Deutsches Frauenleben im Mittelalter (Die Gartenlaube 1879/6)

Textdaten
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Autor: Friedrich Helbig
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Titel: Deutsches Frauenleben im Mittelalter.
8. Im Frauengemach. – Weben und Sticken. – Küche, Garten und Keller.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 102-104
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutsches Frauenleben im Mittelalter.
Eine culturhistorische Studie von Fr. Helbig.

8. Im Frauengemach. – Weben und Sticken. – Küche, Garten und Keller.


Schrank und Truhe bildeten die beiden Hauptstücke des mittelalterlichen Hausmobiliars. Sie fehlten auch dem ärmsten Haushalte nicht und waren die Domäne der Hausfrau. In der Truhe barg sie ihren ureigenen Lieblingsschatz, das Linnen, im Schranke die Gewänder, während für die Aufbewahrung von Gold- und Silbergeräth, Werkzeugen und Waffen andere Kasten und Kisten dienten. In wohlhabenden Häusern gab es auch besondere Kleiderkammern, in denen die Kleider auf Stangen und Pflöcken hingen.

Von mittelalterlichen Schränken sind nur sehr wenige auf die Gegenwart gekommen. Ein umfangreiches Exemplar im Germanischen Museum zerfällt in vier Abtheilungen, jede mit einem derben Schlosse versehen; dazwischen liegen unverschlossene Schiebekästen. Die Kleider wurden nämlich in den Schränken nicht aufgehangen, sondern, zusammengefaltet und, mit Faden geschnürt, in dieselben gelegt. „Sie suchten aus den Kisten die herrlichen Kleider“ heißt es in den Nibelungen. Ebenso fällt uns an jener Stelle eine mächtige Truhe aus Buchenholz in’s Auge, an den Kanten mit Schnitzwerck in gothischem Stile versehen und auf gedrehten Füßen ruhend. Ein gewaltiges Schloß mit breitem Schloßbleche von durchbrochener Arbeit verschließt ihr aus mehreren Fächern mit verschiedener Holzeinlage bestehendes Innere. Diese Schränke und Truhen, in der Wand oder an derselben befestigt, waren meist in den Mägdekammern, dem Herde der weiblichen Arbeit, untergebracht.

Treten wir, angemeldet bei der Dame des Hauses in ein mittelalterliches Frauengemach, um dessen Ausstattung näher zu prüfen, so wird uns die Frau vom Hause zunächst einladen, auf einer divanartigen, mit Teppichen und Polstern bedeckten, am Fußende des Bettes befindlichen Bank Platz zu nehmen. Dieser Platz gehörte jedem Gast, dem die Sitte den Zutritt in dies Gemach, das zugleich Schlafgemach war, gestattete. („Parcival“ I, 4.) Die Bank war gleichzeitig Truhe und barg die Kleinodien der Frau, während eine zweite feststehende, aber mit beweglicher Lehne versehene Bank, ganz in der Nähe des Kamins, für die Hausfrau bestimmt war. Fast den größten Theil des Raumes beherrschte das Schlafbett, welches gleichsam ein Gemach für sich war und dessen Besteigung durch eine vor dasselbe geschobene Bank oder Truhe erleichtert wurde. Ein viereckiger Baldachin, mit Stangen und Ketten oben an der Decke befestigt, bildete den Himmel, von dem auf allen vier Seiten Vorhänge herabfielen: des Tages über aufgebunden, wurden dieselben erst für die Nacht herabgelassen. Eine kleine Ampel erleuchtete dann das trauliche Innere.

In der Zeit des gothischen Stils, der so gern mit Holz hantirte, um an ihm seine Ornamente anzubringen, wurde der Baldachin auf feingedrechselte, oft reich mit Elfenbein ausgelegte hölzerne Pfosten oder Säulen gestellt und auf drei Seiten mit Brettern verschlossen, sodaß nur die Aufgangsseite frei blieb. Ein wahres Prachtstück eines solchen Himmelbettes ist das im Germanischen Museum aufgestellte, einst der Nürnberger Patrizierfamilie Platner gehörige. Hier ruht der Baldachin frei auf vier Säulen, und nur die Hinterwand ist durch Teppiche geschlossen. Früher die Mitte des Zimmers einnehmend, wurde das Bett später mit der Kopfseite an die Wand gestellt, sodaß zwischen der Längenseite und der andern Wand des Zimmers ein schmaler gäßchenartiger Zwischenraum blieb, in dessen Hintergrund ein Lehnstuhl stand. Indem man diesem Raum vorn durch einen Vorhang abschloß, wurde ein heimliches, lauschiges Plätzchen – Ruelle, Gäßchen – gewonnen. Den Fußboden des Gemachs finden wir reich mit Teppichen belegt, wo sich nur immer Gelegenheit dazu bot, vor dem Kamine vor dem Bette, den Bänken und in der Ruelle. An der Wand bemerken wir ein etagenförmiges Kästchen, auf dem sich, ähnlich wie bei der Tressur, allerlei augenfälliger Zierrath und dem täglichen Gebrauche dienendes Geräthe befand.

