, dem Porrée, dem Wirsing, dem Kraut, Blaukohl, der Zwiebel und anderen Gemüsearten zeitgemäß und in genau bestimmter Reihenfolge dergestalt, daß durch dieses System eine alljährliche drei- und vierfache Ernte erzielt wird. Aber auch nur so außergewöhnliche Ertragsresultate sichern das Anlagecapital und den Verdienst des Züchters, denn ein hundert und achtundsechszig Quadratruthen enthaltender Acker mittlerer Qualität wird durchschnittlich zu dem enorm hohen Preise von achthundert Thalern und einzelne besonders ertragsfähige Stücke werden sogar zum Preise von vierzehn- bis fünfzehnhundert Thalern pro Acker erworben!

Nach einer im verflossenen Jahre gemachten Zusammenstellung ergab der Erfurter Gemüsebau einen Umschlag von mehr als einunddreißigtausend Thalern, der Acker im Dreienbrunnen mithin einen Reinertrag von einhundert achtundachtzig bis einhundert und neunzig Thalern. Es stellt sich derselbe aber in Wirklichkeit wesentlich höher, da die Producenten die erforderlichen Culturarbeiten meist selbst oder durch ihre Angehörigen verrichten und weil fernerhin der Ertrag der Brunnenkreßklingen bei dieser Berechnung nicht mit inbegriffen ist, welche letztere jährlich etwa vierzig- bis fünfzigtausend Schock Bündchen der schönsten Kresse zu einem Mittelwerthe von zweitausend Thalern liefern.

Doch nicht allein Vielfältigkeit und Menge der Erzeugnisse des Dreienbrunnens haben ihm und seinen Züchtern den weit verbreiteten Ruhm erworben, mehr als diese noch sind es die besondere Güte, die außerordentliche Schwere und Größe, wie die bevorzugte Schmackhaftigkeit der einzelnen Gemüsesorten. Wenn auch Bodenbeschaffenheit, Klima und Lage als wesentliche Ursachen dieser erzielten Vorzüge zu betrachten sind, so kann andererseits doch nicht verkannt werden, daß in der Herbeischaffung und mühevollen Acclimatisation der vorzüglichsten Sämereien aus Holland, Frankreich, Italien und selbst aus fremden Welttheilen seit einem Jahrhundert schon der Keim zur Zucht dieser ausgezeichneten Gemüsesorten gelegt worden ist. So wird nachgewiesen, daß der Schmuck der Erfurter Gemüsebeete, der große, frühe Blumenkohl, mit seinem schneeweißen, flachgewölbten, acht bis zehn Zoll im Durchmesser haltenden Kopfe, seine Abstammung vom cyprischen Blumenkohl hat und etwa in der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts von der Insel Cypern eingeführt wurde. Er ist daher auch nicht blos ein Gegenstand des örtlichen Handels- und Marktverkehrs, sondern ein von auswärts mehr als andere Gemüsesorten gern begehrter Artikel. Von diesem Blumenkohl beförderte die thüringische Eisenbahn-Gesellschaft in dem für Gemüsezucht ungünstigen Jahre 1862 allein auf der Eilgutexpedition, also außer dem gewiß nicht unerheblichen gewöhnlichen Frachtgute, zusammen über tausend siebenhundert Centner nach den verschiedenen Städten Mitteldeutschlands. Erwähnenswerth ist auch noch der hier gezüchtete, berühmte schwarze Winterrettig, welcher allerdings in früherer Zeit von bedeutend größeren Dimensionen war als gegenwärtig, da nach älteren verbürgten Nachrichten fünf bis sechs derartige Rettige früherhin oftmals ein Gewicht von einem Centner und darüber hatten.

Von den Feldfrüchten sind die Erfurter Bohnen (weiße Bohnen) und die Puffbohne in weiten Kreisen bekannt, während der Obstbau schon früherhin eine untergeordnete Stellung eingenommen und dieselbe bis hierher behauptet hat.

Diesem hier in kurzen Umrissen beschriebenen Gemüsebaue schloß sich als naturgemäße Entwickelung und Fortbildung die Blumenzucht an, die nach und nach dergestalt an Vollkommenheit und Ausdehnung gewann, daß zur Zeit sich die Erfurter Blumenzüchterei einen weitverbreiteten ehrenvollen Ruf und Namen erworben und durch die im September des Jahres 1865 aus den entferntesten Theilen der Erde besuchte wahrhaft großartige Ausstellung von Producten des Land- und Gartenbaues sich eine bleibende Gedächtnißtafel der Ehre und des Ruhmes gesetzt hat.

