Textdaten
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Autor: Johannes Proelß
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Titel: Emil Claar
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 465
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Reihe: Deutsche Bühnenleiter
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Deutsche Bühnenleiter.

Emil Claar.

In seinen „Erinnerungen“ hat Heinrich Laube vor seinem Hinscheiden den Ausspruch gethan, daß in neuerer Zeit mehrere Stadttheater in Deutschland in Bezug auf Regsamkeit und künstlerischen Unternehmungsgeist die Hoftheater überflügelt hätten, und dabei als Beispiel das Frankfurter Stadttheater genannt. Dies war zugleich eine Anerkennung für den Intendanten, der seit der Eröffnung des neuen Opernhauses daselbst im Jahre 1880 an der Spitze der Frankfurter Bühne steht.

Während bei den meisten der bekannten Bühnenleiter, welche als ausübende Schauspieler zur Kunst der Theaterführung heranreiften, sich dieser frühere Beruf in Erscheinung und Gesichtsausdruck ausprägt, hat Emil Claar weit mehr das Wesen und die Art eines weltmännischen Diplomaten. Alle inneren Aufregungen, welche der schwere Beruf eines Bühnenleiters täglich mit sich bringt, hinter einem fast nie gestörten Gleichmaß äußerer Ruhe und Höflichkeit zu verbergen, jede Willens- und Meinungsäußerung, sei sie für den Hörer angenehm oder unangenehm, mit demselben verbindlichen Lächeln zu begleiten, diese diplomatische Kunst ist ihm in hohem Grade eigen. Und diese Kunst kommt einem wesentlichen Theil der Aufgaben entgegen, die dem Regenten im Reiche der Bühne gestellt sind. Für ihn gilt es ja, die sich so vielfach bekämpfenden Einzelinteressen der an einer Bühne beschäftigten Künstler, deren reizbares Naturell und oft stürmisches Temperament ausgleichend zu beeinflussen, die künstlerischen Kräfte immer wieder in den nöthigen Einklang zu bringen. Den meisten aber, die aus Schauspielern zu Regisseuren, aus Regisseuren zu Theaterdirektoren wurden oder die man aus der Schriftstellerwelt um ihres dramatischen Könnens willen an die Spitze von Bühnen berief, fällt es, ihrem Temperamente gemäß, schwer, die für jene Aufgabe nöthige Sebstbeherrschung zu wahren: man kann ein recht guter Anführer im Wettstreit der Talente vor den Coulissen und doch ein schlechter Stratege gegenüber dem Kleinkrieg der Leidenschaften hinter denselben sein.

Daß Emil Claar nun schon dreizehn Jahre lang sich in der schwierigen Stellung an der Spitze des Frankfurter Stadttheaters mit wachsendem Erfolg behaupten konnte, hat er jenen Eigenschaften mindestens in gleichem Grade wie seiner künstlerischen Befähigung zu danken. Die Schwierigkeiten, die er in Frankfurt a. M. zu überwinden hatte, waren in der That ganz außerordentlich. Bis zu seiner Berufung hatte sich das dortige Bühnenleben in dem alten mittelgroßen Theater, in dem schon Frau Rath Goethe sich an den Dramen ihres Wolfgang hatte ergötzen können, abgespielt. In die erste Zeit nach seinem Direktionsantritt fiel die Eröffnung des neuen Opernhauses, das in Größe und Ausstattung mit den ersten Opernbühnen der Welt wetteifert. Die Akustik des Neubaues verwies die Weiterführung des Schauspiels auf das alte Haus. Bei dem starken Fremdenverkehr Frankfurts und der Wohlhabenheit vieler Einwohner war es durchführbar, gleichzeitig in beiden Häusern bei gutem Besuche zu spielen. Aber dieses Publikum, das für beide Häuser einen beträchtlichen Stamm regelmäßiger Besucher stellt, reist viel, kommt oft nach Paris, Berlin, Wien und ist daher verwöhnt und anspruchsvoll. Es geht gern und oft ins Theater, will dort aber auch möglichst [466] viel Neues sehen. Die Leistungen sollten so gut sein wie an den subventionierten Hoftheatern, aber eine Subvention fehlte. Gute Kräfte, gute und viele Neuigkeiten waren daher ebenso gefordert wie eine „gute“, d. h. sparsame Geschäftsführung. Wer da mit rücksichtsloser Strenge nur nach idealen Gesichtspunkten hätte vorgehen wollen, hätte den hier gegebenen Bedingungen des Gedeihens kaum entsprechen können. Hier hieß es Eile mit Weile, flotter Betrieb bei klug abwägender Berechnung. Wo Große Oper und Operette, höheres Drama und Posse derselben Leitung unterstehen und das Kasseninteresse gebieterisch heischt, neben der Kunst auch dem Unterhaltungsbedürfniß eines großen Publikums Rechnung zu tragen, da fordert die Bestimmung des Spielplans einen geschulten Meister der diplomatischen Kompromisse.

