Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Des Adlers Horst
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 26–28
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[26]

Des Adlers Horst.

Die Jagd auf junge Adler ist auf der Insel Corsica, in Sardinien und an andern Orten fast eine Art Industrie der armen Landleute, sie gehört aber zu den gefährlichsten, die der Mensch unternimmt, wie folgende Fälle zeigen.

Drei junge Bauernburschen in Sardinien, Brüder, entdeckten in der Tiefe eines schauerlichen Abgrundes den Horst eines Adlers, aber die Felsenwand fiel so senkrecht ab, daß man nicht anders in die Tiefe hinunter gelangen konnte, als daß man sich an einem Seil hinunterließ.

Die Brüder entschieden sich für die Anwendung dieses Mittels und schwangen das Seil um den Stamm eines Baumes, der in der Nähe stand und gewissermaßen als Kolben dienen mußte. Das Gefährliche des Unternehmens bestand nicht blos in der Möglichkeit eines Sturzes von mehr als hundert und fünfzig Fuß in die Tiefe, sondern in der Wahrscheinlichkeit eines Angriffes der zahlreichen Raubvögel, die in der den Menschen unzugänglichen Schlucht sich aufhielten. Die Brüder bestimmten den, welcher an dem Seile sich hinablassen sollte, durch das Loos, und dieser hielt es für zweckdienlich, einen Säbel mit sich zu nehmen, um sich gegen die gefiederten Feinde vertheidigen zu können. Die beiden Andern hielten das Seil. Der Hinabsteigende war 22 Jahre alt, ein schöner, kräftiger Gebirgsbewohner … Er schlang sich das Seil muthig um den Leib und trat mit einem Fuße überdies in eine Schlinge am andern Ende desselben, um sich sicherer aufrecht zu halten, nachdem er das Zeichen des Kreuzes gemacht, ließen die Brüder das Seil langsam nach und er sank tiefer und tiefer an der Felsenwand hinab, bis er über dem Risse schwebte, in dem sich der Adlerhorst befand. Er bemächtigte sich glücklich der vier weißlichgelben jungen Adler darin, und rief freudig den Brüdern oben zu, ihn hinaufzuziehen. Sein Ruf schallte weit hin und deckte vielfache Echos in dem Geklüft, aber machte auch das alte Adlerpaar auf den Raub der Jungen aufmerksam. Mit haarsträubendem Geschrei und aufgesperrtem Schnabel schossen sie wüthend auf ihn zu; die Jungen, die er unter dem einen Arme hielt, kreischten dazu wie um Hülfe, andere Raubvögel stimmten in das Krächzen und Schreien ein und der Säbel, den der Adlerräuber unablässig um sie schwang, reichte kaum hin, ihn vor den allseitigen Angriffen zu schützen. Da fühlte er plötzlich eine heftige Erschütterung des Seiles, das ihn trug; er blickte an demselben hinauf und erkannte zu seinem Entsetzen, daß er es in der Hitze des Kampfes mit der Schneide des Säbels getroffen und zur Hälfte durchhauen hatte. Schauer des Entsetzens rieselten ihm durch die Glieder; wenn das Seil nun zu schwach war, ihn zu tragen, wenn es zerriß und er in die Tiefe zerschmetternd hinabstürzte …? Die Brüder oben wußten von der Verletzung des Seiles nichts, sie zogen mit aller Kraft und schneller und schneller und glücklich gelangte er mit den geraubten jungen Adlern, die er nicht losgelassen hatte, auf festen Boden. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn ihm die Todesangst in den wenigen Minuten das Haar weiß gefärbt hätte.

Einen noch ergreifendern Vorfall ähnlicher Art erzählt ein Naturforscher, der sich eine Zeit lang aus dem Felseninselchen Garveloch an der Westküste Schottlands aufhielt, um da Seevögel und Seethiere zu fangen. Ein Knabe von etwa zwölf Jahren diente ihm auf seinen gefährlichen Ausflügen gewöhnlich als Führer und schloß sich endlich mit ganz besonderer Liebe dem fremden Manne an.

