Deutschlands Kolonialbestrebungen: Skizzen aus meiner letzten Forschungsreise in Ostafrika

Textdaten
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Autor: Gustav Adolf Fischer
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Titel: Deutschlands Kolonialbestrebungen: Skizzen aus meiner letzten Forschungsreise in Ostafrika
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 210–212
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutschlands Kolonialbestrebungen.

Skizzen aus meiner letzten Forschungsreise in Ostafrika.
Von Dr. G. A. Fischer. Mit Illustrationen von G. Mützel.

Kuafi-Neger aus dem Innern des Massai-Landes.

Die weißen Stellen, welche die Karten von Afrika früher in beträchtlichem Umfange zeigten sind in den letzten Jahren bedeutend zusammengeschrumpft. Trotzdem befinden sich im Westen sowohl wie im Osten noch immer zusammenhängende Länderstrecken von der doppelten Größe Deutschlands, die noch kein Fuß eines Europäers betreten hat und über die wir nur nach Erkundigungen dürftige Nachrichten besitzen.

Der Westen Afrikas ist, was koloniale Unternehmungen anbetrifft, einstweilen der bevorzugte Theil. Einmal ist er bequemer und rascher zu erreichen, und zum andern bieten sich hier gewaltige Ströme dar, die das Eindringen in das Innere sehr erleichtern. Der Osten hat aber andere Vortheile, unter denen das besonders in den nördlicheren Theilen gefundene Küstenklima der bedeutendste ist. Auch sind die ackerbautreibenden Negerstämme des Ostens besser für die Arbeiten der Kultur zu gebrauchen, als die Stämme der Westküste. Letztere hat allerdings außerdem den Umstand für sich, daß sich dort noch sogenanntes herrenloses Küstenland befindet; herrenlos insofern, als die Häuptlinge oder, wie sie vielfach genannt werden, Könige von keiner europäischen Macht anerkannt sind und es nicht schwer fällt, für ein Fäßchen Rum ein ganzes Königreich zu erhandeln. Im Osten theilen sich in den Besitz des Küstengebietes der Sultan von Sansibar und die Portugiesen. Was den Ersteren betrifft, so ist es allerdings nur eine Frage der Zeit, daß sein Gebiet in den Besitz einer europäischen Macht übergeht. An eine Ausbreitung der Kultur und Civilisation ist unter mohammedanischer Herrschaft nicht zu denken.

Gerade der Theil des äquatorialen Ostens, welcher sich seiner Bodenbeschaffenheit und seines Klimas wegen am meisten zu Kolonisationsprojekten eignet, wird von Volksstämmen bewohnt, die allem Fremden feindlich sich entgegenstellen. Es sind das die sich zwischen Abessinien, dem Viktoria Nyanza und dem Kap Guardafui erstreckenden Gebiete. Von Abessinien sowohl wie auch von der Küste des rothen Meeres und von Sansibar aus sind wiederholt vergebliche Versuche gemacht worden, in diese unbekannten Länder einzudringen, aber alle scheiterten an dem Widerstande der Eingeborenen. Endlich ist es dem Verfasser dieser Zeilen und bald darauf dem englischen Reisenden Thomson gelungen, wenigstens einen Theil dieser terra incognita zu durchforschen und das Leben eines wilden und in vieler Beziehung merkwürdigen Stammes kennen zu lernen, nämlich des Massai-Volkes.

