Deutsches Vereinswesen in New York

Textdaten
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Autor: Max E. Flössel
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Titel: Deutsches Vereinswesen in New York
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 287–288
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutsches Vereinswesen in New York.

Von Max E. Flössel (New York).


Daß niemand in fremden Landen schneller seine Nationalität aufgebe als der Deutsche, ist eine mit Unrecht oft wiederholte Behauptung. Wenn sie gegenwärtig durch Millionen von Deutschen im Auslande zu Schanden gemacht wird, so trägt dazu nicht wenig eine Neigung der Deutschen bei, die in der That besteht und von welcher der Spott sagt, daß sie drei auf eine wüste Insel verschlagene Deutsche sofort veranlassen würde, dort einen Verein zu gründen. Gewiß wird niemand verkennen, daß ein Zusammenschluß von Landsleuten im Ausland zu einem Verein seine volle Berechtigung hat. Aber was das deutsche Vereinswesen, die in der Heimat oft bespöttelte „Vereinsmeierei“, im Auslande zur Pflege deutscher Sitte und deutscher Sprache thut, welche unschätzbare Kulturaufgabe die deutschen Vereine auf fremder Erde Jahr für Jahr erfüllen, das kann nur der beurteilen, der selbst jahrelang im Auslande geweilt hat.

Mehr als irgend ein anderes Land der Welt sind die Vereinigten Staaten Millionen von Deutschen zum Adoptivvaterland geworden, und darum haben hier am ehesten deutsche Vereine Gelegenheit, ihre Daseinsberechtigung als Beschützer der heiligsten Güter, die Mutter Germania ihren scheidenden Kindern in die Fremde mitgiebt, als Hüter deutscher Sprache und Sitte, deutscher Kunst und echt deutschen Gemütslebens zu erweisen und diese ihre wichtige Aufgabe fortdauernd zu üben. Die deutsche Presse in Nordamerika, deren Ziele ja die gleichen sind, hat dies wohl erkannt und sucht durch die Einrichtung besonderer Vereinsspalten in den Tagesblättern das Vereinsleben zu fördern.

Naturgemäß tritt in der Metropole der Vereinigten Staaten, in New York, das deutsche Vereinswesen in größerem Maßstabe in die Erscheinung als in anderen Städten der Union. Es würde über den Rahmen dieses Artikels hinausgehen, die Ursachen hierfür zu erörtern. Sicher ist, daß es in keiner Großstadt der Vereinigten Staaten so viele und so große deutsche Vereine giebt wie in New York. Der Deutsche, der hier nicht wenigstens einem Vereine angehört, würde wohl von Diogenes selbst mit der Laterne nicht aufzufinden sein, und wenn dieser weiße Rabe dennoch existiert, so muß er ein recht unbedeutendes Menschenkind sein, denn „prominent“ werden, d. h. eine Rolle spielen, kann man in Amerika am ehesten durch Politik und durch Vereine.

Leider giebt es gar keine Statistik über das New Yorker Vereinswesen, so daß man demjenigen, bei dem die Thatsachen erst mit Zahlen anfangen, nicht imponieren kann. Dies ist um so mehr schade, als fast alle Vereine einem großen Verbande angehören; die New Yorker Gesangvereine bilden die „Vereinigten Sänger“, die wieder dem „Nordöstlichen Sängerbund“ eingereiht sind, die Turnvereine haben einen großen Verband, den „Nordamerikanischen Turnerbund“, „Kriegerbund“ und „Schützenbund“ fehlen bei Söhnen des Volkes in Waffen natürlich auch nicht, die Kegelbrüder haben sich zu einem Verband zusammengethan. Sehr viele unserer deutschen Vereine haben ihre eigenen Häuser, einige darunter sogar wahre Paläste. Andere unterhalten, wie besonders die Turnvereine, eigene Schulen, geben auch wohl eine eigene Zeitung heraus. Sänger- und Turnfeste, Wettkegeln, Schützenfeste etc., bei denen überall echt deutsches Leben herrscht, rufen lebendig die Erinnerung an die Heimat wach und lassen den Einwanderer fast vergessen, daß er Tausende von Meilen von Deutschland entfernt weilt.

