Textdaten
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Autor: Ernst Willkomm
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Titel: Der verwandelte Schmuck
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48–52, S. 693–696, 709–712, 725–728, 741–744, 757–760
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[693]

Der verwandelte Schmuck.

Novelle von Ernst Willkomm.

1. Ein Hochzeitsgeschenk.

In einer bedeutenden Stadt des Rheinlandes, ausgezeichnet durch Lage und Geschichte, und von jeher der Sammelplatz zahlreicher Fremden, war das Haus des bejahrten Domcapitulars Rütersen der Mittelpunkt der vornehmen und intelligenten Gesellschaft. Außer den Einheimischen aus den angeseheneren Familien hatten Fremde von Distinction stets Zutritt in die Cirkel des Domcapitulars und fanden daselbst jederzeit zuvorkommende Aufnahme wie angenehme Unterhaltung. Ungeachtet seiner siebzig Jahre war der alte Herr noch immer rüstig, nahm lebhaft Theil an Allem, was Zeit und Welt bewegte, und konnte für die Seele der Gesellschaft gelten, die sich beinahe Tag für Tag in seinem großen, geschmackvoll eingerichteten Hause zusammenfand. Hier lernten Fremde einander kennen, hier knüpften sich geistige Beziehungen an, hier ward wohl dann und wann eine Bekanntschaft angebahnt, die sich später zu einem innigeren und bleibenden Verhältniß gestaltete. Seit zwei Jahren hatte das Haus des Domcapitulars in der Person seiner jungen Nichte Rosaura, der einzigen Tochter seines verstorbenen Bruders, des ehemaligen geheimen Staatsrathes Doctor Rütersen, eine neue Bewohnerin erhalten. Rosaura war mehr als hübsch, aufgeweckten Geistes und hoch gebildet. Eine verständige Erziehung hatte glückliche Naturanlagen so harmonisch entwickelt, daß die junge Nichte des Domcapitulars unter ihren Schwestern eine entschieden hervorragende Stellung einnahm.

Rütersen gewahrte sehr bald den Eindruck, welchen Rosaura auf die meisten Personen machte, die sein gastfreies Haus besuchten. Der schönen Nichte huldigte die Jugend und schmeichelte das Alter. Jedermann sah das stets heitere Mädchen gern, und wenn sie zufällig einmal nicht in der Gesellschaft zugegen war, so empfanden Alle ihre Abwesenheit.

So wenig nun auch der Domcapitular darauf dachte, seiner Nichte, deren Gegenwart ihm selbst in jeder Hinsicht angenehm war, eine Versorgung zu geben, so wenig war er auch abgeneigt, einer entschiedenen Neigung, wenn diese sich einen würdigen Gegenstand aussuche, entgegen zu treten. Rosaura besaß ein nicht unbedeutendes Vermögen, und da Rütersen selbst ein großes Einkommen hatte, andere nahestehende Verwandte aber keine Erbansprüche an ihn machen konnten, so war es ihm frei gegeben, der Nichte im Fall einer Vermählung derselben von seinem eigenen Vermögen noch eine beträchtliche Summe zuzulegen. Diesen möglichen, ja wahrscheinlichen Fall hatte Rütersen schon vor dem Tode seines Bruders in Erwägung gezogen und deshalb ein Testament gemacht, in welchem Rosaura zu seiner Universalerbin eingesetzt wurde, falls er selbst noch vor ihrer Verheirathung aus dem Leben abgerufen werden sollte. Vermählte sich aber die Nichte noch bei seinen Lebzeiten, so erhielt sie vorerst nur eine Ausstattung von ihrem Onkel, während dessen eigentliches Vermögen, mit Ausschluß einer Anzahl Legate für milde Stiftungen, ihr erst später zufiel.

Dem Publicum der feineren Gesellschaft waren diese Vorkehrungen der getroffenen letztwilligen Verfügungen des Domcapitulars kein Geheimniß geblieben. Man sprach davon in mehr als einem Kreise, und es konnte deshalb nicht auffallen, daß Rosaura, durch Jugendfrische, Bildung, natürlichen Verstand und Vermögen ausgezeichnet, für eine glänzende Partie angesehen wurde.

Das junge Mädchen selbst dachte wohl am wenigsten an das, was alle Welt beschäftigte. Sie blickte mit schöner Unbefangenheit um sich und genoß den heitern Augenblick, ohne sich peinlich Rechenschaft darüber abzulegen.

Lange indeß sollte Rosaura nicht so harmlos bleiben. Die vielen Gäste im Hause ihres Onkels, unter denen es an ausgezeichneten Männern von Rang und Namen nicht fehlte, ließen sie nicht alle gleichgültig. Einer besonders, welcher eine seltene Erzählergabe besaß, mehrere Sprachen mit Leichtigkeit handhabte und überall in Europa daheim zu sein schien, zog Rosaura unwiderstehlich an. Sie sah ihn unter allen jüngeren Männern entschieden am liebsten, ließ dies auch, vielleicht ohne es zu wollen, in Kleinigkeiten durchblicken und fühlte sich nach einiger Zeit demselben herz- und geistverwandt. Auch der Domcapitular bemerkte diese nur nach und [694] nach sich vollziehende Verwandlung seiner Nichte, fand aber keine Veranlassung, sie zu stören. Graf von Weckhausen stand in dem Rufe eines höchst achtbaren Mannes, obwohl er sich erst vor Kurzem in der Gegend angekauft, nicht aber im strengen Sinne des Wortes auch daselbst niedergelassen hatte. Einige Monate des Jahres verbrachte er theils auf dem käuflich erworbenen Gute, theils in der Stadt. Diese Zeit war für Weckhausen wirklich eine Zeit der Muße, eine Siesta nach angestrengter Arbeit, um sich zu neuer Thätigkeit zu kräftigen. Fühlte der Graf sich wieder hinlänglich gestärkt, so verreiste er gewöhnlich auf zwei bis drittehalb Monate, kehrte dann wieder zurück und brachte durch seinen Wiedereintritt in die Gesellschaft neues Leben, neuen Reiz in deren zwanglose Reunions.

Aurelio von Weckhausen liebte es nicht, direct von sich zu sprechen, da er aber in Folge seiner häufigen Reisen immer ganz von selbst zum Erzählen genöthigt ward, konnte er seine eigenen Verhältnisse nicht ganz mit Stillschweigen übergehen. So erfuhren denn Alle, die es wissen wollten, daß der Graf einträgliche Quecksilbergruben in Spanien besaß und daß er vorzugsweise der Rentabilität derselben seine großen Einkünfte zu danken habe. Obwohl Aurelio mit liebenswürdiger Bescheidenheit sich alle tieferen Kenntnisse der Hüttenkunde absprach, gab er doch eben so unbefangen zu, daß er die Verwaltung derselben praktisch erlernt habe und daß er sich von den in den Gruben Angestellten nichts vormachen lasse. Gerade aus diesem Grunde und damit er stets eine genaue Uebersicht behalte, müsse er so oft verreisen. Er pflege am liebsten seine Beamten wie seine Arbeiter zu überraschen, weil er die Einsicht gewonnen habe, daß nur auf solche Weise Unterschieden und anderen Betrügereien vorgebeugt werden könne.

Aber auch andere Gegenden besuchte der unterrichtete, in gesellschaftlicher Hinsicht zu den ausgezeichnetsten Persönlichkeiten gehörende Graf. Er kannte Frankreich genau, war in der Schweiz kein Fremdling und sprach über Italien, namentlich über die Städte Ober- und Mittel-Italiens, wie ein Mann, der zu wiederholten Malen längere Zeit daselbst gelebt haben mußte.

Durch alle Kreise der Gesellschaft machte daher die Nachricht von der Verlobung Rosaura’s mit dem Grafen Aurelio von Weckhausen frohe Sensation. Die Meisten hatten diesen Ausgang erwartet, einige Wenige nur ihn für nicht ganz wahrscheinlich gehalten.

Der Domcapitular versäumte nicht, der Verlobung seiner glücklichen Nichte einen möglichst ostensiblen Charakter zu geben. Er freute sich, daß der ihm so nahe Verwandten, deren zeitliches Wohl ihm aufrichtig am Herzen lag, durch seine Gastfreiheit ein so beneidenswerthes Loos gefallen sei. Nun war es seine Absicht, der Welt zu beweisen, daß auch er selbst dies Glück zu schätzen wisse, und aus diesem Grunde ward ein Verlobungsfest gefeiert, wie die Gesellschaft kaum je ein ähnliches erlebt hatte.

Das Glück der jungen Braut wäre vollkommen gewesen, hätte nicht wenige Tage nach dieser Festlichkeit Aurelio abermals eine seiner unaufschiebbaren Geschäftsreisen antreten müssen. Rosaura kostete der Abschied von dem Geliebten, den sie wahrhaft verehrte, viele Thränen, Aurelio erschöpfte seine ganze Ueberredungsgabe, um die Geliebte zu beruhigen, und versprach, als er sich schließlich von der Betrübten losriß, sie bei seiner Rückkehr, die er möglichst beschleunigen wollte, durch eine Ueberraschung zu erfreuen.

Wider Verhoffen blieb der Graf auch wirklich kürzere Zeit aus, als man es die Jahre her, seitdem man ihn kannte, an ihm gewohnt war. Die Sehnsucht nach der seiner harrenden Braut mochte ihm doch keine Ruhe gelassen haben. Mit offenen Armen von Rosaura und dem hocherfreuten Domcapitular empfangen, war sein erstes Verlangen, das er an Letzteren stellte, die Bitte um Beschleunigung der Vermählung. Der alte Herr hatte nichts dagegen einzuwenden; es wurden in möglichster Eile alle bereits eingeleiteten Anordnungen vollends beendigt und der Hochzeitstag, zu dem zahlreiche Einladungen ergingen, festgesetzt.

Den Vorabend desselben verlebte Aurelio von Weckhausen in der Wohnung des Domcapitulars, wo sich eine nur aus den intimsten Freunden und Freundinnen der Braut bestehende Gesellschaft einfand. Man wollte diesen schönen Abend nicht einsam und einsylbig, aber in der erquickenden Stille behaglicher Häuslichkeit, nur von wirklich erprobten Freunden umgeben, verbringen.

Von diesem Gesichtspunkte faßte auch der Graf dies Zusammensein auf, der im Allgemeinen mehr das lautere Geräusch einer großen und recht bunten Gesellschaft liebte. Er meinte, eine solche sei deshalb viel angenehmer, weil unter der großen Menge der Einzelne sich mehr verlieren und mithin Jeder weit leichter sich unbeobachtet ganz nach seinem individuellen Geschmack amüsiren könne.

In diesem kleinen Cirkel vertrauter Freunde befand sich indes Graf von Weckhausen sehr wohl, und gerade weil man ganz unter sich, gewissermaßen en famille war, benutzte er diese ihm günstig scheinende Gelegenheit, um sein Rosaura gegebenes Versprechen zu halten.

Ein Bedienter erschien und überreichte der schönen Braut eine Kapsel in Form eines mittelgroßen Bechers. Sie war von rothem Leder, sehr fein gearbeitet und offenbar ganz neu, und als Rosaura die feinen Silberhaken derselben löste, und die Kapsel auseinander fiel, blinkte ihr ein kostbarer Pokal von Gold daraus entgegen, dessen oberer Rand etwa einen Zoll breit unterhalb der Mündung mit Diamanten und Rubinen besetzt war. In meisterhaften Gravirungen zeigte die eine Seite dieses werthvollen Pokales die Jungfrau Maria mit dem Christuskinde, die andere Seite eine gelungene Nachbildung der Transfiguration. Die ganze, höchst kunstvolle Arbeit erwies sich für Kenner augenblicklich als ein Kunstwerk aus längst vergangenen Tagen und nahm schon deshalb die Aufmerksamkeit Aller in Anspruch.

Rosaura empfing zwar dies kostbare Geschenk aus der Hand ihres Verlobten mit herzlich dankenden Worten, dennoch würde sie an einer anderen Gabe, an einem Schmuck, der sich zu jeder Zeit, in jeder Gesellschaft anlegen ließ, wahrscheinlich noch größeres Wohlgefallen gefunden haben. Sie gab diese ihre innerste Herzensmeinung gewissermaßen zu erkennen, indem sie nach oberflächlicher Betrachtung des seltenen Kunstgebildes die naive Frage an den Grafen richtete: „Sag’ mir, geliebter Aurelio, was soll ich nun eigentlich mit diesem köstlichen Geschenke anfangen? Als Blumenvase kann ich es doch kaum benutzen, dazu ist die Höhlung des Pokales nicht tief genug; ich werde also genöthigt sein, ihn als ein seltenes Kleinod wegzustellen und nur dann und wann, an Tagen, welche schöner Rückerinnerung geweiht sind, mit frohen Regungen ihn zu betrachten.“

„Nicht doch, mein Engel,“ erwiderte Weckhausen, „dieser Becher soll vielmehr die Schale sein, in welcher Du mir täglich den Nektar der Liebe, gesegnet und geheiligt durch Deine Lippen, kredenzen wirst. Er soll uns so lange zur gemeinsamen Trinkschale dienen, als das Glück unserer Herzensvereinigung besteht, das nur die Hand des Todes zu zertrümmern vermag! In diesem Sinne ist er ein Symbol, dessen Heilighaltung ich Dir dringend empfehle.“

Rosaura sah den Geliebten mit einem scheuen Blicke an, da sie diesen Gedanken ein wenig sonderbar fand. Der Domcapitular aber pflichtete dem Grafen vollkommen bei, unterwarf den Pokal einer sehr genauen Prüfung, da er ein Kenner alter Goldschmiedearbeit sein wollte, und knüpfte mancherlei Betrachtungen an die dem Golde eingegrabenen Gebilde, denen sämmtliche Anwesende mit Aufmerksamkeit lauschten.

„Ich halte dieses wahrhaft schätzbare Stück für ein Werk Benvenuto Cellini’s,“ fügte er, den Pokal an Rosaura zurückgebend, hinzu, „wenigstens stammt es aus der Zeit dieses unvergleichlichen Künstlers in der Bearbeitung von Gold und Silber. Welchem seltenen glücklichen Zufall haben Sie die Erwerbung desselben zu verdanken?“

Diese Frage des Domcapitulars richtete die Blicke Aller wieder auf den Grafen, der sogleich bereit war, dem Onkel seiner Braut Auskunft zu ertheilen.

„Wohl muß ich es einen seltenen und glücklichen Zufall nennen,“ versetzte Aurelio, „daß dieser kostbare Becher in meinen Besitz überging. Die ursprüngliche Veranlassung dazu war eine äußerst prosaische, ja ich muß sagen, eine höchst alltägliche. Seit Jahren nämlich schuldet mir ein genuesisches Handlungshaus, mit dem schon mein Vater in Verbindung stand und das wohl in neuerer Zeit von glücklicheren Rivalen etwas stark überflügelt worden sein mag, bedeutende Summen für Quecksilber. Eigentliches kaufmännisches Talent besitze ich nicht, weshalb ich denn auch nicht schroff auftreten und saumselige Zahler sogleich streng behandeln kann. Ich wartete also von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr, machte bereitwillig neue, von dem Hause begehrte Sendungen, wurde aber in Bezug auf zu leistende Zahlung immer von Neuem mit Versprechungen hingehalten. Da entschloß ich mich denn nach vorangegangener Berathung mit meinem Rechtsconsulenten, dem Chef des säumigen Hauses eine ernste Mahnung, der sich eine verständliche Drohung verknüpfte, zugehen zu lassen. Dies geschah bei meiner letzten Anwesenheit in meinen spanischen Besitzungen. Mit dem Erfolge darf ich den Umständen nach zufrieden sein. Ich erhielt [695] allerdings kein Geld, wohl aber ein ganz annehmbares Anerbieten. Das genuesische Haus, von früheren Jahrhunderten her mit den reichsten Handelsherren der einflußreichen italienischen Republiken eng verbunden, befindet sich von jener glänzenden Epoche her im Besitz bedeutender Kleinodien, die es theils durch Heirathen und Erbschaften erworben, theils an Zahlungsstatt angenommen hat. Um nun mit mir nicht zu brechen und sich mir doch auch für das ihm geschenkte Vertrauen erkenntlich zu erweisen, bot es mir einen Theil dieser todtliegenden Schätze, aus lauter alten Gold- und Silbergeräthschaften, altem Geschmeide von kunstvoller Arbeit und mancherlei Edelsteinen in veralteter Fassung bestehend, an, mit dem Bemerken, daß mir dasselbe, falls es nicht innerhalb Jahresfrist wieder eingelöst werde, für immer als rechtmäßiges Eigenthum gehören solle. Natürlich nahm ich,“ schloß Aurelio von Weckhausen seine kurze Erzählung, „diesen Vorschlag, der für mich jedenfalls der kürzeste und sicherste Ausweg war, mit Vergnügen an, und nach dem, was ich bisher von den übersendeten Schätzen, die indeß noch nicht alle in meine Hände gelangt sind, gesehen habe, dürfte ich keinen Schaden bei diesem wunderlichen Handel machen.“

Die versammelten Freunde des Hauses wurden durch diese Mittheilung noch mehr von dem prächtigen Goldbecher angezogen. Das Kleinod wanderte von Hand zu Hand, fand überall Bewunderung, und unter den anwesenden Freundinnen der glücklichen Verlobten gab es mehr als eine stille Neiderin.

