Die Führerinnen der Frauenbewegung in Deutschland

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Autor: Rosalie Braun-Artaria
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Titel: Die Führerinnen der Frauenbewegung in Deutschland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 256–259
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Führerinnen der Frauenbewegung in Deutschland.

Von R. Artaria.

Von Zeit zu Zeit erlebt es die Gesellschaft immer wieder, daß ein neuer Gedanke plötzlich an vielen Orten zugleich auftaucht und die Geister bewegt. Man pflegt dann zu sagen: „Er liegt in der Luft!“ und denkt nicht daran, daß ein sehr realer Untergrund von Thatsachen, Zu- und Uebelständen die Wurzel dieses Gedankens ernährte. Lange ehe er in das allgemeine Bewußtsein fällt, haben sich aber einzelne klarsehende Köpfe mit jenen Zuständen beschäftigt und die „Frage“ formuliert, zur Entrüstung oder zum Gelächter ihrer Zeitgenossen, bis dann nach ein paar Jahrzehnten das Kommende zum Gegenwärtigen geworden und als solches auch dem kurzsichtigen Auge erkennbar ist.

Genau so ging es auch mit der „Frauenfrage“. Die ersten Vertreterinnen der „Emancipation“ mußten sich als überspannte Schwärmerinnen verlachen lassen, und heute hat sich aus dem gewaltigen Umschwung der Zeiten, aus veränderten Erwerbsverhältnissen, aus gesteigerten Anforderungen an Bildung und Charakter eine sehr ernste Frauenbewegung mit sehr bemerkenswerten Erfolgen entwickelt, welche mit den alten Schlagworten durchaus nicht mehr abzuthun ist. Die Not- und Brotfrage klopft vernehmlich an die vielen Thüren des Mittelstandes, wo einige unversorgte Töchter ohne Kenntnisse und Erwerbsfähigkeit einer ungewissen Zukunft entgegenharren; die Bildungsfrage sowohl im Sinne einer vertieften und veredelten Geisteskultur für die künftigen Mütter des nachwachsenden Geschlechts, als im Sinne [257] der Freiheit des wissenschaftlichen Studiums für künftige Frauenärztinnen und Lehrerinnen erwächst mit Notwendigkeit aus den Anforderungen des sozialen Lebens. Zum größten Teil aber entstammt die Bewegung dem gestiegenen sittlichen und geistigen Wert weiter Frauenkreise, die ihren Anteil an der Kulturarbeit der Zeit verlangen, zum Wohl der Gesamtheit und zur Erlösung für die Einzelnen aus der Kleinheit des Genußlebens, das so arm ist an edlen Genüssen und so reich an Enttäuschung und Langerweile!

Die Führerinnen der Frauenbewegung in Deutschland.

Luise Otto-Peters. Mathilde Weber. Henriette Goldschmidt. Lina Morgenstern.
     Marie Loeper-Housselle. Auguste Schmidt. Helene Lange.
Luise Büchner. Bertha von Marenholtz-Bülow. Marie Calm.

