Die Baumwollenspinnerei u. Bleiche von Becker und Schraps in Chemnitz

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Autor: Diverse
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Titel: Die Baumwollenspinnerei u. Bleiche von Becker und Schraps in Chemnitz
Untertitel:
aus: Album der Sächsischen Industrie Band 1, in: Album der Sächsischen Industrie. Band 1, Seite 115–117
Herausgeber: Louis Oeser
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Louis Oeser
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Erscheinungsort: Neusalza
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Quelle: Commons und SLUB Dresden
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Baumwollenspinnerei und Bleiche von Becker u. Schraps in Chemnitz.

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Die Baumwollenspinnerei u. Bleiche von Becker und Schraps in Chemnitz.
(Mit Abbildung.)


Chemnitz Umgebungen bieten manche herrliche Punkte, welche mit allen Reizen der Natur geschmückt sind; zu den reizendsten Parthieen aber gehört jenes südwestlich von der Stadt sich hinziehende Thal, welches auf der einen Seite durch sanft aufsteigende Höhen und auf der anderen durch steilere, grünbelaubte Abhänge gebildet und von der Chemnitz in mannichfachen Windungen durchströmt wird. Doch auch hier fehlt es nicht an Erinnerungen, daß die Metropole der sächsischen Industrie in der Nähe ist und diese Gegend zu den betriebsamsten nicht nur des sächsischen Vaterlandes, sondern auch Deutschlands gehört. An dem anmuthigsten Punkte dieses Thals, mit Alt-Chemnitz gränzend, liegt das von Chemnitz und der Umgegend aus vielbesuchte Sachsensruhe mit seinen wenigen Gebäuden, unter denen das palastartig emporsteigende Hauptgebäude der Baumwollenspinnerei und Bleiche von Becker und Schraps schon in der Entfernung in die Augen fällt und einen romantischen Eindruck hervorbringt.

Der umfangreiche, von den so oft industriellen Zwecken dienstbaren Gewässern der Chemnitz bespülte Gebäudecomplex dieses Etablissements liegt zwar schon auf altchemnitzer Gebiet, gehört aber zu der Stadt Chemnitz und besteht aus

einem Hauptgebäude von fünf Etagen Höhe, mit Thürmchen und Thurmuhr geschmückt. In diesem Gebäude wird die Baumwollenspinnerei mit 10,500 Spindeln betrieben, auch befindet sich hier das Comptoir und die Wohnung des Dirigenten der Spinnerei;
einem Bleichhause;
einem Wollwaschhause;
einigen anderen Nebengebäuden, zu verschiedenen, sowohl der Spinnerei als der Bleicherei dienenden Zwecken, und
einem ansehnlichen Wohngebäude mit dazu gehörigen Scheunen, Schuppen und Pferdeställen.

Zu diesen Gebäuden gehören noch Gärten, Wiesen und mehrere Feldgrundstücke.

Als Branchen umfaßt das Etablissement die Baumwollenspinnerei und Bleicherei. Die Spinnerei erzeugt gute Webergarne in den Nummern von 30 bis 50, hauptsächlich aber Schuß Nr. 3.

Diese Gespinnste finden ihren Absatz durch ganz Deutschland, vorzüglich aber in die Lausitz, das Vogtland und nach Baiern.

Das ganze Werk consumirt 40–50 Pferdekraft; hauptsächlich Wasserkraft, mit Reserve-Dampfkraft.

Beschäftigt sind hier fortwährend 140–150 Personen, verschiedenen Geschlechts und verschiedenen Alters, an deren Spitze ein Director steht, gegenwärtig Herr Looß.

Zu diesem Etablissement gehört noch eine in der Stadt gelegene Druckerei unter gleicher Firma, auf welche wir später ausführlicher zurückkommen werden.

Besitzer dieses Etablissements sind die Herren Dörstling und Kirchner.

Diese Spinnerei wurde 1811 von dem um Chemnitz sich verdient gemachten Herrn Christian Gottfried Becker gegründet und ist in ihrer Entstehung eines der ältesten derartigen Etablissements Sachsens.