Für Rosaura selbst erhielt der Becher nun erst höheren Werth. Sein Alter, sein unbekannter Ursprung, sein vielleicht berühmter Verfertiger machten ihn ihr fast eben so lieb, als den Geber. Sie dankte dem Geliebten mit Worten und Blicken für das schöne Geschenk, versprach, es solle in Zukunft nie beim stillen häuslichen Mahle, nie im frohen Verein heiterer Gesellschaft fehlen. Zugleich sprach sie aber auch die Bitte gegen den Grafen aus, er möge doch, wenn später die übrigen Kleinodien ihm eingehändigt würden, genau zusehen, ob sich unter dem erwähnten Geschmeide nicht doch ein oder das andere Stück fände, das allenfalls auch in der modernen Gesellschaft eine bescheidene Frau als Schmuck tragen könne.

Aurelio neigte gewährend sein Haupt, der Domcapitular befahl, die goldene Höhlung des kunstreichen Pokales mit edlem Wein zu füllen, und indem Rosaura den feurigen Trank, nachdem sie selbst die Lippen damit genetzt hatte, ihrem Bräutigam reichte, leerte dieser den Becher in langem Zuge, um gleichsam sein Versprechen feierlich damit zu besiegeln. Noch einmal ward hierauf der Pokal gefüllt, den nunmehr der Oheim Rosaura’s ergriff, einen Trinkspruch dem glücklichen Paare ausbringend, dem alle Anwesenden jubelnd beistimmten.

Tags darauf wurden Aurelio und Rosaura vermählt, und bei dem Mahle, welches der kirchlichen Feierlichkeit folgte, spielte das originelle Geschenk des galanten Grafen abermals eine Rolle, welche die Schaar der geladenen Gäste ohne Ausnahme in hohem Grade interessant fand.




2. Das Kästchen mit dem Schmuck.

Vier Wochen, jene glückliche Zeit, die man gern das Paradies der Liebe und Ehe nennt, waren dem jungen Paare ungetrübt verstrichen. Aurelio war der aufmerksamste, zärtlichste Gatte, Rosaura die liebenswürdigste und anmuthigste junge Frau, die man sehen konnte. Es gab entschieden kein schöneres, kein glücklicheres Paar in Stadt und Umgegend. Hunderte blickten mit Neid auf diese begünstigten Menschen, die schon in so frühen Jahren alle Wünsche, um welche tausend Andere ein halbes Menschenalter ringen müssen, in Erfüllung gehen sahen.

In der fünften Woche erhielt Aurelio von Weckhausen schnell hinter einander mehrere Briefe. Rosaura gewahrte, daß die Lectüre derselben ihn nachdenklich stimmte, ohne ihn jedoch in Unruhe zu versetzen, und diese Entdeckung veranlaßte sie zu einigen vertraulichen Fragen wie Liebe und Mitgefühl sie jedem treuen Herzen eingeben. Aurelio beantwortete diese Fragen seiner jungen Frau zuerst durch verdoppelte Beweise seiner Zärtlichkeit, dann aber theilte er ihr mit, daß die leidigen Geschäfte ihn abermals nöthigten, auf unbestimmte Zeit eine Reise anzutreten.

Rosaura erschrak nicht über diese Mittheilung. Sie nahm sie vielmehr lächelnd hin und wünschte nur zu erfahren, wohin den geliebten Gatten diesmal die so leidigen Geschäfte führen würden,

„Wie immer, zuvörderst in meine Gruben,“ erwiderte der Graf.

„Und dann?“ forschte Rosaura weiter.

„Vielleicht nach den Küsten Italiens.“

„Etwa nach Genua?“

„In Genua würde ich wahrscheinlich an’s Land steigen.“

Rosaura legte ihren Arm um Aurelio’s Nacken und flüsterte ihm mit den süßesten Lauten eines liebevollen Herzens zu: „Ich werde Dich begleiten, damit Dir die Pflege, an welche Dich die letzten glücklichen Wochen gewöhnt haben, nirgends fehlt und Du überall, wenn Du nach glücklich verlebter Nacht die Augen aufschlägst, in Deinem eigenen Hause zu sein glaubst.“

„Diesem Vorhaben, meine theure Rosaura, muß ich mich widersetzen,“ entgegnete der Graf von Weckhausen. „Ich pflege stets sehr rasch zu reisen und weder auf Zeit noch Witterungsverhältnisse Rücksicht zu nehmen. Du würdest, an häusliche Bequemlichkeiten aller Art gewöhnt, Deine Gesundheit gefährden, und die Sorgen, welche ich fortwährend um Dich hätte, könnten nachteilig auf die Geschäfte wirken, weil ich immer zerstreut sein würde. Ohnehin, fürcht’ ich, stehen mir diesmal allerhand unangenehme Dinge bevor. Die Mittheilungen und Andeutungen meiner Geschäftsführer gefallen mir nicht. Dafür aber gebe ich Dir das feierliche Versprechen, meine Abwesenheit möglichst abzukürzen, und wenn ich zurückkomme, sollst Du mit mir zufrieden sein.“

Rosaura hätte es lieber gesehen, wenn Aurelio ihrem Wunsche auf halbem Wege entgegengekommen wäre. Sie hatte dies fast erwartet; dennoch konnte sie dem zartfühlenden Manne doch auch nicht zürnen, denn hielt sie Alles zusammen, was ihm zu erledigen oblag, so hatte Aurelio Recht. Die Begleitung einer an die Strapazen weiter Reisen nicht gewöhnten Frau mußte ihm nicht blos hinderlich sein, sondern ihm auch noch einmal so viel Zeit rauben, als wenn er allein die nothwendig gewordene Reise antrat. Rosaura fügte sich daher der bessern Einsicht ihres Gatten und nahm voll Hoffnung auf ein baldiges frohes Wiedersehen von ihm Abschied.

Graf von Weckhausen blieb während seiner Abwesenheit in fortwährendem Briefwechsel sowohl mit Rosaura wie mit dem Domcapitular, und was er schrieb, war nur geeignet. Beide zu erheitern. Erst der letzte aus Genua datirte Brief lautete nicht ganz befriedigend. Man sah es den Buchstaben an, daß die Hand des Schreibenden gezittert haben oder krank gewesen sein mußte, denn die sonst festen Schriftzüge Aurelio’s waren unsicher und von sehr ungleicher Größe. Auch machte der Graf kein Hehl daraus, daß ihn unerwartet ein Unfall getroffen habe. Auf einer Reise des Nachts durch gebirgige Gegenden und auf schlechten Wegen waren die Pferde vor den ungemein hellen Blitzen eines heftigen Gewitters scheu geworden, der Wagen war umgestürzt und sämmtliche darin befindliche Passagiere hatten, der Eine mehr, der Andere weniger Verletzungen bei dem gewaltigen Fall erhalten. Aurelio verstauchte sich den rechten Arm bei diesem fatalen Vorfall, wodurch er genöthigt ward, mehrere Tage ruhig liegen zu bleiben. Jetzt, fügte er hinzu, seien die schlimmen Folgen schon ziemlich beseitigt, nur eine Schwäche in der Hand wolle sich nicht ganz verlieren. Am Schlusse des Briefes fügte er noch mit einigen Scherzworten eine Bemerkung hinzu, welche ein Lob der eigenen Weisheit und Vorsicht enthielt; denn wie leicht hätte Rosaura, wäre er schwach genug gewesen, ihren Bitten nachzugeben, bei diesem Unfälle gefahrvolle Verletzungen davon tragen können!

Dieser Brief des Grafen war von einem Kästchen begleitet, dessen Aeußeres schon verrieth, daß es aus längst vergangenen Tagen stamme. Es war von schwarzem Ebenholz, mit Silber reich verziert, und auf dem Deckel befand sich in erhabener Arbeit eine Herzogskrone, deren stumpfe Spitzen aus Diamanten bestanden. Ein goldener Schlüssel, an grüner Seidenschnur hängend, die unter der Krone befestigt war, öffnete das sehr kleine Schloß dieses Kästchens und enthüllte den überraschten Blicken Rosaura’s einen Schmuck von unberechenbarem Werthe. Keine Königin hätte sich zu schämen gebraucht, diesen Schmuck anzulegen, obwohl die Fassung sehr alt zu sein schien und der Schmuck selbst auch allem Anschein nach über ein Menschenalter nicht mehr getragen sein mochte. Ein feiner Staub von eigenthümlich penetrantem, wenn auch nicht gerade unangenehmem Geruche löste sich unter der Berührung der staunenden Gräfin von dem vielgliedrigen Kleinode ab und bedeckte das blausammtene Bette, in dem es ruhte. Es schien, als habe Aurelio dies prachtvolle Werthstück kaum eines Blickes gewürdigt, sondern es sofort seiner Gattin unverweilt übersandt, damit sie sich daran ergötze und erfahre, wie treu und innig seine Gedanken bei ihr verweilten.

[696] Eilig mußte es bei Absendung dieses Geschenkes zugegangen sein, denn Aurelio’s Brief enthielt nicht einmal eine Andeutung darüber. Wunderte sich Rosaura schon über diese großartige Nachlässigkeit ihres Gatten, so erstaunte sie noch mehr über dessen Reichthümer. Sie vermuthete nämlich, daß der erhaltene Schmuck mit zu den Kleinodien gehören möge, welche das genuesische Handlunghaus ihm in Ermangelung baarer Mittel abgetreten habe.

Rosaura’s Oheim, dem die überglückliche Nichte das erhaltene Geschenk nicht lange geheim zu halten vermochte, pflichtete derselben bei, unterwarf aber sowohl die Arbeit des Schmuckes wie die einzelnen Edelsteine, aus denen er bestand, einer sorgfältigen Prüfung. Der etwas argwöhnische Herr fürchtete nämlich, der Graf möge sich in der Eile durch Unterschieben falscher Steine haben betrügen lassen, eine Ansicht, die um so wahrscheinlicher war, als der Domcapitular bemerkt haben wollte, daß Graf von Weckhausen bei allen ihm zu Gebote stehenden Kenntnissen doch echte Perlen und Edelsteine nicht ihrem wahren Werthe nach zu würdigen verstehe. Um ganz sicher zu gehen, zog der geistliche Herr sogar einen anerkannt tüchtigen Juwelier zu Rathe, der jedoch jeden einzelnen Stein für echt erklärte.

„Wie kommt aber die gnädige Frau Gräfin in den Besitz dieses Schmuckes?“ setzte er, denselben wieder in die Sammetpolster des Kästchens legend, hinzu. „Es ist wohl ein altes Erbstück der Grafen von Weckhausen?“

Der Domcapitular beantwortete diese ihm harmlos scheinende Frage auf ebenso harmlose Weise, indem er dem Juwelier andeutungsweise mittheilte, wie der Graf genöthigt sei, aus Handelsrücksichten solche alte Waare statt neuen Geldes in Zahlung zu nehmen.

„Würde sich die gnädige Gräfin wohl entschließen, den Schmuck nebst Kästchen zu verkaufen?“ warf der Juwelier hin.

„Um keinen Preis!“ rief Rosaura, das Kästchen an sich nehmend. „Der Schmuck ist mir gar nicht feil.“

„Aber die gnädige Gräfin können denselben ja doch nicht anlegen.“

„Weshalb nicht?“

„Weil er unmodern gefaßt ist und –“

„Nun, was haben Sie sonst noch für einen Grund im Hinterhalt?“

„Die Trägerin dieses Schmuckes würde Aufsehen erregen.“

„Wäre das ein großes Unglück?“ fiel lächelnd Rosaura ein.

„Ich weiß nicht,“ erwiderte der Juwelier. „Jedenfalls ist es der Schmuck einer Herzogin.“

„Bester Oheim,“ wandte sich jetzt Rosaura an den Domcapitular, „ist es denn nicht erlaubt, einen herzoglichen Schmuck anzulegen, auch wenn man kein Recht hat, auf die Ehren herzoglichen Ranges Ansprüche zu erheben? Der Schmuck gehört mir ja doch; Aurelio hat ihn rechtmäßig erworben!“

Der Domcapitular wollte seiner schönen Nichte die Freude, welche ihr das reiche Geschenk des Grafen offenbar machte, nicht trüben, er wandte sich deshalb mit der Frage an den Juwelier:

„Nicht wahr, es wäre leicht, dem Schmuck eine andere, mehr moderne Fassung zu geben?“

„Wenn dies gewünscht werden sollte, bin ich gern erbötig, diese Arbeit zu übernehmen.“

„Nicht doch, Oheim,“ fiel Rosaura ein, das Kästchen schließend und den goldenen Schlüssel wieder über die diamantgezierten Zacken der kleinen Krone legend, wie sie ihn vorgefunden hatte, „ich kann eine solche Veränderung wenigstens nur mit Einwilligung Aurelio’s vornehmen lassen!“

Dem Domcapitular machte diese Weigerung seiner Nichte Vergnügen. „Sie sehen,“ sprach er zu dem Juwelier, „wir thun sehr Unrecht, wenn wir alle Frauen der Eitelkeit bezichtigen. Meiner Nichte würde ein Schmuck von so seltenen Steinen gewiß vortrefflich stehen, entspräche die Fassung desselben den Anforderungen der jetzigen Mode, und dennoch will sie nichts davon hören! Am Ende ist’s nur die Herzogskrone, welche diesen Zauber auf Dich übt,“ fügte er mit gefälligem Lächeln hinzu, „denn ich habe schon bemerkt, daß Dich die Vermählung mit Weckhausen gewaltig ehrgeizig gemacht hat!“

Rosaura blieb dem Oheim auf diese Bemerkung die Antwort schuldig, dieser verabschiedete den Juwelier und rief ihm noch in’s Vorzimmer nach:

„Sie sind aber doch bereit, den Schmuck umzuformen, wenn es später noch gewünscht werden sollte?“

„Zu jeder Stunde, Herr Domcapitular,“ lautete die devote Antwort desselben, der sich noch einmal tief vor der in jugendlicher Schönheit und hohem Glück strahlenden Gräfin von Weckhausen verbeugte.


3. Mißglückter Versuch.


Der Juwelier kehrte nachdenklich zurück in seine Wohnung, Die Betrachtung des alten Schmuckes mit den vielen kostbaren Steinen, die zusammen für Kenner einen fabelhaften Werth hatten, stimmte ihn eigenthümlich ernst. Nur einer sehr alten reichen Familie konnte derselbe angehört haben. Daß er vielleicht schon vor geraumer Zeit in andere Hände übergegangen war, ließ sich denken, denn die politischen Stürme zu Ende des vergangenen Jahrhunderts hatten manche Herrscherfamilie entthront und in die Verbannung gejagt, und es lag sehr nahe, daß die Mitglieder eines solchen unglücklichen Herrschergeschlechtes in einem Augenblick drückender Noth sich gezwungen sahen, einen äußersten Schritt zu thun, um sich vor Mangel zu schützen. War es ihm doch, als hätte er vor einiger Zeit gelesen, daß wirklich ein früher regierendes Haus, das nicht namhaft gemacht war, sich auf solche Weise aus peinlicher Verlegenheit rettete.

Während er noch darüber nachdachte, besann er sich, daß erst vor Kurzem der Verlust eines alten Schmuckes in den Zeitungen annoncirt war. Als Juwelier, der mit edlen Steinen Handel trieb und dem man deren oft Behufs vorzunehmender Abschätzung übergab, war ihm diese Anzeige interessant. Er hatte sich die betreffende Zeitungsnummer aufbewahrt und konnte, von Neugierde getrieben, nicht umhin, dieselbe unter einer Menge Papiere, die ähnliche Bekanntmachungen, auch directe Aufforderungen an Juweliere enthielten, herauszusuchen.

Es währte nicht lange, so fand er das Blatt. Er durchlas die Anzeige, gewahrte aber sogleich, daß der in derselben bekannt gemachte Verlust auch nicht im Geringsten dem Schmucke ähnele, den er so eben längere Zeit in Händen gehabt hatte.

Mit dieser Entdeckung verlor sich das Interesse des Juweliers an dem Schmucke überhaupt, und er würde schwerlich wieder desselben gedacht haben, hätte ihn nicht einige Wochen später der Graf Aurelio von Weckhausen persönlich besucht und ein Gespräch unter vier Augen sich erbeten.

Der Juwelier sah diesen glücklichem Mann – denn dafür hielten ihn zahlreiche Tausende – heute zum ersten Male, und es erging ihm, wie den Meisten, welche Gelegenheit hatten, mit Weckhausen zusammen zu treffen – das ganze Wesen desselben fesselte ihn, nahm ihn ein, knüpfte ihn gewissermaßen fest an dessen Person. Es lag ein Zauber in dem Auftreten Aurelio’s, dem nur Wenige sich zu entziehen vermochten.

[709] „Ich habe eine Bitte an Sie, lieber Herr Simonides,“ redete der Graf den Juwelier an. „Sie müssen mir einen Gefallen thun.“

„Wenn es in meiner Macht steht, Herr Graf, werde ich es mir zur Ehre anrechnen, Ihnen dienen zu können.“

„Ich bin durch Zufall in den Besitz einiger Edelsteine gekommen, die ich gern je eher je lieber veräußern möchte,“ fuhr Aurelio von Weckhausen fort. „Ich wüßte sie auf keine Weise zu benutzen, und sie unbenutzt als völlig todtes Capital liegen zu lassen, ist unzweckmäßig. Sollten Sie jedoch nicht geneigt sein, einen eigentlichen Kauf mit mir abzuschließen, so würde ich mich eben so gerne zu einem Tausche bereit finden lassen.“

„Was sind es für Steine, Herr Graf?“ fragte Simonides.

