Die Frauentage und die Frauenbewegung
Die Frauentage und die Frauenbewegung.
Während sich auf dem Niederwald die festlichen Vorbereitungen zur Einweihung des Nationaldenkmals vollzogen, hatte sich in dem nahen Düsseldorf eine Schaar Frauen aus allen Gauen Deutschlands zusammen gefunden, um vom 25. bis 27. September den dreizehnten Frauentag des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ abzuhalten. Der Verlauf desselben erfüllte alle Betheiligten mit hoher Befriedigung und hat, nach den vielseitigen Kundgebungen aus der anmuthigen Künstlerstadt zu schließen, wiederum den beabsichtigten Zweck erreicht, die erwünschte Propaganda für die sittlich ernsten Bestrebungen dieser weiblichen Pioniere in weitere Kreise getragen.
Diese Thatsache muß mit aufrichtiger Freude begrüßt werden, denn wiewohl die Frauenbewegung in Deutschland seit zwei Jahrzehnten die bedeutendsten Fortschritte gemacht und Tüchtiges geleistet hat, um der heranwachsenden weiblichen Jugend eine den Zeitforderungen entsprechende praktische und geistige Ausbildung zu ermöglichen und neue Berufswege zu eröffnen, so ist trotzdem das Verständniß für diese Bestrebungen noch kein allgemeines. In Folge dessen wird auch die Ankündigung der Frauentage an vielen Orten mit gewisser Beunruhigung aufgenommen. Was wollen diese fremden Frauen von den unsrigen? Wie werden sie auf dieselben wirken? Das sind Fragen, die man fast überall vernimmt.
Sind diese Befürchtungen auch berechtigt?
Sehen wir uns nun die deutschen Frauen, die seit Jahren an diesen Tagen sich betheiligen und die hervorragendsten Verdienste um die Lösung der Frauenfrage in Deutschland sich erworben haben, genauer an, lauschen wir ein Weilchen ihren Vorträgen und fragen wir nach ihrem früheren Leben und Wirken! Da wird uns nun ein interessantes und erhebendes Stück der Zeitgeschichte entgegentreten, ein Bild jener Thätigkeit sich vor unsern Augen entrollen, die in aller Stille rastlos an der sittlichen Hebung und Vervollkommnung unseres Volkes arbeitet. Wer da dachte, er würde hier einer wüsten Emancipation begegnen, der wird beschämt den Hut abnehmen müssen und den Kämpferinnen für die Rechte der Frauen auf deutschem Boden gern den wohlverdienten Lorbeer gönnen.
Treten wir also ein in den Versammlungssaal des letzten Düsseldorfer Frauentages!
An der Spitze des grünen Tisches sitzt Frau Dr. Louise Otto-Peters, die Begründerin des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ und Vorsitzende desselben seit der ersten Versammlung [719] deutscher Frauen, welche sie 1865 nach Leipzig berief, wo kurz vorher der erste „Frauenbildungsverein“ in’s Leben getreten war.
Eine wunderbare Ruhe und Festigkeit blickt aus den Zügen dieser Frau, welche durch ihr ganzes Leben bewiesen hat, daß sie unter allen Verhältnissen Charakterstärke, Gesinnungstreue und Rechtsliebe bewahrte. Louise Otto wurde 1819 zu Meißen geboren. Eine glühende Freiheitsliebe und echten deutschen Sinn bekundete sie seit ihrer Jugend, und ihr warmes Herz für die nothleidenden Schwestern zeigte sich im Jahre 1848, wo sie, als in Sachsen eine Commission zur Organisation der Arbeit zusammentrat, eine Adresse an die Volksvertretung und den betreffenden Minister richtete, in welcher sie auch um Berücksichtigung der Arbeiterinnen bat.
Im Jahre 1849 redigirte sie die erste Frauenzeitung in Sachsen. Ein Jahr früher hatte sie August Peters (als Dichter Elfried v. Taura) kennnen gelernt. Näher trat sie ihm, als er, ein Kämpfer für die Reichsverfassung, zu Rastatt zum Tode verurtheilt war. Nachdem das Urtheil aufgehoben und er in’s Zellengefängniß zu Bruchsal gekommen war, verlobte sich Louise Otto dort mit ihm, in Gegenwart des Aufsehers, durch ein Gitter von dem Geliebten getrennt. Sie blieb der Engel seines Gefängnisses, bis er 1857 die Freiheit erhielt. Ihre Romane und Dichtungen sind bekannt. 1858 erfolgte ihre Vermählung mit A. Peters, mit dem sie die „Mitteldeutsche Volkszeitung“ herausgab, doch löste der Tod das glückliche Ehebündniß schon im Jahre 1864.
