Textdaten
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Autor: Ludwig Nohl
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Titel: Die Beethovens in Bonn
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 612–616
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[612]
Die Beethovens in Bonn.
Eine biographische Skizze von Ludwig Nohl.


„Besonders nannte er seinen Großvater einen Ehrenmann.“

Goethe wußte sich nicht blos der „Statur“, sondern ebenso „des Lebens ernstem Führen“ nach von seinem Vater abstammend, und erbte und übte nach seiner Frau Mutter die „Frohnatur und Lust zu fabuliren“. Mozart eignete sich für das ganze Leben die schöne Ordnung und ernste Bemühung um das Rechte und Tüchtige an, die er von seinem geliebten Vater von den ersten Jugendjahren an in stets vertrauterer Nähe zu erkennen und zu würdigen gelernt hatte. So wird nach dem natürlichen Bestande der Dinge den weitaus Meisten im Leben gleicher Weise der eigene Vater das moralische Vorbild sein und den Weg der späteren Lebensführung gezeigt haben.

Bei dem großen Beethoven war es nicht der Vater, sondern der Großvater, und dieser Umstand rechtfertigt es, wenn wir hier einmal in sicherem Umriß und thunlichst vollständig die Gestalt dieses Mannes zeichnen, über den die sogenannte Fischhof’sche Handschrift aus der Berliner Bibliothek das schöne Wort enthält: „Ludwig van Beethoven, Großvater unseres Beethoven, war von Geburt ein Niederländer, wo fast Jeder ein ‚van’ vor seinem Namen führt; von Geburt war er nicht von Adel, besaß aber den Seelenadel als ein würdiger Mann.“ War doch sein vom Hofmaler Radoux gemaltes, in einer Nachbildung unserem Artikel beigegebenes Portrait das Einzige, was der Enkel sich, sobald keine Aussicht mehr war, nach Bonn zurückzukehren, in seine neue Heimath Wien nachschicken ließ, ein Besitz, der ihm bis zu seinem Tode Freude machte. Das Bild wanderte dort mit zu einer, zur anderen der zahllosen Wohnungen, welche der in seinem [613] tiefen Sinnen so leicht gestörte und selbst so sehr wählerische Meister durch dreißig Jahre in und um Wien inne hatte, und zeigt noch heute nicht die geringste Spur der Gefahren, die so häufige Umzüge besonders für Kunstdinge mit sich bringen; es hängt völlig unverletzt in Wien im Zimmer der Frau Karl van Beethoven, der Wittwe jenes Neffen des Meisters, der sein Erbe ward.

„An diesem Großvater hing der kleine Louis mit der größten Innigkeit,“ sagt Beethoven’s Bonner Jugendfreund Dr. Wegeler, „und so zeitig er denselben auch verlor, blieb bei ihm der frühe Eindruck doch sehr lebendig. Mit seinen Jugendfreunden sprach er gern vom Großvater, und seine fromme und sanfte Mutter, die er weit mehr als den nur strengen Vater liebte, mußte ihm viel vom Großvater erzählen. … Dieser Großvater war ein kleiner, kräftiger Mann mit äußerst lebhaften Augen und als Künstler vorzüglich geachtet.“ Und doch war der Knabe erst drei Jahre alt, als der alte „Hofcapellenmeister“ starb! –


Beethoven’s Großvater.
Nach einem Gemälde vom Hofmaler Radoux in Bonn (Besitzerin: Frau Wittwe Karl van Beethoven in Wien).


Nicht blos des alten Herrn eigene hohe Begabung, mehr noch dessen persönliche bedeutende Erscheinung macht diesen so frühen und doch so sicheren Eindruck erklärlich, und spätere Erlebnisse fuhren dann gewissermaßen diesen Umrissen stets auffrischend und vertiefend nach.

Der Großvater Beethoven’s war als drittes Kind von zwölfen im December 1712 zu Antwerpen geboren und erschien nach einer Bonner Tradition „von einer schönen Erziehung und schönem Herkommen“. Nach alter Familientradition war er noch als Knabe in Folge eines Conflicts mit der Mutter auf- und davongegangen. Da er so lange ausgeblieben, habe die Mutter ihn suchen lassen, und als man ihn nicht gefunden, ihn für todt gehalten. Auch kam er in der That nie in’s Elternhaus zurück, es muß sich aber später ein Briefwechsel zwischen ihm und den Seinen entsponnen haben.

