Deutschlands Barde und Brahmane

Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Deutschlands Barde und Brahmane
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 85–89
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutschlands Barde und Brahmane.
Von Friedr. Hofmann.


Friedrich Rückert.

Wir waren lockenköpfige Gymnasiasten zur Blüthezeit der altdeutschen Röcke und der Ziegenhainer und jubelten, so ein Dutzend, aus Coburg’s Thoren, um den Schleusingern, d. h. den Zöglingen des Schleusinger Gymnasiums, einen Besuch zu machen. Fröhlich zogen wir die Lossau (jetzt Bahnhof) dahin und an dem nahen Dorfe Neuseß vorüber; selbst die dort linker Hand von einem wohlgepflegten Hügel herabschauende schwarze Grabsäule Thümmel’s, des Dichters der Wilhelmine, konnte keinen Schatten auf die sonnenhellen Gesichter unserer Schaar werfen. Da schweigt auf einmal das muntere Durcheinander des Gesangs und Gesprächs. Einer stößt den Andern an, Aller Augen richten sich vorwärts auf eine Gestalt, die einsam und gemessenen Schritts des Weges daher wandelt. Es ist ein hochaufragender Mann in einfacher dunkler Kleidung. Er schreitet langsam daher, die Hände auf dem Rücken; die langen Locken des sinnend gesenkten Hauptes ruhen auf den Schultern. Je näher wir ihm kommen, desto rascher schlagen die jungen Herzen. Er ist’s! Ich zitterte vor Seligkeit, ich jauchzte innerlich über den kecken Gefühlsausbruch meiner Genossen, die plötzlich wie aus Einem Munde das Lied sangen:

„Bedeckt von Moos und Schorfe
Ein Eichbaum hoch und stark“ –

aber mitsingen konnte ich nicht, sah ich doch zum ersten Mal in [86] meinem Leben einen großen Dichter! Da schritt er! Wie sein ernstes Antlitz sich mit dem Roth der Freude überzog, als der Gesang begann! Und gar der Blick, der unsern Gruß belohnte! Solche Augen hat kein anderer Mensch, ihr Blick umfaßt alles Herrlichste der Augen, von der begeisternden Hoheit der Manneswürde bis zur strahlenden Wärme der Mutterliebe. Ein solcher Blick war uns zu Theil geworden, er war wie eine heilige Weihe in uns gefahren und erfüllte unsere frischen Seelen den ganzen Tag.

Das war Freimund Reimar, der patriotische Dichter der „geharnischten Sonette“, das war Friedrich Rückert, der Sänger der „Oestlichen Rosen“ und des „Liebesfrühlings“, der Beherrscher der Weisheit und Dichtkunst des Morgenlands mit jener deutschen Sprachgewalt, die bereits über die „Makamen des Hariri“ ihren kühnen Sieg gewonnen hatte.

Giebt es ein schöneres Glück auf Erden, als ein geliebter Dichter seines Volks zu sein, und als das Bewußtsein, diese Liebe redlich verdient zu haben? – Beides, diese Liebe und dieses Bewußtsein, schmückte schon damals das Leben des jugendlichen Mannes, und sie sind die zwei Hälften seines Dichterkranzes geworden, der, dauernder als tausend Diademe, alle Stürme in den vielen wilden Bewegungen der Geister seiner Zeit überstand, von keinem neuen Streben verdunkelt, von keinem eigenen Fehl betastet wurde und nun auf des Greisen Locken als der reinste Schmuck glänzt, den in unseren Tagen ein Haupt in Deutschland trägt.

