Textdaten
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Autor: Ludmilla Assing
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Titel: Dichter und Agitator
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 297–300
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[297]

Dichter und Agitator.

Von Ludmilla Assing.

Der noch vor wenigen Jahren namentlich in Deutschland vielfach verbreitete Irrthum, daß Italien nur ein Land der Vergangenheit, ein „Land der Todten“ sei, beginnt nachgerade zu schwinden; die Ereignisse der letztern Zeit haben uns überzeugt, daß jenseits der Alpen noch frisches Leben pulsirt und daß man auf allen Gebieten des menschlichen Strebens sich dort wacker regt und fortschreitet. So besonders auch auf dem Felde der nationalen Dichtung, aus welchem wir Namen begegnen, deren Ruhm längst die Alpen überschritten hat. Einer der ausgezeichnetsten und geschätztesten dieser Poeten des jungen Italiens ist Francesco dall’ Ongaro; er ist auch in Deutschland bereits bekannt und viele seiner Lieder sind in fremde Sprachen übersetzt worden. So wird es vielleicht den deutschen Lesern nicht unwillkommen sein, in Nachfolgendem eine Lebensskizze des Dichters zu empfangen, die aus verschiedenen Quellen und aus mündlichen Mittheilungen dall’ Ongaro’s selbst zusammengestellt ist.

Von unbemittelten Eltern in den Bergen des Friaul 1808 geboren ward Francesco dall’ Ongaro, der frühzeitig einen aufgeweckten Sinn und eine hervorragende Begabung zeigte, für die Kirche bestimmt. Als er elf Jahre alt war, zogen seine Eltern mit ihm nach Venedig, und dort wurde er in dem Seminar der Madonna della Salute zum geistlichen Stand erzogen. Das Studium der Literatur und Philosophie, das sich ihm dort darbot, zog ihn an, aber im Uebrigen paßte gewiß Niemand weniger in jene kalten, feuchten Mauern, in welche selten ein Sonnenstrahl eindringt als er, dessen heller, lichtverbreitender Geist sich früh schon nach anderen Bahnen sehnte. Von dem Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit erfüllt, mußte er sich unglücklich fühlen unter dem Druck einer strengen Disciplin, eines freudlosen Daseins. Aber einen Sonnenstrahl konnten seine frommen Vorgesetzten ihm nicht rauben, den Sonnenstrahl der Poesie! Er machte Verse für die jugendlichen Straßensänger, die mit der Guitarre im Arm vor den Kaffeehäusern und auf der Piazzetta von Venedig ihre Lieder vortragen. So wurden seine ersten Dichtungen schon durch den Mund des Volkes gesungen und verbreitet. Damals ahnten die strengen Vater der Anstalt nicht, daß sie in ihrem eigenen Schooße, unter der Schaar jener schwarzgekleideten, trübsinnigen Zöglinge, welche das Volk in Venedig die „Raben“ zu nennen pflegt, sich einen zukünftigen unerbittlichen Gegner aufzogen.

Dall’ Ongaro war dreizehn Jahre alt, als auf der Piazzetta von Venedig dem unglücklichen Silvio Pellico und seinen Gefährten das Todesurtheil vorgelesen wurde, das die österreichische Regierung dann in lebenslängliches Gefängniß auf dem Spielberg umwandelte. Unzweifelhaft ist, daß diese Scene auf den jungen Francesco einen tiefen Eindruck machte und mit dazu beitrug, jenen begeisterten Patriotismus in ihm zu entzünden, den er sein ganzes späteres Leben hindurch bewährte.

Später auf die Universität Padua geschickt, begann er durch [298] mehrere seiner Gedichte, die ohne sein Wissen veröffentlicht wurden, gerechtes Aufsehen zu erregen. Zwar schlugen diese Gedichte noch keinen politischen Ton an, allein die geistlichen Behörden fingen doch an bedenklich zu werden und gestanden ihm erst nach längerm Zögern die Aufnahme in den Priesterstand zu.

Nach empfangenen Weihen verschaffte sich dall’ Ongaro die Erlaubniß zu predigen, weil er darin die einzige Art sich frei zu äußern erhoffte, die auf jedem andern Gebiet damals vollständig unmöglich war. Und der junge Priester predigte mit Pathos und Kraft, mit freisinniger, genialer Duldung, er predigte Menschlichkeit und Liebe. Es war natürlich, daß die Kirche ihn verfolgen mußte, denn er war ein Sohn des Lichtes, kein Sohn der Finsterniß!

Eines Tages predigte er in Venedig in San Francesco della Vigna über das Leben und den Tod der heiligen Margaretha von Cortona, einer Art heiligen Magdalena, die alle Sünden ihrer Jugend durch ein späteres werkthätiges und edles Leben sühnte. Niemals waren seine Worte glühender und begeisterter, er feierte jene Macht der Liebe, die auch auf die schon Gesunkenen läuternd wirkt und sie zu einem besseren Dasein zu erheben vermag. Die Beredsamkeit, die von seinen Lippen strömte, wirkte unwiderstehlich auf die Zuhörer, es war die Sprache des Herzens, es war die Stimme der Wahrheit, die einen glänzenden Sieg erwarben. Die Kirche war gedrängt voll, die ganze elegante Welt von Venedig hatte sich in ihr versammelt, und gewiß war unter den schönen, vornehmen, mit dem Ruf der Tugend geschmückten Andächtigen manche schlimmere Sünderin, als die heilige Margaretha von Cortona.

Der Erfolg war ein außerordentlicher, dall’ Ongaro’s Popularität wuchs ungeheuer, und viele Tage lang sprach man in den Salons von Venedig nur von der kühnen Predigt, von der Apotheose der heiligen Sünderin.

