Textdaten
<<< >>>
Autor: Johann Gottfried Herder
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der sterbende Schwan
Untertitel:
aus: Zerstreute Blätter. Erste Sammlung.
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1785
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Gotha
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[193]

Der sterbende Schwan.

––––

"Muß ich allein denn stumm und Gesanglos seyn? sprach seufzend der stille Schwan zu sich und badete sich im Glanz der schönsten Abendröthe; beinah ich allein im ganzen Reich der gefiederten Schaaren. Zwar der schnatternden Gans und der gluckenden Henne und dem krächzenden Pfau beneide ich ihre Stimmen nicht; aber dir o sanfte Philomele beneide ich sie, wenn ich wie festgehalten durch dieselbe langsamer meine Wellen ziehe und mich im Abglanz des Himmels trunken verweile. Wie wollte ich dich singen, goldne Abendsonne! dein schönes Licht und meine Seligkeit singen, mich in den Spiegel deines Rosenantlitzes niedertauchen und sterben."

     Stillentzücket, tauchte der Schwan nieder und kaum hob er sich aus den Wellen wieder empor; als eine leuchtende Gestalt, die am Ufer stand, ihn freundlich zu sich lockte. Es war der Gott der Abend- und Morgensonne, der schöne [194] Phöbus. „Keusches, liebliches Wesen, sprach er, die Bitte ist dir gewährt, die du so oft in deiner verschwiegenen Brust nährtest und sie konnte dir nicht eher gewährt werden.“ Kaum hatte er das Wort gesagt, so berührte er den Schwan mit seiner Leier und stimmte auf ihr den Ton der Unsterblichen an. Entzückend durchdrang der Ton den Vogel Apollo's und aufgelößt und ergossen sang er in die Saiten des Gottes der Schönheit, dankbar froh besingend die schöne Sonne, den glänzenden See und sein unschuldiges, seliges Leben. Sanft, wie seine Gestalt war das harmonische Lied: lange Wellen zog er daher in süssen entschlummernden Tönen, bis er sich – im Elysium wieder fand, am Fuß des Apollo in seiner wahren, himmlischen Schönheit. Der Gesang, der ihm im Leben versagt war, war sein Schwanengesang geworden, der sanft seine Glieder auflösen mußte: denn er hatte den Ton der Unsterblichen gehört und das Antlitz eines Gottes gesehen. Dankbar schmiegte er sich an den Fuß Apollo's und horchte seinen göttlichen Tönen, als eben auch [195] sein treues Weib ankam, die sich in süssem Gesange ihm nach zu Tode geklaget. Die Göttin der Unschuld nahm beyde zu ihren Lieblingen an; das schöne Gespann ihres Muschelwagens, wenn sie im See der Jugend badet.

     Gedulde dich, stilles hoffendes Herz! was dir im Leben versagt ist, weil du es nicht ertragen könntest, giebt dir der Augenblick deines Todes.