Eine solche Aufrechterhaltung des Deutschtums war bis 1871 nur unter großen Schwierigkeiten durchzusetzen. Um so mehr Anerkennung verdienen jene Vereine, die in den dunkelsten Tagen des „Nativismus“, da weiteste Kreise der eingeborenen nordamerikanischen Bevölkerung den Eingewanderten feindselig entgegentraten, vor ihren Namen, auf ihr Banner oder ihr Haus das Wort „Deutsch“ gesetzt hatten.

Aber seit der Einigung Deutschlands wurde auch in Amerika die Stellung der Deutschen eine andere. Der „Dutchman“ wird mehr geachtet als früher, selbst den vom wütendsten Nativismus eingenommenen Deutschenhassern unterm Sternenbanner war es klar geworden, daß man mit dem Deutschen, dessen Landsleute drüben sich zu einem mächtigen Ganzen geeint hatten, rechnen müsse. Und wie in politischer, so nahm auch in gesellschaftlicher Beziehung das Deutschtum in den Vereinigten Staaten einen gewaltigen Aufschwung. Was aber wäre noch von ihm übrig gewesen, wenn nicht neben der deutschen Presse die deutschen Vereine es gehegt und gepflegt hätten!

Naturgemäß sind jene Vereine, welche der Geselligkeit, der Pflege deutscher Gemütlichkeit einen breiten Raum in ihrem Programm gewähren, diejenigen, die am bekanntesten sind und den größten Einfluß ausüben. Zwei seit einer Reihe von Jahren jeden Winter wiederkehrende deutsche Veranstaltungen sind thatsächlich hervorragende gesellschaftliche Ereignisse der New Yorker Saison geworden: der Deutsche Wohlthätigkeitsball und der Arionball. Von diesen beiden Bällen spricht tagelang ganz New York und schreibt die Presse, auch die englische, ganze Spalten. Zum Deutschen Wohlthätigkeitsball, der im „Metropolitan-Operahouse“ stattfindet, hat sich eine Anzahl der angesehensten deutschen Vereine zusammengethan, und alle Spitzen der Stadt geben sich da ein Stelldichein. Der Reinertrag kommt einer Reihe deutscher Wohlthätigkeitsanstalten, Hospitälern etc. zu gute; er ist stets sehr beträchtlich, beläuft er sich doch manchmal auf rund 50000 Mark.

Ein noch größeres Publikum als der Wohlthätigkeitsball zieht der Maskenball des Gesangvereins „Arion“ an. Obwohl für Herr und Dame der Eintritt 40 Mark und für jede weitere Dame 20 Mark kostet, ist alljährlich der 15 000 Personen fassende Riesensaal im Madison Square Garden vollständig gefüllt, denn kein New Yorker, der als Lebemann gelten will, würde diesen Ball versäumen. Freilich wird da auch an Ausstattung ein Bild geboten, wie man es in Deutschland nur auf den Künstlerfesten oder zur Faschingszeit beim rheinischen Karneval sieht. Die Riesenhalle ist in einen Blumenhain verwandelt, ein Springbrunnen von Kölnischem Wasser verbreitet Wohlgeruch, ein Ballett von 60 Tänzerinnen eröffnet den Ball, und der große Umzug um 11 Uhr bringt Hunderte von charakteristischen Masken und prächtige Dekorationswagen, an denen die elektrische Technik wunderbare Effekte hervorzaubert. Jeder dieser Wagen allein kostet Tausende von Mark.

Auch einen deutschen Karneval haben wir in New York, und auch hier ist es der „Arion“, der sich vor anderen Vereinen durch Pracht der Dekorationen und durch witzige Sitzungen besonders auszeichnet. Narrensitzungen und Maskenbälle jagen sich förmlich zur Faschingszeit in allen deutschen Vereinen, und die armen Vereinsberichterstatter, die an einem Abend oft 6 bis 8 Vereine besuchen müssen, sind froh, wenn diese ihre Leidenszeit vorüber ist.