Claar, von Berlin her an ein freies Verfügen und schnelles Zugreifen im eigenen Hause gewöhnt, fand sich trotzdem schnell in die vorgezeichneten Geleise. Das Berliner Residenztheater, das er als Besitzer die Jahre vorher mit glänzendem Erfolge geleitet hatte, war durch den Wettbewerb der vielen Berliner Bühnen auf die Pflege einer besonderen Spezialität angewiesen gewesen. Gerade dank dieser Beschränkung hatte er es als Pflegstätte des bürgerlichen „Sittenstücks“ deutscher und französischer Abkunft auf jene Höhe gebracht, welche von Berlins ersten Kritikern damals einstimmig seinen Leistungen zuerkannt wurde. In Frankfurt fand nun Claar gerade für diese Gattung von Stücken einen günstigen Boden. Aber wie er seine Thätigkeit gleich mit einem Preisausschreiben für ein gutes deutsches Schauspiel, Trauerspiel und Lustspiel begann – aus welchem Wettstreit Richard Voß mit seiner „Patrizierin“ als Sieger hervorging – so hat er auch sonst immer sowohl unserer anerkannten klassischen Dramenlitteratur wie den neueren Schöpfungen Deutschlands eine lebhafte Aufmerksamkeit zugewendet. Wie Claar durch die erste Aufführung des „Mennoniten“ der feurigen Begabung Wildenbruchs die Pforten der deutschen Bühne geöffnet, wie er die dramatische Muse von Richard Voß in die große Welt eingeführt hat, so hat er, unterstützt von der Kritik, ähnliche Förderung in Berlin einem Wilbrandt, in Frankfurt einem Fitger, Fulda, Siegert zu theil werden lassen und namentlich auch um das dramatische Schaffen Paul Heyses und Wilh. Jordans durch Erstaufführungen neuer Dramen von diesen Dichtern sich große Verdienste erworben. Und auch für Henrik Ibsen ist er bereits zu einer Zeit eingetreten, da es noch nicht Mode war, für ihn zu schwärmen. Auf dem Gebiete des klassischen Dramas hat er namentlich durch Vorstellungscyklen bei herabgesetzten Preisen volksthümlich bildend gewirkt und diese Einrichtung dann auch nachklassischen Dichtern, im besonderen Kleist, Grillparzer, Gutzkow und Hebbel, zugute kommen lassen. In der Oper hat er versucht, möglichst jeder lebensvollen Richtung gerecht zu werden, dem Nibelungenring Richard Wagners wie den Liederspielen Neßlers, den Werken Verdis wie den neufranzösischen Komponisten. Ebenso veranstaltete er, unterstützt von den Kapellmeistern Dessoff und Goltermann, Mozart-, Weber-, Wagnercyklen.

Emil Claar.
Nach einer Photographie von K. Culié, Hofphotographin, Frankfurt am Main.

Claar würde sich der Fülle dieser künstlerischen Aufgaben nicht haben gewachsen zeigen können, wenn ihm nicht eine reiche litterarische Bildung und eine ausgezeichnete Schulung in allen Fächern der Regie von früher her zur Seite gestanden hätte. Emil Claar ist ein Schüler von Laube und von Haus aus nicht nur für die Bühne, sondern auch für das litterarische Wirken, die Dichtkunst, begabt. Als Sohn eines angesehenen Rechtsanwalts in Lemberg am 7. Oktober 1842 geboren, kam er schon früh nach Wien, um nach der Absicht des Vaters sich für den ärztlichen Beruf vorzubereiten. Jedoch von unbezwinglicher Leidenschaft fürs Theater – wie er selbst sagt – ergriffen, wurde er Schauspieler. Sein Geist war damals ganz von poetischem Idealismus beherrscht, wie seine Jugendgedichte und namentlich die Begeisterung für Byron, Shelley und Freiligrath beweisen; in einer seiner schönsten Balladen und in dem Drama „Shelley“ ist dieser Zug seines Wesens später zu künstlerischem Ausdruck gelangt. Heinrich Laube stand damals an der Spitze des Burgtheaters. An ihn wandte sich der junge Kunstnovize, nachdem er bei Ludwig Löwe den ersten Unterricht empfangen hatte. Laube, der so viele noch schlummernde oder knospende Talente rechtzeitig erkannt und zur Entfaltung gebracht hat, nahm sich des jungen Mannes mit besonderem Wohlwollen an und ließ ihn den ersten Schritt auf die weltbedeutenden Bretter im Burgtheater machen. Nach diesem Auftreten und einigen kurzen Anstellungen an österreichischen Provinzbühnen kam er nach Berlin, und zwar an das Hoftheater, wo er sich erfolgreich in das Charakterfach einarbeitete. Dann war es wiederum Laube, der ihm vorwärts half. Derselbe hatte die Direktion des Leipziger Stadttheaters übernommen; unter dem von ihm berufenen Personal befand sich auch Claar, und bald erkannte sein Blick dessen besondere Begabung für die litterarischen und artistischen Geschäfte der Theaterleitung.