Das Gebiet, mit dem ich den Leser näher bekannt machen will, charakterisirt sich besonders durch mehr oder weniger unvermittelt aus der Ebene emporsteigende isolirte Berge, die zum Theil mit ewigem Schnee bedeckt sind. Die Ebenen, welche sich zwischen denselben ausbreiten, liegen schon 3- bis 6000 Fuß über dem Meeresspiegel. Bis zu 4000 Fuß sind sie meist dürr und mit mehr oder weniger dicht stehenden Akazien und Mimosen bewachsen, in höherer Lage aber bilden sie die saftigsten und üppigsten Weideflächen, wo ein milderes Klima und der Duft von verschiedenartigen aromatischen Kräutern, die an die unserer Alpen erinnern, vergessen macht, daß man sich in Afrika unter dem Aequator befindet. Stellenweise tritt hier prächtiger Hochwald auf, den besonders Wachholderbäume, die den Umfang und die Höhe unserer Pappeln erreichen, charakterisiren. Zahlreiche kleinere und größere Seen sind in dem Hochlande eingebettet, die alle von Flußpferden und großen Schwärmen von Pelikanen, Enten und Gänsen bewohnt werden. Größere Flüsse existiren in diesem Gebiete nicht, nur Bäche, welche sich in die Seen ergießen.

Die Gesteine sind fast durchweg vulkanischer Natur. In früheren Zeiten sind hier viele umfangreiche Vulkane thätig gewesen; jetzt ist, soviel bekannt, nur noch einer in Thätigkeit; er wird von den Eingeborenen „Dönjö Ngai“, das ist Gottesberg, genannt. Im Jahre 1880 hat der letzte größere Ausbruch hier stattgefunden. Die Eingeborenen vergleichen das donnerartige Geräusch, welches zuweilen aus dem Berge ertönt, mit dem Brüllen ihrer Rinder; die Mohammedaner glauben, der leibhaftige Teufel sei dort verborgen und feuere von Zeit zu Zeit Kanonenschüsse ab, um die Menschen zu erschrecken. An verschiedenen Orten des Landes finden sich heiße Quellen, welche zum Theil einen großen Gehalt an kohlensaurem Natron besitzen.

Der imposanteste und bekannteste unter den oben erwähnten Schneebergen, der sogenannte Kilima-Ndjaro, ist ebenfalls ein erloschener Vulkan. Aus weiter Entfernung sieht man sein mit dickem Schnee bedecktes Haupt aus der Ebene sich erheben. Seine Höhe über dem Meeresspiegel beträgt mindestens 18000 Fuß, bei 16000 Fuß beginnt die ewige Schneegrenze, während sie in unseren Breiten schon zwischen 8- bis 9000 Fuß liegt. Als der deutsche Missionar Krapf zuerst die Nachricht von dem Vorhandensein eines Schneeberges unter dem Aequator brachte, hielt man es in der Gelehrtenwelt für eine Unmöglichkeit, daß ewiger Schnee bei den Strahlen der Tropensonne existiren könne. Zwischen der kühlen und heißen Jahreszeit ist nur wenig Unterschied in der Ausbreitung des Schnees zu bemerken. Kilima-Ndjaro nennen ihn die mohammedanischen Küstenbewohner, das heißt Geisterberg (Kilima Berg, Ndjaro ein böser Geist), und es knüpft sich viel Aberglaube an die den Eingeborenen so räthselhaften weißen Massen. Da jene sich einestheils vor der großen Kälte, andererseits auch vor bösen Mächten fürchten, so hat sich noch Niemand überzeugt, welcher Art jene Massen seien. Die Leute, welche ich fragte, was das Weiße auf dem Berge bedeute, antworteten meistens: „Steine,“ zuweilen auch: „Das wissen wir nicht.“ Von den Mohammedanern hört man wohl die Meinung aussprechen, daß es Silber sei, und es geht die Sage, auf der Spitze des Berges lägen große Schätze, die aber von einer Mauer umschlossen seien; wer es wage, die Mauer zu ersteigen, falle auf der andern Seite todt herab. Einige schlaue Neger, die in der Weltstadt Sansibar, dem Paris Ostafrikas, schon Eis kennen gelernt hatten, wußten allerdings die richtige Erklärung. Da aber ihre Sprache keine Ausdrücke für Schnee und Eis besitzt, so halfen sie sich in der Weise, daß sie sagten: „Das Wasser ist durch die Kälte geronnen.“ Ergötzlich war auch zu beobachten, wie die Sansibar-Neger sich über den bei der Athmung in der kühleren Luft sichtbar werdenden Wasserdampf belustigten, eine Erscheinung, die in dem Küstenklima, wo die Temperatur nicht unter 15° R. sinkt, natürlich nie vorkommt. Als ich, mit meiner Karawane am Fuße des Schneeberges lagernd, an einem kalten regnerischen Morgen aus dem Zelte trat und von meinem Reitesel wie gewöhnlich mit einem Willkommschrei begrüßt wurde, brachen die Sansibar-Neger in ein lautes Lachen aus und riefen: „punda analia moschi,“ das heißt: der Esel schreit Dampf.