Ein Theil davon liegt in kleinen Köfferchen aus gepreßtem Leder, in zierlichen Kisten aus gepreßtem Holze, in Schachteln aus Pappe und Holz, die mit Ornamenten aus Teigmasse belegt, bemalt und vergoldet, in ledernen Futteralen, die mit Arabesken und Thiergestalten bedeckt sind. Eins der Kästchen trägt die Gestalt eines Hauses (Germanisches Museum); und alles das zeigt einen gewissen künstlerischen Schnitt. Unter den einzelnen Gegenständen bemerken wir kleine Metallspiegel, welche den Dienst des fehlenden Wandspiegels vertreten, Rosenkränze, Amulette und einen kugelförmigen Reliquienbehälter aus Bronze oder mit Elfenbeineinlage. Auch einige Figuren aus Bronze oder Elfenbein fehlen nicht, und eine davon stellt den Schutzheiligen der Familie vor. Es ist ein altes Stück, das Elfenbein schon etwas vergilbt. Die fromme deutsche Hausfrau ahnt nicht, daß dieselbe Figur einst das Boudoir einer römischen Dame der Kaiserzeit schmückte und daß sie damals einen römischen Proconsul vorstellte. Zur Zeit der Völkerwanderung wanderte sie mit über die Alpen, erhielt von einem geschäftsklugen deutschen Meister eine Tonsur angeschnitzt und war nun als heiliger Eustachius ein courfähiger Handelsartikel geworden. Ein zierliches Kästchen aus wohlriechendem Sandelholz enthielt die Toilettengeheimnisse der Frau, zu welchen neben Büchslein mit wohlriechenden Salben und duftenden Essenzen auch die Schminke zählte. Leider wies die deutsche Frau bei all ihrem sonstigen ungeschminkten Wesen auch dieses zweideutige Geschenk des Orients nicht zurück, wenn es ihr auch die Damen des Wälschlands dabei zuvorthaten. Seit dem zwölften Jahrhundert war es, schreibt ein Geschichtsforscher, wie die Pest über die gebildeten Länder gekommen. Aber auch schon im Nibelungenliede ist von „gefälschter Frauenfarbe“ die Rede. Quecksilber, Weizenmehl, mancherlei Roth und altes Fett galten als Bestandteile der Schminke, und die Dichter des Mittelalters eiferten vergeblich wider ihren Gebrauch. „Pfi,“ sagt Bruder Berthold, „wie stehst Du da vor meinen Augen, Malerin! Willst Du Dich besser malen, als der allmächtige Gott Dich hat geschaffen?“