So groß wie der Beifall auf der einen Seite, so groß war auf der anderen das Aergerniß, welches die Geistlichkeit daran nahm, die immer feindlicher gegen dall’ Ongaro auftrat. Der erzürnte Patriarch von Venedig ließ ihn zu sich rufen und machte ihm, untermischt mit Bibelsprüchen, bittere Vorwürfe über seine Rede, indem er ihm erklärte, er würde ihm die Erlaubniß zu predigen entziehen.

„Sie verbieten mir zu predigen?“ rief dall’ Ongaro. „Gut, dann verzichte ich freiwillig auf das Uebrige. Wenn das, was in meinem Herzen lebt, wenn das, was ich der Welt zu sagen habe, gut und wahr ist, so wird Gott mir auch die Kraft geben, es gegen Ihren Willen, Ihnen zum Trotz, auszusprechen. Die Spalten einer Zeitung, die Blätter eines Buches, ja selbst die Bretter des Theaters werden mir dazu genügen. Von diesem Augenblicke an höre ich auf, Ihrem Orden anzugehören!“

Und mit diesen Worten verließ er den Patriarchen. Er entsagte nun wirklich dem Priesterstand, um seinen Ideen freier und ungehinderter in Zeitschriften, im Lehrfache und auf der Bühne Geltung zu verschaffen.

Er wandte sich nach Triest, wo er mit Valussi und einigen Anderen die „Favilla“, das erste italienische Journal dort, gründete, welches zehn Jahre lang bestand und italienische Vaterlandsliebe und italienische Cultur in Triest zu befördern suchte. Obgleich er die österreichische Unterdrückung beständig vor Augen hatte, die ihn mit Empörung erfüllte, so blieb er doch jedem ungerechten und fanatischen Nationalhaß fremd und wirkte auf dem Gebiete der Literatur und Poesie für eine innige Verbrüderung zwischen Italien und Deutschland. Er beschäftigte sich mit Vorliebe mit Goethe und Schiller und übersetzte mehrere Gedichte derselben in’s Italienische, während dagegen ein Wiener Blatt, das von Bolza und seiner Gattin geleitet wurde, Uebersichten über italienische Literatur brachte, und Mad. Bolza selbst einige Gedichte dall’ Ongaro’s in’s Deutsche übertrug. Seine 1840 in Triest in zwei Bänden erschienenen „Poesien“, Balladen, Volkssagen, Phantasien, Liebesgedichte enthaltend, sind voll Anmuth und frischem Reiz, Laute des Herzens voll Innigkeit und Kraft. Sie fanden nicht nur Beifall und Sympathie, sondern seine Ballade „Usca“ wirkte auch thatsächlich im Sinne wahrer Humanität, wie selten einem Gedicht beschieden. Der Stoff gründet sich auf eine wahre Geschichte. Eine junge Dalmatin war von ihrem Verlobten um einer anderen Frau willen verlassen worden; sie bot Alles auf, um den Ungetreuen zu sich zurückzurufen; vergeblich mahnte sie ihn an den ihr geschworenen Eid. Als nichts half, zündete sie am Vorabend seiner Hochzeit mit ihrer Nebenbuhlerin seine Hütte an und stürzte sich dann selbst in die Flammen, um mit dem noch immer Geliebten zu sterben. Man riß sie aber noch lebend aus der brennenden Hütte, und nun wurde die Unglückliche wegen Mord und vorbedachter Brandstiftung zu zwanzigjährigem Kerker verurtheilt und lebte noch in dem Gefängniß von Gradisca, als der Dichter sie durch seine ergreifende Ballade dem Mitleid der Zeitgenossen empfahl. Man bezeigte ihr nun lebhaften Antheil, und sie empfing vielfachen Trost dadurch. „Usca“ ist in Italien volksthümlich geworden, wurde und wird noch häufig auf dem Theater declamirt, Emile Deschamps übersetzte sie in’s Französische, Seidl, Tschabuschnigg und Andere in’s Deutsche.

Aber noch einen weiteren Einfluß sollte die Ballade ausüben. Als später ein anderes unglückliches Mädchen vor dem Criminalgericht zu Triest aus einer ähnlichen Ursache, wie die junge Dalmatin, des Mordes angeklagt worden war, führte einer der Räthe, derselbe Ritter von Tschabuschnigg, welcher „Usca“ übersetzt hatte, in seiner Vertheidigung diese als Beispiel zu Gunsten der Angeklagten an und brachte damit einen so mächtigen Eindruck auf die Richter hervor, daß sie die Strafe bedeutend mäßigten, auf zwei Jahre Gefängniß herabsetzten, worauf das Mädchen dann bald nachher ganz begnadigt wurde. So tröstete die Ballade eine Unglückliche und milderte das Loos der Anderen. An Tschabuschnigg übrigens sehen wir, daß es zuweilen sein Gutes haben kann, wenn ein Jurist zugleich auch Dichter ist!

