Textdaten
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Autor: Fritz Wernick
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Titel: Königsberg in Pr.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 45–48
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Reihe: Deutsche Städtebilder
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[045]
Deutsche Städtebilder.
Königsberg i. Pr.
Mit Zeichnungen von Professor Heydeck und Robert Aßmus.

Der Deutsche Ritterorden hatte längst die Landgebiete des altpreußischen Weichselthals erobert, seine Residenz in der Marienburg aufgeschlagen, Städte gegründet und mit deutschen Kolonisten besiedelt in den Gauen, die wir heute Westpreußen nennen. Bald aber erschien ihm sein Landbesitz zu klein, er trachtete danach, weiter nach Osten vorzubringen, auch diejenigen Gaue der alten heidnischen Preußen zu unterjochen, die weit nach Sonnenaufgang, jenseit der Höhenzüge lagen, welche bis jetzt seiner Herrschaft Grenze bildeten. So zog er auf Schiffen mit seinen Heereshaufen über das Frische Haff, den Strandsee, der sich viele Meilen lang von Elbing bis zu der Einmündung des Pregelstroms dehnt, und diesen Fluß hinauf bis zu der ersten steilen Höhe, welche, weithin die Umgebung beherrschend, an seinen Ufern sich erhebt. Dort ward um die Mitte des 13. Jahrhunderts die erste Burg im Lande Ostpreußen gegründet und dem König Ottokar von Böhmen zu Ehren, der zu dieser Ansiedelung gerathen hatte, „Königsberg“ genannt. Selten ist ein vom Zufall bestimmter Namen für eine Stadt so verheißungsvoll geworden wie dieser. Königsberg, die Wiege der Monarchie, die von dem Lande, in welchem es lag, den Namen „Preußen“ entnommen, ist mit dem Geschicke dieser Monarchie stets aufs engste verwachsen gewesen; sie ist Krönungs- und dritte Residenzstadt des Königreiches.

Die Universität.

Das mittelalterliche Königsschloß überragt auch heute alle Umgebung von seiner freien Höhe aus. Es ist wohl das erste und älteste Gebäude der Stadt, denn zugleich mit deren Gründung hat man auch den Bau begonnen, der in seinen ältesten Theilen mit cylindrischen Eckthürmen, tiefen Thorbogen, klotzigem Mauerwerk noch ganz den Charakter jener Zeit trägt. Weit später erst sind die modernen Flügel des Bauvierecks entstanden, so daß die ganze Architekturgruppe einen ungemein bunten Eindruck gewährt. Die ganze westliche Seite des Gevierts wird von der Schloßkrche eingenommen, die am Ende des 10. Jahrhunderts erbaut wurde. Alles ist hier Geschichte, jeder Stein mahnt an die großen Tage des preußischen Königthums. Es war ja doch kaum mehr als Zufall, daß der erste preußische König 1657 in diesem Schlosse geboren wurde, der sich dann 1701 in dieser Kirche selbst die Krone aufs Haupt setzte. Alle seine Nachfolger kamen zur Erbhuldigung in diese Stammburg des Königthums, und als im Verfassungsstaat dieser Akt wegfallen mußte, hat König Wilhelm ebenfalls in der Königsberger Schloßkirche seine Krönung mit größtem Pomp vollzogen.

Waren die ernsten Feierlichkeiten vorüber, so stieg die Festversammlung hinauf in einen unmittelbar über der Kirche gelegenen Saal, um dort ihre heiteren Feste zu feiern. Dieser „Moskowitersaal“ im Oberstock einer Kirche mag auch wohl einzig in seiner Art sein. Er soll den Namen einem anderen Raume entlehnt haben, in welchem unter Hochmeister Markgraf Albrecht von Brandenburg eine Gesandtschaft des moskowitischen Großfürsten Wassiliy gewohnt hat.