Hier sehen wir die „altniederländische Starrköpfigkeit“, über welche des großen Meisters Freunde so oft klagten, als Keim im Beethoven’schen Blute. Es war aber nicht etwa jenes „Nichtgutthunwollen“, das den Leichtsinn ausmacht und dann auch in der Regel zu nichts Gutem führt. Der Eigenwille ging auf Bethätigung der angeborenen Kraft, wenn auch dabei etwas von der alten Abenteuerlust der Nordländer wie speciell das „Sichaustobenmüssen“ der Niederländer nicht fehlt. Und so sehen wir den so eigenwillig Davongelaufenen denn auch mit noch nicht ganz achtzehn Jahren in einer praktischen Stellung, nämlich als Singlehrer an einem geistlichen Capitel zu Löwen, woher die Familie Beethoven ursprünglich stammte und wo er also vielleicht auch noch Verwandte hatte; die ganze Familie wird als „von altersher musikalisch“ bezeichnet. Hier in Belgien, und zwar speciell in dem nahen Lüttich soll ihn dann, ebenfalls nach der Familientradition, der Kurfürst Clemens August von Köln „als guten Musicus und Sänger erfahren und wahrgenommen haben“. Und in der That „dependirte“ das Bisthum Lüttich von der „Köllnischen Kirche“, und Clemens August war seit 1725 Probst der dortigen Kathedrale, hatte also Anlaß und Pflicht, zuweilen in diese Gegend zu reisen.

Die Stellung in Löwen war nur eine vorübergehende Vertretung gewesen, und so stand einer Uebersiedelung nach Bonn nichts im Wege. Im März 1733 wird denn der Singlehrer [614] Beethoven durch Decret des Kurfürsten „auf unterthänigstes Bitten zu Dero Hofmusicum gnädigst erklärt und angenommen“ und zwar mit vierhundert Gulden rheinisch, ungefähr siebenhundert Mark, ein ansehnliches Gehalt für einen erst Zwanzigjährigen! Ein Jahr lang etwa war er in Bonn herkömmlicher Weise zur Probe in der Capelle beschäftigt gewesen und hatte „mit einer schönen und biegsamen Stimme“ die in den Messen vorkommenden Baßsolos gesungen, da schritt er zur Heirath. Josepha Poll hieß seine neunzehnjährige Frau. Ein Jahr darauf sah er sich mit einem kleinen Mädchen beschenkt – Herd und Haus, Amt und Stellung – welcher Erfolg persönlicher Energie! Audacem fortuna juvat! „Dem Muthigen gehört die Welt!“ Das Kind starb freilich ein Jahr darauf, und ein zweites scheint ebenfalls nicht lange gelebt zu haben. Sein drittes Kind war Johann, der Vater Ludwig’s, um 1740 geboren.

Seine Stellung hob sich mit Einnahme und Rangsteigerung, und bald gehörte er fraglos zu den angesehensten Künstlern in Bonn. Zuerst heißt er einfach „Musicus“, dann „Herr“, darauf „Hofmusicus“ und im Jahre 1761 „Herr Capellenmeister“. Charakteristisch für ihn ist sein Eintritt in den letzteren Rang. Er war amtlich der Capellmeisterstelle „versichert“ worden. Der Kurfürst, jetzt Max Friedrich, hatte aber einen Geiger Touchemoulin vorgezogen. Dieser verzichtete jedoch auf die Stelle, als der neue Minister Belderbusch sein Gehalt herabsetzte. Darauf schreibt nun der „Passist“ Beethoven männlich, offenherzig, zornig: „Weil aber aus besonderer Empfehlung mir der Touchemoulin vorgezogen worden ist und zwar widerrechtlich (!), so mußte ich mich bis hierher dem Geschicke unterwerfen.“ Jetzt bittet er, ihm „das Recht widerfahren zu lassen, welches bei dem Vorgänger ihm benommen worden sei“, und wegen seiner doppelten Dienste auch sein Gehalt zu erhöhen. Der neue Kurfürst achtet auch wirklich die Dienste wie den resoluten Charakter seines „Passisten“ und ernennt ihn mit Gehaltserhöhung zum kurfürstlichen „Hofcapellenmeister“. Daß er dabei Sänger blieb, lag in der Sitte der Zeit, die manche berühmte Componisten als solche sah. Nur kam jetzt noch der Theaterdienst dazu, und Dr. Wegeler erwähnt einer Tradition, wonach er in gewissen Singspielen den „größten Beifall“ erhalten habe.