„Sie haben darüber ein richtigeres Urtheil als ich,“ erwiderte Aurelio. „Ich trage sie bei mir, es hat sie noch Niemand gesehen, und nur weil ich zu Ihnen unbedingtes Vertrauen habe, lege ich Ihnen dieselben vor.“

„Es fängt bereits an zu dunkeln,“ entgegnete der Juwelier, „die Dämmerung ist der Betrachtung, besonders der richtigen Abschätzung von Juwelen nicht günstig. Warten wir noch kurze Zeit, bis Heller Lampenschein eine genauere Prüfung Ihrer Steine erlaubt. – Sie waren längere Zeit verreist, Herr Graf?“

„Länger, als ich beabsichtigte. Ein Unfall, der mir in den Apenninen zustieß und mir, hätte das Glück mich nicht in seltener Weise begünstigt, das Leben kosten konnte, hielt mich zurück. Ich habe einen steifen Finger zum Andenken an dies Evenement behalten, was meine Handschrift seitdem bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet.“

Simonides wollte nicht unbescheiden sein, weshalb er sich nicht weiter nach den näheren Umständen dieses Unfalles erkundigte. Er ließ Licht bringen, zog die Rouleaux nieder, stellte zwei sehr hell brennende Lampen mitten auf einen mit grünem Tuch überbreiteten Tisch und verriegelte, um nicht zufällig durch den raschen Eintritt eines Dritten gestört zu werden, die Thür.

„Jetzt sind wir allein, Herr Graf,“ sprach er, zum Tische zurückkehrend, „wenn Sie mir also Ihre Kleinodien vorlegen wollen, bin ich bereit, mein Urtheil über dieselben abzugeben und mein Angebot zu machen.“

Während Simonides diese Worte an Aurelio von Weckhausen richtete, bemerkte er, daß dessen Mittelfinger an der rechten Hand eine breite, noch jetzt fast blutroth schimmernde Wunde trug. Nach dem so eben Vernommenen nahm er an, der Graf möge sich bei dem erwähnten Unfälle diese Wunde zugezogen haben.

Aurelio folgte der Aufforderung des Juweliers. Er zog eine seidene Börse hervor, durch deren Maschen der Glanz verschiedener geschliffener Edelsteine blitzte. Einzeln legte er diese auf den grünen Ueberzug des Tisches.

Simonides nahm jeden Stein einzeln in die Hand, betrachtete ihn mit großer Genauigkeit von allen Seiten und ließ ihn durch mehrfache Wendungen im Lichte spielen. Gewisse Kennzeichen sagten dem erfahrenen Manne, daß sämmtliche Steine schon einmal gefaßt gewesen seien.

„Es sind seltene Kleinodien, nicht wahr?“ sprach, die Prüfung des Juweliers mit Aufmerksamkeit verfolgend, der Graf. „Man hat nicht häufig Gelegenheit, solche werthvolle Exemplare durch Tausch einzuhandeln.“

„Die Steine sind allerdings werthvoll,“ versetzte Simonides, seine Prüfung noch einmal wiederholend, „dennoch dürfte das, was ich Ihnen dafür bieten könnte, Ihren Wünschen kaum entsprechen.“

„Jedenfalls zahlen Sie doch den vollen Preis des Werthes?“

„Das eben ist es, was einem Abschlüsse des von Ihnen gewünschten Geschäftes entgegensteht,“ erwiderte der Juwelier. „Diese Steine waren alle schon einmal gefaßt, und – ein auffallender Umstand – die Hand, welche die Fassung entfernte, muß ungeschickt gewesen sein, denn sie hat beim Ausbrechen jeden einzelnen Stein verletzt.“

„Nicht möglich!“ rief der Graf, den ihm zunächst liegenden Sapphir ergreifend und ebenfalls mit prüfender Aufmerksamkeit betrachtend. „Ich vermag nirgends einen Fehler zu entdecken,“ fuhr er nach einer Weile fort, während der Juwelier bald diesen, bald jenen Stein gegen das Licht hielt, um dessen Farbenspiel und Feuer zu erproben.

„Sehr möglich, Herr Graf,“ antwortete Simonides, „nichts desto weniger muß ich meinen Ausspruch aufrecht erhalten. Man hat sich zu sehr beeilt, als man die alte Fassung entfernte. Derjenige, der sich damit beschäftigte, war unruhig oder mißtrauisch. Er wollte nicht gestört, nicht überrascht werden, und dadurch hat er sich selbst den größten Schaden zugefügt. Bezahlten Sie einen hohen Preis für diese Steine, Herr Graf?“

Aurelio von Weckhausen wollte offenbar das Angebot des Juweliers erfahren, ehe er diesem die Summe nannte, für welche die Edelsteine sein Eigenthum geworden waren.

[710] „Ich glaube einen anständigen Kaufpreis erlegt zu haben,“ versetzte er. „Darauf jedoch kommt es jetzt nicht an, ich wünsche vorläufig nur Ihr Angebot zu erfahren.“

Simonides nahm die Miene eines Menschen an, der angestrengt mit Zahlen beschäftigt ist. Er ließ nochmals Stein für Stein durch seine Finger gleiten und legte sie in ein Häuflein zusammen, das einen wunderbar blitzenden Anblick durch das verschiedenartige Feuer der schönen Juwelen gewährte. Nach einigen Minuten nannte er die Summe.

„Nein, Herr Simonides,“ erwiderte Graf von Weckhausen, „dafür sind sie mir nicht feil, ich glaubte wenigstens das Dreifache von Ihnen zu erhalten. Sie entschuldigen, daß ich Sie bemüht habe. Vielleicht ist ein anderer Ihrer Collegen weniger scrupulös oder“ – fügte er mit feinem Lächeln hinzu – „weniger vorsichtig.“ „Ein wirklicher Kenner, Herr Graf, kann Ihnen nicht mehr bieten, ohne sich selbst in Schaden zu bringen,“ versetzte Simonides. „Sie wollen bedenken, daß wir Juweliere Handelsleute sind und daß sich in diesen zwar gesuchten, aber im Ganzen doch immer zu kostspieligen Artikeln, um einen großen und schnellen Absatz zu erzielen, ein sehr bedeutendes Capital verbirgt, das selten die gewünschten Zinsen trägt.“

„Wohl möglich, mein Herr,“ gab der Graf etwas pikirt zur Antwort, „für mich kann dies jedenfalls kein Grund sein, mit Ihnen abzuschließen. Es thut mir leid, denn ich hätte meine Frau gern zu ihrem Geburtstage mit einem modernen Collier beschenkt. Sie liebt Juwelen über Alles, und da sie zur Erhöhung ihrer ganzen Erscheinung nicht wenig beitragen, so finde ich, daß sie recht thut, sich damit zu schmücken. Man muß das Leben genießen, so lange man jung ist und noch Gefallen am Genüsse findet,“

„Legen Sie das Fehlende zu, Herr Graf,“ entgegnete Simonides, „oder – um Ihnen einen anderen Vorschlag zu machen – stehen Sie mir das alterthümliche Kästchen mit dem noch alterthümlicheren Schmucke ab, das mir der hochwürdige Herr Domcapitular vor einiger Zeit zeigte.“

„Das?“ sagte Aurelio von Weckhausen. „Nimmermehr! Jener Schmuck, mit dem es eine eigne Bewandtniß hat, soll in meiner Familie bleiben. Ich habe ihn zu theuer erkauft!“

„Ganz wie Sie wollen, Herr Graf,“ sprach der Juwelier. „Ich besitze keine Macht, Sie zu zwingen; sollten Sie aber vielleicht eines Tages anders darüber denken, was ja auch möglich ist, so bitte ich, sich meiner geneigtest erinnern zu wollen.“

Der Graf antwortete nur durch eine Verbeugung, ließ die auf dem Tische liegenden Steine einzeln wieder in die Börse gleiten und entfernte sich verstimmt, von dem höflichen Juwelier bis an die Hausthür geleitet. Dieser blickte dem Fortgehenden nach, bis dessen Gestalt sich im Schatten der Häuser verlor.



4. Eine dunkle That.

Aurelio von Weckhausen kehrte nicht in seine Wohnung zurück, obwohl er Gesellschaft erwartete und sich bei dem Juwelier länger aufgehalten hatte, als es seine Absicht gewesen war. Als die Stadt hinter ihm lag, schlug er einen Seitenweg ein, der durch ein kleines Wäldchen nach dem schiffbaren Flusse führte, welcher auf der Ostseite die Stadt berührte. In diesem Wäldchen hatte man ein früheres Försterhaus zu einem Vergnügungslocal eingerichtet. Im Sommer wurden hier unter den rauschenden Laubkronen alter Bäume Concerte gegeben, im Herbst und Winter boten geräumige Zimmer dem Publicum Gelegenheit zu geselligen Zusammenkünften. An solchen fehlte es nie, da die ehemalige Försterei kaum zwanzig Minuten von der Stadt entfernt lag.

Nach dieser anmuthigen Einsiedelei richtete Graf von Weckhausen seine Schritte. Der Pachter derselben stand unter der Thür und unterhielt sich mit einem Aurelio unbekannten Manne. Höflich grüßend trat er beim Gewahren des Grafen zur Seite. Dieser erwiderte den Gruß eben so höflich, indem er die Frage an den Pachter richtete:

„Haben Sie die Equipage des Herrn Domcapitulars vorüberfahren sehen?“

Der Pachter verneinte, worauf Aurelio in das Haus trat mit der Bemerkung, daß er in diesem Falle einige Minuten verweilen müsse, weil sie ohne Zweifel alsbald erscheinen werde.

Während nun der Pachter sein Gespräch mit dem fremden Herrn wieder aufnahm, öffnete der Graf die Thür zum ersten Gesellschaftszimmer und musterte die wenigen darin Anwesenden. An der hintersten Ecke, von den Uebrigen getrennt, saß ein Landmann von stark bäurischem Aussehen, der aufmerksam ein Zeitungsblatt las. Diesem gegenüber nahm Aurelio Platz, zog sein Taschenbuch, entnahm demselben eine kleine Karte, die seinen Namen trug, machte unter diesem ein paar Zeichen mit Bleistift und schob sie dem Lesenden zu. Dieser schien bis jetzt weder den neuen Ankömmling noch dessen Bewegungen bemerkt zu haben. Er las ruhig fort in der Zeitung und erst nach einer Weile legte er sie auf den Tisch. Dabei gewahrte er das kleine weiße Kärtchen. Er hob es auf, betrachtete es mit völlig ruhiger Miene und heftete dann seine scharfen schwarzen Augen fest auf den Grafen.

„Es ist unerläßlich,“ sprach dieser so leise, daß es nur der ihm gegenübersitzende Landmann hören konnte. „Der Juwelier will nicht.“ Der Landmann steckte jetzt die Karte zu sich, ergriff noch einmal die Zeitung, um darin zu blättern, stand dann auf, ohne den Grafen weiter eines Blickes zu würdigen, ging mit großen Schritten und in echt bäuerischer Haltung der Thür zu und ließ diese hinter sich recht vernehmlich in’s Schloß fallen. Draußen sprach er mit dem Pachter, der ihm lachend guten Abend wünschte und um baldige Wiederholung seines Besuches bat. Gleich darauf rollte ein Wagen an dem Hause vorüber, in welchem der Pachter die Kutsche des Domcapitulars vermuthete, weshalb er den Grafen laut bei Namen rief, der diesen Ruf auch beachtete und ihm unverweilt folgte. Bedauernd sagte er zu dem heraustretenden Aurelio:

„Bitte mich gnädigst zu entschuldigen, Herr Graf, ich habe mich geirrt. Es war die Postkutsche, die ja um diese Zeit immer retour fährt.“

„Nun, es thut nichts,“ erwiderte Weckhausen leichthin. „Ich vermuthe, der gute Domcapitular hat eine kleine Spazierfahrt gemacht, ehe er bei seiner Nichte absteigt. Um so mehr muß ich eilen. Auf Wiedersehen.“ Unter vielen Bücklingen des höflichen Pachters schlug er die Richtung des Wagens ein, erreichte das Ende des kleinen Wäldchens und sah von Weitem über Hecken und Wiesen die Lichter seines glänzenden Landsitzes einladend schimmern. Rasch eilte er in seine Appartements, kleidete sich um und betrat den traulichen Salon, wo seine junge, schöne Gattin kleinere, vertrauliche Cirkel zu sehen pflegte. Aurelio entschuldigte sich anmuthig, daß er später als seine Gäste erscheine, und suchte durch Liebenswürdigkeit diesen kleinen Verstoß wieder gut zu machen.

Der Domcapitular war kurz vor dem Grafen angekommen, hatte aber sämmtliche Anwesende sogleich durch eine Mittheilung zu fesseln gewußt, über die jeder Einzelne die Abwesenheit des Hausherrn vergaß.

„Hast Du auch schon davon gehört, bester Aurelio?“ fragte ihn Rosaura.

„Wovon, mein Herz?“ lautete die Gegenfrage des Grafen.

„Von der höchst romantischen Geschichte, mit welcher uns der Oheim soeben unterhielt, und die so fabelhaft klingt, daß wir uns Alle noch nicht entschließen können, sie für wahr zu halten.“

„Ich gestehe meine Unwissenheit,“ erwiderte Aurelio, „da ich aber sehe, daß die Erzählung pikant sein muß, möchte ich den Herrn Oheim bitten, dieselbe auch mir nicht vorzuenthalten.“

„In den nächsten Tagen schon wird sie in den weitesten Kreisen bekannt sein,“ versetzte der Domcapitular. „Allerdings klingt das Geschehene unwahrscheinlich, es kann aber doch nicht eine bloße Erfindung müßiger Köpfe sein, denn ich habe, was ich sagte, aus dem Munde des geheimen Obergerichtsrathes, dem man die Sache amtlich communicirt hat.“

„Ist ein Verbrechen geschehen?“ warf der Graf ein.

„Die Vermuthung eines verbrecherischen Anschlages liegt wenigstens nahe, obwohl das jedenfalls Geschehene auch auf Täuschung beruhen kann,“ entgegnete der Domcapitular.

Ein Bedienter in geschmackvoller Livree reichte Thee und Gebäck herum, die kleine ausgesuchte Gesellschaft gruppirte sich im Halbkreise um den Domcapitular, und dieser konnte der abermaligen Bitte des Grafen nicht widerstehen.

„Eine fürstliche Familie, eine der ältesten auf den Thronen Europa’s, deren Name jedoch verschwiegen bleiben soll,“ begann er, „ist von einem schweren Unglück heimgesucht worden. Vor längerer Zeit schon – wahrscheinlich vor mehr als Jahresfrist – befand sich diese Familie auf Reisen. Ihr Gefolge war zahlreich, da der Glanz des Namens an den Höfen, die man besuchte, aufrecht [711] erhalten werden sollte. Die Reise verlief ohne jeglichen Unfall; man kehrte sehr befriedigt zurück, und namentlich fühlte sich der Fürst nicht nur durch die Aufnahme gehoben, die er allerwärts gefunden hatte, es waren auch die geheimen politischen Tendenzen, welche der Reise selbst eigentlich zu Grunde lagen, vollkommen erreicht worden. Nach Zurückkunft der fürstlichen Familie in ihr Land veranstalteten Behörden und Volk mancherlei Festlichkeiten ihr zu Ehren. Es gab Deputationen zu empfangen, Adressen entgegen zu nehmen, Anreden zu erwidern. Ein äußerst glänzender Fackelzug schloß diese Festlichkeiten. Der Fürst, ein Mann von wohlwollendem Charakter, wollte sich seinen Unterthanen erkenntlich erweisen und gab Befehl, ein Volksfest in großem Styl zu arrangiren, wobei die Unbemittelten die Gäste des Herrschers in seinem Palaste sein sollten. Dieser Befehl ward pünktlich ausgeführt, und der Jubel des Volkes war unbeschreiblich. Zum Schluß gestattete der glückliche Fürst, daß den Schaaren der jubelnden Neugierigen ausnahmsweise auch die Kunstschätze der Familie gezeigt würden, die in mehreren geräumigen Sälen des Schlosses, welche seit undenklichen Zeiten dazu bestimmt waren, aufbewahrt werden. Man hatte keinerlei Vorsicht außer Acht gelassen. Das Publicum erhielt nicht in ungeordneten Schwärmen von beliebiger Zahl Zutritt in die reich ausgestatteten Hallen, sondern truppweise, gegen Karten, die beim Eintritt einem Hatschier vorgezeigt, beim Fortgange diesem wieder abgeliefert werden mußten. Auch innerhalb der Säle und beim Vorzeigen und Erklären der vorhandenen Schätze fehlte es nicht an der gebotenen Ueberwachung. Alles verlief ungestört, in bester Ordnung. Die Säle wurden in hergebrachter Weise wieder geschlossen, die Schlüssel ganz so, wie dies immer üblich gewesen war, unter gewissen fest vorgeschriebenen Ceremonien dem Hofmarschall abgeliefert. Mehrere Monate später sollte, eine Folge jener Reise, die Vermählung der Erbprinzessin mit einem ausländischen Fürstensohne gefeiert werden. Bei solchen Gelegenheiten war es von jeher üblich gewesen, nicht nur den Familienschmuck, sondern auch die alten prachtvollen Tafelgeräthschaften aus der Schatzkammer zu holen, um damit vor den fürstlichen Gästen, welche zu solchen Festen eingeladen werden, zu paradiren. Man denke sich nun die Ueberraschung, ja das Entsetzen des ganzen Fürstenhauses, als man jetzt die furchtbare Entdeckung macht, daß ein Theil dieser nie wieder zu ersetzenden Kleinodien spurlos verschwunden ist! Niemand hat eine Ahnung, auf welche Weise es möglich werden konnte, diese Schätze zu rauben. Man hatte sie an dem genannten Festtage den staunenden Augen des Volkes gezeigt. Damals fehlte nicht der kleinste Gegenstand. Seit jenem Tage hatte keines Menschen Fuß die Schatzkammer wieder betteten; der Schlüssel derselben lag unter dreifachem Verschluß. Die Thüren, die Fenster, Alles zeigte sich in tadellosestem Zustande, ebenso die Truhen, welche die Schätze bargen, und dennoch waren Gegenstände von unermeßlichem Werthe verschwunden!

