Die Enthüllung des Denkmals für Johann Sebastian Bach

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Titel: Die Enthüllung des Denkmals für Johann Sebastian Bach
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aus: Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843, S. 25–26
Herausgeber: Johann Jacob Weber
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Entstehungsdatum: 1843
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: J. J. Weber
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: MDZ München, Commons
Kurzbeschreibung: Kurzbiographie Bach’s und Bericht über die Einweihungsfeier des Denkmals
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Die Enthüllung des Denkmals für Johann Sebastian Bach.

Zu allen Zeiten hat es Geister gegeben, die so weit über ihre Mitwelt hinausragten, daß sie von ihr zwar angestaunt und bewundert wurden, aber nicht ganz verstanden werden konnten. Für sie ist dann immer früher oder später, nachdem Generationen vorübergegangen waren, welche ihre Schöpfungen fast unbeachtet gelassen und ihrer Größe nur eine historische Pietät gewidmet hatten, eine Zeitepoche eingetreten, mehrentheils von geistesverwandten Männern herbeigeführt, in welcher ihr Ruhm von Neuem ein lebendiger geworden, in welcher das innigere Verständniß für die Werke jener ihrer Zeit vorausgeeilten Geister an die Stelle der bloßen Anstaunung getreten ist, in welcher also erst ihre Größe wahrhaft erkannt und recht gewürdigt worden ist. So ist es mit dem größten aller dramatischen Dichter, Shakspeare, geschehen, so geschieht es auch in der Jetztzeit mit Johann Sebastian Bach, dem Kirchencomponisten von bis jetzt noch immer unerreichter Größe. Auch seine von urkräftigem und reichem Geiste durchwehten Werke sind über ein Jahrhundert lang von andern, mit der vorübergegangenen Zeit gekommenen und größtentheils wieder verschwundenen verdrängt gewesen. Erst in der neuesten Zeit haben sich einige Männer, gleich ausgezeichnet durch Geist, Kenntniß und Kunstgeschmack, unter ihnen namentlich Fr. Rochlitz und Mendelssohn-Bartholdy, selbst ein würdiger Geistesgenosse Bach’s, das hohe Verdienst erworben, die Werke des großen Tonmeisters wieder an das helle Licht zu ziehen und die Zeit herbeizuführen, wo Bach’s Tonschöpfungen in ihrer ganzen Größe empfunden und immer mehr erkannt werden.

Werfen wir einen Blick auf die Vergangenheit, auf das Leben und Schaffen Bach’s, ehe wir Weiteres darüber sagen und ehe wir aus den letzten Tagen die Feier, womit ein der Stadt Leipzig von Mendelssohn-Bartholdy ihm errichtetes Denkmal übergeben wurde, zu schildern unternehmen.

Bach’s Denkmal an der Thomasschule zu Leipzig.

Johann Sebastian Bach wurde zu Eisenach am 21. März 1685 geboren, wo sein Vater Johann Ambrosius Bach, Hof- und Raths-Musikus war. Von seiner Mutter ist weder der Name noch sonst etwas Näheres bekannt. Die Bach’sche Familie, deren Mitglieder mehre Generationen hindurch alle mit vorzüglichem musikalischen Talent begabt waren, stammt aus Preßburg von einem Bäcker, Veit Bach, welcher in Folge der ausgebrochenen Religionsunruhen im 16. Jahrhundert von Ungarn nach Thüringen übersiedelt war und dort in dem Dorfe Wochmar bei Gotha sich niedergelassen hatte.