Nähere Nachrichten über die Persönlichkeit und das häusliche Leben des alten Herrn entstammen einer Handschrift, welche kürzlich an’s Licht gekommen und zuerst auszugsweise neben andern werthvollen Documenten aus dieser Bonner Zeit des Meisters und seiner Vorfahren dem Buche „Ludwig van Beethoven’s Leben“ von A. W. Thayer einverleibt ist. Es sind Erinnerungen zweier alten Leute, Kinder eines Bäcker Fischer, in deren elterlichem Hause in der Rheingasse beide Familien Beethoven gewohnt haben; an diesem Hause prangt noch heute fälschlich eine Geburtstafel Beethoven’s.

Zunächst heißt es daselbst von unserem „Hofcapellenmeister“: „Statur des Herrn van Beethoven: mittlere Größe, längliches Gesicht, breite Stirn, runde Nase, große, dicke Augen, dicke, rothe Wangen, sehr ernsthaftes Gesicht,“ und die ganze Erscheinung wird als die eines stattlich schönen Mannes bezeichnet. So war er im Alter von siebenundzwanzig Jahren gemalt worden. Das Portrait in natürlicher Größe hing nach jenen Aufzeichnungen in einem vergoldeten Rahmen in der Mitte des Zimmers, links nach der Straße, wo gegenüber rechts sein Clavier stand; er war dargestellt sitzend auf einem Sessel, in Pelz, Kleidüberzug mit Schlägeln (Troddelschnüren), sammetener Pelzkappe mit goldener Troddel und ein paar Blätter Noten vor sich – unsere Abbildung. Und da das Portrait gar von dem kurfürstlichen Hofmaler gemalt war, so müssen die Verhältnisse des Hofcapellmeisters recht gute gewesen sein.

Auch darüber erfahren wir hier zuerst Näheres: „Hofcapellmeister van Beethoven hatte liegende Gelder. Er hatte zwei Keller mit Wein, wo er faßweise verkaufte. Er verkaufte seinen Wein in’s Niederland, wo er seine Kenner hatte, Kaufleute, die ihm den Wein abkauften, und so schlug er bei einem guten Jahrgang wieder Wein ein.“ Daher konnte wohl, wie uns weiter berichtet wird, „alles so schön und propper und wohleingerichtet sein, mit Pretiosen, die sechs Zimmer alle mit schönen Möbeln versehen, viel Malereien und Schränke, ein Schrank mit silbernen Servicen, ein Schrank mit feinvergoldetem Porzellan und gläsernem Geschirr, ein Vorrath der schönsten Leinwand, die man durch einen Ring hätte ziehen können: die geringsten Artikel hätten alle wie Silber geblinkt.“

Läßt nun das Letztere auf eine sehr ordentliche Hausfrau schließen, so lag doch gerade auf dieser Seite der Ehe ihr Schatten. „Statur der Madame van Beethoven: ziemliche Größe, längliches Gesicht, etwas gebogene Nase, mager, ernsthafte Augen; Cäcilia Fischer wußte sich nie zu erinnern, daß sie Madame van Beethoven hätte lachen sehen; immer war sie ernsthaft,“ sagt jenes Manuscript. Es war der Ernst des Kummers, und zwar des schlimmsten, des verzehrenden Grams über die eigene an das Laster grenzende moralische Schwachheit. Denn wir hören weiter: „Er war ein sehr respectabler Mann, in seinem Umgang ein herzensguter Mann, seine Ehegemahlin eine stille gute Frau, die aber dem Trunk stark ergeben war, womit er soviel heimliche Leiden ertragen hat, daß er zuletzt auf den Gedanken gekommen war, sie nach Köln in Pension zu thun, wo sie auch starb.“