Das wahre Verdienst dieses großen Dichters, Gelehrten und Menschen um die Veredelung des deutschen Herzens, um die Bereicherung des deutschen Geistes, um die Verherrlichung des deutschen Lebens hat, trotz aller bisherigen Anerkennung, seine volle Würdigung erst noch zu erwarten. Denn wenn auch Friedrich Rückert in der That ist, was er eben genannt wurde, ein geliebter Dichter seines Volks, so ist er dies schon um das verhältnißmäßig Wenige, was bis jetzt nur von der Gesammtheit seiner Werke in das Volk gedrungen ist. Der Schatz, den dieser Dichter aus seinem eigenen Geist und aus dem vieler Völker geschöpft und in den kunstreichsten Gefäßen seiner Formenfülle aufgestellt hat, erschien gleichsam dem Volke (d. h. hier der großen Masse der Lesenden und Singenden) theils zu prächtig, zu „vornehm“, theils zu fremd, als daß es sich an denselben gewagt hätte. Dazu kam die lange schlimme Zeit der wohlgepflegten Verwässerung der Volkslectüre. Es ist eine alte und deshalb um so traurigere Erfahrung, daß in Zeiten politischer Erschlaffung jede gemeine Speculation zur Ausbeutung derselben herbeieilt und daß dabei leider die literarische und buchhändlerische nicht die letzte ist. Auch der wenig bemittelte Theil des Volks ist in seiner Masse ein reicher Käufer, aus dessen Schwächen und Liebhabereien von oben und unten Rechnung gemacht wird. Da findet die leichteste Waare Absatz; der Mensch ist aber so, daß in schlaffen Zeiten der leichte geistige Genuß bei ihm rasch zur lieben Gewohnheit wird und daß eine sehr kräftige Aufrüttelung dazu gehört, um ihn für Besseres wieder empfänglich zu machen. Seit den Befreiungskriegen haben wir drei solche Sumpfzeiten erlebt, nach 15, nach 30 und nach 48; sie waren stets die schlechtesten für die Würdigung der guten freisinnigen Dichter, während jede Zeit nationaler Erhebung ihnen neue Blüthentage des Wirkens und der Anerkennung brachte. Auch Rückert’s Werke haben diese Erfahrung gemacht. Sie wurden bei Seite geschoben, so lange die Schwäche in den Herzen des Volks zu Thron saß; es war, als schämte man sich vor ihnen, wie vor einem Spiegel der Wahrheit. Nur die Männer voll ernsten Strebens, die Frauen voll reinen Empfindens und die Jugend voll redlichen Feuers – sie hielten treu zu ihrem Dichter, und durch sie, eine rechte Leibgarde des ewig siegreichen wahren Genius, gewann er bei jedem neuen Aufschwung des deutschen Volksgeistes neuen Boden, neues frisches Feld des Wirkens.

Ein solcher neuer Aufschwung ist das hohe Glück unserer Tage. Abermals ist ein Sumpf überwunden, und männlicher, entschlossener, ernster, als je, hat das Volk die Bahn des nationalen und socialen Fortschritts betreten. Der Stolz ist wieder erwacht auf die Ehre, deutsch zu sein! Deutsch zu sein, ist wieder eine Tugend, ein Ruhm; die Männer der deutschen Ehre, von jeder Reaction sorglich in die Winkel, aus dem Gesichtskreis der Menge geschoben, werden im Triumph wieder auf die Sessel des Forums getragen; das deutsche Volk hat seinen Schiller, seinen Arndt, seinen Humboldt, seinen Uhland gefeiert, es feiert seinen Seume, seinen Jean Paul – und sie alle sind todt! Das deutsche Volk kennt seine große Schuld, es sehnt sich, endlich an Lebenden gut zu machen, was es so reichlich an denen verschuldet, die nun todt sind, und darum verlangt es die Feier seines größten Dichters unter allen noch lebenden, es verlangt die Bekränzung seiner letzten hohen Ehrensäule aus der ersten großen Kampfzeit des Jahrhunderts. Und dieses Verlangen des Volks ist’s, dem die Gartenlaube hiermit entspricht, indem sie das Bildniß Friedrich Rückert’s, der am 16. Mai 1863 sein fünfundsiebzigstes Jahr[1] vollendet, und diese Worte mittheilt, als ein bescheidenes Geleit zum Bilde.

Kehren wir nun zu unserem Anfang zurück. Damals, als Rückert’s Gruß unsere jungen Seelen so glücklich machte, war er ein blühender Mann am Ziel der Dreißiger. Er wohnte seit einigen Jahren als Professor in Erlangen, verlebte aber die Ferienzeit am liebsten in Neuseß bei Coburg, wo er durch seine Gattin Besitzer eines anmuthig gelegenen Landguts geworden war. Rückert hatte bis dahin ein geistig sehr bewegtes Leben geführt, und da gerade er nur Dichter ist, da all sein Anschauen, all sein Denken sich wie von selbst in Blüthen und Früchte der Dichtkunst verwandelt, so könnte der allumfassende Inhalt seiner Lyrik nicht wohl allgemein erkannt werden, wenn wir sein äußeres Leben hier ganz unberührt lassen wollten.

