Des Unfehlbaren „heiliger“ Ketzerrichter

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Titel: Des Unfehlbaren „heiliger“ Ketzerrichter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 179–182
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Des Unfehlbaren „heiliger“ Ketzerrichter.


Fünfhunderttausend Familien, zusammen wohl zwei Millionen Menschen hat in Spanien allein die Inquisition verschlungen. Von diesen sind Tausende aus dem Lande vertrieben, Tausende eingekerkert und an die Galeeren geschmiedet, Tausende mit dem Schwert gerichtet oder erdrosselt und 31,912 lebendig verbrannt worden. Seine Glanzzeit feierte dieses „Heilige Amt“ unter den Großinquisitoren Diego Perez, Cisneros, Torquemada (der allein 105,285 Personen verurtheilte und über sechstausend lebendig verbrennen ließ) und dessen eifrigstem Jünger und Nachfolger Peter Arbues von Epila.

Bis zum Jahre 1867 konnte man sich noch der tröstlichen Ansicht hingeben, daß diese furchtbare Geißel der Menschheit ein Wahnzustand gewesen sei, der wie die verwandte Erscheinung der Hexenprocesse, am Lichte einer gesunderen und helleren Zeit seinen Untergang für immer gefunden habe. Dieser Trost ist dahin. Wir müssen zu der niederdrückenden Ansicht gelangen, daß die Inquisition ein wesentlicher Machttheil der Hierarchie sei, die nur bestehen könne, wenn sie, um die Suprematie in Sachen der Religion zu behaupten, zur höchsten geistlichen und weltlichen Gewalt greife; dazu gehört es aber vor Allem, nicht nur zu verhindern, daß irgendwo der menschliche Geist sich unabhängig entwickele, sondern rücksichtslos dafür zu sorgen, daß alle Geister in eine feste Form eingeschraubt werden, wie der Jesuitismus sie erfunden hat und allein anzulegen versteht. Daß dies auch noch heute des Papstthums Ziel sei, dafür konnte kein schlagenderer Beweis geliefert werden, als Pius der Neunte ihn der Welt in’s [180] Gesicht schleuderte, indem er

Peter Arbues verurtheilt eine Ketzerfamilie zum Feuertode. Carton von Wilhelm v. Kaulbach.

kraft seines Amtes den blutigsten Ketzerrichter, ein Scheusal, dessen Name seit Jahrhunderten mit Fluch beladen in der Geschichte steht, unter die Heiligen der katholischen Kirche versetzte.

Mit dieser Heiligsprechung hat der Papst mit dem Geiste des Christenthums ebenso gebrochen wie mit dem Bildungsberufe der Menschheit. Er hat das schändlichste Verbrechen, das gegen den Grundbegriff der Gottheit begangen wurde, als höchste Tugend belohnt und damit sich zum Genossen des Verbrechers erniedrigt. – Aber ist denn das überhaupt so etwas Neues in der jesuitischen Kirchenherrschaft? Waren es nicht deutsche Kirchenlichter, die um die Zeit einer neuen Aufloderung ihres Machtgefühls – als die katholische Frauenwelt sich abgewöhnen mußte, vor dem Bilde der „unbefleckten Empfängniß“ öffentlich zu erröthen, weil die ehelosen Geistlichen dieselbe täglich auf der Kanzel abhandelten – in ihren Versammlungen es wagen durften, der Pariser Bluthochzeit Lobreden zu halten? Ist das entsetzliche Lehrbuch der Moraltheologie des Jesuiten-Paters Gury noch immer nicht bekannt genug? Wer es nicht kennt, der kaufe sich heute noch Keller’s Beleuchtung desselben*, um zu erfahren, was heute noch möglich, ja was noch immer nicht unmöglich geworden ist im Bereiche des Jesuitenregiments.