Nun begreifen wir, warum er bei einer Hochzeit des Vaters der beiden Fischer im Jahre 1761, also noch während der Ehe, Thränen vergoß und, darüber befragt, antwortete, daß er dabei an seine Trauung und Hochzeitslage gedacht. Die Gegenwart war ihm tief-trübe gegen den Sonnenglanz jener Jugendjahre, und vielleicht hatte sein eigenes Unternehmen, der Handel mit Wein und der darum stets offene Keller, das Leiden herbeiführen helfen oder doch tiefer einreißen lassen, als sonst wahrscheinlich gewesen wäre.

Ja, dieses Leiden warf schon früh seinen Schatten auch auf die kommende Generation der Familie. Die auffallend geringe Schulbildung des einzigen Sohnes, der Beethoven’s Vater werden sollte, weist auf eine sehr vernachlässigte Erziehung hin, und mehr noch bekundet sich dieselbe durch die folgende Nachricht: „Der Hofcapellmeister Beethoven hat einst im Unterhause gesagt: ‚Da stehen passend drei Johannse wie ein Kleeblatt zusammen, der Lehrbusch ist Johannes der Fresser, den sieht man immer essen, und der Gesell im Haus ist Johannes der Schwätzer, und (indem er mit der Hand auf seinen Sohn wies) das ist Johannes der Läufer – lauf nur, lauf nur! Du wirst noch einmal an dein End’ laufen.’ Johann van Beethoven hatte einen flüchtigen Geist, machte gelegentlich kleine Reisen nach Köln, Deutz, Andernach, Koblenz, Thal Ehrenbreitstein und wer weiß wohin. Dies that er, wenn er wußte, daß sein Vater zwei, drei oder vier Tage verreiste.“ Der bloßen Wanderlust fügte sich aber bald ein anderer Trieb. „Er suchte zu freien, auch anzulanden; welche? wo? wußte man damals noch nicht,“ sagt die Handschrift. Es war in Thal Ehrenbreitstein, wo er im Jahre 1767 „anlandete“, und dies in einer Weise, die dem würdigen Hofcapellmeister wenig behagte. „Als Johann van Beethoven seinem Vater seine Geliebte persönlich vorstellte, da erschien sie seinem Vater nicht angemessen, nicht gewichtig genug,“ heißt es dort. „Herr Hofcapellmeister ließ es bei der Vorstellung bewendet sein und wollte weiter nichts wissen, obschon sie eine schöne, schlanke Person war und keiner etwas auf sie bringen konnte und von bravem rechtschaffenem bürgerlichem Herkommen war und durch alte Urkunden aufweisen konnte, daß sie vornehmen Herrschaften gedient, wobei sie eine schöne Erziehung und Bildung erhalten.“ Sie war die Tochter eines kurtrierschen Hauptkochs und Wittwe eines kurfürstlichen Kammerdieners. „‚Das hätte ich nie von dir geglaubt und erwartet, daß du dich so heruntergesetzt hättest,’ sagte der Hofcapellmeister. ‚Thu du nur was du willst, so thue ich auch was ich will; ich überlasse dir hier das ganze Quartier und ziehe aus.’“ Ja, die junge Frau selbst erzählte später, daß sie von ihrer Seite eine gute Hochzeit hätten halten können, aber ihr Schwiegervater würde ihr „aus Eigensinn“ nicht beigewohnt haben, deswegen sei die Sache kurz abgemacht worden. Es war also der Keim zum Unfrieden tief gelegt.

