Textdaten
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Autor: Friedrich Seiler
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Titel: Die Brockenbahn
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 0, S. 321–322
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Brockenbahn.

Seit alten Zeiten bildet der Brocken einen Anziehungspunkt für wanderlustige Menschen, die von stolzer Bergeshöhe gern in die weiten Lande hinausschauen mögen. Noch wußte man nichts von einem alpinen Sport, da waren im Norden Deutschlands Brockenreisen bereits im Schwange. Fürsten zogen zum Brockenkulm hinauf mit großem Gefolge und Schüler unternahmen dorthin Ferienreisen. Davon berichten die Chroniken aus den Jahren 1591, 1634 und 1649. Vor etwa zweihundert Jahren besuchte Zar Peter der Große den Brocken, und im Jahre 1736 ließ Graf Christoph Ernst zu Stolberg-Wernigerode ein „Wolkenhäuschen“ aus Stein zum Schutze der Brockenbesteiger errichten – eine der ältesten Schutzhütten für Bergtouristen, die noch heute erhalten ist. Die Zahl der Brockengäste stieg von Jahr zu Jahr; von 1753 datiert das älteste Brockenstammbuch, und schon zu Anfang dieses Jahrhunderts besuchten den Brocken jährlich 1000 bis 2000 Personen. In den letzten Jahren konnte die Zahl der Brockengäste nur geschätzt werden – sie belief sich, wie Sachkundige behaupten, auf 40000 bis 50000.

Es geschah viel, um den Zugang zu dem höchsten Berggipfel Norddeutschlands zu erleichtern. Angenehme Fußwege und gute Fahrstraßen wurden angelegt; auf dem Kulm wurde ein Hotel erbaut und ein Aussichtsturm errichtet, aber es währte lange, bis man in unserm Zeitalter der Bergbahnen bis zur Spitze des Brockens den eisernen Schienenstrang legte. Nun ist auch das geschehen. Durch stille Tannenwälder, über wild romantische Felsgegenden und weite Torfmoore klimmt endlich das Dampfroß bis zur Zinne des Blocksberges empor. – Schon seit langen Jahren war die Schaffung einer Harz-Querbahn, welche den Nord- und Südharz miteinander verbände, ein sehnlicher Wunsch der Harzbewohner und – der deutschen Heerführer. Moltke hat aus strategischen Gründen eine solche Bahn befürwortet. Erst im Jahre 1896 kam aber eine Einigung der beteiligten Staaten und Gemeinden zu stande, eine Gesellschaft wurde gegründet, welche den Bau einer Harzbahn von Wernigerode nach Nordhausen übernahm und an diese als eine Seitenlinie die Brockenbahn anschloß. So steil wie auf den Rigi oder den Pilatus braucht hier das Dampfroß nicht emporzukeuchen, die größten Steigungen der Linie betragen nur 1 : 30; man konnte darum ohne eine Zahnradbahn auskommen und die Linie als eine einfache Adhäsionsbahn einrichten. Immerhin hatten die Ingenieure viele Terrainschwierigkeiten zu überwinden. Kehren, Schleifen, Brücken und Dämme mußten angebracht werden; besondere Schwierigkeiten bot die Durchquernng des Brockenmoores; man mußte gewaltige Massen Torf bis zu 5 m Tiefe ausheben, um dem Bahnkörper festen Grund zu schaffen. Der Bau gelang glücklich. Bereits zu Weihnachten vorigen Jahres dampfte der erste Zug nach der Brockenspitze und seitdem sind noch verschiedene Fahrten veranstaltet worden. Die Eröffnung des regelrechten Betriebs findet am 15. Mai statt.

 Kurve im Rennethal.

 Blick in das Drengethal.
Rückblick auf den Brocken vom Eckerloch aus. 

Tausende und aber Tausende werden im kommenden Sommer die neue Bahn benutzen und den Ausflug zu der luftigen Höhe nicht bereuen; denn die Fahrt ist überaus reich an mannigfaltigen, stets wechselnden und überraschenden Aussichten. Es sei uns gestattet, ihren Verlauf zu schildern.

Wernigerode mit seinem herrlichen Schloß liegt bald hinter uns.

Die Bahnlinie geht hinter den Gärten des langgestreckten Hasserode hinauf in das Rennethal, wo sie an der Station „Steinerne Renne“ eine sehr scharfe Kurve beschreibt. Dann beginnt die eigentliche Steigung und der Zug fährt aus dem Renne- in das Drenge-, dann in das Thumkuhlen- und wiederum durch einen Tunnel in das Drengethal. Links sieht man über die Wipfel der Bäume auf die tief unten sich hinziehende Chaussee und auf die steilen, tannenstarrenden Berglehnen gegenüber, rechts blickt man in kleine, dunkelbeschattete Seitenthäler, aus denen murmelnd und plätschernd die Gebirgswasser fließen, welche die Bahn auf gewölbten Brücken überschreitet. Ab und zu öffnet sich auch ein [322] weiterer Ausblick. Besonders schön ist der, welcher beim Eintritt in das Drengethal sich bietet, wo man plötzlich auf einen Augenblick ganz Hasserode und als abschließenden Hintergrund die Türme und das hochragende Schloß von Wernigerode erblickt.