Das Volk, welches die Abhänge des Schneeberges bewohnt, aber nur bis zu einer Höhe von 5000 Fuß, wo noch Bananen gedeihen, ist ein friedlicher ackerbautreibender Stamm, die sogenannten Watschaga, die zugleich auch als tüchtige Schmiede berühmt sind und die besten Schwerter und Speere liefern. Hier wäre ein richtiger Ort, eine Kulturmission zu errichten, die Eingeborenen in den verschiedenen Handwerken auszubilden und Versuche mit der Anpflanzung werthvoller Handelsprodukte zu machen. Zahlreiche, nie versiegende Quellen kommen von dem Berge herab, Nahrung ist das ganze Jahr im Ueberfluß zu erhalten, die Wälder liefern verschiedenartige Nutzhölzer, unter welchen besonders ein leichtes zu Drechslerarbeiten sehr geeignetes Holz sich findet, aus welchem die Eingeborenen Gefäße schneiden. Elefanten sind an den Abhängen des Berges noch in großer Menge vorhanden.

So friedfertig im Allgemeinen der ackerbautreibende Neger Ostafrikas ist, so bösartig und unverträglich sind die Hirten- und Nomadenvölker. Das ganze oben charakterisirte Gebiet Ostafrikas wird von solchen Nomadenstämmen bewohnt. Den nordöstlichsten Theil desselben haben die Somali inne, die als fanatische Mohammedaner von allen am meisten gefürchtet sind. Manches an dem so verhängnißvollen Kap Guardafui gestrandete Schiff fiel ihnen zur Beute; schonungslos wurden alle an Bord befindlichen Personen niedergemacht, bis vor Kurzem England einen Vertrag mit den Häuptlingen zu Stande gebracht hat, welcher die ganze Ladung des Schiffes den Eingebornen zuerkennt, wohingegen diese sich verpflichten, das Leben der Schiffbrüchigen zu schonen. Die Häuptlinge [211] sind nur aus dem Grunde diesen Vertrag eingegangen, weil sie nunmehr als rechtmäßige Besitzer die erbeuteten Waaren unbehindert in dem nahe gelegenen Aden verwerthen können.

Den zweiten dieser Volksstämme, welcher südlich und westlich von den Somali wohnt, bilden die Gala, unter denen ich auch einige Monate zubrachte. Früher den Massai an Wildheit gleich, hat der südlichere Zweig dieses Stammes, wiederholt durch die Somali besiegt, sehr an Kraft eingebüßt und ist umgänglicher in dem Verkehr mit Fremden geworden, während der nördlichere noch immer ein unbändiges kriegerisches Volk ist, das zahlreiche Pferde besitzt und beritten in den Kampf zieht. Den dritten Stamm endlich bilden die zwischen den ostafrikanischen Schneebergen und dem Viktoria Nyanza wohnenden Massai und die ihnen nahe verwandten Kuafi. In Körperbildung, Sprache, Sitten und Gebräuchen sich ähnelnd sind diese vier Stämme doch unter einander die erbittertsten Feinde. Wir wollen jetzt die Lebensweise der Massai als des urwüchsigsten und noch in keiner Weise von der Kultur beeinflußten Volkes etwas genauer betrachten.