Von Haus aus zum Juristen bestimmt, entfloh Rückert dem Corpus juris auf das Gebiet der Philologie und der Kunst. Aber auch die Lehrerthätigkeit, die er als Privatdocent in Jena (1811) begann und als Gymnasiallehrer in Hanau fortsetzte, sagte ihm, wohl wegen der langen Pedantenzöpfe in den Schulhallen jener Zeit, nicht zu, und so ließ er sich bald als Privatgelehrter in Würzburg nieder. Hier traf ihn das große Jahr 1813. Finden wir in seinen Liedern schon seit 1810 den kühnen patriotischen Ton angeschlagen, so schleuderte er jetzt wahre Feuerbrände von Feindeshaß und Vaterlandsbegeisterung in das Volk, dem er zugleich die geduldete Schmach mit den glühendsten Farben malte. Seine „Geharnischten Sonette“, seine „Deutschen Lieder“, seine „kriegerischen Spott- und Ehrenlieder“ stellten ihn in die gleiche Kämpferreihe mit Arndt und Körner, nur daß er jenen durch Klarheit und die humoristische Frische des Volkstons, diesen an Natürlichkeit und durch entschiedene Originalität, und beide an Schwung, an der stählernen Festigkeit der Verbindung von Form und Inhalt übertraf, denn schon damals zeigte er den Meister in der Form, als der er nun einzig unter den Dichtern aller Nationen dasteht. Noch heute behaupten die genannten Zeitgedichte, sowie seine politische Komödie „Napoleon“ und sein „Kranz der Zeit“ den Werth geschichtlicher Quellen, denn ausgeprägter ist das Gesicht und Herz jener Zeit nicht zu finden, als in ihnen; sie können in ihrem Werthe nicht veralten; ja, viele haben noch heute volle Geltung. Möge eines der geharnischten Sonette hier für alle sprechen.

„Nicht mehr das Gold und Silber will ich preisen;
     Das Gold und Silber sank herab zum Tande,
     Weil würdiglich vom ernsten Vaterlande
     Statt Golds und Silbers ward erhöht das Eisen.
Wer Kraft im Arm hat, geh’ sie zu beweisen,
     Ein Eisenschwert zu schwingen ohne Schande,
     Es heimzutragen mit zerhau’nem Rande,
     Und dafür zu empfahn ein Kreuz von Eisen.
Ihr goldnen, silbren Ordenszeichen alle,
     Brecht vor dem stärkeren Metall in Splitter,
     Fallt, denn ihr rettetet uns nicht vom Falle.
Nur ihr, zukünft’ge neue Eisenritter,
     Macht euch hinfort zu einem Eisenwalle
     Dem Vaterland, das Kern jetzt sucht statt Flitter.“

So ganz erfüllt von der Herrlichkeit und begeistert für den Preis des deutschen Wesens war Rückert, daß er damals den Plan entwarf, den glanzreichsten Theil unserer Reichsgeschichte, die Zeit der Hohenstaufen, zum Gegenstand eines großen Epos oder eines Cyclus von Epopöen zu machen. Er ging an die Vorstudien dazu mit der Gewissenhaftigkeit eines deutschen Geschichtsforschers, und weil ihm die nöthigen Quellen in Deutschland fehlten, so verließ er im Herbste 1817 Stuttgart (wo er seit 1815 die Redaction des Morgenblattes [87] geleitet hatte) und eilte nach Italien. Aber nur zu bald trafen ihn in Rom die Nachrichten über die neue deutsche Misère, den Undank der Regierungen, die Demagogenriechereien und all den Jammer, der den kaum gehobenen Volksgeist von Neuem niederdrücken sollte. Da wandte der Dichter, verbittert, von seinem Verherrlichungswerke sich ab und zunächst den Minnesängern und der italienischen Volkspoesie, bald aber, nachdem er in Wien (1819) durch Hammer auf den Orient hingewiesen worden war, der umfassendsten Pflege der Völkerpoesie zu, indem er zu der Herrschaft über die Sprachen und Literaturen des Abendlandes, die alten wie die neuen, nun auch die des Morgenlands fügte.