Wenn also auch Zeitbedürfnisse aller Art fördernd auf die Frauenfrage einwirkten, so würde sie, bei der lange währenden Mißachtung durch Staats- und Gemeindelenker, noch an ihren ersten Anfängen stehen, hätten die begeisterten Frauen, welche dereinst den Mut hatten, sie aufzuwerfen, nicht auch die Thatkraft besessen, gleich mit der Lösung Ernst zu machen. In aufopfernder, unermüdlicher Arbeit, im Kampfe mit männlichem Vorurteil und weiblicher Gleichgültigkeit haben erst einzelne durch Rede und Schrift gewirkt, Frauenvereine und Kindergärten gegründet, bis im Jahre 1865 der von Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt in Leipzig begründete Frauenbildungsverein sich zum „Allgemeinen deutschen Frauenverein“ umwandelte. Von dort an hatten die Einzelbestrebungen Fühlung untereinander und eine bestimmte Richtung gewonnen, welcher der Verein in den Jahren seines Bestehens unentwegt treu geblieben ist. Der leitende Grundgedanke, dem weiblichen Geschlechte zu helfen durch eigene weibliche Kraft, ist überall erkennbar in den Zwecken: Hebung des Interesses für geistige Bildung, Eröffnung von Anstalten aller Art zu Erziehung und Unterricht, Frauenerwerb, Schutz und Hilfe für Dienstboten und Arbeiterinnen. Ein eigenes Vereinsorgan, die „Neuen Bahnen“, von L. Otto-Peters und A. Schmidt vortrefflich geleitet, vertritt seit 1865 rastlos die Fraunensache und hat ihr zahlreiche Anhänger geworben. Die Hauptwirkung aber übten von jeher und üben noch die alle zwei Jahre wiederkehrenden Wanderversammlungen, welchen mehr als einmal der Erfolg beschieden war, eine bisher ganz teilnahmlose Stadt sozusagen im Sturm zu nehmen und eine bedeutende Wandlung in den Anschauungen der pflichtgemäß, aber nicht gerade freudig erschienenen Bürgermeister, Schulräte und Kultusbeamten hervorzubringen.

Freilich ist das kein Wunder angesichts der ganz hervorragenden Rednergabe der Führerinnen, die samt und sonders durch ihre Person den Beweis liefern, daß klare Logik und bewußte Ueberzeugungstreue nicht unvereinbar sind mit den [258] Forderungen edler Weiblichkeit, sondern ganz im Gegenteil derselben erst zu ihrem rechten und vollen Wert verhelfen. Als eindrucksvollste Persönlichkeit der Versammlungen hält neuerdings in Vertretung der hochbetagten ersten Präsidentin, Frau Otto-Peters, die zweite Vorsitzende, Fräulein Auguste Schmidt, die Eröffnungsrede. Zweimal schon (1871 Nr. 49, 1883 Nr. 44) hat die „Gartenlaube“ die Verdienste dieser seltenen Frau und die geistvolle, warm zu Herzen dringende Beredsamkeit geschildert, womit sie schon oft eine Zuhörerschaft, die zum großen Teil aus Männern bestand, hingerissen hat. Etwas von den militärischen Eigenschaften des Vaters, eines Breslauer Offiziers, muß auf die 1833 geborene Tochter übergegangen sein, denn mit einer in damaliger Zeit für Mädchen ihres Standes sehr ungewöhnlichen Entschlossenheit erwählte sie, von dem Bedürfnis nach ernster Thätigkeit getrieben, den Lehrberuf, den sie erst als Erzieherin, dann als Lehrerin in Breslau und schließlich als Leiterin eines eigenen Instituts in Leipzig ausgeübt hat. Daß eine an Kopf, Herz und Charakter gleichmäßig starke Frauennatur gerade auf diesem Feld das Höchste zu leisten vermag, das beweist die begeisterte Verehrung von Generationen ihrer Schülerinnen. Dabei behielt sie, trotz anstrengendsten Berufsdienstes, Frische und Freudigkeit für die Aufgaben des Frauenvereins, welche sie noch kürzlich (Oktober 1893) in Nürnberg in einer prächtigen Rede entwickelte. Die Schlußworte lauteten: „Nicht im Genießen, in ernster Arbeit werden die Tugenden des Weibes, der Mutter geboren. Nicht im Dilettantismus, in der strengen Schulung reift die Einsicht. Auch die Töchter der bevorzugtesten Klassen sollen sich in Reih und Glied mit der arbeitenden Menschheit stellen, an Arbeit in den Kindergärten, Mädchenhorten etc. wird es nicht fehlen, und würdiger als im Ballsaal lernen sie hier das Leben kennen … Wir brauchen studierte Lehrerinnen für die Oberklassen der höheren Mädchenschulen, wir brauchen tüchtige Aerztinnen …“ Sie führte dann eine Reihe von Humanitätsaufgaben auch für die Frauen und Familienmütter an und schloß: „In diesem Sinne will der Allgemeine deutsche Frauenverein reformieren. Nicht entfremden will er die Frau dem Hause, er will sie dem Mann als erprobte Gefährtin zur Seite stellen. ‚Frauenarbeit und Frauenbildung‘ hat er auf sein Panier geschrieben. In den Dienst humaner Bestrebungen will er das eigene Geschlecht stellen“.