„Es wurden nun die ernstesten Nachforschungen angestellt. Hochgestellte Palastbeamte und Hofwürdenträger mußten sich mehrmaligen strengen Verhören unterwerfen, selbst Haussuchungen der peinlichsten Art konnten nicht unterbleiben, allein es war weder etwas zu finden, noch führten alle diese Maßregeln zu einer Spur, die man zu weiteren Recherchen hätte benutzen können. Bis zu dieser Stunde ist das Geschehene ein ungelöstes Räthsel. Die fürstliche Familie steht rathlos da dieser Thatsache gegenüber. Ohne schwerer Verschuldung zu verfallen und sich der maßlosesten Ungerechtigkeit gegen Andere anzuklagen, kann sie gegen Niemand einschreiten. Es gibt keine einzige Persönlichkeit, welche verdächtig erscheint.

„Unter diesen gewiß höchst eigenthümlichen Verhältnissen hat man sich entschlossen, einen ebenso außerordentlichen als gewagten Schritt zu thun. Die verschwundenen Schätze veranschlagt man auf anderthalb Millionen Gulden. Den fünften Theil dieser enormen Summe will die fürstliche Familie unter Verschweigung seines Namens demjenigen als Belohnung auszahlen, der im Stande ist, ihr über das Verbleiben jener Schätze bestimmte Kunde zu geben.“

Der Domcapitular machte hier eine Pause, um zu hören, was Graf von Weckhausen zu dieser Mittheilung sagen werde. Aurelio zögerte auch nicht, seine Meinung sogleich kund zu geben.

„Verehrter Herr Oheim,“ sprach er, „wenn diese überaus interessante Geschichte nicht etwa ein reines Phantasiegebilde ist, wird sich die fürstliche Familie, welcher das Unglück begegnete, wohl nach einem Zauberer, einem neuen Cagliostro umsehen müssen. Vielleicht auch hausen Kobolde in dem Palaste des unbekannt oder namenlos gebliebenen Herrschers, welche in der Vermählung der Prinzessin eine Beleidigung ihres Stammes erblicken und sich deshalb durch Verschleppung der erwähnten Kostbarkeiten empfindlich zu rächen suchen. Eine andere Erklärung wüßte ich wenigstens nicht zu geben, man müßte denn eine sehr geheim gehaltene, weit verzweigte Verschwörung annehmen wollen, die sich im Besitze von Nachschlüsseln und anderen Diebswerkzeugen befände und von diesen einen eben so geschickten als weit gehenden Gebrauch gemacht hätte. Hat man denn nichts Näheres über die vermißten Gegenstände in Erfahrung gebracht?“

„Daß es sich hier um kein Märchen, sondern um eine Thatsache handelt,“ nahm der Domcapitular abermals das Wort, „werden Sie schon nächster Tage durch die Bekanntmachung erfahren, welche in allen Regierungsorganen erscheinen soll. Ein näheres Verzeichniß der vermißten Gegenstände oder gar eine Beschreibung derselben wird man jedoch dieser Bekanntmachung nicht beifügen.“ „Und doch will man ermitteln, wo sie geblieben sind?“

„Gewiß! Das Verschweigen gerade soll zu leichterer Ermittelung verhelfen.“

„In der That,“ sprach der Graf lächelnd, „der Weg, welchen man einschlägt, um eine dunkle That zu entdecken, ist ganz so eigenthümlich, ja unbegreiflich, wie das Ereigniß selbst.“

„Im Gegentheil, ich finde, daß es von großer Klugheit zeugt,“ versetzte der Domcapitular.

„Und Ihre Beweise, Herr Oheim?“

„Ganz in der Stille, durch diplomatische Personen läßt die erwähnte fürstliche Familie ein sehr genaues Verzeichniß nebst Beschreibung der auf so unerklärliche Weise abhanden gekommenen Schätze an sämmtliche Juweliere des In- und Auslandes vertheilen. Jeder muß an Eidesstatt unverbrüchliches Schweigen über diese heimliche Mittheilung geloben. Durch dieses Verfahren bleibt das große Publicum in völliger Unkenntnis;. Niemand bekommt auch nur eine entfernte Ahnung über die Beschaffenheit der verschwundenen Gegenstände, während jeder Juwelier, der größte wie der kleinste, ganz genau erfährt, wie die verlorenen Schätze aussahen, welche Kennzeichen sie hatten, wie sie sich ungefähr ausnehmen würden, falls der Zufall sie vielleicht anders gestaltete oder beschädigte. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß nach einiger Zeit, wenn Niemand mehr von dem Vorfalle spricht, irgendwo ein Theil, irgend ein einzelnes Stück jener Schätze auftaucht und dadurch ein Fingerzeig gegeben wird, der, immer still verfolgt, schließlich doch zur Entdeckung der Urheber, der Kobolde – wie Sie sagen – die jenes Verschwinden bewirkt haben mögen, führen muß.“

„Allerdings ein Ausweg, der einer Fuchsfalle ungemein ähnlich sieht,“ meinte Aurelio von Weckhausen. „Angenommen, es haben nicht Kobolde, sondern Menschen jenes Verschwinden bewerkstelligt, kann nicht der Schalksnarr Zufall eine beträchtliche Menge Unerfahrener in böse Verlegenheiten bringen?“

„Sie scheinen den eingeschlagenen Weg nicht zu billigen,“ sagte der Domcapitular.

„Warum nicht?“ versetzte der Graf. „Außerordentliche Vorfälle verlangen ungewöhnliche Mittel! Nur wird man sich vorzusehen haben, wenn man sich etwa in der Lage befindet, Juwelen und dergleichen einkaufen zu können. Mich freut es jetzt, daß ein von mir schon eingeleiteter Handel nicht zu Stande gekommen ist.“

„Du wolltest Juwelen kaufen?“ sagte Rosaura, den Gatten mit glänzenden Augen anblickend. „Von Simonides?“

„Er ist der zuverlässigste, kenntnißreichste und gewissenhafteste aller Juweliere, mit denen ich jemals in Verbindung gekommen bin,“ antwortete Aurelio. „Ich war bei ihm, um einen Tausch zu machen, und weil wir in ein längeres Gespräch verwickelt wurden, traf ich heute später hier ein. Ich würde sagen: leider konnten wir uns nicht einigen, während mir gegenwärtig die Zähigkeit des vorsichtigen Mannes ganz angenehm ist.“

„Welche Steine wollten Sie umtauschen?“ fragte der Domcapitular.

„Einige Sapphire und Opale, von denen ich Ihnen schon erzählte.“

„Dieselben, welche Sie während Ihrer letzten Reise von den säumigen Schuldnern in Genua erhielten?“

„Mit denen das genuesische Haus den Rest seiner Schuld tilgte.“

[712] „Wie schade!“ rief Rosaura. „Wer weiß, wie lange ich nun auf die versprochenen Ohrgehänge noch werde warten müssen!“

„Du mußt die unheimlichen Kobolde in dem Palast der namenlosen Fürstenfamilie für dieses schreckliche Unglück verantwortlich machen,“ sagte scherzend Aurelio. „Wer darf wagen, Juwelen einzuhandeln, zu tauschen, wenn vielleicht geraubte Steine bereits vielfach in Umlauf gesetzt worden sind? Zum Glück haben wir nicht so große Eile, und wenn wir unter Freunden weilen, die es nicht gar zu genau nehmen, kannst Du Dir ja allenfalls mit dem alten Schmucke helfen. Er kleidet Dich so ehrwürdig, daß man Dich für eine Burgherrin alten Styls halten und bewundernd nicht die Schale, sondern den Kern betrachten wird, der Dir diese Würde verleiht.“

Rosaura nahm den Scherz des geliebten Gatten zwar für das, was er sein sollte, ganz zufrieden aber war sie doch nicht damit. Auch wollte ihr die Weigerung Aurelio’s, gegen alte Steine neue, modern geformte einzutauschen, doch gar zu vorsichtig erscheinen. Ein Mann von dem Range, der Stellung und dem Vermögen Weckhausen’s, meinte die junge Frau, könne ungefährdet einen solchen Handel abschließen. Im Stillen ein wenig, aber unbemerkt schmollend, nahm sich Rosaura vor, mit Bitten nicht eher nachzulassen, bis Aurelio seine Bedenken überwinden und seinen Vorsatz doch noch zur Ausführung bringen würde.



Nach einigen Tagen ward die von Domcapitular Rütersen erwähnte Bekanntmachung wirklich veröffentlicht. Das Aufsehen, welches dieselbe hervorrief, war allgemein und verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch alle Schichten des Volkes. Ein großer Theil des Publicums konnte natürlich nur momentan davon berührt und wohl auch angeregt werden, da die Gegenstände, um deren Verschwinden es sich handelte, dem eigentlichen Volke gar zu unerreichbar waren. Nur für die Elite der Gesellschaft und für jene zweideutigen Zwitterpersonen, die bald vom Glück, das ein günstiger Zufall ihnen entgegenbringt, bald vom Schwindel leben, hatte der eigenthümliche Fall ein höheres und bleibendes Interesse. Was die Juweliere davon hielten und wie die Instructionen lauteten, die man diesen wichtigen Leuten gegeben hatte, blieb begreiflicherweise Allen ein Geheimniß.

Aurelio von Weckhausen lachte, so oft man der Angelegenheit erwähnte. Er behauptete, seine Annahme werde sich als richtig erweisen und der Verdacht der Entwendung dieser Schätze auf den unerreichbaren Kobolden, die ja gewissermaßen mit zur Familie des fürstlichen Hauses, wie das häufig vorkomme, gehören könnten, sitzen bleiben. Die Hartnäckigkeit, mit welcher der Graf diese muntere Ansicht fest hielt und immer von Neuem wieder vertheidigte, hätte beinahe eine Spannung zwischen ihm und dem Domcapitular herbeigeführt. Letzterer glaubte wohl an Wunder göttlichen Ursprungs, Alles aber, was mehr den Charakter geisterhaften Spukes an sich trug, war ihm von Grund der Seele verhaßt. Deshalb wollte er es nicht einmal haben, daß Jemand von Volksaberglauben sprach oder sich gar mit einer gewissen Vorliebe diesem zuwandte.

„Es ist seltsam, lieber Graf,“ sprach er eines Tages, als das Gespräch zufällig wieder auf diesen Vorfall kam, „daß Sie als besonnener, praktischer und klar denkender Mann von Geist sich an – erlauben Sie mir den etwas stark klingenden Ausdruck – an solche Narrenspossen festklammem!“

„Haben Sie die Güte, verehrter Herr Oheim,“ versetzte Aurelio in bester Laune, „mir eine natürliche Erklärung des Vorfalles zu geben, und ich werde Ihnen mit Freuden beibringen.“

„Halten Sie das für so unmöglich?“

„Allerdings, denn bis jetzt hat es ja noch Niemand gelingen wollen, das unbegreifliche Geheimniß aufzuklären.“

„Sagen Sie lieber, es hat noch Keiner den Muth gehabt, seine wahre Meinung darüber mit dürren Worten auszusprechen!“

„Aus Furcht etwa, compromittirt zu werden, oder aus sonstigen Rücksichten?“

„Aus Vorsicht, dünkt mich.“

„Sollten auch Sie diesen Muth nicht haben?“

„Unter vier Augen gewiß, vor der Welt nie!“

„O dann bitte ich dringend, Herr Oheim, was denken Sie von der Sache?“

[725] „Ich bin überzeugt, daß ein großartiger Betrug dahinter steckt,“ fuhr der Domcapitular fort. „Es ist ermittelt, daß der regierende Fürst einen für nicht legitim erachteten Halbbruder vor längeren Jahren zu entfernen, Andere sagen, in die Verbannung zu schicken wußte und seitdem nie wieder mit ihm in Berührung kam. Dieser aus dynastischen Gründen Verstoßene hat sich später in morganatischer Ehe vermählt, aus welcher ein Sohn entsproß, der als einziger männlicher Erbe des fürstlichen Geschlechts lebt. Einer uralten Familientradition zufolge gilt die Vermählung eines Sprößlings jenes Fürstenhauses nicht einmal für rite vollzogen, wenn die Braut am Tage ihrer Vermählung den Familienschmuck nicht trägt. Auch die kostbaren goldenen Tafelaufsätze dürfen bei dem Banquett nicht fehlen. Liegt nun im Hinblick auf diese Verhältnisse die Vermuthung nicht nahe, ja gewinnt sie nicht sogar an Wahrscheinlichkeit, daß der verbannte Fürst, um seinem eigenen Sohne die Rechte auf den Thron zu wahren, zu einem verzweifelten Mittel gegriffen hat?“

„Entwendung oder Raub setzen die Bestechung sehr einflußreicher Personen voraus,“ erwiderte Graf von Weckhausen, „eine solche Bestechung wäre aber im vorliegenden Falle nur dann denkbar, wenn deren Urheber über ungewöhnliche Mittel verfügen konnte. Verbannte, Verstoßene, Enterbte pflegen aber eher Mangel als Ueberfluß an den zur Ausführung solcher Plane erforderlichen Mitteln zu haben. Und aus diesem Grunde bleibe ich bei meiner Theorie.“

„Die Theorie eines Thoren!“ rief unwillig der Domcapitular.

„Ich gehe noch weiter, verehrter Herr Oheim,“ fuhr Aurelio in übermüthigster Laune fort, „ich erkläre mich zu einer Wette bereit.“

„Daß unsichtbare Geister die fürstlichen Schätze unvermerkt aus festverschlossenen Truhen entführen?“

„Auf das Wie kommt es nicht an,“ fuhr der Graf fort, „wenigstens kümmert mich das nicht bei der Wette, die ich Ihnen anbieten [726] will. Ich behaupte, daß jenes Verschwinden von werthvollen Kostbarkeiten aus der Schatzkammer der Fürsten von X. sich wiederholen wird, falls nicht in Bälde über das Verbleiben der bereits unsichtbar gewordenen Gegenstände etwas Bestimmtes ermittelt werden kann.“

„Welche Tollheit!“ sprach der Domcapitular. „Wüßte ich nicht, daß nur der Hang, eine absonderliche Meinung für sich allein zu haben, Sie zu einer so absurden Behauptung veranlaßt, ich wäre wahrhaftig im Stande, an Ihrer vollen Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln.“

„Von meinem körperlichen Wohlbefinden können Sie sich überzeugen, wenn Sie meinen Puls fühlen wollen,“ versetzte Aurelio, „und daß ich nicht an geistiger Ueberspanntheit leide, will ich Ihnen beweisen, wenn Sie mich auf die Probe stellen wollen. Aber geben Sie Acht, ich behalte. Recht, immer angenommen, daß der Schleier des Geheimnisses nicht gelichtet wird.“

„Eine solche Wette halte ich für sündhaft,“ sagte Rütersen verdrießlich.

„Ich finde sie spaßhaft,“ versetzte der Graf, „und den Gegenstand ganz zum Wetten angethan, weil wir Beide gerade gar nichts wissen, der Eine also gerade so viel Recht hat oder haben kann, als der Andere. Wetten wir deshalb der bloßen Unterhaltung wegen! Wir sind ja nicht betheiligt, wir kennen nicht einmal die Namen der Personen, um die es sich handelt, wenigstens sind mir Name und Schauplatz ein verhülltes Bild von Sais.“

Der Domcapitular wendete sich schweigend ab, da er dem Manne seiner Nichte, den er so hoch achtete, keine zu unfreundliche Antwort geben mochte.