Für diejenigen unserer Leser, welche Rückert’s Werke kennen, würde mit der Andeutung des äußeren Wegs für die Gestaltung der innern Thätigkeit des Dichters hier nun genug des Biographischen gegeben sein. Unser Artikel soll sich jedoch hauptsächlich an diejenigen richten, welchen der hohe Genuß, den ersten Gang durch die Prachthallen der Rückert’schen Poesie zu thun, noch bevorsteht. Diese müssen wenigstens zu einigen seiner Dichtungen näher herangeführt werden, damit wir der Freude sicher sind, ihnen durch diese Verlockung wirklich den Weg zu der Lebensverschönerung gewonnen zu haben, die sie in Rückert finden. Die Verlockung wird leicht, weil anzunehmen ist, daß alle unsere Leser einmal recht herzlich geliebt haben oder noch selige Liebesleute sind. Ihnen verrathe ich, daß Rückert im Jahr 1821 in Coburg einen Kranz von Gedichten lebte, der aus fünf Sträußen besteht, aber einen Kranz von so edlen reinen Kindern der heiligen Natur, daß bis heute Jeder, der diese Sträuße recht innig und sinnig angeschaut, sie schließlich an das Herz drückte als das liebste Kleinod unter den Schätzen der kleinodreichen Schatzkammer unserer Dichtkunst: das ist Friedrich Rückert’s „Liebesfrühling“. Er beschreibt darin zwar nur die allbekannte uralte und ewigneue Geschichte einer Liebe, aber es ist die Liebe eines Dichters, der mit dem glücklichen Auge seines scharfen Geistes die erotischen Auen vieler Völker ruhig, prüfend, sammelnd und sichtend durchforscht hat und nun plötzlich selbst mitten in dem eigenen Liebesgarten steht. Einem solchen Auge entgeht kein Blümchen, kein Hälmchen, wenn noch so klein und versteckt, und selbst das unscheinbarste schmückt seinen Strauß und vervollständigt den Kranz, weil der Liebesblumenmann es an seinen rechten Ort bindet. Und wie leise hört das Ohr seines Herzens, wie feine klingende Hauche hat er entdeckt und wie zart sie in Gestalt gebracht! Es ist ein wunderbares Buch! Wer selbst die Liebe durchgelebt, dem ist’s wie sein eigenes geheimes Tagebuch aus jener Zeit: es hat Alles verrathen! Alle hohe heilige Wonne vom Augenblick des ersten Findens bis zu dem des Ewigbindens, all die flüsternden Worte, das leiseste Lispeln, die fragenden Blicke, ja jede Schelmerei des köstlichen Glücks ist festgebannt, ist ewig festgehalten, und es spricht sie nicht blos der jubelnde Bräutigam, auch von den Lippen der Braut fallen die sinnigsten Gedankenblumen und Gefühlsblüthen, so daß man oft fast nicht zu sagen weiß, wer von Beiden das Lieben besser versteht. Ja, wie in Rückert Alles Wahrheit ist, so spricht sie auch offen aus den Worten:

Es reut mich jeder Liedeston,
Der auf’s verworrene Getriebe
Der Zeit sich wandt’ und nicht auf Liebe.
Die Liebe ist der Dichtung Stern,
Die Liebe ist des Lebens Kern;
Und wer die Lieb’ hat ausgesungen,
Der hat die Ewigkeit errungen.“

Wahrlich, es sollte in Deutschland keine Verliebten und keine Verlobten mehr geben, die nicht aus diesem ewig klaren Born der Liebe für ihren eigenen Bund die dichterische Verherrlichung schöpften. Um wie viel edler würde es bald in Tausenden von Herzen und Häusern aussehen!

Es ist ein hartes und schweres Ding, Rückert’s Werke neben sich liegen zu haben und einen kurzen, gedrängten Artikel über ihn schreiben zu sollen. Man muß das Blättern in den lieben Büchern sein lassen. Da winken die „östlichen Rosen“ und beweisen uns, daß Rückert in das Morgenland mit seinem kerndeutschen Herzen gegangen ist und daß es keinen höheren Wunsch hegt, als unter den fremden Schätzen die herrlichsten in’s Vaterland heim zu tragen zur Erhebung, Erbauung und zum Ergötzen seines lieben deutschen Volkes; und da winkt die „Amaryllis“, das liebliche, kunstreich gestaltete Vorspiel zum Liebesfrühling; und dort winkt wieder „Rodach“ mit seinem ehrwürdigen Superintendenten (Hohnbaum), und da wieder die italienische Beute an Sicilianen und Ritornellen, und dort locken Edelstein und Perle und hier die fünf Märlein für mein Schwesterlein. – – „Mach’s Buch zu!“ mahnt’s in mir. Ich thu’s und stoße dabei an „die Verwandlungen des Abu Seid“, jenen verwegensten Reimkampf in unserer ganzen Literatur, und klingend und schwingend, flirrend und klirrend stürzen sie auf „Nal und Damajanti“, die indische Erzählung, hin und schieben sie mir mitten auf mein Schreibeblatt, als ob sie sagen wollten: „Da, zeig’ uns nur Deinen Leuten und berichte ihnen, wie Rückert uns und euch ehrt, wie er wahrhaft „verdeutschet“ gleich einem zweiten Luther, und gleich einem zweiten Columbus immer neue Reiche des Geistes für die Herrschaft der deutschen Dichtkunst entdeckt und erobert.“