Seit 1865 trat Louise Otto-Peters energisch und begeistert füre das Recht der Frau ein. Seit achtzehn Jahren redigirt sie im Verein mit Fräulein Auguste Schmidt, der Mitbegründerin des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“, dessen Organ „Neue Bahnen“ (Verlag von Moritz Schäfer in Leipzig). Als stetige Vorsitzende leitete sie alle Frauentage und Versammlungen mit Gleichmuth und Umsicht.
Wie ein Orchester der verschiedensten Instrumente, welche jedoch harmmonisch im Concert zusammenstimmen, so verschieden sind die Persönlichkeiten der Frauen, welche mit Louise Otto den Vorstand des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ bilden.
Keinen größeren Gegensatz vermag man sich vorzustellen, als den von Louise Otto mit der kleinen gedrungenen Gestalt und Auguste Schmidt. Diese, eine imposante Figur, mit einem Kopf, dessen ausdrucksvolle, lebhafte Züge und geistsprühende dunkle Augen von ehemaliger außergewöhnlicher Schönheit sprechen, hat eine vollklingende Stimme, deren warmer Brustton Jeden sympathisch berührt. Sie besitzt eine seltene Rednergabe im freien Vortrag, weshalb ihr bei den meisten Frauentagen die Aufgabe zufiel, in der ersten öffentlichen Versammlung durch eine Ansprache gleichsam das Programm der Bestrebungen darzulegen.
Auch in Düsseldorf hielt sie am selben Abend vor einem zahlreich erschienenen Publicum die Begrüßungsrede, aus welcher tief innerliche Ueberzeugung und Begeisterung sprach und geistreiche Diction wie schwungvolle Ausdrucksweise die Zuhörer fesselte. Sie ging von dem Widerstreit zwischen Bildung und Cultur, zwischen Ideal und Wirklichkeit aus und bewies, wie nur wahre Geistes- und Gemüthsbildung im Stande sei, den Kampf um das Dasein mit sittlicher Kruft aufzunehmen. Jeglicher Mangel an Gelegenheit für das weibliche Geschlecht zur Ausbildung für das prakische Leben und für einen Fachberuf sei Veranlassung gewesen, daß im Jahre 1865 ein Häuflein muthiger Frauen zusammengetreten, um den nothleidenden Schwestern, den alleinstehenden Frauen neue Bahnen zu eröffnen, auf denen sie einen festen Boden gewinnen in dem Culturkampf der Gegenwart, dem Ringen um’s Dasein.
Man hatte die Frau von jeher gelehrt, daß ihr Platz nur im Hause, ihr Wirken nur in der Ehe und in der Erziehung der Kinder sei, allein die Veränderungen und Umgestaltungen im socialen und wirthschafllichen Leben durch das Maschinenwesen und erleichterten Völkerverkehr haben dem Hause einen total veränderten Charakter gegeben. Durch die Massenproduction wurde eine Menge Haus- und Handarbeit entbehrlich, die früher das ganze Frauenleben ausgefüllt haben. Die zugleich sich immer mehr steigenden Lebensbedürfnisse machten Einschränkungen nothwendig, welche das Heirathen erschwerten; so wuchs die Zahl der unverheiratheten Frauen, die darauf angewiesen waren, sich selbst zu erhalten, wollten sie nicht sittlich untergehen. Auf welche Weise aber sollten die Frauen erwerben, da sie, im engsten Rahmen des Hauses nur zu mechanischer Arbeit angehalten, nie gelernt hatten, diese zu verwerthen? Ja, sie wurden sogar verhindert, für Geld zu arbeiten, weil dies als eine gesellschaftliche Erniedrigung galt.
Diesem Vorurtheil entgegenzuarbeiten, schrieb der „Allgemeine Frauenverein“ das erlösende Wort auf sein Banner: „Die Arbeit ist eine Pflicht und Ehre für die Frau wie für den Mann“ – und „die Frau ist zu jedem Berufe berechtigt, zu dem sie befähigt ist“.