Nur 10 Jahre alt, verlor er bereits seine Eltern durch den Tod; wie aber so oft das scheinbare Wehe durch die Vorsehung zum Wohle sich gestaltet, so mag auch hier der Umstand, daß in Folge der Verwaisung Bach’s sein älterer Bruder Johann Christoph Bach, Organist zu Ohrdruff, ihn zu sich nahm, viel dazu beigetragen haben, daß der unwiderstehliche Drang nach Beschäftigung mit Musik, welcher sich bei Bach schon im elterlichen Hause kund gegeben hatte, bei dem Bruder, einem tüchtigen Orgelspieler, eine geregelte Nahrung, namentlich dadurch fand, daß ihm sein Bruder selbst Unterricht im Clavierspiele ertheilte. – Bach’s Liebe zur Musik gab sich hier als eine so leidenschaftliche und feurige zu erkennen, daß sein Bruder, wahrscheinlich fürchtend, es möge etwa der sonst dem Knaben nöthige Schulunterricht darüber vernachlässigt werden, ihm hin und wieder Einhalt thun zu müssen glaubte. So hielt er ihm einst ein Buch Musikalien vor, wonach der junge Bach besonders lüstern war, weil es Compositionen von Frohberg, Knel, Pochelbel und andern der berühmtesten Componisten der damaligen Zeit enthielt. Da wußte aber der Schüler heimlich dazu zu gelangen und die ersehnten Werke sich dadurch anzueignen, daß er sie nach und nach des Nachts im Mangel des Lichtes bei Mondschein abschrieb, was er sechs Monate hindurch fortsetzte, bis der Bruder dahinter kam und auch die so mühevoll erlangte Abschrift ihm wegnahm. Nur kurze Zeit kann der Aufenthalt bei seinem Bruder gewährt haben, da er nach dessen Tode auf die Michaelisschule zu Lüneburg kam und noch als Diskantist in das dortige Sängerchor aufgenommen wurde. Wie sehr auch hier der junge Bach, der seine schöne Diskantstimme bald verlor, mehr auf das Clavierspiel hingewiesen, auf seine weitere musikalische Ausbildung bedacht war, geht unter anderm daraus hervor, daß er mehrmals nach Hamburg reiste, nur um den damals berühmten Orgelvirtuosen, den Organist Joh. Adam Reincke zu hören, sowie er auch oft nach Celle wanderte, um in der dortigen herzoglichen Kapelle den französischen Geschmack in der Musik kennen zu lernen.

Erst 18 Jahre alt wurde er im Jahre 1703 als Hofmusikus in Weimar angestellt, welche Stellung er jedoch schon im folgenden Jahre 1704 wieder verließ, um eine Organistenstelle zu Arnstadt einzunehmen. Auch hier weilte er nicht lange, er wechselte vielmehr in rascher Folge noch mehrmals Aufenthalt und Stellung, ehe er diejenige fand, welche ihn sodann auf Lebensdauer fesselte. So kam er 1707 als Organist nach Mühlhausen, 1708 abermals nach Weimar, wohin er als Hoforganist berufen und 1714 Concertmeister wurde, endlich nach Köthen, wo er als fürstlicher Kapellmeister bis 1723 wirkte.

In diesem Jahre berief ihn der Stadtrath zu Leipzig zur Kantorstelle an der Thomasschule, nachdem Johann Kuhnau, welcher diese Stelle zuletzt eingenommen hatte, am 25. Juni 1722 gestorben war, und diesem Rufe folgte Bach. Er trat die Stelle am 30. Mai 1723 an und erfüllte treulich und gewissenhaft die von ihm geforderten Pflichten, die zunächst dem aus etwa 50 Alumnen gebildeten Thomanerchor gewidmet waren, bis zu seinem Tode. Bei seinem Unterrichte sah er besonders auf Tüchtigkeit in der praktischen Ausführung, und seine Lehrgabe, verbunden mit unerschütterlicher Wahrheitsliebe und der ihn in allen Verhältnissen auszeichnenden Humanität, gewann ihm den Ruf eines eben so strengen und gefürchteten als inniggeliebten und treuverehrten Lehrers. Allein dieses einzige Feld der Thätigkeit genügte seinem rastlos strebenden Geiste nicht.

Als einer der bedeutendsten Orgelspieler nach Leipzig berufen, errang er hier seinen Ruhm als Kirchencomponist. Zwar hatte er schon vor 1723 eine große Anzahl Tonwerke, zum großen Theil für Clavier und für Orgel, componirt, da ein ununterbrochener Fleiß ihn vor manchen andern genialen Menschen auszeichnete; aber keines derselben war durch den Druck verbreitet. Erst 1725 erschien ein gedrucktes in Kupfer gestochenes Werk von ihm, und diesem schlossen sich dann in rascher Folge eine große Anzahl anderer an. Der Mechanik des Spiels durch rastlose Uebung seit seinen Kinderjahren in jeder Beziehung Herr, konnte er nun, durch nichts mehr an der vollkommen freien Bewegung im ganzen Bereiche der Kunst gehindert, aus seinem reichen Genius, der eine unversiegbare Quelle bot, schöpfen. Seine jetzige Stellung enthielt für ihn überdies nahe Veranlassung, mit größeren Kirchen- und Gesangcompositionen aufzutreten, und sein Ruhm als Kirchencomponist verbreitete sich mit raschem Flügelschlage über die ganze musikalische Welt.