Was hilft alles Zureden? es geht heut nicht. Und euch soll man den Leuten erst zeigen? Steht ihr nicht von eurer Geburt her gleich so hoch, daß Alle euch sehen können, wenn sie sich nur entschließen wollen, die Augen aufzuthun? Ihr seid jetzt schon die Lieblinge aller wirklich Gebildeten, und werdet sammt euern andern stolzen Morgenlandscameraden bald die Lieblinge Aller werden, die der süße Brei der Alltagsunterhaltung anekelt, die nach Männerkost für ihren Geist trachten und die für die Schönheit, Kraft und Anmuth ihrer Muttersprache Herz und Sinn haben.

Wir folgen jetzt lieber jenem Studenten auf seinem Gang. Er trägt ein nagelneues Büchlein in der Hand; es ist wohl sein Erstling, und er wird ihn wahrscheinlich unserm Dichtmeister bringen. Richtig, da ist er in Neuseß, da geht er die Dorfgasse hinauf, da biegt er links ab, wo’s zwischen dem Lauter-Bach und der alten Gottesackermauer hingeht, und da steht er an der Pforte des gastlichen Dichterhauses. Er pocht bescheiden an, daß fast das Pochen seines Herzens lauter ist. Dennoch hat ein Frauenohr ihn gehört, eine freundliche Matrone öffnet ihm, sie weiß, wohin er begehrt, noch ehe er’s ausgesprochen, und sie führt ihn durch den Hausplatz zur entgegengesetzten Thür und ruft in den Garten hinein: „Fritz!“ Wie ihn das durchzuckt! Rufen liebe Stimmen ihm wohl auch so? Wie er’s noch denkt, tritt aus einer der Lauben die hohe Gestalt des Dichters hervor. Da hat er den Mann, für den seine Seele voll Verehrung ist.

Wer die Schilderungen gelesen oder es selbst erfahren hat, wie andere Literatur-Größen, und nicht blos namhafte französische, nur mit Hülfe gewichtiger Empfehlungen zugänglich und dann stets gerüstet sind, dem Besucher in einem auf den Eindruck sorgfältig berechneten ceremoniellen Nimbus entgegen zu glänzen, der wird sich freudig in das befreite Gemüth unseres Studenten hinein denken, als diesen nicht der berühmte Dichter und große Gelehrte in respectvoller Entfernung anhörte und abfertigte, sondern als der einfache deutsche Mann ihm zum Willkomm die Hand reichte und, zur Laube zurückkehrend, auf der Gartenbank das Plätzchen neben sich anbot. Wie glücklich fühlte sich da das Studentlein, wie hob es ihm die Brust, seinen Erstling in des Meisters Hand zu sehen, und wie mächtig drang sich ihm der Vergleich auf zwischen dem Benehmen Derer, die nur große Herren, und Derer, die große Menschen sind! Noch wirkte in ihm die Weihe nach von dem Blick, der vor Jahren den Gymnasiasten beseligt; nun saß das hohe Mannesbild, das seine jugendliche Phantasie seitdem mit allen Geistesstrahlen seiner Werke ausgeschmückt, leibhaftig vor ihm – so einfach, so bescheiden, so hausväterlich gemüthlich und doch in jedem Worte so edel, ganz und groß. Der Dichter sprach aus ihm durch die Reinheit und den Adel aller Anschauungen und die Klarheit und Wärme des Ausdrucks, der Gelehrte durch die Fülle des Wissens, die ungesucht, ohne fühlbaren Nachdruck, sich zu Dienst stellte, wenn sie gerufen ward, nicht, wie sie’s bei Professoren gewohnt ist, das Wort allein an sich riß. Es ist eine schwere Kunst, einen Reichthum von Gelehrsamkeit, wie Rückert ihn besitzt, so zu beherrschen, daß seine Wucht Niemanden drückt und Jedermann ihren Segen spürt. Auch darin ist Rückert Meister. Und wie der Dichter Alles besungen, was er gelebt hat, und wie nur Wenigen vergönnt ist, mit solchem Geiste mit den besten Geistern vieler Völker zu leben, so sind seine Werke der ganze Mann selbst und bieten der Welt eine Summe von Weisheit mit derselben herzerquickenden, erhebenden, rührenden und unnachahmlichen Liebe und Bescheidenheit, wie er dem Einzelnen dar.