Einen nicht weniger heilsamen Erfolg anderer Art hatte dall’ Ongaro’s Ballade: „La perla delle macerie!“ In dieser schilderte er eine jener Unglücklichen, die schon früh dem Laster verkauft werden, die trotzdem durch eine wahre Liebe sich veredelt, aber einmal, wie eine Sclavin ihrem Sclavenhalter, diesem und nicht mehr sich selbst angehörend, keinen Ausweg mehr zu ihrer Rettung finden können. Diese Ballade machte ein außerordentliches Aufsehen, sie war eine That, wie die Predigt zu Ehren der heiligen Margaretha von Cortona, sie war ein Aufruf zur Menschlichkeit und zum Mitleid; sie wies auf die Vergebung des Erlösers für Sünden hin, welche die Gesellschaft, die diese Sünden veranlaßt und verschuldet, mit kalter Strenge verurtheilt. Sie hatte zugleich einen wahrhaft sittlichen Kern, und nichts beweist dies schlagender, als daß eine Tänzerin in Padua, die eben die Bretter betreten hatte, als ein junger Dalmate ihr jenes Gedicht vorlas, so davon erschüttert wurde, daß sie, deren gefahrvolle Laufbahn wohl einen Vergleich mit derjenigen der „La perla delle macerie!“ zuließ, sich plötzlich und für immer vom Theater zurückzog. Und die edle Giulia Modena, die tugendhafte Gattin des berühmten italienischen Tragöden Gustavo Modena, die tapfere Patriotin, schrieb dem Dichter begeistert und gerührt, sie möchte ihm vor Dankbarkeit die Hände küssen, daß er sich mit so heilbringendem und segensvollem Mitleid ihrer armen gefallenen Schwestern annehme.

Aber auch Angriffe und Verfolgungen aller Art hatte dall’ Ongaro für das Gedicht auszustehen, und die Behörden nahmen solchen Anstoß daran, daß sie den Dichter mit Ausweisung bedrohten. Hierauf wandte er sich an den damaligen Gouverneur von Triest, Graf Stadion, und verlangte eine Unterredung mit ihm. Diese fand statt. Dall’ Ongaro fragte den Grafen, ob er die Ballade selbst gelesen habe?

„Nein, ich verstehe nicht Italienisch,“ erwiderte Stadion kurz.

„Gut, so werde ich Ihnen französisch den Inhalt erzählen,“ sagte dall’ Ongaro.

Der Graf hörte aufmerksam zu, fragte aber dann mit halb mitleidigem und halb höhnischem Lächeln: „Glauben Sie denn wirklich mit einem Gedicht aus jene verworfenen Weiber versittlichend wirken zu können?“

„Für die habe ich es gar nicht verfaßt,“ antwortete dall’ Ongaro mit Nachdruck.

„Für wen dann?“ rief Stadion verwundert.

„Für Sie, Herr Graf!“ erwiderte der Dichter, ihm kühn in’s Auge blickend.

„Für mich?“ fragte Stadion betroffen.

„Ja, für Sie,“ rief der Dichter mit Wärme. „Ihnen will ich vor das Gewissen führen, daß die Regierung, die jenen unglücklichen Wesen hundert Thüren offen läßt, um sich in’s Verderben zu stürzen, ihnen wenigstens eine Thür, einen Ausweg darbieten sollte, um sich zu retten, wenn sie selbst den Wunsch und Willen dazu haben!“

[298] mehrere seiner Gedichte, die ohne sein Wissen veröffentlicht wurden, gerechtes Aufsehen zu erregen. Zwar schlugen diese Gedichte noch keinen politischen Ton an, allein die geistlichen Behörden fingen doch an bedenklich zu werden und gestanden ihm erst nach längerm Zögern die Aufnahme in den Priesterstand zu.

Nach empfangenen Weihen verschaffte sich dall’ Ongaro die Erlaubniß zu predigen, weil er darin die einzige Art sich frei zu äußern erhoffte, die auf jedem andern Gebiet damals vollständig unmöglich war. Und der junge Priester predigte mit Pathos und Kraft, mit freisinniger, genialer Duldung, er predigte Menschlichkeit und Liebe. Es war natürlich, daß die Kirche ihn verfolgen mußte, denn er war ein Sohn des Lichtes, kein Sohn der Finsterniß!

Eines Tages predigte er in Venedig in San Francesco della Vigna über das Leben und den Tod der heiligen Margaretha von Cortona, einer Art heiligen Magdalena, die alle Sünden ihrer Jugend durch ein späteres werkthätiges und edles Leben sühnte. Niemals waren seine Worte glühender und begeisterter, er feierte jene Macht der Liebe, die auch auf die schon Gesunkenen läuternd wirkt und sie zu einem besseren Dasein zu erheben vermag. Die Beredsamkeit, die von seinen Lippen strömte, wirkte unwiderstehlich auf die Zuhörer, es war die Sprache des Herzens, es war die Stimme der Wahrheit, die einen glänzenden Sieg erwarben. Die Kirche war gedrängt voll, die ganze elegante Welt von Venedig hatte sich in ihr versammelt, und gewiß war unter den schönen, vornehmen, mit dem Ruf der Tugend geschmückten Andächtigen manche schlimmere Sünderin, als die heilige Margaretha von Cortona.

Der Erfolg war ein außerordentlicher, dall’ Ongaro’s Popularität wuchs ungeheuer, und viele Tage lang sprach man in den Salons von Venedig nur von der kühnen Predigt, von der Apotheose der heiligen Sünderin.

So groß wie der Beifall auf der einen Seite, so groß war auf der anderen das Aergerniß, welches die Geistlichkeit daran nahm, die immer feindlicher gegen dall’ Ongaro auftrat. Der erzürnte Patriarch von Venedig ließ ihn zu sich rufen und machte ihm, untermischt mit Bibelsprüchen, bittere Vorwürfe über seine Rede, indem er ihm erklärte, er würde ihm die Erlaubniß zu predigen entziehen.

„Sie verbieten mir zu predigen?“ rief dall’ Ongaro. „Gut, dann verzichte ich freiwillig auf das Uebrige. Wenn das, was in meinem Herzen lebt, wenn das, was ich der Welt zu sagen habe, gut und wahr ist, so wird Gott mir auch die Kraft geben, es gegen Ihren Willen, Ihnen zum Trotz, auszusprechen. Die Spalten einer Zeitung, die Blätter eines Buches, ja selbst die Bretter des Theaters werden mir dazu genügen. Von diesem Augenblicke an höre ich auf, Ihrem Orden anzugehören!“

Und mit diesen Worten verließ er den Patriarchen. Er entsagte nun wirklich dem Priesterstand, um seinen Ideen freier und ungehinderter in Zeitschriften, im Lehrfache und auf der Bühne Geltung zu verschaffen.