Die aus diesen Worten klingende Idealität kennzeichnet von jeher den Geist des Allgemeinen deutschen Frauenvereins. Dieser Geist lebte schon früher in Luise Otto (geboren 1819 in Meißen), die als Urheberin der Frauenbewegung in Deutschland anzusehen ist. Ihre feurige Seele begeisterte sich zuerst an der Freiheitsbewegung des Jahres 1848, sie gründete eine Frauenzeitung, um ihr Geschlecht aus der geistigen Dumpfheit zu erwecken. Das Blatt wurde freilich von der Reaktion wieder unterdrückt. Aber der mutige, für moralische und rechtliche Freiheit der Frauen kämpfende Geist der „Bürgerin Otto“, wie ihre Freunde sie nannten, war nicht zu unterdrücken. Von schweren persönlichen Schicksalsschlägen [1] richtete sie sich an der Wirksamkeit fürs Allgemeine wieder aus und verfolgte festen Fußes das schon in der Jugend erwählte Ziel, die Veredlung ihres Geschlechtes mit allen Mitteln, welche die liberalere Zeitrichtung und die Vereinigung der Gleichstrebenden an Frauenvereine boten. Seit 1865 leitete sie als Vorsitzende dessen Versammlungen und wirkte durch die „Neuen Bahnen“ unermüdlich für seine Zwecke. Sie lebt heute zu Leipzig-Reudnitz. Ueber die dichterischen Leistungen von Luise Otto-Peters kann in dem kurzen Raum dieser Spalten nicht ausführlich gesprochen werden; ihre zahlreichen Schriften zur Frauenfrage, Gedichte, Romane und Aufsätze (darunter auch manche in den früheren Jahrgängen der „Gartenlaube“) haben ihr einen geachteten litterarischen Namen erworben. Die Hauptgenugthuung ihres Lebens aber muß die große Wandlung sein, die sich in der Stellung der deutschen Frau während der letzten fünf Jahrzehnte unter ihren Augen und durch ihre Hilfe vollzogen hat. Was zu ihrer Jugendzeit undenkbar war; weibliche Berufsthätigkeiten, weibliche Aerzte, Frauen in Versammlungen öffentlich und gut sprechend, Organisationen einführend, deren Wirkungen sich weithin erstrecken – das ist fast alles heute selbstverständlich geworden, dank den mutigen Kämpferinnen für die Selbständigkeit der Frau!

Zu ihnen gehören auch die drei Verstorbenen Luise Büchner, Marie Calm und Bertha von Marenholtz-Bülow.

Die erste, geboren 1821 in Darmstadt und Schwester der begabten Brüder Büchner, übte schon in den fünfziger Jahren durch ihr vortreffliches Buch „Die Frauen und ihr Beruf“ eine lebhafte Wirkung auf das heranwachsende Geschlecht. Ihre ausgezeichneten Geschichts- und Litteraturvorträge erregten bald die Aufmerksamkeit der Großherzogin Alice von Hessen, der Förderin aller weiblichen Interessen, und in nahem Zusammenwirken schufen die edle Fürstin und die schlichte, stark denkende und warm fühlende Schriftstellerin die ausgezeichneten Anstalten: den Alice-Bazar, das Alice-Lyceum und eine Industrieschule für Mädchen. Aus reichem Wirken nahm sie 1877 der Tod hinweg. Ihr Andenken aber bleibt eng verbunden mit der deutschen Frauenbewegung.