Noch vor kurzem versammelte jede größere Feier die Königsberger und ihre Gäste oben im Moskowitersaale, und ebenso haben sie seit alters her mit Vorliebe die tiefsten Gewölbe und Verließe des alten Gemäuers aufgesucht. Dort, wo einst grauses Folterwerkzeug die Unglücklichen peinlich befragte, ist der fröhliche Weingott eingezogen, und noch immer nennt man die mittelalterlichen Kellergewölbe das „Blutgericht“; der Wein schmeckt deshalb in dem kühlen Raume nicht minder gut.

Dieses alte Schloß ist von Beginn an Kern und Mittelpunkt von Königsberg gewesen, wie es trotz aller Prachtbauten bis heute noch dessen merkwürdigstes Architekturstück ist. Anfangs hat sich wohl nur zu seinen Füßen unten am Abhang des Berges bürgerliches Leben angesiedelt, die „Altstadt“, die sich stromaufwärts längs des Pregelufers fortsetzte in dem Stadttheil „Löbenicht“. Auch die kleine Insel, die unmittelbar vor dem Schlosse von zwei Armen des Pregels gebildet wird, ist zu jener Zeit besiedelt worden und heißt noch heute der „Kneiphof“. Diese drei Stadttheile zusammen bilden das alte Königsberg. Denn eng sind seine Gassen, himmelhoch oft einzelne Giebelhäuser; es ist unverändert geblieben, als dem Deutschen Ritterorden die Marienburg verloren gegangen war und er seine Residenz hierher verlegte. Auch als der letzte Hochmeister aus dem Hause Brandenburg sich zum weltlichen Fürsten, zum Herzoge von Preußen machte, hat er aus seinem Schlosse wohl nur die Dreistadt: Löbenicht, Altstadt, Kneiphof überschaut. Wir erkennen dieses frühere Königsberg noch heute deutlich; die spätere moderne Stadt hat sich freieren Raum gesucht, ist strahlenförmig aus dem alten Kern herausgewachsen, und um sie herum hat sich der Festungswall und ein Gürtel weit vorgeschobener Forts gelegt.

In dem Banne der Fürstenburg sehen wir jetzt noch altes Gemäuer, Thurmstümpfe, Reste früherer Befestigungen mitten in die moderne Welt hineinragen. Zu den malerischen Partien dieses Burgbannes gehört heute noch ein kotziger, mittelalterlicher Thurmbau, den man nicht abgetragen, sondern an Geschäftsleute überlassen hat. Da verstecken sich Gärten, Höfe, altes Gewinkel in dem Bezirk, der die Stadtseite des Schlosses, den ältesten Theil desselben, umgiebt. Das kleine Verkehrsleben mag sich in den engen krummen Gassen unmittelbar am Fuße des steilen Schloßberges entwickelt haben. So ist es noch heute. Auch jetzt drängt sich hier der Kleinverkehr zwischen der natürlichen Bodenterrasse und dem Flusse zusammen. Anders ist das Gepräge der Kneiphofinsel in alter Zeit gewesen, und ist es auch heute noch. Dort hatte der Bischof von Samland um das Jahr 1330 den Dom zu bauen begonnen, ein kräftiges ernstes Bauwerk, schmucklos und [046] derb, wie die baltische Gothik zu bauen liebt. Da das Schloß damals nach keine eigene Kirche besaß, kamen Hochmeister und Herzog hier herab zum Gottesdienst. Hier finden wir ihre Grabmäler. Dennoch aber haben die Hochmeister die die Macht gefürchtet, die diese Bischofskirche mitten in der bürgerlichen Gemeinde ausübte, denn innerlich standen die Ordensleute und der von seinem Klerus umgebene Bischof einander feindlich gegenüber.

