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Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843


seinen 11 Söhnen haben sich besonders vier in der Kunst ihres Vaters, dessen Unterricht sie von Kindheit an genossen, einen guten Namen erworben; außerdem hatte derselbe noch 9 Töchter, allein von seinem ganzen Hause ist nur noch ein Enkel, Sohn Johann Christoph Friedrich Bach’s, nach seinem Aufenthaltsorte der Bückeburger genannt, am Leben, und, obschon über 70 Jahre alt, als Musikdirector in Berlin thätig.

Wie seinen großen Zeitgenossen Händel, traf den Meister in späteren Jahren das Schicksal der Erblindung, und doch blieb seine Schöpfungskraft die frühere. Noch kurze Zeit vor seinem Tode dictirte der blinde Vater Bach seinem Schüler und Schwiegersohne Altnikol die kunstreiche achtstimmige Motette: „Komm Jesu, komm! mein Leib ist müde, der saure Weg ist mir zu schwer“, die seine schwer gebeugte Gemüthsstimmung, aber zugleich seine unerschütterliche religiöse Glaubensstärke in tiefergreifender Weise in Tönen aussprach. Seine Leiden nahmen jedoch in dem halben Jahre, das er nach der so übel ausgefallenen Augenoperation noch erlebte, immer mehr zu und wurden immer schmerzvoller. Die scheinbar erfreuliche Erscheinung, daß er am 18. Juli 1750 des Morgens wie durch ein Wunder plötzlich wieder sehen und das Licht vertragen konnte, war nur der Vorbote eines Schlagflusses, der ihn wenige Stunden später traf und welchem, da er noch überdies ein hitziges Fieber nach sich zog, der einst so kräftige Körper am 28. Juli 1750 unterlag. Seine letzten Stunden waren schmerzlos.

Sein entseelter Körper wurde am 30. Juli zur Erde bestattet. Aber fragt man jetzt nach dem Grabe des großen Joh. Seb. Bach, kein Mensch in Leipzig vermag, wie es Jeder mit Stolz können sollte, auf seine Ruhestätte hinzuweisen und zu sagen: Siehe, hier liegt unser Bach! –

Von den Schülern Joh. Seb. Bach’s sind besonders die insgesammt berühmt gewordenen Johann Caspar Vogler, Joh. Ludw. Krebs, Gottfr. Aug. Hömilius und Joh. Philipp Kienberger zu nennen.

Während aber die leibliche Nachkommenschaft des Gefeierten bis auf einen Enkel ausgestorben ist, sind die Kinder seines Geistes noch von so urkräftiger Frische belebt, daß die Vergänglichkeit kaum einigen Theil an ihnen zu haben scheint. Bach’s Compositionen sind so außerordentlich zahlreich, daß noch keiner seiner Biographen sie auch nur vollständig zu nennen vermocht hat. Nur ein geringer Theil derselben ist durch den Druck veröffentlicht worden, und von den im Manuscripte gebliebenen mögen unzählige ganz verloren gegangen sein, während leider unter den mit dem Bach’schen Namen auf uns gekommenen Compositionen nicht wenige ihm gar nicht angehören. Unter diesen Umständen dürfte es hier um so mehr genügen, nur die bekanntesten seiner Tondichtungen anzuführen. Wir nennen von denen fürs Clavier eine Sammlung von 148 Präludien und Fugen in allen Tonarten: das wohltemperirte Clavier; ferner 6 kleine Präludien, 15 zweistimmige und eben so viel dreistimmige Inventiones – damals auch Symphonien geheißen –; mehre Phantasien, darunter eine vorzugsweise s. g. chromatische; 12 Suiten für Clavier allein; Konzerte für den Flügel, für zwei und ein Clavier, Sonaten für Violinbegleitung. Die Werke für die Orgel bestanden namentlich in Präludien und Fugen, gegen 100 Choralvorspielen u.s.w. Fast für alle Instrumente des Orchesters hat Bach Solos und Konzerte geschrieben, sie sind aber meistens verloren gegangen, und nur 6 Violin- und 6 Violoncellsoli sind uns erhalten worden. Die Gesangwerke sind vor Allen zahlreich; so schrieb Bach fünf vollständige Jahrgänge von Kirchenstücken auf alle Sonn- und Festtage, fünf Passionsmusiken nach den Evangelisten, Oratorien, Messen und andere Kirchen- und Gelegenheitsstücke, ein- und zweichörige Motetten in großer Anzahl, und 400 vierstimmige Choralgesänge.

Wer sollte nicht staunen über die Kraft der Production, welche eine so reiche Ausbeute gab? Und alle diese Compositionen sind nicht blos hingeworfene Geistesblitze, noch viel weniger Erzeugnisse, die ihre Masse nur der Geübtheit des Tonsetzers im Mechanischen seiner Kunst zu verdanken haben – nein, Bach hat nichts geschaffen, was nicht durchweg den Stempel der Originalität im vollsten Sinne des Wortes an sich trüge. Er war für die Kunst des Tonsatzes Autodidact, und von Nachahmung der Werke Anderer nach dem Ideengange, der Harmonienfolge, der Struktur des Ganzen oder Einzelnen, wie viel weniger von Melodienreminiscenzen ist in seinen Werken nicht eine Spur zu finden. Seine Werke sind vollkommen sein geistiges Eigenthum.