Massai-Krieger im vollen Kriegsschmuck.

Das ganze Leben dieses Volkes dreht sich gleichsam nur um einen Gegenstand, nämlich das Rind. Von ihm lebt der Massai ausschließlich. Um des Rindes willen zieht er in den Kampf, und alles, was er thut, steht in irgend einem Zusammenhang mit dem Thiere, ohne das er nicht zu existiren vermag. Da die jüngeren Leute, die Krieger, nur die Milch und das Fleisch des Rindes genießen – Ziegenfleisch und Ziegenmilch ist für die Weiber – so ist der Verbrauch ein so großer, daß er durch die Zucht allein nicht gedeckt werden kann. Es bedarf daher häufiger Raubzüge zu den benachbarten Negerstämmen, zumal es das Bestreben eines jeden Jünglings ist, eine möglichst große Menge Vieh zu erbeuten, um dann behaglich leben und heirathen zu können. Denn dem Kriegerstand ist die Ehe nicht gestattet, auch enthält er sich des Genusses von Tabak und alkoholischen Getränken, um nicht an Widerstandskraft einzubüßen. Der Krieger legt alles darauf an, einen recht abschreckenden und wilden Eindruck auf seinen Feind hervorzurufen, deßhalb putzt er sich zum Kampfe in der verschiedensten Weise heraus. Auf unserer Abbildung, welche nach einer photographischen Aufnahme angefertigt ist, sehen wir einen langen geschmeidigen Krieger in vollem Kriegsschmucke. Um das Gesicht die in einen Rahmen von Rindshaut eingenähten Straußenfedern; auf der Spitze prangt der weiße Schwanz eines Affen. Die Backen sind mit weißer Thonerde bestrichen, in der Hand trägt er den langen mächtigen Speer, um die Hüften ein kurzes Schwert, und eine Keule, aus dem Horne des Rhinoceros geschnitzt, steckt an der rechten Seite. Den linken Oberarm ziert ein Armband aus Perlen; an der rechten Hand sehen wir einen langen den Mittelfinger schildartig bedeckenden Ring von Eisen. Die Unterschenkel tragen einen Schmuck aus dem schwarz-weißen Fell eines Affen, und von der Schulter herab wallt ein Mantel aus dünnem Baumwollenstoffe, der von den mohammedanischen Kaufleuten in dieser Weise dem Geschmack der Massai entsprechend in den Handel gebracht wird. Der mächtige aus Ochsen- oder Büffelhaut verfertigte Schild ist schwarz-weiß-roth mit verschiedenartigen Mustern bemalt. Die Krieger lieben auch – tout comme chez nous – klingende Geräusche, besitzen aber, was musikalische Instrumente betrifft, nur einen Gegenstand, den man höchstens mit unserem Schellenbaum vergleichen könnte, nämlich länglich geformte Schellen, die um den Oberschenkel geschnallt werden. Um das Fußgelenk legen sie winzige Schellchen, welche beim Gehen ein dem Sporengeklirre täuschend ähnliches Geräusch hervorbringen. Die gemeinen Soldaten gehen fast unbekleidet, nur eine kleine Haut aus Ziegenfell hängt auf der Brust herab.

Ohne ein Zeichen von Unbehaglichkeit zu äußern, erschienen diese Jünger des Mars in solch dürftiger Uniform selbst des Morgens bei einer Temperatur von 7° R. in unserem Lager. Im Kampfe sind sie unwiderstehlich und fürchten den Tod nicht. Die Mohammedaner erzählen, daß, wenn man sich einem verwundeten Massai nähere, er seinen Feind mit wüthendem Blicke auffordere, ihn zu tödten. Der Massai kämpft nur mit der Lanze als Stoßwaffe; das Feuergewehr verachtet er und ist sich dessen Gefahr noch nicht recht bewußt. Vor einigen Jahren wurde eine Abtheilung von 60 Mann einer Elfenbeinkaravane von den Massai aufgerieben. Nachdem alles Lebende getödtet war, errichtete man einen Scheiterhaufen, um sämmtliche unnützen und gefährlichen Gegenstände zu vernichten, darunter vor allem die Gewehre. Nun beging man aber die Unvorsichtigkeit, die letzteren zum Theil mit der Mündung nach außen zu stecken, und als das Feuer die noch geladenen Gewehre ergriff, wurden auf diese Weise mehrere der umstehenden Massai verwundet.