Im Hause Rückert’s waltete das Glück des „Liebesfrühlings“ fort, und um die Laube schwärmte die junge Lust seiner Früchte, die liebliche Schaar der Kinder. Eines um das andere sprang herbei, mit den frischen Rosenwangen und den Augen des [88] Dichters, um den Vater um dies und das zu bitten, und der Blick auf jedes war ein Freudestrahl. Als der Student schied, begleitete ihn ein etwa zwölfjähriger Knabe durch den Garten zur Landstraße, an die dieser grenzt. War freilich zu vermuthen, daß sein kindlich zuthulicher Begleiter einmal ein Professor werden würde, das aber vermuthete er nicht, daß er mit der Zeit einen lieben Freund an ihm gewinnen und daß aus dem Knaben ein berühmter deutscher Geschichtsschreiber werden solle, der er jetzt ist: Heinrich Rückert.

Mein unvergeßlicher Lehrer, der große Geschichtsforscher Heinrich Luden in Jena, in dessen Arbeitszimmer ich manche fruchtreiche Stunde saß, erzählte mir einmal, als von den vielen damals auftauchenden Dichtern die Rede war, folgendes Geschichtchen: „Es stand ein Knabe am Fenster seiner hohen Wohnung und trieb ein kindisches Spiel. Er übergab Papierstückchen dem Zug des Windes und schaute ihnen nach, wie sie dahin wirbelten und bald da, bald dort hängen blieben oder in die Weite verschwanden. Lange sah der Vater dem Treiben des Knaben schweigend zu. Endlich fragte er ihn: Mein Kind, kann Dich das so sehr erfreuen? Komm, ich zeige Dir’s besser. Und nun nahm er ein Blatt Papier und heftete ein Holzstäbchen daran. So übergab er’s dem Winde. Und siehe, das Luftgefährt hatte gleichsam Kiel, Ballast und Steuer, nicht jeder kleine Windstoß wirbelte es hierhin und dorthin, sondern es hielt fest im großen Strom des Windes und verfolgte, wie nach einem bestimmten Ziel, in edler Schwingung seine Bahn. Sehen Sie, mein junger Freund, wie jene losen Blättchen erscheinen mir die leichten Dichter, die mit ihren ersten besten Gefühlen und Gedanken vor die Oeffentlichkeit hinlaufen; das Blatt mit dem Stäbchen zeigt mir einen Dichter, der von der Schwere reichen Wissens getragen wird und der im Strom der Zeit in immer edler Haltung ein würdiges Ziel verfolgt, und ein solcher Dichter ist unser Friedrich Rückert.“

Gerade das ist es aber, was von Rückert’s Wirken im Volke selbst am wenigsten erkannt und gewürdigt worden ist. Wie ich schon oben bemerkte, hielt das eigentliche Lesepublicum sich von Werken, wie das chinesische Liederbuch „Schi-King“, die „Morgenländischen Sagen und Geschichten“, „Erbauliches und Beschauliches aus dem Morgenlande“, die Heldengeschichte „Rostem und Seirach“, die „Brahmanischen Erzählungen“, Arbeiten, die eben so viel Triumphe des deutschen Geistes wie der deutschen Sprache sind, fern, weil es sie für zu fremd hielt und selbst den Versuch scheute, in sie einzudringen.[2] Es fürchtete sich vor der Mühe, die das Lesen gewöhnlicher Uebersetzungen macht, und dachte nicht daran, daß einem Rückert derlei rein unmöglich sind, daß er ihm nimmermehr einen Ballast von Gelahrtheit aufbürden, sondern ihm von seiner mühevollen Arbeit nur den belehrenden und erhebenden Genuß bieten könne. Erst „die Weisheit des Brahmanen“ packte wieder mit der Gewalt der geharnischten Sonette und des Liebesfrühlings die Herzen und ward in kürzester Zeit ein Volksbuch, „so viel Tiefsinniges und Klares, so viel deutsches Gemüth, so viel ergreifendes Gefühl, solche Erhabenheit der Bilder und solch einen Reichthum an tiefster Lebenserfahrung“ enthält es, so spiegelt sich in allen Sprüchen desselben „der tiefblaue Himmel der Weisheit“.

Mit dieser Dichtung kehrte, nach der Anschauung seiner Zeitgenossen, Rückert erst wieder nach Deutschland zurück. Sie konnten noch immer nicht einsehen und wollten sich aus den morgenländischen Werken nicht überzeugen, daß sein Herz es nie verlassen hatte. Und man hatte es doch so leicht, sich selbst persönlich eines Besseren zu belehren.