Da kam die Reformation, es kam die Verwandelung des Ordensstaates in ein weltliches Herzogthum, es kam die Regierungszeit des Herzogs Albrecht. Da wandelte inneres und äußere Leben sich mächtig in Königsberg. Die Lehre Luthers fand schnell Eingang in der deutschen Nordostmark. Neben dem alten gothischen Dome gründete Herzog Albrecht die Universität 1544 als eine „streng lutherische“, ein Schwiegersohn Melanchthons wurde ihr erster Rektor und unmittelbare Nachkommen Luthers sind hier in der Seelsorge thätig gewesen. Noch heute erinnert ein von dem Königsberger Studenten getragenes Abzeichen, welches aus der Initiale dieser Schilderung uns entgegenschaut, an den ehrwürdigen Stifter der „Albertus-Universität“. Seit jener Zeit ist Königsberg eine Stätte regsten geistigen Lebens geworden und geblieben: der Liederdichter Simon Dach predigte auf der Kanzel des Domes, die Lehrstühle der Hochschule haben Kant, Herder, Hippel geziert.

Die offene Stadt, von dem festen Schlosse beherrscht, wurde nun zu enge. Unten im Kneiphof entwickelte sich lebhafter Handel, da fand das Gemeindeleben mit Rathhaus und Junkerhof seine Stätte, die Insel wurde der vornehmste Bezirk des sich entwickelnden Königsbergs.

Wer heute diese Stadt besucht, der wird, besonders wenn er von dem nahen Danzig kommt, sich mit Recht darüber wundern, daß die bedeutende Vergangenheit, die verschiedenen Blütheperioden nirgends in würdevollen Bauwerken architektonisch Ausdruck gefunden haben. In Danzig erkennt man heute noch das gothische und das Zeitalter der Spätrenaissance; die Bauten beider Perioden verleihen der mächtigen Hansestadt ihren hohen malerischen Reiz, machen sie zu einer der schönsten Deutschlands. In Königsberg finden wir kaum eine Spur solcher alten baulichen Würde und Pracht. Das Schloß trägt in seinem ältesten Theile entschieden den Charakter einer zur Landesvertheidigung errichteten Burg, der Dom ist schwerfällig, schmuck- und fast stillos. Rathhäuser, Gildenhallen, Patricierwohnungen aus jenen früheren Entwicklungszeiten sucht man hier vergebens: an das alte dürftige, nur für das engste Bedürfniß seiner anspruchslosen Bewohner erbaute Königsberg schließt sich sofort das moderne. Und so ist Königsberg in seiner äußeren Erscheinung weder eine historische noch eine eigentlich schöne Stadt, obgleich es einzelnes enthält, um das andere Städte es beneiden könnten. Immer aber hat das geistig angeregte Leben, das Vorwärtsgehen auch auf wirthschaftlichem und gewerblichem Gebiete Königsberg eine hervorragende Stellung im altpreußischen Lande verschafft.

Die „Stoa Kantiana“ und die neuerrichtete Grabstätte Kants am Dom.