„Ich mache Ihnen einen annehmbaren Vorschlag,“ fuhr Aurelio von Weckhausen fort. „Werden binnen einem Jahre die Urheber des unbegreiflichen Verschwindens der bewußten, uns jedoch unbekannten Schätze ermittelt und sind dies Menschen von Fleisch und Bein, so verzichte ich zu Gunsten der milden Stiftung für unvermählt gebliebene Töchter unbemittelter Beamter auf jenen Erbschaftsantheil, den Sie vor Abfassung des letzten Codicills zu Ihrem Testamente derselben bestimmt hatten. Tritt dagegen der von mir angedeutete Fall ein, so machen Sie sich anheischig, den alten Schmuck, welchen ich meiner lieben Rosaura schenkte, auf Ihre Kosten anders fassen zu lassen. Sie dürfen dies, weil man Juwelen, welche Sie einem Juwelier einhändigen, nicht so genau betrachten wird, wie von andern Personen überbrachte. Rosaura wünscht diese Fassung schon längst, ich weiß es, und ich bin genöthigt, ihr diese kleine Freude zu versagen, weil ich eine unbezwingliche Scheu habe, mich von Juwelieren, von Menschen, welche Handel in ganz gewöhnlichem Sinne treiben, wenn es ihnen gerade einfällt, examiniren lassen zu müssen.“

Die scherzhafte Art, wie der Graf diesen Vorschlag machte, versöhnte den Domcapitular mit demselben. Es schien ihm nicht wahrscheinlich, daß der von Aurelio für möglich gehaltene Fall sich ereignen könne. Auf der andern Seite hatte man es ihm schon mehrmals verdacht, daß er in einem Anfall von Verdruß der erwähnten Stiftung eine Schenkung wieder entzog, die seine Nichte bei dem bekannten Reichthum des Grafen recht gut entbehren konnte. Endlich hörte er die Stimme Rosaura’s im Nebenzimmer, die ihn jederzeit willfährig stimmte. Er mußte Aurelio in Bezug auf Rosaura Recht geben, auch konnte er den Widerwillen des Grafen gegen Ausfragen Unbefugter sehr wohl begreifen. Dies Alles zusammengenommen brachte Rütersen auf andere Gedanken. Er reichte Aurelio die Hand und sagte:

„Der jungen Gräfin zu Liebe will ich ausnahmsweise einmal Thor mit Thoren sein. Ich nehme Ihre Wette an, Herr Neffe, aber halten Sie nun auch die Augen offen, daß man Ihnen nicht etwa ein X für ein U macht! Verlieren Sie, so sind Sie das Capital, das Ihrem dereinstigen Erben zu Gute kommen sollte, gewiß und wahrhaftig los!“

„Und Sie, mein gnädigster Herr Oheim,“ bemerkte der Graf. „Sie sollen, wenn ich gewinne, gewiß und wahrhaftig mir einen Schmuck einhändigen, wie ihn noch nie ein Mann seiner glücklichen Frau zum Geschenk überbrachte.“




5. Ein Rechtsfall.

Rosaura, die sich in ihrem Zusammenleben mit Aurelio sehr glücklich fühlte, erfuhr nichts von diesem Abkommen. Der jungen, von Hunderten beneideten Gräfin vergingen die Tage in immer gleicher Heiterkeit und geselliger Zerstreuung. Der Graf selbst sah am liebsten ebenfalls Gesellschaft um sich, und da er gegen seine Gewohnheit diesmal Monate lang daheim blieb, nur der Gesellschaft, seiner Frau und dem Umgange mit den Musen lebend, so erweiterte sich der Kreis der Gäste, welche in dem gräflichen Hause verkehrten, bedeutend. Dieses war überhaupt nach und nach der Mittelpunkt gesellschaftlicher Zusammenkünfte geworden, da es mehr Räumlichkeit darbot als die Wohnung des Domcapitulars. Auch besaß Rosaura in ihrer ausgesucht glänzenden Häuslichkeit eine größere Anziehungskraft für Einheimische und Fremde, als der unbeweibte, zwar höchst zuvorkommende, aber bisweilen doch etwas stumpf werdende Domcapitular.

In dieser Zeit schlossen sich dem engern Gesellschaftscirkel des Grafen von Weckhausen mehrere neue Mitglieder an, unter denen eins der aufgewecktesten und durch seine Stellung im Staate einflußreichsten der Obergerichtsrath Bornstein war. Durch Rütersen in das Haus seiner Nichte eingeführt, fand der Graf sehr bald Gefallen an diesem kenntnißreichen Manne. Bornstein unterhielt sich seinerseits wieder gern mit Aurelio, weil er ein scharfes Urtheil in ihm entdeckte. Die vielen Reisen des Grafen und dessen Kenntnisse von Ländern und Nationen machten längere Gespräche mit ihm zu belehrendem Genuß auch für höher Gebildete.

„Weshalb treten Sie nicht in den Staatsdienst, Herr Graf?“ sagte eines Tages, wo man sich auf eine Discussion über politische Gegenstände tiefer eingelassen hatte, der Obergerichtsrath. „Es ist unrecht, daß Sie Ihr Pfund vergraben, anstatt zum Besten des Allgemeinen damit zu wuchern. Eine Ihren Fähigkeiten angemessene Carriere wäre Ihnen gewiß.“

„Ich liebe die Unabhängigkeit über Alles,“ erwiderte Aurelio mit verbindlichem Lächeln, „und ich muß aus voller Ueberzeugung mit Marquis Posa ausrufen: Ich kann nicht Fürstendiener sein!“

„Das ist sehr edel von Ihnen gedacht, Herr Graf,“ warf Bornstein ein, „indeß ist man nicht eigentlich Diener, wenn man regiert. Man gewinnt durch scheinbare Unterordnung unter einen höher Gestellten Gewalt über diesen und gebietet eigentlich, wo man nur Wünschen nachzukommen vorgibt. Das aber ist eine Wirksamkeit, mit der sich auch der unabhängigste Charakter befreunden kann.“

„Meine auswärtigen Geschäfte, meine Verbindungen, die sich ohne großen Nachtheil für mich nicht würden lösen lassen, gestatten mir die Uebernahme eines Amtes durchaus nicht,“ meinte der Graf.

„Ich bedaure das,“ sagte der Obergerichtsrath, „namentlich auch deshalb, weil ich fürchte, Sie könnten uns eines Tages für immer verlassen.“

„Unmöglich ist dies allerdings nicht,“ entgegnete Graf von Weckhausen. „Meine Frau dringt ohnehin fortwährend mit Bitten in mich, ich solle sie doch endlich einmal mit nach Spanien nehmen. Lange, das fühle, ich, kann ich diesen Bitten nicht mehr widerstehen; sieht aber Rosaura erst dies wunderbare Land, athmet sie die balsamische Luft von Cadix und Malaga, dann wird es ihr schwer fallen, für immer von dieser herrlichen Natur Abschied zu nehmen.“

„In Geschäften zu reisen, auch wenn man eher das Bedürfniß nach Ruhe als nach den Unregelmäßigkeiten eines unbequemen Lebens in Gasthäusern fühlt, muß doch auch seine Unannehmlichkeiten haben,“ warf der Obergerichtsrath ein.

„Für nicht daran Gewöhnte ist es ohne Zweifel lästig,“ sagte Aurelio, „mich zerstreut und erfrischt es.“

„Sie haben aber, wie der Herr Domcapitular einige Male andeutete, nicht selten auch Verdruß und sind bisweilen sogar harten Verlusten ausgesetzt.“

„Romantische Schlagschatten, die nur dazu beitragen, die Lichtseiten eines von Aufregungen mannichfacher Art bewegten Lebens zu erhöhen.“

„Ist Ihnen die fürstliche Familie O* bekannt?“ fragte der Obergerichtsrath, von dem eigentlichen Gesprächsthema abspringend. „Sie muß, wenn ich nicht irre, in der Nähe Ihrer Quecksilbergruben Besitzungen haben.“

„Diese Annahme beruht auf einer Verwechselung,“ versetzte der Graf, „Die Herzöge von O** sind es, deren Ländereien mit meinen Besitzungen grenzen.“

[727] „So, so, ich wußte das nicht,“ sagte Bornstein. „Aber Sie kennen die Fürsten von O*?“

„Nur dem Namen nach.“

„Dann werden Sie demnächst Näheres von denselben hören und sich wahrscheinlich mehr für sie interessiren, da ein Proceß höchst seltsamer Art die Augen der ganzen gebildeten Welt auf dieses uralte Fürstenhaus, dessen Stammbaum bis in die ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung hinaufreicht, auf sich ziehen dürfte.“

„Ein Proceß? Kennen Sie die Veranlassung desselben?“

„Diese gerade ist es, die durch den Proceß an den Tag kommen soll.“

„Man muß aber doch vorher wissen, weshalb man überhaupt einen Proceß anfängt.“

„Allerdings. Ein Gegenstand zum Streit ist auch vorhanden, oder richtiger, der Gegenstand, um den der Proceß angestellt werden soll, wird vermißt, und eben dies Nichtvorhandensein desselben treibt die beiden streitenden Parteien zu gerichtlicher Vermittelung.“

„Das verstehe ich nicht,“ sagte Graf von Weckhausen. „Wie kann es vernünftigen Menschen einfallen, einen Proceß um etwas überhaupt nicht Vorhandenes zu beginnen! Das Gericht kann sich auf eine derartige, dem Tollhause entstammende Angelegenheit gar nicht einlassen.“

„Sie werden sich der Aufforderung in den Zeitungen erinnern, Herr Graf,“ versetzte der Obergerichtsrath, „die vor einiger Zeit so großes Aufsehen machte. Jetzt hat man dieselbe wohl meistentheils schon wieder vergessen. Im Stillen jedoch stellte man fortwährend Nachforschungen an. Diese haben nun zwar zu keinem wirklichen Resultate geführt[WS 1], aber doch so viele Indicien geliefert, daß eben die Einleitung eines Processes, den man gleichsam im Beisein des ganzen Publicums verhandelt, gerechtfertigt erscheint.“

„Sollte dieser wunderliche Handel etwa mit dem Verschwinden gewisser Kostbarkeiten aus einem fürstlichen Schatze zusammenhängen?“ fragte Aurelio. „Mein Herr Oheim hat uns seiner Zeit recht interessante, wenn auch wenig glaubwürdige Details darüber mitgetheilt.“

„Es ist dieselbe Angelegenheit,“ sprach Bornstein, „und ich glaubte, die Familie O*, welche den bekannten Verlust erlitten, sei dieselbe, deren Besitzungen mit den Ihrigen grenzen.“

„Hat man denn etwas über die verschwundenen Schätze in Erfahrung gebracht?“ sagte der Graf.

„Es liegt nichts vor, als der Brief eines Juweliers, der, wahrscheinlich aus Furcht, einer ganzen Reihe von Verhören sich unterwerfen zu müssen, seinen Namen verschwiegen hat.“

„Und dieser Brief, was enthält er?“

„So viel man bis jetzt in Erfahrung gebracht hat, die Mittheilung, daß, mache man sich anheischig, nach dem Namen des Schreibers erwähnten Briefes keine weiteren Nachforschungen anzustellen, dieser den Schlüssel des Geheimnisses zu erhalten Aussicht habe.“

Aurelio konnte sich eines satirischen Lächelns nicht enthalten.

„Wenn dieser vorsichtige Mann kein Dieb ist, so würde ich vorschlagen, für ihn eine Stelle unter den Weltreisen offen zu halten.“

„Der an die regierende Familie der Fürsten O* gerichtete Brief dieses Unbekannten,“ fuhr der Obergerichtsrath Bornstein fort, „soll so abgefaßt sein, daß daraus ersichtlich wird, der Verfasser desselben müsse von dem Verbleiben jener Schätze Kenntniß haben. Ferner wird behauptet, es sei höchst wahrscheinlich, daß die bloße Bekanntmachung des Schreibens die Entdeckung des Geheimnisses fördern helfe. Die processualische Verhandlung soll daher auch nichts Anderes bewirken, als die Feststellung eines zu fassenden Entschlusses. Hat man sich über diesen Entschluß geeinigt, so beginnt der eigentliche Proceß erst vor der Welt.“

„Nun in der That, das ist so neu als originell,“ sagte der Graf, „und ich gestehe, daß ich höchst gespannt auf den Beschluß bin, welchen die Kronjuristen des Fürsten von O* fassen werden. Dürfte noch längere Zeit darüber vergehen?“

„In der nächsten Woche schon findet die entscheidende Berathung statt.“

„So werde ich meine Abreise noch um einige Tage länger verschieben,“ sprach Aurelio. „Ich habe ohnehin, von meiner Frau hingehalten, diesmal schon weit über die gewöhnliche Zeit meine Geschäfte vernachlässigt. Empfangen Sie meinen Dank für Ihre interessante Mittheilung, die mich wie Alle, welche die Veranlassung kennen, in wirklich ungewöhnliche Spannung versetzt.“

Aurelio ließ sich nichts von dem merken, was zwischen ihm und dem Obergerichtsrath verhandelt worden war. Rosaura hatte wahrscheinlich keine Kunde davon, auch der Domcapitular schien noch ununterrichtet zu sein. Der alte Herr freute sich, daß der Graf wider Erwarten ihm so lange Gesellschaft geleistet hatte, und richtete, als dieser ihm anzeigte, daß der Tag der Trennung nunmehr schnell heranrücke, die Bitte an ihn, er möge diese Trennung möglichst abkürzen. Aurelio versprach es und traf die nöthigen Vorkehrungen für seine Abreise.

Diese letzte kurze Zeit verbrachte Graf von Weckhausen fast ausschließlich mit Rosaura. Gesellschaft sah das gräfliche Ehepaar nicht bei sich, auch machte es keine Besuche. Nur der Domcapitular kam und ging nach alter Gewohnheit in dem Palais des reichen Mannes seiner Nichte aus und ein.

„Sie werden Ihre Wette verlieren,“ sagte eines Mittags, als er sich mit Aurelio allein sah, der Domcapitular zu dem Grafen. „Obergerichtsrath Börnstein hat mir so eben ein Billet geschrieben, worin er mir die Mittheilung macht, daß der Beschluß der Kronjuristen der Fürsten von O* Veröffentlichung des anonymen Briefes verlangt, von dessen Vorhandensein Sie unterrichtet sind. Die Fürsten O* sind eben jene Herrscherfamilie, deren Schatzkammer auf so unerklärliche Weise, wie ich Ihnen erzählte, von unsichtbaren Händen geplündert wurde. Kein Mensch zweifelt mehr, daß sich das sonderbare Verschwinden der so außerordentlich werthvollen Kleinodien ganz natürlich erklären werde und daß diejenigen, die sich zu diesem Taschenspielerkunststück verleiten ließen, ihren verdienten Lohn erhalten.“

Aurelio hatte lächelnd den Domcapitular aussprechen lassen. Jetzt sagte er ihm Dank für seine Mittheilung, fügte aber hinzu, daß er gleich anfangs vermuthet habe, nur den Fürsten O* könne jenes seltsame Unglück zugestoßen sein. „Uebrigens,“ fuhr er fort, „bin ich jetzt meiner Sache mehr als gewiß, und Sie werden sehen, daß Sie doch verlieren!“

„Dann müßten Wunder geschehen!“ rief der Domcapitular. „In wenigen Tagen schon läuft der Brief des anonym gebliebenen Juweliers durch alle Zeitungen, er wird Gemeingut Aller, und es kann gar nicht fehlen, daß auf irgend eine Weise dadurch Thatsachen offenbar werden müssen, die das geheimnißvolle Verschwinden der vermißten Schätze natürlich erklären.“

„Wir werden ja sehen,“ sagte der Graf. „Uebrigens hält mich jetzt nichts mehr hier fest. Den sonderbaren Brief, dem man solche Zauberkräfte zuschreibt, kann ich ja wohl überall lesen. Darum lasse ich mich dem Herrn Obergerichtsrath Bornstein bestens empfehlen uns verabschiede mich gleichzeitig auch von Ihnen. Hören wir nicht früher von einander, so geschieht es doch jedenfalls, sobald ich das Vergnügen haben werde, Ihnen anzeigen zu können, daß ich meine Wette gewonnen habe.“

Der Domcapitular überließ sich einem herzlichen Lachen über diese tolldreiste Behauptung des zuversichtlichen Grafen, denn der Einsturz des Himmels hatte eben so große Wahrscheinlichkeit für sich, als die Behauptung Aurelio’s, das Verschwinden noch anderer Kleinodien aus dem Schatze der Fürsten von könne O* sich wiederholen.




6. Beunruhigende Entdeckungen.

Bald nach des Grafen Abreise erschien der anonyme Brief in allen Zeitungen, von dessen Bekanntwerden sich die fürstliche Familie von O* eine so große Wirkung versprach. Er ward von Jedermann gelesen, von Vielen kritisirt, von den Tiefsinnigsten gleich, einem alten Codex oder einem Palimpsest studirt. Und wirklich forderte das Schreiben sowohl die Kritik wie den Scharfsinn der Denker heraus. Man mußte zwischen den Zeilen zu lesen verstehen, wenn diese ganz allgemein gehaltenen Wendungen den Schlüssel zur Lösung eines Räthsels, dem man schon so lange nachspürte, enthalten sollten. Fragen, welche Einer dem Andern über diesen Brief vorlegte, wurden mit sehr geheimnißvollen Mienen beantwortet, weil Keiner gestehen wollte, daß er gerade so klug sei, wie zuvor.

Auch der Domcapitular gab eine sehr vorsichtige Antwort, als der Obergerichtsrath Bornstein seine Meinung zu hören wünschte.

[728] „Sie halten also dafür, daß gerade das Nachdenken über den Brief den gewünschten Erfolg haben kann?“ sagte Letzterer auf die Antwort des alten Herrn.

„Mir scheint es so,“ erwiderte Rütersen.