Die eigentliche Entwickelung der Erfurter Blumenzüchterei datirt aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, doch waren es damals zumeist die drei Floristenblumen, Nelke, Aurikel und Levkoye, welche eine so bevorzugte Stellung einnahmen, daß sich solche bis zur heutigen Stunde forterhalten hat. Namentlich bildet die Levkoyen-Cultur einen wesentlichen Theil des gärtnerischen Welthandels. Diese Blume umfaßt gegen dreihundert in ihren Formen charakteristisch verschiedene Varietäten. Sorgfältig angestellte Ermittelungen ergaben im Jahre 1863, daß in den Samen-Culturanstalten, ausschließlich der kleineren Privatzüchter, sechshundert und fünfzigtausend Töpfe mit Levkoyen vorhanden waren, die einen Ernte-Ertrag an Samen von achthundertsechsundsechzig und zwei Drittel Pfund zu einem gewöhnlichen Werth von fünfundvierzigtausend neunhundert und dreiundsechzig Thaler repräsentiren. Da aber von den besseren Sorten je hundert Körner zwei bis vier Silbergroschen kosten, so dürfte die angeführte Werthsumme wohl zu tief gegriffen sein, vielmehr der Werth dieses Artikels auf nahezu sechszigtausend Thaler veranschlagt werden können. Der Samen dieser Blume ist daher auch einer der bevorzugteren Handelsartikel der Erfurter Gärtner. Ebenso bildet die Aurikel, sowie die Nelke oder Grasblume nach wie vor neben der Rose einen Hauptzweig der localen Blumenzüchterei, da diese von der Nelke einen jährlichen Absatz von etwa hunderttausend Stück junger Pflanzen, von der Edelrose aber von hundertsechszigtausend Stück nachweist.

Außer den vorgedachten allerdings zumeist hervorragenden drei Floristen umfaßt die Züchterei von Blumensamen und Ziersträuchern eine so erhebliche Menge von verschiedenen Sorten und Gattungen, daß die Kataloge der Kunst- und Handelsgärtner über viertausend und fünfzig Nummern ergeben. Aber auch die Gewächshaus-Culturen Erfurts sind, da sie zumeist Decorationspflanzen und prachtvoll blühende exotische Gewächse umfassen, in großer Vollkommenheit ganz dem modernen Geschmacke angemessen und nehmen so großartige, fast unglaubliche Dimensionen ein, daß die zur Cultur exotischer Gewächse vorhandenen Werkstätten (Häuser) in Verbindung mit den Warm- und Kaltbeeten zur Anzucht von Pflänzlingen eine Glasbedeckung von zweihundert und fünfzigtausend Quadratfuß oder ungefähr neunundeinhalb Morgen einnehmen, während das gesammte zur Blumensamenzucht [572] bestimmte Areal zweihundertzwanzig Morgen und das zu Gemüsesamen verwendete zweihundertzehn Morgen enthält. Eine so beispiellose Ausdehnung bedingt allerdings auch einen ganz außergewöhnlichen Kraftaufwand, in welchen sich nach amtlichen Listen einundvierzig Kunst- und Handelsgärtner und siebenundvierzig Gemüsegärtner mit über hundert Gehülfen, dreihundertsechszig Arbeitern und einundfünfzig Lehrlingen theilen, welche den Geschäftsinhabern nach gewöhnlichen Lohnsätzen eine Ausgabe von etwa dreiundsechszigtausend Thalern jährlich verursachen.

Einer der Erfurter Handelsgärtner beschäftigt sich, unter Hülfe von einigen dreißig Arbeitern, ausschließlich mit der Anfertigung und Versendung von Bouqueten und Kränzen aus lebenden und getrockneten Blumen. Die kunstgerechte, äußerst geschmackvolle Auswahl und Zusammenstellung der Blumen in Form und Farbe findet allgemeine Anerkennung und Bewunderung. Die getrockneten Blumen sind zwar geruchlos, allein ihre Haltbarkeit und ihr Farbenspiel unterscheiden sich nur wenig von dem der lebenden. Sie bilden die winterliche Zierde so manches zum frohen Festmahle geschmückten Heerdes in naher und weiter Ferne, wie sie die Trauerbahren schmücken und in den Händen der über Schnee und Eisdecken schreitenden Bräute im fernen Norden an Frühlingsluft und Frühlingspracht mahnen.

Mit dem Auslande stehen siebenundzwanzig Gärtner in Verkehr; sie lassen in der Regel jährlich etwa dreihunderttausend Stück, öfters fünf bis sechs Bogen starke Kataloge zu einem Kostenpreise für Satz, Druck und Papier von nahezu vierzehntausend Thalern drucken, welche für die Postverwaltung einen jährlichen Portoertrag von ungefähr dreitausend Thalern abwirft.

In Bezug auf die Absatzwege aller dieser Gärtnereierzeugnisse nehmen die österreichischen Staaten den ersten Platz ein. Ein besonders lebhafter Verkehr hat sich mit Ungarn, Siebenbürgen, Galizien und der Bukowina, mit Böhmen sowie mit dem Districte unter- und oberhalb der Enns entwickelt und fest begründet. Diese Länder sind seit vielen Jahren schon die hauptsächlichen Abnehmer der Erfurter Erzeugnisse von Blumen- und Gemüsesamen und entnehmen, nach festgestellten Ermittelungen, über die Hälfte des gesammten Ernte-Ertrages. Die demnächst noch verbleibende kleinere Hälfte vertheilt sich auf das deutsche Gebiet, auf Frankreich, Rußland, England, Italien, sowie auf außerhalb Europa’s gelegene Länder. Rußland gegenüber ist indeß in den letzten Jahren eine fühlbare Verkehrsabnahme eingetreten, wegen der unvortheilhaften Verwerthung der russischen Banknoten, wie anderweiter hemmender Uebelstände.