[116] Nach des Gründers 1820 erfolgtem Tode wurde das Etablissement bis heute unter der früheren Firma fortgeführt, ob auch mehrmals Besitzwechsel stattfanden. Während ihres Bestehens hat sich die Spinnerei nur in so fern verändert, als die Maschinen des alten Systems nach und nach außer Thätigkeit gesetzt und mit anderen von neuester Construction vertauscht wurden. Verhältnißmäßig zeitig wurde auch die Reserve-Dampfkraft angewendet.




Wir haben in vorstehendem Artikel die Schöpfung eines um die Industrie, besonders um die der Stadt Chemnitz hochverdienten Mannes besprochen, eines Mannes, dessen Name heute noch mit hoher Verehrung von jedem Munde ausgesprochen wird und dessen sich noch Viele dankbaren Herzens erinnern, nicht nur wegen seiner großen Verdienste um die Industrie, sondern auch wegen seiner seltenen Menschenfreundlichkeit und der edlen Gesinnung, welche ihn beseelte. Der Name dieses Mannes ist

Christian Gottfried Becker,

über welchen, als eine der bedeutendsten industriellen Persönlichkeiten, uns vergönnt sei, einige Worte zu sprechen und eine kurze Schilderung seines Lebens zu geben.

Christian Gottfried Becker war zu Ober-Lichtenau in der Ober-Lausitz am 2. Septbr. 1771 geboren. Sein Vater war Pfarrer daselbst und kam in der Folge nach Mittweida, wo er als Pastor und Ephorieadjunkt 1793 starb.

Becker erhielt in dem Hause seines würdigen Vaters musterhafte Erziehung, welche sowohl auf die Ausbildung der reichen Geistesgaben des Knaben, als auch auf die seines Herzens berechnet war und die reichsten Früchte trug. Frühzeitig schon gab sich jener einfache, innige, von aller Frömmelei entfernte religiöse Sinn zu erkennen, welchen Becker durch sein ganzes Leben treu bewahrte.

Dem Vater würde es wohl lieber gewesen sein, wenn der begabte Sohn in seine Fußtapfen getreten wäre und die Theologie zu seinem Lebensberuf gewählt hätte, doch mochte er der vorzugsweise dem Handel und der Industrie sich zuwendenden Neigung des Sohnes keinen Zwang anlegen und sandte ihn nach Dresden zur Erlernung der Kaufmannschaft. Die Versetzung seines Vaters mochte vielleicht eine Hauptursache sein, daß der mit zärtlicher Liebe an seinen Eltern hängende Sohn eine Stellung in jener Gegend suchte und so kam er auf vielseitige Empfehlung zu Anfang der neunziger Jahre als Handlungsdiener eines angesehenen Hauses nach Chemnitz.

Damals war es, wo die Chemnitzer Weberei und Cottonerie, nachdem sie längere Zeit auf die empfindlichste Weise niedergedrückt gewesen, neuen und so erfreulichen Aufschwung nahm, daß die Bewohnerzahl der Stadt sich fast verdoppelte und die Stadt selbst durch neuen Anbau – z. B. der Vorstadt Aue – vergrößert werden mußte. Auch Becker richtete jetzt seine Augen mit lebhaftem Interesse auf diesen Industriezweig und er errichtete bald darauf ein eigenes Geschäft in einer Compagniehandlung von baumwollenen und halbseidenen Waaren, welchem er durch seine umsichtige Thätigkeit schnell eine bedeutende Stellung verschaffte.

Nach fünf Jahren wandte sich Beckers Unternehmungsgeist ausschließlich der Kattundruckerei zu, und dem, was dieser förderlich sein konnte. Er errichtete selbst eine Fabrik und eilte mit rastloser Thätigkeit in seinem Etablissement von Fortschritt zu Fortschritt; glückliche Erfolge lohnten seinen Fleiß. Im Jahr 1804 entstand ein zu seiner Fabrik nöthiges großes Druckgebäude, zwei Jahre später ließ er ein [117] zweites Druckhaus, ein Trockenhaus und ein Wohnhaus bauen, denen im Jahre 1807 ein neues Färbehaus folgte.