In der That finden wir das junge Ehepaar auch nicht bei dem Vater wohnen, der doch so gut wie Wittwer war, seitdem er seine Frau in ein Kloster hatte geben müssen. Der Sohn war ebenfalls kurfürstlicher Sänger und hatte 300 Mark Gehalt nebst einigen Nebeneinkünften bescheidener und unregelmäßiger Natur. Nach anderthalb Jahren kam ein Knabe, der jedoch bald starb, zwei Jahre darauf unser Beethoven. Der Großvater war sein Pathe. Daß aber der Taufschmaus im Hause einer reichen Nachbarin, Frau Baum, die ebenfalls Pathin war, stattfand, beweist, wie bescheiden die Verhältnisse des jungen Ehepaares schon [615] der Wohnung nach waren. Ja bald sollten dieselben sehr traurig werden, und eben auf diesem dunklen Hintergrunde der Gegenwart hob sich dann für die Phantasie und Empfindung des Knaben Beethoven das Bild seines verstorbenen Großvaters nur um so lichter und würdiger ab. Derselbe starb nämlich Ende December 1773, wo also der Enkel gerade drei Jahre alt war.

Die Hinterlassenschaft fiel dem einzigen Sohn Johann zu. Allein mit den „liegenden Geldern“ muß es nicht mehr weit her gewesen sein. Es scheint, daß der Kummer um Sohn und Gattin die Thätigkeit des Hofcapellmeisters in dessen älteren Jahren gelähmt hatte. Und dann waren ja auch die Ausgaben gestiegen, seitdem die Mutter in Pension war. Dazu kam des Verstorbenen große Gutherzigkeit. Es fanden sich nach dem Tode viel offenstehende Schuldforderungen an Bauern, die Geld geliehen, oder an Weinbauern, die auf ihren Wein Vorschuß erhalten und den Wein nicht geliefert hatten.

„Diese leugneten jetzt die Sache ab und verlangten ihre Handschrift zu sehen, welche er ihnen nicht zeigen konnte,“ sagt unsere Handschrift. „Johann van Beethoven klagte das dem Theodor Fischer und sagte: ‚Ich habe mich mit den Bauern so viel herumgefochten und richte doch nichts aus. Ich habe es mir so oft gedacht, daß es so kommen würde. Mein Vater war hierin ein eigener Mann, hielt immer auf Wort und wörtliche Bedingungen, nichts Schriftliches. Wenn Bauern ein Anliegen brachten, die seine gute Seite kannten und eine schöne frische Butter oder schönen Käse brachten, dann war er erkenntlich, lieh ihnen Geld und Vorschuß auf ihren Wein, und so bin ich um Vieles gekommen.’“

Eine Eingabe Johann’s an den Kurfürsten, dem der alte Hofcapellmeister „mit größtem Ruhm“ gedient habe, sagt, daß er sich durch Ableben seines Vaters in sehr betrübten Umständen befinde, da sein geringes Gehalt ihn zwinge, das vom Vater Ersparte zuzusetzen; er bittet als „unterthänigster Knecht“ und „fußfälligst“ um Zulage aus dem erledigten Gehalt des Vaters, da er auch noch seine Mutter im Kloster zu erhalten habe. Ihr Kostgeld wird ihm bewilligt und fällt ein Jahr später, wo sie starb, ihm selbst zu. Unser Manuscript schildert nun allerdings die Ehe als eine rechtschaffen friedliche; auch sei die Hausmiethe und geliefertes Brod alle Vierteljahre auf den Tag gezahlt worden. Durch Nebenpräsente und Lehrstunden habe die Haushaltung gut bestehen können.

Allein bald wandte sich das Blatt mehr und mehr, und leider zum Theil durch die in dem Sohne wiedererstandene Schwäche der Mutter. „Die nothwendigsten Artikel, wie Hausmiethe, Bäcker, Schneider, müßten am ersten bezahlt werden, aber Trinkschulden würde sie nimmer zahlen,“ hörten Fischer’s die Frau van Beethoven sagen. Dazu kamen bald noch mehrere Kinder, und obwohl sie eine „gute häusliche Frau“ war, trat bittere Noth ein. „Sehr arm, von ziemlicher Aufführung,“ heißt es von Johann van Beethoven in einem Promemoria über die kurfürstliche Hofmusik vom Jahre 1784. „Denn was ist Heirathen? Ein wenig Freud’, aber nachher eine Kette von Leiden,“ meinte seine arme Frau einmal, wie Cäcilia Fischer berichtet. Die Erinnerung einer andern Frau aber besagt, daß eine große Unordnung in der Familie geherrscht habe.