Auch den kleinen Bücherschatz der Frau können wir hier mustern. Da ist zunächst ihr täglich gebrauchtes abgegriffenes Gebetbuch in zierlichem Taschenformat, geschrieben auf Pergament, das durch Bimsstein fein geglättet worden, oder auf Papier, das seit dem vierzehnten Jahrhundert mehr in Gebrauch gekommen war, und mit bunten Bildern und Initialen versehen. Auch ein Evangelienbuch von etwas größerem Umfange liegt daneben, in welchem die Miniaturmalerei noch mehr als bei jenem Verwerthung gefunden hatte. Dann entdecken wir eine Pergamenttafel mit deutschen Versen, welche dem Gedächtnisse die Heiligenfeste einprägen sollen, wie sie in die verschiedenen Monate und Tage des Jahres fallen. Diese versificirten Heiligenkalender können wir als Vorläufer der profanen Kalender betrachten, die bereits im dreizehnten Jahrhundert auftauchen und neben den Jahresläuften schon früh allerlei Klugheits- und Nützlichkeitsregeln aufstellen. Auch ein geschriebenes „Lied auf die Jungfrau Maria“ findet sich vor neben einer poetischen Bearbeitung der Legende von der heiligen Dorothea. In einem besonderen Schreine liegt, versteckt, ein großer Folioband – gegen zweihundert Blätter mit colorirten Federzeichnungen, eine Handschrift des trojanischen Krieges von Conrad von Würzburg, der Dame des Hauses von einem fleißigen schriftkundigen Mönche geschenkt. Eine besondere Pracht entfalten die Einbände dieser Bücher, welche zu jener Zeit durch ihre Kostspieligkeit und Seltenheit einen weit größeren Werth vertraten, als in der späteren Zeit des Letterndrucks. Wir finden da Deckel mit goldenen oder vergoldeten Platten, geschmückt mit Elfenbeinreliefs, Perlen und kostbaren Steinen. Mit dem Häufigerwerden der Bücher mindert sich auch der Werth der Einbände bis herab zu dem weißgelben Schweinslederband, der, wenn auch oft noch durch figürliche Darstellungen erhöht, in dem sechszehnten Jahrhundert in den Bibliotheken die Herrschaft behauptete.

Wenn wir, um früher Berührtes zu ergänzen, noch einen flüchtigen Blick in die Schmuckbehälter der Frauen werfen, so fallen uns hier namentlich Haarnadeln von besonderer Größe in die Augen, Gürtel von schwerem Seidenstoff mit emaillirter Schnalle, Schlüsselhaken, Ringe von allen Formen und Größen, Medaillen aus Zinn und Blei, wie aus Silber und Gold; die letzteren wurden an goldenen Ketten befestigt über die Brust gehangen. Auch ein Diptychon findet sich unter den Schätzen; eine profane Nachahmung der Altarschreine, zeigt es auf zwei zum Zusammenklappen [103] eingerichteten Bildflächen Scenen aus der Herzensgeschichte eines liebenden Paares.

Schauen wir uns dann im Frauengemache weiter um, so finden wir im Verstecke einer Nische die Tochter des Hauses am Spinnrocken, eine Beschäftigung, welche sie nicht wesentlich hindert, gleichzeitig draußen den Flug der Schwalben und das Treiben auf der Landstraße zu verfolgen. Sie hat den mit goldiger Borte umschlungenen Rocken in den Gürtel gesteckt und bringt mit der rechten Hand die auf dem Boden aufstehende Spindel in kreisende Bewegung. Von Zeit zu Zeit hebt sie dieselbe vom Boden empor und wirft sie ein Stück vor sich hin, sodaß der Faden sich mehr und mehr längt. Die Spindel, ein spitzer, dünner Körper, nach unten zu sich etwas verstärkend und mit einem Holz- oder Eisenringe versehen, auf den das Garn sich auflegt, besteht aus Elfenbein; die Spindeln der Mägde sind dagegen nur von Holz. In einem mit zierlichem Flechtwerke und geschnitzten Hundsköpfen versehenen Kasten liegt eine Anzahl bereits fertig gespulter Spindeln. Auch ein hölzerner Rockenständer zum Aufstecken des Rockens, unten in eine Art Bänkchen auslaufend, auf dem der Fuß ruhen kann, steht zum Gebrauche der Spinnerin da, falls sie dessen Benutzung bequemer findet. Spinnräder gehören erst einer späteren Zeit an.

