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Titel: Des Winzers Octobersegen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 728
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[725]

Weinlese an der Mosel.
Nach seinem Gemälde auf Holz gezeichnet von J. Fr. Engel.

[728] Des Winzers Octobersegen. (Mit Abbildung Seite 725.) Es giebt kaum noch andere stoffliche Dinge, welche so viel erstrebt sind und so viel gepriesen werden, wie Gold und Wein; ihr Glanz und Duft bilden das verklärende Element für ein Leben in Pracht – und wenn Goethe seinem Gretchen den Seufzer in den Mund legt:

„Am Golde hängt, nach Golde drängt
Doch Alles – ach, wir Armen!“ –

so sagen uns die ältesten Bücher europäischer Cultur, wie hoch in Ehren der Wein zu allen Zeiten stand, und wie viele Millionen der Sterblichen sich ihr Lebelang vergeblich nach der Flasche voll sehnten, die nach der gutmüthigen Sage für Jeden einmal im Jahre wachsen soll. Und wie Gold und Wein, so sind auch der Bergmann und der Winzer Schicksalsgenossen; einerlei ob jener wirklich nach Gold und Silber, oder ob er nach Eisen und den „schwarzen Diamanten“ gräbt, die durch den Dampf Verkehr und Industrie beherrschen, und ob dieser den eigenen bescheidenen Weinberg bebaut oder in fremdem Dienst das schweißbenetzte Werkzeug führt: sie arbeiten Beide für das Lockendste, Reizendste an einem üppigen Lebensgenusse, während in ihre eigene bescheidene Behausung von dem Glanze dieses üppigen Lebensgenusses kaum je ein Schimmer fällt.

Auf solche Gedanken kann Einen ein Bild bringen! In den Gestalten, die uns im Vordergrund unserer Mosellandschaft entgegentreten, erkennen wir eine einfache Winzerfamilie, die ihre Ernte heimfährt; und wenn wir die Mienen von Vater und Mutter prüfen, so spricht neben der Arbeitsmüdigkeit auch der Ernst des Lebens aus ihren Zügen. Fast theilnahmlos läßt die Mutter den Arm herabhängen, an den ihr heranwachsendes Töchterchen sich anschmiegt, und in des Vaters Augen steht neben der stillen Freude, mit der sie auf dem jüngsten Sprößling ruhen, etwas wie verhaltene Wehmuth und nagende Sorge. In der That – wenige Weintrinker wissen, wie kärglich im Ganzen das Brod des ärmeren Weinbauern ist, wie schwer eine einzige Mißernte auf ihm lastet! Ist es dies etwa, wovon die Gesichter auf unserem Bilde reden? Ganz glücklich sind nur die beiden Kleinen, der lachende Schäker auf dem Fuhrmannssitz und der fröhliche Junge, der seine große Weintraube mit dem Rebengehänge gern aller Welt zeigte; denn das Glück unbefangenen Daseins ist ein köstliches Vorrecht der Jugend, die „des Denkens süßes Weh“ nicht kennt. – Auch der Esel gehört zum fröhlichen Bund; er sendet offenbar der schönen Traube Blicke des Verlangens zu und würde sicherlich nicht Esel genug sein, um sie nicht gern zu verzehren. Denn ein weiser Mann sprach das gerechte Wort aus: „Kein Esel ist als Esel ein Esel.“