„Jene feine Leinwand, die sich durch einen Ring ziehen ließ, wanderte ein Stück nach dem andern aus dem Hause; selbst das schöne große Portrait, worauf der Vater mit der Troddelmütze auf dem Haupt abgebildet war, kam zum Trödler,“ sagt ein Bericht vom Jahre 1838, und wenn letzteres auch nur vom Pfandverleiher gelten kann, so erinnerte sich doch die Fischer, daß der Vater nach dem Tode seiner Frau ihre Garderobe an die Trödler verkaufte, wodurch sie auf den Markt zur Ausstellung kam: „Cäcilia ging über den Markt und sah die schönen Kleider, die ihr bekannt schienen; sie fragte und erhielt die Antwort: ‚Von der verstorbenen Madame van Beethoven.’ Sie wurde sehr traurig und brachte ihren Eltern die Nachricht.“ Nun begreifen wir, warum eine alte sichere Ueberlieferung die Mutter „eine stille, leidende Frau“ nennt, aber auch, warum der Vater als „nur streng“ bezeichnet wird und, wie bekannt ist, seinen ältesten Sohn Ludwig mit Unerbittlichkeit an’s Clavier fesselte. Er sollte ein „Wunderkind“ wie der kleine Mozart werden, der zehn Jahre zuvor auch in Bonn gewesen war, und sollte der Familie Brod schaffen helfen.

Das war mindestens schon von 1776 an, wo Beethoven im sechsten Lebensjahre stand. „Cäcilie Fischer sieht ihn noch, wie er als ein kleiner Bube auf einem Bänkchen vor dem Clavier stand, woran die unerbittliche Strenge seines Vaters ihn schon so früh fesselte,“ sagt jener Bericht vom Jahre 1838, und ein anderer Augenzeuge hatte dabei „den kleinen Louis Thränen vergießen sehen“. Im Jahre 1775 oder 1776 aber waren Beethovens in die ehemalige Wohnung des alten Hofcapellmeisters gezogen, und jetzt hing eben, so lange es noch da war, das Gemälde in dem Staatszimmer, wo zuverlässig auch wieder das Clavier stand. Mit welchen Gefühlen mußte der heranwachsende Knabe sich in den Anblick des Bildes vertiefen!

Von diesem Zimmer erzählt nun noch weiter unsere Handschrift Folgendes: „Alljährlich am Magdalenentag wurde der Namens- und Geburtstag der Madame van Beethoven herrlich gefeiert. Dann wurden die Notenpulte herbeigebracht und in beide Zimmer nach der Straße rechts und links gesetzt und ein Baldachin auf das Zimmer gemacht, wo der Großvater Ludwig van Beethoven im Porträt hing, mit schönen Verzierungen, Blumen-, Lorbeerbäumchen und Laubwerk verfertigt. Am Abend vorher wurde Madame van Beethoven bei Zeiten gebeten schlafen zu gehen; bis zehn Uhr war Alles in der größten Stille herbeigekommen und fertig. Nun fing das Stimmen an, dann wurde Madame van Beethoven aufgeweckt, mußte sich anziehen, und nun wurde sie unter den Baldachin auf einen schönen verzierten Sessel geführt und hingesetzt. Nun fing eine herrliche Musik an; die erscholl in der ganzen Nachbarschaft, Alles was sich zum Schlafengehen eingerichtet hatte, wurde munter und heiter. Nachdem die Musik geendigt, wurde aufgetischt, gegessen und getrunken, und wenn nun die Köpfe etwas toll geworden und Lust hatten zu tanzen, dann wurden, um im Hause keinen Tumult zu machen, die Schuhe ausgezogen und auf den bloßen Strümpfen getanzt und das Ganze so geendigt und beschlossen.“