Ebenso dasjenige der begabten und bekannten Schriftstellerin Marie Calm (geboren 1832 zu Arolsen), die ihre durch wiederholten Aufenthalt in England erworbene Kenntnis der dortigen kräftigen und erfolgreichen Frauenbewegung durch Rede und Schrift für die erst im Beginn stehende deutsche nutzbar machte und bald nach 1865 schon eine führende Stellung in dem neuen Verein einnahm. Sie war eine geistvolle und gewinnende Rednerin; die bescheidene Liebenswürdigkeit bildete einen solchen Grundzug ihres Wesens, daß man sie in Zeiten, wo den Frauenvereinstagen noch der Schrecken vor den „Emanzipierten“ vorausging, gewöhnlich als erste voraussandte, um die Bildung eines Lokalkomitees zu erreichen. Wie Darmstadt um Luise Büchner, so trauerte Cassel um die in reicher Thätigkeit als Vereinsvorsteherin und Gründerin von Schulen hochverdiente Mitbürgerin, als sie 1887 aus dem Leben schied.

Bertha Freifrau von Marenholtz-Bülow, geboren 1811 in Braunschweig, verkörperte eine andere Seite der großen Erziehungsfrage. Sie war der begeisterte Apostel Friedrich Fröbels und wirkte nach dessen frühem Tode unausgesetzt für sein aus Pestalozzis Lehre begründetes Streben nach naturgemäßer Erziehung der Jugend in Volkskindergärten. Weder Vorurteil, noch Spott, noch förmliches ministerielles Verbot der als gefährlich betrachteten Neuerung schreckte sie ab, sie ging ins Ausland und redete und schrieb dort für die ihr heilige Sache, bis 1861 das Verbot in Preußen aufgehoben wurde und nun der durch ihre Wandervorträge überallhin verbreitete Gedanke rasch zur That werden konnte. An allen Orten entstanden Kindergärten nach Fröbels Plan, bewährten sich ausgezeichnet und die edle Frau erlebte die Genugthuung, das Werk ihres Lebens noch in voller Blüte zu sehen, ehe sich im Januar 1893 ihre Augen schlossen.

Erbin ihres begeisterten Strebens und Ausgestalterin desselben ist Frau Henriette Goldschmidt, geborene Benas, aus der preußischen Provinz Posen. Auch sie besitzt eine vorzügliche Redegabe und weiß auf den Frauentagen durch ihre geistvolle, klare und maßvolle Darstellungsweise die Zuhörer zu fesseln und zu überzeugen. Die Gründung und Ueberwachung von vier Volkskindergärten und einer Lehrerinnenanstalt ist ihr gelungen. Die Vorstandschaft eines Leipziger „Vereins für Familien- und Volkserziehung“ würde eine andere Arbeitskraft vollauf in Anspruch nehmen; Frau Goldschmidt aber, in der festen Ueberzeugung, daß Fröbels Erscheinung vorbedeutend für die naturgemäße und wissenschaftliche Bildung der weiblichen Jugend war, hat mit ernsten und gelehrten Männern zusammen in Leipzig auch ein Lyceum gegründet, um darin die künftige Frau, die Mutter nachwachsender Geschlechter, für ihre große Erziehungsaufgabe vorzubereiten. Zugleich soll dieses Lyceum in Verbindung mit den Volkskindergärten die Vorbereitungsstätte für Töchter vermögender Familien abgeben, zum Dienst für die Allgemeinheit. Ein „Dienstjahr im Volkskindergarten“ für solche Töchter hat Frau Goldschmidt bereits vor 25 Jahren gefordert, und hoffentlich ist die Zeit nicht fern, wo dieser vortreffliche Gedanke zur allgemeinen Uebung wird! An Hindernissen und Kämpfen aller Art hat es auch dieser idealgesinnten Frau nicht gefehlt, sie hat sie überwunden mit der stillen Beharrlichkeit der Ueberzeugung und steht heute neben Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt unter den Häuptern des Frauenvereins.