Um seine Ideale zu verwirklichen, wurde Anregung zur Organisation von Frauenbildungsvereinen gegeben, welche Mädchen-Fortbildungsschulen errichteten und jegliche Frauenarbeit förderten. Dies geschah im Anschluß an die Frauentage, welche, außer mehrmals in Leipzig, dem Hauptsitz des Vereins, in Braunschweig, Kassel, Eisenach, Stuttgart, Gotha, Frankfurt am Main, Hannover, Heidelberg und Lübeck stattgefunden hatten.
Zunächst galt es, durch gründlichere und umfassendere Bildung den Frauen jene Befriedigung zu geben, welche aus dem Bewußtsein fließt, daß unser Dasein einen Zweck haben müsse in der großen Völkerfamilie.
Diese ausgezeichnete Rednerin, die Tochter eines höheren Officiers in Breslau, widmete sich dem Beruf der Lehrerin und Schulvorsteherin. Vom Jahre 1862 an wirkte sie in Leipzig an der Schule des Fräulein von Steyber sieben Jahre und übernahm die Direction derselben nach deren Tode im Jahre 1869. Thakräftig begann sie diese Unterrichtsanstalt nach den jetzigen Bildungsansprüchen zu reformiren und an sie ein Seminar für Lehrerinnen zu schließen, das sich eines Rufes der Vorzüglichkeit erfreut. Das Zusammenwirken mit berufstreuen verschwisterten Verwandten ermöglichte neben der vielclassigen Schule die Aufrechthaltung eines größeren Pensionats von Mädchen, die hier die Grundlage zu einem befriedigenden Leben empfangen.
Unter den Vorstandsmitgliedern des „Deutschen Frauenvereins“ ist Frau Dr. Henriette Goldschmidt geb. Benas eine der begabtesten, geistreichsten Frauen und Rednerinnen, welche gleichfalls durch ihre Eröffnungsreden manchem Frauentag den Erfolg von vornherein gesichert hat. Die zierliche, kleine Frauengestalt mit dem interessanten, ausdrucksvollen Gesicht und den leicht beweglichen Zügen ist die Trägerin energisch durchgeführter Reformbestrebungen für die weibliche Erziehung. In Krotoschin, in der preußischen Provinz Posen, geboren, verheirathete sie sich mit dem Rabbiner Dr. Goldschmidt, an dessen Seite sie erst fünf Jahre in Warschau lebte und seit fünfundzwanzig Jahren in Leipzig ihren Wohnsitz hat. Auch ihre öffentliche Wirksamkeit begann mit der im „Allgemeinen deutschen Frauenverein“. Unabhängig von demselben war sie in Leipzig Mitbegründerin des „Vereins für Familien- und Vokserziehung“.
Vier Volkskindergärten und eine Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen, aus der bereits dreihundert geprüfte Jugendführerinnen hervorgingen, sind der Obhut der Frau Goldschmidt als Vorsitzende des Vereins anvertraut; ihre Hauptaufgabe ist die, eine höhere Lehranstalt für den erziehlichen Beruf des Weibes zu schaffen. Zur Verwirklichung dieses Gedankens begründete sie im Verein mit hochangesehenen Männern der Wissenschaft das „Lyceum für Damen“ in Leipzig, das einzige in Deutschland, das mit Volkskindergärten in Verbindung steht, welche den jungen Damen Gelegenheit geben, sich für den erziehlichen Beruf vorzubereiten. In diesem Lyceum findet auch die Kunst ihre Lehrstätte; in dem Modellircursus ist schon Hervorragendes geleistet worden.
Die hohe Begabung für die Redekunst verschaffte Frau Dr. Goldschmidt Einladungen nach Kassel, Braunschweig, Bremen, Lübeck, Stettin, Mannheim, Mainz etc., wo sie Vorträge hielt, welche für die Frauenbewegung von großem Nutzen waren und in denen sie unter Anderem für die Kindergartenschule plaidirte, in ihrer Bedeutung für den Fortbildungsunterricht der weiblichen Jugend.
Außer in zahlreichen Brochuren faßte sie ihre Ansichten zusammen in dem Buche: „Ideen über weibliche Erziehung“ (Reißner, Leipzig). Auch auf dem Düsseldorfer Frauentage hielt Frau Dr. Goldschmidt einen Vortrag über die Reform der weiblichen Erziehung, der um so mehr zündete, als man fühlte, daß Alles, was die Rednerin so scharfsinnig wie logisch darlegte, auch von ihr im Leben und Wirken bethätigt worden war.