Er wandte sich nach Triest, wo er mit Valussi und einigen Anderen die „Favilla“, das erste italienische Journal dort, gründete, welches zehn Jahre lang bestand und italienische Vaterlandsliebe und italienische Cultur in Triest zu befördern suchte. Obgleich er die österreichische Unterdrückung beständig vor Augen hatte, die ihn mit Empörung erfüllte, so blieb er doch jedem ungerechten und fanatischen Nationalhaß fremd und wirkte auf dem Gebiete der Literatur und Poesie für eine innige Verbrüderung zwischen Italien und Deutschland. Er beschäftigte sich mit Vorliebe mit Goethe und Schiller und übersetzte mehrere Gedichte derselben in’s Italienische, während dagegen ein Wiener Blatt, das von Bolza und seiner Gattin geleitet wurde, Uebersichten über italienische Literatur brachte, und Mad. Bolza selbst einige Gedichte dall’ Ongaro’s in’s Deutsche übertrug. Seine 1840 in Triest in zwei Bänden erschienenen „Poesien“, Balladen, Volkssagen, Phantasien, Liebesgedichte enthaltend, sind voll Anmuth und frischem Reiz, Laute des Herzens voll Innigkeit und Kraft. Sie fanden nicht nur Beifall und Sympathie, sondern seine Ballade „Usca“ wirkte auch thatsächlich im Sinne wahrer Humanität, wie selten einem Gedicht beschieden. Der Stoff gründet sich auf eine wahre Geschichte. Eine junge Dalmatin war von ihrem Verlobten um einer anderen Frau willen verlassen worden; sie bot Alles auf, um den Ungetreuen zu sich zurückzurufen; vergeblich mahnte sie ihn an den ihr geschworenen Eid. Als nichts half, zündete sie am Vorabend seiner Hochzeit mit ihrer Nebenbuhlerin seine Hütte an und stürzte sich dann selbst in die Flammen, um mit dem noch immer Geliebten zu sterben. Man riß sie aber noch lebend aus der brennenden Hütte, und nun wurde die Unglückliche wegen Mord und vorbedachter Brandstiftung zu zwanzigjährigem Kerker verurtheilt und lebte noch in dem Gefängniß von Gradisca, als der Dichter sie durch seine ergreifende Ballade dem Mitleid der Zeitgenossen empfahl. Man bezeigte ihr nun lebhaften Antheil, und sie empfing vielfachen Trost dadurch. „Usca“ ist in Italien volksthümlich geworden, wurde und wird noch häufig auf dem Theater declamirt, Emile Deschamps übersetzte sie in’s Französische, Seidl, Tschabuschnigg und Andere in’s Deutsche.

Aber noch einen weiteren Einfluß sollte die Ballade ausüben. Als später ein anderes unglückliches Mädchen vor dem Criminalgericht zu Triest aus einer ähnlichen Ursache, wie die junge Dalmatin, des Mordes angeklagt worden war, führte einer der Räthe, derselbe Ritter von Tschabuschnigg, welcher „Usca“ übersetzt hatte, in seiner Vertheidigung diese als Beispiel zu Gunsten der Angeklagten an und brachte damit einen so mächtigen Eindruck auf die Richter hervor, daß sie die Strafe bedeutend mäßigten, auf zwei Jahre Gefängniß herabsetzten, worauf das Mädchen dann bald nachher ganz begnadigt wurde. So tröstete die Ballade eine Unglückliche und milderte das Loos der Anderen. An Tschabuschnigg übrigens sehen wir, daß es zuweilen sein Gutes haben kann, wenn ein Jurist zugleich auch Dichter ist!

Einen nicht weniger heilsamen Erfolg anderer Art hatte dall’ Ongaro’s Ballade: „La perla delle macerie!“ In dieser schilderte er eine jener Unglücklichen, die schon früh dem Laster verkauft werden, die trotzdem durch eine wahre Liebe sich veredelt, aber einmal, wie eine Sclavin ihrem Sclavenhalter, diesem und nicht mehr sich selbst angehörend, keinen Ausweg mehr zu ihrer Rettung finden können. Diese Ballade machte ein außerordentliches Aufsehen, sie war eine That, wie die Predigt zu Ehren der heiligen Margaretha von Cortona, sie war ein Aufruf zur Menschlichkeit und zum Mitleid; sie wies auf die Vergebung des Erlösers für Sünden hin, welche die Gesellschaft, die diese Sünden veranlaßt und verschuldet, mit kalter Strenge verurtheilt. Sie hatte zugleich einen wahrhaft sittlichen Kern, und nichts beweist dies schlagender, als daß eine Tänzerin in Padua, die eben die Bretter betreten hatte, als ein junger Dalmate ihr jenes Gedicht vorlas, so davon erschüttert wurde, daß sie, deren gefahrvolle Laufbahn wohl einen Vergleich mit derjenigen der „La perla delle macerie!“ zuließ, sich plötzlich und für immer vom Theater zurückzog. Und die edle Giulia Modena, die tugendhafte Gattin des berühmten italienischen Tragöden Gustavo Modena, die tapfere Patriotin, schrieb dem Dichter begeistert und gerührt, sie möchte ihm vor Dankbarkeit die Hände küssen, daß er sich mit so heilbringendem und segensvollem Mitleid ihrer armen gefallenen Schwestern annehme.