Im weiteren Umschauen stehen wir vor einem großen Rahmen, über den ein mächtiges Stück Leinwand gespannt ist. Der Untergrund der Leinwand ist mit rothem Mennig getränkt, und auf der Fläche befinden sich die Contouren einer in leichter Aquarellmalerei ausgeführten figürlichen Scene. Es ist ein Herr und eine Dame, welche sich auf blumenreichem Rasen gegenüber stehn. Der junge Mann hat das reichgelockte Haar mit einem Kranze geschmückt und trägt in der Hand einen Lilienstengel, während die Frau wie verschämt zur Seite blickt; sie hat mit der einen Hand das Obergewand etwas aufgenommen, eine fast bei allen mittelalterlichen Frauenbildern vorkommende Stellung; in der andern Hand hält sie ein in Bogen um sie herumgehendes Spruchband, auf welchem die Worte stehn: „Und Liebe versag ich Dir nit“, während auf dem gleichen, vom Arme des Mannes festgehaltenen Bande zu lesen ist: „Hör Frau, was ich Dich bitt!“ (Germanisches Museum.) Zwischen die Figuren schlingen sich, ein tapetenartiges Muster bildend, allerlei Arabesken, und an den Kanten läuft eine breite, golddurchwirkte Borte hin. Ein Theil der Stickerei ist bereits ausgeführt und zwar durch Plattstich, mit seidenen und leinenen Fäden. Es war eine Malerei der Nadel, welche sich da vollzog. Den Kreuzstich wandte die Stickerin nur an, wo es galt eine mosaikartige Wirkung zu erzielen, und zur Ausfüllung des Zwischenfeldes zwischen den Figuren bediente sie sich des Webstichs, der demselben das Aussehen eines Gewebes verlieh, wie der Durchschuß von Einschlag und Kette, während ihr zur Darstellung der auf den Blumen sich schaukelnden Vögel und Schmetterlinge der Federstich verhalf, mit dem sie auch ganze figurenlose Flächen breit ausführen konnte; bei ihm legten sich, von einer Mittellinie ausgehend, wie bei dem Barte eines Federkiels, die Fäden nach rechts und links um. Endlich wurde auch noch der Flechtstich angewandt, zur Herstellung fester Contouren. Neben den seidenen und wollenen Fäden verwandte die kunstfertige Dame auch Goldfäden, welche dem Gewebe in der Weise einverleibt wurden, daß sie reihenweise, den Contouren der malerischen Unterlage folgend, auf der Oberfläche lose neben einander gelegt und dann mit rother Seide durch Ueberfangstiche auf den Grund niedergenäht wurden. Die Goldfäden waren kein metallische Gold, sondern Streifen von thierischen, glänzenden Häuten, auch wohl Goldpapier, wie bei einem Gewebestücke aus dem sechszehnten Jahrhundert im Germanischen Museum. Es geschah dies nicht blos um der Billigkeit willen, sondern auch um das Gewebe nicht zu plump und schwer zu machen.

Die Nachbildung der Köpfe im Wege der Stickerei schien unserer weiblichen Künstlerin zu schwierig und minutiös gewesen zu sein. Sie hatte deshalb jene Stellen von der Nadel unberührt gelassen und darauf Ausschnitte von feiner Leinwand mit den gemalten Köpfen aufgeklebt und festgenäht. Das war so geschickt gemacht, daß nur das Auge eines Nahestehenden den frommen Trug zu entdecken vermochte. Später pflegten die Damen der Figurenstickerei durch allerlei Unterlagen einen Reliefcharakter zu geben. Diese Reliefstickerei wurde in der Renaissancezeit so weit getrieben, daß aus den Figuren förmliche Puppen wurden, hergestellt aus Wolle oder Pappe, sogar aus Holz und mit Seidenstoff und Stickerei überzogen, die man in die Gewebemuster einnähte.

Der Rahmen, auf welchem wir die Stickerei ausgespannt finden, kann durch Drehung auch horizontal gelegt und die Stellage, in welcher er hängt, so zu einem Webstuhle hergerichtet werden. Auf dem Webstuhle entstanden besonders jene in ihren geretteten Ueberbleibseln so viel bewunderten Teppiche zur Wandbekleidung, welche wir heutzutage unter der französischen Bezeichnung Gobelins kennen und deren von uns schon mehrfach gedacht wurde. Zwar stammt eine große Anzahl derselben aus niederländischen, speciell burgundischen Fabriken, wo sie am Ausgang des Mittelalters in der Renaissancezeit die größte technische Vollkommenheit erlangten, aber viele rührten auch von der wirkenden und webenden Hand einer fleißigen deutschen Edelfrau her, wie z. B. das Bruchstück eines schweren wollenen, die Geschichte des verlorenen Sohnes darstellenden Teppichs aus der St. Elisabeth-Kirche zu Marburg, zu dem die heilige Elisabeth selbst die Wolle gesponnen, unter den Schätzen des Germanischen Museums bekundet.

Als Instrumente zur Herstellung dieser Frauenschöpfungen werden in den mittelalterlichen Quellen außer Nadel und Scheere, welch letztere ohne Charnier nur aus zwei Schenkeln bestand, der Spalter und der Dreher erwähnt.