Wie aus Laubes Buch über „Das norddeutsche Theater“ bekannt ist, zog er sich in jenen kämpfereichen Jahren den jungen intelligenten Künstler zu einem dramaturgischen Mitarbeiter nach seinem Sinne heran, und als er von Leipzig wegging, war Claar sofort ein gesuchter Regisseur. Am Hoftheater von Weimar erregte er als solcher durch seine Neuinscenierung klassischer Stücke viel Beifall. Als Oberregisseur am Landestheater in Prag, welche Stellung er vier weitere Jahre bekleidete, bekam er infolge andauernder Krankheit des Direktors Wirsing die ganze künstlerische Leitung dieser Bühne in die Hand und begann seine Neigung für die zeitgenössische Dichtung in selbständiger Weise zu entfalten. Hier entstand auch das Drama „Shelley“, das Laube vergeblich in Wien bei der Censur durchzusetzen suchte, hier ließ er dem vielgegebenen kleinen Lustspiel „Simson und Delila“ das liebenswürdig pikante „Auf den Knien“ folgen. Auch ein poetisches Märchendrama „Gute Geister“ schrieb er für die Bühne. In Prag war es auch, wo er sich mit der gefeierten Schauspielerin Hermine Delia verheirathete. Als Claar dann die selbständige Direktion des Berliner Residenztheaters übernahm, verlieh diesem die Mitwirkung seiner Frau eine besondere Anziehungskraft. Als Gattin des Frankfurter Intendanten hat sie sich aber – zum Bedauern der Verehrer ihrer Kunst – nur noch auf Gastspiele eingelassen.

Wer Emil Claar nur in seiner jetzigen zurückgezogenen Lebensweise kennenlernt und dabei die elegant geschmeidigen Formen beobachtet, in die er die Energie seines verantwortungsvollen Handelns kleidet, der ahnt nicht, welch warmblütige Künstlernatur sich hinter dieser scheinbar kühlen Ruhe verbirgt, Durch sein innerstes Wesen, wie es sich auch in seinen neueren Gedichten ausgesprochen, geht ein Zug entsagender Klage über die Unerfüllbarkeit der Ideale, über die Flüchtigkeit auch des höchsten Strebens. Ein Epigramm von ihm lautet:

„Glaube mir, in diesem Leben
Ist die allergrößte Kunst:
Ruhig lächelnd aufzugeben,
Was man hielt für Glück und Gunst.“

[467] Wenig Berufsarten sind denn auch so wie die seinige geeignet, solche Erkenntniß zu nähren. Für „alles Vergängliche“, das „nur ein Gleichniß“, ist die Bühne mit ihrem beständigen Wechsel neuer Aufgaben und neuer Leistungen, mit ihrer Kunst, die für das Sein des Lebens den Schein des Gleichnisses setzt, selber ein Gleichniß. Aber bei dem wiederum nur ihr eigenen Zauber, alle Schönheitsreize des Lebens in den engen Raum der vier Wände zu bannen, mit ihrem täglichen Kampf und wechselnden Sieg, mit der erhöhten Lebensstimmung, die ihr ganzes Wesen durchbebt, bietet sie ihren Jüngern auch reichen, mit nichts zu vergleichenden Ersatz. Und so klingt durch die lyrischen Bekenntnisse Claars neben der Entsagung auch eine hohe Genußfreude und ein unbeugsamer Lebensmuth, wie ein paar Verse aus seinem Gedicht „Abschied“ es aussprechen:

„Nicht weiß ich, ob ich hoffen dürfe
Zu schauen in geschwellter Frucht
Den Frühling knospender Entwürfe,
Der mich umspinnt in süßer Flucht.
0000000000
Jedoch ich weiß, ich werde singen,
Ich werde glühen ruhelos,
Ich werde wandern, werde ringen,
Ein Pilgrim nach der Schönheit Schos!“ 00

 Johannes Proelß.