Aber auch Angriffe und Verfolgungen aller Art hatte dall’ Ongaro für das Gedicht auszustehen, und die Behörden nahmen solchen Anstoß daran, daß sie den Dichter mit Ausweisung bedrohten. Hierauf wandte er sich an den damaligen Gouverneur von Triest, Graf Stadion, und verlangte eine Unterredung mit ihm. Diese fand statt. Dall’ Ongaro fragte den Grafen, ob er die Ballade selbst gelesen habe?

„Nein, ich verstehe nicht Italienisch,“ erwiderte Stadion kurz.

„Gut, so werde ich Ihnen französisch den Inhalt erzählen,“ sagte dall’ Ongaro.

Der Graf hörte aufmerksam zu, fragte aber dann mit halb mitleidigem und halb höhnischem Lächeln: „Glauben Sie denn wirklich mit einem Gedicht aus jene verworfenen Weiber versittlichend wirken zu können?“

„Für die habe ich es gar nicht verfaßt,“ antwortete dall’ Ongaro mit Nachdruck.

„Für wen dann?“ rief Stadion verwundert.

„Für Sie, Herr Graf!“ erwiderte der Dichter, ihm kühn in’s Auge blickend.

„Für mich?“ fragte Stadion betroffen.

„Ja, für Sie,“ rief der Dichter mit Wärme. „Ihnen will ich vor das Gewissen führen, daß die Regierung, die jenen unglücklichen Wesen hundert Thüren offen läßt, um sich in’s Verderben zu stürzen, ihnen wenigstens eine Thür, einen Ausweg darbieten sollte, um sich zu retten, wenn sie selbst den Wunsch und Willen dazu haben!“

[299] Der Graf schwieg einen Augenblick, dann sagte er: „Sie mögen Recht haben.“ –

Und dall’ Ongaro wurde nicht ausgewiesen, und Stadion bemühte sich, die Gesetze in Bezug auf jene Unglücklichen zu verbessern und sie unabhängiger von jenen Elenden zu machen, welche sie ausbeuten und denen sie untergeben waren.

Stadion hegte nun eine solche Achtung für dall’ Ongaro, daß er ihn öfter zu Rathe zog, und dieser wirkte dahin, daß der Elementarunterricht in den öffentlichen Schulen in Triest verbessert und in italienischer Sprache ertheilt wurde. Dies zog später Stadion die Ungunst der österreichischen Regierung zu, und er wurde von Triest abberufen.

Auch dall Ongaro’s so voltsthümlich gewordenes Drama „Il Fornaretto“, welches Alexander Dumas in’s Französische übersetzt hat, ist ein Aufruf zur Milde und Gerechtigkeit: es kämpft für die Abschaffung der Todesstrafe. Als einmal in Mailand ein Todesurtheil vollstreckt werden sollte, genügten die Theaterzettel an den Straßenecken mit der Ankündigung des „Fornaretto“, um das Volk in die größte Aufregung zu versetzen und zu so drohenden Kundgebungen zu veranlassen, daß die österreichische Regierung die Theaterzettel abreißen ließ und aus Furcht das Urtheil auf spätere Zeiten vertagte.

Die Vorlesungen über Dante, welche dall’ Ongaro 1846 hielt, zogen einen großen Zuhörerkreis herbei. Er suchte auch bei diesem Anlaß die neue kirchliche Richtung zu bekämpfen, welche die Werke Gioberti’s und Balbo’s, so wie der Regierungsantritt Pius des Neunten hervorgerufen. In jener Zeit, in der Viele sich durch die ersten Zugeständnisse des neuen Papstes lauschen ließen und glaubten, daß durch ihn die Einheit Italiens verwirklicht werden könne, erkannte der scharfe Blick des ehemaligen Seminaristen der Madonna della Salute bereits, daß nur auf ganz anderem Wege das Vaterland Heil finden könne.

Das Jahr darauf nahm er an einem großen Bankett Theil, welches die Bürgerschaft Richard Cobden zu Ehren gab, und in glänzender und feuriger Rede sprach er von der Zukunft Italiens und daß dessen Einheit einstweilen durch einen Zollverein vorbereitet werden müsse. Die österreichische Polizei aber ließ ihn nicht ausreden; sie unterbrach ihn in der Mitte seines Vortrages. Die weitere Folge hiervon war, daß ein Verhaftsbefehl gegen ihn erlassen wurde. Stadion war nicht mehr Gouverneur. Glücklicherweise benachrichtigte den Dichter eine unbekannte Hand von der bevorstehenden Gefahr, und so konnte er sich durch eine schleunige Abreise dem Gefängniß entziehen.

Italien war bereits in allgemeiner Aufregung; es gährte in Venedig, Mailand, Florenz und Rom. Dall’ Ongaro, ergriffen von dem Sturm und Drang der neuen Zeit, ging nach Venedig, und suchte Tommaseo auf, der bereits viel zu der Bewegung in Oberitalien beigetragen hatte und dessen von der österreichischen Regierung verfolgtes und aufgekauftes Buch „Italia“ dall’ Ongaro selbst heimlich in Triest seinen Freunden mit Eifer vorgelesen hatte. „Ich habe meine Schiffe verbrannt,“ rief dall’ Ongaro Tommaseo zu, „wirken wir zusammen für die Sache Italiens!“ Dies geschah. Dall’ Ongaro machte Tommaseo dann auch mit Manin bekannt; unermüdlich in seiner Thätigkeit setzte er sich in Mailand und Turin mit anderen Patrioten in Verbindung und suchte vorläufig ein Asyl in Toscana, bis er im December nach Rom ging, wo er mit mehreren Freunden gemeinschaftlich für die italienische Sache wirkte.