Alle Bewunderung und Ehrerbietung aber, die ihm deshalb täglich und überall gezollt wurden, vermochten seine bei ihm als wirkliche Tugend erscheinende ächte Bescheidenheit, die er überall im Leben bewies, nicht wanken zu machen. Er glaubte, wie er sich oft darüber aussprach, Alles seinem Fleiße zu verdanken zu haben und daß jeder andere, der eben so fleißig sei, wie er, es auch dahin bringen könne; er schien dabei auf die hohen Gaben, die er von der Natur empfangen, nichts zu geben. Diese Tugend, verbunden mit geselligen Vorzügen, die er außerdem besaß, machten seine persönliche Erscheinung zu einer liebenswürdigen und überall gern gesehenen. So blieben ihm nach Forkel’s, seines Biographen, Zeugnisse die Fürsten, bei denen er früher gelebt hatte, der Fürst Leopold von Köthen, der Herzog Ernst August von Weimar, so wie der Herzog Christian von Weißenfels stets mit herzlicher Liebe zugethan und so erwarb er sich auch in Leipzig sehr viele wahre Freunde. Seine Gastfreundschaft war eine so große, daß nach Angabe desselben Schriftstellers, der aus unmittelbarer Quelle schrieb, sein Haus fast nie von Gästen leer wurde.

Nicht minder war Bach, zweimal verheirathet, das Muster eines guten Familienvaters, eine Tugend, die ihn ebenfalls über manchen seiner Geistesverwandten stellt. Er war der treueste Gatte und Vater; der Pflege und Bildung seiner Kinder widmete er die größte Sorgfalt. Von [26] seinen 11 Söhnen haben sich besonders vier in der Kunst ihres Vaters, dessen Unterricht sie von Kindheit an genossen, einen guten Namen erworben; außerdem hatte derselbe noch 9 Töchter, allein von seinem ganzen Hause ist nur noch ein Enkel, Sohn Johann Christoph Friedrich Bach’s, nach seinem Aufenthaltsorte der Bückeburger genannt, am Leben, und, obschon über 70 Jahre alt, als Musikdirector in Berlin thätig.

Wie seinen großen Zeitgenossen Händel, traf den Meister in späteren Jahren das Schicksal der Erblindung, und doch blieb seine Schöpfungskraft die frühere. Noch kurze Zeit vor seinem Tode dictirte der blinde Vater Bach seinem Schüler und Schwiegersohne Altnikol die kunstreiche achtstimmige Motette: „Komm Jesu, komm! mein Leib ist müde, der saure Weg ist mir zu schwer“, die seine schwer gebeugte Gemüthsstimmung, aber zugleich seine unerschütterliche religiöse Glaubensstärke in tiefergreifender Weise in Tönen aussprach. Seine Leiden nahmen jedoch in dem halben Jahre, das er nach der so übel ausgefallenen Augenoperation noch erlebte, immer mehr zu und wurden immer schmerzvoller. Die scheinbar erfreuliche Erscheinung, daß er am 18. Juli 1750 des Morgens wie durch ein Wunder plötzlich wieder sehen und das Licht vertragen konnte, war nur der Vorbote eines Schlagflusses, der ihn wenige Stunden später traf und welchem, da er noch überdies ein hitziges Fieber nach sich zog, der einst so kräftige Körper am 28. Juli 1750 unterlag. Seine letzten Stunden waren schmerzlos.