Die „Stadt der reinen Vernunft“ nennt man wohl ab und zu die alte Pregelstadt und man knüpft damit an ihres größten Sohnes berühmtestes Werk an. Immanuel Kant, der große Philosoph, der nie über die Mauern seiner Geburtsstadt hinausgekommen sein soll, hat hier seine „Kritik der reinen Vernunft“ geschrieben, hier ist er am 12. Februar 1804 gestorben. In den Arkaden, die sich längs der Nordseite des Domes hinziehen und die unter dem Namen des „Professorengewölbes“ bis zum Anfange dieses Jahrhunderts als Begräbnißplatz der Professoren der Albertus-Universität benutzt wurden, fand er, sechzehn Tage nach seinem Tode, seine Ruhestätte, wurde aber fünf Jahre nachher wieder ausgegraben und an das Ostende dieser Arkaden verbracht, wo er in einem abgegrenzten Raume neu eingesenkt wurde. Indessen auch hier sollten seine irdischen Ueberreste noch nicht endgültig zur Ruhe kommen. Die zunehmende Verwahrlosung der neuen Grabstätte veranlaßte eine Anzahl Männer, für eine würdige Herstellung derselben Sorge zu tragen, zu welchem Zwecke zunächst das Ostende der Arkaden in eine einfache Kapelle, die Stoa Kantiana, umgewandelt wurde. Dann schritt man im Juni 1880 dazu, die Gebeine des großen Todten auszuheben, wobei mit großer Vorsicht und genauester Prüfung verfahren werden mußte, denn infolge jener Umbettung im Jahre 1809 hatten sich die sicheren Anhaltspunkte über die Stelle, wo sie zu suchen waren, verwischt. Es gelang aber insbesondere mit Hilfe einer kurz nach Kants Tode abgenommenen Maske, die Identität des gefundenen Schädels mit demjenigen Kants unzweifelhaft festzustellen, worauf die Gebeine in einem neuen doppelten Metallsarge, zugleich mit einigen die Ausgrabung betreffenden Urkunden, aufs neue in einer ausgemauerten Gruft an derselben Stelle, wo sie vorher geruht hatten, beigesetzt wurden. Den denkwürdigen Vorgang dieser Ausgrabung hat Professor Heydeck, welcher den Haupttheil der Arbeit eigenhändig ausführte, in einem Gemälde verewigt, dessen getreue Holzschnittnachbildung wir unsern Lesern bieten.

Die moderne Zeit, die eigentlich nur erst nach Jahrzehnten rechnet, fand in Königsberg genügend Raum für ihre Schöpfungen, sie fand ihn hauptsächlich auf der Hochfläche, an deren steilem Rande das alte Schloß steht. Dort breiteten ehedem sich grüne Anger, Pferdeweiden, Jagdgründe aus, von Wegen durchzogen, die ins flache Land hinausführten; dort sammelten sich die Wasser der grasigen, mit alten Bäumen geschmückten Flur in langgestreckten Weihern, deren blinkende Spiegel bis in die unmittelbare Nähe des Schlosses sich dehnten. Allmählich war im Laufe der Jahrhunderte die Stadt hier hinaufgezogen, Gartengrundstücke, Milchwirthschaften, kleine ländliche Häuschen bedeckten einen Theil des Bodens, längs der Landstraßen mögen wohl von Beginn an die Wohnungen dichter bei einander gestanden haben. „Steindamm“, „Roßgarten“, wie jene Stadttheile heute noch heißen, deuten mit ihren Namen den Ursprung und den früheren Charakter dieser Ansiedelungen an. Dort ist vorzugsweise das moderne Königsberg erbaut worden und auch alle groß angelegten Bauwerte der Neuzeit, mit Ausnahme der Börse, die unten in der Handelsstadt am Strome bleiben mußte, haben den freien Boden, die reinere Luft dieser nördlichen Bezirke aufgesucht. Früh schon war dort das Theater erbaut worden, und 1844, als die Universität unten im Dome ihr dreihundertjähriges Jubiläum feierte, ward oben an dem heiteren, weiträumigen Königsgarten der Grundstein zum Baue einer neuen Hochschule gelegt, die 1862 vollendet wurde und nun, im Rundbogenstile italienischer Paläste gehalten, einen Schmuck des modernen Königsbergs bildet. Auf dem Platze vor der Universität, dem „Paradeplatze“, fand 1851 ein Reiterstandbild [047] Friedrich Wilhelms III. seine Stelle. Später wurde eine Bronzestatue Kants von Rauch, welche früher am Kantschen Hause in der Nähe des Schlosses gestanden hatte, ebenfalls auf diesen Platz versetzt.

Die Ausgrabung der Gebeine Kants.
Nach dem Gemälde von Professor Heydeck.