Wenn die Formen einiger seiner Instrumentalsachen jetzt veraltet genannt werden und bei der Umgestaltung der Technik der Instrumentalmusik veraltet erscheinen müssen, obwol ein frischer Geist auch aus diesen veralteten Formen die Hörer der Jetztwelt noch anweht, so wird doch Niemand versucht, eine ähnliche Behauptung auf Bach’s übrige Compositionen, die eigentlichen Tongebilde auszudehnen. Hier hat sich der große Tondichter in Formen bewegt, welche so eng und untrennbar dem durch die auszusprechenden geistigen Produkte sich anschließen, daß sie keiner Vergänglichkeit unterliegen.

„Bach’s Kirchencompositionen sind freie Schöpfungen eines großen Genius“, sagt Stallbaum, der dermalige Rector der Thomasschule, in den biographischen Nachrichten über die Kantoren an der Thomasschule, „bei ihm ist Harmonie in weiterem Sinne des Wortes und fromm und ernst erfaßter Gedanke, Eins; beides zusammen aber vereint wird durch seine kolossale Kraft zu einem kühnen großartigen Dome, dessen Herrlichkeit dem betrachtenden Freunde, Bewunderung und Staunen abnöthigt, ohne daß sie jemals ganz begriffen werden kann.“

Die Zeit ist gekommen, haben wir oben eingeleitet, welche dazu bestimmt ist, dem Bach’schen Geiste nun den vollen Raum zu geben, den er einzunehmen geschaffen war.

Die Passionsmusik nach dem Matthäus ist das Meisterwerk gewesen, in welchem, zuerst in Berlin und dann in Leipzig zur öffentlichen Aufführung gebracht, die musikalische Welt die ganze Größe des alten Bach wieder lebendig erkannt hat.

Während wir aber an den Pforten der nahen Zukunft stehen, die uns durch Aufführung derselben das volle wahre Licht erschließen sollen; da hat in der neuesten Zeit Mendelssohn-Bartholdy dem großen Vorvordern ein sichtbares Zeichen der Anerkennung an dem Orte, wo dieser wirkte und starb, aufgestellt. Dieses Zeichen besteht in einem Monumente, welches am 23. April d. J. in den schönen Umgebungen Leipzigs, wenige Schritte von Bach’s einstmaliger Kantorwohnung in dem Gebäude der Thomasschule, enthüllt worden ist. Der edle Stifter hat die Mittel zu diesem Denkmale theils durch einige zu diesem Behufe veranstaltete Konzerte herbeigeschafft, theils aber auch als edles Opfer für seine Kunst selbst gewährt. Das letzte dieser Konzerte gab dem Tage der Enthüllung des Monuments selbst die Weihe. Es fand unmittelbar vor derselben, Vormittags halb 11 Uhr, im Konzertsaale des Gewandhauses statt, und war aus den Bach’schen Werken so sinnreich ausgewählt, daß dem Hörer ein überraschender Gesammtblick in die verschiedenartigen reichen Gefilde der Tonwelt des Gefeierten geboten wurde.

Das Fach der Instrumental-Soli war vertreten durch eine Prelude für die Violine allein, vorgetragen von dem Konzertmeister Ferd. David und ein Konzert für den Flügel mit Orchesterbegleitung von Mendelssohn-Bartholdy meisterlich gespielt. An dem Vortrage einer ebenfalls zur Aufführung bestimmten Phantasie wurde derselbe leider durch Unwohlsein behindert. Bei dem Vortrage dieser Sachen bewährte sich von Neuem Das, was in Bezug auf sie schon oben angeführt worden ist; eine in der Zeit des Componisten s. g. Suite für ganzes Orchester in vier Theilen nahm das Interesse der Hörer durch die Einfachheit der angewandten Mittel und die Wirkungskraft der kunstreichen Rhythmen so vollkommen in Anspruch, daß der Kritik kein Raum blieb; wahrhaft und unwandelbar schöne Melodien durchziehen das Ganze.

Von den Gesangstücken nennen wir zuerst eine Cantate auf die Rathswahl in Leipzig 1723, also aus den ersten Jahren der Wirksamkeit Bach’s daselbst; außerordentlich schön ist namentlich das in diese Cantate eingeflochtene Altsolo, nicht minder ein Baßsolo, ersteres von Madame Bünau, letzteres von dem eben anwesenden Hrn. Hauser gesungen; kräftigen Geistesschwung athmen vorzugsweise der Chor und der den Beschluß ausmachende Choral; doch aber wurde das befangene von den Erscheinungen der Jetztzeit gleichsam verwöhnte Ohr von einigen für uns fremd gewordenen Formen fremd berührt.