Sein entseelter Körper wurde am 30. Juli zur Erde bestattet. Aber fragt man jetzt nach dem Grabe des großen Joh. Seb. Bach, kein Mensch in Leipzig vermag, wie es Jeder mit Stolz können sollte, auf seine Ruhestätte hinzuweisen und zu sagen: Siehe, hier liegt unser Bach! –

Von den Schülern Joh. Seb. Bach’s sind besonders die insgesammt berühmt gewordenen Johann Caspar Vogler, Joh. Ludw. Krebs, Gottfr. Aug. Hömilius und Joh. Philipp Kienberger zu nennen.

Während aber die leibliche Nachkommenschaft des Gefeierten bis auf einen Enkel ausgestorben ist, sind die Kinder seines Geistes noch von so urkräftiger Frische belebt, daß die Vergänglichkeit kaum einigen Theil an ihnen zu haben scheint. Bach’s Compositionen sind so außerordentlich zahlreich, daß noch keiner seiner Biographen sie auch nur vollständig zu nennen vermocht hat. Nur ein geringer Theil derselben ist durch den Druck veröffentlicht worden, und von den im Manuscripte gebliebenen mögen unzählige ganz verloren gegangen sein, während leider unter den mit dem Bach’schen Namen auf uns gekommenen Compositionen nicht wenige ihm gar nicht angehören. Unter diesen Umständen dürfte es hier um so mehr genügen, nur die bekanntesten seiner Tondichtungen anzuführen. Wir nennen von denen fürs Clavier eine Sammlung von 148 Präludien und Fugen in allen Tonarten: das wohltemperirte Clavier; ferner 6 kleine Präludien, 15 zweistimmige und eben so viel dreistimmige Inventiones – damals auch Symphonien geheißen –; mehre Phantasien, darunter eine vorzugsweise s. g. chromatische; 12 Suiten für Clavier allein; Konzerte für den Flügel, für zwei und ein Clavier, Sonaten für Violinbegleitung. Die Werke für die Orgel bestanden namentlich in Präludien und Fugen, gegen 100 Choralvorspielen u.s.w. Fast für alle Instrumente des Orchesters hat Bach Solos und Konzerte geschrieben, sie sind aber meistens verloren gegangen, und nur 6 Violin- und 6 Violoncellsoli sind uns erhalten worden. Die Gesangwerke sind vor Allen zahlreich; so schrieb Bach fünf vollständige Jahrgänge von Kirchenstücken auf alle Sonn- und Festtage, fünf Passionsmusiken nach den Evangelisten, Oratorien, Messen und andere Kirchen- und Gelegenheitsstücke, ein- und zweichörige Motetten in großer Anzahl, und 400 vierstimmige Choralgesänge.

Wer sollte nicht staunen über die Kraft der Production, welche eine so reiche Ausbeute gab? Und alle diese Compositionen sind nicht blos hingeworfene Geistesblitze, noch viel weniger Erzeugnisse, die ihre Masse nur der Geübtheit des Tonsetzers im Mechanischen seiner Kunst zu verdanken haben – nein, Bach hat nichts geschaffen, was nicht durchweg den Stempel der Originalität im vollsten Sinne des Wortes an sich trüge. Er war für die Kunst des Tonsatzes Autodidact, und von Nachahmung der Werke Anderer nach dem Ideengange, der Harmonienfolge, der Struktur des Ganzen oder Einzelnen, wie viel weniger von Melodienreminiscenzen ist in seinen Werken nicht eine Spur zu finden. Seine Werke sind vollkommen sein geistiges Eigenthum.

Wenn die Formen einiger seiner Instrumentalsachen jetzt veraltet genannt werden und bei der Umgestaltung der Technik der Instrumentalmusik veraltet erscheinen müssen, obwol ein frischer Geist auch aus diesen veralteten Formen die Hörer der Jetztwelt noch anweht, so wird doch Niemand versucht, eine ähnliche Behauptung auf Bach’s übrige Compositionen, die eigentlichen Tongebilde auszudehnen. Hier hat sich der große Tondichter in Formen bewegt, welche so eng und untrennbar dem durch die auszusprechenden geistigen Produkte sich anschließen, daß sie keiner Vergänglichkeit unterliegen.