Fräulein Marie Calm aus Kassel ist den Lesern der „Gartenlaube“ als begabte Schriftstellerin bekannt, sie schrieb unter Anderem auch für junge Mädchen „Blick in’s Leben“", „Weibliches Wirken“, [720] „Echter Adel“, „Daheim“ und „Draußen“, auch Novellen, Romane und Gedichte.
Marie Calm, 1832 als die Tochter des Bürgermeisters in Arolsen geboren, bildete sich ihrer innersten Neigung nach als Lehrerin aus, ging ein Jahr nach Genf, um die französische Sprache gründlich zu erlernen, war sieben Jahre in England und Rußland als Erzieherin und übernahm, als sie heimgekehrt, zwei und ein halbes Jahr die Vorsteherschaft einer Töchterschule zu Lennep.
Begeistert schloß sie sich im Jahre 1865 an den „Allgemeinen deutschen Frauenverein“ an, in dem sie eine agitatorische Wirksamkeit entfaltete. In Kassel begründete sie mit anderen Damen einen Zweigverein, aus dem eine „Fachschule für confirmirte Mädchen“ hervorgegangen ist, welche, Dank ihrer Vortrefflichkeit, sich der Unterstützung der Behörden erfreut. Jetzt der Vereinsthätigkeit als Vorsitzende des „Frauenbildungsvereins“ mit voller Kraft sich widmend, hat sie zu unterrichten aufgehört.
Außer den genannten Damen sind es Fräulein Marianne Menzzer in Dresden, Frau Stadtrath Winter in Leipzig und Frau Lina Morgenstern in Berlin, welche den Vorstand des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ vervollständigen. Die kleine Gestalt der Ersteren mit dem vom weißen, schlichten Scheitel umrahmten lieben, ehrwürdigen Gesicht, verbirgt einen hohen edlen Sinn, ein warmes Gemüth für die Leidenden und Unterdrückten. In stiller bescheidener Zurückgezogenheit lebend, nahm sie dennoch von Beginn an lebhaften Antheil am „Allgemeinen deutschen Frauenverein“, auf dessen Versammlungen sie die Lohnfrage der Arbeiterinnen auf das Eingehendste erörterte.
Durch ihre auf statistische Beweise begründeten Anklagen der Arbeitgeber, sowie durch ein mühselig zusammengeholtes Material über das Elend der Arbeiterinnen wußte sie mit ihren einfachen, einem edel entrüsteten Gemüthe entsprossenen Worten die lebhafteste Sympathie der Zuhörerinnen zu erwecken, so daß als nächste Aufgabe der Betheiligten beschlossen wurde, über ganz Deutschland Frauenvereinigungen zum Rechtsschutz der Arbeiterinnen zu veranlassen, die sich in jeder Beziehung der hülflosen Arbeiterinnen anznnehmen und sie vor Ausbeutung zu schützen haben.
Der Vortrag des Fräulein Menzzer fiel in die letzte Düssesdorfer öffentliche Versammlung. Unter den Theilnehmenden war es Fräulein Joh. Friedr. Wecker aus Frankfurt am Main, welche gleich mit einer That antwortete, indem sie erklärte, die Initative bereits ergriffen zu haben: noch in diesem Winter werde sie Feierabendsäle für Arbeiterinnen eröffnen und damit versuchen, verbessernd auf das Loos derselben, ihre sittlichen Anschauungen und ihre materielle Lage einzuwirken.
Wenngleich Frau Stadtrath Winter dasjenige Vorstandsmitglied ist, das selten einen Frauentag besucht oder sonst in die Oeffentlichkeit tritt, so hat sie doch einen der wichtigsten Ehrenposten, als Schatzmeisterin des Vereins, den sie seit 10 Jahren mit anerkennenswerther Pflichttreue und Umsicht vertritt.
Hier sei gleich bemerkt, daß ein Jahresbeitrag von 6 Mark jede unbescholtene Frau berechtigt, Mitglied des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ zu werden, und jeder Zweigverein für je 100 Mitglieder 6 Mark an die Hauptcasse zu zahlen hat, womit die Vereinskosten gedeckt werden. Außerdem besteht eine Stipendiencasse für weibliche Studirende.