Als die erste Nachricht von der Wiener Revolution die Römer zu freudigen Hoffnungen entflammte, da eilten sie, von dall’ Ongaro und noch einigen anderen venetianischen Flüchtlingen angeführt, vor den Palazzo di Venezia, wo der österreichische Gesandte wohnte, und rissen das über dem Portal befindliche Wappen mit dem verhaßten Doppeladler herunter, und dall’ Ongaro schrieb mit eigener Hand an die leere Stelle die Worte: Palazzo della Dieta Italiana“ (Palast des italienischen Reichstags), während die jubelnde Menge unten auf dem Platze den Adler in Stücke zerschlug und verbrannte. Diese Scene hatte etwas Ueberwältigendes; der junge Dichter der Freiheit, der das Sinnbild der Tyrannei auslöschte, er feierte einen Triumph des Lichtes über die Finsterniß, er weihte begeistert eine neue Aera ein.

Kurz darauf schiffte sich dall’ Ongaro mit anderen Gefährten nach Livorno ein, wo bereits die Kunde von der Erhebung Mailands und von der durch Manin und Tommaseo in Venedig verkündigten Republik eingetroffen war. Er begab sich nun unverzüglich nach Mailand, wo er mit Carlo Cattaneo und den anderen Helden der fünf Tage eine Zusammenkunft hatte; dann eilte er nach Venedig und schloß sich der Freiwilligenschaar an, gemeinschaftlich mit seinen beiden Brüdern Antonio und Giuseppe dem Feind entgegenziehend, der Friaul bedrohte. Sein gefühlvolles Herz, sein dichterisches Gemüth war dem mörderischen Kriegswesen keineswegs mit Vorliebe zugewandt, aber da er durch Rede, Lied und Schrift zur Befreiung des Vaterlandes aufgerufen, hielt er es für eine heilige Pflicht, im entscheidenden Augenblicke nicht beim Kampfe zu fehlen. Und so zog er, ein italienischer Theodor Körner, mit Leier und Schwert in die Schlacht.

In diesen Tagen erhobener Seelenstimmung und begeisterter Hingebung entfaltete sich auch sein Genius in ganzer Herrlichkeit; seine patriotische Muse ist es vor Allem, die ihm den Kranz der Unsterblichkeit sichert; seine „Canti populari“ seine „Stornelli“ enthalten das innerste italienische Leben, sie feiern das italienische Volk in seinen Kämpfen, in seinem Heldenthum, in seinen Leiden, in seiner Vaterlandsliebe, sie klingen wieder in allen italienischen Herzen, sie trösteten die Verbanntem im Exil; Garibaldi hat die „tre colori“, die, obgleich damals noch ungedruckt, durch den Hauch der Revolution jenseits des Weltmeers getragen wurden, schon in Montevideo gesungen, und diese, so wie fein „grido di Prato“, den man vielfach componirt hat, sind italienische Volkshymnen geworden.

Dall’ Ongaro blieb im Kriege unversehrt, aber sein Bruder Antonio fiel auf dem Schlachtfelde von Palmanova.[1] Als auch Giuseppe an dall’ Ongaro’s Seite am Sila verwundet worden war, da zog er sich mit diesem nach Treviso zurück, und als auch Treviso gefallen, nach Venedig.

Dort gab er nun das Journal „Fatti e paroli“ heraus, dem Volke während der Belagerung von 1848 bis 1849 Muth und Begeisterung einhauchend. Mit Entschiedenheit kämpfte er gegen die zu frühe Vereinigung Venedigs mit Piemont, die er damals für Venedig unvorteilhaft fand. Sein vortreffliches Blatt beschäftigte sich mit gleicher Sorgfalt mit den inneren wie mit den äußeren Verhältnissen des Vaterlandes. Er machte darin auf die Unerfahrenheit und den bösen Willen des Chefs der dortigen Marine aufmerksam. Der Triumvir Graziani widersprach heftig und war so erbittert darüber, daß er mit seiner Demission drohte, wenn dall’ Ongaro nicht ausgewiesen würde. Manin war schwach genug, dall’ Ongaro Graziani zu Liebe zu opfern, und der Ausweisungsbefehl wurde erlassen. Graziani wurden später von der wiederhergestellten österreichischen Regierung seine Güter zurückgegeben, während über dem Haupte dall’ Ongaro’s und Manin’s bis zuletzt Oesterreichs unerbittliche Verfolgung schwebte. Die Chefs der Marine in Venedig aber waren denjenigen ähnlich, welche das Unglück von Lissa verschuldeten,

In Ravenna war es, wo dall’ Ongaro zum ersten Male Garibaldi begegnete, der, von der römischen Regierung vertrieben, überlegte, wohin sich wenden, um am erfolgreichsten der italienischen Sache sein Schwert zu widmen. Als die Nachricht eintraf, daß der Minister Rossi in Rom erdolcht worden und Pompeo Campello an seine Stelle treten würde, den dall’ Ongaro von Triest her kannte, da schlug letzterer Garibaldi vor, er wolle sich nach Rom begeben, um von jenem die Erlaubniß zu erwirken, die erste italienische Legion zu bewaffnen. Garibaldi war hiermit einverstanden und ertheilte ihm unbeschränkte Vollmacht, die Sache abzuschließen. Dall’ Ongaro’s Vermittelung hatte den besten Erfolg; Garibaldi wurde zum General ernannt und erhielt die Mittel, jene erste Schaar von Freiwilligen zu bilden, die unter dem zukünftigen Sieger von Varese, Calatasimi, Palermo etc. einen so glänzenden Antheil an den Schlachten der italienischen Unabhängigkeit haben.