„Bach’s Kirchencompositionen sind freie Schöpfungen eines großen Genius“, sagt Stallbaum, der dermalige Rector der Thomasschule, in den biographischen Nachrichten über die Kantoren an der Thomasschule, „bei ihm ist Harmonie in weiterem Sinne des Wortes und fromm und ernst erfaßter Gedanke, Eins; beides zusammen aber vereint wird durch seine kolossale Kraft zu einem kühnen großartigen Dome, dessen Herrlichkeit dem betrachtenden Freunde, Bewunderung und Staunen abnöthigt, ohne daß sie jemals ganz begriffen werden kann.“

Die Zeit ist gekommen, haben wir oben eingeleitet, welche dazu bestimmt ist, dem Bach’schen Geiste nun den vollen Raum zu geben, den er einzunehmen geschaffen war.

Die Passionsmusik nach dem Matthäus ist das Meisterwerk gewesen, in welchem, zuerst in Berlin und dann in Leipzig zur öffentlichen Aufführung gebracht, die musikalische Welt die ganze Größe des alten Bach wieder lebendig erkannt hat.

Während wir aber an den Pforten der nahen Zukunft stehen, die uns durch Aufführung derselben das volle wahre Licht erschließen sollen; da hat in der neuesten Zeit Mendelssohn-Bartholdy dem großen Vorvordern ein sichtbares Zeichen der Anerkennung an dem Orte, wo dieser wirkte und starb, aufgestellt. Dieses Zeichen besteht in einem Monumente, welches am 23. April d. J. in den schönen Umgebungen Leipzigs, wenige Schritte von Bach’s einstmaliger Kantorwohnung in dem Gebäude der Thomasschule, enthüllt worden ist. Der edle Stifter hat die Mittel zu diesem Denkmale theils durch einige zu diesem Behufe veranstaltete Konzerte herbeigeschafft, theils aber auch als edles Opfer für seine Kunst selbst gewährt. Das letzte dieser Konzerte gab dem Tage der Enthüllung des Monuments selbst die Weihe. Es fand unmittelbar vor derselben, Vormittags halb 11 Uhr, im Konzertsaale des Gewandhauses statt, und war aus den Bach’schen Werken so sinnreich ausgewählt, daß dem Hörer ein überraschender Gesammtblick in die verschiedenartigen reichen Gefilde der Tonwelt des Gefeierten geboten wurde.

Das Fach der Instrumental-Soli war vertreten durch eine Prelude für die Violine allein, vorgetragen von dem Konzertmeister Ferd. David und ein Konzert für den Flügel mit Orchesterbegleitung von Mendelssohn-Bartholdy meisterlich gespielt. An dem Vortrage einer ebenfalls zur Aufführung bestimmten Phantasie wurde derselbe leider durch Unwohlsein behindert. Bei dem Vortrage dieser Sachen bewährte sich von Neuem Das, was in Bezug auf sie schon oben angeführt worden ist; eine in der Zeit des Componisten s. g. Suite für ganzes Orchester in vier Theilen nahm das Interesse der Hörer durch die Einfachheit der angewandten Mittel und die Wirkungskraft der kunstreichen Rhythmen so vollkommen in Anspruch, daß der Kritik kein Raum blieb; wahrhaft und unwandelbar schöne Melodien durchziehen das Ganze.

Von den Gesangstücken nennen wir zuerst eine Cantate auf die Rathswahl in Leipzig 1723, also aus den ersten Jahren der Wirksamkeit Bach’s daselbst; außerordentlich schön ist namentlich das in diese Cantate eingeflochtene Altsolo, nicht minder ein Baßsolo, ersteres von Madame Bünau, letzteres von dem eben anwesenden Hrn. Hauser gesungen; kräftigen Geistesschwung athmen vorzugsweise der Chor und der den Beschluß ausmachende Choral; doch aber wurde das befangene von den Erscheinungen der Jetztzeit gleichsam verwöhnte Ohr von einigen für uns fremd gewordenen Formen fremd berührt.

Nicht so bei den übrigen für das Konzert gewählten Kirchen-Gesangswerken, einer Arie mit obligater Oboe aus der Passionsmusik nach dem Matthäus, mit innigem Verständniß von Hrn. Schmidt gesungen, einer doppelchörige Motette a capella „Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn, mein Jesu“ etc. und dem Sanctus aus H moll Messe für Chor und Orchester. Hier dringt die ganze Kraftfülle des gewaltigen Genius in das Herz und Gemüth des Hörers. Wer sollte von sich sagen können, es seien diese Tonbilder an seinem Innern vorübergegangen, ohne den Eindruck zurückzulassen, den nur wahrhaft Schönes hervorbringen kann?! Unerreichbar sagen wir nicht, weil es Frevel an dem Menschengeiste wäre, aber unübertrefflich für alle Zeiten stellen sich uns diese Werke dar, durch das volle Maß aller nur den Schöpfungen der Genialität inwohnenden Eigenschaften.

