Deutsche im Auslande (Die Gartenlaube 1899/12)

Textdaten
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Autor: Johannes Schmal
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Titel: Deutsche im Auslande
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 371–372
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutsche im Auslande.

Eine Reisestudie von Johannes Schmal.

Es waren einmal zwei Vergnügungsreisende, die trafen sich auf der Fahrt nach Capri, und da sich ihnen Gelegenheit bot, ihre Meinungen über etwas auszutauschen, so begannen sie eine Unterhaltung auf italienisch. Sie waren aber der Sprache Dantes und Ariosts nicht recht mächtig und deshalb versuchten sie es auf französisch. Auch da haperte es jedoch. Erst als einer der Männer in seinen Ausführungen stockte und, mit dem Fuß auf den Boden des Bootes stampfend, in seiner Muttersprache ausrief: „Alle Wetter, wie heißt das doch gleich auf französisch?“ da kam das Gespräch in flotten Zug, denn beide waren Deutsche und die verstehen sich, wenn sie wollen, auch ohne Diktionär untereinander.

Wer dies Geschichtchen zuerst erzählt hat, der mag es erfunden haben. Aber es ist hundertmal passiert und wird sich noch unzähligemal wiederholen. Der Deutsche schleppt wie ein Erbübel die Gewohnheit mit sich in der Fremde herum, es in zweifelhaften Fällen mit allem andern eher als mit seiner Muttersprache zu versuchen. Kommt er draußen in ein Hotel, so fragt er um Unterkunft gewiß auf französisch oder englisch. Daß man in einem fremdländischen Gasthof deutsch sprechen könnte, das kommt ihm zu allerletzt in den Sinn. Da weiß der Engländer sich resoluter Geltung zu verschaffen. Dem ersten besten dienstbaren Geist, der ihm bei seinem Eintreffen in die Hände fällt, wird auf englisch kommandiert, daß er wie der Wirbelwind davonfliegt und jemand schickt, der der Sprache des Fremden kundig ist. Und seiner Sprache ist stets jemand kundig. Den Besitzer eines besseren Hotels in einem civilisierten Lande möchte ich sehen, der nicht für englischredendes Personal sorgte! Das englische Nationalbewußtsein würde ihn boykottieren und er möchte sich bald eines andern besinnen.

Nun sind bekanntermaßen 40% aller Vergnügungsreisenden in Italien Deutsche. Aber welche Rolle spielen sie? Ich habe noch nie von einem gehört, daß er vor einem Hotel gewarnt hätte, weil man in demselben nicht deutsch sprach. Lieber quält er sich mit seinen schlecht auswendig gelernten Polyglottphrasen herum, als daß er denen, die sein Geld nehmen, zumutete, sich mit der Uebersetzung des Deutschen in ihre eigene Muttersprache ein wenig abzumühen.

Seit zwanzig Jahren komme ich nach Italien und in die Levante, und mit einer Art grimmen Humors denke ich der verschiedenen Zwischenfälle, die meine deutschen Reisegefährten durch ihre angeblichen Sprachkenntnisse dort heraufbeschworen haben. In Palermo bin ich mit einem solchen „Sprachkundigen“ einmal in ein Zimmer eingedrungen, in welchem nach einer am Hause angebrachten Gedenktafel 1787 unser Goethe gewohnt hat. Es war dem Besuch eine umständliche Unterredung zwischen meinem Begleiter und dem Hüter des Hauses, einem parterre in einem finstern Loch arbeitenden Schuhmacher, vorausgegangen, die mit dem üblichen „Si, si, signore!“ (Jawohl, mein Herr!) geschlossen und uns die Gewißheit verschafft hatte, daß man das Goethezimmer ungeniert betreten dürfe. Na, da kamen wir schön an! Daß wir nicht die Treppe hinuntergeworfen worden sind, dafür danke ich meinem Schöpfer heute noch. Es war die alte, immer wiederkehrende Geschichte: Landsmann meiniges hatte sich mit dem Portier italienisch unterhalten. Keiner hatte den andern verstanden und sie waren vergnügt mit dem in solchen Fällen sehr bequemen „Si, si, signore!“ voneinander geschieden. Tausendmal geschieht das. Aber das Ueble ist dabei, daß der an solchen linguistischen Spielereien Unbeteiligte, der sonst zuverlässige Auskünfte einzuziehen gewohnt ist, die verursachten Mißverständnisse mit auskosten muß.