„Es ist mir lieb, dies von Ihnen zu hören,“ fuhr Bornstein fort. „Was mich betrifft, so pflichte ich Ihnen vollkommen bei, ja ich bin sogar im Stande, Ihnen eine Entdeckung zu machen.“

„Eine Entdeckung, die sich auf die Wirkung des Briefes bezieht?“

„Ich kenne den Verfasser desselben.“

„Wirklich? Und Sie dürfen ihn nennen?“

„Nur gewissen Personen, Herr Domcapitular.“

„Zu denen ich gehöre?“

„Ich glaube, Sie werden es mir später Dank wissen.“

„Kenne ich ihn etwa?“

„Simonides hat den Brief geschrieben.“

Der Domcapitular sah den Obergerichtsrath geraume Zeit verwundert an, dann sagte er: „Glauben Sie denn wirklich, daß Simonides um das Verschwinden der vermißten Schätze weiß?“

„Das wohl schwerlich, aber er hat einzelne Stücke derselben gesehen, ja sogar in Händen gehabt.“

„Gekauft? von wem?“

„Das eben ist noch ein Geheimniß. Simonides erhielt vor Monaten schon eine Zusendung von Edelsteinen, die von einem Schreiben ohne Namensunterschrift begleitet war. Die Edelsteine hatten einen hohen Werth, und der Juwelier war sehr geneigt, auf das Geschäft, das man ihm anbot, einzugehen. Nur die Anonymität des Einsenders machte ihn bedenklich. Indeß glaubte er bei einiger Vorsicht doch den Versuch einer Anknüpfung mit dem unbekannten Einsender machen zu dürfen. Der Brief enthielt einige Zeichen, deren Simonides sich bedienen sollte, wenn er die Absicht habe, die ihm angetragenen Juwelen durch Kauf zu erwerben. Ein Billet, mit diesen Zeichen versehen, sollte in eine leere Flasche gelegt und diese, fest verkorkt, in den Strom geworfen werden. Befolge Simonides – hieß es weiter – diesen Wink, so werde in nicht gar langer Zeit ein zuverlässiger Mann bei ihm erscheinen, sich durch Ueberreichung des von dem Juwelier herrührenden Billets als befugter Unterhändler ausweisen und das Geschäft mit ihm abschließen.“

„Ging Simonides auf diese seltsamen Weisungen ein?“

„Gerade die Seltsamkeit reizte ihn,“ sagte der Obergerichtsrath. „Er sah keine Gefahr bei dem wunderlichen Handel, aber er fürchtete mit keinen ehrenwerthen Leuten in Verbindung zu kommen. Wie oft sind schon Juwelen entwendet worden, und wie unendlich schwer ist es, sind sie erst von Hand zu Hand gegangen, sie ihrem rechtmäßigen Eigenthümer wieder zu verschaffen! Simonides wollte sich deshalb sicher stellen, um nicht später einmal einer unredlichen Handlung geziehen werden zu können. Er wendete sich an mich und theilte mir vertrauensvoll die sonderbare Zumuthung mit, zugleich sich meine Ansicht darüber und meinen Rath erbittend. Auch die Edelsteine zeigte er mir. Es waren Smaragden von ungewöhnlicher Schönheit und einige wenige schlecht geschliffene, aber sehr werthvolle Diamanten. Seiner Behauptung nach mußten dieselben zu einem außerordentlich kostbaren Schmuck gehört haben, dem man sie entnommen hatte. Mich interessirte diese Mittheilung, ich behielt eine sehr genaue Copie des Briefes und der Zeichen, und forderte Simonides auf, die Weisung buchstäblich zu vollziehen. Obwohl ich im Geheimen Anstalten traf, das ganze Flußufer in der Gegend, wo der Juwelier die Flasche den Wellen anvertrauen sollte, zu überwachen, wurde doch nichts Verdächtiges bemerkt.“

„Hatte diese sonderbare Procedur Erfolg?“ fragte der Domcapitular, der mit wachsender Spannung der Erzählung Bornstein’s lauschte.

„Es vergingen mehrere Wochen, ohne daß irgend eine Nachfrage erfolgte,“ fuhr der Obergerichtsrath fort, „und Simonides glaubte schon, die Flasche mit seinem Zettel sei verloren gegangen. Da meldete sich Abends ein Mann bei ihm, der seiner Sprache wie seiner Gesichtsfarbe nach südeuropäischer Abkunft zu sein schien, und legitimirte sich durch den Zettel, welchen der Juwelier in die Flasche legte.“

„Haben Sie den Mann nicht festnehmen lassen?“

„Dazu hatte ich weder ein Recht noch eine Veranlassung. Simonides kaufte dem Fremden die Juwelen ab und bewahrte sie sorgfältig auf. Dieser schien erfreut zu sein, einen guten Handel gemacht zu haben, und versprach in einiger Zeit wieder zu kommen.“

„Natürlich ist er ausgeblieben?“ meinte der Domcapitular.

„Im Gegentheil, er stellte sich ein zweites Mal bei Simonides früher ein, als dieser erwartet hatte. Ich wußte um den Fremden, denn der Juwelier hielt ihn beim ersten Besuche so lange fest, daß es mir möglich wurde, ihn beobachten zu lassen. Er hat sich zwischen diesem ersten und zweiten Besuche stets in unserer nächsten Nähe aufgehalten. Sie selbst kennen ihn und haben mit ihm gesprochen.“

„Ich … mit Ihrem Unbekannten?“

„Es ist der Marchese Oruna.“

„Das ist unmöglich!“

„Mitunter nennt er sich auch einfach blos Oruna und hat dann die Liebhaberei, als Tabuletkrämer das Volk und seine Sitten zu studiren.“

„Der Marchese Oruna war ja dem Grafen von Weckhausen empfohlen,“ sagte der Domcapitular, „meine Nichte gab ihm zu Ehren eine Abendgesellschaft, der Sie nur deshalb nicht beiwohnten, weil Sie leider in Dienstangelegenheiten verreist waren. Sie sehen also, Ihre Behauptung beruht auf einem Irrthume!“

[741] „Hat der Herr Graf von Weckhausen nicht neulich bei seiner Abreise einen neuen Bedienten engagirt?“ warf der Obergerichtsrath ein.

„Es ward ihm schwer, einen tauglichen Mann aufzufinden, seit sein früherer sehr erfahrener Bediente, weil er das hiesige Klima nicht vertragen konnte, um die Erlaubniß bat, in seine schöne Heimath zurückkehren zu dürfen.“

„Der neue Bediente spricht gut Spanisch, nicht wahr?“

„Er ist ein geborner Catalonier.“

„Schade, daß Sie den Mann nicht schärfer in’s Auge gefaßt haben,“ sagte Bornstein; „Sie würden dann gefunden haben, daß er dem Marchese Oruna ungemein ähnlich sieht, fast so ähnlich, als seien Beide nur eine einzige Person.“

„Herr Obergerichtsrath,“ erwiderte jetzt der Domcapitular sehr ernst, „ich will nicht hoffen, daß Sie sich einen Scherz gegen mich erlauben; eben so wenig kann ich glauben, daß allen diesen Mittheilungen eine geheime Absicht zu Grunde liegt! Der Gatte meiner Nichte ist ein Mann von Ehre, den Sie ja selbst für den Staatsdienst zu gewinnen suchten. Sein Charakter steht tadellos da. Ein solcher Mann umgibt sich nicht mit zweideutigen Subjekten.“

„Tadellose Charaktere sind oft am leichtesten zu täuschen,“ versetzte Bornstein. „Ich bin fest überzeugt, daß Graf von Weckhausen eben so wenig wie Sie selbst eine Ahnung hat, wer eigentlich die Person ist, die sich als Bedienter von ihm hat engagiren lassen.“

„Wenn Sie Ihrer Sache so gewiß sind, weshalb eröffneten Sie sich nicht dem Grafen?“

„Gewichtige Gründe ließen dies nicht zu,“ sprach Bornstein. „Der Marchese Oruna oder wer sich sonst hinter demselben verbergen mag, ist im besten Falle ein Abenteurer, ich glaube sogar, daß er eine noch gefährlichere Persönlichkeit ist. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß die Smaragden, welche der vorgebliche Marchese dem Juwelier Simonides zum Kaufe anbot, dem Diademe entnommen sind, das den regierenden Fürsten von O* gehört und das man nebst einer Menge anderer Kleinodien zuerst bei der Vermählung der Prinzessin vermißte. Auch die Diamanten gehören zu jenem verschwundenen Familienschmuck. Sie bildeten eine Rosette, die als Broche getragen ward.“

„Diese Mittheilungen versetzen mich in die größte Unruhe,“ sagte der Domcapitular. „Sie müssen, wenn man in dem Bedienten des Grafen von Weckhausen einen Verbrecher entdecken sollte, diesen selbst höchlichst compromittiren.“

„Diese Besorgniß vermag ich nicht zu theilen,“ erwiderte der Obergerichtsrath, „für mich liegen augenblicklich die Dinge weit einfacher, als es auf den ersten Anblick scheinen mag. Der Marchese – wir wollen ihn einstweilen so nennen – ist entweder ein ganz gewöhnlicher Betrüger, der nur durch größere Geschicklichkeit und durch die Gabe, sich in den besten Cirkeln leicht und sicher zu bewegen, Fremde für sich einzunehmen versteht, oder er ist wirklich jener illegitime Erbe, welcher Ansprüche auf das Fürstenthum zu erheben ein Recht zu haben glaubt. Es mag ihm gelungen sein, [742] sich durch Bestechung oder auf sonst eine Weise in den Besitz der so wichtigen Schätze zu setzen; weil ihm aber zugleich auch Alles daran gelegen sein mußte, unentdeckt zu bleiben, hat er Zuflucht im Auslande gesucht und ist nun hier darauf bedacht, vorerst einen Theil der entführten Kleinodien zum Schein zu veräußern, um, ist sein Streich gelungen, sie später wieder an sich zu bringen. Ich vermuthe ferner, daß er sich hier nicht mehr für sicher hielt und daß er deshalb die sich ihm darbietende Gelegenheit, in sein Vaterland unerkannt zurückkehren zu können, mit beiden Händen ergriff. In dem Bedienten des Grafen Aurelio von Weckhausen vermuthet Niemand einen Marchese, vielweniger einen Prinzen, der sich mit dem Gedanken trägt, dereinst die Stufen eines Thrones zu besteigen!“

„Man muß den Grafen unter der Hand doch benachrichtigen, wer sein Begleiter ist,“ sagte der Domcapitular.

„Allzu große Eile dürfte dies nicht haben,“ meinte Bornstein. „Je länger wir schweigen, desto leichter wiegt sich der angebliche Marchese in Sicherheit, und das ist, was wir wünschen müssen. Höchst wahrscheinlich tauchen nach einiger Zeit andere Juwelen auf, die, wofür man Sorge getragen hat, alle an Simonides ausgeliefert werden. Das Verzeichniß und die Beschreibung der verschwundenen Schätze befindet sich ja in den Händen aller Juweliere. Es kann also, da man bereits einige Juwelen bestimmt ermittelt hat, nicht schwer fallen, noch andere dazu gehörige ebenfalls zu sammeln. Um den Grafen drücken mich andere Sorgen!“

„Ich bitte, sich offen gegen mich auszusprechen, meiner Nichte wegen!“

„Graf von Weckhausen ist reich, freigebig, ein Freund des Glanzes und Luxus. Er hat seiner jungen Gemahlin zu wiederholten Malen Versprechungen gemacht, die er eines Tages sicherlich hält. Wenn es ihm nun einfallen sollte, von dem Marchese einige jener Juwelen, die dem fürstlichen Schmucke entnommen sind, zu kaufen …“

„Von seinem Bedienten?“ unterbrach der Domcapitular den Gerichtsrath. „Ein Bedienter, der seinem Herrn Juwelen zum Kauf anbietet, würde sich selbst zum Diebe stempeln!“

„Der Tabuletkrämer ist kein Bedienter mehr, es wäre ja aber auch möglich, daß der Tabuletkrämer zum Landmanne, zum reichen Pachter oder zum Chef eines renommirten Handlungshauses würde, das außer andern Gegenständen auch Edelsteine zu verkaufen hätte.“

„Sollte diese Bemerkung eine tiefere Bedeutung haben?“ fragte der Domcapitular.

„Der Herr Graf hat es mir selbst mehr als einmal gestanden, daß Juwelen, überhaupt Kostbarkeiten seltener Art eine ungewöhnliche Anziehungskraft für ihn besitzen, und daß vorzugsweise diese Liebhabereie ihn veranlaßt habe, von einem großen genuesischen Handlungshause ältere Schätze dieser Art an Zahlungsstatt anzunehmen.“

„Jenes Haus ist durch Erbschaft in den Besitz der erwähnten Schätze gekommen.“

„So sagt man, neuerdings jedoch haben sich Zweifel erhoben.“

„Gegen den rechtmäßigen Erwerb der Kleinodien des erwähnten Hauses?“

„Man weiß nur, daß der Chef desselben flüchtig geworden ist.“

„Das Haus stand lange schon auf schwachen Füßen, und gerade dies veranlaßte den Gemahl meiner Nichte, auf den ihm gemachten Vorschlag so bereitwillig einzugehen.“

„Der Herr Graf hätte doch vorsichtiger sein sollen,“ sagte der Obergerichtsrath. „Aber freilich, wie konnte der vornehme, vertrauensvolle Mann wissen, daß man ihn betrog!“

„Betrog? Der Genuese betrog den Grafen?“

„Ich bitte, Herr Domcapitular, erfüllen Sie mir eine Bitte!“ sprach Bornstein mit größerem Ernste. „Es ist ein Freund, der zu Ihnen spricht!“

„Wenn ich es vermag, haben Sie über mich zu gebieten!“

„Sie haben ein Kästchen in Verwahrung, das die Gräfin von ihrem Gatten während seiner ersten Reise nach der Vermählung zum Geschenk erhielt. Das Kästchen ist von Ebenholz, trägt eine goldene Krone mit Brillanten verziert und enthält einen uralten, kostbaren Schmuck … Ich bitte, vertrauen Sie mir dieses Kästchen an! …“

„Halten Sie es in meiner Behausung für weniger sicher, als in der Ihrigen?“

„Ich würde es Dritten in Verwahrung geben.“

„Dem Juwelier Simonides? Er kennt es bereits.“

„Unter Verschluß des Gerichtes, glaub’ ich, wäre es noch besser aufbewahrt!“

Der Domcapitular fuhr entsetzt von seinem Stuhle auf, und die Bestürzung raubte ihm fast die Sprache.

„Was … soll das … bedeuten?“ stammelte er.

„Nichtswürdige, schlaue Betrüger haben den arglosen Grafen auf eine empörende Weise hintergangen und zu seinem größten Nachtheile dupirt,“ versetzte der Obergerichtsrath. „Zum Glück läßt sich aber Alles noch rechtzeitig wieder in Ordnung bringen. Der Graf ist reich, er wird also gern eine Summe opfern, um unnöthiges Aufsehen zu vermeiden. Jenes Kästchen ist geraubt, von ganz gemeinen Straßenräubern einer reisenden Herrscherfamilie gewaltsam entrissen worden. Simonides machte zuerst diese Entdeckung und setzte mich davon in Kenntniß, um Sie, Ihre Nichte und den Grafen in jeder Hinsicht zu schonen. Ich überzeugte mich von der Schuldlosigkeit des Letzteren und beschloß deshalb, eine schickliche Gelegenheit abzuwarten, um ihn einer höchst fatalen Lage zu entreißen. Die Zeit, zu sprechen, ist jetzt gekommen. Darum wiederhole ich meine Bitte. Man wird keine weiteren Nachforschungen anstellen, wenn das geraubte Kästchen der Familie wieder ausgeliefert wird und der Herr Graf durch einen Eid bekräftigt, daß er dasselbe von jenem genuesischen Hause an Zahlungsstatt erhalten, dessen Chef, betrügerischer Handlungen überführt, sich auf flüchtigen Fuß gesetzt hat, vielleicht aber auch in diesem Augenblicke schon in den Händen der Gerechtigkeit sich befindet.“

Der Ernst des Obergerichtsrathes, die Wärme, mit welcher er sprach, mußten dem Domcapitular die Ueberzeugung beibringen, daß der Fall ernst sei und allzulanges Besinnen unberechenbare Nachtheile haben könne.

„Sie haben mir noch nicht Alles mitgetheilt,“ sprach Rütersen, sich nach Kräften fassend. „Jener Betrüger ist entdeckt – der Graf selbst compromittirt … Lieber Himmel, was soll aus meiner armen, nichts ahnenden Nichte werden!“

„Man verfolgt die Spur des wahrscheinlichen Verbrechern, der Viele in großes Leid bringen dürfte,“ erwiderte Bornstein. „Graf von Weckhausen ist bis jetzt noch frei von jedem Verdacht; nur das Kästchen mit den Juwelen könnte, entdeckte man es im Besitz des Grafen, ihn wenigstens in Unannehmlichkeiten verwickeln.“

„Und wenn ich es Ihnen ausliefere … ohne des Grafen, ohne meiner Nichte Wissen, von wem hat es dann das Gericht erhalten?“

„Ein Juwelendieb, der auf der That ertappt wird und bei dem man eine Menge anderer derselben Familie angehörende Kostbarkeiten entdeckt, dürfte unschwer zu überführen sein, daß gerade dieser werthvollste Raub ihm ebenfalls zugehört. Sollte er aber leugnen, nun, so glaubt man ihm nicht.“

Noch zögerte der Domcapitular, unschlüssig, ob er das verhängnißvolle Kästchen, die erste werthvolle Liebesgabe Aurelio’s an Rosaura, dem Obergerichtsrath einhändigen sollte. Während er nachdenkend das Zimmer durchwandelte, klang die Glocke an der Thür des Corridor’s. Der Domcapitular blieb stehen und horchte mit angehaltenem Athem.

„Es ist mein Diener, den ich bestellt habe,“ sagte Bornstein.

„Er soll das Kästchen in Empfang nehmen. Bitte, zögern Sie nicht länger!“

Rütersen schloß seufzend seinen Secretär und reichte dem Obergerichtsrath den alterthümlichen Familienschmuck. Dankend nahm ihn dieser entgegen.

