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zweites Druckhaus, ein Trockenhaus und ein Wohnhaus bauen, denen im Jahre 1807 ein neues Färbehaus folgte.

Napoleons Continentalsperre brachte der Chemnitzer Industrie bei manchen drückenden und angstvollen Vorfällen ungemeinen Nutzen. Beckers Geschäft erlangte verhältnißmäßig einen enormen Umfang. Ein Personal von tausend Menschen arbeitete gewöhnlich in seinen Fabriken, zu welchen 1811 noch die an der Chemnitz gelegene Spinnerei kam. Schließt man die von Becker beschäftigten Weber in der Stadt und Umgegend mit ein, so erwarben zu der Zeit der höchsten Blüthe seines Geschäfts 2500 Arbeiter ihren Unterhalt unmittelbar bei ihm.

Becker war nicht nur ein Talent, sondern ein Genie: er wußte die Mittel zum Gelingen eines Unternehmens an den entferntesten Punkten mit sicherem Blick zu entdecken und zu benutzen, die dem Gesichtskreise tausend Anderer entrückt blieben; aus scheinbar unbedeutenden Umständen, welche von der großen Masse als ganz werthlos unbeachtet blieben, wußte er die größten und überraschendsten Erfolge zu erzielen. Dabei war sein Eifer, seine Rastlosigkeit fast ohne Beispiel. Um die Stunde der Mitternacht verließ Becker oft sein Lager, um die Ausführung eines Unternehmens zu beginnen, unermüdlich arbeitete er dann, und kein Hinderniß, dessen Beseitigung im Bereiche menschlicher Kraft lag, konnte ihn abschrecken, oder auch nur zu kurzem Stillestand auf dem betretenen Wege veranlassen.

Dabei war Becker ein warmer Freund der Wissenschaften und Künste, unterstützte eine Menge der hiesigen Lyceisten und ließ mehrere von ihnen, die sich durch Anlagen, Fleiß und gutes Betragen einer solchen Unterstützung werth machten, auf seine Kosten studiren. Becker hatte das edelste und gefühlvollste Herz und es war sein Stolz, durch Wohlthätigkeit gemeinnützig zu werden.

Die Zeit, in welcher der edle Mann lebte, gab seinem Wohlthätigkeitssinn reichliche Gelegenheit, sich zu bewähren. In den Kriegsjahren 1813 und 14, wo Sachsen so viel Leiden erdulden mußte, gab es manche Wunde zu heilen, manche Thränen zu trocknen und manches Elend zu lindern; und Becker ermüdete nicht in diesem schönen Bestreben. In den Theuerungsjahren 1816 und 17 verband er sich mit dem Handlungshause Preußer u. Comp., dessen Chef von gleich edler Gesinnung beseelt war, zur Bildung eines patriotischen Hilfsvereins. Er schaffte damals Getreide aus Polen herbei, er reiste zu dessen Ankauf selbst dorthin. Es wurde ein Kornverein gebildet und eine Backanstalt errichtet und überhaupt Alles gethan, der herrschenden Noth Schranken zu setzen. In Beckers Fabriken allein erhielten siebenzig Kinder von Februar bis Oktober 1817 alle Tage reichliche Speise, und in seinem eigenen Wohnhause wurden in eben diesem Jahr vier Monate hindurch täglich gegen zweihundert Arme mit Essen versehen. Die Backanstalt bestand nahe an zwei Jahre.

Einfach in seinem Aeußeren, wie in seinen Sitten, aufrichtig, bieder, war Becker von Herzen aller Verstellung und Falschheit Feind und sprach stets ohne Umschweife, wie er dachte. Heimlichthun und Flüstern in seiner Nähe war ihm unausstehlich.

Becker schloß sein thatenreiches, arbeitsvolles Leben am 23. Oktober 1820. Er war unverheirathet geblieben; aber sechs elternlosen Waisen, drei Knaben und drei Mädchen, die er im Jahr 1814 als Opfer damaliger Kriegsnoth persönlich aus Naumburg abgeholt hatte, wurde er im eigentlichsten Sinne Vater. Dem öffentlichen Besten widmete er in seinem Testamente mehrere Legate.

Auf seinem letzten Krankenlager äußerte Becker: „Ich komme mir vor, wie ein müder Wanderer, der sich nach der Herberge sehnt, sie aber nicht finden und erreichen kann.“ Ein andres Mal sagte er: „Ich denke mich als einen Gast, der in eine große, glänzende Gesellschaft geladen ist, aber nicht reich, nicht anständig genug gekleidet ist, um mit ihnen zu erscheinen. Der Herr des Gastmahls wird mich aber deshalb nicht verstoßen, sondern auf meinen guten Willen sehen.“



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Diverse: Album der Sächsischen Industrie Band 1. Louis Oeser, Neusalza 1856, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_S%C3%A4chsischen_Industrie_Band_1.pdf/229&oldid=- (Version vom 9.3.2019)