„Mehrmals," erzählt der Reisende, „hatte ich im Beisein Arkies (so hieß der Knabe) den Wunsch geäußert, junge Raubvögel, namentlich junge Seeadler zu haben. An einem schönen Morgen, als ich einen etwas längern Ausflug zu machen gedachte, fragte ich vergeblich nach meinem kleinen Führer. Man rief ihn umsonst in und neben dem Häuschen seines Vaters; man sah ihn nicht wie gewöhnlich irgendwo auf einer Klippe umherklettern und ich erkannte ihn selbst nicht mit dem Fernrohr auf dem Gipfel einer Felsenspitze, Storr genannt, auf die er bisweilen auch wohl kletterte. Ich mußte mich also entschließen, meine Wanderung allein

[27]

Des Adlers Horst.

zu beginnen, lud mein Gewehr und machte mich auf den Weg; aber kaum war ich fünfzig Schritte weit gegangen, als ich Arkie schmerzlich vermißte. Ich setzte indeß meinen Gang fort über Haiden und traurige, öde Moore, ohne ein einziges Mal zum Schusse zu kommen. Endlich wendete ich mich nach einer Gruppe seltsam gestalteter Felsen, die sich nach dem Meere hinzogen und begann an denselben hinaufzuklimmen. Mit einem Male wurde die Stille dieser Einöde durch einen ganz eigenthümlichen Schrei unterbrochen, der klagend, gellend und zornig zugleich klang und meiner Ansicht nach nur aus der Kehle eines Adlers kommen konnte. Ich blieb betroffen stehen und sah mich um. Nirgends erblickte ich ein lebendes Wesen. Mit raschen Schritten suchte ich nun um eine vorspringende Felsenklippe herum zu kommen, und kaum hatte ich dieselbe erreicht, so blieb ich, vor Entsetzen wie erstarrt, vor dem Anblicke stehen, der sich mir darbot.

„Hoch über mir hing an einem Seile, das um einen verkrüppelten Baum geschlungen war, Arkie, mein kleiner Führer, über einem finstern Abgrund, und ein riesiger Adler mit ausgebreiteten Flügeln, die scharfen Krallen fest an den Leib gezogen, schoß auf den Armen zu, um ihn zu packen.

„Im ersten Augenblicke sah ich die drei andern Knaben nicht, welche Arkie für die Theilnahme an seiner tollkühnen That gewonnen [28] hatte und von denen zwei das Seil hielten, an dem mein kleiner Freund sich hinabgelassen hatte, während ein Dritter mit einem Stocke den Adler bedrohte, ohne denselben erreichen zu können, wenn er sich auch über den Abgrund bog.

„Ich hatte unwillkürlich nach meinem Gewehre gegriffen, um den Adler zu schießen und Arkie so von dem gefährlichen Feinde zu befreien, aber durfte ich den Schuß wagen? Alle meine Glieder zitterten … Ich konnte statt des Adlers den Knaben treffen. Verzweifelnd ließ ich das Gewehr sinken.

„Arkie hielt unter dem einen Arme zwei junge Adler, junge Adler, die ich zu besitzen gewünscht hatte und mit denen er mich überraschen wollte! Mit dem andern Arme suchte er den alten Adler abzuwehren. Jetzt – mein Gott! – jetzt hackt dieser den Knaben gewiß in das Gesicht! – Mir schwindelte bei dem Anblicke, das Herz zog sich in mir schmerzhaft zusammen. – Gott sei Dank! Nein, Arkie verlor die Geistesgegenwart keinen Augenblick, ehe er noch den scharfen Schnabel des alten Adlers in seinem Fleische fühlte, ließ er Einen der jungen Adler fallen und sofort stürzte der Alte auf diesen, ihn im Falle aufzufangen.

„Ich athmete wieder auf, die beiden Knaben oben zogen rasch und rascher aus Leibeskräften und Arkie hatte den Rand des Felsens fast erreicht. Da erhob sich der alte Adler von Neuem und schoß wie der Blitz nochmals auf den kleinen Räuber, der ja noch Eines seiner Jungen trug. So nahe Arkie der Rettung war, die Gefahr war noch näher, der Schnabel des wüthenden Adlers faßte zum zweiten Male nach ihm und er mußte den letzten der jungen Adler fallen lassen. Der Alte faßte das Junge im Fallen und Arkie schwang sich auf die Felsenplatte zu den drei muthigen kleinen Gefährten empor.

„Niedergeschlagen wegen des Mißlingens des Unternehmens, nicht im Mindesten entmuthigt kam er herunter und als er mich traf und ich ihm Vorwürfe machte, blinzelte er pfiffig mit den Augen als wolle er sagen. ein anderes Mal gelingt es mir doch.

„Am andern Morgen ging ich mit zwei Männern an Ort und Stelle; ich selbst ließ mich an dem Seile hinab und entführte glücklich die beiden jungen Adler, denn die Alten zeigten sich nicht, sie waren wohl weit hinweggeflogen, um für ihre Jungen Aetzung zu holen."