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Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843

Leipzig, den 8. Juli 1843.

Die Enthüllung des Denkmals für Johann Sebastian Bach.

Zu allen Zeiten hat es Geister gegeben, die so weit über ihre Mitwelt hinausragten, daß sie von ihr zwar angestaunt und bewundert wurden, aber nicht ganz verstanden werden konnten. Für sie ist dann immer früher oder später, nachdem Generationen vorübergegangen waren, welche ihre Schöpfungen fast unbeachtet gelassen und ihrer Größe nur eine historische Pietät gewidmet hatten, eine Zeitepoche eingetreten, mehrentheils von geistesverwandten Männern herbeigeführt, in welcher ihr Ruhm von Neuem ein lebendiger geworden, in welcher das innigere Verständniß für die Werke jener ihrer Zeit vorausgeeilten Geister an die Stelle der bloßen Anstaunung getreten ist, in welcher also erst ihre Größe wahrhaft erkannt und recht gewürdigt worden ist. So ist es mit dem größten aller dramatischen Dichter, Shakspeare, geschehen, so geschieht es auch in der Jetztzeit mit Johann Sebastian Bach, dem Kirchencomponisten von bis jetzt noch immer unerreichter Größe. Auch seine von urkräftigem und reichem Geiste durchwehten Werke sind über ein Jahrhundert lang von andern, mit der vorübergegangenen Zeit gekommenen und größtentheils wieder verschwundenen verdrängt gewesen. Erst in der neuesten Zeit haben sich einige Männer, gleich ausgezeichnet durch Geist, Kenntniß und Kunstgeschmack, unter ihnen namentlich Fr. Rochlitz und Mendelssohn-Bartholdy, selbst ein würdiger Geistesgenosse Bach’s, das hohe Verdienst erworben, die Werke des großen Tonmeisters wieder an das helle Licht zu ziehen und die Zeit herbeizuführen, wo Bach’s Tonschöpfungen in ihrer ganzen Größe empfunden und immer mehr erkannt werden.

Werfen wir einen Blick auf die Vergangenheit, auf das Leben und Schaffen Bach’s, ehe wir Weiteres darüber sagen und ehe wir aus den letzten Tagen die Feier, womit ein der Stadt Leipzig von Mendelssohn-Bartholdy ihm errichtetes Denkmal übergeben wurde, zu schildern unternehmen.

Bach’s Denkmal an der Thomasschule zu Leipzig.

Johann Sebastian Bach wurde zu Eisenach am 21. März 1685 geboren, wo sein Vater Johann Ambrosius Bach, Hof- und Raths-Musikus war. Von seiner Mutter ist weder der Name noch sonst etwas Näheres bekannt. Die Bach’sche Familie, deren Mitglieder mehre Generationen hindurch alle mit vorzüglichem musikalischen Talent begabt waren, stammt aus Preßburg von einem Bäcker, Veit Bach, welcher in Folge der ausgebrochenen Religionsunruhen im 16. Jahrhundert von Ungarn nach Thüringen übersiedelt war und dort in dem Dorfe Wochmar bei Gotha sich niedergelassen hatte.

Nur 10 Jahre alt, verlor er bereits seine Eltern durch den Tod; wie aber so oft das scheinbare Wehe durch die Vorsehung zum Wohle sich gestaltet, so mag auch hier der Umstand, daß in Folge der Verwaisung Bach’s sein älterer Bruder Johann Christoph Bach, Organist zu Ohrdruff, ihn zu sich nahm, viel dazu beigetragen haben, daß der unwiderstehliche Drang nach Beschäftigung mit Musik, welcher sich bei Bach schon im elterlichen Hause kund gegeben hatte, bei dem Bruder, einem tüchtigen Orgelspieler, eine geregelte Nahrung, namentlich dadurch fand, daß ihm sein Bruder selbst Unterricht im Clavierspiele ertheilte. – Bach’s Liebe zur Musik gab sich hier als eine so leidenschaftliche und feurige zu erkennen, daß sein Bruder, wahrscheinlich fürchtend, es möge etwa der sonst dem Knaben nöthige Schulunterricht darüber vernachlässigt werden, ihm hin und wieder Einhalt thun zu müssen glaubte. So hielt er ihm einst ein Buch Musikalien vor, wonach der junge Bach besonders lüstern war, weil es Compositionen von Frohberg, Knel, Pochelbel und andern der berühmtesten Componisten der damaligen Zeit enthielt. Da wußte aber der Schüler heimlich dazu zu gelangen und die ersehnten Werke sich dadurch anzueignen, daß er sie nach und nach des Nachts im Mangel des Lichtes bei Mondschein abschrieb, was er sechs Monate hindurch fortsetzte, bis der Bruder dahinter kam und auch die so mühevoll erlangte Abschrift ihm wegnahm. Nur kurze Zeit kann der Aufenthalt bei seinem Bruder gewährt haben, da er nach dessen Tode auf die Michaelisschule zu Lüneburg kam und noch als Diskantist in das dortige Sängerchor aufgenommen wurde. Wie sehr auch hier der junge Bach, der seine schöne Diskantstimme bald verlor, mehr auf das Clavierspiel hingewiesen, auf seine weitere musikalische Ausbildung bedacht war, geht unter anderm daraus hervor, daß er mehrmals nach Hamburg reiste, nur um den damals berühmten Orgelvirtuosen, den Organist Joh. Adam Reincke zu hören, sowie er auch oft nach Celle wanderte, um in der dortigen herzoglichen Kapelle den französischen Geschmack in der Musik kennen zu lernen.