Der höchsten Verwaltung des Staates genügte das alte Schloß nicht mehr, für sie und als Residenz des Oberpräsidenten wurde in einer der Straßen, die wie Spinnenfüße von dem Mittelpunkte der alten Stadt nordwärts ins freie Land sich ausstrecken, ein stolzer Palast von Sandstein und gelben Backsteinfüllungen errichtet, ein Flügelbau mit reichem Skulpturenschmucke. Die Provinz hatte inzwischen Selbständigkeit erlangt und baute sich an einer andern jener Strahlenstraßen ihr „Landeshaus“. So hatte das moderne Königsberg innerhalb kurzer Jahrzehnte mehr Monumentalbauten geschaffen, als die langen Jahrhunderte vorher ihm hinterlassen hatten.

Auch dem Handel und der Industrie, die durch energisches Streben und klugen Geschäftsverstand der Bürger zur Blüthe gelangt sind, dankt das moderne Königsberg die stolzen Bauten, die neuerdings die Stadt verschönen. Frühere Jahrhunderte haben ihr an Patricierhäusern gar nichts hinterlassen. Nun schoben sich Prachtbauten des wohlhabenden Bürgerthums zuerst in die Lücken ein, die sich etwa in der alten Dreistadt fanden. Als diese aber nicht mehr genügten, wurden jene weiten Gartengründe [048] und Felder, die zwischen den zu den nördlichen Außenthoren führenden Straßen Streindamm mit seiner herrlichen, grünen Promenade, den „Hufen“, Tragheim, Roßgarten sich ausdehnten, von der Baulust erobert.

In manchem dieser Reviere wohnt man heute noch fast wie auf dem Lande. Stille Straßen, weite Gärten, völliger Mangel an Geschäftsleben, selbst an demjenigen, dessen ein moderner Haushalt nicht entrathen kann, sind dort nicht selten. Mehr und mehr füllt sich der weite Bezirk mit modernen Wohnhäusern, denen weder äußerer Schmuck noch innere Bequemlichkeit fehlt, immer mehr verschwinden die kleinen niedrigen Häuserchen, die an jenen früheren Landstraßen noch heute zu finden sind.

An Baugrund fehlt es hier oben nach immer nicht, und die Bevölkerungsziffer, welche sich heute auf über 100 000 Seelen beläuft, steigt so stetig, daß auch die Baulust rege bleibt. Königsberg ist immer dem Charakter seiner ersten Entwickelung treu geblieben. Aus verschiedenen kleinen Städtewesen lose zusammengeschweißt, hängt auch seine neueste moderne Gestaltung ihrer äußeren Erscheinung nach nur lose mit dem Früheren zusammen. Unten in den alten Städten überall Enge, überall bauliche Kargheit, dafür aber regstes Leben und Treiben; hier weite Plätze mit grünem Laubschmuck, breite Straßen, neben den Prachtbauten zu öffentlichen Zwecken stolze Privathäuser, mit allem ausgestattet, was die zeitgenössische Technik und die schmückende Kunst zu leisten vermag, dafür aber große Stille, die nur ein gewisser Luxusverkehr unterbricht. So besitzt Königsberg weit entschiedener als jede andere Stadt von ähnlicher Größe und Bedeutung eine Scheidung, wie sie London mit „City“ und „Westend“ bezeichnet: dort nur Geschäft, hier die Stätte wissenschaftlichen, künstlerischen Lebens inmitten gut ausgestatteter, gesunder, ja üppiger Wohnungen.

Am Pregel.