„Sie versprechen, den Grafen in keiner Weise zu compromittiren?“ fragte der Domcapitular.

„In keiner Weise, wenn er selbst nicht durch unzeitiges Prahlen die Gerichte herausfordert.“

Die Glocke klang abermals, und ein Bedienter trat ein. Er trug einen Teller, auf dem ein Brief lag. Der Domcapitular winkte, den Teller auf ein Tabouret zu stellen, was der Bediente that, worauf er sich wieder entfernte.

„Ich werde Ihnen diesen Freundschaftsdienst nie vergessen,“ sprach der Domcapitular zu Bornstein, „und damit der Graf nicht etwa zufällig von dem hier während seiner Abwesenheit Vorgefallenen durch Zeitungsmittheilungen Kunde erhält, werde ich ihn noch heute davon unterrichten.“

Der Obergerichtsrath, dessen Diener noch nicht angekommen [743] war, billigte diese Vorsicht und empfahl sich, das Kästchen mit dem Geschmeide fest im Arme haltend, von dem höchlichst beunruhigten alten Herrn.



7. Beunruhigende Nachricht.

Nach Verlauf einiger Minuten erst gedachte der Domcapitular wieder des Briefes. Er nahm ihn auf, um ihn zu öffnen, und erkannte die Schriftzüge des Grafen. Eine trübe Ahnung bemächtigte sich seiner, als er das Couvert erbrach. Das Schreiben war aus Frankreich ohne nähere Ortsangabe datirt und meldete dem Domcapitular zuerst die in sehr kurzer Zeit erfolgende Rückkehr Aurelio’s und als Neuigkeit, die wahrscheinlich ihren Weg noch nicht zu dem verehrten Oheim gefunden haben werde, einen zweiten Besuch der unsichtbaren Kobolde in der Schatzkammer der Fürsten von O*. Am Schlusse des Briefes, den Rütersen mit schwimmenden Augen durchflog, war sogar ein Verzeichniß der Kostbarkeiten aufgeführt, welche bei diesem zweiten, so rätselhaften Eingriff in den Schatz verschwunden sein sollten. Scherzend fügte der Graf diesem Verzeichniß die Worte bei:

„Nun bitte ich Sie inständigst, verehrter Herr Oheim, lassen Sie sich um Himmels willen nicht bereden, irgend etwas von seltenen Werthsachen zu kaufen! Kein Juwelier kann augenblicklich dafür einstehen, daß nicht irgend ein tückischer, schadenfroher Kobold ihn zum Besten hat und ihm Sachen zum Kauf anbietet, an denen ein Stückchen seines guten Namens hängen bleibt. Mir aber zahlen Sie Ihre verlorene Wette! Behändigen Sie unmittelbar nach Empfang dieser Zeilen das bewußte Kästchen dem Herrn Simonides und tauschen Sie für den Inhalt desselben ein Geschmeide ein, an welchem meine geliebte Rosaura Freude hat, so lange sie lebt. Simonides ist der einzige Juwelier, dem Sie vertrauen dürfen. Ich selbst habe ihn eines Tages absichtlich auf die Probe gestellt, und er hat sie merkwürdig gut bestanden. Auf baldiges Widersehen!“

Diesem Briefe war ein duftendes Billet an Rosaura beigeschlossen.

Der Domcapitular wußte nicht, sollte er sich über diese Nachrichten Aurelio’s freuen oder betrüben. Daß er alsbald zurückkommen werde, war ihm lieb, was er ihm aber von dem räthselhaften Verschwinden werthvoller Kleinodien aus dem Schatze der Fürsten von O* mittheilte, erfüllte ihn mit ernsten Besorgnissen. Glaubte er doch in den Worten des Grafen selbst die Befürchtung zu lesen, die angeblichen Kobolde möchten sich eines Tages unerwartet in sehr greifbare Wesen verwandeln. Nur so konnte er sich die allerdings scherzhaft gehaltene Warnung Aurelio’s erklären, Was aber sollte er dem Grafen sagen, wenn dieser bei seiner Rückkunft das Geschmeide für Rosaura zu sehen wünschte? Es war anzunehmen, daß Aurelio von Weckhausen aufbrausen, in der ersten Aufregung vielleicht den Obergerichtsrath zur Rede setzen werde und damit gerade das, was durch Entfernung des offenbar geraubten Kästchens verhindert werden sollte, herbeiführen könne.

Gern hätte sich der geängstigte Rütersen seiner Nichte vertraut. Damit ward aber auch nichts gebessert, denn wer konnte wissen, ob Rosaura nicht aus Angst das Vorgefallene ihren Freundinnen ausplauderte? Er beschloß also vorläufig die Mittheilungen des, wie es schien, sehr heiter gestimmten Grafen geheim zu halten. Einigen Zeilen an seine Nichte legte er das Billet Aurelio’s bei, indem er Rosaura ihn zu besuchen bat. Er schützte Unwohlsein vor, sonst – schrieb er – würde er lieber aufs Land kommen, als sie zu sich in die geräuschvolle Stadt einladen.

Rosaura ließ nicht lange auf sich warten. Freudiger als je begrüßte sie ihren Oheim, dem sie mittheilte, Aurelio wünsche Tags nach seiner Ankunft einige Freunde bei sich zu sehen. Sie schlug zur Bequemlichkeit des Oheim vor, diese kleine Gesellschaft wie früher im Hause des Domcapitulars zu empfangen.

Rütersen schien von dieser Mitteilung nicht sehr erfreut zu sein, was er Rosaura gegenüber durch sein Unwohlsein entschuldigte. Die fröhliche Nichte mußte ihn, sodann die Namen der von Aurelio Bezeichneten nennen, unter denen der Obergerichtsrath Bornstein gleich obenan stand. Den Schluß der Verzeichneten machte Simonides.

„Der Juwelier?“ sagte Rütersen. „Wie kommt der Graf dazu, diesen Mann unter seinen Gästen sehen zu wollen?“

„Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet, meint Aurelio,“ lautete Rosaura’s Antwort. „Weshalb, kann ich auch nicht errathen.“

„Wirst Du Aurelio’s Weisung folgen?“

„Ohne Frage, gütigster Oheim! Die Freude wäre ja nur eine halbe, wenn er Einen der ausdrücklich Genannten vermißte.“

„Wahrscheinlich will er Dir eine Ueberraschung durch Simonides bereiten lassen,“ sprach der Domcapitular. „Ich weiß, daß er zu verschiedenen Malen mit dem Juwelier verkehrte.“

„In der ersten Zeit unserer Ehe, später nicht mehr,“ versetzte Rosaura. „Er war unzufrieden, weil Simonides bei jedem Geschäft eine kleinliche Pedanterie an den Tag legte. Aurelio hat mir wiederholt versichert, er halte jeden Edelstein für unecht oder für entwendet –“

„Entwendet?“ unterbrach Rütersen seine Nichte. „Wie kann ein Geschäfts- und Handelsmann gegen einen Grafen solch’ beleidigende Aeußerung zu thun wagen!“

„Ich wunderte mich auch darüber,“ sagte Rosaura, „Aurelio aber macht wenig Aufhebens davon. Die Juweliere seien ohne Ausnahme mißtrauische Leute, meinte er, nur gingen Andere nicht so überaus vorsichtig zu Werke wie Simonides. Ich vermuthe, daß gerade diese übertriebene Vorsicht die Veranlassung geworden ist, weshalb Aurelio den Mann eingeladen hat. Er wird ein Geschäft, einen Tausch vielleicht mit ihm abschließen wollen, denn ohne Juwelen kömmt Aurelio von keiner Reise zurück. Als Gast nun, von seinem Wirthe mit Aufmerksamkeit behandelt, kann Simonides die scharfen Ecken seines mißtrauischen Wesens, ohne beleidigend zu werden, nicht in so schroffer Weise herauskehren.“

Rütersen fand, daß die Gräfin Recht haben könne, und Rosaura traf Anstalten, Einladungskarten herumzusenden. Alle Geladenen nahmen an.

Der Domcapitular erholte sich von der Erschütterung, die ihm theils die Eröffnung Bornstein’s, theils der Brief des Grafen verursacht hatte, und sah Aurelio’s Rückkunft mit ziemlicher Ruhe entgegen. Da inzwischen nichts geschah, was ihm auffällig hätte erscheinen können, so glaubte er, mit der Auslieferung des verfänglichen Schmuckkästchens sei eine drohende Gefahr, die unter allen Umständen viel von sich würde reden gemacht haben, wäre sie bekannt geworden, von seinen nächsten Verwandten glücklich abgewendet. Ihm blieb nur noch übrig, einen günstigen Moment abzuwarten, um dem aufbrausenden Grafen die Nothwendigkeit seines Handelns klar zu machen.

So vergingen noch etwa acht Tage. Ein zweiter, direct an Rosaura gerichteter Brief Aurelio’s war ebenfalls in munterer Laune geschrieben und enthielt am Schlusse die lakonische Frage: „Hat der gütige Oheim Wort gehalten?“

Rosaura verstand diese Frage nicht und legte sie deshalb dem Domcapitular vor, der doch darum wissen mußte.

Lächelnd erwiderte Rütersen darauf: „Es ist Alles auf’s Beste besorgt. Beruhige Dich nur!“

Sich selbst sagte er, daß Graf von Weckhausen mit dieser Frage nur den Umtausch des alten Schmuckes in ein neues brillantes Geschmeide für Rosaura gemeint haben könne.




8. Eine entscheidende Unterredung.

Zur festgesetzten Stunde umarmte Aurelio seine von Glück und Jugend strahlende Gattin, um sich dann in Rosaura’s Gesellschaft zum Domcapitular zu verfügen. Dieser empfing den Grafen ernster als sonst, erkundigte sich aber mit Theilnahme nach dessen Erlebnissen.

„Im Allgemeinen,“ gab Aurelio zur Antwort, „hat das Glück mich begünstigt. Die Ausbeute meiner Gruben hat sich sogar noch ergiebiger als in früheren Jahren erwiesen. Wenn die Personen, mit denen man nun einmal zu thun hat, nur etwas zu verlässiger und weniger arrogant wären! Ein paar Menschen, denen ich vorzugsweise mein Vertrauen schenkte, haben mich leider recht hämisch hintergangen, und so schwer es mir fiel, sie zu entfernen, mußte ich mich doch für immer von ihnen trennen.“

„Hatten sie das ihnen geschenkte Vertrauen gemißbraucht?“ fragte der Domcapitular.

„Auf die schmählichste Weise,“ fuhr der Graf fort. „Sie kennen mein langjähriges Verhältniß mit dem genuesischen Hause –“

[744] „Das niemals zahlte?“

„Dasselbe! Mit Noth und Mühe glaubte ich endlich zu dem Meinigen gekommen zu sein –“

„Indem Sie Edelsteine, Gold und Silber an Zahlungsstatt annahmen.“

„Alles, was werthvoll und verwerthbar war, gütigster Herr Oheim. Ich hatte natürlich Verluste dabei, nicht eigentlich, was den Werth der mir gelieferten alten und schadhaften Kostbarkeiten betraf, sondern weil deren Verwerthung stets mit Schwierigkeiten verbunden war. Der Eine wollte silberne Geräthe, wenn ich ihm nur goldene bieten konnte; der Andere mäkelte an den besten Steinen, ein Dritter zog deren Echtheit in Zweifel, ein Vierter endlich hatte gar Bedenken noch schlimmerer Art. Genug, ich war fest entschlossen, nach glücklich erfolgter Abwickelung mit dem mir unbequemen genuesischen Hause alle Verbindungen abzubrechen. Statt nun aber meinen Weisungen, die in diesem Falle doch als von mir ausgehende Befehle zu respectiren waren, pünktlich sich zu fügen, gewährt der eigensinnige Mensch dem Genuesen auf’s Neue einen bedeutenden Credit, eine Eigenmächtigkeit, die mich in empfindliche Verluste bringen kann.“

„Hat das Haus fallirt?“

„Das nicht, aber der Chef desselben ist heimlich entwichen, und nun bringe ich zu meinem größten Erstaunen in Erfahrung, daß überhaupt schon seit Jahren Unredlichkeiten mancherlei Art vorgekommen sind. Darüber erbittert, habe ich den Mann, der mir diese ärgerlichen Erfahrungen durch pünktlichen Gehorsam so leicht hätte ersparen können, abgelohnt und fortgeschickt.“

[757] „Sie können sich immer noch Glück wünschen, daß Sie zu rechter Zeit Kunde erhielten von dem Stande der Dinge,“ versetzte der Domcapitular. „Nicht Jeder kann sich solcher Gunst Fortuna’s rühmen. In Ihrer Abwesenheit hat man hier ebenfalls eine Entdeckung gemacht, die noch böse Untersuchungen zur Folge haben wird.“

„Hier? … In dieser Stadt? …“ fragte Aurelio.

„Sie kennen den Brief, welcher, wie jetzt bekannt ist, in Sachen des Schatzes der Fürsten von O* die Runde durch alle Zeitungen machte.“

„Ach ja,“ fiel Aurelio dem Domcapitular in’s Wort. „Dieser Brief hat mich amusirt. Er war so gescheidt abgefaßt, daß ihn nur ein Allwissender oder ein Hexenmeister verstehen konnte.“

„Halten Sie ihn für unecht?“

„Keineswegs, sein Verfasser ist aber jedenfalls ein Spaßvogel, welcher der leichtgläubigen Menge etwas aufbinden will.“

„Ich las ihn auch,“ sagte der Domcapitular, „allein und mit Andern, und uns schien er Andeutungen von Wichtigkeit zu enthalten.“

„Zum Beispiel?“

„Es wird aus denselben ersichtlich, daß diebische Hände den Schatz der Fürsten von O* heimlich zu öffnen verstanden.“

Graf von Weckhausen lachte sehr heiter.

„Mein Brief, gütigster Oheim, und meine in die Form einer Bitte eingekleidete Bestellung haben Ihnen bereits gesagt,“ erwiderte er, „daß diese Vermuthungen grundlos sind. Meine Hypothese von [758] den Kobolden, welche dem Fürstenhause zürnen, war richtiger. Sie hatten doch die Güte, meine Bitte zu beachten?“

Rütersen sah jetzt dem Grafen ernst in’s Auge. Aurelio behielt den lächelnden Zug bei, der den Ausdruck seiner Mienen verschönernd belebte.

„Wenn ich es nun nicht gethan hätte,“ fragte er den Grafen nach einer kleinen Weile, „würden Sie mir wohl für mein Zögern dankbar sein?“

Das Lächeln in Aurelio’s Antlitz verlor sich und machte einem Schimmer von Traurigkeit Platz.

„Es würde mich meiner geliebten Rosaura wegen betrüben,“ versetzte er.

„Meine Nichte besitzt der Kostbarkeiten mehr als nöthig sind, um glücklich leben zu können,“ fuhr der Domcapitular fort. „Ein kluger Mann, welcher die Liebe seiner Gattin für das höchste Gut hält, das der Himmel ihm geschenkt hat, muß weise Maß zu halten verstehen und die Frau nicht durch zu reiche Geschenke verwöhnen. Weil es mir nun schien, als wäre es Ihnen unmöglich, dies Maß zu beobachten, habe ich Ihren Auftrag nicht vollzogen.“

Aurelio’s leise Betrübniß verwandelte sich, wie sein Mienenspiel verrieth, offenbar in Aerger. Er stand auf, stieß den Stuhl, der ihn getragen hatte, unsanft zurück, und sagte in fast unehrerbietig klingendem Tone zu Rütersen: „Dann will ich das Versäumte sogleich nachholen. Rosaura hat mein Wort zum Pfande und erwartet schon lange, daß ich es einlösen werde. Ich ersuche um Auslieferung des Kästchens mit dem alten Schmucke.“

Ehe der Domcapitular auf diese sehr bestimmt ausgesprochene Forderung antworten konnte, überreichte ihm der eintretende Bediente ein Billet mit der Bemerkung:

„Von dem Herrn Obergerichtsrath Bornstein.“

Rütersen stand jetzt ebenfalls auf, trat an’s Fenster und öffnete es, ein Wort der Entschuldigung an den Grafen richtend. Während er die erhaltenen Zeilen durchlas, ward er sehr blaß. Sinnend faltete er das Billet wieder zusammen und kehrte zu seinem Sessel zurück. Er stützte sich auf die Lehne desselben und sagte dann mit Nachdruck: „Jenes Kästchen befindet sich nicht mehr in meiner Verwahrung. Ich ward von einem Freunde gebeten, es ihm zu überlassen.“

Aurelio von Weckhausen erschrak sichtlich.

„Fürchteten Sie vielleicht, man könnte bei Ihnen nachfragen, auf welche Weise Sie in den Besitz desselben gekommen seien?“ sagte er übereilt.

„Ich nicht, aber ein Freund von Ihnen fürchtete etwas der Art,“ versetzte der Domcapitular. „Es wird nöthig werden zu ermitteln, von wem das Kästchen herrührt und wer es Ihnen käuflich überließ.“

Der Graf war offenbar unangenehm von dieser Mittheilung überrascht, er wußte sich indeß schnell zu fassen, und ohne die letzte Frage Rütersen’s zu beantworten, sagte er: „Sie dürfen mir den Namen dieses Freundes nicht vorenthalten, theurer Herr Oheim. Jedenfalls findet hier eine Verwechselung zweier Gegenstände statt, die einander ähneln. Ich gestehe offen, daß ich eine solche Möglichkeit immer gefürchtet habe und daß ich gerade deshalb einen Umtausch des Schmuckes, welchen mein Geschenk an Rosaura birgt, schon seit längerer Zeit wünschte. Ich muß also, wie Ihnen einleuchten wird, unsern ebenso aufmerksamen als vorsichtigen Freund sogleich sprechen.“

„Obergerichtsrath Bornstein wird gewiß erfreut sein, Sie wieder zu sehen,“ meinte der Domcapitular.