Den Hauptschmuck der Männer bilden Ohrringe aus Metall, Perlen oder geflochtenen Bastfasern, welche bei einzelnen Leuten oft so groß sind, daß sie bis auf die Schultern reichen. (Vergl. unsere Anfangsvignette S. 210.) Sogar die vor meinem Zelte aufgehangenen Thermometer versuchte man als Ohrschmuck zu verwenden. Die Weiber legen den meisten Werth auf dicken Eisendraht, der in dichten Spiralen um Ober-, Unterarm und Unterschenkel gewunden wird. Auch um den Hals wird dieser Draht getragen, jedoch in lockeren Windungen, die wie eine mächtige Halskrause weit abstehen. Das Gesammtgewicht eines solchen Eisenschmuckes beträgt mindestens 25 Pfund. Außerdem hängen aber noch an den Kopfseiten der verheiratheten Frauen große Doppelscheiben aus spiralig gewundenem dicken Messingdraht, die an den bei allen Individuen enorm ausgedehnten Ohrläppchen befestigt und so schwer sind, daß sie noch durch ein besonderes über den Kopf laufendes Riemchen gehalten werden müssen, wodurch mit der Zeit ein tiefer Einschnitt in die Haut verursacht wird. Man sieht, daß auch diese Damen um der Mode willen viel zu ertragen vermögen, besonders wenn man bedenkt, daß sie mit all dem Zierrath auch noch sehr angestrengt arbeiten müssen.

Kinder, Weiber und alle verheiratheten Männer rasiren sich den Kopf vollständig. Nur bei den dem Kriegerstande angehörigen jungen Männern ist es üblich, das Kopfhaar zu pflegen und in zierlichen und auffallenden Frisuren zu zeigen. Hier kann man die schönsten Zöpfe und Chignons sehen. Eine eigenthümliche, aber auch bei anderen afrikanischen Stämmen beliebte Frisur wird in der Weise hergestellt, daß man die Haare des Vorderkopfes in drei mit Bast umwickelte Hörnchen zusammenflechtet, die über der Stirn etwas vorspringen und sich dann nach oben und hinten biegen.

Wenn die Entwickelung der Kochkunst einen Rückschluß auf die Kulturstufe eines Volkes gestattet, so befinden sich die Massai auf einer sehr niedrigen. Man genießt nur Milch und an Holzspießen oberflächlich geröstetes Fleisch, welches Rinder, Schafe und Ziegen liefern. Geflügel, Wildbrett und Fische werden durchaus verschmäht. Nur im Falle der Noth bequemt man sich dazu, vegetabilische Nahrung zu genießen. Trotz der großen Einfachheit der Speisen bestehen dennoch besondere Regeln in Bezug auf Zubereitung und Genuß derselben, die zum Theil an die semitischen Vorschriften erinnern. Milch und Fleisch dürfen niemals zusammen genossen werden, sondern man lebt eine Zeitlang (10 bis 15 Tage) nur von Milch und dann wieder eben so lange ausschließlich von Fleisch. Erstere darf niemals gekocht werden, auch ist es nicht erlaubt für Fleisch und Milch dasselbe Gefäß zu benutzen. Man ist so ängstlich bemüht eine Berührung dieser beiden Nahrungsmittel zu vermeiden, daß man sogar, bevor man von einem zum anderen übergeht, ein Brechmittel nimmt.