Das waren noch schöne Tage, und doppelt schön, weil der Stifter der Familie in Bonn, der Großvater, im Bilde auf sie herab sah, im gleichen Zimmer, wo er einst gewohnt hatte, in den gleichen Tagen, wo er geboren und gestorben war; denn Frau van Beethoven’s Geburtstag war der 20. December. Wie mußten da aus dem Baldachin hervor die „ernsthaften Augen“, von denen die Fischer’sche Handschrift spricht, den Anwesenden lebendig werden und leuchten! Zudem galt damals noch, was dort ebenfalls von Beethoven’s Vater steht: „Er war zu rechter Zeit ein guter Weintrinker; dann war er munter und fröhlich, hatte Alles genug; er hatte keinen bösen Trunk an sich.“ Im Jahre 1787 aber starb die Mutter: Kummer und Sorge hatten lange Krankheit und diese die Auszehrung herbeigeführt. Der älteste Sohn hatte sehr gegen seine Neigung von Wien, wo er seine letzte Ausbildung bei Mozart suchte, vor der erreichten Absicht zurückkehren müssen. „Sie war mir eine so gute liebenswürdige Mutter, meine beste Freundin,“ heißt es in dem ersten Briefe Beethoven’s, der uns erhalten geblieben ist. „O wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen Mutter aussprechen konnte! Und es wurde gehört, und wem kann ich ihn jetzt sagen? Den stummen, ihr ähnlichen Bildern, die mir meine Einbildungskraft zusammensetzt? Das Schicksal hier in Bonn ist mir nicht günstig.“

Was bisher schon Ehrensache gewesen, etwas Rechtes aus sich zu machen und seiner Familie aufzuhelfen, es wurde jetzt Pflicht, heiße Pflicht. Kam es doch bald so weit, daß er das Haupt der Familie spielen, nein ganz und gar thatsächlich darstellen mußte!

„Die Knaben von Herrn Johann van Beethoven, Ludwig, Caspar und Nicola, waren sehr auf die Ehre ihrer Eltern bedacht. Wenn ihr Papa bei Gelegenheit in Gesellschaft, was nicht oft geschah, ein wenig zu viel getrunken hatte und seine Söhne hörten das, so waren sie alle drei gleich da und suchten ihren Papa auf die feinste Art, daß es nur kein Aufsehen gäbe, still nach Hause zu begleiten, indem sie ihm schmeichelten: O, Papächen, Papächen! Er ließ sich dann auch sagen,“ so berichtet die Fischer’sche Handschrift. Ludwig hatte die Ehre der Familie aber auch größer gefaßt. Sein Fleiß hatte ihm schon mit elf Jahren factisch die Anstellung als Vicar des Hoforganisten gebracht, und ein paar Jahre darauf wurde er auch selbst Hoforganist und als solcher besoldet. Ja, von mancherlei Compositionsversuchen wissen wir aus solch frühen Knabenjahren. Und noch in der Fischer’schen Wohnung, die in dieser Knabenzeit Beethoven’s verlassen wurde, hörten die [616] beiden Bäckerskinder Johann van Beethoven selbst sagen: „Mein Sohn Ludwig, daran habe ich jetzt meine einzige Freude; er nimmt in der Musik so zu; er wird von Allen mit Bewunderung angesehen. Mein Ludwig, mein Ludwig, ich sehe ein, er wird mit der Zeit ein großer Mann in der Welt werden. Die hier versammelt sind und es noch erleben, gedenken sie an mein Wort!“ Und er konnte dies beurtheilen, denn er selbst war nach Beethoven’s eigenem Bericht ein „guter Musiker“. Leider aber sollte auch er selbst jetzt einstweilen ein großes Hemmniß in dieser künstlerischen oder vielmehr technischen Entwickelung des Sohnes werden, indem er ihm die Pflichten auflud, die er persönlich zu erfüllen gehabt hätte, und ihn so in der Ausbildung als Componist hinderte.