Die kleine Frau mit der Brille, an die wir uns jetzt wenden, ist unsern Lesern wohl bekannt, denn gerade in letzter Zeit hat die „Gartenlaube“ gelegentlich der Hygiene-Ausstellung auf ihre Verdienste mehrmals hinweisen können. Es ist Frau Lina Morgenstern, die sich vor den andern Damen namentlich durch ihren praktischen Sinn und ein hervorragendes Organisationstalent auszeichnet.
In Breslau am 25. November 1830 als das dritte Kind des Fabrikanten Albert Bauer und seiner Frau Fanny, geb. Adler, geboren, erhielt sie von ihrer Mutter eine sehr sorgfältige Erziehung und das Beispiel, sich mit selbstloser Hingebung wohlthätigen und gemeinnützigen Werken zu widmen und darin den höchsten Lebenswerth, nächst einem beglückenden, friedlichen und geordneten Familienleben zu erkennen. 1848 begründete sie an ihrem Geburtstage den in ihrer Vaterstadt noch heute bestehenden „Pfennigverein zur Unterstützung armer Schulkinder“.
Nachdem ihre Verheirathung mit Theodor Morgenstern sie im Jahre 1854 nach Berlin geführt, gab sie sich als Lieblingsbeschäftigung in den Mußestunden, welche die Pflege der Kinder freiließ, der Dichtung und Schriftstellerei hin. Ihre „Jugendschriften“ und „Kindererzählungen“ sind meist der eigenen Kindheit und dem Umgang mit den eigenen Kindern entnommen.
Im Jahre 1859 schloß sie sich den Frauen und Männern an, welche den „Verein zu Beförderung der Kindergärten“ in Berlin begründeten, dessen Vorsitzende sie fünf Jahre lang bis 1866 gewesen ist. Die Frucht ihres Fröbel-Studiums war das für Mütter geschriebene Büch „Das Paradies der Kindheit“ und mehrere Kinder- und Jugendschriften. Innerhalb des Vereins begründete sie neben dem bestehenden „Seminar für Kindergärtnerinnen“ das „Kinderpflegerinnen-Institut“. Mit Vorliebe wirkte sie für Verbreitung der Volkskindergärten.
Der Krieg von 1866 gab ihr Veranlassung zur Gründung des „Vereins der Berliner Volksküchen“, den sie, Dank den treuen Mithelfenden, die sie gefunden, mit ausdauernder Energie seit bald achtzehn Jahren leitet und der zugleich Nachbildung in vielen Städten und Fabrikorten gefunden hat.
Die Excesse der sogenannten Engelmacherinnen und die große Kindersterblichkeit bei den Armen gab ihr den Gedanken, im Jahre 1868, im Zusammenwirken mit tüchtigen Frauen und Männern, den „Kinderschutzverein“ in’s Leben zu rufen, den sie als Vorsitzende bis 1871 leitete und der noch heute Hunderte von Kindern rettet, die sonst dem Untergang geweiht worden wären.
Der Eintritt in den „Allgemeinen deutschen Frauenverein“ ließ sie der Erziehungsidee erwachsener Mädchen ihre volle Aufmerksamkeit zuwenden. Um ihrerseits ein Ideal zu verwirklichen, das ihr dabei vorschwebte, errichtete sie 1869 im April auf eigene Kosten eine „Wissenschaftliche Fortbildungsschule für junge Damen“, der sie bis 1873 vorstand und welche sie alsdann nur aufgab, weil das eigene Haus sie zu sehr beanspruchte. In dieser sehr besuchten Anstalt gab sie selbst, neben einer großen Anzahl männlicher Lehrkräfte, den Unterricht in Kindespflege und Erziehungslehre. Verbunden mit dem Institut war ein Privatkindergarten, in welchem die Fortbildungsschülerinnen hospitirten.
Während des Kriegsjahres 1870 und 1871 übernahm sie die Oberleitung bei der Verpflegung und Erfrischung durchziehender Truppen auf den Ost- und Niederschlesischen Bahnhöfen, unterstützt von den Vorsteherinnen der Berliner Volksküchen und andern Damen.