Der gegenwärtige Kreis derselben würde unvollständig sein, wenn nicht neben den Erziehungsbestrebungen auch der eigentlich praktische Hausfrauenberuf darin vertreten wäre. Er ist es auf ausgezeichnete Weise sowohl für Nord- als für Süddeutschland, für letzteres durch Frau Professor Mathilde Weber, geboren 1829 bei Ellwangen, das Urbild einer heiteren, gemütvollen, energisch tüchtigen Hausfrau; sie verfügt über eine ebenso natürliche [259] wie eindringliche Beredsamkeit, die, mit manchem kraftvollen schwäbischen Ausdruck gewürzt, überall ihres Erfolges sicher ist. Wie alle in diesen Zeilen geschilderten Frauen – es ist das kein Zufall! – genoß sie den Segen eines liebevollen, echten Familienlebens und dankt verehrten Eltern ihre geistige Richtung. Eine in den glücklichsten Verhältnissen auf dem Lande verlebte Jugend gab ihrer thatkräftigen, stets hilfsbereiten Natur den praktischen Sinn, die 1851 geschlossene Ehe mit dem landwirtschaftlichen Beamten, späteren Professor an der Tübinger Hochschule Heinrich Weber den weiteren geistigen Ausblick und der Eintritt in den Allgemeinen deutschen Frauenverein, zu dessen Vorstand sie heute gehört, die bestimmte Richtung für ihre stets dem Wohl der Mitmenschen gewidmete Thatkraft. Die Armen, Unwissenden, Schlechtbelehrten sind es vor allem, die ihr am Herzen liegen, sie gründete, von den städtischen Behörden unterstützt, zahlreiche Arbeitsschulen, Nähvereine, Sonntagsheime für Dienstboten und Arbeiterinnen; sie war und ist unermüdlich, das Stück der sozialen Frage, das gelöst werden könnte, wenn alle Besitzenden von gutem Willen durchdrungen wären, für ihr Teil zu fördern und andere ebenfalls herbeizuziehen mit Ernst oder Humor, je nach Umständen. Einen großen Dienst hat die vortreffliche Frau auch der Sache des Frauenstudiums geleistet durch ihr vorzügliches Buch „Aerztinnen“, worin der Nachweis von der Notwendigkeit weiblicher Aerzte für die verschwiegenen Frauenleiden mit soviel Logik, weiblicher Würde und Mäßigung geführt wird, daß viele Gegner, welche schärferen Streitschriften gegenüber sich ablehnend verhielten, gerade durch dieses Buch anderer Ansicht wurden.

Eine äußerlich noch umfassendere Wirkung übt die Gründerin des Berliner Hausfrauenvereins, Frau Lina Morgenstern, geboren 1830 in Breslau. Bereits als Mädchen für das Wohl armer Schulkinder thätig, entfaltete sie seit ihrer 1854 erfolgten Verheiratung mit Theodor Morgenstern in Berlin eine großartig zu nennende Wirksamkeit. Schon 1866 hatte dort der Präsident A. Lette den Verein zur Förderung der weiblichen Erwerbsthätigkeit gegründet, dessen Vorsteherin heute seine hochverdiente Tochter Frau Schepeler-Lette ist. Dieser Verein verfolgt in erster Linie praktische Zwecke und hat hervorragende Erfolge mit seinen Fachschulen aller Art erzielt, er ist heute das Haupt aller Frauenerwerbsvereine, besitzt ein eigenes Haus und glänzend eingerichtete Anstalten. Mit dem Allgemeinen deutschen Frauenverein hat er sich nicht verschmolzen aber die beiden stehen Schulter an Schulter. Unabhängig vom Letteverein nun errichtete Frau Lina Morgenstern Kochschulen und Volksküchen, gründete die große Hausfrauengenossenschaft, eine Akademie zur wissenschaftlichen Fortbildung und zahlreiche andere dem Gemeinwohl dienende Vereine. Außer vielen Schriften zur Frauenfrage und vortreffliche hauswirtschaftlichen Büchern verfaßte sie einige größere Werke. Dabei leitet die unermüdliche Frau die bis heute bestehende „Hausfrauenzeitung“. Ihr Name bleibt mit dem großen Aufschwung der Berliner Frauenthätigkeit unzertrennlich verbunden.