Ließe sich wohl je ein Franzose zu solchen Lächerlichkeiten herbei? Ich war vor kurzem in Paris und habe mich überzeugt, daß die französischen Offiziere das Studium der deutschen Sprache recht energisch betreiben; aber wenn die Herren als Reisende nach Deutschland kommen, haben sie Nationalgefühl genug, zunächst ihre eigene Sprache zu sprechen. Und das stände auch uns im Auslande gut an.

Da lob’ ich mir den alten Rüstow-Pascha. Den sah ich, einen feztragenden Rodensteiner, in Janys Restauration in Pera mit dem Rücken gegen die Wand sitzend seinen fünften Krug Bier herbeiwinken, und als seinem Wunsche nicht rechtzeitig Folge geleistet wurde, da fuhr er mit einem deutschen Kreuzmillionendonnerwetter drein, daß deutsch- und andersredenden Kellnern ein heilsamer Schreck in die Glieder fuhr und das Bier im Handumdrehen auf dem Tisch stand. Unsere westfälischen Füsiliere wußten im Feldzuge 1870/71 widerspenstigen französischen Quartierwirten gegenüber eine gleich eindringliche Sprache zu reden, die dann aber zumeist von einer bezeichnenden Handbewegung begleitet und schon deshalb nicht gut mißzuverstehen war.

Dagegen erhält man heute im Ausland oft den Eindruck, als ob sich viele Deutsche ihrer Muttersprache schämten. Es war ein paar Tage nach der Ermordung der österreichischen Kaiserin in Genf, da kam ein deutscher Offizier mit zwei Damen ins Hotel Beaurivage. An den ersten Kellner, dessen er habhaft wurde, richtete er die Frage: „Garçon, parlez-vous français?“ War nun die Frage in einem Genfer Hotel schon nicht sonderlich geistreich, so fiel auch die Antwort demgemäß aus. „Ich bin Deutscher, spreche also geläufig deutsch, mein Herr, aber ich spreche auch französisch und englisch,“ sagte der Kellner, der in dem Fremden trotz des Civils sofort den deutschen Offizier erkannt hatte. Und dabei blickte er mit dem harmlosesten Gesicht drein, dessen so ein internationaler Kellner fähig ist. Der Offizier stutzte einen Augenblick, dann aber, vielleicht aus Rücksicht auf die Damen, machte er gute Miene zum bösen Spiele und, von da an deutsch redend, attachierte er sich den Kellner, den einzigen, der im Beaurivage des Deutschen mächtig war, für die Dauer seines Aufenthalts. Er hatte es nicht zu bereuen, denn Fritz war ein fermer Bursch, der in seiner hannoverschen Heimat der Militärpflicht genügt hatte und sich nun ein besonderes Vergnügen daraus machte, die deutschen Gäste mit allen möglichen Bequemlichkeiten zu umgeben.

Ein bezeichnendes Bild für unsere nationale Bescheidenheit bot der letztjährige internationale Preßkongreß in Lissabon. Dort waren bei den Sitzungen unter 100 bis 120 Teilnehmern 40 Reichsdeutsche und deutschredende Oesterreicher anwesend und hörten mit namenloser Geduld die Vorträge Batailles, Taunais und anderer Franzosen an. Nun ist Französisch die Verhandlungssprache des Kongresses und ich möchte das beileibe nicht bemängeln. Aber es that mir doch im Innersten wohl, als am zweiten Verhandlungstage, während die Deutschen in stumpfer Ergebenheit dasaßen, ein alter Herr aufstand, um – in englischer Sprache einen Antrag zu stellen und zu begründen. Wenigstens doch ein nationales Aufflackern von irgend einer Seite! Hat dem Gang und der Würde der Verhandlungen auch nicht im mindesten geschadet! Das deutsche Element hat sich nicht gemuckst, weder in den Sitzungen, noch bei den zahlreichen Banketten, weder bei offiziellen, noch bei wilden Toasten. Doch nein, es haben auch Deutsche gesprochen, aber nicht in ihrer eigenen, sondern immer in einer fremden Sprache.