„Bornstein?“ wiederholte Aurelio nachdenklich. „Also Bornstein! … Ich hätte es vermuthen können! ....“

Darauf ward er plötzlich auffallend zerstreut, sprach noch kurze Zeit über gleichgültige Dinge mit dem Oheim seiner Gattin, fragte wiederholt, ob auch sämmtliche Eingeladene bei dem morgenden freundschaftlichen Abendcirkel erscheinen würden, und empfahl sich endlich unter einem Strom von Dankesworten, wie der Domcapitular sie noch nie in so reicher Fülle von dem Grafen vernommen hatte.

Kaum sah sich Rütersen allein, als er auch Befehl ertheilte, seinen Wagen anspannen zu lassen. Das erhaltene Billet Bornstein’s zu sich steckend, fuhr er zu dem Obergerichtsrath. Unterwegs gab er sich der Hoffnung hin, er werde den Grafen bei Bornstein treffen. Aurelio von Weckhausen hatte sich aber nicht daselbst sehen lassen. Die Unterredung des Domcapitulars mit dem Obergerichtsrath dauerte lange. Sie endigte mit der Versicherung des Letzteren, daß alles Aufsehen vermieden werden solle. Auf die Haltung des Grafen nur würde es ankommen, ob das Unerläßliche still vor sich gehen könne, oder ob man Gewalt werde brauchen müssen.

„Und meine Nichte?“ rief der erschütterte Domcapitular. „Sie hat keine Ahnung von dem, was ihr bevorsteht! … Wer auch konnte vermuthen, daß sich ein Verbrecher in diesem vollendeten Gentleman verberge!“

„Die Gräfin ist vorbereitet,“ erwiderte Bornstein, „Uebrigens fällt auf den Grafen der geringere Antheil an der Schuld. Er half das Verbrechen nur fördern, er beging es nicht selbst. Der wirkliche Verbrecher ist jener Marchese Oruna, in dem sich, wie man ermittelt hat, in der That der illegitime Erbe verbirgt, welcher Ansprüche auf den Thron der Fürsten von O* erhebt. Gelang die kühne That – und es fehlte wenig, sie wäre vollständig gelungen – so würde Graf von Weckhausen als ein reicher Mann von seiner gewagten Vermittler- oder, wenn Sie lieber wollen, von seiner zweideutigen Hehlerrolle zurückgetreten sein und völlig makellos in der Gesellschaft dagestanden haben.“

„Ich bitte um Schonung meiner Nichte,“ bat Rütersen, als er den Obergerichtsrath verließ, „Das Kästchen ist doch noch in Ihren Händen?“

„Gewiß,“ sagte Bornstein, dem erschütterten Greise die Hand drückend. „Und damit es in die Hände keines Unberufenen und Uneingeweihten komme, werde ich Sorge tragen, daß es dem Grafen zu rechter Zeit wieder eingehändigt wird.“

„Sie wollten? … Können, dürfen Sie die Großmuth so weit treiben? …“

„Verlassen Sie sich ganz auf meine Vorkehrungen, Herr Domcapitular,“ fiel Bornstein ein, „Sie entsprechen vollkommen dem Ziele, das wir erreichen müssen. Und da ich voraussetzen darf, daß auch der Graf in dieser Stunde bereits von dem wahren Stande der Angelegenheit unterrichtet ist, wird er mich gewiß verstehen und sich meinen Anordnungen durchaus nicht widersetzen. Als Mann von Erziehung wird er im Augenblick des Unglücks erkennen, was er dem guten Ton und der Ehre seines Standes schuldig ist.“




9. Das Ende.

Rosaura war früher als Aurelio auf ihren schönen Landsitz zurückgekehrt. Hier fand sie ein Schreiben Bornstein’s vor, welches die Anzeige enthielt, daß ihr Gatte in Folge eingetretener Umstände wahrscheinlich spät, vielleicht auch gar nicht die Stadt werde verlassen können. Eine plötzlich eingetretene Trauerbotschaft aus seinen fernen Besitzungen fordere ein längeres Verweilen des Grafen, um sogleich die nöthigen Weisungen zu geben, Bornstein fügte hinzu, Graf von Weckhausen habe ihn als Freund gebeten, der Gräfin diese Mittheilung zu machen.

Zwar wunderte sich Rosaura über diese Nachricht, besonders auffällig erschien sie ihr jedoch nicht. Sie kannte die intime Verbindung ihres Gatten mit dem Obergerichtsrathe und vermuthete deshalb, Aurelio werde den Rath, wo nicht die Vermittelung des Freundes bedurft haben, um etwaigen Verlusten in Zeiten vorzubeugen.

Sehr erfreut war die Gräfin, als Aurelio kurz vor Mitternacht doch seine Behausung betrat, nur sein Aussehen flößte ihr Schrecken ein. Es mußte ihm in der That etwas Entsetzliches zugestoßen sein, sonst hätte der blühende Mann, den sie nur froh und glücklich zu sehen gewohnt war, sich innerhalb weniger Stunden nicht so auffallend verwandeln können.

„Entdecke mir Dein Leid, Aurelio,“ flehte Rosaura mit schmeichelndem Liebestone. „Es wird Dir leichter werden, wenn Du Deinen Schmerz, Deinen Kummer mit mir theilst!“

„Morgen sollst Du Alles erfahren,“ erwiderte der Niedergeschlagene. „Morgen nach dem Souper.“

„Wäre es nicht besser, wir ließen absagen? Der Oheim würde gern dafür Sorge tragen.“

„Nein,“ sagte Aurelio fest. „Ich wünsche nicht, daß dieser Unfall, der meine Existenz gefährden kann, im Publicum bekannt wird. Die Nachricht hat mich, weil sie zu unerwartet kam, allerdings überrascht, bis morgen Abend jedoch habe ich mich wieder gefaßt und ich werde fest sein in meinen Entschließungen.“

[759] „Kann Bornstein nichts für Dich thun? Er schreibt doch so liebreich, so theilnehmend über Deinen Unfall! Lies selbst.“

Rosaura reichte Aurelio das Billet des Obergerichtsrathes, der es zerstreut, mit irrenden Blicken überflog. Ohne Antwort gab er es dann der Gräfin wieder zurück.

„Du scheinst mit den Vor- oder Rathschlägen unseres Freundes nicht einverstanden zu sein,“ sagte Rosaura schüchtern.

„Doch, doch,“ erwiderte Graf von Weckhausen. „Er meint es sehr gut, denn er ist zum Entsetzen ehrlich! Nun aber laß uns zur Ruhe gehen! … Der Schlaf wird mich erquicken, und über Nacht kommen mir wohl auch gute Gedanken! …“

Rosaura, obwohl von dem seltsamen Wesen ihres Gatten beunruhigt, entschlief bald, Aurelio aber blieb wach. Er stellte sich schlafend, bis er sich überzeugt hatte, daß Rosaura fest entschlummert sei.

Darauf erhob er sich von seinem Lager und begab sich nach seinem Zimmer. Hier wühlte er geraume Zeit in Papieren, von denen er eins bei Seite legte. Dann öffnete er den eleganten Schrank, in welchem eine Menge werthvoller Gold- und Silbergeräthschaften aufbewahrt wurde, theils Geschenke, die das gräfliche Paar bei seiner Vermählung erhalten hatte, theils Gegenstände von denen, welche Aurelio von dem genuesischen Hause an Zahlungsstatt erhalten haben wollte. Unter diesen Werthsachen befand sich auch der kunstvoll gearbeitete Pokal, den der Domcapitular für ein Werk Benvenuto Cellini’s oder eines seiner Schüler hielt.

Aurelio nahm diesen Pokal, ergriff dann das Papier, öffnete es und rieb die starke goldene Höhlung so stark damit aus, daß es sich unter dem Druck seiner Finger fast ganz auflöste. Dann suchte er zum zweiten Male sein Lager auf, das er nicht eher, als am Morgen wieder verließ.

Rosaura’s Antlitz überflog ein glückliches Lächeln, als sie Aurelio beim Erwachen dem äußeren Anschein nach ganz heiter erblickte. Nur in seinem Auge dämmerte bisweilen eine Wolke, die es vorübergehend trübte.

Von den beunruhigenden Mittheilungen war zwischen dem gräflichen Paar nicht die Rede. Rosaura schmückte sich mit Sorgfalt für die Abendgesellschaft bei ihrem Oheim, und bestieg hoffnungsmuthig mit Aurelio den Wagen, welcher Beide nach der Stadt trug. –

Die nur aus wenigen Personen bestehende Gesellschaft war belebt, und der Graf von Weckhausen trug, wie man dies schon an ihm gewohnt war, viel bei zu deren Unterhaltung. Da er sich gewissermaßen als Wirth des Hauses betrachten durfte, übernahm er auch bereitwillig die Pflichten eines solchen.

Mit Bornstein wechselte Aurelio nur wenige Worte, desto öfter ruhten seine Blicke auf demselben. Dieser behandelte dafür Rosaura mit ausgesuchter Aufmerksamkeit, die man für gewöhnlich an dem sehr ruhigen Manne eher vermißte. Dem Grafen, dem diese Aufmerksamkeit nicht entging, entlockte sie nur ein Lächeln.

„Sie haben mir einen fatalen Streich gespielt, Herr Simonides,“ redete Aurelio den Juwelier an, als er mit demselben zusammentraf. „Ich werde Sie dafür strafen.“

Simonides lächelte ebenfalls, sein Auge aber glitt düster und traurig von der vornehmen Erscheinung des Grafen auf die liebliche Rosaura, die wie eine Fee den Salon durchwandelte, und durch ihre Grazie und Liebenswürdigkeit Jeden bezauberte.

„Du hast etwas vergessen, Geliebte,“ flüsterte der Graf seiner Gattin im Vorübergehen heimlich zu.

„Was könnte das sein?“ entgegnete Rosaura.

„Der Pokal, der bei keinem frohen Mahle fehlen soll.“

„Bitte, verzeihe mir!“

„Du warst zu beschäftigt und wohl auch zu aufgeregt, Teuerste,“ fuhr der Graf fort. „Zum Glück dachte ich an den Becher und habe ihn mitgenommen. Du wirst ihn auf der Tafel wieder finden.“

„Wie dank’ ich Dir!“ rief Rosaura froh bewegt, und drückte Aurelio zärtlich die Hand.

„Wir wollen diesen Kelch wie immer, wenn wir glücklich waren, zusammen leeren,“ sprach der Graf. „Wie er uns bindet, so wird er das auf Momente mir untreu gewordene Glück uns auch wieder zurückführen.“

Rosaura entfernte sich mit lächelndem Augenwink, da sie Bornstein herankommen sah.

„Ich habe mir erlaubt, Herr Graf,“ redete der Obergerichtsrath Aurelio an, „noch einen Gast Ihnen zuzuführen, „einen Bekannten, der Ihnen zu Dank verpflichtet ist.“

Der Graf verbeugte sich, ohne etwas zu erwidern.

„Sie werden erstaunt sein über diese Bekanntschaft,“ fuhr Bornstein fort, „ich verspreche aber, Ihnen jeden gewünschten Aufschluß zu geben, das heißt, wenn Sie es für nöthig erachten sollten.“

Aurelio’s Antwort bestand in einer abermaligen stummen Verbeugung.

„Finden Sie nicht,“ ergriff der Obergerichtsrath von Neuem das Wort, „daß Herr Simonides in merkwürdig gedrückter Stimmung zu sein scheint?“

Aurelio verneinte.

„Ganz gewiß, er ist nicht heiter,“ betheuerte Bornstein. „Zufällig kenne ich auch den Grund seiner Verstimmung.“

„Was wäre Ihnen nicht bekannt!“ sagte Graf von Weckhausen.

„Ich weiß allerdings Manches, was Andern verborgen bleibt,“ fuhr der Obergerichtsrath fort, „doch halte ich dies für kein Verdienst. Es ist das natürliche Ergebniß der Stellung, die ich einnehme.“

Er zog jetzt den Grafen mit sich in eine Fensternische und hier ihn festhaltend, sagte er schnell:

„Man hat bei dem Juwelier in aller Stille vergangene Nacht Haussuchung gehalten …“

Aurelio ward ungeduldig. Er wollte gehen, Bornstein aber legte seinen Arm in den des Grafen.

„Die Diamanten und andern Edelsteine aus dem Diadem der fürstlichen Familie von O* sind zum Theil in den Besitz des Herrn Simonides übergegangen. – Der Mann, welcher sie ihm zu Kauf und Tausch anbot, ist ein vornehmer Herr … der Marchese …“

„Marchese Oruna!“ meldete in diesem Augenblick der Bediente, die Flügelthür des Salons öffnend, und herein trat, von noch einem andern Herrn begleitet, der Genannte.

„Ach, Marchese Oruna!“ wiederholte Bornstein. „Sie haben auf sich warten lassen.“

Der Graf zitterte, als das Auge des Marchese ihn traf.

Rosaura erschrak ebenfalls und ward bleich.

„Gnädige Gräfin,“ fuhr Bornstein fort, dem Begleiter des Marchese einen verhüllten Gegenstand abnehmend, „Sie erlauben, daß ich behülflich bin, den Grafen eines Versprechens zu entbinden, das ihn lange schon drückt, Sie erhielten eines Tages ein Kästchen von Ebenholz in dem sich ein sehr alter Schmuck befand. Der Graf, welcher Sie mit diesem Geschenk überraschte, wollte den Schmuck mit einem modernen entweder vertauschen, oder ihn anders fassen lassen. Zu diesem Behufe erhielt ihn Herr Simonides vor einiger Zeit. Leider hat sich nun aber ein Unglücksfall ereignet. Der Schmuck ist verschwunden …“

„Verschwunden? …“ rief mehr als eine Stimme.

Graf von Weckhausen trat in den glänzend erhellten Speisesaal, der jetzt von den Bedienten geöffnet wurde.

„Ja, verschwunden!“ betheuerte Bornstein. „Das Verschwinden scheint eine eigenthümliche Eigenschaft dieses alten Schmuckes zu sein, denn schon einmal verschwand er anderwärts … aus dem Schatze der Fürsten von O* ....“

„Er ward geraubt?“ rief Rosaura aus. „Und Aurelio …“

„Gnädige Frau Gräfin,“ fiel Bornstein der Erschrockenen ins Wort, „die Kobolde, welche bei jenem seltsamen Verschwinden thätig waren, hielten nicht reinen Mund. So ward es möglich, den verschwundenen Schatz zu entdecken. Aber seltsam, kaum ward er durch Simonides ermittelt, als der werthvolle Inhalt des Ihnen bekannten Kästchens sich verwandelte. Beweis genug, daß, wie der Herr Graf behauptet, Geisterhände bei dem Verschwinden thätig sein mußten,“

Aurelio lehnte an der Tafel und ergriff wie spielend den goldenen Becher.

„Der Herr Graf mag sich von der Wahrheit meiner Worte überzeugen,“ fuhr der Obergerichtsrath fort. „Der Marchese wird die Güte haben, das Kästchen vor ihm zu öffnen und zugleich die Bitte an ihn richten, den jetzigen Inhalt desselben brüderlich mit ihm zu theilen.“

Auf einen Wink Aurelio’s schenkte ein Diener ihm Wein in den alten Becher. Der Graf leerte den Pokal in einem Zuge. [760] Gleichzeitig trat der Marchese an den Wankenden, der Deckel des Kästchens mit der Krone sprang auf, und da, wo sonst der Schmuck gelegen hatte, befanden sich jetzt zwei Paar glänzende Handfesseln von Stahl …

Aurelio zuckte zusammen. Seine ausgestreckte Hand erfaßte den Deckel und drückte ihn wieder zu, ehe noch Einer der Anwesenden den Inhalt des Kästchens erblicken konnte. Dann ward er bleich, röchelte und sank unter krampfhaftem Zittern auf den nächsten Stuhl.

Der Domcapitular stand neben ihm. Noch einmal schlug er das Auge auf und flüsternd vernahm Rosaura’s Oheim von dem Sterbenden die Worte:

„Ich habe … gefehlt! … Der Marchese … der illegitime Erbe des Fürstenthrones von O* verleitete mich … Rosaura … darf nichts erfahren … …“

Nach einigen Athemzügen war Aurelio eine Leiche.

Marchese Oruna ward ohne Aufsehen abgeführt durch das sichere Geleit, das seiner in den Vorzimmern harrte. Die übrigen Anwesenden waren zu sehr bestürzt, um sich den innern Zusammenhang des Geschehenen erklären zu können. … Es hieß allgemein, Graf von Weckhausen sei vor Schreck am Schlage gestorben. Man sagte, ein Todtenkopf mit brillantenem Schmuck habe in dem Kästchen gelegen, und Kopf und Schmuck habe der Graf gekannt …

Von Marchese Oruna hörte man nichts mehr. Aurelio ward ohne Gepränge beerdigt und Rosaura reiste wenige Tage später in Begleitung ihres Oheims in’s Ausland.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gefuhrt