Um die Mitte der vierziger Jahre konnte man jeden Nachmittag, den die freundliche Sonne der milden Monate beschien, in Rückert’s Garten ein gar schönes Bild sehen. Da kam von Coburg her ein hoher, stattlicher Greis gewandelt, umspielt von fünf bis sieben keinen Hunden, seinen erheiternden Begleitern, und schritt dem Garten des Dichters zu. Dort empfingen ihn am traulichen Kaffeetisch zwischen den Blumenbeeten vor dem Hause Rückert, dessen Familie und die Gäste, die selten fehlten. Das war der Freiherr Karl August von Wangenheim, weiland Bundestagsgesandter und Staatsminister von Würtemberg, ein durch seine freie, hohe, edle, deutsche Gesinnung, wie durch Geist, Gelehrsamkeit und eine herrliche Luft und Kraft des Lebens so ausgezeichneter Mann, daß wir ihn unsern Lesern wohl einmal besonders vorführen müssen. Da saßen denn die beiden innigen Freunde, der Staatsmann, ein angehender Siebziger, neben dem nahen Sechziger, beide, Rückert im einfachsten, der ländlichen Ungezwungenheit angemessenen Hausgewand, die langen Pfeifen gemüthlich schmauchend, und um sie gereiht der reiche Kranz von des Dichters häuslichem Glück. Da wirthete seine edle Gattin, aus deren Augen noch derselbe warme Strahl drang, der einst aus ihres Freimund’s Seele den Liebesfrühling hervorgezaubert. Da schmückten den Kreis die Mädchen, die als liebliche Kinder den Studenten in der Laube umschwärmt hatten, als blühende Jungfrauen, und die Buben waren zu kräftigen Jünglingen und jungen Männern emporgeschossen. Aber des Kranzes Ehrenschmuck waren die beiden Alten.

Wangenheim lebte damals neu auf in der Freude über die dichterischen Erfolge seines Lieblingssohnes Paul, dessen treffliche Dramen „Lord Stafford“ und „die Abtrünnigen“ so eben die Bühnen beschritten hatten. Das hatte den ganzen Humor des jugendlich frischen Greises wieder geweckt, und es war eines Tages gar ergötzlich, wie er sich mit Rückert über die Darstellungen der menschlichen Leidenschaften und Schwächen durch Thiergestaltungen herumstritt. „Da hab’ ich neulich einen alten Löwen abgebildet gesehen, der griesgrämig und mit vielen großen Orden behängt in einem Winkel hockt. Sag’, Rückert, kann’s ein besseres Portrait von mir geben? Wenn’s Dich nicht zu sehr kränkte, müßte mein Paul einmal ein dramatisches Thierstück schreiben und mich als einen solchen alten abgesetzten Löwen verewigen, das gefiel’ mir am besten!“ –

Eines solchen Nachmittags entwickelte Wangenheim, während Rückert abwesend war, mir seine Ansicht über die Rückert’schen Dramen. „Die Leute verstehen ihn nicht, weil sie blos an’s Theater denken, nach dem Rückert ja gar nicht ausgeschaut hat. Er hat die Form des Drama gewählt, um dem Volk Geschichtsbilder zu malen mit lebendig hervortretenden Gestalten und zwar nur die größten Bilder aus den Wendepunkten des Gangs der Weltgeschichte. Da nehmen Sie „Saul und David“, es zeichnet die Blüthezeit des ersten Culturvolks, dem alle anderen den Grund und Boden aller Cultur, den Glauben an einen Gott, zu verdanken haben. Darauf der „Herodes“ mit Christus und der ganzen neuen Welt, die er geschaffen. Und in „Heinrich IV.“ sehen wir die christliche Priestergewalt auf ihrer höchsten Spitze, von der sie niedersteigen muß, und endlich den „Columbus“, der mit der Entdeckung von Amerika eine neue Weltordnung heraufbeschworen hat, in deren Entfaltung wir noch mitten drin stehen. Die Leute sollten diese Sachen nur recht fleißig lesen, sie würden daraus mehr mit fort nehmen, als aus Hunderten ihrer landüblichen Theaterabende.“ – So würdigen sich unsere Großen, denn auch Karl August von Wangenheim gehört, wie Rückert, zu den großen Männern des Volks.