Erst 18 Jahre alt wurde er im Jahre 1703 als Hofmusikus in Weimar angestellt, welche Stellung er jedoch schon im folgenden Jahre 1704 wieder verließ, um eine Organistenstelle zu Arnstadt einzunehmen. Auch hier weilte er nicht lange, er wechselte vielmehr in rascher Folge noch mehrmals Aufenthalt und Stellung, ehe er diejenige fand, welche ihn sodann auf Lebensdauer fesselte. So kam er 1707 als Organist nach Mühlhausen, 1708 abermals nach Weimar, wohin er als Hoforganist berufen und 1714 Concertmeister wurde, endlich nach Köthen, wo er als fürstlicher Kapellmeister bis 1723 wirkte.

In diesem Jahre berief ihn der Stadtrath zu Leipzig zur Kantorstelle an der Thomasschule, nachdem Johann Kuhnau, welcher diese Stelle zuletzt eingenommen hatte, am 25. Juni 1722 gestorben war, und diesem Rufe folgte Bach. Er trat die Stelle am 30. Mai 1723 an und erfüllte treulich und gewissenhaft die von ihm geforderten Pflichten, die zunächst dem aus etwa 50 Alumnen gebildeten Thomanerchor gewidmet waren, bis zu seinem Tode. Bei seinem Unterrichte sah er besonders auf Tüchtigkeit in der praktischen Ausführung, und seine Lehrgabe, verbunden mit unerschütterlicher Wahrheitsliebe und der ihn in allen Verhältnissen auszeichnenden Humanität, gewann ihm den Ruf eines eben so strengen und gefürchteten als inniggeliebten und treuverehrten Lehrers. Allein dieses einzige Feld der Thätigkeit genügte seinem rastlos strebenden Geiste nicht.

Als einer der bedeutendsten Orgelspieler nach Leipzig berufen, errang er hier seinen Ruhm als Kirchencomponist. Zwar hatte er schon vor 1723 eine große Anzahl Tonwerke, zum großen Theil für Clavier und für Orgel, componirt, da ein ununterbrochener Fleiß ihn vor manchen andern genialen Menschen auszeichnete; aber keines derselben war durch den Druck verbreitet. Erst 1725 erschien ein gedrucktes in Kupfer gestochenes Werk von ihm, und diesem schlossen sich dann in rascher Folge eine große Anzahl anderer an. Der Mechanik des Spiels durch rastlose Uebung seit seinen Kinderjahren in jeder Beziehung Herr, konnte er nun, durch nichts mehr an der vollkommen freien Bewegung im ganzen Bereiche der Kunst gehindert, aus seinem reichen Genius, der eine unversiegbare Quelle bot, schöpfen. Seine jetzige Stellung enthielt für ihn überdies nahe Veranlassung, mit größeren Kirchen- und Gesangcompositionen aufzutreten, und sein Ruhm als Kirchencomponist verbreitete sich mit raschem Flügelschlage über die ganze musikalische Welt.

Alle Bewunderung und Ehrerbietung aber, die ihm deshalb täglich und überall gezollt wurden, vermochten seine bei ihm als wirkliche Tugend erscheinende ächte Bescheidenheit, die er überall im Leben bewies, nicht wanken zu machen. Er glaubte, wie er sich oft darüber aussprach, Alles seinem Fleiße zu verdanken zu haben und daß jeder andere, der eben so fleißig sei, wie er, es auch dahin bringen könne; er schien dabei auf die hohen Gaben, die er von der Natur empfangen, nichts zu geben. Diese Tugend, verbunden mit geselligen Vorzügen, die er außerdem besaß, machten seine persönliche Erscheinung zu einer liebenswürdigen und überall gern gesehenen. So blieben ihm nach Forkel’s, seines Biographen, Zeugnisse die Fürsten, bei denen er früher gelebt hatte, der Fürst Leopold von Köthen, der Herzog Ernst August von Weimar, so wie der Herzog Christian von Weißenfels stets mit herzlicher Liebe zugethan und so erwarb er sich auch in Leipzig sehr viele wahre Freunde. Seine Gastfreundschaft war eine so große, daß nach Angabe desselben Schriftstellers, der aus unmittelbarer Quelle schrieb, sein Haus fast nie von Gästen leer wurde.

Nicht minder war Bach, zweimal verheirathet, das Muster eines guten Familienvaters, eine Tugend, die ihn ebenfalls über manchen seiner Geistesverwandten stellt. Er war der treueste Gatte und Vater; der Pflege und Bildung seiner Kinder widmete er die größte Sorgfalt. Von

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: Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_02.pdf/9&oldid=- (Version vom 21.5.2018)