Der Glaube an Zauberkräfte besonders im bösen Sinne, der selbst in unserem aufgeklärten Europa noch nicht ganz verschwunden, ist bei diesem Volke noch ein allgemeiner. Besonders fürchtet man sich vor dem bösen Blick, und man gebraucht verschiedene Schutzmittel, um ihm zu begegnen: junge Mädchen tragen einen aus dem Holze einer bestimmten Baumart geschnitzten Halsschmuck, während die Krieger glauben, sich durch Rindermist sichern zu können, der auf Backen und Stirn aufgetragen wird. Eine besondere Kraft scheint dem Speichel zugeschrieben zu werden, wenigstens reichen die jungen Krieger den Leuten ihres Stammes, welche den Ruf haben, Wunderkräfte zu besitzen, die Hand hin, damit jene darauf speien, und auch von mir verlangte man dies mitunter in einem Maße, daß bei der starken Hitze die Speicheldrüsen ihren Dienst versagten. Die Mohammedaner, die übrigens selbst kaum weniger abergläubisch sind, wissen den Aberglauben der Eingeborenen, mit denen sie einen regen Elfenbeinhandel treiben, geschickt für sich auszubeuten, indem sie die verschiedensten werthlosen Gegenstände, unter denen beschriebene Papierstreifchen eine Hauptrolle spielen, mit Erfolg gegen bösen Blick, Krankheiten und alle möglichen Uebel ausbieten.

Es wird nämlich das Massai-Land, seitdem das Elfenbein so bedeutend im Preise gestiegen, alljährlich von mehreren oft 600 bis 1000 Mann starken Karavanen aufgesucht. Diese haben mit vielen und großen Entbehrungen und Gefahren zu kämpfen. Die fast ausschließlich an vegetabilische Nahrung gewöhnten Küstenbewohner sind für längere Zeit nur auf [212] Fleischkost angewiesen, die bei ihnen mannigfache Verdauungsstörungen hervorruft, zumal die hungrigen Träger das Fleisch oft halbroh verzehren.

Dr. G. A. Fischer’s Karavane von einem Nashorn angegriffen.

Da ferner das Wasser in gewissen Distrikten sehr knapp ist, so müssen oft acht- bis zehnstündige Märsche zurückgelegt werden, ehe man einen Wasserplatz erreicht. Unter den den Fremdlingen drohenden Gefahren ist eigentlich nur die Feindseligkeit der Eingeborenen von Belang; wilde und gefährliche Thiere geben in Afrika nur selten Veranlassung zu Unglücksfällen; giftige Schlangen sind im Allgemeinen selten; von meiner 230 Mann starken Karavane wurde während eines achtmonatlichen Aufenthaltes im Innern nicht ein einziger unter den barfuß durch dick und dünn laufenden Leuten von einer Schlange gebissen. Der Löwe geht dem Menschen bei Tage immer aus dem Wege, und Nachts halten Dornenverschanzung und Wachtfeuer diesen und andere Raubthiere zurück. Die einzigen Thiere, welche ungereizt auf den Menschen losgehen, sind sonderbarer Weise alte männliche Büffel und die Nashörner. Letztere greifen jedoch den sich heranschleichenden Jäger nicht an; sobald sie ihn wittern oder bemerken, nehmen sie die Flucht, wie ich wiederholt zu beobachten Gelegenheit hatte. Dagegen scheinen ihnen die langen Züge der Karavanen ein großes Aergerniß zu bereiten. Zweimal wurde die unsrige von Nashörnern angegriffen, das eine Mal von einen Pärchen, das andere Mal von einem einzelnen Thiere. Wie rasend kommen sie auf die Karavane zugestürmt, mit gesenktem Kopf, zischend und fauchend, einer dahin brausenden Lokomotive vergleichbar. Das von der Hand Mützel’s gefertigte Bild veranschaulicht eine solche Situation. Sobald der Ruf: „Faru, Faru!“ (d. h. Nashorn) erschallt, bemächtigt sich der Karavane eine allgemeine Panik, die Träger werfen ihre Lasten fort, die Einen suchen Bäume zu erklettern, die Anderen sich hinter Büschen zu bergen, die Dritten sich durch die Flucht zu retten. Den Eseln, auf die es jene Ungethüme besonders abgesehen haben, werden schleunigst die Lasten abgeworfen, um ihnen die Flucht zu erleichtern. Ist dazu keine Zeit mehr vorhanden, und entziehen sie sich nicht durch rasche seitliche Wendungen den hierzu ungeschickten Angreifern, so werden sie aufgespießt und in die Luft geschleudert. Finden die wüthenden Thiere auf ihrem Wege kein lebendes Wesen vor, so beschnüffeln sie für einen Augenblick die auf dem Boden liegenden Kisten und Kasten und stürmen dann in gerader Richtung weiter. Die Mohammedaner behaupten, wenn man beherzt stehen bleibe, werde man nicht angegriffen; das Thier mache dann wenige Schritte vor dem Menschen Halt und wühle mit dem Horne den Boden auf, sodaß man Zeit habe, es durch einen wohlgezielten Schuß ins Genick niederzustrecken. Es dürften sich aber wohl Wenige finden, die beherzt, kaltblütig und ruhig genug sind, sich hierauf einzulassen. – – –