Die Ereignisse folgten sich rasch. Der Papst war nach Gaeta geflohen, und Rom berief die constituirende Versammlung, welche die Republik verkündigte. Garibaldi und auch dall’ Ongaro, der Garibaldi’s Commissär war, wurden zu Volksvertretern erwählt. Dall’ Ongaro schloß sich mit Liebe und Verehrung Mazzini an, den er schon lange aus seinen Schriften kannte und der nun als Triumvir an der Spitze der römischen Regierung stand und diese zu einem ruhmvollen und edlen Vorbild [300] für alle Zeiten machte. Er sah den bedeutenden Mann in seiner Hingebung für das Volk, er sah seine weise Staatsleitung, sowie seine persönliche Uneigennützigkeit und Einfachheit; wie er bescheiden jeden Tag in einer kleinen Trattoria zu Mittag aß gleich dem einfachsten Bürger; wie er so wenig auf seinen persönlichen Schutz bedacht war, daß Lesseps mitten in der Nacht an sein Bett treten konnte, ohne nur einen Diener oder eine Ordonnanz finden zu können, um sich ankündigen zu lassen. Er sah ihn geliebt von der Bevölkerung, den guten Genius Roms, und dall’ Ongaro, stets für alles Gute und Schöne empfänglich, wurde ein warmer und thätiger Freund Mazzini’s.

Wer am Osterfest 1849, zur Zeit der Republik, in Rom gewesen ist, der wird sich der großen dreifarbigen Fahne erinnern, die, von der Nationalgarde geschwenkt, in der Loggia des Vaticans erschien, gleichsam als wenn das Vaterland diesmal selbst den Segen ertheilte, anstatt des entflohenen Oberhauptes der Priesterschaft. Das Volk begrüßte die Fahne mit gerührtem Jubel. Dall’ Ongaro hatte zu dieser Feier gerathen; war die Zerstörung des österreichischen Adlers der erste Act, so war diese Segnung der zweite des großartigen Dramas, das Rom damals vor dem erstaunten Europa aufführte. Römische klerikale Blätter haben später dem Dichter noch oft einen Vorwurf aus der dreifarbigen Fahne gemacht, sowie aus seiner Hingebung für Mazzini.

Mazzini war es auch, der ihn als Commissär nach Ancona und Sinigaglia sandte, wo, durch französische Einflüsterungen veranlaßt, allerlei Unruhen stattgefunden hatten und sogar viele Blutthaten begangen worden waren. Dall’ Ongaro gelang es, den schwierigen Auftrag zu erfüllen und die Excesse aufhören zu machen. Auf dall’ Ongaro’s Vorschlag wurde dann Felice Orsini das Commando Anconas übergeben, welcher dafür sorgte, daß die Ruhe ungestört blieb, und damit der französischen Regierung jeder Vorwand genommen war, eine „Republik von Mördern“, wie sie es nannte, zu bekämpfen. Doch trotz aller Anstrengungen mußte Rom den vereinten nichtswürdigen Angriffen seiner Feinde, Frankreichs, Oesterreichs, Neapels und Spaniens erliegen, es erlag der Uebermacht nach heldenmüthigem Kampf, der glorreicher war, als mancher Sieg. Dall’ Ongaro nahm an diesem Kampfe Theil bis zuletzt und suchte sich darauf ein Asyl in der Schweiz, im Canton Tessin zu Lugano, wo er mit dem edeln Patrioten, dem Grafen Giovanni Grilenzoni, verkehrte und durch seine Schriften die Flamme der Bewegung und die Hoffnung einer künftigen Wiedererhebung Italiens lebendig zu erhalten suchte. Dall’ Ongaro verdanken wir jenen in Lugano gedruckten vortrefflichen „Almanaco di Giano“, welcher die denkwürdigen italienischen Ereignisse der Jahre 1848 und 1849 in kurzer, gedrängter, wahrhaft meisterhafter Darstellung enthält, sowie die treuen Lebensbilder der Helden derselben. In Lugano dichtete dall’ Ongaro auch auf den Wunsch der Schweizer Regierung, um patriotische Gefühle im Lande zu erwecken, sein Dramas „Gugliemo Tell“; er dichtete oder vielmehr improvisirte es nach den alten Volkssagen in Einer Nacht, und es wurde gespielt, wie er es auf das Papier hingeworfen. Der Beifall des Publicums war stürmisch und auch derjenige der Schauspieler so groß, daß sie die Nacht begeistert zusammenblieben und den andern Morgen mit den Fahnen, welche sie bei der Vorstellung gebraucht, durch die Stadt zogen, wo man sie mit neuem Beifall begrüßte. Unter diesem Einflüsse wurden die Wahlen erneuert und der klerikalen und österreichischen Partei der letzte Stoß gegeben. Das Drama wurde nie gedruckt, aber der erste schriftliche Entwurf verbreitete sich von Bühne zu Bühne und wurde zu dall’ Ongaro’s eigener Verwunderung häufig in Italien gegeben.