Napoleons Continentalsperre brachte der Chemnitzer Industrie bei manchen drückenden und angstvollen Vorfällen ungemeinen Nutzen. Beckers Geschäft erlangte verhältnißmäßig einen enormen Umfang. Ein Personal von tausend Menschen arbeitete gewöhnlich in seinen Fabriken, zu welchen 1811 noch die an der Chemnitz gelegene Spinnerei kam. Schließt man die von Becker beschäftigten Weber in der Stadt und Umgegend mit ein, so erwarben zu der Zeit der höchsten Blüthe seines Geschäfts 2500 Arbeiter ihren Unterhalt unmittelbar bei ihm.

Becker war nicht nur ein Talent, sondern ein Genie: er wußte die Mittel zum Gelingen eines Unternehmens an den entferntesten Punkten mit sicherem Blick zu entdecken und zu benutzen, die dem Gesichtskreise tausend Anderer entrückt blieben; aus scheinbar unbedeutenden Umständen, welche von der großen Masse als ganz werthlos unbeachtet blieben, wußte er die größten und überraschendsten Erfolge zu erzielen. Dabei war sein Eifer, seine Rastlosigkeit fast ohne Beispiel. Um die Stunde der Mitternacht verließ Becker oft sein Lager, um die Ausführung eines Unternehmens zu beginnen, unermüdlich arbeitete er dann, und kein Hinderniß, dessen Beseitigung im Bereiche menschlicher Kraft lag, konnte ihn abschrecken, oder auch nur zu kurzem Stillestand auf dem betretenen Wege veranlassen.

Dabei war Becker ein warmer Freund der Wissenschaften und Künste, unterstützte eine Menge der hiesigen Lyceisten und ließ mehrere von ihnen, die sich durch Anlagen, Fleiß und gutes Betragen einer solchen Unterstützung werth machten, auf seine Kosten studiren. Becker hatte das edelste und gefühlvollste Herz und es war sein Stolz, durch Wohlthätigkeit gemeinnützig zu werden.

Die Zeit, in welcher der edle Mann lebte, gab seinem Wohlthätigkeitssinn reichliche Gelegenheit, sich zu bewähren. In den Kriegsjahren 1813 und 14, wo Sachsen so viel Leiden erdulden mußte, gab es manche Wunde zu heilen, manche Thränen zu trocknen und manches Elend zu lindern; und Becker ermüdete nicht in diesem schönen Bestreben. In den Theuerungsjahren 1816 und 17 verband er sich mit dem Handlungshause Preußer u. Comp., dessen Chef von gleich edler Gesinnung beseelt war, zur Bildung eines patriotischen Hilfsvereins. Er schaffte damals Getreide aus Polen herbei, er reiste zu dessen Ankauf selbst dorthin. Es wurde ein Kornverein gebildet und eine Backanstalt errichtet und überhaupt Alles gethan, der herrschenden Noth Schranken zu setzen. In Beckers Fabriken allein erhielten siebenzig Kinder von Februar bis Oktober 1817 alle Tage reichliche Speise, und in seinem eigenen Wohnhause wurden in eben diesem Jahr vier Monate hindurch täglich gegen zweihundert Arme mit Essen versehen. Die Backanstalt bestand nahe an zwei Jahre.

Einfach in seinem Aeußeren, wie in seinen Sitten, aufrichtig, bieder, war Becker von Herzen aller Verstellung und Falschheit Feind und sprach stets ohne Umschweife, wie er dachte. Heimlichthun und Flüstern in seiner Nähe war ihm unausstehlich.

Becker schloß sein thatenreiches, arbeitsvolles Leben am 23. Oktober 1820. Er war unverheirathet geblieben; aber sechs elternlosen Waisen, drei Knaben und drei Mädchen, die er im Jahr 1814 als Opfer damaliger Kriegsnoth persönlich aus Naumburg abgeholt hatte, wurde er im eigentlichsten Sinne Vater. Dem öffentlichen Besten widmete er in seinem Testamente mehrere Legate.

Auf seinem letzten Krankenlager äußerte Becker: „Ich komme mir vor, wie ein müder Wanderer, der sich nach der Herberge sehnt, sie aber nicht finden und erreichen kann.“ Ein andres Mal sagte er: „Ich denke mich als einen Gast, der in eine große, glänzende Gesellschaft geladen ist, aber nicht reich, nicht anständig genug gekleidet ist, um mit ihnen zu erscheinen. Der Herr des Gastmahls wird mich aber deshalb nicht verstoßen, sondern auf meinen guten Willen sehen.“