Bekanntlich hatte König Friedrich Wilhelm IV. im Jahr 1841 den berühmten Dichter von Erlangen nach Berlin gezogen. Der kalte Boden des dortigen Lebens war jedoch nicht geeignet, daß Rückert in ihm Wurzel schlagen konnte. Er kehrte im Jahr 1848 für immer in sein trautes Neuseß zurück.

So steht denn an der Wiegenstätte seines Glücks nun auch der Ruhestuhl des Alten. Fern vom störenden Geräusch des Alltagslebens und doch am großen Strom der Zeit, hat er am grünen Ufer seine Hütte gebaut. Zwischen stillem Schaffen auf den alten lieben Fluren seiner geistigen Gebiete und in seinen Gärten lebt er hier die schönen Stunden seines Abends und schaut mit immer frischem, theilnehmendem Herzen in das Treiben der rastlosen Welt, ja, er wirkt selbst noch mit durch seine tüchtigen Söhne, die in fester, männlicher Gesinnung ihres Vaters und ihres Namens würdig sind.

Im Hause des Dichters ist’s freilich anders, ist’s stiller geworden; den einst so vollbelaubten Baum hat die Zeit entblättert. Als ich nach Jahren die liebe gastliche Stätte, diesmal am Arme meiner Gattin, die sich nach dem Anblick ihres Lieblingsdichters sehnte, wieder betrat, hatten zwei Hände vieles Leben daraus entführt: die Hand des Todes und die Hand der Liebe. Rückert’s Gattin war gestorben, der Kranz der Kinder zerstreut, jedes im glücklichen Nestchen seines eigenen Hausstandes. Nur Marie, des Vaters weiblich verfeinertes Ebenbild, war ihm als treue Pflegerin geblieben. Rückert selbst hat den Einflüssen der Jahre auf die Mehrzahl der Menschen Trotz geboten, noch ragt kräftig [89] das Haupt empor, aus den Augen leuchtet noch immer das Lebensfeuer des Dichters, und der Grundton seiner Seele, der aus allen seinen Werken hervortönt, die reinste, vollste Menschenliebe, die ihn vom höchsten heiligen Aufschauen bis zum donnernden Zorn und zum neckischsten Scherz leitet, spricht aus jedem seiner Worte und macht ein Viertelstündchen, bei ihm verlebt, zu einem Andenken für’s ganze Leben.

Möge sein Abendroth noch recht lange glühen und er noch freudig begrüßen, um was er in seiner Jugend so kräftig mitgerungen: ein glückliches Deutschland! Er hat das Seine redlich dazu gethan. – Wenn er am Fenster seiner Wohnung steht und auf die Landstraße hinüber blickt, die der rege Verkehr der Welt belebt, so kann er sagen: Dort zieht Keiner vorüber, der nicht eine Gabe von mir empfangen hätte. Ich gab den Jünglingen Lieder der Ehre, ich gab den Jungfrauen Lieder der Liebe, den Männern und Frauen gab ich Sprüche der Weisheit, ich habe die Greisen nicht mit Gebeten voll Trost und Erhebung vergessen, und den Kindern schenkte ich die Märchen zum Spiel. Er kann das Werk aller seiner Tage, nicht blos seinen Liebesfrühling, mit dem Geständniß schließen:

     „Ein Vollendetes hienieden
     Wird nie dem Vollendungsdrang,
     Doch die Seel’ ist nur zufrieden,
     Wenn sie nach Vollendung rang;
Ich bin mit dem zufrieden, was ich lebt’ und sang.“



  1. Rückert ist nicht, wie bisher angenommen und verbreitet worden, im Jahre 1789, sondern schon 1788, bekanntlich in Schweinfurt, geboren. – Unser Portrait Rückert’s ist allerdings schon vor zwanzig Jahren gezeichnet, aber es ist das beste vorhandene und von der Hand seines Freundes und Gevatters Karl Barth, eines Mannes, der sich als Kupferstecher, Zeichner und Dichter Ruf erworben und zu den Menschen gehörte, die, um ihres großen innern Werths willen, sich auch durch nur wenige Werke unvergeßlich machen. Eine vortreffliche Büste Rückert’s besitzen wir von dem Bildhauer Ernst Conrad in Hildburghausen.
  2. Rückert’s Thätigkeit auf diesem Felde verdient eine eingehendere Behandlung, als wir in dem obigen Artikel ihr widmen könnten. Wir werden der Darstellung derselben deshalb in einem Artikel über die Dichtkunst des Morgenlandes einmal einen besondern Raum bieten.
    D. Red.