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Bemerkungen nicht fehlte. Geistige Unterhaltung war in ihrer 43jährigen Gefangenschaft ihr einziger Genuß und noch am späten Abende ihres Lebens (sie starb, 1759, als 80jährige Matrone) unterhielt sie einen lebhaften Briefwechsel mit den größten Geistern ihrer Zeit in mehren Ländern. Ihren kleinen Garten bebaute sie selbst. Als eine merkwürdige, psychologische Erscheinung ist zu bemerken, daß, obschon diese Dame vom Augenblicke ihres Sturzes an unbegränzten Haß gegen den König bei jedem Anlasse bekannte und bethätigte, Haß doch nur die äußere Form einer abgöttischen Liebe war, welche nichts schwächen oder auslöschen konnte, wie sie – bei der Nachricht von August’s Tode – selbst gestand. Ihre hinterlassenen Memoiren, welche merkwürdige und frappante Aufschlüsse über wichtige Verhältnisse ihrer Zeit, die der Schleier des Geheimnisses bedeckt, enthalten sollen, wurden bei ihrem Tode unter Siegel gelegt, und ihre Veröffentlichung, welche sie angeordnet hatte, nicht gestattet.

Stolpen wird von Denen, welche die schönen Gegenden Dresdens und Meissens bereisen, häufig besucht, und ein Kastellan zeigt die von der berühmten Gefangenen bewohnten Zimmer, welche so gut wie irgend ein MEMENTO MORI Stoff geben können zu ernsten Betrachtungen über die Hinfälligkeit aller irdischen Dinge.




CLXXXVII. Samaria.




Das alte Samaria, Israels Hauptstadt, die Nebenbuhlerin Jerusalems, ist längst von der Erde verschwunden. Nach dreimaliger Zerstörung, zuerst durch Salmanassar, den Assyrer-König, dann durch Hyrkanus, zuletzt durch die Römer, lag es wüste und verlor sogar den Namen. Erst die Kaiserin Helene fand seine Stätte wieder auf und sie erbaute auf derselben ein Kloster und eine christliche Wallfahrtskirche, deren malerische Trümmer unser Stahlstich darstellt. Ein kleines und elendes Dorfchen von etwa 20 Häusern, auf einem Absatz des Berges gelegen, den die berühmte Königsstadt einst ganz bedeckte, ist der bettelnde Erbe des großen Namens. Aber weit und breit ist Alles öde und wüst und das Geschrei der Geier und das Geheul des Schakals sind die einzigen Tone, welche an der Stelle gehört werden, von welcher einst Rauchopfer dampften und der Preiß des Allmächtigen von den Lippen seines erwählten Volkes zum Himmel aufstieg.