Die in jedes Hauswesen tief eingreifenden wirthschaftlichen Veränderungen in Folge der Gründerjahre waren Veranlassung, daß die kleine Frau ihre Mitschwestern aufforderte, zur Selbsthülfe zu greifen, um die häuslichen Interessen der Familie zu wahren, und so begründete sie mit Gesinnungsgenossinnen den „Berliner Hausfrauenverein“, der die zersplitterten Frauenkräfte aufforderte, sich zu einer Macht zu vereinigen, um erfolgreich gegen die das Haus gefährdenden Uebelstände anzukämpfen. Seit zehn Jahren besteht dieser Verein, dessen Einfluß auf den Lebensmittelmarkt die hiergegen errichteten Verkaufsstätten vorläufig überflüssig macht, während er nach anderer Richtung hin Veranstaltungen traf, die einen dauernden Segen für Frauenwohl haben, wie die unentgeltliche Stellen- und Arbeitsvermittelung, die Kochschule, die Prämien- und Altersversorgungscasse für Dienstboten u. a. m. Seit zehn Jahren redigirt Frau Morgenstern die „Deutsche Hausfrauenzeitung“, Organ des Vereins und der gesammten Fraueninteressen, welche sich zu einem wahren Anwalte für das weibliche Geschlecht, seine Pflichten und Rechte herausgebildet hat.
Ihre letzte Vereinsstiftung unter Mitwirkung anderer Damen ist eine „Hausindustrie- und landwirthschaftliche Schule für minorenne Mädchen, die aus dem Gefängnisse kommen“; dieselbe steht seit 1880 unter Leitung eines größeren Damen-Comités, das seine schwierige Aufgabe nach Kräften zu lösen sucht.
Die Theilnahme an den Frauentagen war für die vielbeschäftigte Frau stets ein freudiges Ereigniß; ihres Lebens Sonnenstrahlen aber sind ihre erwachsenen Kinder, drei Töchter und zwei Söhne und das glückliche Eheleben mit ihrem Manne, Theodor Morgenstern, der alle ihre Bestrebungen begünstigte. –
Unter den vielen Frauen, welche hervorragende Verdienste um den „Allgemeinen deutschen Frauenverein“ hatten, nenne ich besonders Emma Laddey in München und Frau Professor Weber in Tübingen. Die Letztere, welche in Düsseldorf einen durchschlagenden Erfolg mit ihrem Vortrage: „Die Pflichten der gebildeten Frau gegen die Frau aus dem Volk“ hatte, ist eine der liebenswürdigsten Persönlichkeiten. In ihrer äußeren Erscheinung repräsentirt sie die echte deutsche Hausfrau, aus deren freundlichen
[721][722] Gesichtszügen ein menschenfreundliches würdevolles Gemüth spricht. Sie wurde am 10. August 1829 auf dem Gute ihres Vaters, Herrn Walz, auf dem Schweizerhof bei Ellwangen in Württemberg geboren und zog mit ihren Eltern später nach Hohenheim, wo der Vater Director der Landwirthschaft- und Forstakademie wurde. Sie heiratete den Laudwirthschaftslehrer Dr. Weber, welcher später Professor an der Universität Tübingen wurde. Jahre lang lebten sie auf dem Lande, ihrem Gute Bläsieberg. Hier bildete sich im Verkehr mit dem Volke das Verständniß der human fühlenden Frau für dessen Bedürfnisse.
Seit 1870 nach Tübingen in’s eigene Haus übergesiedelt, wandte sie alle freie Zeit humanen Vereinen zu, die sie zum großen Theil selbst begründet und in denen sie die Mission der socialen Pflichten der Frau erfüllt, über die sie so meisterhaft geschrieben hat. Soeben erscheint von ihr eine Broschüre: „Die Mission der Hausfrau“.
Ein halbes Jahr später, als der „Allgemeine deutsche Frauenverein“, wurde zu Berlin auf Anregung des verewigten Präsidenten Lette, an dessen Namen sich so viele Schöpfungen für’s Wohl der Menschheit knüpfen, ein Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts begründet, der bald nach dem Tode des Stifters den Namen „Lette-Verein“ annahm. Der Begründer, der zugleich Vorsitzender war, übergab alsbald das Amt der Schriftführung einer Dame, welche bereits den ersten Frauentag zu Leipzig besucht und sich stets mit den Bestrebungen für Frauenerwerb und Frauenerziehung beschäftigt hatte. Es war Jenny Hirsch, geboren den 25. November 1829 zu Zerbst, welche dies Ehrenamt mit großer Umsicht unterbrochen bis zum April 1883 verwaltete; in ihrer Eigenschaft als Schriftführerin besuchte sie die Frauentage zu Berlin, Darmstadt, Hamburg, Wiesbaden, Breslau und Lübeck. Von 1870 bis 1881 redigirte sie den „Frauenanwalt“. Seit dem April dieses Jahres hat sich Jenny Hirsch von aller Vereinsthätigkeit zurückgezogen, um sich ausschließlich der schriftstellerischen Thätigkeit zu widmen, die sie schon von 1860 bis 1864 als Mitglied der Redaction des „Bazars“ geübt hatte.