Es ist eine weltgeschichtliche Merkwürdigkeit, daß an demselben Tage, an welchem dem deutschen Staate, der an der Spitze des Protestantismus steht, der Vernichtungskrieg vom pfaffenmächtigsten Staate Europas angekündigt ward, auch das Concil zu Rom die Unfehlbarkeit des Papstes zu seinem höchsten und letzten Beschluß erhob. Unter dem Waffenlärm in den zwei größten Heerlagern der Welt verscholl kaum gehört der ultramontane Siegesjubel. Aber das von allen Feinden des deutschen Geistes dem Untergange geweihte deutsche Reich erstand nach blutigem, sieggekröntem Ringen zu neuer Hoheit und Macht, und der erste große geistige Kampf, dessen Sturmwellen weit über Deutschlands Grenzen hinausschlagen, gilt der freien [181] Schule, der Errettung der Bildung des Volks aus der Pfaffengewalt.

Auch dieser deutsche Kampf war längst in der Nation vorbereitet durch Schrift und lebendes Wort und Lied. Da, im rechten Augenblicke, trat auch die bildende Kunst bewaffnet auf den Kampfplatz, und so weltgeschichtlich wie Concil und Krieg und Volksvertretung griff ein Bild in den Kampf der Zeit ein, blitzartig grell das Furchtbarste beleuchtend, das ein Papst des neunzehnten Jahrhunderts der gesammten Christenheit, der Bildung und dem Gewissen desselben geboten hatte.

Das ist die Bedeutung von Kaulbach’s Ketzerrichterbild, seinem Peter Arbues von Epila in der Verrichtung des „heiligen Amts“, für das er selbst nun mit dem Heiligenschein begnadet worden ist.

Ein solches Bild ist werth in jedes deutsche Haus getragen zu werden. Und weil die „Gartenlaube“ es heute den Hunderttausenden ihrer Leser vorlegt, so fügen wir für diese auch eine einfache Erklärung desselben bei.

Auf der Freitreppe vor dem Palast des Inquisitionstribunals zu Saragossa steht der Inquisitor Peter Arbues, als blinder Greis, geleitet von zwei Mönchen, einem häßlichen alten, und einem schönen jungen, letzterer durch die Geißel, die er unterm Arme trägt, ebenfalls als Fanatiker bezeichnet, wenn man auch noch einen Zug von Mitleidsfähigkeit aus dem Gesichte herausfinden kann. Arbues ist, wie er hier vor uns steht, keine Porträtfigur, er war ein sehender und kräftiger Mann, als ihn sein Verhängniß ereilte; hier steht der Inbegriff des blinden Fanatismus vor uns, der den von ihm ganz Umstrickten mit unbarmherziger Verfolgungswuth jedes Andersgläubigen erfüllt und bis zur Mordgier hetzt, mit welcher seine Umgebung die gemeinste Raubgier verbindet, genau wie die Geschichte der Inquisition dies nachweist. Den Stift, der dieses Antlitz zeichnete, hat der tiefste Ingrimm geführt: es ist die lauernde Hyäne, die mit den krallenden Fingern der Linken ihrem Opfer droht, während die Rechte, vom tückischen Mönch geleitet, mit dem Krückstock in die Richtung hintastet, wo die von ihm zum Feuertod verdammte Familie kniet.

[182] Und über diesem Haupte schwebt, in seiner leisen Andeutung erst recht contrastirend, der Glorienschein des „Heiligen“.