Thun wir noch einen verstohlenen Blick in die Truhen nach den Gewand- und Wäschestoffen, so begegnen wir auch hier überall dem Walten kunstfertiger Frauenhände. Da die Wollen- und Seidenstoffe glatt und ungemustert waren, so half auch hier die Weberei und Stickerei durch Anbringung von bunten Arabesken und Figuren, durch Besatz mit Edelsteinen, Perlen und Gold nach. Da gab es besonders auf den Seidenstoffen Pfauen, Greife, Löwen, Papageien, springende Hunde, rehartige Thiere, geometrische Ornamente und das nachzeitig sehr beliebte Granatapfelmuster. Das Gleiche war der Fall mit dem Linnenzeug, mit Decken, Bettstücken und Hand- und Tischtüchern. Ueberall hatte auch hier die nachhelfende Nadel die einförmige Fläche verschönert. Besonders beliebt war die Devisenstickerei sowohl in ganzen Sinnsprüchen, wie in einzelnen Buchstaben, die mit der Zeit eine besondere Deutung, besonders für die Eingeweihten, enthielten, wobei z. B. die Buchstaben A. M. gleichzeitig als Ave Maria wie als Amor gedeutet wurden. Später waren auch rebusartige Allegorien beliebt – flammende und durchbohrte Herzen u. dergl. m. – die auf geheime Herzensvorgänge schließen ließen. Die Perlenstickerei wurde im Mittelalter wenig geübt; sie beschränkte sich fast nur auf die Einfassung mit echten Perlen; erst als die billigen Glasperlen aufkamen, wurde sie auf ganze Flächen übertragen. Die Muster wurden nicht überall frei erfunden, sondern vielfach nachgeahmt und durch Mustertücher und gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts, als Holzschnitt und Kupferstich mehr ausgebildet waren, durch besondere Musterbücher von Haus zu Haus verbreitet. Als Vorbilder dienten besonders arabische und sicilianische Seidenmuster. Es gab aber auch schon im vierzehnten Jahrhundert vorgedruckte Muster auf Leinwand, wie einige Reste solchen Modelldrucks im Germanischen Museum bekunden.

Ziehen wir ein paar Stücke aus der Truhe hervor, so haben wir da ein Handtuch, streifenweis gewirkt mit blauen Verzierungen auf weißem Grunde. Die einzelnen Reihen stellen Thiere dar, die wie auf modernen Tapeten bald einander zu-, bald abgewandt sind; am unterm Ende des über anderthalb Meter langen Tuchs befindet sich eine Fransenborte. Weiter eine dazu correspondirende Tischdecke mit blau und weißen Streifen, welche zur Jagd reitende Falkenjäger darstellen; ferner gestickte Leinentüchlein, an zwei Seiten mit Fransen besetzt, das eine David und Bathseba, ein anderes eine Jungfrau mit einer Blume unter Blumenranken darstellend.

Wir werfen noch einen Blick in die Ecke, wo sich eine holzgeschnitzte Figur der Madonna in einer Nische und darunter, auf einem kleinen Hausaltare, ein elfenbeingeschnitztes Crucifix befindet, und verlassen nunmehr das Frauengemach, um noch einen raschen Gang durch Küche, Garten und Keller zu machen.

Eine besondere Küche zu haben, galt lange Zeit hindurch nur als das Vorrecht sehr vornehmer Häuser. In solche Küchen zog denn auch statt der Hausfrau jener stämmige Koch mit rundem Bäuchlein ein, der in den Romanen des Mittelalters öfter die Rolle eines Dieners diplomatischer Intrigue spielt. Der Ausdruck „Kochen“ für das Garmachen der Speisen ist nicht deutsch; der [104] deutsche Ausdruck ist „Sieden“. So heißt auch das älteste deutsche Kochgeschirr: der Sieder. Wir erfahren, daß frisches Wildpret am Spieße gebraten, Heerdenthiere aber im Kessel verschnitten wurden. An mittelalterlichem Kochgeschirr haben wir zu verzeichnen: irdene Töpfe und Schüsseln, hölzerne Teller, Gabeln, stets mit nur zwei Zinken, Löffel mit kurzem Stile und großer, runder und tiefer Schale, kupferne Kasserole, Roste von starkem Eisendraht, kleine Kuchenweller mit eingepreßten Linien, Messer mit ebenfalls kleinem Stiele und desto größerer Schneide, Waffeleisen mit den mannigfachsten Figurenformen auf den gerundeten Blättern zur Herstellung runder Kuchen und der sogenannten Waffeln, Holzmodelen zum Formen von Lebkuchen und sonstigem Gebäck, Thonformen für Sülzen und Aehnliches, mit Wappen, Figuren, Blumen, Krebsen, Fischen u. dergl. m. zum Abdruck auf der Teig- und anderer Masse. Auch hier hielt die Kunst ihren Einzug und prägte den Geräthen ihre Gebilde auf.