Den Grundsatz, daß jedes Erziehungsbestreben für das weibliche Geschlecht von besserer Vorbildung der Lehrerinnen ausgehen muß, daß diese wissenschaftlich befähigt werden müssen, den gesamten höheren Mädchenunterricht zu erteilen, weil Frauen besser als Männer zur Erziehung heranwachsender Mädchen geeignet sind, diesen Grundsatz im Einverständnis mit Gleichgesinnten im Jahre 1884 aufgestellt und seitdem unermüdlich mit den Waffen eines ungewöhnlichen Geistes in Reden, Eingaben und Schriften verfochten zu haben, ist das Verdienst der hervorragendsten unter den Jüngeren, Fräulein Helene Lange in Berlin. Was auf einem früheren Frauentag einmal angesichts des spärlichen Nachwuchses sorgenvoll gerufen wurde: „Ablösung vor!“ – es braucht heute nicht wiederholt zu werden, denn in Helene Lange (geboren 1848 in Oldenburg) ist der deutschen Frauenbewegung eine Vorkämpferin erstanden, deren litterarische Wirksamkeit ebenso bedeutend ist wie ihre persönliche in der Lehrthätigkeit und als Vorstand des Allgemeinen deutschen Lehrerinnenvereins. Der äußere Gang ihres Lebens ist einfach: mit 16 Jahren verlor sie den Vater, dessen Einfluß auf das ernst denkende Mädchen sehr bedeutend war, die Mutter hat sie kaum gekannt. So fand sie sich unter Verwandten und Fremden auf sich selbst gestellt und entfloh zeitig dem üblichen Leben der Kaffeekränzchen und Bälle, um sich zur Lehrerin zu bilden und einen die ganze Persönlichkeit fordernden Beruf zu haben. Bei ihrer Befähigung gelang ihr dies leicht – sie machte im Jahr 1872 ihr Lehrerinnenexamen, wurde schon 1876 als Leiterin eines Seminars in Berlin angestellt und vertauschte diese Stellung 1890 mit der Oberleitung der zur Vorbereitung auf die Maturitätsprüfung bestimmten Realkurse für Frauen, die sich seit Herbst 1893 in eigentliche Gymnasialkurse verwandelt haben und zu den besten Erwartungen berechtigen.

Geradezu überraschend ist die Bedeutung des 1890 unter dem Präsidium von Fräulein A. Schmidt durch Frau Marie Loeper-Housselle und Fräulein Helene Lange gegründeten großen Lehrerinnenvereins. Frau Loeper-Housselle, geboren 1837 bei Marienburg in Westpreußen, hatte in einer früh ergriffenen Lehrerinnenlaufbahn oft Gelegenheit, zu sehen, wo die Fehler des in Leistung und Ansehen damals so niedrig stehenden Lehrerinnenberufs steckten: in dem Mangel an Bildung und Gemeinschaftsgefühl. So faßte die begabte, durch warme Herzensgüte ausgezeichnete Frau den Entschluß, ein Organ zu gründen, um die vielen einzeln im Leben stehenden Mädchen zu einem Ganzen, zu einem Stande zu verbinden, in dem jedes Glied sich verantwortlich fühlt für die Pflichterfüllung aller. Das Unternehmen glückte über Erwarten. Seit 1884 ist die von Frau Loeper-Housselle redigierte „Lehrerin für Schule und Haus“ ein angesehenes Centralorgan, haben sich die in ganz Deutschland zerstreuten Lehrerinnen zu einem heute 6000 Mitglieder zählenden Verband zusammengeschlossen, dessen Einfluß auf die einzelnen von hoher idealer und wertvoller praktischer Bedeutung ist. Denn der Verein vermittelt auch Stellen in Deutschland, Frankreich und England (dort im Einvernehmen mit dem durch Fräulein Adelmann begründeten und trefflich organisierten deutschen Verein in London) und hat überall seine Vertretungen, die aufs gewissenhafteste das Wohl der Stellesuchenden wahrnehmen.