Unterdessen hörte die österreichische Regierung nicht auf, dall’ Ongaro’s Thätigkeit mit feindlichem Auge zu betrachten, und erlangte endlich vom Bundesrath 1852 seine Ausweisung aus der Schweiz. Damals schrieb ein Verehrer dall’ Ongaro’s, der früher einer der Zuhörer seiner Dantevorlesungen gewesen war, an ihn und rieth ihm, er möge ihm nur Eine Zeile schreiben, in welcher er ihn bevollmächtigte, ihm die Pforten des Vaterlandes ohne jede Bedingung zu öffnen. Des Dichters Antwort hierauf war kurz und bündig: er habe schon so viel mit andern provisorischen Regierungen zu thun gehabt und so wenig Freude davon erlebt, daß er sich mit einer solchen nicht mehr einlassen wolle! Die Satire auf die damals gefährliche Lage des österreichischen Kaiserstaates war scharf und schneidend genug! –

Dall’ Ongaro wandte sich nun mit seiner Schwester Maria, die ihn getreulich auf jedem Schritte in der Verbannung begleitete, und mit einem Neffen nach Brüssel. Dort hielt er auf’s Neue seine Dantevorlesungen, das Evangelium Italiens auch im Auslande predigend. Drei Jahre daraus erhielt er die Erlaubniß, nach Frankreich zu gehen, wo er sich gleichfalls mit literarischen Arbeiten beschäftigte und sein Ruhm auch in der Fremde sich immer mehr verbreitete. Als 1859 der Krieg mit Oesterreich ausbrach, ergriff dall’ Ongaro die ersehnte Gelegenheit, das geliebte Vaterland wiederzusehen, und ging als Correspondent eines französischen Blattes nach Italien. Nach dem Frieden von Villafranca aber konnte er nicht mehr mit dem französischen Standpunkt übereinstimmen, den er vertrat, und zog sich deshalb von dem Blatte zurück.

Er erhielt darauf in Florenz eine Professur der vergleichenden dramatischen Literatur. Von jetzt an nahm er seinen dauernden Wohnsitz in der Vaterstadt Dante’s, wo sein Haus ein beständiger Sammelplatz fremder und einheimischer Berühmtheiten ist und alle Sprachen durcheinanderrauschen. Vielleicht kennen manche unserer Leser den liebenswürdigen und geistreichen Mann persönlich und haben ihn selbst gesehen inmitten seines glänzenden Gesellschaftskreises, in welchem seine freundliche Schwester die Gäste empfängt. Deputirte, Künstler, Schriftsteller, Gelehrte vereinigen sich bei ihm; hier sieht man zuweilen den würdigen Patrioten Giovan Battista Cuneo, den alten Freund und Biographen Garibaldi’s, hier sang Angelo Brofferio seine piemontesischen Lieder, hier declamirte die geniale Improvisatrice Giannina Milli ihre hinreißenden Verse; blonde Engländerinnen und schwarzäugige Italienerinnen drängen sich mit Neugierde und Begeisterung um den Hausherrn, und wenn man ihn von so vielen schönen jungen Mädchen und Frauen wie von einem Blumenkranz umgeben sieht, so sollte man glauben, der glückliche Dichter habe nicht eine Muse, sondern deren wenigstens zwanzig!

Dall’ Ongaro ist noch immer eine schöne, stattliche Erscheinung; ist auch in den langen, malerischen Bart etwas Schnee gefallen, so sprühen dagegen aus den klugen, sprechenden Augen Jugend und Heiterkeit. Die wahre Dichternatur prägt sich in seinem ganzen Wesen aus und muß überall Zuneigung und Sympathie erwecken; sein Wort ist beredt und immer voll Geist, Witz und Güte.

Dall’ Ongaro ist ein echt vaterländischer Dichter; es ist in der That etwas von einem italienischen Körner in ihm, so schwungvoll und kühn sind seine Lieder, während seine Grazie und Anmuth, das Gemisch von Sentimentalität und Ironie, von Sanftmuth und Schärfe zuweilen an Heine erinnern könnten. Die Klage der trauernden Lombardin aus dem Jahr 1848 und das Lebewohl der Livorneserin, welche ihrem Geliebten in den Vaterlandskrieg folgt, wird Niemand ohne Rührung lesen können, während er dagegen mit heiteren Jubelgesängen den Helden von Caprera und seine Wunderthaten feiert. Das Papstthum verfolgt er mit dem einsichtigen Haß Desjenigen, der es aus der Nähe mit klarem Blick angeschaut und sich deshalb keiner Illusion über dasselbe hingeben kann. Die Freiheit, die religiöse, die politische, die sittliche, liebt dall’ Ongaro wie eine schöne Braut, der er täglich neue Kränze und Blumen darbringt, jede großmüthige und edle That findet in ihm einen beredten Sänger. Wie er in Garibaldi den kriegerischen Helden Italiens verherrlicht, so in Mazzini den geistigen Helden, den großen Propheten und Meister, von dem die intellektuelle Entwickelung und Ausbildung seiner Nation ausgeht und immer neuen Stufen des Fortschritts entgegengeführt wird. Während er so das große allgemeine Vaterland im Auge hat, bewahrt er daneben die besondere Anhänglichkeit an sein heimisches Venedig, und man kann sich nichts Süßeres, Einfachinnigeres, Heiterfroheres denken als seine in der allerliebsten venetianischen Mundart erschienene Gedichtsammlung „Alghe delle Lagune“. Seine „Fantasie drammatiche e liriche“ sind eine Reihe von Balladen, Legenden und vaterländischen Hymnen aus früherer Zeit. Manche Frau hat die „amica ideale“ beneidet, der er so innige Liebesgedichte gewidmet, und es ist viel darüber gestritten worden, ob die ideale Freundin sich nicht auch in der Wirklichkeit verkörpert habe: diese Frage bleibe Eingeweihteren zur Entscheidung überlassen! –

Auch viele Dramen hat dall’ Ongaro geschrieben, die zum großen Theil auf italienischen Theatern vielfach aufgeführt worden sind, während seine Novellen als Muster poetischer Erzählungen gelten können und verschiedene Uebersetzer fanden.

Vielleicht bietet sich später einmal Anlaß, näher auf dall’ Ongaro’s Dichtungen einzugehen; einstweilen mögen diese Blätter ihn den deutschen Landsleuten empfehlen.



  1. Wie es heißt, sollen seine Ueberreste jetzt nach Venedig zurückgebracht werden.