In der Küche finden wir in Vorrath Speck, Rauchfleisch, Sülze und gesalzenes Fleisch. Sülze und Gallerte waren beliebte Nachgerichte und wurden aus Ochsenfüßen, die feineren Arten aus Hühnern und Fischen gesotten. Das Reich der Lüste zollte einen viel größeren Tribut an die Küche, als heutzutage. Wir finden da beisammen Häher, Raben, Störche, Schwäne, Reiher, selbst Pfauen und Krähen, aber auch Fasanen, Hühner, Gänse, Enten und Tauben, welche auf der Falkenbeize oder im Jagdnetz gefangen waren. Lange Zeit war das Pferdefleisch eine beliebte Speise, denn das Roß war den Germanen einst heilig, bis christliche Priester wider die heidnische Speise eiferten und sie langsam verschwand. Beliebt war auch das Fleisch der Schweine, Rinder, Schafe, Hirsche, Hasen, Biber. Seen und Flüsse spendeten Aale, Hausen, Hechte, Forellen und kleinere Fische. Starkgewürzte Brühen, in denen die Speisen bereitet wurden, vertraten die Stelle der Suppen. Von der Buntscheckigkeit eines mittelalterlichen Speisezettels haben wir schon früher berichtet. Zum Nachtisch gab es Obst, besonders aber Nüsse.

Der deutsche Gemüsebau wurde bereits von den Römern gerühmt. Der Garten war die Domäne der Frau und sie zog dort schon zu Karl’s des Großen Zeit ihren Lauch, Kümmel, Kohlrabi, Bohnen, Erbsen und Zwiebeln für die Küche, Rosen, Lilien, Schwertel, Rosmarin, Sonnenblumen und Tausendgüldenkraut für des Hauses und des Leibes Nutzen und Zierde.

Aus den Hülsenfrüchten bereitete man mit Vorliebe Breie. In gerösteter Form zu flachen Kuchen geformt, bildeten sie das erste Brod, zu dem später Gersten- oder Hafermehl genommen wurde. Dann benutzte man die Reste des alten Teiges als Gährmittel und schuf, unter Hinzunahme von Weizenmehl, ein feineres Brod, das im Gegensatze zu dem „Derbbrod“ Schönbrod oder Weißbrod hieß. Auf Bildern des zwölften Jahrhundert erscheinen bereits die Brezeln ganz in der ihnen noch heute eigentümlichen Form, nur um Vieles größer, und ferner waren früh schon beliebt Krapfen und Pfannkuchen. Selbst als das Bäckereigewerbe bereits zünftig geworden war, ließ es sich die wackere deutsche Hausfrau nicht nehmen, das Brod für den Hausbedarf mit eigener Hand zu bereiten.

Auch der Bereitung des Getränkes stand dieselbe, wie früher erwähnt, nicht fern. Das führt uns hinab in den Keller. Schon im „Parcival“ wird zwischen Meth, Wein und Lautertrank (Gewürzwein) unterschieden. Der Wein, besonders der inländische, wurde nämlich mit Gewürzen und Kräutern versetzt, dann gekocht und warm getrunken, und die Bereitung fiel vornehmlich in das Bereich der Frauenthätigkeit. Daneben trank man viel fremden Wein, besonders Ungar- und Cyperwein, Claret und rothen „Sinopel“, während man Meth aus Honig, Bier aus Gerste und Weizen selbst bereitete; erst im zwölften Jahrhundert gesellte sich zu den Bierbestandtheilen der Hopfen, und jetzt trat die Frau das nunmehr zur Kunst emporgestiegene Braugeschäft an den Mann ab. Früher überwog der Genuß des Bieres; später trank man in vornehmern Häusern fast nur Wein, und das Bier sank zu einem Getränke des Gesindes herab.