Textdaten
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Autor: Adolf Loos
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Titel: Die Abschaffung der Möbel
Untertitel:
aus: Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, herausgegeben von Franz Glück, Wien, München: Herold 1962, S. 388–390
Herausgeber: Franz Glück
Auflage:
Entstehungsdatum: 1924
Erscheinungsdatum: 1962
Verlag: Herold
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Erscheinungsort: Wien
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Originalherkunft: Erstdruck unbekannt.
Quelle: PDF bei Commons
Kurzbeschreibung:
Loos pflegte eine Kleinschreibung (außer bei Satzanfängen und Namen) auch bei seinen Titeln, wie den Inhaltsverzeichnissen zu entnehmen ist (im Buch selbst sind die Titel in Versalien gesetzt). Um Irritationen zu vermeiden, werden die Titel in der gewohnten Groß-Kleinschreibung gegeben
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[388]
DIE ABSCHAFFUNG DER MÖBEL
(1924)

Liebe freunde, ich will euch ein geheimnis verraten: Es gibt keine modernen möbel!

Oder, um es präziser zu sagen: nur die möbel, die mobil sind, können modern sein. Alle möbel, die festgebannt an der wand stehen, also nicht mobil und, wie schon aus dem namen hervorgeht, daher keine richtigen möbel sind: truhe und schrank, glaskasten und büfett, gibt es heute überhaupt nicht mehr. Man wußte das nicht. Und daraus entstanden alle fehler. Man sagte sich, daß doch schränke und büfetts zu jeder zeit modern gemacht, zeitgemäß erdacht worden seien und daß man daher die aufgabe habe, diese dinge auch heute zeitgemäß zu schaffen. Das war ein denkfehler. Denn, da es heute überhaupt keine schränke mehr gibt, können auch keine modernen entstehen. Diese nicht mobilen möbel sind aufbewahrungsmöbel. Im büfett wurde das porzellan, im schrank wurden die kleider aufbewahrt. Solche aufbewahrungsmöbel waren anzeichen vornehmer lebensführung. Der reichtum der familie wurde durch truhen und kasten dem besucher unter die nase gerieben. So ein büfett beherbergte den ganzen glas-, porzellan- und silbervorrat der wohnungsbesitzer. Es war herrlich! Ein hochaltar prangte an der besten stelle des speisezimmers, und im allerheiligsten, im tabernakel standen die schnapsgläser. Ich sagte meinen schülern immer: je ordinärer die familie, desto reicher und größer das büfett. Bei kaisern gibts freilich überhaupt keines!

Die unmoderne hausfrau fragt nun ängstlich, wohin sie denn alle diese dinge tun solle. Aber auf dem wege [389] von der küche ins speisezimmer gibt es eine menge leere wandflächen, fensterparapete und nischen, die, mit weichen holztüren abgeschlossen, eine viel praktischere möglichkeit für die aufbewahrung von glas und porzellan bieten als das tiefe büfett. Gläser und teller sollen nicht hintereinander aufbewahrt werden.

Noch unmoderner ist die aufbewahrung der kleider in schränken, die als prunk- und prachtstücke im zimmer aufgestellt werden. Man bedenke: Ein schrank ist doch nichts anderes als etwa ein etui für ein wertvolles schmuckstück. Nun vergegenwärtige man sich die dissonanz, die zwischen dem aufbewahrungsort – dem schrank – und unseren modernen kleidern besteht. Der schrank ist geschnitzt und intarsiert, die kleider sind einfach. Zwischen dem armoire des französischen höflings und seinen kleidungsstücken mit brillantknöpfen bestand doch eine verwandtschaft; es gehörte zum geist jener zeit, mit kasten und schränken zu prunken und durch den reichtum des schrankes auf den kostbaren inhalt schließen zu lassen. Aber, hand aufs herz, meine freunde, empfindet ihr nicht ein solches gebaren für den menschen von heute als eine schamlosigkeit?!

Auch die architekten, ich meine die modernen architekten, sollten menschen von heute sein, also moderne menschen. Die herstellung der mobilen möbel überlasse man dem tischler und dem tapezierer. Die machen herrliche möbel. Möbel, die so modern sind wie unsere schuhe und unsere kleider, unsere lederkoffer und unsere automobile. Ach, man kann freilich nicht mit seiner hose protzen und sagen: die ist aus dem weimarer bauhaus!

Die unmodernen menschen sind heute in einer verschwindenden minderzahl. Es sind zumeist architekten. [390] Auf kunstgewerbeschulen werden sie künstlich gezüchtet. Es ist zwar ein komisches beginnen, in unseren tagen menschen auf das niveau vergangener zeiten bringen zu wollen. Aber man kann darüber nicht lachen; es hat viel unheil im gefolge gehabt.

Was hat der wahrhaft moderne architekt zu tun?

Er hat häuser zu bauen, in denen alle möbel, die nicht mobil sind, in den wänden verschwinden. Gleichviel, ob er neu baut oder nur einrichtet.

Wären die architekten immer moderne menschen gewesen, so wären alle häuser schon mit wandschränken versehen. Der englische wandschrank ist jahrhunderte alt. Frankreich baute seine bürgerlichen häuser bis in die siebziger jahre des neunzehnten jahrhunderts mit wandschränken. Aber die falsche neubelebung der schrankarchitektur hat diese moderne errungenschaft verkümmern lassen, und heute baut man selbst in Paris nur häuser ohne wandschränke.

Das messingbett, das eisenbett, tisch und stühle, polstersessel und gelegenheitssitze, schreibtisch und rauchtischchen – alles dinge, die von unseren handwerkern (nie von architekten!) modern erzeugt werden – möge sich jeder nach wunsch, geschmack und neigung selbst besorgen. Alles paßt zu allem, weil alles modern ist (so wie meine schuhe zu meinem anzug, zu meinem hut, zu meiner krawatte und zu meinem schirm passen, obwohl sich die handwerker, die sie machen, gar nicht kennen).

Die wände eines hauses gehören dem architekten. Hier kann er frei schalten. Und wie die wände auch die möbel, die nicht mobil sind. Sie dürfen nicht als möbel wirken. Sie sind teile einer wand und führen nicht das eigenleben der unmodernen prunkschränke.