So zum rechten Verständniß der Feier des Tages und zur rechten Empfänglichkeit für dieselbe hingeleitet, verließen die Hörer das Konzert, um von der unmittelbar nach demselben stattfindenden Enthüllung des Monuments Zeugen zu sein. Die Feier derselben fand in einfacher aber würdiger Weise statt. Zahlreich hatte sich das Publikum, diesmal vorzugsweise durch Personen aus den gebildetern Ständen vertreten, eingefunden und umgab das Denkmal, in dessen unmittelbarer Nähe mehre hochgestellte Männer und Beamte, Mendelssohn-Bartholdy, so wie auch der schon genannte letzte Sproß des Bach’schen Mannsstammes, der Sohn des Bückeburger Bach, welcher von Berlin deshalb nach Leipzig gekommen war, ihr Plätze gefunden hatten.

Das Thomaschor stimmte einen Choral mit Posaunenbegleitung an und nach dessen Schlusse hielt der Regierungs- und Stadtrath Demuth an der Spitze einer vom Collegium des Stadtrathes gesendeten Deputation, eine kurze, der Feier entsprechende Anrede, für den Rath der Stadt das Denkmal in Besitz und Schutz nehmend. Seinen Worten schloß sich noch ein Choral an, worauf die Feier damit endete, daß das Thomanerchor die achtstimmige Motette Bach’s: „Singet dem Herrn ein neues Lied“ etc. ausführte.

Das Denkmal selbst ist eine neue Zierde der südlichen Anlagen Leipzigs. Idee und Zeichnung desselben sind von Bendemann und Hübner, die gelungene Ausführung ist das Werk eines jungen, in Leipzig lebenden, und zur Zeit auf einer Kunstreise nach Italien begriffenen Künstlers, C. Knauer.

Die in Sandstein, wie das ganze Monument ausgeführten Basreliefs an demselben sind, eben so sinnreich erfunden als künstlerisch trefflich verkörpert. Der Kopf Joh. Sebastian Bach’s von etwas kolossaler Größe bildet die vordere Ansicht. An den beiden Seiten sind die Beziehungen auf des Meisters Lehramt und auf sein Orgelspiel bildlich dargestellt. Die hintere Fläche aber ist der Verbildlichung der Tondichtungen Bach’s gewidmet. Ein Genius mit einem Palmzweige und den Kelch in der Hand und ein anderer Genius, die Dornenkrone darbringend, beide unter einem Kreuze stehend, drücken in einfacher Weise, die Feier des Palmsonntag, des grünen Donnerstag und des Charfreitag andeutend, den besondern Bezug auf die Passionsoratorien Bach’s und den allgemeinen auf die von tiefer Religiosität durchdrungene Kirchenmusik Bach’s aus. Der Würfel, an dessen Seiten diese Embleme sich befinden, ruht in der Mitte auf mit einander verbundenen Säulenbüscheln, und an den vier Ecken auf freistehenden, gewundenen kleinen Säulen. Die Totalform ist in Vergleichung mit den meisten andern im Freien aufgestellten Denkmalen eine ungewöhnliche, indem sie sich mehr der Form nähert, welche nur bei Monumenten für Kirchen und begränzte Räume bis jetzt angewendet worden ist.

Erschien die Errichtung eines Monuments für Bach an dem Orte seines Aufenthalts und seiner Wirksamkeit in dieser Beziehung nur als eine örtliche Angelegenheit, so wird, glauben wir, auch bald die Zeit kommen, wo man unserm großen Tonmeister ein Nationaldenkmal dadurch stiften wird, daß man seine Werke sorgfältiger und vollständiger als bisher sammelt und, in ihrer würdigen Weise ausgestattet, dem kunstliebenden Publikum übergiebt.

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