Im Sommer – den Frühling kennt man in New York kaum, da er meist nur 24 Stunden dauert, indem auf Winterkälte rasch Sommerhitze folgt – stehen dann Picknicks, Reisen, Sommerfeste etc. auf dem Programm. Und dieses großartig ausgebreitete Vereinswesen, das jetzt in New York allein Hunderttausende unserer Landsleute enger aneinanderschließt, besteht doch erst seit wenigen Jahrzehnten. Im Jahre 1846 hatten sich unter dem Drucke des Nativismus fast alle bis dahin bestehenden kleineren Vereine aufgelöst, von Gesangvereinen existierte nur noch der „Social-Reformer“.

Da wurde in dem genannten Jahre der „Deutsche Liederkranz“ gegründet, und an seinem Wachstum aus den kleinsten Verhältnissen heraus kann man den Fortschritt des deutschen Vereinswesens am besten erkennen. Mit 25 Sängern konstituierte er sich am 9. Januar 1847. Dr. Hermann Ludwig war sein erster Präsident, während der Musiker Krauskopf die musikalische Leitung ausübte. Im Jahre 1850 übernahm ein [288] junges Mitglied, Agriol Paur, das Amt des Dirigenten, das er zweiunddreißig Jahre verwaltete. Ihm verdankt der Verein seinen Aufschwung und seinen Ruf auf musikalischem Gebiet. Noch im Jahre 1851 betrug der Kassenbestand zur Generalversammlung ganze 71 Cent, 1860 wurde, während der Herausgeber der „New Yorker Staatszeitung“, Oswald Ottendorfer, Präsident war, der Verein mit 547 Mitgliedern inkorporiert, 1869 betrug die Mitgliederzahl 1012, 1882 wurde mit 1378 Mitgliedern der eigene Sängerpalast in der 58. Straße eingeweiht. Im Januar vorigen Jahres hat dieser Verein sein 50jähriges Jubiläum gefeiert. Das Klubhaus des „Liederkranzes“ ist prächtig eingerichtet, der große Saal mit Scenen aus bekannten Opern und sonstigen auf die Musik bezüglichen Wandgemälden geschmückt.

In der Nähe, an der 59. Straße und Park Avenue, hat der mehrfach genannte „Arion“ seinen Palast erbaut, von dem man sich einen Begriff machen kann, wenn man erfährt, daß Bau und Einrichtung 1 940 000 Mark kosteten. „Liederkranz“ und „Arion“ dürfen als die angesehensten deutschen Vereine New Yorks und wohl Amerikas überhaupt bezeichnet werden. Der „Arion“, 1854 gegründet, ist auch in Deutschland bekannt, wohin er 1892 eine Sängerreise unternahm, die ihm reiche Lorbeeren eintrug und dem alten Mutterland zeigte, wie man im neuen Adoptivvaterland das deutsche Lied hegt und pflegt.

Außer deutschen Kegelvereinen haben bisher nur noch die deutschen „Independent-Schützen“ New Yorks Reisen nach Deutschland unternommen. Der „Liederkranz“ dürfte die nächste Sängerfahrt unternehmen, die ursprünglich schon für letztes Jahr geplant war. Auch der „Kriegerbund“ rüstet sich zu einer Deutschlandreise.

