Textdaten
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Titel: Der sprechende Telegraph
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 220
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[220] Der sprechende Telegraph. Von neuen musikalischen, schreibenden und zeichnenden Telegraphen haben wir unsern Lesern im Laufe des vorigen und des neuen Jahrgangs Mittheilungen gemacht. Auf der Philadelphia-Ausstellung stellte sich den Besuchern außerdem ein sprechender Telegraph von Graham Bell vor, zu dessen Verständniß wir Folgendes vorausschicken: Im Jahre 1861 erfand der deutsche Physiker Dr. Ph. Reis seinen Telephon (das ist Fernklang) genannten elektrischen Apparat, mit dessen Hülfe sich Gesang und Musik auf ziemliche Entfernungen telegraphisch versenden lassen. Dieser Apparat, der es ermöglicht, eine Serenade ebensogut in absentia zu absolviren, wie den bekannten Dr. phil., den der gesunde Volkswitz unsrer Tage Doctor der Menschenliebe (Dr. philadelphiae) nennt, dieser Apparat besteht aus einem Tonempfänger, in den man wie in die Muschel eines Sprachrohrs hineinsingt oder hineinflötet, um vermittelst einer darin straff wie ein Trommelfell gespannten Membrane die Tonschwingungen dem Telegraphendrahte als ebensoviele elektrische Ströme mitzutheilen. Auf dieser in Schwingungen versetzten Membrane ist nämlich ein Metallplättchen angebracht, welches durch Berührung einer metallenen Spitze bei jedem Hin- und Hergehen den Strom öffnet und schließt. Die durch den Draht übermittelten Schwingungen gelangen nun ebenso wie bei dem Stimmgabel-Telegraphen (Gartenlaube 1876, S. 107) unverändert nach der Empfangsstation und können dort vermittelst eines stricknadeldünnen, auf einem Resonanzboden befestigten und von den Strömen in Schraubenlinien umkreisten Eisenstabes hörbar gemacht werden, weil derselbe durch jede einzelne Strömung mit einer schwachen Lautäußerung zum Magneten wird. Je schneller sich die Ströme folgen, zu einem um so höheren Tone summiren sich die Magnetisirungs-Geräusche, die, wie es scheint, von einer Umlagerung der kleinsten Theilchen herrühren.

Bald nachdem dieser Apparat erfunden worden war, versuchte man auf deutschen und außerdeutschen Telegraphenstrecken ihn für die Praxis nutzbar zu machen, allein die Sache gedieh über eine amüsante Unterhaltung nicht hinaus. Man telegraphirte einander deutsche Volkslieder, auch wohl Clavierstücke, indem man den Absendungsapparat mit dem Resonanzboden des Instruments in Verbindung setzte, und es war gewiß sehr interessant, die Leistungen eines Sängers oder Virtuosen aus meilenweiter Entfernung mitgenießen zu können, aber leider wollten die Worte nicht die Melodie begleiten, und alle Lieder wurden auf diesem Wege „Lieder ohne Worte“. Das war sehr fatal, denn wenn z. B. die Tochter des Stationsvorstehers in X dem Telephon: „Ich, ich mag dich nicht leiden“ nach der Melodie: „Du, du liegst mir im Herzen“ in’s Kunstohr sang, so nahm der liebegirrende Aspirant der Nachbarstation diesen Hohn sicherlich für die beglückende Erhörung seiner aufrichtig gemeinten Serenaden. Den Bemühungen des Herrn Graham Bell soll es nun aber gelungen sein, diese Mängel zu überwinden und dem Telephon die Verständlichkeit her Menschenstimme zu geben. Sein Tonabsender ist nicht wesentlich von dem oben beschriebenen unterschieden, dagegen ist in dem Empfangsapparate der selbsttönende Elektromagnet durch eine kleine, kreisrunde Armatur ersetzt worden, welche, durch den Elektromagneten in Schwingungen versetzt, die Eigenthümlichkeiten der Menschenstimme so wiedergeben soll, daß man jedes Wort versteht, welches aus der andern Station dem Drahte anvertraut wird.