Selbst untereinander deutsch zu reden war wie verpönt; wer’s konnte und wer’s nicht konnte, sprach französisch. Saßen wir da eines Abends zu zweien im Café Suisse bei einem späten Nachttrunk und leisteten uns das Vergnügen einer Unterhaltung in heimischer Mundart, als unverhofft sich drei andere Personen, Kongreßteilnehmer, zu uns gesellten. Ein Herr von der russischen Grenze mit Gemahlin und ein zweiter Herr, der noch weiter von Frankreich daheim war. Gab das ein Geschnatter! Die drei sprachen natürlich französisch und das ging, als ob sie dafür bezahlt würden. Wir hätten nun in das Konzert einstimmen sollen, aber mein Gegenüber machte dem grausamen Spiel ein schnelles Ende mit den Worten: „Wie wär’s, Kinder, wenn wir untereinander deutsch sprächen. Das können wir ja auch besser!“ Der das sagte, war einer, dem wirklich das Französische geläufig war wie seine Muttersprache; es war der Präsident des Preßkongresses, Wilhelm Singer.

Wenn unsere vorübergehend in die Fremde kommenden Landsleute glauben, daß sie sich mit mangelhaftem Französisch oder Englisch mehr Ansehen geben als mit ihrem guten Deutsch, so befinden sie sich in einem thatsächlichen Irrtum. Der Deutsche genießt im Auslande allerwärts Achtung, man schätzt seine Zuverlässigkeit und kauft gern von ihm. In jeder größeren Stadt des südlichen Europas giebt es deutsche Kolonien; in Lissabon z. B., wo bis vor kurzem die Engländer die kommerziellen Alleinherrscher waren, halten ihnen die Deutschen jetzt die Wage, und [372] selbst in Porto, obgleich von dort der Hauptexportartikel, der Portwein, fast ausschließlich nach England geht, bilden sie schon eine respektable Macht. In dem berühmten Börsengebäude von Porto sind die Luftheizvorrichtungen von einer deutschen Firma installiert, in Lissabon und Madrid sind von einer anderen Bierbrauereien eingerichtet und in San Sebastian die elektrischen Straßenbahnen von deutschen Ingenieuren erbaut. Deutsche haben das antike Griechenland wieder ans Tageslicht gefördert und das moderne Athen geschaffen. Man könnte die Beweise von dem Ansehen und der Leistungsfähigkeit der Deutschen ins Unendliche vermehren. Wie ist der deutsche Handel im Orient emporgeblüht! Mit welcher Achtung wird die deutsche Flagge an allen Küsten des Weltmeeres gegrüßt! Warum also diese Verzagtheit und Schüchternheit?

Es wird keinem vernünftigen Menschen einfallen, von einem Fellachen am Blauen Nil zu verlangen, daß er auf eine deutsche Frage Antwort gebe. Aber eine nachhaltige Selbständigkeit und etwas nationalen Stolz, den Gebrauch der Muttersprache da, wo man auf Verständnis zu rechnen das Recht hat, sollte der Deutsche im Auslande sich zur nationalen Pflicht machen. Er erhöht dadurch den nach ihm Kommenden die Annehmlichkeiten der Reise und kann gleichzeitig manchem Landsmann förderlich sein. Die Kellner, die draußen servieren und lernen, verlieren sich ja nicht alle dort spurlos; viele kommen zurück und verwerten ihre Erfahrungen im Betriebe eigener Unternehmungen, dem inländischen Fremdenverkehr neue schätzenswerte Dienste leistend. Andere Landsleute, Handels- und Gewerbetreibende, Künstler etc. gründen ihr Heim im Auslande und bringen dort durch Tüchtigkeit und Rechtlichkeit den deutschen Namen zu Ehren. Ihnen allen wird direkt und indirekt der Weg geebnet, wenn auch die Vergnügungsreisenden ihre Stammesangehörigkeit nicht hinter dem erborgten Schein einer fremden Nationalität verbergen, der wir, möge sie wie immer heißen, uns denn doch gewachsen fühlen! Daß infolgedessen auch im Auslande einige Leute, die vom Fremdenverkehr leben, Deutsch lernen müssen, braucht uns dabei keine Sorgen zu machen.