Die Bergfeste Stolpen in Sachsen

CLXXXV. Antwerpen Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLXXXVI. Die Bergfeste Stolpen in Sachsen
CLXXXVII. Samaria
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CLXXXVI. Die Bergfeste Stolpen in Sachsen.




Voll Bedeutung schaut aus blauen Lüften
In des Thales frohbelebte Triften
     Stolpen’s Zinne schwermuthsvoll hinab;
Wo gedankenvoll in sich versunken
Die verlassene Liebe schauertrunken
     Einem Könige flucht’ und sich in’s Grab!




Diese bedeutungsvollen Verse waren vor einigen Jahrzehenten in einer Fensterscheibe eines Zimmers dieser kleinen verfallenen Bergveste des Meißner Landes zu lesen. Sie kamen von der schönsten und geistreichsten Frau ihres Jahrhunderts – jener Geliebten des prachtliebenden Königs August des Zweiten von Polen, durch deren Gefangenschaft Stolpen eine Berühmtheit ganz eigenthümlicher Art erlangt hat.

Die Gräfin Cosel, die als Gemahlin des kursächsischen Cabinetsministers von Hoymb an den Dresdner Hof kam, hatte König August durch ihre Schönheit und Bildung so bezaubert, daß sie bald eine vollkommene [137] Herrschaft über ihn übte. Sie ließ sich von ihrem Gemahl scheiden; der Kaiser erhob sie zur Reichsgräfin, und die deutsche Maintenon herrschte im Sachsenlande lange Zeit mit der Laune und Willkühr eines Despoten. August, der Starke, war ihr Sklave, und sie forderte von ihm und er brachte ihr jedes Opfer. Er baute ihr einen glänzenden Pallast in der Hauptstadt (das jetzige Coselsche Palais in Dresden), Lustschlösser auf dem Lande, und Alles, was Pracht und Ueppigkeit nur ersinnen konnten, machten diese Wohnungen zu Feenschlössern. Das Mobiliar einer einzigen kostete über 200,000 Thaler, und man hat berechnet, daß für die grenzenlose Verschwendung, zu welcher jene Frau den König veranlaßte, die enorme Summe von 10 Millionen Thalern nicht ausreichte. Ihre Herrschsucht war so zügellos wie ihre Prachtliebe: ihr Wille galt durch das ganze Reich als Befehl, und wer ihr zuwider war, mußte fallen. Weder Rang, noch Verdienst, noch Reichthum, noch die persönliche Freundschaft des Königs schützten gegen die Abneigung einer Frau, welche mit ihrer strahlenden Schönheit und einem unwiderstehlichen Liebreiz – einer Zauberin gleich – die Rache selbst entwaffnete, wenn sie es wagte, sich ihr zu nahen.

So hatte sie 10 Jahre lang vollkommene Herrschaft geübt; durch ihre Verschwendung war das Land verarmt, vom Hofe und von der Verwaltung das aufrechtgehende Verdienst entfernt und alle Gebrechen der Maitressenschaft lasteten auf Sachsen mit dem furchtbarsten Druck. Keine Stimme wagte eine Klage; – denn Furcht vor der vernichtenden Macht der Cosel hielt jede zurück. Da unternahm es der alte Feldmarschall Flemming, dem verblendeten Könige, während dessen Anwesenheit in Warschau, wohin ihm die kranke Maitresse nicht folgen konnte, die Augen zu öffnen. – Die Gräfin, deren Kreaturen den König bewachten, erfuhr zwar den Anschlag sogleich und reiste, ihrer Allgewalt über den schwachen Fürsten sich bewußt, auf der Stelle nach Warschau; aber an der schlesischen Grenze wurde sie von Husaren, auf geheimen Kabinetsbefehl des Königs, arretirt und nach Dresden zurückgebracht. Als sie die Nothwendigkeit einer Reise in das Ausland zur Herstellung ihrer Gesundheit vorschützte, ließ man sie ziehen. Sie ging nach Berlin, kehrte plötzlich nach Halle zurück, wurde hier von neuem arretirt und als Staatsgefangene auf die alte Bergfeste Stolpen gebracht, welche ihre 43jährige Haft berühmt gemacht hat. August, der sich gegen seine Vertrauten offen äußerte, daß ihr persönlicher Zauber und die Herrschaft ihres Geistes durchaus unwiderstehlich sey, sah sie nie wieder und fürchtete seine Schwäche selbst so sehr, daß er ihre Briefe nie beantwortete, nicht einmal öffnete, sondern ungelesen verbrannte. Nach August’s Tode bot man ihr die Freiheit an; aber die heroische Frau, welche noch immer, und bis in’s hohe Alter, die Reize der Schönheit bewahrte, verschmähete das Geschenk mit stolzem Hohne. Als während des siebenjährigen Kriegs Friedrich der Zweite Sachsen besetzt hielt, ließ er ihr eine Pension zahlen; da dieß in geringhaltigen Münzsorten geschah, so dankte sie zwar höflich für die Großmuth, befahl aber, die Wände einiger ihrer Zimmer mit den Ephraimsthalern zu benageln und sie ließ diese Friedrichs-Tapeten, wie sie sie nannte, allen Fremden, die nach Stolpe kamen, zeigen, wobei es an beißenden [138] Bemerkungen nicht fehlte. Geistige Unterhaltung war in ihrer 43jährigen Gefangenschaft ihr einziger Genuß und noch am späten Abende ihres Lebens (sie starb, 1759, als 80jährige Matrone) unterhielt sie einen lebhaften Briefwechsel mit den größten Geistern ihrer Zeit in mehren Ländern. Ihren kleinen Garten bebaute sie selbst. Als eine merkwürdige, psychologische Erscheinung ist zu bemerken, daß, obschon diese Dame vom Augenblicke ihres Sturzes an unbegränzten Haß gegen den König bei jedem Anlasse bekannte und bethätigte, Haß doch nur die äußere Form einer abgöttischen Liebe war, welche nichts schwächen oder auslöschen konnte, wie sie – bei der Nachricht von August’s Tode – selbst gestand. Ihre hinterlassenen Memoiren, welche merkwürdige und frappante Aufschlüsse über wichtige Verhältnisse ihrer Zeit, die der Schleier des Geheimnisses bedeckt, enthalten sollen, wurden bei ihrem Tode unter Siegel gelegt, und ihre Veröffentlichung, welche sie angeordnet hatte, nicht gestattet.

Stolpen wird von Denen, welche die schönen Gegenden Dresdens und Meissens bereisen, häufig besucht, und ein Kastellan zeigt die von der berühmten Gefangenen bewohnten Zimmer, welche so gut wie irgend ein MEMENTO MORI Stoff geben können zu ernsten Betrachtungen über die Hinfälligkeit aller irdischen Dinge.