Noch eins kommt hinzu, um diesen Vergleich noch treffender zu machen. Der langgestreckte Weiher, der diese Hochebene in der Mitte durchschneidet und sich bis in die Nähe des Schlosses zieht, ist nun ringsum von modernen Stadttheilen umgeben. Das Erholungs- und Genußleben drängt sich an seinen Ufern zusammen. Königsberg besitzt von Natur nur sehr wenig landschaftliche Reize. Dafür bietet denn dieser Schloßteich einigermaßen Ersatz und von ihm aus ist auch unsere Hauptansicht der Stadt aufgenommen. An sein südliches Ende dringen die Häuser mit ihren Gärten, Balkonen, offenen Veranden vor, da besitzt jedes seine Gondel zu abendlichen Lustfahrten. Nordwärts aber von der Fußgängerbrücke, die diesen Weiher überspannt, hüllen die Laubmassen großer Gärten die Ufergelände in tiefen Schatten, da besitzen die Logen, die große Ressource der Kaufleute ihre Sommerlokale, in denen die oberen Schichten der Bevölkerung alle schönen Sommerabende verleben, wo Musik erschallt und feenhafte Beleuchtung vom Spiegel des stillen Wassers zurückgeworfen wird. Der Schloßteich ist der Glanzpunkt Königsbergs, hierher entsendet die alte Unterstadt, wie die moderne obere ihre Gesellschaft, hier begegnen wir Studenten, Offizieren, Beamten, Kaufleuten und Gewerbtreibenden, hier haben an jedem freien Uferfleckchen Bierhallen sich angesiedelt, hier gondelt man zu allen Tagseiten. Der Schloßteich ist reizend, gerade auch wegen der Verschiedenartigkeit seiner Uferstaffage. Auf der einen Seite überblicken wir den Kranz von Häusern, halb in Gartengrün versteckt, überragt von Thürmen und hohem Kirchengemäuer, auf der anderen die Massen alter Kastanien und Linden, die, wo der Seespiegel eine leichte Biegung macht, sich zusammenschließen. Wenn das Oberhaupt des Reiches, wenn irgend ein Kongreß, eine Wanderversammlung Königsberg besucht, der Schloßteich wird dann immer zum Schauplatz irgend einer Lustbarkeit gemacht. In den Logengärten veranstaltet man Konzert und Feuerwerk, der Börsengarten wird in ein Lichtmeer getaucht, Gesang und Instrumentalmusik ertönt aus den erleuchteten Gondeln, die das stille Wasser durchfurchen und die Schwäne aus ihrer Nachtruhe scheuchen.

Der Fremde fühlt sich bald heimisch und wohl in der alten Königsstadt. Es herrscht in ihr ein heiter geselliges, geistig ungemein angeregtes Leben, die Königsberger sind gastfrei und leicht zugänglich, man verkehrt zwanglos mit ihnen und hat etwas davon. Aufs glücklichste mischen sich hier Stände, Gesellschaftsgruppen, Berufskreise. Unter den am stärksten vertretenen Ständen ist der kaufmännische eigentlich der jüngste. Als die Hochschule schon lange berühmt in der ganzen Kulturwelt war, stand der Handel Königsbergs noch weit zurück gegen den anderer alter Hansestädte. Das hat sich in neuester Zeit vollständig geändert.

Der Theehandel des Festlandes hat sich in Königsberg einen Mittelpunkt geschaffen, die Königsberger Thee-Kompagnie ist eine der hervorragendsten kaufmännischen Unternehmungen in ganz Deutschland. Die russischen und polnischen Weizenernten gehen großentheils hierher, denn die Seeschiffe, welche dieselben nach dem Auslande verladen, können den tiefen Pregel herauf bis zu der Speicherstadt gelangen. Die Rosse nährenden Fluren Litauens senden ihre edlen Pferde hierher auf die weltberühmten Märkte, zu denen Käufer aus allen Ländern sich einstellen. Dies alles sind Schöpfungen, Eroberungen der neun Zeit. Wenn wir dafür auch mit großem Interesse, mit ehrfurchtsvollem Sinne auf das historische Königsberg, auf die Stadt König Ottokars, die Stadt des großen Herzogs Albrecht von Brandenburg, auf das Schloß blicken, in dem die Wiege des ersten Preußenkönigs gestanden, zu der Kirche, in welcher er sich die Krone aufgesetzt hat, die moderne Stadt mit ihrer äußeren Entwickelung, mit ihrem kräftig treibenden Leben übt dennoch eine nicht minder anziehende Wirkung auf uns aus.

Fritz Wernick.