Nach des edlen Präsidenten Lette Tode leitete eine zeitlang Professor von Holtzendorff den nach seinem Stifter genannten „Lette-Verein“, bis die älteste Tochter des Verstorbenen den Vorsitz übernahm, welche seit 1855 ihrem Vater bereits eine wesentliche Stütze gewesen war.
Frau Anna Schepeler-Lette, welche als Delegirte des von ihr vertretenen Vereins den Frauentag zu Düsseldorf besucht hat, ist 1829 zu Soldin geboren, verbrachte ihre Jugendjahre in Frankfurt an der Oder und Berlin, wohin ihr Vater versetzt worden war, und begleitete denselben 1848 nach Frankfurt am Main, als er zum Abgeordueten in’s deutsche Parlament gewählt worden war. Hier entschied sich ihr Lebensschicksal. Sie lernte den Großhändler Herrn Schepeler kennen und wurde dessen Gattin. Allein ihr Eheglück wurde durch den Tod ihrer Kinder, durch langes Leiden und den Tod ihres Mannes getrübt, und Frau Schepeler, die ihm allzeit eine treue Freundin, Beraterin und Pflegerin gewesen, zog nach seinem Verlust auf den Wunsch ihres Vaters 1866 nach Berlin; doch auch hier entzogen sie bald wieder ernste Pflichten der Wirksamkeit nach außen hin. Der Vater erkrankte. Monate lang war sie ihm nebst der liebreichen Schwester eine unermüdliche Pflegerin bis zu seinem am 3. December 1868 erfolgten Tode.
Es ist ihr gelungen, das Werk des edlen Vaters zu einem Muster aller ähnlichen Bestrebungen zu machen, aber sie hat auch ihr ganzes Sein dafür eingesetzt. Das Lette-Haus in Berlin mit all seinen segensreichen Anstalten ist das schönste Denkmal, das dem Stifter errichtet ist. In ihm wird die Erziehung der Frau zur Arbeit gepflegt, die Berufsbildung, und es wird auf immer neue Mittel und Wege gesonnen, die Schranken wegzuräumen, welche einer Entfaltung geistiger Kräfte und technischer Fertigkeiten der Frauen hindernd im Wege stehen. 1876 unternahm Frau Schepeler-Lette die Reise nach Amerika, um auf der Weltausstellung zu Philadelphia und in andern bedeutenden Städten weibliche Unterrichtsanstalten und Unterrichtsmittel kennen zu lernen.
Im Jahre 1869 berief der „Lette-Verein“ einen Frauentag nach Berlin, auf welchem die Erwerbs- und Bildungsvereine zu einem Verbande zusammentraten, welcher den „Lette-Verein“ als geschäftsführenden Leiter wählte, mit der Bestimmung, alle zwei Jahre einen Frauentag da abzuhalten, wo schon Verbandvereine bestehen und ein Austausch der Erfahrungen stattfinden, neue Anregungen gegeben werden sollen. Nachdem bis zum Jahre 1877 beide Vereinsgruppen neben einander ohne jegliche Verbindung tagten, wurde auf dem Frauentage zu Frankfurt am Main eine Vereinbarung getroffen, von da ab gegenseitig Deputirte zu den Jahr um Jahr abwechselnd abzuhaltenden Versammlungen zu senden. Diesen Modus siegreich durchgeführt zu haben, war eines der letzten guten Werke der hoch verdienstvollen Luise Büchner aus Darmstadt, deren Name unsterblich und hervorragend fortleben wird in der deutschen Frauenbewegung.
Diese Frauenbewegung wie wir sie nunmehr kennen gelernt haben, kann nur unsere Sympathien erwecken, und wir schließen mit dem herzlichen Wunsche, daß diese Zeilen dazu beitragen mögen, dies edle Streben deutscher Frauen mehr und mehr zu verbreiten und zu fördern.