Die Zahl der sämtlichen deutschen Vereine in Groß-New York dürfte 300 bis 400 betragen! Da sich, wie erwähnt, auch die früheren Soldaten zu Vereinen verbunden haben, so giebt es hier außer dem oben erwähnten „Kriegerbund“ einen „Veteranenverein“ und einen „Landwehrverein“. Dem „Veteranenverein“ gehört Fürst Bismarck als Ehrenmitglied an, und an jedem 1. April begeht der Verein seines vornehmsten Mitgliedes Geburtstag mit einem flotten Kommers. Der „Kriegerbund“, welcher etwa 1000 Mann zählt und dessen Präsident Richard Müller ist, hatte zur Centenarfeier Kaiser Wilhelms I im vorigen Jahre einen großen Kommers veranstaltet, wobei durch lebende Bilder Scenen aus des Heldenkaisers Leben aufgeführt wurden und ein früherer Offizier, der jetzt die Waffe mit der Feder des Journalisten vertauscht hat, G. v. Skal, die Festrede hielt. Dieser Verein, der die Pflege deutscher Kriegerkameradschaft in Amerika zu seiner Aufgabe gemacht hat, verfolgt auch menschenfreundliche Zwecke, indem er seinen Mitgliedern in Zeiten der Not Unterstützung bietet. So zahlte er im Berichtsjahre 1896/97 an Krankengeld 20 500 Mark aus und die Sterbegelder für 15 zur großen Armee abberufene Kameraden und 6 Frauen bezifferten sich auf rund 24 000 Mark. In jüngster Zeit wurde von den Kriegskameraden der Gedanke angeregt, ein Altenheim zu gründen, das sicher eine mächtige Stütze des deutschen Kriegervereinswesens in Amerika bilden würde.

Unser Artikel würde nicht vollständig sein, wenn wir nicht eines der deutschen Lokale von New York gedächten, in welchem auch der vorgenannte Kommers abgehalten ward, des neben Lüchows Restaurant besuchtesten Stelldicheins der Deutschen, des „Terrace-Garden“. Der Besitzer dieses großartigen Lokals ist einer der beliebtesten deutschen Wirte New Yorks, sein Lokal mit altdeutschen Bier- und Weinstuben ist echt deutsch, hier spielt im Sommer die deutsche Operettengesellschaft, deutsche Gartenkonzerte finden statt, und man trifft hier fast ausschließlich Deutsche.

Zum Schluß erheischt es – obwohl der Verfasser damit das Gebiet seiner eigenen Vereinsinteressen betritt – die Gerechtigkeit, noch eines deutschen Klubs zu gedenken, der zwar weder sehr groß, noch sehr wohlhabend ist, aber in einem Artikel über deutsche Vereine schon deshalb nicht übergängen werden darf, weil es von Berufs wegen die Pflicht seiner Mitglieder ist, für Aufrechthaltung des Deutschtums zu wirken. Dies ist der Deutsche Preßklub zu New York. Obwohl seine ordentlichen Mitglieder nur Journalisten oder Schriftsteller sein dürfen, die mindestens ein Jahr in den Vereinigten Staaten als solche thätig gewesen sind, zählt er bereits über 300 solcher Mitglieder – gewiß eine stattliche Zahl für einen deutschen Journalistenverein im Ausland. Er hat in der Nähe des Zeitungsviertels sein eigenes Haus, das nicht bloß bequem und gemütlich, sondern für europäische Begriffe sogar elegant eingerichtet ist, denn es ist mit Dampfheizung, elektrischer Beleuchtung etc. versehen und wird von einem eigenen Oekonomen verwaltet. Naturgemäß tritt der Deutsche Preßklub verhältnismäßig wenig an die Oeffentlichkeit, thut er es aber, dann erfreuen sich seine Veranstaltungen einer solchen Beliebtheit, daß der von Künstlerhand al fresco bemalte Saal nicht mehr ausreicht und für die größeren Festlichkeiten größere Lokale gemietet werden müssen.

Man könnte über das Vereinsleben der Deutschen New Yorks ein ganzes Buch, über das in den Vereinigten Staaten mit den vielen deutschen Vereinen in Philadelphia, Milwaukee, St. Louis, Chicago, Sän Francisko etc. Bände schreiben. Aber schon aus dieser Skizze wird der Deutsche im alten Vaterland ersehen, daß es in der Neuen Welt noch recht zahlreiche, wenn auch sonst zu Amerikanern gewordene Deutsche giebt, welche dazu beitragen, der Mutter Germania jährlich Hunderte von Adoptivsöhnen auf fremder Erde zu erhalten. Mögen uns auch in der Zukunft Männer beschieden sein, die nach jahrzehntelangem Verweilen im Auslande, oft unter schwierigen Umständen, das Motto eines unserer ersten Vereine aufrecht halten:

„Ein starker Hort
Dem deutschen Lied,
Dem deutschen Wort!“

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