Wenn sich der Zug dieser Stelle nähert, so drängt sich das Publikum an den Fenstern und auf den Plattformen zusammen, um nichts von dieser entzückenden Aussicht zu verlieren.

Bei dem Wirtshaus „Dreiannen“ erreicht die Bahn die Höhe des Harzplateaus und teilt sich bald darauf bei der Station „Dreiannen-Hohne“. Die Hauptlinie geht quer über das Plateau weg nach Nordhausen. Die Seitenlinie, welche indessen den Hauptertrag abwerfen wird, führt zum Brocken. Bald sieht man das Thal der Bode vor sich und darüber hinaus die einsame, waldbedeckte Hochebene, welche die höheren Berge des Südrandes malerisch abschließen. Der mächtige Wurmberg mit den beiden Winterbergen erscheint. Unter ihnen zieht sich der lange Rücken des Barenberges mit den von Goethe im „Faust“ erwähnten Schnarcherklippen hin, und bald erblickt man im Thale die weißen Häuser und dunklen Dächer des Luftkurorts Schierke.

Hier befinden wir uns schon in der Gegend des Brockengranits, der in mächtigen Blöcken allenthalben umherliegt. Der Bahnhof von Schierke liegt hoch über dem Orte selbst. Den letzteren sieht man bei der Weiterfahrt plötzlich von der anderen Seite noch einmal. Der Zug fährt dann weiter auf das Eckerloch zu, passiert das Schluftwasser, und alsbald wird uns eine neue Ueberraschung geboten. Von rückwärts tritt nämlich der Gipfel des Brockens mit den ihn krönenden Gebäuden und dem Aussichtsturm plötzlich hervor, gleich einer ungeheuren Burg, welche sich der König des Gebirges in der Urzeit errichtete. Freilich nur für eine halbe Minute. Dann verschwindet er wieder wie eine Geistererscheinung.

Bahnhof Brocken.

Der Zug schwenkt nun scharf um die vorspringende Ecke des Königsbergs, und man hat dann mit einem Male den Oberharz vor sich. Der Achtermann und der lange, steile Rücken des Bruchberges, der Rehberg und Sonnenberg werden sichtbar; zu ihren Füßen sieht man, in dunkles Fichtengrün gebettet, die bekannten Gebirgswirtschaften und Sommerfrischen des Königskrugs, des Sonnenberger Weghauses und des Torfhauses, von dem aus einst Goethe den Ausstieg auf den winterlichen Brocken wagte. Jetzt führt ein bequemer Promenadensteig, der sogenannte Goetheweg, vom Torfhaus zum Gipfel. Wir passieren denselben, und dann beginnt die eigentliche Spirale. In anderthalbmaliger, schraubenförmiger Windung erreicht die Bahn den Gipfel. Man sieht rechts auf die Heinrichshöhe, den Renneckenberg und die Hohneklippen, die sämtlich doch schon ungefähr 1000 Meter hoch sind, hernieder, dann erblickt man den Nordrand des Gebirges mit den tief eingeschnittenen Thalspalten von Wernigerode, Darlingerode, Ilsenburg, Harzburg. Ueber den Rand hinweg schaut man auf die dunstige Ebene, die sich wie ein Meer unermeßlich ausdehnt. Dann taucht mit einem Male wieder der Bruchberg und Achtermann auf, denen man eben erst den Rücken zugekehrt hatte, und endlich wieder der Wurmberg, Schierke und die Heinrichshöhe. Es ist, als ob die ganze, erhabene Landschaft mit ihren Bergen, Thälern und Wäldern sich im Kreise um uns drehte, während wir gleichsam den festen Mittelpunkt der Welt bilden.

„Station Brocken, alles aussteigen!“ ruft der Schaffner. Wir halten in der Höhe von 1130 Metern über dem Meere vor einem kleinen Holzgebäude, wenige hundert Schritt nördlich von dem eigentlichen 1142 Meter hohen Gipfel. Es ist hier oben empfindlich kalt, ein schneidender Wind bläst uns entgegen. Wir eilen also dem erst kürzlich bedeutend vergrößerten Riesengasthof zu, sicherlich dem größten Berggasthof Deutschlands, und finden in dessen behaglich erwärmten Räumen freundliche Aufnahme und gute Verpflegung.

Die Brockenbahn gehört ganz sicher zu den schönsten Bahnen, die es in Deutschland giebt; eine Fahrt auf ihr, im Sommer wie im Winter, zählt zu den genußreichsten, die man machen kann. Freilich mit der erhabenen Einsamkeit des Geister- und Hexenberges ist es nun für immer vorbei!
Friedrich Seiler.