Nicht so bei den übrigen für das Konzert gewählten Kirchen-Gesangswerken, einer Arie mit obligater Oboe aus der Passionsmusik nach dem Matthäus, mit innigem Verständniß von Hrn. Schmidt gesungen, einer doppelchörige Motette a capella „Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn, mein Jesu“ etc. und dem Sanctus aus H moll Messe für Chor und Orchester. Hier dringt die ganze Kraftfülle des gewaltigen Genius in das Herz und Gemüth des Hörers. Wer sollte von sich sagen können, es seien diese Tonbilder an seinem Innern vorübergegangen, ohne den Eindruck zurückzulassen, den nur wahrhaft Schönes hervorbringen kann?! Unerreichbar sagen wir nicht, weil es Frevel an dem Menschengeiste wäre, aber unübertrefflich für alle Zeiten stellen sich uns diese Werke dar, durch das volle Maß aller nur den Schöpfungen der Genialität inwohnenden Eigenschaften.

So zum rechten Verständniß der Feier des Tages und zur rechten Empfänglichkeit für dieselbe hingeleitet, verließen die Hörer das Konzert, um von der unmittelbar nach demselben stattfindenden Enthüllung des Monuments Zeugen zu sein. Die Feier derselben fand in einfacher aber würdiger Weise statt. Zahlreich hatte sich das Publikum, diesmal vorzugsweise durch Personen aus den gebildetern Ständen vertreten, eingefunden und umgab das Denkmal, in dessen unmittelbarer Nähe mehre hochgestellte Männer und Beamte, Mendelssohn-Bartholdy, so wie auch der schon genannte letzte Sproß des Bach’schen Mannsstammes, der Sohn des Bückeburger Bach, welcher von Berlin deshalb nach Leipzig gekommen war, ihr Plätze gefunden hatten.

Das Thomaschor stimmte einen Choral mit Posaunenbegleitung an und nach dessen Schlusse hielt der Regierungs- und Stadtrath Demuth an der Spitze einer vom Collegium des Stadtrathes gesendeten Deputation, eine kurze, der Feier entsprechende Anrede, für den Rath der Stadt das Denkmal in Besitz und Schutz nehmend. Seinen Worten schloß sich noch ein Choral an, worauf die Feier damit endete, daß das Thomanerchor die achtstimmige Motette Bach’s: „Singet dem Herrn ein neues Lied“ etc. ausführte.

Das Denkmal selbst ist eine neue Zierde der südlichen Anlagen Leipzigs. Idee und Zeichnung desselben sind von Bendemann und Hübner, die gelungene Ausführung ist das Werk eines jungen, in Leipzig lebenden, und zur Zeit auf einer Kunstreise nach Italien begriffenen Künstlers, C. Knauer.

Die in Sandstein, wie das ganze Monument ausgeführten Basreliefs an demselben sind, eben so sinnreich erfunden als künstlerisch trefflich verkörpert. Der Kopf Joh. Sebastian Bach’s von etwas kolossaler Größe bildet die vordere Ansicht. An den beiden Seiten sind die Beziehungen auf des Meisters Lehramt und auf sein Orgelspiel bildlich dargestellt. Die hintere Fläche aber ist der Verbildlichung der Tondichtungen Bach’s gewidmet. Ein Genius mit einem Palmzweige und den Kelch in der Hand und ein anderer Genius, die Dornenkrone darbringend, beide unter einem Kreuze stehend, drücken in einfacher Weise, die Feier des Palmsonntag, des grünen Donnerstag und des Charfreitag andeutend, den besondern Bezug auf die Passionsoratorien Bach’s und den allgemeinen auf die von tiefer Religiosität durchdrungene Kirchenmusik Bach’s aus. Der Würfel, an dessen Seiten diese Embleme sich befinden, ruht in der Mitte auf mit einander verbundenen Säulenbüscheln, und an den vier Ecken auf freistehenden, gewundenen kleinen Säulen. Die Totalform ist in Vergleichung mit den meisten andern im Freien aufgestellten Denkmalen eine ungewöhnliche, indem sie sich mehr der Form nähert, welche nur bei Monumenten für Kirchen und begränzte Räume bis jetzt angewendet worden ist.

Erschien die Errichtung eines Monuments für Bach an dem Orte seines Aufenthalts und seiner Wirksamkeit in dieser Beziehung nur als eine örtliche Angelegenheit, so wird, glauben wir, auch bald die Zeit kommen, wo man unserm großen Tonmeister ein Nationaldenkmal dadurch stiften wird, daß man seine Werke sorgfältiger und vollständiger als bisher sammelt und, in ihrer würdigen Weise ausgestattet, dem kunstliebenden Publikum übergiebt.

31.

Gartencultur in Frankreich.

Die Liebhaberei der Pflanzenzucht hat in neuern Zeiten fast in allen Länderstrichen Europas Riesenschritte gemacht. Es gibt jetzt kaum eine Stadt von einigem Belang, die nicht einen botanischen Garten besäße. Deutsche Regierungen wetteifern unter sich und mit Nachbarstaaten, ihre Residenzen durch geschmackvolle Parkanlagen zu verschönern

Empfohlene Zitierweise:
: Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_02.pdf/10&oldid=- (Version vom 21.5.2018)