„Johann van Beethoven behauptete sein Amt pünktlich,“ heißt es noch in der Handschrift. Ein Jugendfreund Beethoven’s aber sah einmal, wie dieser seinen betrunkenen Vater zornig und gewaltsam aus den Händen eines Polizeibeamten befreite. Schon bei dem Tode der Mutter mußte ein College bei der Capelle die sehr bedürftige Familie auf jede Art thätig unterstützen, und der Vater selbst bittet kurz zuvor, da er sich mit seiner kranken Frau und vielen Kindern nicht mehr zu helfen wisse, bei dem Kurfürsten Max Franz um Unterstützung. Die Verwirrung steigt; der Vater versinkt stets mehr in seine traurige Schwäche; es bleibt dem Sohne, der ohnehin schon die Kosten des Haushaltes mit zu bestreiten hatte, nichts übrig, als mit einem kühnen männlichen Schritte sich selbst zum Haupte der Familie zu machen. Ich habe schon vor Jahren im ersten Bande von „Beethoven’s Leben“ das Schriftstück veröffentlicht, worin dem noch nicht Neunzehnjährigen vom Kurfürsten die Bitte gewährt wird, daß sein Vater von seinen Diensten gänzlich dispensirt und die Hälfte seines Gehaltes, das jetzt 600 Mark betrug, ihm selbst zur Erziehung seiner beiden Brüder und zur Tilgung der Schulden gereicht werde.

Die gute Absicht blieb leider trotz der Ausstellung dieses Decrets unerreicht. Der Vater hatte aus Schamgefühl innigst gebeten, jenes Decret doch nicht bei der Casse zu präsentiren, „um nicht öffentlich dafür angesehen zu werden, als sei er unfähig, seiner Familie selbst vorzustehen“. Nach seinem Tode, im December 1792 aber wurde der Sohn, wie er selbst in einem ebenfalls in meinem Leben Beethoven’s veröffentlichten Documente sagt, „mit Schröcken gewahr, daß sein Vater solches unterschlagen habe“.

Es ist ein schönes Zeugniß für den Charakter Beethoven’s, und wohl auch für den Geist der Familie im Allgemeinen, daß Beethoven trotz der Schwächen des Vaters ihm eine pietätvolle Erinnerung bewahrte. Sicherlich trug dazu bei, daß in seinem Gedächtniß die ehrwürdige Gestalt des Großvaters so befriedigend und versöhnend neben jenem stand. „Von seinen Eltern sprach er mit vieler Liebe und Achtung, besonders nannte er seinen Großvater einen Ehrenmann“, dieses Wort, dem unser Motto entstammt, ist aus den Jahren, wo Beethoven bereits auf seiner Höhe stand und Weltruhm genoß, aus der Zeit nach dem Wiener Congreß von 1814.

Im Geist des Großvaters die Ehre der Familie wieder unverdüstert, ja unvergleichlich glänzender herzustellen, verblieb jetzt das Ziel des von früher Jugend an hochstrebenden Enkels, und wie Welt weiß, wie ihm das gelungen ist. „Man konnte nicht sagen, daß Ludwig ehemals viel auf Cameraden oder Gesellschaft hielt. Nun gar, wenn er über Musik nachdenken oder sich allein beschäftigen mußte, nahm er eine ganz andere Fassung an, wurde sehr auf seinen Respect. Das waren ihm wie glücklichsten Stunden, wenn er von aller Gesellschaft befreit war, wenn die Seinigen alle heraus waren und er sich allein befand,“ so sagt unsere Quelle. Einmal sah ihn Cäcilia Fischer morgens früh im Fenster seines Schlafzimmers nach dem Hofe zu liegen, den Kopf in beide Hände gelegt und ganz ernsthaft aussehend. Sie ging über den Hof und rief ihn an, erhielt aber keine Antwort. Nachher sagte er auf ihre Frage: „Entschuldige mich, ich war da gerade in einem so schönen tiefen Gedanken beschäftigt, daß ich mich gar nicht stören lassen konnte.“ Diese Gedanken umfaßten schon damals, gleich Schiller’s „Seid umschlungen Millionen“, das ihm bereits zur Composition am Herzen lag, die Wonnen und Leiden der Menschheit. „Ich danke Ihnen für Ihren Rath, den Sie mir sehr oft bei dem Weiterkommen in meiner göttlichen Kunst ertheilten,“ schreibt er als Zweiundzwanzigjähriger an seinen Lehrer Christian Neefe. „Werde ich einst ein großer Mann, so haben auch Sie Theil daran.“