Die Mitte des Vordergrundes nimmt im Bilde die verurtheilte Ketzerfamilie ein: Vater und Mutter, eine Tochter, zwei Söhne und die alte Dienerin. Ihre edlen Gestalten, ihre vornehme Tracht und die Reichthümer an Münzen und Geschmeide, die, vor ihnen am Boden und auf der ersten Treppenstufe liegend von einem Mönch in die geschürzte Kutte gesteckt und gierig eingeheimst werden – Alles deutet auf die Höhe der Bildung und des Lebensglücks hin, die ihr Verbrechen war. Im Antlitz des Vaters prägt sich die Ueberzeugung von der Vergeblichkeit jeder Bitte und jedes Widerstands und damit die männliche Entschlossenheit aus, das Unvermeidliche würdig zu tragen. Sein Töchterlein, ein blühendes Mädchen, vergräbt den Kopf mit den vollen halbaufgelösten Zöpfen an des Vaters Brust; die Mutter, aus deren Antlitz selbst die furchtbare Verzweiflung des Augenblicks die Weihe der Schönheit nicht verscheuchen kann, kniet mit auf dem Rücken gefesselten Händen am Boden. Ihr Blick ist furchtbar: die weitaufgerissenen Augen starren in’s Leere, und gewiß ist auch ihr weit offener Mund todtenstumm. Desto schneidender dringt uns der Wehschrei ihres kleinen Lieblings in’s Herz, des Knaben, der der Mutter Kniee umklammert und Rettung erfleht von der selbst unrettbar Verlorenen. Die alte Dienerin ist das Bild völliger Vernichtung, sie verkriecht sich, als ob Das sie ihrem Schicksal entreißen könnte. Ueber all die geliebten Häupter der Seinen emporragend sehen wir die einzige, aber großartig versöhnende Erscheinung des ganzen Bildes: den älteren Knaben, der dem lauschenden Inquisitor in prophetischer Begeisterung sicherlich nichts Geringeres als seinen Fluch vor Gott und den Sieg des freien Glaubens in der rächenden Zukunft verkündet. Auch räumlich nimmt dieses herrliche Knabenhaupt die Mitte des Bildes ein, wir kehren immer zu seinem Anblick zurück, wenn Alles, was rings ihn umgiebt, uns mit steigender Empörung über die Möglichkeit solcher Menschenunthaten erfüllt hat. So die beiden Mönche, welche in der Abgestumpftheit vor den täglichen Mord- und Gräuelscenen die Stricke halten, an welche die Knieenden gebunden sind; so der Zug der fackeltragenden Mönche, welcher im Hintergrund zur Verherrlichung des Autodafé dahinschreitet, das dort begangen wird. Wir sehen durch Flammen und Rauch vier Martersäulen, an welchen Ketzer verbrannt werden, während ein Mönch den Brand schürt oder einen neuen Scheiterhaufen vorbereitet.

Je länger wir das Bild beschauen, je mehr Neues finden wir darin, und selbst im anscheinlich nebensächlichen Ausschmuck erkennen wir den tiefen Sinn, wie in der Madonnenstatue mit den Schwertern im Herzen, die neben dem Portal der Inquisition und über dem Haupte des Inquisitors die Hände wie im bittersten Schmerz über die Verbrechen ringt, die vor ihr im Namen ihres Sohnes verübt werden; ebenso ganz im Vordergrund die Bibel und der Kelch des Abendmahlsgeräths, um jeden Zweifel, daß hier gegen Andere, als gegen Ketzer verfahren werde, unmöglich zu machen. Selbst das Crucifix im Mönchszuge und auf der Brust des „heiligen Arbues“ reden eine deutliche Sprache; durch die Morisken und Juden aber, die hinter der christlichen Familie am Boden knieen und die Hände ringen, ist Land und Zeit angedeutet, dem die Blüthe dieser Glaubensschandthaten angehört.

Mag die Kunstkritik sich noch so sehr dagegen ereifern, mehr solcher Kunstwerke in ihr ästhetisches Bereich aufzunehmen: hier ist die Rede von einer geschichtlichen That, die allein mehr werth ist, als sehr viel Inhalt sehr vieler Bildergalerien. Darum Ehre dem muthigen Meister mit seinem deutschen Herzen und glücklichen Erfolg seiner zermalmenden Lehre im gesammten Pfaffenthum! Deutschland wird seinen Sieg gegen jedes Verdummungsbündniß ausfechten; – ob und wann auch Spanien? Es ist eine trostlose Thatsache, daß der Inquisition noch ein sehr spätes Opfer fiel: ein liberaler spanischer Schullehrer, Namens Ripoll, ist als Ketzer, weil er dem Deismus anhing, zu Valencia mit den wesentlichen Formen eines Autodafé hingerichtet worden, und wann? Am 31. Juli 1826!



[180] * Verlag von H. R. Sauerländer in Aarau, 1869.