Der Vulkan „Dönjö Ngai“ (Gottesberg).

Nachschrift der Redaktion. Die interessanten Mittheilungen unseres geschätzten Mitarbeiters, dem wir u. A. auch unsere Illustrationen zu dem Artikel Sansibar in Nr. 6 der „Gartenlaube“ verdanken, werden von unseren Lesern gewiß mit besonderer Freude begrüßt werden. Jene wenig erforschten Länder an der ostafrikanischen Küste (erst in diesen Tagen ist in London das erste ausführlichere Werk über dieses Gebiet unter dem Titel „Durchs Massai-Land“ [Throuh Masai Land] von Joseph Thomson erschienen) sind für unsere Kolonialbestrebungen in letzter Zeit besonders wichtig geworden. Vor einigen Wochen hat bekanntlich Dr. Gerhard Rohlfs als Generalkonsul des Deutschen Reiches in Sansibar seinen Einzug gehalten und dem Sultan sein Kreditive überreicht. Die Aufgabe des rühmlichst bekannten Afrikaforschers wird vornehmlich darin bestehen, den bereits aufblühenden nicht unbedeutenden deutschen Handel und die neuen deutschen Kolonialunternehmungen in jenen Ländern thatkräftig zu unterstützen. Der Anfang dazu ist bereits gemacht worden. An der Ostküste von Afrika, in der Nähe von Sansibar, weht nunmehr eine Flagge, der wir dasselbe Glück wünschen, das dem Stanley’schen Banner geleuchtet, die Flagge der „deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft“, die einen schreitenden Löwen im rothen Felde zeigt, dessen Hintergrund mit einem Sternbild geziert ist. Diese neue Gesellschaft hat in Usegua, Usagara etc. an 2500 Quadratmeilen Land erworben und gedenkt dort nicht allein Handel zu treiben, sondern auch Tabak, Thee, Opium etc. zu bauen. Auch hier werden jedoch die Deutschen zunächst nur Kapital und Intelligenz verwenden können, da auch diese Länder, soweit bis jetzt Nachrichten vorliegen, zur Gründung von Ackerbaukolonien nicht geeignet zu sein scheinen und weiße Arbeiter in den Plantagen nicht beschäftigt werden können. Trotzdem ist eine gewisse Aussicht vorhanden, daß die Arbeiterverhältnisse an der Ostküste von Afrika sich günstiger gestalten werden als in Miseren an der Westküste gelegenen Kolonien, daß dort unseren Landsleuten gelingen wird, die Eingeborenen zur Arbeit heranzuziehen und ihnen die Segnungen der wahren Civilisation zu bringen.