Frau Loeper-Housselle gehört durch ihre gewinnende, von poetischer Empfindung getragene Redegabe auch zu den beliebtesten Sprecherinnen der Frauenversammlungen. Sie entfaltet an der städtischen Schule zu Ispringen in Baden eine gesegnete Thätigkeit und ist die Vertraute von unzähligen Kolleginnen, die in ihr den trostvollen Mittelpunkt der großen Gemeinschaft sehen.

So ist denn die deutsche Frauenbewegung, die hier nur im flüchtigsten Umriß gezeichnet werden konnte und noch viele, vorstehend nicht erwähnte Namen und Leistungen umfasst, zu etwas ganz anderem geworden, als ihre Feinde anfangs vermeinten. Der stets neu verkündete gründliche Umsturz aller Sitte und Weiblichkeit ist nie eingetreten, es hat sich nur eine langsame Anpassung an veränderte Verhältnisse vollzogen, deren Fortschreiten jetzt eine schnellere Bewegung annimmt, weil eine ganz gewaltige Menge von Anstalten bereits ihre Wirkungen fühlbar macht. Der Allgemeine deutsche Frauenverein verfügt über ein großes Vermögen und hat in den letzten Jahren mehrfache Stipendien für das Studium in Zürich ausgesetzt, bis zu dem von ihm erhofften Tage, wo auch deutsche Universitäten sich den Gymnasial-Abiturientinnen öffnen werden. Die praktische Probe über männliche und weibliche Befähigung wird dann gemacht werden, was jedenfalls den bis jetzt nur theoretisch entwickelten Gründen Für und Wider vorzuziehen ist. Das beste, was dafür und für die ganze Bewegung gesagt werden kann, hat Helene Lange ausgesprochen, zum letztenmal in der Vorrede der von ihr herausgegebenen neuen Zeitschrift „Die Frau“, wo es zum Schlusse heißt: „Wir hoffen, unter den deutschen Männern der Ueberzeugung Bahn zu brechen, daß es sich in der Frauenbewegung um einen Fortschritt der Menschheitsentwicklung handle, wie er noch immer zu verzeichnen war, wo gehemmte edle Kräfte zur Entfaltung gelangten. Wir hoffen, unter den Frauen die Lauen und Trägen aufzurütteln zu dem Bewußtsein, daß die Frau die ihr durch die äußeren Verhältnisse gewordene Muße mit etwas anderem auszufüllen hat als dem Tand des Tages, daß es gilt, innerlich zu reifen, aus dem Gattungswesen zur freien Individualität sich zu entwickeln, um nach Maßgabe dieser Kräfte auf die Umwelt zu wirken.“

Mag es auch vielleicht in manchem anders kommen, als die hochsinnige Schreiberin dieser Zeilen meint, mag der Prozentsatz der zu freier Individualität sich Entwickelnden von der Natur weniger reichlich bemessen sein, als sie hofft – alles dies fällt nicht ins Gewicht gegen die Thatsache, daß jetzt langsam die Bahn sich öffnet, auf welcher die menschliche Tüchtigkeit, sei es des weiblichen oder männlichen Geschlechtes, den Erfolg erringen kann. Daß wir soweit sind, ist zum großen Teil das Verdienst der zehn, in unserem Bild den Lesern vorgeführten Frauen, die zugleich als lebendige Beispiele des von ihnen als möglich Dargestellten ihrem Geschlechte voranleuchten.


  1. Sie verlor 1864 nach kurzer glücklicher Ehe ihren Gatten, den Schriftsteller August Peters, der 1850 wegen Teilnahme an den Revolutionskämpfen erst zum Tod verurteilt, dann zum Zuchthaus begnadigt worden war und dem sie sich eben dort in selbstloser Liebe verlobt und nach seiner Befreiung 1858 vermählt hatte.