Deutsche Träume
Deutsche Träume
Kreuz des Südens, deine Sterne
Glänzen uns am Himmelszelt,
Und in weiter Erdenferne
Winkt uns eine neue Welt.
Mögen Dichter müßig schweifen,
Während Zeus die Erde theilt:
Völkern ziemt es, zuzugreifen
Unverzagt und unverweilt.
Deutsche Träume, hoffnungstrunken
Fliegt ihr fernen Landen zu,
Wo ein Welttheil schlafversunken
Jetzt erwacht aus tiefer Ruh,
Schwelgt in künft’gen Paradiesen,
Die das Wunderland verheißt,
Seit den trägen schwarzen Riesen
Auferweckt der deutsche Geist.
Rauchen seht ihr schon die Schlote
Auf den ungeheuren Seen,
Und vom Mast beschwingter Boote
Uns’res Reiches Banner wehn.
Rings umschattet von Bananen
Manche prächt’ge Villa ruht!
Unter schimmernden Altanen
Brandet des Nyanza Fluth.
Stadt an Stadt mit Zauberschnelle
Wuchs, vom Palmenhain umhegt,
Wo des Tanganjika Welle
Sturmgepeitscht das Ufer schlägt.
Und an Bagamoyos Strande,
Welch ein bunter Weltverkehr!
Welch ein Volksgewühl am Lande,
Welch ein Mastenwald im Meer!
Deutsche Träume, ferne Zonen
Haben euch berauscht genug!
Wiegt euch nicht auf Palmenkronen,
Lenkt zum Vaterland den Flug!
Auf den heimathlichen Eichen
Mögt ihr euern Horst erbaun!
Fernher flammt ein Feuerzeichen
Drohend auf durch Nacht und Grau’n.
Leichter ist’s, zu überbrücken
Meer auf Meer mit Muth und Kraft,
Als des Abgrunds finst’re Tücken,
Der zu unsern Füßen klafft.
Wie ersehnt den innern Frieden
Das zerspalt’ne Vaterland!
Reich und arm sei nicht geschieden,
Reiche sich die Bruderhand!
Ueber den empörten Wogen,
Aufgepeitscht von Neid und Groll,
Wölbe sich der Regenbogen,
Friedlicher Verheißung voll!
Der Verzweiflung Banner hebe
Nie empor die bitt’re Noth,
Und der Heimath Boden gebe
Allen ihren Kindern Brot!
Südlich Kreuz, auf fernen Meeren
Strahlst du deutscher That und Macht;
Doch ein Sternbild hoher Ehren
Leuchtet hell durch uns’re Nacht.
Keiner zög’re, keiner säume,
Ihm zu opfern, froh bereit,
Dreigestirn der schonten Träume:
Freiheit, Liebe, Menschlichkeit.
Rudolf v. Gottschall.